Rückbau, Austritt, Auflösung, Neugründung – oder was? Das Europakonzept der AfD 2023
Von Helmut Kellershohn
Seit ihren Anfängen verfolgt die AfD eine gegenüber der EU und dem Euro skeptische bis ablehnende Politik, die sich im Laufe der Zeit mit ihren programmatischen Forderungen verschärft hat. Im Kern geht es ihr zum einen um eine Renationalisierung der Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik sowie weiterer Politikfelder wie der Außen-, Sicherheits-, Migrations- und Klimapolitik. Zum anderen ringt sie um die Frage, ob die Renationalisierung vermittels einer Reform der EU (im Sinne eines Rückbaus), eines einseitigen Austritts oder einer einvernehmlichen Auflösung der EU in Verbindung mit der „Neugründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ (so im Grundsatzprogramm von 2016) herbeigeführt werden soll. Die AfD steht vor dem Problem, inwieweit eine weitgehende Rekonstruktion nationalstaatlicher Souveränität vereinbar ist mit einem wie auch immer gearteten positiven Begriff von Europa, der es erlaubt, auf europäischer Ebene eine zumindest glaubhaft erscheinende Alternative zur EU zu präsentieren. Dementsprechend erhebt die Präambel zum jüngsten Europawahlprogramm den Anspruch, „Europa neu [zu] denken“.
Im Folgenden gehe ich auf die beiden Europawahlprogramme der AfD von 2019 und 2023 näher ein, um die Entwicklung der AfD-Programmatik bzgl. ihrer Haltung zur EU und zu Europa nachzuzeichnen.1 Das jüngste Ansinnen der AfD, einen „Bund europäischer Nationen“ ins Leben zu rufen, steht dabei im Mittelpunkt. Dass diese Idee auch mit der Haltung zur NATO und zu den USA gekoppelt ist, soll im Verlauf der Ausführungen deutlich werden. Abschließend konfrontiere ich die Idee des Bundes mit dem Konzept des Großraums, das zwar vordergründig nicht im aktuellen Programm, wohl aber bei Vordenkern der Partei und in ihrem „Rückraum“ (Götz Kubitschek) als eine Art Interpretament zum Programm propagiert wird.
Die Europawahlprogramme 2019 und 2023 im Vergleich
Auffallend sind zunächst die begrifflichen und argumentativen Übereinstimmungen in beiden Programmen.2 Die AfD lehnt einen „wie auch immer gearteten“ europäischen „Gesamtstaat“ (EP I, 7), einen „europäischen Superstaat“ (EP I, 11; EP II, 10) „mit Gesetzgebungskompetenz und einer eigenen Regierung“ (EP I, 11; EP II, 10) ab. Zur Begründung verweist sie darauf, dass es für ein „solches Gebilde weder ein Staatsvolk“ gebe, noch dass dieses Gebilde „über das erforderliche Mindestmaß an kultureller Identität“ (EP I, 7; EP II, 8) verfügen würde. Die europäischen „Kulturen, Sprachen und nationale[n] Identitäten“ seien „durch Jahrhunderte dauernde, geschichtliche Entwicklungen entstanden“ (EP I, 11), eine europäische Identität sei daher eine „Illusion“. Im Gegenteil beruhe die „politische, ökonomische und soziale Stärke Europas“ gerade auf „der Vielfalt der nationalen Kulturen und Traditionen“ (EP I, 11; ähnlich EP II, 10, 50). Die AfD macht sich also die ethnopluralistische Argumentation der Neuen Rechten zu eigen, um gegen die „Idee der ‚Vereinigten Staaten von Europa‘“ (EP II, 10) zu polemisieren. Als Gegenidee offeriert sie das gaullistische Ideal eines „Europas der Vaterländer“ (EP II, 8, 28) respektive der Nationen (Kapitelüberschriften: EP I, 10; EP II, 9) oder ein „Europa als europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft“ (EP I, 11; vgl. EP II, 9). Eine Neuerung führt EP II insofern ein, als nunmehr von einem „Bund europäischer Nationen“ (Kapitelüberschrift EP II, 10) die Rede ist, was darauf schließen lässt, dass nach einer Bezeichnung gesucht wird, die semantisch über eine bloße Rekonstruktion der alten EWG bzw. die Restauration gaullistischer Phraseologie hinausweist. Auf die identitätspolitischen Implikationen des Bundesgedankens, die die vorhin angesprochenen Ausführungen in EP I relativieren, gehe ich weiter unten ein.
