Tagungsbericht zum Colloquium von DISS und Pro Asyl in Kooperation mit der Akademie Frankenwarte in Würzburg, 18. bis 20. November 2011.

Vom 18. bis 20. November trafen sich in der Frankenwarte in Würzburg Rassismusforscherinnen und –forscher zu einem Colloquium mit dem Ziel, aktuelle Formen von Rassismus in Deutschland auszumachen und vor diesem Hintergrund Perspektiven für die Rassismusforschung zu formulieren. Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung und Pro Asyl hatten bereits vor 10 Jahren ein gemeinsames Colloquium zum institutionellen Rassismus in Deutschland ausgerichtet. Beim diesjährigen Colloquium wurde diese Fragestellung allerdings ausgeweitet: Die Rassismusforschung sollte insgesamt in den Blick genommen und die Frage gestellt werden, was diese Forschung, die sich in Deutschland ab den 1980er Jahren entfaltete, zur Bekämpfung von Rassismus beigetragen hat und was sie überhaupt dazu beitragen kann.

Denn eines ist klar: Rassismus in all seinen Varianten ist weiterhin eine großes Problem in Deutschland. Das gilt sowohl für die institutionellen Ebene wie für Medien, Politik und Alltag. Er führt zu massiven Ausgrenzungen und stellt sich quer zu emanzipatorischen Konzepten des gesellschaftlichen Umgangs. Allerdings hat er in den letzten Jahren sein Gesicht verändert. Deshalb steht die Frage danach, ob und wie kritische Wissenschaftlerinnen diesen Veränderungen Rechnung tragen.

Das heißt: Auch wenn Rassismus und Antisemitismus heute noch in der Gesellschaft virulent sind, haben die Analysen der Rassismusforschung mit dazu beigetragen, dass bestimmte rassistische Diskurse in den Hintergrund getreten sind. Dies gilt z.B. in gewissem Umfang für biologistische Begründungen von Rassismus. Dagegen haben jedoch Argumentationen deutlich zugenommen, in denen Rassismus mit kulturellen und sozialen Argumenten begründet wird. Dies zeigt insbesondere die Debatte um die Ausführungen von Thilo Sarrazin, deren expliziter Rassismus mit sozialdarwinistischen und  kulturalistischen, darüber hinaus aber auch mit ökonomischen und biologistischen Argumenten begründet wurde.

Auch der spätestens seit dem 11.9.2001 sich verschärfende Diskurs um Islam und Islamismus hat zu diskursiven Verschiebungen geführt. Zwar war bereits vor diesem Zeitpunkt die Ethnisierung von Sexismus, bei der die Unterdrückung von Frauen zum Alleinstellungsmerkmal des Islams gemacht wird, durchaus gängig, doch wurde der Islam insbesondere nach diesem Zeitpunkt mit Fundamentalismus und damit verbunden auch mit Terrorgefahr verknüpft.

Von daher hatte das Colloquium die Aufgabe, aktuelle institutionelle Verfestigungen rassistischen Wissens und seine unterschiedlichen Formen zu thematisieren und zu bewerten. Davon ausgehend sollte die Frage nach neuen Perspektiven der Rassismusforschung und nach der Entwicklung von Gegenstrategien gestellt werden.

Zum Auftakt des Colloquiums sprach Nora Räthzel (Umea/Schweden). In ihrem Vortrag 20 Jahre Rassismusforschung. Eine Bilanz mit Perspektive verfolgte sie die Veränderungen in den Fragestellungen, den Forschungsschwerpunkten und Perspektiven der Rassismusforschung seit den 80er Jahren. Sie beleuchtete die Einflüsse der deutschen Rassismusforschung aus dem angelsächsischen Bereich und die sozialen Akteure, die sich mit Rassismus beschäftigt haben. Rassismusforschung erscheint danach als Bestandteil allgemeiner Gesellschaftsforschung, in die auch insbesondere Macht- und Herrschaftsverhältnisse systematisch einbezogen werden.

Der erste Teil des Colloquiums thematisierte die derzeitigen dominanten Formen und Vermittlungen von Rassismus.

Yasemin Shooman (Berlin) setzte sich in ihrem Beitrag zum Thema Vom äußeren Feind zum Anderen im Inneren. Antimuslimischer Rassismus im Kontext europäischer Migrationsgesellschaften mit Prozessen der Rassifizierung auseinander, denen Muslime und Muslima in Deutschland ausgesetzt sind. Die Rede des Bundespräsidenten Christian Wulff, in der er den Islam als zu Deutschland gehörig definierte, und die sich daran anschließende Debatte haben diese Prozesse wieder einmal deutlich werden lassen. Dabei ist jedoch eine Verschiebung in der Wahrnehmung zu beobachten. Türkinnen und Türken werden zunehmend als Muslima und Muslime wahrgenommen, wobei auf christlich-islamfeindliche und anti-orientalistische Traditionen zurückgegriffen wird: Dem vernünftigen und zivilisierten Christentum wird ein unvernünftiger und unzivilisierter Islam gegenübergestellt.

Thomas Bryant (Berlin) beschäftigte sich am Beispiel des Demographiediskurses aus historischer Sicht mit dem ideologischen Kern des Rassebegriffs. Er konnte zeigen, dass dieser Kern auch über verschiedene politische Zäsuren und Systemwechsel der Jahre 1918, 1933, 1945/49 und 1989/90 hinweg eine zählebige Kontinuietät aufweist. Auch dort, wo der Terminus „Rasse“ durch Alternativbegriffe wie „Volk“ und „Kultur“ ersetzt wurde, zeigt die genauere Betrachtung weiterhin den biologistischen Gehalt dieser Kategorien.

