Kampfbegriff aller Rechten: „Political Correctness“

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Von Martin Dietzsch und Anton Maegerle. Unter dem Schlagwort „Political Correctness“ findet in der Bundesrepublik eine Kampagne zur Rehabilitierung rechtsextremer Positionen statt. Dieser Beitrag gibt einen Überblick. Stand: Mai 1996.

Otto Graf Lambsdorff, FDP-Ehrenvorsitzender, lamentierte im Sommer vergangenen Jahres in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) über „Deutschlands neue Denkverbote“. Lauthals wurde von Lambsdorff beklagt, daß allem „was rechts ist, gleich die Ku-Klux-Klan-Kappe übergestülpt wird und bloße rechte Worte sehr voreilig zu Benzinkanistern in den Händen geistiger Brandstifter umdefiniert werden.“ Lambsdorff weiter: „Verstärkt durch die Diktatur der political correctness, tritt Ausgrenzung an die Stelle von Auseinandersetzung. Selbst moderat konservative Äußerungen werden an den Rand des Abgrunds der öffentlichen Akzeptanz gedrückt und haben Schwierigkeiten, überhaupt diskussionswürdig zu sein.“ ([1])

Der Freidemokrat ist der erste demokratische Politiker in der Bundesrepublik ([2]), der den heute von Rechtsaußen jeglicher Couleur negativ besetzten Begriff „Political Correctness“ (PC) in die politische Debatte geworfen hat.

Political Correctness in den USA

Der Begriff PC stammt aus den USA und wurde dort Ende der 60er Jahre von Linken, Schwarzen und Feministinnen geprägt. Im Mittelpunkt der damaligen „PC-Kampagne“ von Teilen der Bürgerrechtsbewegung stand das Ziel von gesellschaftlichen Minderheiten, ausgehend von einer zu erkämpfenden Gleichberechtigung auf semantischer Ebene, dem rhetorischen Abbau von Diskriminierungen aller Art, Gleichberechtigung auch in weiteren Lebenslagen anzustreben.

Die Forderungen nach einer besseren Artikulation der Interessen und Sichtweisen der an den Rand gedrängten sozialen, ethnischen und kulturellen Gruppen, insbesondere von Frauen und Minderheiten, brachten mit sich, daß die gleichsam selbstverständliche Dominaz der angelsächsischen männlichen „mainstream“-Kultur und ihrer Träger im öffentlichen Leben in Frage gestellt wurde.

Seit dem Ende der Reagan-Ära formiert sich gegen die Kultur der PC eine immer stärker werdende Gegenbewegung.

Neokonservative Kulturkritiker beklagen zunehmend den Niedergang althergebrachter Werte (Familie, Vaterland, Nation), der Individualismus wird für die Probleme der Gesellschaft verantwortlich gemacht; beschworen werden Ressentiments sowie Ängste der weißen Mittelklasse. Ebenso hat der Wegfall des kommunistischen Feindbildes den nach innen gerichteten Blick verstärkt.

Die heftige Reaktion auf PC dient in den USA dazu, den Verlust von Selbstsicherheit und das Nachlassen äußerer Bedrohung zu ersetzen, um die Nation wieder auf ein Feindbild einzustimmen.

PC wird in den USA, und nunmehr auch in der Bundesrepublik, als diffamierender Kampfbegriff benutzt, um die Bemühungen von Liberalen, Linken, Feministinnen, Vertretern von Minderheiten und Befürwortern von Multikulturalismus um eine Öffnung der Gesellschaft, das Hinterfragen von überkommenen Tabus, Vorstellungen und Stereotypen zu karikieren und zu verfälschen.

Heute dient PC dazu, Verachtung auszudrücken für diese Anschauungen und Zielsetzungen. Dabei werden etwa die Relativierung des Leistungsstandards, die angebliche Einschränkung der freien Meinungsäußerung und die Gefahren selbstzerstörerischer Separation heraufbeschworen.

In den us-amerikanischen Medien und in der öffentlichen Debatte ist PC einer der am inflationärsten verwendeten Begriffe.

PC in der Bundesrepublik

Auch in der Bundesrepublik wird PC gleichgesetzt mit Indoktrination, Kontrolle sowie Zwang. PC ist zu einem emotional aufgeladenen ultrarechten Kampfbegriff geworden zur Verleumdung linker und liberaler politischer, sozialer und kultureller Reformbemühungen und Absichten, die in den sechziger Jahren ihren Ausgang nahmen.