Die beiden Europawahlprogramme unterscheiden sich darüber hinaus in der eingangs angesprochenen Grundfrage: Reform oder Auflösung der EU bzw. Austritt aus der EU. Im Programm von 2019 begnügte sich die AfD damit, die Kritik auf – aus der Sicht der AfD – unerwünschte Entwicklungen in der EU3 zu fokussieren und gleichzeitig die Rückbildung der EU in Richtung eines „Europa[s] der Nationen“ ins Visier zu nehmen. Mit dieser Zweigleisigkeit4 glaubte die AfD, die von ihr kritisierte Entwicklung der EU verhindern zu können, um gleichzeitig, wenn die Rückbildungsstrategie, die sie als „Reform“-Strategie (EP I, 11) deklarierte, keine Erfolge („in angemessener Zeit“, EP I, 12)5 zeitigt, eine Legitimationsgrundlage zu haben, um die Destruktion der EU in ihrer jetzigen Form zu betreiben: Dann halte man „einen Austritt Deutschlands [DEXIT; d. Vf.] oder eine geordnete Auflösung der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft für notwendig“ (EP I, 12). Der ‚schwarze Peter‘ würde dann bei den politischen Kräften in Europa gelegen, die die EU angeblich zu einem „Superstaat“ formen wollen.6
Entgegen dieser Optionslösung wurde im Bundestagswahlprogramm 2021 auf Betreiben des Höcke-Lagers der DEXIT nach britischem Vorbild beschlossen. Auf dem Bundesparteitag 2022 allerdings legte sich die von Gauland und Höcke eingebrachte Resolution „Europa neu denken“7 auf die „einvernehmliche Auflösung der EU“ fest und stellte erneut die „Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft“ zur Diskussion. Laut FAZ sagte Höcke damals zur Begründung, „mit der Resolution wolle die AfD dem Eindruck begegnen, sie plädiere allein für einen Austritt Deutschlands aus der EU. Stattdessen wolle sie aber ‚Schritte beschreiben, um die EU zu überwinden‘“ (FAZ v. 19.6.2022). Nach heftigen Debatten wurde das Papier an den Bundesvorstand zur Überarbeitung überwiesen. Jetzt plädierte die Bundesprogrammkommission (BPK) in ihrem Leitantrag zum Europawahlprogramm 2023 erneut, ohne Wenn und Aber, für die „geordnete Auflösung der EU“ (BPK, 7) und die Neugründung eines Bundes europäischer Nationen. Zur Begründung heißt es: „Die EU ist ein undemokratisches und reformunfähiges Konstrukt“ (Kapitelüberschrift: BPK, 9; vgl. EP II, 9), als Projekt sei sie „gescheitert“, sie habe sich zu einem „Konstrukt entwickelt, das immer mehr Gewalt an sich zieht und von einer intransparenten, nicht kontrollierten Bürokratie regiert wird.“ (BPK, 10; vgl. EP II, 10) Allerdings wurde die Auflösungsforderung der BPK im Nachhinein mit der seltsamen Begründung gestrichen, es handele sich um ein „redaktionelles Versehen bei der Präambelerstellung ohne Beschlusslage der BPK“ (Antragsbuch S. 7).8 Der korrigierte Text lautet nunmehr: „Wir wollen eine neue europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft gründen, einen Bund europäischer Nationen“ (ebd.).9 Die neue Sprachregelung,10 die auf die Auflösungsformel verzichtet, impliziert jedoch eindeutig die Auflösung der EU in ihrer jetzigen Form als Ziel der AfD – und nicht mehr als bloße Option, wie noch im Europawahlprogramm von 2019.
