Seine Funktion für die Reproduktion des Rassismus. Von Teun A. van Dijk. Mit einem Vorwort von Siegfried Jäger. Zuerst erschienen als DISS-Text Nr. 14 ((pad – Pädagogische Arbeitsstelle, Dortmund 1991 ISBN 3-88515-123-5))
Nachrichten in der Presse, Politikerreden, wissenschaftliche Texte, Schulbücher und Alltagsgespräche spielen eine wichtige Rolle für die massenhafte Verbreitung und Stabilisierung rassistischen Denkens. Da die Eliten besonders leichten Zugang zu den Medien haben, sind sie auch im Allgemeinen diejenigen, die für die (manchmal subtile und indirekte) »Vorformulierung« von Rassismus verantwortlich sind. Mit Hilfe der Massenmedien verbreitet sich dieser »Rassismus der Eliten« in der Bevölkerung, wird in populärere Formen umformuliert, die dann in ihren besonderen sozialen, ökonomischen und kulturellen Kontexten Wirkung entfalten können.
Vorwort
Der Diskurs des Rassismus ist für die Bundesrepublik Deutschland bisher nur in gewissen Ausschnitten untersucht worden, ((Vgl. z.B. die Arbeiten von Delgado 1972; Panini 1980; Segal 1981; Merten /Ruhrmann et. al. 1986; Ruhrmann /Kollmer 1987)) Ja, das Wort »Rassismus« scheint im offiziellen Diskurs der Bundesrepublik eher verpönt zu sein, während es in anderen europäischen Ländern gang und gäbe ist. Jemanden als Rassisten zu bezeichnen ruft in der Bundesrepublik heftige Gegenreaktionen hervor. So verließ die Fraktion der schleswig-holsteinischen CDU am 14.11.1990 den Landtag, als Gert Börnsen, Fraktionsleiter der SPD, die Haltung der CDU zum Einwandererwahlrecht als »im Kern ein Stück Rassismus« bezeichnete. (FR vom 15.11.1990 und vom 29.11.1990)
Dabei ist rassistisches Denken (und rassistisch motiviertes Handeln) in der Bundesrepublik außerordentlich verbreitet, auch wenn es nicht immer offen geäußert und zugegegeben wird. ((Dies gilt ebenfalls und wahrscheinlich sogar in noch stärkerem Maße für den Teil der deutschen Bevölkerung, der im Gebiet der ehemaligen DDR lebt.)) Diese Tatsache wird europaweit durchaus zur Kenntnis genommen, wie ein Bericht des Europäischen Parlaments vom Juli 1990 nachdrücklich unter Beweis stellt. Dort wird eine Umfrage zitiert, die zu dem folgenden Ergebnis kam:
»Laut einer im September 1989 veröffentlichten Meinungsumfrage waren 75% der befragten Westdeutschen der Meinung, es gebe zu viele Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland. 69 % meinten« die Asylbewerber mißbrauchten das soziale Netz und 93% waren für eine Verringerung der Zahl der sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge. Etwa 20% der Befragten, in der Mehrheit Anhänger der Republikaner, hegten rassistische Gefühle gegenüber Afrikanern und Asiaten. Obwohl Wanderarbeitnehmer (Gastarbeiter) in geringerem Maße abgelehnt werden als Asylbewerber, belegt die Umfrage die Existenz starker negativer Gefühle gegenüber den Türken, deren Lage mit dem wachsenden Zustrom von Aus- und Übersiedlern immer prekärer wird. Vor allem den Aussiedlern aus Polen und der Sowjetunion wird laut Umfrage der Mißbrauch des sozialen Netzes (54%), die Verschärfung von Arbeitslosigkeit (61%) und Wohnungsnot (69%) vorgeworfen.«
Legt man die Rassismus-Definition des englischen Soziologen Stuart Hall zu Grunde, der neben einem genetischen Rassismus auch einen kulturellen Rassismus beobachten zu können glaubt (Hall 1989), dann sind rund Dreiviertel der BRD-Bevölkerung rassistisch eingestellt, wobei Rassismus nur selten offen zugegeben wird. Im allgemeinen bekennen sich, wie dies an der zitierten Umfrage ebenfalls deutlich wird, nur die Anhänger rechtsextremer Parteien offen dazu, rassistische Ansichten zu vertreten.
Teun A. van Dijk, der in vergleichenden Untersuchungen zu den Niederlanden, den den USA und Großbritannien die verschiedenen Diskurse des Rassismus analysiert hat, orientiert sich mit seinem Verständnis von Rassismus ebenfalls an den Bestimmungen Stuart Halls und verwendet damit einen relativ weiten Rassismus-Begriff; meines Erachtens mit gutem Grund, denn auch die verschiedenen Diskriminierungen von Einwanderern, die sich nicht (allein) an körperlichen Merkmalen festmachen, sondern auch an Sitten und Gebräuchen, Werten und Normen, unterliegen dem gleichen Zweck: Ausgrenzung und Betonung des eigenen Überlegenheitsgefühls. Dieser erweiterte Rassismusbegriff ist deshalb sehr wohl geeignet, den tatsächlichen gesellschaftlichen Problemen, die mit dem Entstehen und und der Ausbreitung multikultureller Gesellschaften einhergehen, Rechnung zu tragen und jeder Diskriminierung von Menschen »anderer« Herkunft entgegenzuwirken.
Die Arbeiten van Dijks werden in dieser Broschüre einem deutschen Publikum in Form eines Forschungsüberblicks erstmals in deutscher Sprache vorgestellt. Wenn auch die Ergebnisse nicht in jedem einzelner. Punkt auf die Situation der Bundesrepublik zu übertragen sind, so zeigt doch der Vergleich der für die Niederlande gewonnenen Ergebnisse mit den USA und Großbritannien, daß wir es hier mit einem internationalen Phänomen bis fast ins Detail hinein zu tun haben. Ich bin daher der Ansicht, daß die Veröffentlichung dieses Überblicks auch oder sogar gerade für die Diskussion in der Bundesrepublik von Wichtigkeit ist, zumal diese in der Regel besonders stark verharmlosend und verschleiernd zu agieren bemüht ist – ebenfalls, wie van Dijk zeigt –, ein typisches Merkmal des Diskurses der Eliten.
Damit ersetzen die Arbeiten van Dijks nicht die sehr notwendigen Untersuchungen zum Phänomen des Rassismus in der Bundesrepublik; im Gegenteil: sie sind dazu angetan, solche Untersuchungen anzuregen und ihnen ein Stück weit Orientierung zu geben, ((Die in Seminaren an der Universität Duisburg und im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung inzwischen ebenfalls durchgeführten (teilweise erst noch explorativen) Studien bestätigen den Befund van Dijks. Vgl. dazu Jäger (Hg.) 1988, Krieg 1989, Rother 1989, Jäger 1991, Jäger / Jäger 1991)) Der Eigenwert der van-Dijkschen Untersuchungen wird darüberhinaus darin deutlich, daß sie generell auf Probleme moderner Industriegesellschaften aufmerksam machen, die in einer Zeit weltweiter politischer Turbulenzen zunehmend mit sozialen Fragen konfrontiert werden, die genauer Analyse bedürfen, sollen die erreichten Ziele heutiger demokratischer Gesellschaften nicht rückgängig gemacht werden, ((Vgl. dazu und zum Problem »Interkulturelles Lernen« Haller 1989 u. 1990.)) Die Tatsache, daß Rassismus ein Einfallstor auch weiterer rechtsextremistischer Einstellungen darstellen kann, sollte für sich sprechen.
Die vorliegende Übersetzung des bisher unveröffentlichten Manuskripts aus dem Englischen ist von Teun A. van Dijk authorisiert und für die Reihe DISS-Texte des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung freigegeben worden.
Duisburg, Januar 1991
Siegfried Jäger
Der Diskurs der Elite und seine Funktion für die Reproduktion des Rassismus ((Dieser Broschüre liegt das Manuskript eines Vortrages zu Grunde, den Teun A. van Dijk auf der Konferenz über europäischen Rassismus vom 25.-30. September 1990 in Hamburg gehalten hat. Übersetzung aus dem Englischen: Siegfried Jäger))
1. Einleitung und Hintergründe
In dieser Arbeit diskutiere ich einige der Schlußfolgerungen, die ich aus einem Jahrzehnt Forschung über die Reproduktion des Rassismus in verschiedenen Diskurs- und Kommunikationstypen ziehen kann. Diese Arbeiten wurden an der Universität Amsterdam seit den frühen 80er Jahren durchgeführt. Die Kernthese dieses Forschungsprogramms ist, daß der Diskurs, und darunter verstehe ich institutionalisierte wie auch interpersonelle Texte und Dialoge, eine wesentliche Rolle beim Entstehen, der Verbreitung, der Rechtfertigung und der Akzeptanz rassistischen Denkens in der Gesellschaft spielt (van Dijk 1984, 1987a, 1987b, 1991).
Durch sozialisierende Gespräche und Kinderbücher in der Kindheit, durch Schulbücher bis hin zu den verschiedenen massenmedialen, politischen, geschäftlichen und beruflichen Diskursen sind die Mitglieder weißer Gruppen und weiße Institutionen täglich in eine Vielfalt unterschiedlicher Diskurse verwickelt, die ihre Überlegenheit zum Ausdruck bringen und festigen. Sie können sich aktiv daran beteiligen, so zum Beispiel wenn sie sich rassistisch gegenüber Mitgliedern von Minderheitengruppen äußern oder wenn sie untereinander vorurteilsbeladene Geschichten erzählen über »jene Fremden«; es geschieht aber auch, daß die Menschen eher passiv mit der Darstellung ethnischer Ereignisse und Minderheiten in Nachrichtensendungen, bei der Werbung, im Kino oder durch andere Medienansprache konfrontiert werden. ((van Dijk verwendet den Terminus ethnisch immer so, daß damit Ereignisse, Darstellungen etc. von Minderheiten bezeichnet werden. Wir würden in der BRD wahrscheinlich immer von Ereignissen etc. sprechen, in die Ausländer verwickelt sind. Der Terminus Ausländer ist aber bereits ausgrenzend. Wenn van Dijk Personen direkt meint, spricht er von Einwanderern. Flüchtlingen oder Mitgliedern von Minderheiten/gruppen, S.J.))
Es ist ferner davon auszugehen, daß solche Diskurse nicht etwa harmlose sprachliche Fehlleistungen darstellen oder gar seltene Formen sprachlich-sozialer Interaktion. Im Gegenteil: es ist eher richtig, daß diese einen sehr starken Einfluß auf das soziale Wissen der Mitglieder der herrschenden Gruppen haben, das heißt, auf den Erwerb, die Festigung und die Normierung von Ansichten, Einstellungen und Ideologien, die sich hinter den sozialen Wahrnehmungen, Handlungen und Strukturen verbergen. Mit anderen Worten: Rassismus wird sozial gelernt, und der Diskurs ist von zentraler Bedeutung für seine ideologische Produktion und Reproduktion.
Das wichtigste Ziel unserer Untersuchungen ist es daher, eine Reihe von gebräuchlichen Diskurstypen über ethnische Minderheiten genau zu analysieren. Diese diskursanalytische Herangehensweise überschreitetet die traditionellen Methoden der Inhaltsanalyse und richtet ihre Aufmerksamkeit auf verschiedene diskursive Strukturen und Strategien wie z.B. Gliederung, thematische (Tiefen-)Struktur (Gesamtinhalt), Schema-Organisation (zum Beispiel Geschichtenerzählen und Argumentation), Redewendungen, Stil, Rhetorik und andere Eigenschaften von Text und Dialog. Bisher haben sich unsere Untersuchungen mit Alltagsgesprächen, Schulbüchern und Nachrichten bzw. mit Berichten in der Presse befaßt. Was aussteht, ist, neben anderem, eine Analyse verschiedener Arten des politischen Diskurses und dem des Wirtschafts- und Arbeitslebens.
Das zweite Ziel unseres Forschungsprogramms ist es, die Strukturen, Strategien und Inhalte ethnisch geprägter sozialer Wissensinhalte im Detail zu untersuchen, also z.B. Vorurteile und verwandte ethnische Einstellungen (attitudes). Dieser kognitive »Zugriff« macht es uns einerseits möglich, die Beziehungen zwischen direkten Aktivitäten, einschließlich Diskursen, und verbreiteten Annahmen weißer Gruppen und (Darstellungen von) gesellschaftlichen Strukturen andererseits zu verdeutlichen. Es ist dies auch der Ort, an dem die Mikro- und die Makroebenen des Rassismus theoretisch gefaßt werden müssen. Es sollte daher betont werden, daß diese Art der Analyse des sozialen Wissens keine Spielart der Individual-Psychologie oder traditioneller Vorurteilsforschung darstellt. Im Gegenteil: sie ist in erster Linie soziale Analyse, mit anderen Worten: Analyse der Wissensinhalte, die von Mitgliedern von Gruppen oder (ganzer S.J.) Kulturen geteilt werden.
Ferner: Die Diskursanalysen und die soziokognitive Analysen berücksichtigen das gesellschaftliche, politische und kulturelle Umfeld des Rassismus, in dem strukturelle und ideologische Formen und Funktionen rassistischer Diskurse und Inhalte von Bedeutung sind. Auf dieser Ebene untersuchen wir z.B. die Rolle rassistischer Schulbücher oder Nachrichten im institutionellen Rahmen der Erziehung oder der Massenmedien. Ferner trägt eine solche Analyse, neben der Untersuchung der Machtverhältnisse zwischen Gruppen, zu einer angemesseneren Kenntnis der kulturellen Mechanismen bei, die bei der Reproduktion von Rassismus, Ethnozentrismus und verwandten Herrschaftsformen eine Rolle spielen.
Dieser dreiteilige Ansatz (Diskurs, soziales Wissen und sozio-kulturelle Kontexte) ist komplex und verlangt ein multidisziplinäres Vorgehen. Das Bindeglied ist der Diskurs, den wir als eine Form des Sprachgebrauchs und der Kommunikation betrachten, als soziale Bedeutung und Aktion und als eine sozio-kulturelle, politische und ideologische Praxis, die gesellschaftliche Systeme und Strukturen bestimmt. Interdisziplinäre Diskursanalyse untersucht sehr präzise die Beziehungen zwischen diesen Formen des Diskurses, und deshalb kann sie detaillierte Erkenntnisse über die verschiedenen Arten und Dimensionen der Reproduktion rassistischen Denkens in der Gesellschaft zu Tage fördern.