In einem Satz: Mißliebige Entwicklungen und Reformbemühungen sollen durch das Schlagwort PC diskriminiert und abgeschafft werden. ([3])

Der Begriff PC hat sich seit Beginn der 90er Jahre von der ultrarechten bis zur rechtsextremen Gemeinde in der Bundesrepublik wie ein Lauffeuer verbreitet.

Klaus Rainer Röhl, einst Herausgeber der Zeitschrift KONKRET und Ex-Ehemann von Ulrike Meinhof, neuerdings Mitglied des rechtsaußen-Flügels der FDP, hat zu PC ein Buch verfaßt, das beim Ullstein-Verlag unter dem Titel „Deutsches Phrasen-Lexikon. Politisch korrekt von A bis Z“ im letzten Jahr erschienen ist. ([4])

Dieses Machwerk wird einhellig von der rechten Szene begrüßt. Die Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (JF) kürt Röhls Zeilen zum „Anti-PC-Buch“. ([5]) „Nation+Europa“ (NE) bejubelt die „köstliche Sammlung zeitgeistiger Stilblüten“ und schreibt: „Mit grimmigem Humor läßt Röhl die Luft aus den PC-Sprechblasen und empfiehlt seinen Lesern: ‚Erst mal ablachen!‘.“ ([6]) „Europa Vorn“ (EV) merkt an: Das „muß man durchlacht haben“.([7])

Röhl, der beim zwischenzeitlich emeritierten Berliner Historiker Ernst Nolte promoviert hat, gilt heute als Aushängeschild der sogenannten „Neuen Rechten“ um Ulrich Schacht, Heimo Schwilk und Rainer Zitelmann. Der rechtsgewendete Alt-Linke, Autor des neurechten Sammelbandes „Die selbstbewußte Nation“, wird seit Erscheinen seines Buches „Linke Lebenslügen – eine überfällige Abrechnung“ (Ullstein-Report 1994) von der gesamten Rechten überschwenglich gefeiert; „Nation+Europa“ dazu: „Ob Antifaschismus, befreite Sexualität, Friedenspolitik oder Feminismus: Röhl sticht in die roten Propagandaballons, daß es nur so knallt und zischt.“([8])

Vorgestellt wurde das „Phrasen-Lexikon“ von Röhl auf einer Pressekonferenz in Bonn durch die Kulturbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion, Erika Steinbach, zugleich stellvertretende Bundesvorsitzende der „Ost-und Mitteldeutschen Vereinigung in der CDU/CSU“, Vizepräsidentin des „Bundes der Vertriebenen“ (BdV), Interviewpartnerin der „Jungen Freiheit“ und Autorin im „Deutschland-Magazin“.

Hier ein Auszug aus dem Ullstein-Verlagsprospekt zu Röhls „Phrasen-Lexikon“:

„Die wichtigsten Sprachblasen des heutigen PC-deutsch sind in diesem Phrasen-Lexikon von A wie Ausländerfeindlichkeit bis Z wie Zigeunerschnitzel aufgeführt und ihren Urhebern zugeordnet:

– der Jargon der Betroffenheit (Weizsäcker-Deutsch)
– die post68er Mediensprache (Toskanadeutsch)
– das Feministen-Welsch
– der Autonomen-Slang
– und verschiedene Hypochonder-Dialekte (Alternativdeutsch)“

Weiter in der Ullstein-Werbung: „In der Auseinandersetzung der politischen Meinungen ist und war die Sprache eine der schärfsten, weil subtil wirkenden Waffen. Deshalb dient das Phrasen-Lexikon nicht nur zur vergnüglichen Lektüre, sondern zieht den PC-Schleier von den heutigen und gestrigen Worten und Phrasen, um diese in ihrer eigentlichen Sinnleere bloßzustellen.“

In Auszügen findet sich das Buch auch in FOCUS. Vorgeschaltet ist den Auszügen ein Artikel des neurechten FOCUS-Redakteurs Michael Klonovsky, in dem dieser Röhl den LeserInnen regelrecht ans Herz legt. ([9])

Wir dokumentieren die Ausführungen des Röhl’schen „Phrasen-Lexikons“ zu den „Reizthemen“ „Ausländerfeinde“ und „Rasse“:

Ausländerfeinde: „Wichtigste toskanadeutsche Kampfvokabel zur Aufrechterhaltung der politischen Korrektheit gegenüber den Stammtischen. Diejenigen, die diese Worte täglich am Fernsehschirm und in Funksendungen wiederholen, wissen sehr genau, daß Rassismus und Ausländerfeindlichkeit nach allen Umfragen und soziologischen Untersuchungen in Deutschland ebensowenig um sich greifen wie der Antisemitismus. Die politisch korrekte Aufgeregtheit der Bednarze ist zu jedem Anlaß abrufbar. Doch -und jetzt die Frage für Fortgeschrittene-: Findet sie nach der zwanzigsten Wiederholung der Filme von Mölln, der Ermittlungen, der Trauerfeiern, der Gerichtsverhandlung und der Urteilsverkündigung gar keine Nahrung mehr, wendet sie sich dann mit der gleichen Empörung gegen kurdische Brandstiftungen und Morde an den gleichen türkischen Mitbürgern? Wieder nicht aufgepaßt, Brandstiftung ist eben nicht gleich Brandstiftung.“

Rasse: „PC-Verbot. Nur möglich als Hunderassen, Pferderassen usw. Die Erwähnung von menschlichen Rassen, etwa an Schulen oder Universitäten, ist nur mit dem Zusatz ‚gibt es nicht‘ möglich. Obwohl es also keine menschlichen Rassen gibt, gibt es, in jeder korrekten Zeitung nachzulesen, jeden Tag Rassenhaß, Diskriminierung aus rassischen Gründen, rassische Konflikte, Auseinandersetzungen, Säuberungen, getarnt oder fälschlich bezeichnet als ethnische Säuberungen.“

Über PC berichtete FOCUS schon vor Erscheinen des Röhl’schen Machwerkes. ([10]) Der Kettenhund Klonovsky schwadronierte zum Thema „Die Guten auf dem Kriegspfad. Political correctness, in Deutschland vor allem präsent als historische Korrektheit, bläst zur Attacke auf die Meiungsfreiheit“.

O-Ton Klonovsky: „1990 verlor die westliche liberale Gesellschaft ihren Feind, und da so schnell kein neuer aufzutreiben war, gönnte sie sich den Luxus eines geistigen Bürgerkriegs.“ Zugleich, so Klonovsky, „entfalteten postsozialistische Heilsbotschaften ihre Massenwirkung: Multikulti, one-world-Visionen, Feminismus. Die nach dem Scheitern des Sozialismus frustrierte Linke bildete in den USA den Katalysator, in Deutschland den Motor der pc-Bewegung.“

Als Beispiele von „PC-Geschädigten“ zählt Klonovsky auf: Steffen Heitmann, Charlotte Höhn (Chefin des Wiesbadener Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung ‚BiB‘), Botho Strauß (Dramaturg, Schriftsteller: „Anschwellender Bocksgesang“), Gerd Schultze-Rhonhof (Generalmajor und Befehlshaber des Wehrbereichs II in Hannover, der wegen Verkürzung der Wehrpflicht auf zehn Moantes vorzeitig seinen Dienst quittierte), Philipp Jenninger (gescheiteter Bundestagspräsident). Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker wird wie folgt diffamiert: „Das Leitbild aller politisch korrekten Redner“.

Fazit des FOCUS-Redakteurs: „pc will nivellieren, einen Einheitsbrei von Menschen mit Einheitsmeinungen schaffen, die sich dann gegenseitig Querdenker nennen.“

Diese primitive PC-Polemik stößt auch in der militanten Neonazi-Szene auf Zuspruch; angetan sind die Kameraden besonders von Röhls „Phrasen-Lexikon“. Die „interessanten Begriffe“ aus seinem „Phrasen-Lexikon“ wurden in Teilen in der brauen Untergrund-Postille „Bramfelder Sturm“ (Untertitel: „Sprachrohr der nationalen Jugend“) nachgedruckt. Röhl selbst wird in der Rubrik „Personen der Zeitgeschichte“ entsprechend gewürdigt. ([11])

Analog dem Phrasenlexikon von Röhl werden auch in der NS-apologetischen Zweitmonatszeitschrift „Recht und Wahrheit“ „PC-Begriffe“ vorgestellt. Gründer des Blattes ist Generalmajor a.D. Otto Ernst Remer, der in seiner Eigenschaft als Kommandant des Wachregiments „Großdeutschland“ den Aufstand am 20.Juli 1944 blutig niedergeschlagen hat.