Einer seit Jahren zunehmenden Vermittlungsform rassistischen Wissens, die in der Praxis beängstigende Ausmaße annimmt ging Sebastian Reinfeldt (Wien) nach, als er sich die Frage nach dem Funktionieren der Diskurs-Maschine stellte, die unter dem Label „Rechter Populismus“ diskutiert wird. Rechter Populismus versteht es, ideologisch unterschiedliche Elemente zu kombinieren, dabei aber immer rassistische Stereotype zu reproduzieren. Im Anschluss an das semiotische Viereck von A.J. Greimas entwickelte er ein „populistisches Viereck“, das er anhand der Finanz- und Schuldenkrise in Europa illustrierte. Es lässt sich so ein Nord-Süd Rassismus ausmachen, in dessen Perspektive sich der reiche und vernünftige Norden Europas gegen die faulen und verschlagenen Südländer zur Wehr setzen müsse.

Der zweite Teil des Colloquiums beschäftigte sich mit in institutionellen Verfestigungen von Rassismus. Hier stand vor allem die Flüchtlingspolitik im Mittelpunkt der Betrachtungen. In einem sehr beeindruckenden Vortrag beschrieb Albert Riedelsheimer die systematischen Diskriminierungen, denen Flüchtlinge in Deutschland ausgesetzt sind. Sein besonderes Augenmerk galt der Situation minderjähriger Flüchtlinge, die sich ohne erwachsene Begleitpersonen in Deutschland aufhalten. Dieses Thema wurde von Heiko Kauffmann weiter vertieft, als er über den Stand des mittlerweile 20 Jahre dauernden Streits um die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland berichtete. Die Weigerung Deutschlands, die UN-Kinderrechtskonvention vollständig umzusetzen, nahm er zum Anlass für eine Reflexion über die deutsche Flüchtlingspolitik insgesamt, an der sich auch nichts wesentlich geändert hat, seit die Bundesregierung ihren Vorbehalt aufgehoben hat. Karl Kopp stellte in seinem daran anschließenden Beitrag das Migrationsregime der Europäischen Union in den Mittelpunkt. Er kritisierte die gängige Abschiebungspraxis und zeigte gleichzeitig Strategien auf, mit denen die Zivilgesellschaft dagegen vorgehen kann.

Im Mittelpunkt des dritten Teils des Colloquium standen Verknüpfungen rassistischer Deutungsmuster mit weiteren Diskursen und deren Effekte.

Margarete Jäger und Regina Wamper stellten einige Ergebnisse einer Mediendiskursanalyse vor, die die Anschläge in Norwegen vom Juli 2011 zum Thema hatte. Die Tatsache, dass es sich entgegen der ersten Annahme nicht um islamistischen Terror handelte, ließ exemplarisch unterschiedliche Deutungsmuster zum Vorschein bringen. Die Medienberichte zu den Anschlägen lassen eine Stabilität bestimmter Diskursverschränkungen erkennen, z.B. in Form der stereotypen Gleichung zwischen Terror und Islam, aber auch zwischen Rechtsextremismus und Krankheit.

Sebastian Friedrich zeigte danach anhand der Debatte um die Thesen von Thilo Sarrazin, dass sich nicht nur Rassismus, Sexismus und Klassismus miteinander verschränkten. Auch der ökonomische Diskurs spielt in Sarrazin Thesen eine wesentliche Rolle. Dieses Verschränkungsknäuel wird vermutlich in Zeiten der Krise auch zukünftig eine größere Rolle spielen.

Der vierte und letzte Teil des Colloquiums thematisierte die Zukunftsperspektiven der Rassismusforschung, d.h. die Herausforderungen, die es angesichts der diskursiven Verschiebungen und Schwerpunktsetzungen zu bewältigen gilt.

In einem gemeinsamen Thesen- und Impulsreferat stellten Ece Kaya, Yasemin Shoomann und Willi Bischof die Produktivität einer Kritische Weißseinsforschung für die Rassismusforschung vor. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Kern bei der Erfindung von ‚Rassen’ das Weißsein als die definierende Norm darstellt. In der deutschen Rassismusforschung werde dies bislang aber nur unzureichend reflektiert.

Nora Räthzel stellte die Möglichkeiten intersektionaler Analysekonzepte vor. An einem Beispiel erläuterte sie, dass durch den Blick auf verschiedene Diskriminierungsformen sowohl rassistische wie auch sexistische Diskurselemente herausgearbeitet werden können.

Aram Ziai betonte die Produktivität postkolonialer Studien im Rahmen der Erforschung von Rassismus. Unser Wissen und damit auch die Deutungen der Wirklichkeit sind auch heute noch von kolonialen und eurozentrischen Mustern geprägt. Aram Ziai zeigte diese Muster exemplarisch auf und erläuterte die Wege, die daraus führen.

Insgesamt wurde auf dem Colloquium die Kontinuität der rassistischen Dynamik herausgestellt, deren Kern – dies scheint inzwischen Konsens der Forschung zu sein – der binäre Reduktionismus darstellt. Nicht weniger deutlich wurden aber auch die Verschiebungen innerhalb des rassistischen Begründungsgeflechts. Für die Rassismusforschung stellt sich deshalb die Aufgabe, zukünftig sowohl die generellen Strukturen dieses binären Reduktionismus genauer zu thematisieren und deren gesellschaftliche und kulturelle Verankerung in den Blick zu nehmen. Gleichzeitig gilt es, die jeweils auftretenden ausgrenzenden Begründungen in ihrem Zusammenhang zu untersuchen, zu systematisieren und die Ergebnisse in die gesellschaftliche Debatte einzubringen.

Die Beiträge des Colloquiums bilden den Kern einer Publikation, die von Margarete Jäger und Heiko Kauffmann herausgegeben und im Hebst 2012 in der edition DISS erscheinen wird.

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