2. Der Rassismus der Elite
Eine wichtige These im Rahmen unserer Theorie, die sich stufenweise aus diesem umfangreichen Forschungsprogramm entwickelt hat, betrifft die besondere Rolle der »Eliten«. Obwohl dieser Begriff überaus vage ist (Domhoff/Bollard 1968), soll er hier dazu dienen, diejenigen Gruppen im sozio-politischen Machtgeflecht zu bezeichnen, die die zentralen Politikkonzepte entwickeln, die einflußreichsten Entscheidungen treffen und die die Modalitäten ihrer praktischen Umsetzung kontrollieren: Regierung, Parlament, Direktoren oder Gremien staatlichen Handelns, Führende Politiker, Arbeitgeberverbände, Direktoren und Manager, einflußreiche Wissenschaftler etc.
Ohne auf weitere Feinheiten der politischen Analyse dieser Gruppe näher einzugehen, konzentrieren wir uns für unsere Zwecke bei der Definition von Eliten auf ihre Rolle in der Ordnung des Diskurses. Das heißt, sie sind diejenigen, die die Formen institutioneller und öffentlicher Texte und Reden am stärksten und am einflußreichsten initiieren, steuern und kontrollieren. Sie haben bevorzugten Zugang zu den Massenmedien, sie können die Themen des öffentlichen Diskurses und der Meinungsbildung bestimmen oder ändern, sie bereiten Berichte vor und geben sie heraus, sie führen Forschungen durch und veröffentlichen deren Ergebnisse – und kontrollieren dadurch den akademischen Diskurs – und so weiter. Mit anderen Worten: die Macht spezieller Elite-Gruppen ergibt sich direkt aus dem Maß des Zugangs zu und der Kontrolle über die Mittel symbolischer Reproduktion in der Gesellschaft bzw. über den öffentlichen Diskurs.
Während die Eliten natürlich auch traditionell nach Maßgabe der Formen und der Reichweite ihrer Kontrolle über die Handlungen und Aktionen anderer definiert werden könnten oder nach Maßgabe ihres Zugriffs auf Gewalt und Strafe, wodurch sie Willfährigkeit einfordern, erweist sich die Macht »moderner« Eliten-Herrschaft aber als viel raffinierter und zudem als viel manipulativer. PR-Management, wirkungsvolle Kommunikation, manipulative Diskurse, raffinierte Einflußnahme und ganz allgemein die kluge Herstellung von Konsens sind zu weitaus stärkeren Mitteln der Kontrolle der öffentlichen Meinung und demzufolge auch des sozialen Handelns geworden, (Herman/Chomsky 1988)
Das gilt auch für ethnische Fragen und für die Reproduktion des Rassismus. Weil Rassismus im Kern als Dominanz weißer Gruppen über verschiedenerlei charakterisierte Minderheiten- oder Einwanderergruppen definiert wird, oder allgemeiner: als die Dominanz der europäischen bzw. europäisierten Gruppen über nicht-europäische, muß diese Dominanz in den vielfältigen Zusammenhängen einer multiethnischen Gesellschaft täglich reproduziert werden. Trotz der nicht zu leugnenden Existenz eines »alltäglichen Rassismus« (Miles 1982; Phizacklea / Miles 1979), haben wir gute Gründe anzunehmen, daß solch ein »Graswurzel«-Rassismus von erheblich geringerem Einfluß und viel weniger spontan ist. Wir sind der Ansicht, daß viele Elemente des alltäglichen Rassismus durch verschiedene Gruppen der Elite vorgefertigt sind, manchmal in Gestalt von scheinbar indirekten, subtilen oder sogar »toleranten« Formulierungen. Mit anderen Worten: Der Elite-Diskurs spielt eine fundamentale Rolle für die Bereitschaft der »Weißen« insgesamt, sich an der Herrschaft über die Minderheiten zu beteiligen.
Die Rolle der Eliten bei der Reproduktion des Rassismus sollte auch auf dem Hintergrund von Diskursänderungen und ideologischen Verschiebungen des Rasse-Begriffs, z.B. innerhalb der Mittel-Klasse, betrachtet werden. Während der traditionelle Rassismus das Prinzip der weißen Dominanz völlig krass und offen vertritt, was sich in der Bejahung der Skalverei, der Segregation und der Apartheid ausdrückt, sind »moderne«, »neue« oder »symbolische« Formen des Rassismus besonders bei den Eliten heute viel verbreiteter anzutreffen (Dovidio / Gaertner 1986). Typisch für diese »weißen« Haltungen sind das Ressentiment gegen die Bereitstellung von Schulbussen und andere Formen von Hilfs-Aktionen für Angehörige von Minderheitengruppen, besonders aber Beschwerden über angebliche »Privilegien« für Minderheiten und ganz allgemein über bestimmten Formen sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit und Unterstützung, die dabei als »unfair« oder als »Diskriminierung von Weißen« dargestellt werden.
Mit anderen Worten: Rassismus bei den Eliten wird nicht nur sichtbar, wenn ihre eigenen Angelegenheiten betroffen sind (Wellmann 1977), sondern auch, wenn die Vorteile und die Dominanz der weißen Gruppe als Ganzer durch eine Sozialpolitik, die auf wirkliche Gleichheit gerichtet ist, als bedroht angesehen werden. Wir werden weiter unten sehen, daß einer der Hauptaspekte dieser Form des »modernen« Rassismus bei den Mittelklassen-Eliten die Leugnung des Rassismus ist, eben deshalb weil sie sich selbst als höchst tolerant und pluralistisch ansehen. Ferner wird sich zeigen, daß der »modernen« Rassismus nicht mehr von »Rasse« spricht sondern die bei weitem weniger negativ gefärbten Begriffe »Kultur« und »kulturelle Differenz« verwendet. (Mullard 1985)
Während solche Elite-Diskurse öffentliche Aktionen legitimieren und steuern können, sind Eliten darüberhinaus ganz wesentlich und sehr viel direkter in die konsequenzenreicheren Formen des institutionalisierten Alltags-Rassismus verwickelt. Sie entscheiden über Ein-wanderungs- und Niederlassungspolitik, kontrollieren Polizeiaktionen gegen Minderheitsgruppen, sind damit einverstanden (oder eher: verweigern), daß Hilfsmaßnahmen gesetzlich absichert oder durchgeführt werden, sie stellen Leute an und entlassen sie wieder oder führen Forschungen und Beratungen über ethnische Angelegenheiten durch. Mit anderen Worten, wenn die weiße europäische Mehrheit dominiert, dann muß ihre Dominanz selbst gemanaged werden, und es sind die Eliten, die die Manager dieser Form der Gruppenkontrolle darstellen.
Zwar gibt es gesetzliche und soziale Begrenzungen der Macht der Elite. Verordnungen und Gesetze mögen rigide Diskriminierungen verbieten, allgemeine Menschenrechte mögen in ausreichendem Maße verinnerlicht sein, um die extremeren Formen rassistischer Unterdrückung formal zu verdammen (und doch zu tolerieren), und gute internationale Beziehungen und die öffentliche Meinung mögen die Exzesse des Hasses gegen nicht-europäische Einwanderer begrenzen. Noch wichtiger: die Dominanz findet ihr Gegenbild im Widerstand in der Regel von Minderheitengruppen, aber auch bei kleineren Teilen der weißen Gruppe, z.B. in antirassistischen Organisationen. Das bedeutet, daß die dominante weiße Gruppe und ihre Eliten nicht geschlossen am rassistischen System teilhaben und daß es kleinere oppositionelle Elite-Gruppen gibt, die eine Rolle im Anti-Rassismus spielen (Tagiueff 1988). Daher wäre es keine unpassende Annahme, daß es sowohl unter Schwarzen wie Weißen ebenfalls die Eliten sind, die die wesentlichen Leitlinien des Anti-Rassismus präformulieren und dadurch dazu beitragen, daß breitere populäre Formen des Widerstands gegen Rassismus entstehen. Diese These steht keineswegs im Widerspruch zu derjenigen, die in dieser Studie vertreten wird, obwohl das hier nicht weiter untersucht werden soll.
Diese Bedingungen und Formen des Widerstands verlangen spezifische Strategien der Legitimierung und der Herstellung von Konsens sowohl bei der Mehrheit als auch bei den Minderheitengruppen. Das heißt, daß wiederum Diskurs und Kommunikation bei der persuasiven Inszenierung und Verteidigung der Herrschaft involviert sind. Wir können deshalb erwarten, daß Elite-Diskurse zu ethnischen Fragen strategisch auf den Erhalt sowohl der Macht der Eliten selbst ebenso wie auf den Erhalt der Dominanz der weißen Gruppe insgesamt gerichtet sind. Eine dieser Strategien, neben vielen anderen, kann darin bestehen, Rassismus als »alltäglich-normale Abneigung« gegen weitere Einwanderung zu deuten, wodurch der Rassismus als Problem der unteren Klassen hingestellt wird; zugleich wird dadurch erreicht, daß die Opposition gegen ihre eigene falsche Politik verhindert wird, wie z.B. gegen die Fehlentwicklung der Innenstädte, der Wohnungspolitik, der Beschäftigung oder der Erziehung.
Es braucht nicht weiter betont zu werden, daß solche Formen des Elite-Diskurses nicht konspirativ sind. Im Gegenteil, trotz interner Widersprüche und konfligierender Interessen halten sie durch schlichten Konsens effektiv zusammen. Ferner: weil der weiße Rassismus im Prinzip im Interesse der weißen Gruppe als Ganzer ist, ist größerer Widerstand gegen solche Konsens-Politik wenig wahrscheinlich. Im Gegenteil: Sobald die offiziellen, quasi-toleranten Formen des Rassismus einmal formuliert sind, mag sich die breite Masse der Bevölkerung berechtigt fühlen, ihre eigenen ablehnenden Gefühle gegen diejenigen zu richten, die sie im Alltag unter Kontrolle bekommen können: einzelne Mitglieder von Minderheitengruppen. Die durchdringende Gestalt des alltäglichen Rassismus, wie sie in vielen neueren Forschungsarbeiten nachgewiesen ist, legt von dieser mondäneren Form rassistischer Unterdrückung beredtes Zeugnis ab.
Innerhalb dieses globalen begrifflichen Rahmens wollen wir im folgenden einige Arten des Elite-Diskurses und der Elite-Kommunikation untersuchen und zeigen, wie sie die weiße Gruppendominanz zum Ausdruck bringen und weiter verankern.
3. Der Mediendiskurs
Obwohl es in der Massenkommunikationsforschung widersprüchliche Annahmen über die Wirkungen der Massenmedien gibt, haben wir gute theoretische Gründe und empirische Belege für die Annahme, daß der Diskurs der Massenmedien eine zentrale Rolle für die diskursive, symbolische Reproduktion von Rassismus durch die Eliten spielt (Hartmann / Husband 1974, van Dijk 1991). Zwar mögen Zeitungen und Fernsehen ebenso wie der einzelne Journalist selbst teilweise abhängig sein von anderen machtvollen Elite-Gruppen, auch was die Definition einer ethnischen Situation betrifft. Sie mögen versuchen, »objektiv« über die Regierungspolitik zu berichten, über Polizeiaktionen, Fälle vor Gericht, Einwanderung, soziale Belange oder Verbrechen, und sich für jedes dieser Gebiete auf Quellen und Quellentexte beziehen, die sich scheinbar außerhalb ihres Einflusses befinden. Journalisten mögen so die Illusion hegen, eine ausgewogene Sicht ethnischer Dinge vorzutragen.
■ Einstellung von Arbeitskräften
Theoretische Prognosen und Forschungsergebnisse weichen jedoch voneinander ab, So partizipieren ebenso wie Verbände oder halbstaatliche Organisationen auch die Massenmedien am Arbeitsmarkt, und einfache Statistiken zeigen, besonders in Europa, daß im Grunde genommen die Medien nur in seltenen Ausnahmefällen Journalisten aus den Minderheitengruppen beschäftigen; das gilt besonders für Herausgeberschaft und Management (Wilson / Gutierrez 1985). Neben dieser Form der Diskriminierung, die man im allgemeinen mit vorgeblichen Sprach- oder sonstigen »Mängeln« der Einwandererjournalisten zu rechtfertigen versucht, bedeutet diese Ausschließung der Einwandererjournalisten ferner, daß die Nachrichtensendungen oder Fernsehprogramme flächendeckend vorherrschend weiß sind, mindestens was Inhalt und Stil angeht. Und was hinzukommt: eine Reihe von Faktoren veranlaßt weiße Reporter, weißen (offiziellen) Quellen mehr Gewicht und Glaubwürdigkeit zu geben, also z.B. Regierungsstellen, der Polizei oder »Minderheitsexperten«.
■ Zugang zu den Medien
Das bedeutet, daß Minderheitsorganisationen weniger Zugang zu Medien haben, weniger Kontrolle über die Definition ethnischer Situationen und weniger Einfluß auf ihre öffentliche Darstellung. Eine Analyse der Zitierpraxis stützt diese Hypothese: Minderheiten werden in den Nachrichten, auch wenn es sich um solche handelt, die sie direkt betreffen, systematisch seltener zitiert; oder ihre Aussagen werden durch Aussagen von Weißen »ausbalanciert«. Es ist eine Tatsache, daß Sprecher von Minderheiten selten alleine zitiert werden. Auch werden sie, wenn sie zitiert werden, auf eine weniger glaubwürdige Art und Weise zitiert. Typischerweise werden Beschwerden gegen Diskriminierung und Rassismus in Anführungszeichen zitiert oder von Wörtern wie »vorgeblich« oder »behauptet« begleitet.
Untersuchungen über Nachrichtenstrukturen und Nachrichtenproduktion haben immer wieder gezeigt, daß die Nachrichtenagenten der Elite einen besonders leichten Zugang zu den Medien haben, weil man sie für wichtig hält, weil sie für die Journalisten Nachrichtenwert haben und über Glaubwürdigkeit verfügen (Galtung / Ruge 1965). Eliteorganisationen und Nachrichtenagenten haben ihren Zugang zu den Medien mit Hilfe institutionalisierter diskursiver Praktiken organisiert wie z.B. Presseerklärungen, Pressekonferenzen und Aktivitäten ihrer eigenen PR-Büros. Weil dies bei Minderheitengruppen und -Organisationen kaum der Fall ist, auch nicht für deren Sprecher, wird die ethnische Situation vorzugsweise von weißen Eliten definiert. Nicht nur, daß auf diese Weise die Eliten Nachrichten und Ereignisse so interpretieren und darstellen, daß sie die Weißen favorisieren, sondern zugleich wird darauf geachtet, daß ihre eigenen Aktivitäten hinsichtlich der Minderheiten so positiv wie möglich präsentiert werden.