Albert K. Riester, nach 1945 Redakteur und Pressereferent im Innenministerium eines Bundeslandes und später Sicherheitsbeauftragter eines Industrieunternehmens (Eigenangaben), notorischer Leserbriefschreiber in der Tageszeitungen „Die Welt“ und FAZ, Unterzeichner eines Solidaritätsappells mit dem „Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis“ (VPM), einer von rechtsaußen agierenden Psycho-Sekte, „untersucht“ in „Recht und Wahrheit“ u.a. folgende „PC-Begriffe“:

Meinungsfreiheit: „Eine durch Selbst-Zensur weitgehend überholte, aber immer noch von uneinsichtigen Zeitgenossen proklamierte und u.U. sehr kostspielige Unsitte. Durch PC untersagt.“

Rasse: „Absolutes Unwort, das nicht einmal bei Tieren angewandt werden darf: Wenn z.B. jemand rassistische Unterschiede zwischen einem flandrischen Wallach und einem arabischen Vollbluthengst untersucht, so besteht die Gefahr, daß er danach auch die Unterschiede zwischen germanischen Flamen und arabischen Semiten zu erkennen versucht. Dies wäre ein schwerer Verstoß gegen die PC.“ ([12])

Ähnlich wie in der Zeitschrift „Recht und Wahrheit“ finden sich auch in Publikationen aus dem Tübinger Verlagskomplex Grabert/Hohenrain NS-apologetische und antisemitische Züge.

PC ist selbstredend auch hier ein Thema.

So u.a. im „Euro-Kurier“ (Untertitel: „Aktuelle Buch- und Verlags-Nachrichten“). PC wird nach Auffassung des „Euro-Kuriers“ von „etablierten Mächtigen, die nicht immer im Vordergrund der Politik zu stehen brauchen, angewandt, um ihre Macht zu stabilisieren, um jede sinnvolle Evolution verkrusteter Strukturen zu verhindern, um jeden Aufstand gegen den Status quo von vornherein zu unterbinden. Eine Ideologie -ob Antifaschismus, One-World, Paneuropa oder einfacher Antigermanismus im Rahmen der Umerziehung- soll durchgesetzt werden, und dazu dienen dann Mittel wie die Faschismus-Keule oder der Auschwitz-Knüppel, die angebliche Ausländerfeindlichkeit oder der Multi-Kulti-Wahn. Auf der anderen Seite werden Werte und Ideale wie Reich, Volk, Familie, Treue, Autorität verteufelt und ganz aus dem Sprachschatz verbannt: Gesellschaft ersetzt Volk, Partner verdrängen die Familie, Egoismus kommt vor Gemeinschaftssinn, Kritik wird wichtiger als Lernen.“ ([13])

Auch die Monatszeitschrift „Der Freiwllige“, herausgegeben vom Munin-Verlag, dem Hausverlag der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS“ (HIAG), äußert sich zu PC: „Die ‚Politisch Korrekten“ ernennen sich zu alleinigen Trägern der Wahrheit und der Moral, erheben Anspruch, ausschließlich ‚die Gutgesinnten‘ im Lande zu sein – verbunden mit dem selbsterteilten Auftrag, als Tugendterroristen darüber zu wachen, daß falsches Denken und falsche Sprache ‚kulturell übergreifend‘ unter brutalen Gesinnungsdruck gesetzt werden.“ Die Ewiggestrigen-Postille weiter: „Letztlich handelt es sich -bei uns in Deutschland und auch anderswo- bei den Lehren der Political Correctness um die ‚Benimmregeln des Klassenkampfes‘, den krampfhaften Versuch also, den schmählich gescheiterten Realsozialismus nun doch weiter am Leben zu erhalten und Andersdenkende zunächst einmal als ‚rassistisch‘, ‚extremistisch‘ und ‚faschistisch‘ zu verleumden. Das geschieht, um die furchtbaren Verbrechen linker Utopisten zu überdecken und dadurch davon abzulenken, daß sie jetzt schrill und ausdauernd ‚Haltet den Dieb!‘ schreien.“ ([14])