Aufschlussreich sind diesbezüglich die Überlegungen Maximilian Krahs, der auf dem Parteitag Ende Juli zum Spitzenkandidaten für die EU-Wahl bestimmt wurde. In einem Interview mit der Jungen Freiheit erklärte er, warum auf die Auflösungsformel verzichtet wurde:
„Wir sagen ganz klar: Die EU von heute ist von Agenda und Struktur eine Katastrophe für Deutschland und Europa. Wir sagen aber auch: Es muß Europapolitik geben, es braucht institutionelle Zusammenarbeit, und zwar in einem neuen Bund der Vaterländer. Um von unbefriedigenden Status quo zum erstrebten Status quo futurus zu gelangen, wird es ein Nebeneinander von Disruption und Evolution geben, viele Behörden und Strukturen müssen einfach weg, andere transformiert werden. Der Begriff ‚Auflösung der EU‘ ist für diesen Prozeß zu unterkomplex, er lädt zu Fehlinterpretationen und Unterstellungen seitens unserer politischer [sic!] Gegner ein, insofern benutze ich ihn nicht.“ (JF-online, 31.07.2023).11
Krah bindet also die Auflösung der EU an einen längeren Prozess ihrer Umformung, an dessen Ende eine formelle Neugründung (hier: Bund der Vaterländer) stehen könnte. Ein solcher Prozess von innen heraus wäre ja auch nur dann möglich, wenn es entsprechende politische Mehrheiten auf der Ebene des EU-Parlaments, vor allem aber und vorrangig eine einvernehmliche Entscheidung im Europäischen Rat gäbe. Es handelt sich also um einen durchaus langwierigen Prozess, der eine weitgehende radikale Umwandlung der politischen Landschaft in Europa voraussetzen würde, die man salopp als „Orbanisierung“ Europas definieren könnte. Im Programm wird ein solcher Prozess dahingehend angedeutet, dass die AfD in dem zu wählenden EU-Parlament „Parteien aus allen Ländern für das Zukunftsprojekt einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft“ gewinnen und mit ihnen zusammen „unsere Vorstellungen konkretisieren“ (EP II, 11) will.12
Im Übrigen fordert die AfD Volksabstimmungen bei Verträgen „bezüglich einer EU-Erweiterung sowie der Abgabe von Hoheitsrechten und Haftungszusagen“ (EP II, 11). Auch in der Frage des Verbleibs in der EU bzw. des DEXIT, der in der Präambel des Leitantrages abschließend angesprochen wird, müsse „das Volk, der Souverän unseres Staates, nach dem Vorbild anderer Mitgliedsstaaten in einer Volksabstimmung“ (BPK, 8) entscheiden. Aus dem Text geht nicht hervor, dass die AfD über die Klärung des Prozederes hinaus tatsächlich den DEXIT zum Gegenstad ihres Wahlkampfes machen will. Im endgültigen Programmtext wird nur auf das „Recht eines jeden Volkes“ (EP II, 11), in dieser Frage abzustimmen, gepocht. Eine derartige einseitige Lösung wie den DEXIT zu empfehlen, wäre ja auch kontraproduktiv in einem Europawahlkampf: Warum soll die Wählerschaft Abgeordnete wählen, die eigentlich gar nicht in das EU-Parlament wollen bzw. allenfalls die Tantiemen auf Kosten der Steuerzahler:innen einstreichen möchten. Insofern ist die von Maximilian Krah beschriebene Strategie der „Disruption und Evolution“ mit dem Ziel der Gründung eines neuen europäischen Bundes den Wählern und Wählerinnen eher vermittelbar. Welche Funktionen aber soll ein derartiger Bund übernehmen?
Der Bund europäischer Nationen
(1.) Das angestrebte Gegenmodell, nunmehr Bund europäischer Nationen genannt, wird bereits im Europawahlprogramm von 2019, damals noch im Rahmen einer Reformstrategie, ansatzweise beschrieben. Als „Wirtschafts- und Interessengemeinschaft souveräner Staaten“ (EP I, 11) soll das neue Gebilde auf „multilateralen Staatsverträgen“ und „partnerschaftlicher Kooperation“ (EP I, 12)13 basieren. Gewährleistet sein sollten „insbesondere ein möglichst unbehinderter Binnenmarkt“ (EP I, 7) und nach außen hin „Freihandel und offene Märkte“ respektive der Verzicht auf „protektionistische Bestrebungen“ (EP I, 21). In EP II, 11 heißt es: „Wir bekennen uns zur sozialen Marktwirtschaft, zum gemeinsamen Markt, der Zollunion und einer gemeinsamen Handelspolitik. Die Gemeinschaft gewährleistet den uneingeschränkten wechselseitigen Marktzugang.“
(2.) An allererster Stelle der Gemeinschaftsaufgaben steht jedoch der „Schutz der europäischen Außengrenzen“, um die sog. Masseneinwanderung zu beenden („Festung Europa“), und zwar durch „die Errichtung physischer Barrieren, eine technische Überwachung und den Einsatz von Grenzschutzkräften“ unter der Verantwortung nationaler Behörden, geregelt auf der Basis multilateraler Verträge (EP II, 11). Parallel zur Abschottungspolitik sollen „auf nationaler und europäischer Ebene […] Remigrationsprogramme auf- und ausgebaut werden.“ (EP II, 17) In diesem Zusammenhang beruft sich die AfD, vor allem mit Blick auf die unerwünschte Zuwanderung „aus den Staaten des islamischen Kulturkreises“ (EP II, 12) durchaus auf eine „Identität des europäischen Kulturraumes und seiner Nationen“ (EP II, 13) – eine Identität, von der sie im anderen Kontext, nämlich im Kontext einer möglichen Staatsbildung Europas, nichts wissen will (s. oben). Die hier unterstellte kulturelle Identität14 – mit der Freund-Feind-Unterscheidung als Implikat – ist gewissermaßen das Kriterium dafür, dass von einem Bund gesprochen werden kann, dessen Funktion sich nicht darin erschöpft, seinen Mitgliedern nach dem Muster der EWG wechselseitige ökonomische Vorteile zu verschaffen.