Wenn das Fernsehen oder die Zeitungen auch bestimmten Weißen, die nicht zur Elite gehören, einen (nur begrenzten) Zugang erlauben, z.B. in Gestalt von Leserbriefen oder in Interviews und Talkshows, dann äußern diese oft Meinungen und Ansichten, die mit denjenigen der Medien konform sind. Oder, wenn sie reden dürfen, werden sogar radikalere einwandererfeindliche Ansichten zitiert, erstens um ihre eigene Toleranz zu betonen, und sei es nur durch den Kontrast, zweitens um Rassismus als Form alltäglicher Abneigung zu verniedlichen oder drittens, um »moderatere« negative Ansichten über die ethnische Situation verteidigen zu können. Das gilt nicht nur für die Massenmedien, sondern auch für die Politik, z.B. wenn rechtsextreme rassistische Parteien geduldet werden oder sogar Propaganda machen dürfen, wie dies in den meisten westlichen Ländern der Fall ist. Mit anderen Worten: Sowohl für die politischen Eliten als auch für die Medien haben diese radikalen Rassisten eine wichtige Funktion. Deshalb ist es nicht überraschend, daß solche Gruppen, Organisationen oder Parteien, obwohl sie außerhalb des gesellschaftlichen Konsens angesiedelt sind, selten verboten oder gar ernsthaft verfolgt würden.
■ Themen und Gegenstände
Das Fehlen von Journalisten aus den Minderheiten, die flächendeckenden weißen Interessen und Perspektiven der meisten Reporter und Herausgeber sowie die Rolle, die die weißen Eliten bei der Gestaltung von Nachrichten einnehmen – das alles hat auch Konsequenzen für die Selektion und den Umgang mit neuen Themen und Gegenständen. Das heißt, daß Minderheiten, wenn man sich überhaupt mit ihnen befaßt, in den Nachrichten meist unter Themen behandelt werden, die für weiße Leser allgemein und für die Eliten in besonderer Weise »interessant« sind.
Frühere Untersuchungen und unsere eigenen Analysen der britischen und niederländischen Presse zeigen, daß genau dies der Fall ist: Die Minderheiten werden nur im Rahmen eng begrenzter und stereotyper Themenbereiche präsentiert. So finden wir unter den fünf häufigsten Themen (oder besser: Themenbündeln oder »Gegenständen«) – was Umfang und Häufigkeit angeht – im allgemeinen solche wie (1) Einwanderung, (2) Gewalt, Verbrechen, Unruhen und andere Formen der Abweichung, (3) ethnische Beziehungen, (4) kulturelle Unterschiede und, besonders in den USA, (5) Musik und Sport (Hartmann / Husband 1974; Martindale 1986; Merten et al. 1986; Johnson 1987; van Dijk 1983, 1991).
Diese Einseitigkeit bei der Auswahl von möglichen berichtenswerten Ereignissen wird dadurch weiter verschärft, daß diese Ereignisse ständig negativ behandelt werden. Das heißt, Einwanderung wird immer als »für uns« problematisch, konfliktbeladen und mit Schwierigkeiten verbunden hingestellt (Übervölkerung, illegaler Grenzübertritt oder Aufenthalt, fehlende Mittel) und ganz selten als ein Problem »für sie«, z.B. die Drangsalierungen, denen Einwanderer durch Beamte ausgesetzt sind, Ablehnung von Zuzug oder Aufenthalt, selbst wenn sie ein Anrecht darauf haben. Dieselbe dramatische Negativperspektive liegt vor, wenn über Gewalt, Verbrechen oder abweichendes Verhalten berichtet wird. In ganz ähnlicher Weise werden kulturelle Unterschiede oft zumindest als problematisch charakterisiert, wenn nicht als bedrohlich für die Mehrheitskultur, wie dies typischerweise der Fall ist beim spezifischen Interesse am Islam und an moslemischen Verhaltensweisen und Werten.
Das gesamte Themenspektrum ethnischer Beziehungen konzentriert sich zudem auf Konflikte, wobei auch Beispiele von Diskriminierung gegen Minderheiten eingeschlossen sind. Während jedoch Rassismus generell durch die Presse abgestritten oder abgemildert wird, wird Diskriminierung oft als zufällig behandelt und nicht als Manifestation struktureller Ungleichheit und Unterdrückung. Allgemein gesagt, sind die Großthemen selbst völlig einseitig auf die Präsentation von Einwanderung, Einwanderern oder Minderheiten als problembehaftet, konfliktbeladen oder sogar als bedrohlich ausgerichtet.
Die Konzentration auf einige wenige stereotype Themen hat ferner zur Folge, daß andere Themen, die routinemäßig für weiße Nachrichtenagenten reserviert sind, unterrepräsentiert sind, sobald ethnische Minderheiten involviert sind. Infolgedessen bestimmen Themen, die von großer Wichtigkeit für Minderheiten sind, wie etwa Aufenthaltsrecht, soziale Angelegenheiten, Wohnung, Gesundheitswesen, Erziehung, (Nicht-) Beschäftigung oder Rassismus kaum die Schlagzeilen der weißen Presse. Im Sinne der Hauptthese diese Studie ist das nicht überraschend, wenn wir bedenken, daß dies exakt die Bereiche sind, in denen mangelhafte politische Konzeptionen und Praktiken der weißen Eliten eine herausragende Rolle spielen.
■ Kleinere semantische Tricks
Während Themen als globale semantische Makrostrukturen des Diskurses definiert werden, sind auch die kleineren Bedeutungseinheiten im Nachrichtendiskurs von Wichtigkeit für unser Verständnis der Darstellung von Minderheiten und ethnischen Belangen in den Medien. Auf dieser Ebene finden wir die konkrete Beschreibung ethnischer Personen und Ereignisse, und solche Beschreibungen sind selten harmlos. Um diese kleineren Formen von vereinseitigtem Diskurs zu verstehen, müssen wir die Gesamtziele und Schwerpunkte des Diskurses über ethnische Angelegenheiten kennen. Wie auch in der Alltagskonversation (van Dijk 1987a) finden wir hier zwei komplementäre und sich scheinbar widersprechende Strategien, nämlich positive Selbstdarstellung und negative Fremddarstellung. Infolgedessen gibt es, wie wir bei unserer Zusammenfassung der Themenanalyse bereits feststellen konnten, eine Gesamttendenz, Minderheiten negativ darzustellen, daß heißt in der Verbindung mit Problemen, Konflikten und Bedrohungen.
Diese negative Präsentation wird jedoch durch Gesetze, Normen und Werte eingeschränkt, so daß explizit und offen rassistische Berichte, besonders in der liberalen Spitzenpresse, selten geworden sind. Die offizielle Norm, daß offene Diskriminierung nicht erlaubt ist, ist ziemlich gut bekannt und wird bis zu einem gewissen Punkt beachtet. Um Minoritäten in der Presse negativ darzustellen, braucht die Presse nun auch diskursive Formen, die ein Gegengewicht gegen diese Negativität darstellen, z.B. indem beteuert wird, daß »wir keine Rassisten sind, aber …« Solche Figuren, die in vielerlei Gestalt auftreten, sind Routine und zeigen sich in direktem Abstreiten des Rassismus, aber auch in Gestalt von gewissen Konzessionen (»Es gibt auch intelligente / hart arbeitende usw. Schwarze, aber …«) In solchen Fällen können wir zum Beispiel Erfolgsgeschichten über einzelne Mitglieder von Minderheitengruppen erwarten. Doch genau diese »Solo«-Rolle der einzelnen Ausnahme festigt mit Sicherheit für die weiße Öffentlichkeit die Haltung, daß (1) einige Mitglieder der Minderheitengruppen »es schaffen«, so daß man uns nicht tadeln kann, aber daß (2) die Minderheitengruppe als Ganze immer noch an »ihrem Platz« bleibt, so daß »sie« nicht dominant werden.
Die Mikro-Semantik des rassistischen Diskurses muß notwendigerweise verschleiert werden. »Wirkliche« Meinungen und Haltungen müssen, besonders im öffentlichen Diskurs wie dem der Massenmedien, abgeschwächt oder auf andere Weise weniger direkt geäußert werden. Das heißt, daß Implikationen, Unterstellungen und Suggestivität eine wichtige Rolle spielen. In der Tat ist der Diskurs über ethnische Angelegenheiten in hohem Maße kodiert, in der Weise, daß scheinbar neutrale Wörter verwendet werden, um die rassistischen Implikationen der wirklichen Absichten und Meinungen zu verbergen. So benutzen z.B. weite Teile der westlichen Presse im Verein mit den Autoritäten (Regierung, Ministerien) heute den Terminus »Wirtschafts«-Flüchtling. Das scheint eine mehr oder minder neutrale Formulierung zu sein, die aber impliziert, daß es sich nicht um »wirkliche« Flüchtlinge handelt, und ferner, daß sie nur hergekommen sind, »um hier auf unsere Kosten zu leben«, wobei es sich hier um die direkter geäußerten Vorurteile in der Alltagssprache handelt.
■ Die Leugnung und Umkehrung des Rassismus
Der generelle Unterschied, den wir auch auf der Ebene lokaler Bedeutungen beobachten können, nämlich der zwischen positivem »wir« und negativem »sie«, impliziert, daß die Medien Weiße durchgängig nicht als Rassisten darstellen, sondern als tolerant und hilfsbereit und die Einwanderer zumindest als undankbar und unangepaßt. Dieser Kontrast verlangt eine komplexe Verleugnungsstrategie. In solchen Verleugnungs-Strategien werden Wendungen gebraucht wie die oben erwähnte (»wir sind keine Rassisten, aber …«), ferner systematisch Signale des Bezweifelns, die auch erwähnt wurden, und zwar immer dann, wenn Minderheiten oder weiße Anti-Rassisten Weiße wegen Diskriminierungen oder Vorurteilen anklagen, wegen des Umgangs mit Zitaten (wobei Minderheiten, die über rassistische Praxen Auskunft geben könnten, nicht zitiert werden) und weiter bei der Redewendung der Umkehrung: Sie sind die wirklichen Rassisten.
Besonders in der britischen Rechtspresse sind die Wendungen der Verleugnung und der Umkehrung höchst auffällig (Gordon / Rosenberg 1989; Murray 1986, van Dijk 1991). So geschah es, als Eltern und antirassistische Gruppen 1985 den Schulleiter Honeyford beschuldigten, weil er rassistische Artikel über Erziehung und seine Schule veröffentlicht hatte, worauf er entlassen wurde, daß die Rechtspresse eine breite Verteidigungskampagne für diesen »mutigen Mann« startete, »der die Wahrheit über multikulturelle Erziehung zu sagen wagte«. Seine Gegner und überhaupt alle Anti-Rassisten werden also beschuldigt, jemanden daran zu hindern, die Wahrheit zu sagen, sie werden also der Ausübung von Zensur und als Leute bezichtigt, die gleichzeitig gegen (weiße) Engländer und Bretonen agitierten, was als eine Form umgekehrten schwarzen Rassismus angesehen wird. Diese Umkehrung impliziert, daß »wir die wirklichen Opfer sind«, eine Aussage, die auch sehr oft in Alltagsgesprächen zu hören ist.
Diese und andere Wendungen und Strategien auf dem Feld der Mikro-Semantik der Presseberichterstattung sind typisch für Elitepositionen zu ethnischen Angelegenheiten. Politiker, Journalisten, Forscher und andere Eliten, ob liberal oder konservativ, haben ein Selbstbild, das nicht vereinbar ist mit Intoleranz und besonders Rassismus. Verleugnungen, Beteuerungen, tolerant zu sein, und Verdrehungen sind daher wesentlich dafür, dieses positive Selbstbild zu bewahren.
Gegensätzliche Darstellungen der Situation werden daher brüsk zurückgewiesen und attackiert, wie dies auch in der Marginalisierung oder offenen Aggression gegen antirassistische Gruppierungen zum Ausdruck kommt. Besonders wenn diese selbst Angehörige der Eliten sind, wie dies bei einigen Politikern (typisch für die »verrückte Linke«), »den Soziologen« und Lehrern der Fall ist. Mit anderen Worten: Es gibt nicht nur eine Machtrelation zwischen der weißen Gruppe als ganzer und den Minderheitengruppen, sondern auch zwischen dominanten Eliten und radikaloppositionellen Eliten, was die Kontrolle der symbolischen Ebene von Normen und Moral betrifft.
Wir nähern uns hier den wesentlichen Merkmalen des Elite-Diskurses über ethnische Angelegenheiten. Die Interessen von Journalisten und anderen dominierenden Elitegruppen sind in dieser Hinsicht weitgehend identisch und stehen daher selten in Widerspruch zueinander. Das heißt auch, daß Anklagen wegen rassistischer Aussagen, die sich gegen die Presse, einschließlich die liberale, richten, auf effektive Weise marginalisiert und zensiert werden: Sie werden nicht abgedruckt. Zweitens: Trotz der Wichtigkeit von Diskriminierung als Thema berichtet die Presse selten über andere Formen eines elitären Rassismus, z.B. den der Behörden. Rassistische Einwanderungspolitik, die von Einwanderergruppen und anderen Gruppen dokumentiert wird, wird selten in den zahlreichen Berichten über Einwanderung erwähnt. Manchmal wird über Drangsalierungen und Brutalitäten der Polizei gegenüber schwarzen männlichen jugendlichen diskutiert, aber gewöhnlich in übertrieben anklägerischem Ton, wodurch die Glaubwürdigkeit beeinträchtigt wird bis hin zur Lächerlichkeit. Auch Rassismus, Vorurteile und Vereinseitigungen durch die Gerichte werden, jedenfalls in Europa, ebenfalls ausgeblendet. Das gleiche gilt für andere Eliteinstitutionen.