In die Reihe der „Anti-PC-Propgagandisten“ reiht sich auch die Monatszeitschrift „Nation+Europa“, das führende ideenpolitische Organ bundesdeutscher Rechtsextremisten, ein: „Denkverbote, Tabus, linksliberale Feindbilder – dies alles hat seit einigen Jahren einen Namen: political correctness. Erst vereinzelt regt sich Widerstand, erheben sich Mahner, die vor dem neuen Meinungskonformismus warnen. In den USA ist man da schon ein gutes Stück weiter. Dort hat der politisch korrekte Wahn, der aus Schwarzen ‚Afro-Amerikaner‘, aus Behinderten ‚Besonders Herausgeforderte‘ und aus avantgardistischem Schund ‚Kunst‘ macht, die Gesellschaft bereits derart polarisiert, daß auch die Gegner der PC kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen brauchen.“ ([15])

Engagiert in Sachen PC zeigt sich die revanchistische Wochenzeitung „Das Ostpreußenblatt“ (Untertitel: „Unabhängige Wochenzeitung für Deutschland“), das Organ der Landsmannschaft Ostpreußen.

Das „Ostpreußenblatt“ erscheint nach Eigenangaben in einer Auflage von ca. 40.000 Exemplaren und wird von rund 200.000 Personen in 34 Ländern der Erde gelesen.

Dem „Ostpreußenblatt“ konnte sein Leserstamm folgendes zur PC entnehmen: „Das religiös-ethische Vakuum füllt sich mit dem Moral-Surrogat der political correctness. Auf die progressive Welle der Befreiung folgt die progressive Welle der Disziplinierung. Dieselbe Intelligenzija, die jahrzehntelang gegen Institutionen, Normen und Traditionen ankämpfte, sorgt nun für Ordnung und vertauscht die Rolle des gesellschaftlichen Zensors. Journalisten, Bundespräsidenten und politische Pastoren spielen ihre deutsche Lieblingsrolle: die des Gewissens der anderen. Sie definieren die neuen Jakobinertugenden und verordnen antifaschistische, antirassistische, internationalistische, multikulturelle, feministische Gesinnung. Political correctness ist ein Gebräu aus aufklärerischem Missionarismus. Wiedergutmachungsideologie, Minderheitentrotz, gesellschaftspolitischem Machtanspruch: das alles vermischt mit schalen Resten von Christentum. Milch frommer Denkart, die ihr Verfallsdatum seit langem überschritten hat. Hüter der Political correctness treffen Sprachdiktate, Denk-und Redeverbote. Sie verhängen Pranger, Acht und Bann. Zuträger, Denunzianten und Inquisitatoren haben wieder zu tun. Freimut und Unbefangenheit verschwinden aus der öffentlichen Rede. Die Meinungsfreiheit, die liberale Quelle der Demokratie, trocknet aus.“ ([16])

In die gleiche Kerbe haut der ehemalige „Ostpreußenblatt“-Redakteur Jürgen Liminski, Chefkorrespondent der rechtskonservativen Tageszeitung „Deutsche Tagespost“ und Autor in der Vierteljahresschrift „Criticon“, einem Strategieorgan rechtskonservativer und neurechter Intellektueller.

Liminski bezeichnet in einer Rezension des Buches „Political Correctness oder die Kunst, sich selbst das Denken zu verbieten“ von Robert Hughes ([17]), PC als „Fassaden-Ideologie für den Hausgebrauch“ und konstatiert, daß sich „hinter der linguistischen Fassade eine bedenkliche Geisteshaltung“ verberge: „Umso mehr als auch hierzulande die Jünger der political correctness ihre politischen Hexenjagden veranstalten. Man denke nur an die Ausgrenzungsversuche gegenüber Autoren wie Rainer Zitelmann, Heimo Schwilk und andere, denen man den Stempel der Rechtsradikalität aufzudrücken sucht, weil sie, wie intelligent oder dumm auch immer, ihren Patriotismus zur Schau tragen. Sie mögen politisch einäugig oder schmalspurig sein, totalitär sind sie keinesweges, was man im Ansatz allerdings von Besessenen der political correctness mit dieser Sicherheit nicht sagen kann. Denn während es sich beim politisch unverwalteten rechten Rand der Republik vorwiegend um Idealisten und Träumer handelt, haftet den politischen Sittenwächtern der Ruch der Ideologie an. Das ist in der Tat der Lebensnerv der political correctness. Sie leitet ihre Normen und Anstandsregeln, ihren Moralismus aus einer verbrämten Ideologie ab.“

Zur Feder greifen für diese Zeilen durfte Liminski im 7.Jahrbuch des Bandes „Extremismus und Demokratie“ ([18]), der kostenlos über die Bundeszentrale für politische Bildung zu beziehen ist. Herausgeber des Jahrbuches ist das universitäre Extremismusduo Uwe Backes (Unterzeichner einer Solidaritätserklärung für den neurechten Strategen Rainer Zitelmann) und Eckhard Jesse (ständiger Mitarbeiter der Monatszeitschrift „Mut“).