In diesem Zusammenhang ist an Carl Schmitt zu erinnern, der sich in seiner langjährigen Auseinandersetzung mit dem Völkerbund intensiv mit dem Bundesgedanken auseinandergesetzt hat.15 1936, im Kontext der Rheinlandbesetzung und des von Italien initiierten Abessinienkrieges,16 argumentierte er gegen den „‘Geist‘“ des Völkerbundes, der „Genfer Veranstaltung“ fehle jede „Identität und Kontinuität“. Unter Bezugnahme auf Hitlers Reichstagsrede vom 7. März 1936, in der dieser von der „europäischen Völkerfamilie“ sprach, erklärte er zum „Lebensgesetz jedes echten Bundes, sei er Bundesstaat, Staatenbund oder irgendeine bundesähnliche Verbindung“, die „Existenzgarantie“ seiner Mitglieder. „Eine solche Garantie kann aber nicht beliebig gemacht werden, sondern setzt ein Mindestmaß von Artgleichheit, von Homogenität voraus. Ohne das ist sie eine leere Fiktion.“ (Hervorh. d.Vf.) Und weiter heißt es: „Ein echter Bund europäischer Völker kann sich nur auf die Anerkennung der völkischen Substanz gründen und von der nationalen und völkischen Verwandtschaft dieser europäischen Völker ausgehen.“17 Artgleichheit, völkische Substanz, völkische Verwandtschaft also als rassisch bestimmte Merkmale der Identität eines echten Bundes! Spannt man den Bogen zu Maximilian Krah, steht bei ihm neben der kulturalistischen Identitätsbestimmung der europäischen Völker, die sich mit den programmatischen Aussagen der AfD deckt, die verdruckste Formulierung, die Völker Europas eine „derselbe, eben europäische-weiße Menschenschlag.18
(3.) Das dritte verbindende Element ist die gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Die AfD sieht einen „Umbruch“ hin zu einer „multipolaren Ordnung“ (EP II, 30), in der „globale und regionale Großmächte um Vormachtstellungen ringen“, wie noch der Leitantrag (BPK, 50) formuliert. Deutschland und Europa rechnet sie offensichtlich noch nicht zu den globalen Großmächten. Die Bundeswehr sei „weder zahlenmäßig noch ausrüstungstechnisch zur Verteidigung des Bundesgebietes in der Lage“ (EP II, 31) und verlasse sich wie auch „seine europäischen Nachbarländer […] ausschließlich [!] auf den Schutz oder die Zusagen außereuropäischer Länder“ (EP II, 30), womit wohl in der Hauptsache die USA gemeint sind.