Die einzige Ausnahme von der Regel, daß Informationen über den Rassismus der Eliten zensiert werden, scheinen die ziemlich häufigen Berichte über Diskriminierungen im Geschäfts- und Erwerbsleben zu sein, besonders in der liberalen Presse. Doch auch diese Aussage verdient nähere Betrachtung. Erstens sind, trotz der Häufigkeit solcher Berichte, diese doch bei weitem seltener als die konkreten Fälle von Diskriminierung. Zweitens vermitteln solche Berichte keineswegs, daß Diskriminierungen bei Einstellungen und Beschäftigung ein umfassendes soziales Problem darstellen. Im Gegenteil, solche Fälle werden als Ausnahmefälle behandelt, nicht als strukturelle Gegebenheiten, zum Beispiel als ein Hinweis für die Erklärung der Arbeitslosigkeit bei den Minderheiten. Drittens werden nur die hervorstechenden und öffentlichen Fälle von Diskriminierung erwähnt, zum Beispiel wenn eine Organisation, wie etwa eine Gewerkschaft oder eine Aktionsgruppe, es fertiggebracht haben, die öffentliche Aufmerksamkeit auf einen Fall zu lenken. Viertens wird ein solcher Fall normalerweise nicht als ein Verbrechen behandelt, sondern als eine Frage von Ansichten und Interpretationen. Im Unterschied zu anderen Kriminellen wird diskriminierenden Arbeitgebern oft die Gelegenheit gegeben, sich zu verteidigen oder ihre Meinung zu äußern. Fünftens, und das gilt besonders für die liberale Presse, gibt es z.B. eine geringere Affinität zwischen Journalisten und Geschäftsleuten, weil letztere nicht als Wettbewerber im symbolischen Bereich angesehen werden. Tatsächlich mögen Journalisten manchmal merken, daß sie den Geschäftsleuten intellektuell und moralisch überlegen sind, und ihre Berichte über Diskriminierungen im Geschäftsleben mögen einer der Versuche sein, die geringere Moral der Unternehmer unter Beweis zu stellen. Letztens: Wie bereits oben gezeigt, tendiert besonders die Rechtspresse dazu, solche Ereignisse zu bezweifeln, zu verspotten oder lächerlich zu machen, während zugleich der Spieß umgedreht wird, indem die Ankläger beschuldigt werden, einen bekannten weißen Geschäftsmann als Rassisten gebrandmarkt zu haben. Insgesamt: Auch die Diskriminierung im Arbeits- und Geschäftsleben tendiert dazu, Teil der Gesamtstrategie zu sein, die Bedeutung des Elitenrassismus herunterzuspielen oder, gelegentlich, ihn nur einer bestimmten Gruppe zuzuweisen.
Unsere Analyse verweist darauf, daß die Nachrichtenmedien allgemein und die Presse insbesondere zutiefst in die Reproduktion eines Rassismus der Eliten verwoben sind. Dies deshalb und zuallererst, weil sie eng mit den Machtstrukturen verbunden sind, und ferner, weil sie den ethnischen Konsens der dominanten politischen Eliten selbst teilen (vgl. auch Ebel / Fiala 1983). Zweitens verfügen die Medien über spezifische Mittel, ethnischen Konsens zu produzieren, zu reproduzieren und zu verstärken; durch sie wird die eigene weiße Gruppe neutral oder positiv dargestellt, besonders wenn es um ethnische Angelegenheiten geht, während Einwanderer, Ausländer, Flüchtlinge oder ansässige Minderheiten als Quelle von Schwierigkeiten, Konflikten und Bedrohungen porträtiert werden. Natürlich gibt es Unterschiede in Art und Stil zwischen den verschiedenen Medien. So mag die liberale Presse die positive Rolle der weißen Liberalen betonen, indem sie z.B. als »Helfer« von Minderheitengruppen dargestellt werden, wogegen die konservative oder rechtsextreme Presse dazu tendiert, sich auf die negativen Eigenschaften der »Fremden« zu beschränken.
4. Bildungsdiskurse: Schulbücher
Eine weitere Quelle für die Reproduktion des Rassismus ist der Bildungsdiskurs (Klein 1986; Milner 1983; Preiswerk 1980). Neben der Primärsozialisation und dem Lernen durch die Kommunikation mit den Eltern bedeuten Kinderbücher und Fernsehprogramme, Unterrichtsstunden und Schulbücher die erste Begegnung mit institutionalisierter erzieherischer Kommunikation über Wissen, Glauben, Normen und Werte. Dies ist der Ort, an dem weiße Kinder in westlichen Ländern, manchmal zum ersten Mal, von Gruppen und Menschen anderer Hautfarbe und von anderen Kulturen, Kontinenten und Nationen hören dürften.
Heute, wo die Minderheitspopulationen immer stärker ins Auge fallen, sind die Kinder sehr gut dafür präpariert. Wir gehen davon aus, daß sie schon, besonders in den Städten, durch eigene Wahrnehmung und Interaktion, Familiengespräche wie auch durch Kinderbücher und Fernsehen eine ganze Menge an ethnisch relevantem Diskurs konsumiert haben. Tatsächlich zeigen Ergebnisse der Forschung, daß die Kinder sich bereits ab dem 4. Lebensjahr oder sogar noch früher auf diese Weise ihrer eigenen ethnischen Identität bewußt werden (Aboud 1988; Katz 1976). Die Untersuchungen zeigen ferner, daß ethnische Vorurteile, die Favorisierung weißer Ingroups und die Zurückweisung von Outgroups, schon in dem Alter, in dem die Kinder eingeschult werden, sehr stark sein können. Ob durch einseitiges Gerede ihrer Eltern ermutigt oder nicht: die Kinder lernen doch sehr bald, sich an der weißen Kultur zu beteiligen und sich darauf zu beziehen, einschließlich der darin enthaltenen stereotypen oder vorurteilsbeladenen Diskurse.
Sowohl das offizielle wie das heimliche Curriculum und seine Einbettung in die Interaktion im Klassenzimmer, formale Unterrichtsstunden und Lernmaterialien sind ebenfalls Teil dieser dominanten Kultur. Obwohl eine stetig wachsende Zahl von Kindern aus den Minderheitengruppen in die Klassen westlicher Schulen einzieht, bleibt der dominierende Erziehungsdiskurs im seinem Wesen weiß geprägt (Brandt 1986). Menschen, Kulturen und Nationen der Dritten Welt werden unter westlicher Perspektive betrachtet, und das Gleiche gilt für Minderheitengruppen und -kulturen in Nordamerikanischen und Europäischen Gesellschaften. Trotz wachsender formaler Zugeständnisse, die man in verschiedenen Ländern im Hinblick auf die Notwendigkeit »multikultureller Erziehung« macht, beginnen die täglichen Erziehungspraktiken, die Lehrerausbildung und die Inhalte der Schulbücher solche Politik erst ganz allmählich zu berücksichtigen (Banks / Lynch 1986).
Die Erforschung von Schulbüchern in mehreren Ländern hat dies immer wieder bestätigt, zumindest was den eher formalen Lerndiskurs betrifft (Preiswerk 1980; Klein 1986). Solche Untersuchungen stimmen völlig unzweideutig in ihren Ergebnissen überein, und man kann sie so zusammenfassen, daß die Schulbücher, ob völlig offen wie in der Vergangenheit oder subtiler wie heute, nicht-westliche Menschen, Gesellschaften und Kulturen ignorieren, marginalisieren, erniedrigen oder problematisieren.
Dieses Ergebnis ist ebenso traurig wie überwältigend. Auf alten Ebenen und in allen Schultypen sind die Schulbücher für Gesellschaftskunde, Geographie und Geschichte, die Sprachlehrbücher und auch die Lektionen in Biologie oder Mathematik, voll von negativen Stereotypen über nicht-westliche Menschen, Minderheiten oder Einwanderer. Zugleich betonen sie subtil oder auch völlig offen die Überlegenheit der westlichen, d.h. »unserer« Kultur und Gesellschaft. Für weiße Kinder ist die Botschaft völlig eindeutig und unterscheidet sich überhaupt nicht von den Inhalten des dominanten Diskurses sonstiger kultureller Domänen.
Ich möchte die Modalitäten dieser Art des Schulbuchrassismus und -ethnozentrismus in aller Kürze beschreiben, wobei ich einige eigene Untersuchungsergebnisse zusammenfassen werde (van Dijk 1987b).
- Erstens zu Vorkommen und Umfang: Von den 43 Gesellschaftskundebüchern, die 1985 in den Niederlanden in höheren Schulen in Gebrauch waren, verschwendeten etwa die Hälfte keinen einzigen Abschnitt auf die Anwesenheit der großen ethnischen Minderheiten im Land, die zusammen mehr als 700 000 Menschen ausmachen. Trotz der wachsenden Zahl von Kindern aus Minderheiten in den Schulenporträtieren solche Schulbücher die Niederlande als ein rein weißes Land. In den meisten anderen Schulbüchern wird der Anwesenheit von Minderheitengruppen oder der Bedeutung ethnischer Angelegenheiten nur geringe Aufmerksamkeit gewidmet. Das Gleiche gilt für Geschichts- und Erdkundebücher. Wir haben gute Gründe anzunehmen, daß sich für die meisten Europäischen Länder ganz entsprechende Ergebnisse zeigen. ((Das gilt auch für die BRD, wie Stichproben anhand von Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien sowie Untersuchungen von Informationen für Lehrer, die millionenfach kostenlos verteilt werden, ergeben haben. Vgl. S. Jäger: Die Nutznießer, Vorlesungsmanuskript Universität Duisburg SS 1989 (S.J.) )) US-Schulbücher, wo auch sonst ihre Mängel liegen mögen, haben sich im letzten Jahrzehnt in dieser Hinsicht gebessert.
- Zweitens finden wir, daß Minderheitengruppen, wenn sie überhaupt dargestellt werden, nur unter ein paar Hauptgesichtspunkten erwähnt werden, die erstaunlich denen entsprechen, die in der Massenpresseauftauchen: 1. Einwanderung, 2. Kulturelle Unterschiede, 3. Rassenbeziehungen, 4. Kriminalität und abweichendes Verhalten. Darüber hinaus handelt es sich in der Regel um Negativdarstellungen bzw. Darstellungen von Schwierigkeiten, Konflikten, Bedrohungen für »uns«(westliche Kultur, »unser« Land usw.). Dazu kommt daß die Passagen über Einwanderer nicht einfach die Fakten nennen, z.B. welche Gruppe wann und warum eingewandert ist, sondern sich sogleich auf das Problem der Übervölkerung konzentrieren. Beiträge zur Wirtschaft, die auf Wanderarbeit oder auf Ausbeutung billiger Arbeitskräfte basieren, werden selten angeführt.
Kulturelle Differenzen, das Hauptthema der Gesellschaftskundebücher in den Niederlanden, werden in ähnlicher Weise mit Schwierigkeiten in Verbindung gebracht sowie mit angeblichem Mangel an Anpassungsbereitschaft, merkwürdigen Bräuchen, Schwierigkeiten beim Erlernen der Sprache oder abweichendem Verhalten, z.B. im Hinblick auf die verschiedene Religion, besonders beim Islam, pathologischen Familienstrukturen, untergeordneter Stellung der Frau oder irritierenden Essensvorschriften. Eine Schlußfolgerung aus diesen Details ist völlig klar, gleichviel ob die Darstellung ein wenig stereotyp oder offen vorurteilshaft ist, nämlich daß »wir« ganz offensichtlich überlegen sind: moderner, fortgeschrittener, rationaler und sogar toleranter.
Gelegentlich befassen sich Schulbücher auch mit »Rassen«-Beziehungen, z.B. mit Fällen von Vorurteilen und Diskriminierung. In vagen Allgemeinplätzen oder durch ein kurzes Beispiel wird zugestanden, daß Minderheiten manchmal Ungleichbehandlung erfahren oder daß »wir« nicht immer so tolerant sind wie wir meinen. Aber wie die Medien verfügen auch die Schulbücher über einen großen Vorrat an Strategien, solche Tatsachen herunterzuspielen oder Einzelheiten zu verschweigen. Holländische Schulbücher tun dies in typischer Weise so, daß sie auf die Rassentrennung in den USA eingehen oder auf die Apartheid in Süd-Afrika. Wie in den Medien wird ausländischer Rassismus weniger verschleiernd behandelt als der Rassismus im Inland. Eine andere Taktik besteht darin, einen Teil der Schuld den Mitgliedern der Minderheitengruppen zuzuschieben, die solche weißen Reaktionen »provozieren« oder indem sie bei der Beschreibung diskriminierender Praktiken zu Verniedlichungen greifen. Natürlich wird der Terminus »Rassismus« in den Schulbüchern selten definiert. Intoleranz, Stereotypisieren oder Diskriminierung im Klassenzimmer (oder in Schulbüchern) ist natürlich ein verbotenes Thema.
Wenn Minderheitengruppen in holländischen Schulbüchern vorkommen, befassen sich die wenigen Zeilen nur mit den Haupt-Gruppen, mit Kriminalität und abweichendem Verhalten wie Drogenhandel oder Drogenkonsum bei Surinamesen oder Chinesen, terroristischen Gewalttaten molukkischer Jugendlicher oder kulturell begründeten Vergehen bei Türken und Marokkanern. Manchmal folgen solchen Informationen Einschränkungen wie »daß sie natürlich nicht alle gleich sind«.
Solche Themen beherrschen die größte Zahl der Passagen über »Fremde« in unseren heutigen Schulbüchern. Informationen über relevante andere Themen wie soziale Fragen, Erziehung, Geschichte, Kultur und auch über die Schwierigkeiten, die Einwanderer auf allen Ebenen haben, fehlen völlig. Außer in neueren US-Schulbüchern werden die sozialen, ökonomischen oder kulturhistorischen Beiträge der größeren Einwanderer- oder Minderheitengruppen im allgemeinen nicht behandelt. Folglich gibt es nirgends Identifikationsanker für Kinder aus den Minderheiten. Selbst die reichen nord-afrikanischen, arabischen und türkischen Kulturen werden selten als Hintergrundinformation für für die Einwanderung und die Anwesenheit von Minderheiten aus den Mittelmeerländern akzeptiert. Afrikanern, Asiaten oder amerikanischen West-Indiern (aus Surinam oder von den holländischen Antillen), die noch seltener erwähnt werden als die »wirklichen« Fremden, d.h. die »Gastarbeiter«, wird unterstellt, sie hätten überhaupt keine Kultur.
Entsprechendes läßt sich für die Geschichts- und Geographiebücher nicht nur in den Niederlanden feststellen (Mok 1990). Wie gesagt, wird die Geschichte der Einwanderergruppen oder -minderheiten in der Regel ignoriert, ihre Herkunftsländer werden, wenn überhaupt, äußerst schlicht als Teil der Weltgeschichte oder -geographie dargestellt. Die Hauptgründe der Einwanderung, nämlich Sklaverei, Kolonialismus oder die Armut, die teilweise durch die heutigen Formen des Imperialismus und der Ausbeutung durch das internationale Kapital und den Handel verursacht sind, werden gelegentlich in Geschichts- und Geographiebüchern angesprochen. Einige dieser Schulbücher tun dies sogar in moderat kritischer Weise, vor allem wenn sie sich mit der Vergangenheit befassen; nur selten tun sie dies jedoch bei der Beschäftigung mit der Gegenwart. Einzelheiten über Ausbeutung und Greueltaten kommen selten vor. Wie beim zeitgenössischen Rassismus sehen wir uns mit Sondererklärungen und Euphemismen konfrontiert und auch mit dem Bemühen, die Schuld den Opfern anzulasten. Einige Schulbücher fahren ungebrochen damit fort, den Kolonialismus damit zu entschuldigen, daß er erheblich zur ökonomischen oder kulturellen Entwicklung der kolonisierten Völker beigetragen habe. Bewaffneter Widerstand gegen den Kolonialismus wird gelegentlich als Gewalt, Terrorismus und »Brutalität« dargestellt. Das Bild ist wohlbekannt und muß hier nicht weiter ausgemalt werden.