Teilidentisch ist der Leserkreis des „Ostpreußenblattes“ mit dem monatlich erscheinenden unionsnahen „Deutschland-Magazin“ (DM). DM-Herausgeber ist Kurt Ziesel, dessen politischer Werdegang 1931 bei der NSDAP begann und ihn zeitgleich als Redakteur zur nationalsozialistischen „Deutsch-Österreichischen Tageszeitung“ in Wien führte.

In der DM-Sommerausgabe 1995 ist der PC-Resolutionsentwurf des Kreisverbandes der „Jungen Union“ Wiesbaden dokumentiert, den der hessische JU-Landesverband Anfang Juni letzten Jahres in einer „etwas abgeschwächter Fassung“ verabschiedete.

DM veröffentlichte den ursprünglichen Text. Demnach droht PC „die Grundfreiheiten der Bürger in die Ketten pseudoliberaler, repressiver Toleranz zu legen und die Streitkultur der deutschen Kommunikationsgemeinschaft zu erdosseln. (…) Immer mehr Personen werden aufgrund ihrer Äußerungen indiziert und anschließend pauschal diffamiert. Sie sollen aus dem demokratischen Spektrum ausgegrenzt, ihrer Stellung und Reputation beraubt und schließlich mundtot gemacht werden.“ Das JU-Papier weiter: „Beseelt von dem hehren Wunsch, daß sich mit einer Humanisierung der Sprache auch die Welt verbessern ließe, treten Politisch Korrekte zunehmend für strenge Sprachregelungen ein, hinter denen der Wunsch nach Denkregelungen steht und hin und wieder bereits deren Verwirklichung. Der Terror der Gutwilligen trägt neue Denkverbote in unsere Gesellschaft, die dem nur der Wahrheit und der Freiheit verpflichteten Geist der Aufklärung in Deutschland das Licht auszublasen drohen. Wir sind der festen Überzeugung: Eine schwindende Sozialmoral (…) läßt sich nicht durch den ritualisierten Hinweis auf die millionenfachen Morde der Nazis kurieren.“ ([19])

Einige Ausgaben weiter wird im DM PC als „eine Art von Zensurdiktatur linker Journalisten, Politologen und Historiker“ definiert: „Diese totale Entartung unserer längst zur Einseitigkeit verkommenen Meinungsfreiheit wird auch von Politikern der SPD und Grünen, aber auch von linken Flügel-Vertretern der CDU für ihre fragwürdigen Zwecke instrumentalisiert und droht unsere demokratische Freiheit zu einer Farce zu machen. Wenn man nicht Opfer des politischen Rufmords werden will, darf man nur sagen und schreiben, was die angeblich ‚politisch Korrekten‘ uns diktieren.“([20])

Ähnliche Ansichten finden sich in der „Jungen Freiheit“. In einem Interview mit dem JF-Autor Thorsten Thaler ([21]) führt Prof. Dr. Gerard Radnitzky, der bis 1989 Wissenschaftstheorie an der Universität Trier lehrte und Mitautor des von den Rechtsliberalen FDP-Politikern Alexander von Stahl und Heiner Kappel herausgegebenen Bandes „Für die Freiheit“ (Ullstein 1996) ist, u.a. aus: „Das Medienkartell agiert als Wächter der PC. Nur ein paar Printmedien wagen es, gegen den Strom zu schwimmen. (…) „Rufmord ist in Deutschland eine Spezialität des linken Medienkartells.“

„Mit Hilfe der PC wurde verhindert“, so Radnitzky, daß der Historikerstreit als „‚Historikerskandal‘ -wie ihn Professor Topitsch ([22]) nannte- entlarvt wurde. Die sogenannte Singularitätsthese wurde übrigens von der internationalen Genozidforschung bereits 1981 widerlegt. Für die moralische Bewertung der Ereignisse ist das irrelevant und hat mit ‚Relativierung‘ nichts zu tun.“ ([23])

Seit Erscheinen dieses Interviews bietet die JF erstmals „ANTI-PC-Aufkleber“ („10 Karten mit je drei Aufklebern kosten nur 9 DM“) an.