Diese Lage möchte die AfD grundsätzlich ändern, zumal, wie es im Programm heißt, „die geopolitischen und ökonomischen Interessen der USA […] sich […] in zunehmenden Maße von denen Deutschlands und anderer europäischer Staaten“ (EP II, 29) unterscheiden.19 Noch im Europawahlprogramm von 2019 lehnte die AfD, wie bereits im Grundsatzprogramm, die Schaffung einer „europäischen Armee“ ab und verband dies mit der Forderung nach einer „Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO, um hier Deutschlands Rolle und Einfluss zu erhöhen“ (EP I, 19). Davon ist im Leitantrag und im endgültigen Programm keine Rede mehr. Argumentiert wird nun wie folgt:
Um den aktuellen und zukünftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen gerecht zu werden, müssten die europäischen Staaten ihre „militärischen Fähigkeiten […] in einem eigenen System kollektiver Sicherheit“ bündeln, d.h. ihre Streitkräfte, ohne deren Selbstständigkeit aufzuheben, „in einer Verteidigungsgemeinschaft zusammenfassen“, womit auf die alte französische Idee einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft rekurriert wird.20 Ziel sei es, eine „weitgehende militärische und strategische Autonomie“ (EP II, 30)21 zu erreichen. So soll etwa Deutschland mit einer „umfassend befähigten Bundeswehr22 […] in die Lage versetzt werden, die amerikanischen Streitkräfte mittelfristig auf deutschem Boden abzulösen“ (ebd.). Ob dies nun gegen den Willen oder mit Einverständnis der USA und mit Aufkündigung oder im Rahmen des NATO-Bündnisses geschehen soll, wird offengelassen. Pragmatisch wird die NATO, die übrigens im Leitantrag noch mit keinem Wort erwähnt wurde, „derzeit [noch als] der wesentliche Eckpfeiler unserer Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit“ (EP II, 30; Hervorh. d. Vf.) bezeichnet.
(4.) Auf dem „Weg zum Bund europäischer Nationen“ (Kapitelüberschrift EP II, 11) strebt die AfD umfassende institutionelle Veränderungen der „Fehlkonstruktion EU“ (ebd.) an.23 Neben der bereits angesprochenen Etablierung von Volksabstimmungen (s. oben) wären dies beispielsweise
– die Abschaffung des „undemokratisch gewählten“ EU-Parlaments, die Rechtssetzungskompetenz läge bis zur „Neuordnung der Verhältnisse“ allein beim Rat (EP II, 11);
– schon jetzt in der Übergangszeit die „Verkleinerung des bürokratischen Apparats“ (EP II, 12);
– die Beendigung der „Förderung von Europaparteien und deren Stiftungen aus Steuermitteln“ (EP II, 12);
– die Bekämpfung des Lobbyismus in der EU durch die Einrichtung eines „Lobbyregisters“ und die Abschaffung sämtlicher Privilegien für Lobbyisten; NGO’s müssen ihre Finanzquellen und Aktivitäten offenlegen (EP II, 12).
(5.) Angesichts eines solch angedachten, längeren Transformationsprozesses versteht es sich, dass der DEXIT, auch wenn er noch im Programm als Rechtsanspruch erwähnt wird, keine maßgebliche Rolle im Europawahlkampf spielen wird. Im Gegenteil! Die Forderung nach einem einseitigen Austritt aus der EU löst gerade nicht das eingangs angesprochene Problem der Vermittlung zwischen der Stärkung nationalstaatlicher Souveränität und der Notwendigkeit, für die Bewältigung der genannten substanziellen Aufgabenbereiche die europäische Ebene ‚funktionsfähig‘ zu halten und identitätspolitisch zu legitimieren.24 Die neue Richtung gibt Höcke mit der von ihm selbst als populistisch deklarierte Parole vor: „Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann“ (Interview bei Phönix),25 und bezeichnet den Weg dorthin als einen „organischen“, nicht revolutionären Prozess, was in etwa dem entspricht, was Krah mit „Disruption und Evolution“ anspricht. Selbst Alice Weidel, die lieber vom Rückbau der EU spricht, kann sich damit vereinbaren. Die Höckes und Krahs wissen ganz genau, dass die AfD gegenüber den anderen europäischen Rechtsparteien, die ja teilweise in Regierungsverantwortung sind und durchaus von der EU (und dem Euro) profitieren, am ‚Katzentisch‘ sitzt, vorerst jedenfalls, und angewiesen ist auf „starke Partner“ (Alice Weidel), die ihre Position unterstützen, wovon man aktuell nicht ausgehen kann. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass die großen und wichtigen Rechtsparteien aus Italien, Frankreich, Polen und Ungarn auf der Europawahlversammlung der AfD nicht anwesend waren.