In vielen Hinsichten ist die Darstellung von Völkern der Dritten Welt in Geographie- und Geschichtsbüchern der Darstellung von Einwanderern oder Minderheiten erstaunlich ähnlich. Bis auf den heutigen Tag fördern Untersuchungen die bekannten Muster des Eurozentrismus oder Ethnozentrismus zu Tage, was den Umfang betrifft, die Thematisierung, den Stil, die Metaphern und die pädagogischen Folgerungen. Die folgende zusammenfassende Auflistung stellt nur eine Skizze dar (für Einzelheiten s. z.B. Klein 1976):
- Völker der Dritten Welt, Gesellschaften, Länder, Kulturen oder Nationen werden nicht differenziert, sondern alle gleich dargestellt. Diese Homogenisierung wird dadurch weiter betont, daß der Unterschied zu »unserem« und allen anderen westlichen Ländern und Kulturen besonders hervorgehoben wird. Dieses Wahr-nehmungs- und Darstellungskonzept ist aus sozialpsychologischen Untersuchungen über Ingroup- und Outgroupkategorisierungen und Stereotypisierungen wohlbekannt.
- Die Diskussion der Geschichte der Völker der Dritten Welt beschränkt sich gewöhnlich auf den Zeitraum der Anwesenheit westlicher Völker bzw. erfolgt in Verbindung mit dieser Anwesenheit. Vorkoloniale oder nachkoloniale Perioden früherer Kolonien werden ziemlich vernachlässigt. Nicht-westliche Länder undKontinente scheinen erst nach der »Entdeckung« durch westliche Reisende existent geworden zu sein.
- Die Themen, die überhaupt angesprochen werden, werden sehrknapp und oft in stereotyper Weise abgehandelt. Armut, Analphabetismus, technologische oder soziokulturelle »Rückständigkeit«und ländliche Subsistenzwirtschaft erweisen sich als Hauptthemen der Schulbücher. Nähere Erläuterungen zu diesen Feststellungen tendieren dazu, die Opfer zu beschuldigen, oder sie werden so formuliert, daß sie die angeborenen Eigenschaften (den Charakter)nicht-westlicher Völker oder sogar anderer »Rassen« hervorheben. Gelegentlich werden Kolonialismus oder der gegenwärtige Handelsimperialismus kurz und euphemistisch als zusätzliche Beiträge zu den derzeitigen Problemen vieler Länder der Dritten Welt diskutiert. Ökonomischer Erfolg, die Vorteile und Fortschritte alternativer sozio-kultureller Konzeptionen, städtisches Leben, Modernisierung, die Abhängigkeit der westlichen Wirtschaft von den Rohstoffen oder jedes andere Thema, das die Dritte Welt ein wenig mehr wie »wir« aussehen läßt, werden tendenziell ignoriert.
- Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen wirtschaftlicher, politischer oder soziokultureller Unterschiede zwischen Nord und Süd werden nach Maßgabe westlicher Normen und Werte hinsichtlich Technik, Demokratie und Kultur verzerrt. Eine unterstellte westliche Überlegenheit auf allen Ebenen kommt auch in Stil und Wortwahl zum Ausdruck, so im häufigen Gebrauch von»Hütten« (statt »Häusern«), »Stämmen« (statt »Völkern« oder »Gruppen«), »Aberglaube« (statt »Religion«), »primitiv« (statt »nichtindustrialisiert« oder »traditionell«), »Zauberdoktor« (statt»Doktor«), »sich bemalen« (statt »Make-up anlegen«), etc.
Dies sind die Hauptmerkmale eines Erziehungsdiskurses, der die Perspektive, die Stereotypen und Vorurteile der dominanten weißen Kultur reproduziert. Wegen des üblichen Zeitabstands zwischen Produktion und Gebrauch der Lernmaterialien ebenso wie aufgrund der pädagogischen Notwendigkeit von Vereinfachung und Selektion sind diese Darstellungen von Minderheiten und (anderer) Völker der Dritten Welt meist weniger differenziert und »modern« als vergleichbare Inhalte in den Medien oder in anderen Formen des gegenwärtigen Elite-Diskurses.
Die Vereinfachungen und Beschränktheiten der Schulbücher ganz allgemein fördern unzulässige Verallgemeinerungen und folglich Stereotypisierungen. Der pädagogische Diskurs konzentriert sich nicht auf Subtilitäten, Einzelheiten und Zusammenhänge. Kinder können natürlich nicht alle historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Besonderheiten aller Völker, Länder, Kulturen oder Nationen aufnehmen. Aber es ist die dominante weiße Perspektive, das beständig negative Urteil bei diesen Stereotypen und die Betonung der westlichen Überlegenheit, was solche Darstellungen ethnozentrisch und rassistisch macht.
So reproduzieren Schulbücher und deren Autoren einen herrschenden Diskurs. Ein Teil der Eigenarten eines solchen Diskurses entwickelt sich mehr oder minder autonom innerhalb der Grenzen des Erziehungssystems und des Curriculums, angeleitet durch die Eliten des Erziehungssytems. Das heißt, daß Schulbücher dazu neigen, andere Schulbücher zu imitieren. Themen, Methoden und Sprachstil setzen eine lange Tradition des Schulbuchdiskurses fort. Teile dieser Inhalte und dieses Stils verdanken sich den Haltungen und Ideologien der (meist weißen, männlichen) Schulbuchautoren selbst.
Doch werden andererseits die Annahmen der Schulbücher und ihrer Autoren durch ideologische Mächte auch von außen modelliert, wie z.B. durch den Diskurs akademischer Fächer, durch die Lehrerbildung und die Massenmedien. Mit anderen Worten: Es gibt vielfältige Beziehungen zwischen dem Elite-Diskurs der Erziehung und den Elite-Diskursen anderer gesellschaftlicher Bereiche. Für Schulbücher gilt, daß es für sie zusätzliche Zwänge direkter und indirekter Einflußnahme und Entscheidungen von Eltern, Schulaufsichtsbehörden, Bürgerorganisationen, Verlegern, Wirtschaftsverbänden, politischen Parteien, Regierungen, den Kirchen und vielen anderen gesellschaftliche Gruppierungen gibt, die ein Interesse an den Inhalten von Schulbüchern haben. Und wieder sind die meisten dieser Gruppen oder Organisationen weiß, und sie weigern sich, die erzieherische Bedeutung der ethnischen oder internationalen Situation zu akzeptieren, was dazu führt, daß sie direkt oder indirekt in die Reproduktion weißer oder westlicher Macht verwickelt sind, die gegen die Minderheiten oder gegen die Dritte Welt gerichtet ist.
Abschließend sollte daran gedacht werden, daß diese Formen eines ethnozentrischen Erziehungsdiskurses nicht nur bei der Einschärfung und der Reproduktion der herrschenden Kultur und der damit verbundenen sozialen Wahrnehmungen eine Rolle spielen. Sie sind zusätzlich auch Teil der gesellschaftlichen Funktionen der Schule und der Erziehung selbst, d.h. bei der Vorbereitung von Kindern für die Gesellschaft und für den Arbeitsmarkt. Das wirkt sich so aus, daß die Schulbücher, indem sie die Marginalisierung und Subordination ethnischer Minderheiten-Gruppen und von deren Kinder darstellen, die Minderheitenkinder auf eine Gesellschaft vorbereiten, in der für sie eine ganz besondere Position reserviert ist, nämlich die eines niedrigeren Status und schlechter Arbeit. Die Erziehungsstatistiken reflektieren eindeutig die Schulerfahrungen und Perspektiven der Kinder der meisten Minderheitengruppen; sie zeigen, wie Leistung, Fortschritte, Abbrüche und erreichte Diplome nicht nur, oder nicht so sehr, eine Funktion der sozio-ökonomischen Klasse oder der angeblichen Erziehungs-»Kultur« der Gruppe sind, sondern eher vom Erziehungssystem und den Schulen selbst abhängen. Schulbücher zeigen einige der Implikationen dieses sehr viel allgemeineren Prozesses.
5. Der akademische Diskurs
Was den akademischen Diskurs angeht, so können wir uns kurz fassen, denn anti-rassistische Forscher sind täglich mit der Rolle konfrontiert, die dieser Diskurs in rassistischen Gesellschaften spielte und spielt; daher dürften sie in der Lage sein, selbst einschlägige Beispiele zu finden. Unsere knappe Zusammenfassung dient deshalb nur der Abrundung dieses Berichts und verfolgt die Absicht, die These von der Dominanz des Elite-Rassismus zu untermauern.
Erstens: Es ist sehr bekannt und gut dokumentiert, daß der gelehrte Diskurs seit mehreren Jahrhunderten eine wichtige Rolle bei der Produktion und für die Legitimation ethnozentrischer und rassistischer Ideologien gespielt hat (für neuere zusammenfassende Darstellungen vgl. z.B. Miles 1989; Haghighat 1988). Obwohl heute subtiler verfahren wird als früher, gilt dies auch für den gegenwärtigen akademischen Diskurs. In der Vergangenheit konzentrierten sich die Wissenschaftler auf die Unterschiede zwischen Europäern und Nicht-Europäern als unterschiedliche »Rassen«, einhellig schlußfolgernd oder implizierend, daß die »weiße Rasse« in allen relevanten Belangen der Humanitas überlegen sei (Barker 1981; Todorov 1989; Unesco 1983). Oft ist hervorgehoben worden, daß diese Formen des wissenschaftlichen Rassismus nicht nur dem akademischen Ziel der Beschreibung, Erklärung oder dem Begreifen diente, sondern zugleich der Legitimierung von Raubzügen, des Kolonialismus und der Unterdrückung.
Heute sind solche Diskurse selten geworden. »Rasse« ist als wissenschaftlicher Terminus obsolet geworden, es sei denn, er werde in sozio-kultureller Hinsicht verwendet, nämlich um die Art und Weise zu bezeichnen, wie die Menschen die Anderen verstehen und kategorisieren. Stattdessen wird heute oft von »Kultur« gesprochen, um Gruppen zu beschreiben und »ethnische« Gruppenunterschiede zu erklären. Trotzdem hat sich die zugrundeliegende Logik der Sache nicht in jedem Falle geändert. Unter dem Deckmantel kultureller »Inkompatibilität« wird auf diese Weise die eigene Gruppe gegen Einwanderung anderer ethnischer Gruppen, die allerdings häufig »zufällig« farbig sind, abgeschottet. Mit anderen Worten: Was implizit gefürchtet wird und wovor mithilfe einer Rhetorik kultureller »Autonomie« gewarnt wird, das ist in Wirklichkeit die Rassen»mischung«, um »Rassenreinheit« und natürlich die »rassische« Vorherrschaft der Weißen zu verteidigen. Auch bei wohlwollender Interpretation solcher Diskurse stellt sich heraus, daß bei kulturellen Unterschieden unterstellt wird, sie führten zu Konflikten, z.B. weil »die Anderen« sich unserer Kultur nicht anpassen (können). Entsprechend wird die eigene, westliche Kultur explizit oder implizit als überlegen unterstellt, wie wir das auch bei der Betrachtung der Schulbücher im Hinblick auf das Thema Dritte Welt gesehen haben.
Man möchte meinen, solch eine Ideologie sei als rechtsextrem einzuschätzen und sie stünde weit außerhalb des dominanten wissenschaftlichen Diskurses. Das ist in dem Sinne richtig, daß seine explizite und offene Version sich auf kleine Gruppen konservativer Wissenschaftler beschränkt. Andererseits gibt es subtilere und indirektere Versionen dieser Ideologie, die als legitime, wenn nicht gar als richtige Annahmen über ethnische Gruppenbeziehungen angesehen werden (Barker 1981). So lassen sich bis heute Erklärungen über die »benachteiligten« schwarzen Völker (oder andere farbige Einwanderer) in den USA oder in Europa finden, über ihre pathologische »Familienkultur«, über das Fehlen einer »Erziehungskultur« oder über ihr Leben in einer »Kultur der Armut«. In ähnlicher Weise wird der niedrige sozio-ökonomische Status türkischer oder nord-afrikanischer Einwanderer, auch im wissenschaftlichen Diskurs, als »Kultur des Islam« und dessen Implikationen dargestellt. So werden viele der negativen Begleiterscheinungen solcher sozialer Lebenspraxen, wie Arbeitslosigkeit oder fehlende Ausbildung, den Opfern in die Schuhe geschoben.
Kulturelle Erklärungen ethnischer oder rassischer Ungleichheit sind in einer dominanten weißen Kultur willkommen, in der Gefühle rassischer Überlegenheit nicht mehr als legitim angesehen werden. In Wirklichkeit aber handelt es sich hier nur um eine Strategie zur Legitimierung weißer Gruppendominanz. Eine weitere ins Auge fallende Begleiterscheinung des heutigen Rassismus im akademischen (wie im Medien-)Diskurs ist die Leugnung jeglichen Rassismus. Ähnlich wie Journalisten fühlen sich viele weiße Wissenschaftler, auch solche, die sich mit ethnischen Fragen befassen, sehr verunsichert beim Thema »Rassismus« (Essed 1987). Sie neigen im erster Linie dazu, ihn als irrelevant zu betrachten, weil Gefühle rassischer Überlegenheit als veraltet gelten und der Begriff der Rasse wissenschaftlich höchst dubios ist. Zweitens betrachten sie ihn als wertenden, politischen Begriff, der nur in Verbindung mit Anschuldigungen Verwendung findet und nicht als beschreibender wissenschaftlicher Terminus. Sie mögen der Ansicht sein daß es ethnische Vorurteile und daß es Diskriminierung gibt, und sogar befürworten, daß solche Praxen bestraft werden, aber sie verweigern sich einer weiteren strukturellen Analyse solcher rassistischer Diskriminierungs-Praxen. Wie viele Journalisten neigen sie dazu, solche Praxen als »übertrieben« anzusehen und als unpassend zur Charakterisierung der kleinen Ungleichheiten des Alltags. Hier wird deutlich, daß Rassismus in wissenschaftlichen Diskursen tendenziell ignoriert und verharmlost wird oder als irrelevant bzw. übertrieben dargestellt wird. So kommt es, daß die wissenschaftliche Erforschung des Rassismus sowohl in den Niederlanden wie auch sonstwo auf weniger selbstbelastende Studien reduziert wird, die meist von weißen Wissenschaftlern durchgeführt werden, wie zum Beispiel »gruppenspezifische Kontakte und Konflikte«, »ethnische Beziehungen« und »interkulturelle Kommunikation«.