„Tugendwacht verhängt die Wirklichkeit“ glaubt die Tageszeitung „Die Welt“ zu PC konstatieren zu müssen.

Herbert Kremp, Chefkorrespondent, zuvor Chefredakteur und Redaktionsleiter der „Welt“ ([24]), schreibt: „Was der PC in Deutschland (..) gewaltig-gewaltsame Tiefe verschafft, ist die historische Dimension, die deutsche Vergangenheit, die bekanntlich nicht vergeht und daher auf vieles ausstrahlt, ja, Allbezug herstellt, handle es sich um Reden über den Nationalsozialismus, Details der Nachkriegsgeschichte, um das Maß der Betroffenheit beim Gedenken, den Inhalt einschlägiger Gedenktage und die Denkmals-Kultur in ihrer architektonischen Präsentation oder um Heitmanns Sozialverständnis der deutschen Frau, den Grad der Sensibilität für Menschenrechte“.([25])

Dem kann sich Caspar von Schrenck-Notzing, Herausgeber des rechtsintellektuellen Strategieorgans „Criticon“, nur anschließen: „Die Bundesrepublik ist der ideale PC-Staat. Zu den beiden PC-Kriterien Rasse und Geschlecht tritt ein drittes Kriterium: die eigene Vergangenheit.“([26])

Zusammenfassung

Die US-amerikanische PC-Debatte wurde seit Anfang der 90er Jahre in der Bundesrepublik von rechtsextremen und rechtskonservativen Kreisen aufgegriffen. Da es hier keine vergleichbare Bürgerrechtsbewegung wie in den USA gibt und das Wissen über die US-Innenpolitik hierzulande äußerst dürftig ist, gelangte die ursprünglichen Forderungen nach „Political Correctness“ hierzulande nur über den Umweg der polemisch verzerrten Darstellung ihrer konservativen Kritiker über den großen Teich. In der Bundesrepublik wurde das Schlagwort PC zum Popanz ohne realen Hintergrund, auf den es sich gut einschlagen läßt.

Im Namen des Kampfes gegen PC schwingen sich antidemokratische Kräfte, die gegen religions- und gesellschaftskritische, pazifistische oder sexuelle Positionen und Darstellungen sofort nach Verbot und Zensur rufen, zu Verteidigern der Meinungsfreiheit auf. Dies ist vor allem auch ein Reflex darauf, daß rechtsextreme und ultranationalistische Positionen seit der rassistischen Anschlagswelle Anfang der 90er Jahre vorübergehend in die Defensive gedrängt werden konnten. Die Anti-PC-Kampagne soll diese Insolation wieder aufbrechen und rechtes Gedankengut bis hin zur Auschwitz-Lüge hoffähig machen.

Fußnoten

1 „Deutschlands neue Denkverbote“ von Otto Graf Lambsdorff; in: FAZ vom 2.August 1995, S.10

2 Direkten Bezug auf die Ausführungen von Lambsdorff macht der ehemalige sozialdemokratische Oberstadtdirektor von Braunschweig, Hans Günther Weber, zugleich Leserbriefschreiber in der „Jungen Freiheit“ und in „Europa Vorn“. In der Mitgliederzeitschrift „Europa-Brücke“ (Oktober 1995, S.8), dem Organ der rechtskonservativen „Ludwig-Frank-Stiftung – für ein freiheitliches Europa e.V.“, dem er vorsteht, führt er aus: „Angesichts des linken Straßenterrors in unseren Großstädten, den Verwüstungen der Chaostage der Punks in Hannover, den provozierenden Straßenschlachten der kurdischen PKK und dem ständigen Anwachsen der Ausländerkriminalität, mit tausenden von Schlepperbanden, wenden wir uns mit dem Grafen Lambsdorff gegen die Heuchelei der political Correctness in den Medien, die allem, was nicht links ist, die Ku-Klux-Klan-Klappe aufstülpt und damit die moderatesten konservativen Äußerungen in den Rechtsextremismus abdrängt und jeder Sachdiskussion ausweicht.“