Streit um die NATO
Auf einen der Knackpunkte in der innerparteilichen Debatte zum Europawahlprogramm (ablesbar an den Anträgen zum Leitantrag) soll abschließend noch einmal gesondert eingegangen werden, nämlich die Haltung zu den USA, zur NATO und zum Ukrainekrieg. Die Notwendigkeit einer diesbezüglichen Klärung ergibt sich zwingend aus der Bestimmung des Bundes europäischer Nationen als Verteidigungsgemeinschaft. Höckes Kriegsrede in Gera, in der er sein außenpolitisches Programm skizzierte (Stichworte: Ostorientierung, Großraumdoktrin),26 fließt insofern in das Programm ein, als jedes direkte, längerfristige Bekenntnis zur NATO fehlt. Von der Stärkung des europäischen Flügels der NATO, wie im Europawahlprogramm von 2019 und selbst noch im Höcke/Gauland-Papier,27 ist keine Rede mehr, ein Dissens gegenüber den geopolitischen Interessen der USA wird angedeutet (s. oben), während der russische Angriff auf die Ukraine nicht als völkerrechtswidrig deklariert wird.28 Man kann das als Versuch bewerten, Streitpunkte zu umgehen, wenn man zum Vergleich die Ausführungen der von Höcke inspirierten Alternativ-Präambel (Antragsbuch S. 22ff.) heranzieht, die in der Begründung dem Leitantrag mangelnde Klarheit vorwirft, will sagen: Es fehlt der von der Bundesprogrammkommission vorgeschlagenen Präambel die klare Feindbestimmung, nämlich die Frontstellung gegen die US-geführte NATO, die quasi als konstitutiv für das europäische System kollektiver Sicherheit definiert wird. Die USA hätten „mit der Osterweiterung der EU im Nachgang zur NATO […] einen tiefgreifenden Einfluss auf die europäische Ordnung gewonnen“, demzufolge die „Länder Europas […] in Konflikte hineingezogen“ worden seien, „die nicht die ihren“ seien. Dies widerspräche „diametral“ deren „natürlichen Interessen“ an „fruchtbaren Handelsbeziehungen im eurasischen Raum“. Die Schuld am Ukrainekrieg, auch wenn dies nicht direkt gesagt wird, tragen die USA; die „selbstruinöse Sanktionspolitik der EU“ sei Folge der Abhängigkeit von den USA, und die endlosen Waffenlieferungen (nicht der russische Angriff auf die Ukraine) würden „zum ersten Mal seit Jahrzehnten“ den Frieden in Europa durch die Gefahr einer „nuklearen Eskalation“ gefährden.
In der letztlich verabschiedeten Präambel, die auf einem u.a. von Marc Jongen und Maximilian Krah formulierten Kompromissvorschlag beruht, wird versucht, Höckes dezidiert antiamerikanische Stoßrichtung, deren Konsequenz in der Tat der Austritt aus der NATO wäre, abzuschwächen. Die Redaktion des Textes lässt unvermittelt konträre Positionen nebeneinander bestehen. Einerseits wird „jegliche Dominanz außereuropäischer Großmächte29 in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik“, die auf eine geopolitische Äquidistanz zu den Großmächten USA und Russland hindeutet,30 abgelehnt. Andererseits wird der bereits zitierte Satz aus der besagten Alternativ-Präambel wortwörtlich angeschlossen, der durch die Parenthese verdeutlicht, wessen „Dominanz“ europäischen Interessen zuwiderläuft: „Die Staaten Europa werden so in Konflikte hineingezogen, die nicht die ihren sind und ihren natürlichen Interessen – fruchtbaren Handelsbeziehungen im europäisch-asiatischen Raum – diametral entgegenstehen.“ Die Schlussfolgerung lautet: „Deshalb ist es notwendig, dass Europa seine Verteidigungsfähigkeit schrittweise in die eigene Hand nimmt“ (Hervorh. d. Vf.) und Deutschland seine Wehrfähigkeit steigert. Das „Wie“ (ob innerhalb oder außerhalb der NATO) wird, wie bereits angesprochen, offengelassen und genau wie in der Frage der Auflösung der EU dilatorisch in die Zukunft verschoben. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, nach Abschluss der AfD-Europawahlversammlung entsprechend der neuen Beschlusslage eigens betont, dass er einen NATO-Austritt derzeit nicht befürworten würde. „Die NATO ist zum derzeitigen Zeitpunkt völlig alternativlos, aber wir wünschen uns eben, dass sie nicht mehr alternativlos ist.“31