Diese sehr allgemeine Charakterisierung der Entwicklung eines akademischen Rassismus soll durch einige Beispiele spezieller akademischer Diskurse der jeweiligen Disziplinen ergänzt werden. So besteht eine alte Tradition in der Sprachwissenschaft darin, im Vergleich zu »primitiven« nicht-westlichen Sprachen eine logische oder rhetorische Überlegenheit der jeweiligen westlichen Sprachen zu konstatieren, was Ausdruck der ökonomischen und kulturellen Kraft des betreffenden Landes bzw. der betreffenden Sprache sei. In ähnlicher Weise wird den Pidgin- oder Kreolsprachen oder dem »Schwarzen Englisch« in den USA oft ein Mangel an Ausdrucksfähigkeit, Genauigkeit oder Logik im Vergleich zu ihren (westlichen) Ausgangssprachen bescheinigt (Smitherman-Donaldson 1988). Obwohl solche »Primitiv«-Wissenschaft bei den meisten Wissenschaftlern nicht mehr ernstgenommen wird, lebt sie als Laienversion in anderen Diskursen weiter.
Diese theoretische Position schlägt sich jedoch nicht immer in einer dementsprechenden Sprachpolitik nieder. In der gleichen Weise wie manchmal die »eigene Kultur« als schutzbedürftig gegenüber der »Invasion« anderer Kulturen betrachtet wird, so wird auch »unsere Sprache« zum Objekt nationalistischer, wenn nicht ethnozentrischer und rassistischer Interessen. ((Auch scheinbar harmlose Untersuchungen wie z. B. die empirische Erforschung der internationalen Stellung der deutschen Sprache müssen sich die Frage stellen lassen, welche politische Perspektive damit verbunden ist. S.J.)) In den meisten westlichen Ländern herrscht eine Bildungs- und sonstige Politik vor, die die dominante (westliche) Sprache privilegiert. Unterricht in »der eigenen Sprache und Kultur« gibt es zwar, wie oben gezeigt, doch seine Durchführung und seine Bedeutung werden skeptisch und kritisch beurteilt, egal welche wissenschaftlichen Aussagen hinsichtlich seines Nutzens für die Kinder vorliegen mögen (Skutnabb-Kangas 1984).
Auch die westlichen Forschungen auf dem Gebiet der Literatur und der Künste sind jahrhundertelang ähnlich ethnozentrisch orientiert gewesen. Theoretisch werden nicht-westliche Literaturen und Künste heute wiederum als wertvoll und ästhetisch gleichwertig angesehen, doch in der Praxis sieht es so aus, daß Kunstwerke aus der Dritten Welt wenig Zugang zu den westlichen Medien, Verlagen und Galerien erhalten, daß sie weniger Prestige und allgemein einen geringeren Status zugewiesen bekommen, wenn man sie denn überhaupt beachtet. Ausnahmen werden für »Exotica« gemacht, besonders wenn sie unsere eigenen Schriftsteller und Künstler beeinflussen, oder für einige vergangene Epochen, wie zum Beispiel die Ägyptische Klassik oder andere Künste des Mittleren Ostens, die nun in »westliche« Traditionen (und seine Museen) inkorporiert werden. Ganz ähnlich erhalten nicht-westliche Kunst und nicht-westliche Künstler in einigen Bereichen, wie z.B. Musik, spezielle Nischen, doch finden sie wiederum nicht die gleiche Wertschätzung wie westliche Musik. Für die meisten westlichen Universitäten genügt ein Blick auf die Verteilung der Fächer und Forschungsmittel, um zu sehen, daß die Gesellschaftswissenschaften weiterhin durch und durch ethno- und euro-zentrisch ausgerichtet sind.
Das gleiche Bild ergibt sich, wenn man die anderen Disziplinen der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften betrachtet (z.B. Geschichte), vor allem aber Psychologie, Soziologie und Anthropologie, die den zentralen Ort kultureller und ethnographischer Analyse nicht-westlicher Volker ausmachen; die Darstellungen der Wurzeln und der Geschichte dieser Volker, worauf ich hier nicht im einzelnen eingehen will, können aber als exemplarisch für die Entwicklung der herrschenden wissenschaftlichen Zugriffsweise auf nicht-westliche Kulturen angesehen werden. Die indirekten, trivialisierten Folgen solcher Diskurse überleben in den heutigen Schulbüchern. Das gleiche gilt für die Psychologie und die Soziobiologie, wo die Wissenschaftler bis heute fortfahren, mehr oder minder offen oder verdeckt nach angeborenen »Unterschieden« zwischen den »Rassen« zu suchen, z.B. was die Intelligenz angeht (Barker 1981; Haghighat 1988; Unesco 1983).
Zum Abschluß dieser kurzen Bemerkungen ist festzustellen, daß der akademische Diskurs kaum größere Glaubwürdigkeit verdient als andere Formen des Diskurses der Eliten. Seine verschiedenen Disziplinen haben nicht-westliche Völker (»Rassen«) in der Vergangenheit beständig und grobschlächtig diffamiert, und sie tun dies auch heute noch, allerdings mit subtileren Mitteln als früher, indem sie von ethnischen, sozialen oder kulturellen Unterschieden schwätzen. Selbst wenn sie theoretisch Gleichheiten und Ähnlichkeiten zwischen den »Rassen« zugeben, konzentrieren sich wissenschaftliche Untersuchungen und deren praktische Umsetzungen auf die besondere Stellung westlicher Sprachen, Literaturen, Künste, westlicher Gedankenlogik, Geschichte, sozialer Organisation, Technik oder Kultur ganz allgemein. Nahezu alle einflußreichen wissenschaftlichen Zeitschriften werden im Norden verlegt und von weißen Wissenschaftlern beherrscht.
Diese akademische Form des Elite-Rassismus steht aber nicht für sich alleine da. Schon oft konnte gezeigt werden, daß die Autorität und das Prestige der Wissenschaft ihren Diskursen einen besonderen Status verleiht. Heutige rechtsextremistische Gruppen legitimieren weiterhin ihre fremdenfeindlichen Ansichten durch Verweis auf rassistische Forschung von Gestern (und manchmal auch von heute), und sie bedienen sich fleißig dieses Diskurses. Ethnische, rassische oder Einwanderer-Politik, Konfliktmanagement in Krisenzeiten (z.B. nach Unruhen), Erziehung, die Medien und viele andere gesellschaftliche Institutionen benutzen die Ergebnisse der Forschung über Ethnizität und Rassenbeziehungen.
Mit anderen Worten: Akademische Eliten und ihre Rolle bei der Reproduktion von Rassismus sind keineswegs unschuldig. Wenn sie sich nicht direkt an der öffentlichen Debatte in den Medien beteiligen, was aber oft der Fall ist, könnte man annehmen, daß ihre Arbeiten sich kaum auf die öffentliche Meinung auswirken. Doch nichts wäre falscher als dies. Obwohl manchmal mit einer Verzögerung von Jahren oder Jahrzehnten, werden viele der Annahmen und Ideologien, die diesen Arbeiten zugrundeliegen bzw. sich daraus ableiten lassen, ebenfalls öffentlich und von anderen Eliten verbreitet (besonders von politischen Eliten, dem Erziehungswesen und den Medien) und dadurch in den Alltagsdiskurs eingespeist, in dem »Laien-Theorien« über ethnische und rassische Unterschiede, wenn nicht gar über die weiße oder westliche Überlegenheit, ein langes Leben führen. Ja, es kann gut sein, da der akademische Diskurs im Konzert des gesamten rassistischen Elite-Diskurses die erste Geige spielt und von allerhöchstem Einfluß ist.
6. Der politische Diskurs
Innerhalb der komplexen Machtstrukturen der meisten westlichen Länder dürfte die politische Macht offiziell die anderer Eliten odsr Organisationen übertreffen, auf jeden Fall aber z.B. die der Medien und der Wirtschafts-Verbände. »Ethnische Angelegenheiten« werden jedoch größtenteils von lokalen oder nationalen Regierungen gemanagt, von gewählten Körperschaften (Parlamente oder Stadträte) und von der Administration, die die wichtigsten Entscheidungen über Einwanderung, Ansiedlung, spezielle Beschäftigungsprogramme, Wohnungsbauprogramme, Gesundheitswesen und über die Erziehung von Minderheitengruppen oder Einwanderern treffen und durchsetzen und die einige der ethnischen Beziehungen regulieren (z.B. durch Anti-Diskriminierungsgesetze) .
Diese politischen Entscheidungen sind in hohem Maße diskursiv. Politik, Regeln und Verordnungen, Gesetze und allgemeine Prinzipien werden auf allen Ebenen lokaler oder nationaler Hierarchie informell diskutiert und auch formell bei Versammlungen von Kommitees oder auf Sitzungen gewählter Gremien besprochen und danach von solchen Institutionen verabschiedet. Danach werden sie an verschiedene Organisationen und Agenturen weitergegeben, z.B. die Polizei, den Einwandererdienst oder die Schulen oder, durch die Massenmedien, an die breite Öffentlichkeit.
Mit anderen Worten: Politische Kommunikation und politischer Diskurs sind in vielen Frühstadien des Entscheidens über relevante Aspekte ethnischer Angelegenheiten engstens beteiligt. Es ist offensichtlich, daß weder solche Entscheidungen noch ihre charakteristischen Diskurse autonom sind noch frei von Einflüssen anderer gesellschaftlicher Sektoren. Die öffentliche Meinung, die in höchstem Grade durch die Massenmedien, Anhörungen, Beratungen durch eine Vielzahl von Experten, Kommitees, Organisationen und Institutionen, Entscheidungen politischer Parteien, die Ministerialbürokratie oder andere staatliche Institutionen zum Ausdruck kommt und durch sie orchestriert wird, die Ansichten und Aktivitäten von Minderheitengruppen ebenso wie die verschiedenen »Sachzwänge« der sozio-ökonomischen Situation (z.B. die Arbeitslosenstatistik) und die internationale Situation (Ankunft von Flüchtlingen, Einwanderung und Flüchtlingsverträgen), sie alle stellen den Input und das Feedback bereit für diese Entscheidungsprozesse und damit für den politischen Diskurs.
Dieses dichte Beziehungsnetz von Macht, Einfluß und von Informationsprozessen bedeutet auch, daß wir den »politischen Diskurs« nicht einfach mit den persönlichen Ansichten der Politiker oder politischer Organisationen, wie sie in Texten und Reden zum Ausdruck kommen, gleichsetzen können. Die politische Stimme ist in der Regel nicht nur eine repräsentative Stimme, sondern auch eine vielgestaltig zusammengesetzte Stimme, die die Ansichten und selbst den Stil anderer mächtiger Organisationen und ihrer Eliten in sich birgt. Doch trotz dieser Heterogenität der Quellen und Einflüsse, und so etwas gibt es natürlich auch in anderen Bereichen (so zum Beispiel typischer Weise bei den Massenmedien), werde ich hier den politischen Diskurs und die politische Kommunikation in einem engen und begrenzten Sinne als Corpus von Texten und Reden von Politikern verstehen, also von Mitgliedern der nationalen und lokalen Exekutive und Legislative und von politischen Parteien und Organisationen.
Wissenschaftliche Untersuchungen zu Art und Weise des politischen Diskurses über ethnische Angelegenheiten sind leider höchst selten angestellt worden, oder sie analysieren bedauerlicherweise diese Diskurse nicht auschließlich als solche (Reeves 1983). Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungen über die Politik im Bereich ethnischer Angelegenheiten, aber sie tendieren dazu, in der üblichen Terminologie politischen Meinens und Entscheidens formuliert zu sein und nicht in der von Diskurs- und Kommunikationsstrukturen und -Strategien. Beispiele von politischem Diskurs über »Rasse« gibt es in der Literatur die Hülle und Fülle, aber nur in sehr verkürzter Form, nämlich in Gestalt von Illustrationen. Es gibt nur ganz wenige Untersuchungen, die sich speziell auf den politischen Diskurs über ethnische Angelegenheiten konzentrieren, und noch weniger, die dies mithilfe eines diskursanalytischen Ansatzes tun oder mit der Perspektive, die Bedeutung des Diskurses für die Reproduktion von Rassismus in der Gesellschaft zu verstehen (s. jedoch neben anderen Untersuchungen: Hall et al. 1978; Seidel 1985, 1987, 1988a, 1988b).
Eine der allgemeinsten Eigenarten, die den politischen Diskurs charakterisieren, ist die Tatsache, daß er, zumindest in gewissen Hinsichten, anderen Formen des Elitediskurses, z.B. dem der Medien, der Erziehung oder der Forschung, sehr ähnlich ist. Einer der Hauptgründe für diese Ähnlichkeit ist ein sehr einfacher: Die meisten Politiker, besonders in Europa, sind Weiße. Zweitens: Die meisten Wähler sind Weiße, und die meisten Politiker werden deshalb in erster Linie (im Prinzip) die Interessen ihrer (weißen) Wähler beachten. Oder umgekehrt: Es ist unwahrscheinlich, daß sie Entscheidungen zugunsten von Minderheitengruppen und nicht zugunsten der Weißen treffen. Drittens: Die meisten Organisationen, die systematischen Zugriff und Einfluß auf politische Entscheidungen haben, sind ebenfalls weiß. Nur in einigen Sonderfällen, z.B. bei Anti-Diskriminierungsgesetzen und Unterstützungsaktionen, lassen sich Entscheidungen finden, die möglicherweise Mitglieder von Minderheitengruppen stärker (zu) begünstigen (scheinen) als Mitglieder von Mehrheitsgruppierungen.
Dieses komplexe Bündel von Interessen and Einfluß bildet die Basis der vorherrschend weißen Ausrichtung des politischen Diskurses. Es gibt jedoch viele politische und ideologische Varianten, z.B. zwischen der Rechten und der Linken, obwohl solche Unterscheidungen im Hinblick auf ethnische Angelegenheiten nicht immer als zuverlässige Indikatoren fungieren. Obwohl kommunistische Politiker, die an ihre (weißen) Wähler in den Armutsvierteln der Innenstädte denken, gelegentlich vielleicht fremdenfeindliche Ansichten vertreten, wie das in Frankreich geschehen ist, können wir im Großen und Ganzen jedoch davon ausgehen, daß es eine hohe Korrelation zwischen der politischen Rechten und der »ethnizistischen Rechten« gibt. Die »ethnizistische Rechte« setzt sich aus solchen Politikern oder Organisationen zusammen, die ganz allgemein weitere Restriktionen gegen Einwanderer, wenn nicht gar Rückführungen, favorisieren, die gegen ei-ne multiethnische Gesellschaft sind, gegen besondere Maßnahmen zugunsten der Minderheitengruppen und insgesamt dafür, die dominante weiße Kultur ohne Wenn und Aber zu verabsolutieren (Gordon / Klug 1986).