3 vgl.dazu: „Aus Politik und Zeitgeschichte“. Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung. Themenheft „Political Correctness“ Nr.21-22/1995: Kurthen, Hermann/Losey, Kay Marie: Schlagwort oder Kampfbegriff? Zur „Political Correctness“-Debatte in den USA. S.3-S.13 Cora Stephan: Political Correctness, Identität und Werterelativismus. S.14-S.18 Papcke, Sven: „Political Correctness“ oder die Reinigung der Sprache. S.19-S.29

4 Klaus Rainer Röhl: Deutsches Phrasen-Lexikon. Politisch korrekt von A bis Z. Berlin 1995

5 „Junge Freiheit“ Nr.44/95, S.2

6 „Nation+Europa“, Nr. 11/12-95, S.19

7 „Europa Vorn“, Nr.91, S.6

8 „Nation+Europa“, Nr.10/94, S.77

9 Klonovsky, Michael: Erst links, dann rechts. In FOCUS, Nr.39/95, S.114f Auszüge aus dem „Phrasen-Lexikon“, S.116-S.122, a.a.O.

10 Klonovsky, Michael: „Die Guten auf dem Kriegspfad. Political correctness, in Deutschland vor allem präsent als historische Korrektheit, bläst zur Attacke auf die Meiungsfreiheit.“ In: FOCUS 16/1995 S.76ff

11 „Bramfelder Sturm“, Nr.7, S.7ff

12 Riester, Albert: „Politische Korrektheit oder Eigenzensur“, in: „Recht und Wahrheit“, Nr.1/2 1996, S.11f

13 „Die Pervertierung der Meinungsfreiheit. Der Schleichweg in die Gesinnungsdikatur“; in: „Euro-Kurier“, Nr. 3/95, S.2f. Ein Buch mit dem gleichnamigen Titel erschien 1995 beim Hohenrain-Verlag: Detlefs, Gerhard : Die Pervertierung der Meinungsfreiheit. Der Schleichweg in die Gesinnungsdiktatur“. Tübingen 1995 Teilnehmer des Grabert-Verlags-Dienstes erhielten das Detlefs-Buch unaufgefordert zugeschickt.

14 Karlssohn, Nikolaus: Auf gut Deutsch: „Political Correctness“; in: „Der Freiwillige“, Nr. 7/95, S.3

15 „Nation+Europa“ Nr.3/96, S.61f

16 „Ostpreußenblatt“ v.16.März 1996; Nachruck eines Artikels des Bonner Staatsrechtslehrers Josef Isensee. In Auszügen ist dieser bereits in der Sommerausgabe (Juli/August) 1995 von „Nation+Europa“ nachgedruckt.

17 Hughes, Robert: Political Correctness oder die Kunst, sich selbst das Denken zu verbieten. München 1995

18 Liminski, Jürgen: „Political correctness“ – nicht nur in den USA“; in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard: Extremismus und Demokratie. 7.Jahrbuch. Baden-Baden 1995; hier: S.275f

19 Resolutionsentwurf des Kreisverbandes der „Jungen Union“ (JU) Wiesbaden zu PC; in: „Deutschland-Magazin“, Nr. 7-8/1995, S.25

20 „Steffen Heitmann – der klassische Fall eines Rufmords“. In:“Deutschland-Magazin“, Nr. 11/95, S.20f

21 Thaler publiziert auch in „Nation+Europa“, „Criticon“ und der holocaustleugnenden Postille „Sleipnir“; zeitweilig agierte Thaler als Funktionär der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DLVH).

22 Prof Dr.Ernst Topitsch (1969 Ordinarius für Philosophie an der Univerität Graz, 1989 emeritiert), Interviewpartner der „Jungen Freiheit“, Referent bei der „Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt“ (ZFI)

23 „Junge Freiheit“, Nr. 15/1996, S.3

24 Kremp ist auch Autor in „Criticon“ und Referent beim „Studienzentrum Weikersheim“

25 Kremp, Herbert: „Wo Bach zum Macho wird. Political Correctness, gegengelesen“. In: „Die Welt“ v. 2.12.1995, S.G 3

26 Schrenck-Notzing, Caspar von: „Politische Korrektheit als Gesellschaftskitt“, in: „Criticon“ Heft 147 (Juli/August/September 1995), S.154