Um uns ein Bild von den Hintergründen des dominanten politischen Diskurses über ethnische Angelegenheiten zu machen, wollen wir in aller Kürze den neuen Bericht des Untersuchungskommitees »Rassismus und Fremdenangst« des Europäischen Parlaments betrachten, der Auskunft gibt über ethnische Angelegenheiten in den jeweiligen Mitgliedsländern, ((Zur Zeit der Abfassung des Papers noch nicht veröffentlicht; inzwischen aber beim Europarlament erhältlich, S.J.)) Diese Berichte geben auch einen Überblick über die Standpunkte politischer Führer und Gruppen. Hier eine Auswahl aus verschiedenen EG-Ländern:
(1) Der Innenminister der Belgischen Regierung nannte 1987 Einwanderer »Barbaren«. Die Rechtspartei Parti des Forces Nouvelles (PFN) verteilte ungestraft Flugblätter mit der Parole »Schluß mit den Barbaren«.
(2) Trotz gesetzlicher Anerkennung des Unterrichts in Islam in Belgien weigerten sich zwei Bürgermeister, Moslem-Kurse in den lokalen Schulen zu erlauben.
(3) Einer dieser Bürgermeister, Herr Nols aus dem Brüsseler Stadtteil Schaarbeek, stellte, daneben, daß er ein rassistisches Buch über Einwanderer verfaßte, 150.000 Exemplare einer »Informationsschrift« her, in der Nord-Afrikaner als Terroristen, religiöse Fundamentalisten und Drogenabhängige verleumdet wurden, und ließ sie an den Schulenverteilen. Bei einer Sitzung des Stadtrats bezeichnete er Marokkaner als Ursache mangelnder Sicherheit und als »die Barbaren von heute«.Herr Nols war so populär bei der weißen Bevölkerung von Schaarbeek, daß sogar die sozialistischen Parteien mit ihm ein Abkommen zu erreichen versuchten.
(4) Ein königliches Dekret erlaubte sechs Stadtteilen in Brüssel, für fünf Jahre jede Registration von neuen Einwanderern zu verweigern.1900 wurde dieses Verdikt durch die Regierung um zwei Jahre verlängert.
(5) In Dänemark gibt es keine anti-rassistische Gesetzgebung. Forderungen nach einer solchen Gesetzgebung wurden vom Justizministerabgelehnt, der meinte, Fremde erfreuten sich jetzt schon eines ausreichenden Schutzes durch die bestehenden Gesetze.
(6) Als ein Mitglied einer ultrarechten Partei Dänemarks, der Fremskridt Partei (die 1988 fast 10 % der Wählerstimmen auf sich ziehen konnte) Flüchtlinge als »die riesigen Horden von Terroristen, die hieraus dem Mittleren Osten und Sri Lanka hereinfluten«, bezeichnete und behauptete, »daß sie sich wie Ratten vermehren«, stimmte der Justizminister mit dem Staatsanwalt darin überein, daß dies »angesichts des Kontextes, in dem diese Bemerkungen fielen«, keine hinreichenden Gründe für eine Bestrafung nach dem Anti-Diskriminierungs-Paragraphen seien.
(7) Der Rat der Stadt Ishoj stimmte 1988 dafür, die Zahl der Einwanderer zu begrenzen, »um die Integration in die Dänische Gesellschaft zu erleichtern« und »Fremdenangst zu verhindern«. Der sozialdemokratische Bürgermeister bezichtigte Türken der »Khomenisierung« Ishojs.
(8) Wie auch anderswo zu beobachten, beschloß die Gruppe der Abgeordneten der BRD im Europaparlament keine besonderen legislativen Maßnahmen auf der Grundlage der Anerkennung der Erklärung der Deklaration gegen Rassismus und Fremdenangst, als sie erfuhr, »dass die Bundesregierung der Ansicht ist, daß die bestehenden gesetzlichen Instrumente ausreichen, ungewünschten Entwicklungen wirksam zu begegnen. ((Selbst das Grundgesetz der BRD geht in Art. 3 (3) davon aus, daß es menschliche Rassen gebe, was wissenschaftlich seit langem widerlegt ist. Es fördert dadurch ein rassistisches Menschenbild. S.J.))
(9) Die Bonner Regierung hat sich systematisch geweigert, jedem Projekt des Europäischen Sozialfonds zur Unterstützung der Sinti und Roma zuzustimmen.
(10) Trotz der wachsenden Zahl rassistischer Morde in Frankreich stellte ein Französischer Repräsentant im Europaparlament bei einer Anhörung entgegen allen Forderungen von Menschenrechtsgruppen fest, daß »die Einführung neuer Gesetze nicht als Priorität angesehen werde«. Neue Gesetze wurden erst dann angekündigt, als später drei weitere Nordafrikaner umgebracht worden waren. Nur die Sozialistische Partei votierte für dieses 1990er Gesetz; alle anderen stimmten dagegen.
(11) Bürgermeister verschiedener französischer Städte haben den Minister für Erziehung öffentlich aufgefordert, daß er Kinder aus Nicht-EG-Ländern nicht zu den lokalen Schulen zuließe, um auf diese Weise die Politiker mit einem »Schock« dazu zu bringen, der Einwanderung Zügel anzulegen.
(12) Präsident Mitterand bediente sich eines stark rechtsextremen Diskurses, als er erklärte, »die Schwelle der Toleranz« (gegenüber Einwanderung) sei erreicht.
(13) Die konservativen Oppositionsparteien in Frankreich übernahmeneinige der Vorschläge, die früher von Le Pens Front National erhoben worden waren.
(14) Nach vielen rassistischen und antisemitischen Äußerungen von Le Pen und vielen anderen lokalen Politikern in Frankreich zur Einwanderungsfrage äußerte der Vertreter der Front National im Europaparlament, Herr Autant Lara, Bedauern darüber, daß die Nazis es versäumt hätten Frau Simone Weil, ehemalige Präsidentin des EP und prominentes Mitglied der dezimierten französisch-jüdischen Gruppe, zu vergasen.
(15) Wie die konservative Opposition beschloß auch die Sozialistische Regierung in Frankreich, ihre Pläne, (einigen) Einwanderern das kommunale Wahlrecht zu gewähren, nicht weiter voranzutreiben.
(16) Trotz zunehmender rassischer Intoleranz hat Italien keine neueren Gesetze oder Verordnungen verabschiedet, um Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen.
(17) In der Schweiz gibt es keine Gesetzgebung, durch die Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bekämpft werden könnten.
(18) In Norwegen gewann die extrem rechte Fremskrit-Partei 13 % der Stimmen bei den nationalen Wahlen 1989, wodurch sie zur drittstärksten politischen Kraft im Lande wurde.
Das ist nur eine kleine Auswahl der politischen Fakten, die dem Kommittee des EP berichtet worden sind, Fakten, die selbst nur die Spitze eines Eisbergs von Rassismus in Europa darstellen. Doch wir erhalten dadurch einen Eindruck vom politischen Kontext, den Ideologien, Praxen und Diskursen über Minderheiten und Einwanderung. Wir können einige der wichtigsten Punkte zu diesen politischen Ideologien und Diskursen wie folgt auflisten:
(a) Die Weißen sind überlegen. Einwanderer sind kulturell und moralisch minderwertiger (»Barbaren«, Verbrecher, Drogenabhängige, religiöse Fanatiker, Schnorrer usw.)
(b) Rassismus, Diskriminierung oder Fremdenfeindlichkeit sind keine Probleme, für die es einer nationalen Gesetzgebung bedarf, und sie haben auch keine politische Priorität. Die gegebene Gesetzeslage reicht aus. Trotz wiederholter Aufforderungen anti-rassistischer Organisationen haben die Europäischen Staatsmänner niemals bindende Verpflichtungen verabschiedet und erst recht keine ernsthaften Maßnahmen gegen Rassismus in Europa ergriffen.
(c) Rechtsextremistische rassistische Äußerungen brauchen nicht(ernsthaft) verfolgt zu werden, selbst wenn dabei gegen bestehende Gesetze verstoßen wird.
(d) In »Not«-Fällen dürfen die Politiker diskriminierende Handlungen gegen die Einwanderung, die Ansiedlung oder die Einführung der Bürgerrechte vornehmen.
(e) Es wird davon ausgegangen, daß Gesellschaften und Kulturen eine »Schwelle« der Akzeptanz von Einwanderern besitzen, die z.B. an absoluten Zahlen oder Prozenten festgemacht wird. Das bedeutet, daß weiße Kommunen schlicht erklären können, daß ihre »Toleranzschwelle« überschritten und Diskriminierung deshalb rechtens sei.
Die Konsequenzen, die aus diesen Ideologieversatzstücken zu ziehen sind, bringen einen aus der Fassung. Während die extremistischen Rechten einen offenen rassistischen Diskurs pflegen, verwenden die dominanten politischen Kräfte zwar die gleiche Ideologie, ihre Aktivitäten gegen Einwanderung und gleiche Rechte sind jedoch »moderater«. Mit anderen Worten: Der Rassismus der Rechtsextremen ist dafür nützlich, daß solche Formen des Rassismus verwendet werden können, die vergleichsweise weniger krass zu sein scheinen. Deshalb ist es auch nicht überraschend, daß der politische und ideologische Extremismus weder mit aller Kraft zensiert noch sonstwie gesetzlich geahndet wird. Rassistische Parteien werden nicht aufgelöst, auch wenn sie außerhalb des gesellschaftlichen Konsens gestellt werden. Die Taten und die Propaganda ihrer Mitglieder werden nur symbolisch bestraft. Eine generelle Gesetzgebung gegen Diskriminierung wird selten oder gar nicht beschlossen oder verschärft, weil dies nicht nur dazu führen würde, den (nützlichen) Rechtsextremismus weiter an den Rand zu drängen oder zu zerstören, sondern weil sich das auch auf die »moderaten« Formen des Rassismus anderer politischer Gruppen auswirken würde, und mehr noch, auf die Mehrheit der weißen Bevölkerung. Weil diese Mehrheit einen solchen Rassismus kategorisch bestreitet, betrachtet man eine anti-rassistische Gesetzgebung als einen nicht zu tolerierenden Angriff auf den moralischen Status der Weißen.
7. Der Diskurs im Geschäfts- und Arbeitsleben
Obwohl Diskriminierung im Geschäftsleben auf breiter Ebene nachgewiesen ist (Fernandez 1981; Jaynes / Williams 1989; Jenkins 1986; Jenkins / Solomos 1987), gibt es kaum Daten und Forschungsergebnisse über den Wirtschaftsdiskurs über ethnische Angelegenheiten. Anders als bei politischen, sozialen, erzieherischen oder akademischen Diskursen wird über diese Formen von Diskriminierung in Text und mündlicher Rede nur selten in den Medien berichtet; und wenn das auch nur daran liegt, daß dieser Bereich für Journalisten kaum zugänglich ist. Großfirmen und ihre PR-Abteilungen üben penibel Kontrolle über das aus, was in der Presse berichtet wird, und sie geben nicht so schnell Einblick in die alltäglichen Formen der Entscheidungsfindung und die täglichen Praxen von Einstellung, Beförderung, Interaktion und Geschäftstransaktionen, die Minderheitengruppen betreffen.
Doch aus Untersuchungen über die Erfahrungen, die Mitglieder von Minderheitengruppen gemacht haben, geht unzweideutig hervor, daß der Grad des täglichen Rassismus und der diskriminierenden Praxen im Geschäftsleben erheblich ist (Essed 1984, 1991). Diese Praxen können selbst diskursiv sein oder in Schrift und Rede gerechtfertigt werden. Die hervorstechenden Eigenarten dieses Diskurses korrespondieren mit den allgemeinen Zielen des kapitalistischen Wirtschaftens, und das sind Wettbewerb und Profit. Wenn Angehörige von Minderheiten seltener eingestellt und befördert werden, dann wird dies mit unterstellten Bildungs- und Ausbildungs»defiziten« gerechtfertigt, mit vermuteten »Schwierigkeiten“, die Beschäftigte, die aus Minderheitengruppen stammen, verursachen, oder damit, daß die Präsenz von Beschäftigten aus Minderheiten die Wettbewerbsfähigkeit mindere. Besonders in Europa wird jede Hilfestellung oder jedes auf Minderheiten bezogene Bemühen, der eklatanten Arbeitslosigkeit bei Minderheitengruppen zu begegnen, resolut als Form unerträglicher Einmischung in die »Freiheit der Wirtschaft« zurückgewiesen. Mit Hinweis auf die Minderung der Wettbewerbsfähigkeit kommen die Firmen, was die Verweigerung einer Einstellung betrifft, in der Regel ungeschoren davon.
8. Der Alltagsdiskurs
Diese verschiedenen Formen des Elite-Diskurses werden, zumindest teilweise, durch die Massenmedien an die breite Bevölkerung weitergegeben. Unsere Analysen in Verbindung mit dem Forschungsprojekt über die Reproduktion von Rassismus in Alltagsgesprächen haben immer wieder gezeigt, daß solche elitären Formen des Rassismus einen riesigen Einfluß auf die alltäglichen Ansichten und Diskurse haben (van dijk 1987a). Die Themen des Alltagsdiskurses über Minderheiten sind größtenteils mit denen der Massenmedien identisch. Beispiele und Illustrationen zeigen, daß nur wenige weiße Sprecher Geschichten erzählen, die auf persönlichen Erfahrungen beruhen. Die Argumentation, bestimmte Redewendungen und der Stil sind häufig direkt aus dem (öffentlichen) Mediendiskurs entliehen. Negative Geschichten über Minderheiten können dadurch abgesichert werden, daß darauf verwiesen wird, »man lese so etwas täglich in den Zeitungen«. In ganz ähnlicher Weise können Mitglieder rassistischer politischer Parteien Laienversionen rassistischer Pseudo-Wissenschaft formulieren. Mit anderen Worten: Ein Großteil des Alltags-Diskurses über »Rasse« scheint in den Elite-Diskursen präformuliert zu sein.
Doch der Alltagsdiskurs über ethnische Minderheiten hat auch gewisse autonome Dimensionen, die z.B. von den Besonderheiten der sozio-ökonomischen Situation abhängig sind. Weiße in armen innerstädtischen Nachbarschaften äußern ihren Zorn über schlechte Wohnungen und Arbeitslosigkeit, indem sie die Einwanderer dafür verantwortlich machen. Ja, sie können sogar der Regierung (oder anderen Eliten) vorwerfen, daß sie »diese Leute hereinkommen ließen«. Mit anderen Worten: Es gibt auch einen »Volkszorn« gegen liberale oder moderate Haltungen gegenüber dem Zuzug von Einwanderern. Rassistische Parteien, wie die Front National in Frankreich, nutzen diesen Aspekt des Volkszorns mit großer Präzision für ihre Zwecke aus. Das heißt, selbst wenn volkstümliche Formen des Zorns gegen Einwanderer in Alltagserfahrungen der Klassenunterdrückung begründet sein mögen, können sie von rechtsgerichteten politischen Eliten »gemanaged« werden. Ganz ähnlich rechtfertigen und, infolgedessen: stärken, die dominanten politischen Parteien und die Regierungen umgekehrt diesen volkstümlichen Rassismus, indem sie ihre eigenen Formen ethnischer Ausschließung und Marginalisierung verwenden, zum Beispiel indem sie die Einwanderung einschränken oder, wie dies in Frankreich und Deutschland der Fall ist, indem sie den Einwanderern das Wahlrecht vorenthalten.
Es gibt verschiedene Gründe dafür, weshalb der alltägliche Rassismus nur begrenzt autonom ist. Erstens kann er nur einflußreich sein, wenn er in der ganzen Bevölkerung verbreitet ist, und das ist ohne Zutun der Massenmedien unmöglich. Zweitens: Unsere Forschungsergebnisse zeigen, daß der volkstümliche Rassismus sich nicht nur in ethnisch gemischten Wohnvierteln findet und daher nicht nur auf persönlicher Erfahrung gründet, noch daß er in erster Linie von sozio-ökonomischen Faktoren wie schlechten Wohnungen, Verfall der Innenstädte oder Arbeitslosigkeit abhängig ist. Drittens: Einwanderer und Minderheitengruppen, die nicht oder nur selten von den Massenmedien negativ dargestellt werden, z.B. die Vietnamesischen Bootsflüchtlinge, Flüchtlinge aus anderen kommunistischen Ländern oder weiße Einwanderer sind bedeutend seltener Ziel des Volkszorns. Mit anderen Worten: Diese und andere Faktoren scheinen darauf zu verweisen, daß die volkstümliche Feindlichkeit gegen Minderheiten und Einwanderer größtenteils von den Medien und den politischen Eliten gemanaged und manipuliert wird.
9. Schlußfolgerungen
Wir haben behauptet, daß Eliten, und aus diesem Grunde auch der Elite-Diskurs, eine herausragende Rolle bei der Reproduktion von Rassismus spielen. Während Rassismus auf der Makroebene in der Sprache weißer Gruppenmacht definiert wird, die über Minderheiten, Einwanderer oder (andere) Menschen aus der Dritten Weit ausgeübt wird, übt der Diskurs diese Dominanz auf der Mikroebene der Kommunikation aus. Dies geschieht sowohl entlang der Dimension sozialen Handelns, nämlich wenn der Diskurs selbst als diskriminierende Handlung, die sich gegen Minderheiten richtet, interpretiert wird, oder entlang der Dimension sozialer Erkenntnis und Ideologie, wo Diskurs als Mittel der Bewußtseinsbildung angesehen wird. In letzterem Falle funktioniert der Diskurs innerhalb der weißen Gruppe als der Hauptkanal für den Erwerb sozialen Wissens über ethnische Angelegenheiten. Dieses soziale Wissen ist umgekehrt die Kernbedingung für rassistisches Handeln.
Weil der Diskurs eine derart bedeutende Rolle bei der Reproduktion der Macht spielt, ist ferner angenommen worden, daß diejenigen (weißen) Gruppen, die die Mittel der Ideologieproduktion besitzen oder aber doch leichten Zugang dazu haben, auch eine (teilweise) Kontrolle über diejenigen Diskurse ausüben, die ihre eigene Herrschaft rechtfertigen. So kommt es, daß, obwohl die weiße Gruppe als Ganze die Minderheitengruppen dominiert, die Eliten wiederum den öffentlichen Diskurs kontrollieren und damit die Bedingungen der Ideologieproduktion innerhalb der weißen Gruppe, einschließlich der herrschenden Ideologien über ethnische Angelegenheiten. Deshalb nehmen wir an, daß, obwohl es Formen eines »volkstümlichen« Rassismus gibt, ihre ursprüngliche Ausarbeitung durch verschiedene Eliten vorgenommen wird.
Um die Implikationen dieser Annahmen zu überprüfen, haben wir ein paar typische Diskursformen, die von den Eliten kontrolliert werden, untersucht, nämlich den Diskurs der Massenmedien, den des Ausbildungswesens, der Wissenschaft und der Politik, Auf jeweils unterschiedliche Weise haben diese Diskurstypen bestimmte Formen von sozialem Einfluß auf die Öffentlichkeit allgemein, ebenso wie auf andere Diskurstypen.
So konnten wir feststellen, daß die Behandlung ethnischer Angelegenheiten in der Presse ein zentrales Einfallstor für andere Formen des Elite-Diskurses darstellt. Die Presse berichtet über politische, soziale, wissenschaftliche oder die Erziehung betreffende Diskurse über ethnische Angelegenheiten; doch sie durchbricht diese scheinbar »passive« Rolle, indem sie ihre eigenen Strategien der Nachrichtenproduktion entwickelt, einschließlich Quellen und Quellentextauswahl und -rekonstruktion, Zusammenfassung, stilistischer Überarbeitung, Schwerpunktsetzung, verschiedener Formen des Erzählens und, besonders in Hintergrundartikeln und bei Leitartikeln, ihrer eigenen Argumentationsstrategien. Auf diese Weise kann die Presse den Diskurs von Minderheiten ignorieren, die Diskurse bestimmter politischer Gruppen dramatisieren oder verharmlosen und ganz allgemein ihr eigenes Bild der ethnischen Situation zeichnen. Die Analyse der Themen, der Nachrichtenschemata, der hierarchischen Anordnung, der lokalen Redewendungen, von Stil und Rhetorik und die der Argumentationsmuster zeigen, wie Journalisten ethnische Ereignisse kognitiv repräsentieren und sozial präsentieren. Wir haben herausgefunden, daß dieses »Bild« in hohem Maße stereotyp ist, wenn nicht sogar gelegentlich mit Vorurteilen gespickt und rassistisch, besonders in der Rechtsaußenpresse. Überall werden die Minderheiten so (re-)präsentiert, daß sie Probleme machen, Konflikt erzeugen und die weiße Mehrheit bedrohen, welche selbst neutral bis positiv gezeichnet wird. Besonders in Europa werden Journalisten aus den Minderheiten kaum eingestellt, und es gibt, ganz allgemein gesagt, keine Minderheitenperspektive bei der Präsentation ethnischer Ereignisse. Nicht nur, daß die Weißen die Definitionsmacht über alle Situationen behaupten; besonders den weißen Eliten des Staates und anderer Institutionen wird darüber hinaus absolute Priorität eingeräumt, wenn nicht sogar Exklusivität hinsichtlich der Herrschaft über den öffentlichen Diskurs.
In kleinerem Rahmen gilt dies auch für Schulbücher. Als die wichtigsten Mittel, erzieherische Curricula und Praxen zu unterstützen, statten solche Lernmaterialien die Kinder mit der ersten Definition »anderer« Völker aus, wie Minderheiten und (andere) Völker der Dritten Welt. Unsere eigenen Untersuchungen bestätigen, was bei vielen anderen Studien in verschiedenen Ländern festgestellt werden konnte, nämlich daß solche Schulbücher bis weit in die 80er Jahre entweder dazu tendieren, die gesellschaftlichen, geographischen oder historischen Tatsachen über Minderheiten und Völker der Dritten Welt zu ignorieren oder zu marginalisieren oder diese Gruppen in einer stereotypen oder sogar negativen Weise zu präsentieren. In solchen Schulbüchern wird davon ausgegangen, daß der Klassenraum immer noch weiß ist, wie am Stil und den Bebilderungen der Lektionen über ethnische Angelegenheiten leicht abzulesen ist. Hauptthema ist die kulturelle Differenz, die meist in stereotyper oder vorurteilshafter Sprache geschildert wird, nämlich als Quelle von Schwierigkeiten und Konflikten. Die eigene, weiße (westliche, europäische) Gruppe wird, mit einigen winzigen Ausnahmen (gelegentliche Kritik an Kolonialismus, Sklaverei oder Diskriminierung), durchweg neutral oder positiv dargestellt.
Der politische Diskurs über ethnische Angelegenheiten ist Ausdruck und bedeutet zugleich Verankerung von Entscheidungsmacht und der damit verbundenen Interessen. Hier dienen Rechtfertigung und Kontrolle im Kern dazu, neben anderen Angelegenheiten Einwanderungspolitik und die Praxis des Umgangs mit Einwanderern, Ansiedlung, Sozialhilfe, (Nicht-)Beschäftigung, Gesundheitsversorgung und Erziehung vorzubereiten oder darüber Rechenschaft abzulegen. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß der Machtkampf in der Politik zu einer Ideologie eines (weißen) »ethnischen Konsensus« führt. Dieser Konsens rechtfertigt in erster Linie die weiße Vorherrschaft, indem Rassismus geleugnet wird oder sein Vorkommen auf die Gedankenwelt von Rechtsextremisten beschränkt wird. Zweitens suggeriert er Gleichheit, Fairness oder Toleranz in einer pluralistischen Sozialordnung. Ungleichheit wird dadurch erklärt und entschuldigt, daß die Opfer angeklagt werden, z.B. indem man den Minderheiten Mangel an Lern-Motivation, unzureichende Arbeitsmoral oder andere negative Eigenschaften andichtet. Eine weitere Erklärung für den Mißbrauch von Bürgerrechten ist der »Notfall«, der gegeben sei, wenn »die Schwelle der Toleranz« überschritten sei, z.B. durch große Einwandererzahlen oder soziale Konflikte. In diesem Rahmen positiver Selbstdarstellung und negativer Darstellung der Anderen, was auch den Medien-Diskurs charakterisiert und deshalb als Vorbild für die gesamte weiße Öffentlichkeit dient, werden antirassistische Gesetze oder die Verschärfung von Anti-Diskriminierungsgesetzen und -paragraphen für überflüssig gehalten.
Der rassistische Diskurs im Wirtschafts- und Erwerbsleben tritt im wesentlichen in den folgenden drei Formen auf, nämlich (1) als dis-kursiver Rassismus als Teil der mit der Arbeit verbundenen Interaktionen, (2) als Rechtfertigung diskriminierender Praxen bei Einstellung und Beförderung, und (3) als Ablehnung von Chancengleichheit und Hilfsmaßnahmen. Obwohl weniger offen und weniger öffentlich als andere Formen des rassistischen Diskurses, ist es aber genau diese Gestalt des Alltags-Rassismus bei der Arbeit und im Geschäftsleben, die vielleicht die unangenehmsten Konsequenzen für das Alltagsleben der Angehörigen von Minderheitengruppen in sich trägt.
Auf scheinbar noch niedrigerer Ebene stellt der rassistische akademische Diskurs die zentrale Rechtfertigung für den ethnischen Diskurs anderer Eliten bereit, z.B. in der Politik, den Medien und im Bereich der Erziehung und auch im Arbeitsleben. Seit einigen Jahrhunderten und bis heute haben Wissenschaftler die ideologischen Eckpfeiler bereitgestellt, die sehr schön zu den Laienversionen ethnischer Ungleichheit paßten, z.B. indem sie von rassischer Minderwertigkeit, genetischen Besonderheiten, kulturellen Unterschieden, Vererbungslehre und anderen Pseudo-Theorien schwafelten, die allesamt nichts anderes darstellen als raffinierte (und auch manchmal nicht einmal so sehr raffinierte) Reformulierungen der rassistischen Vorstellungen ihrer Urheber. Obwohl weiterhin und bis heute die krassen Versionen dieser Formen von Sozial-Darwinismus, Vorherrschaft der Eliten oder weißer (männlicher, bürgerlicher, westlicher etc.) Überlegenheit veröffentlicht und diskutiert werden, stellen sie nicht mehr den Hauptstrom dar, obwohl ihre Vertreter gelegentlich immer noch hervorragende Posten einnehmen. Obwohl sie eine unbedeutende Rolle in der Wissenschaft spielen, gelten sie weiterhin als legitim: Sie werden nicht aktiv zensuriert, verboten oder verfolgt. Ihre Legitimität wird auch darin gesehen, daß sie »Diskussionen« lostreten, die zu einer Art »Körnchen Wahrheit«-Effekt in moderateren wissenschaftlichen Versionen von »Theorien« über soziale und ethnische Ungleichheit führen. Diese aber sind es, die den politischen, den Medien- und Erziehungsdiskurs beeinflussen, wie wir das leicht an den herrschenden neo-konservativen und neo-liberalen Ideologien sehen können, die mit der Haltung: »Das ist doch kein Unsinn!« die Beschäftigung mit ethnischen Fragen verteidigen, wodurch die sozialen, ökonomischen und kulturellen Folgen des Rassismus wirkungsvoll verschleiert werden.
Wir haben ferner behauptet, daß jener »völkische« oder Alltags-Rassismus, der zwar eine gewisse Eigenständigkeit besitzt, wenn er sich auf alltägliche sozio-ökonomische Erfahrungen bezieht, in hohem Maße aber durch die diversen Diskurse der Eliten vorformuliert und gemanaged wird. Die Menschen neigen oft dazu, ihre Anti-Einwanderer-Stories und -argumente durch Verweis auf »Fakten«, die die Medien berichtet haben, abzusichern. Und obwohl der völkische Rassismus im allgemeinen dazu tendiert, die »Politiker« für die »ethnische Situation« verantwortlich zu machen, rechtfertigen und d.h. verstärken die meisten politischen Parteien den Volkszorn, indem sie zunehmend harte Entscheidungen zur Einwandererfrage verabschieden. Andere Belege zeigen, daß der Volkszorn gegenüber Einwanderern eine direkte Folge des von der Elite kontrollierten öffentlichen Diskurses über solche Einwanderer darstellt, wie man leicht an den verschiedenen Einstellungen gegenüber unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen ablesen kann. Wir können deshalb insgesamt schlußfolgern, daß es die Eliten und ihre Diskurse sind, die den ethnischen Konsens herstellen, der die Basis für den heutigen Rassismus abgibt.
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