Ausblick: Bundesgedanke und Großraumkonzept
Felix Menzel32 schreibt in einer Handreichung für eine „patriotische Sprachpolitik“ (Recherche D 20/2023) unter dem Stichwort „Europa statt EU“, dass es darauf ankomme, „durch eine hochdisziplinierte Begriffsarbeit den Unterschied zwischen der bürokratischen und postdemokratischen ‚Europäischen Union‘ und unserem ‚Europa der Selbstbestimmung‘, ‚Europa der Vaterländer‘, ‚Europa der Völker‘ etc. ständig“ (ebd., S. 24) herauszustellen. Auf der Suche nach Gegenbegriffen, die das „wahre Europa“ (Höcke) zum Ausdruck bringen sollen, ist das neue Europawahlprogramm fündig geworden. Der „Bund europäischer Nationen“ steht für das visionäre Element, das laut Menzel den „krönenden Abschluß“ (ebd., S. 8) einer jeden rechten Erzählung bilden soll. Nicht zum Zuge gekommen ist der Begriff „Großraum“, der häufig in Verbindung mit dem Begriff der „multipolaren Weltordnung“ (anstelle einer westlich dominierten unipolaren Weltordnung) reüssiert, typischerweise mit Rückgriff auf Carl Schmitts „völkerrechtliche Großraumordnung“ von 1939.33 So etwa in Höckes Geraer Kriegsrede oder bei Maximilian Krah in dessen Manifest „Politik von rechts“. Bei Krah heißt es: „Der Gegensatz besteht somit zwischen einer unipolaren Welt im Sinne des globalisierten Westens samt seinem ‚Ende der Geschichte‘ und einer multipolaren Welt verschiedener Großräume, die sich selbst organisieren, regelmäßig durch angestammte Regionalmächte, und in die raumfremde Mächte nicht intervenieren dürfen.“34 Letzteres, das Interventionsverbot für raumfremde Mächte, richtet sich (wie bei Höcke) „zuvördest“35 gegen die USA – und ihre westlichen Verbündeten, in der Hauptsache die Staaten der Anglosphere, während die europäischen ‚Vasallen‘ noch nicht in der Lage sind, Europa als originären Großraum zu organisieren. Wer aber ist die ‚angestammte Regionalmacht‘, die diesen Prozess der Selbstorganisation in die Wege leiten könnte? – Nun, wer sich explizit auf Carl Schmitt beruft, für den kann es darauf nur eine Antwort geben, nämlich Deutschland oder, wie Schmitt gesagt hätte, das „Reich“. Um das kurz zu erläutern:
Für Schmitt sind (1939) die entscheidenden völkerrechtlichen Subjekte nicht mehr die Nationalstaaten, sondern die Reiche (im Plural!), „die führenden und tragenden Mächte, deren politische Idee in einen bestimmten Großraum ausstrahlt und die für diesen Großraum die Interventionen fremdräumiger Mächte grundsätzlich ausschließen“.36 Ein Großraum umfasst also erstens ein Reich als Hegemonialmacht, zweitens eingegliederte, ehemals souveräne Staaten mit nunmehr erheblich geminderter Rechtsstellung,37 die sich Schmitt zufolge im Wesentlichen, im Falle des vom Deutschen Reich dominierten Großraums, auf die „Achtung jedes Volkstums“38 beschränkt; und drittens bestimmt sich die Grenze eines Großraums durch die (räumliche) Reichweite der durch das Reich propagierten politischen Idee und die Fähigkeit des Reiches, innerhalb dieser Grenzen das Interventionsverbot für konkurrierende Mächte durchzusetzen.
Schmitt sprach mit Bezug auf die vom Deutschen Reich verfolgte politische Idee von einer „nichtuniversalistischen, volkhaften, völkerhaften Lebensordnung“,39 die – und das ist der entscheidende Punkt – nicht auf einem Bund gleichberechtigter (artgleicher!) Völker beruht, sondern strikt hierarchisch gegliedert unter der Vormachtstellung eines Reiches steht.
Schmitts Ausführungen haben jüngst Martin Sellner inspiriert, der wie Höcke und Krah den Begriff Großraum verwendet. Sellner zieht auf der Internetplattform des Instituts für Staatspolitik seine Lehren aus dem Ukrainekrieg und macht in diesem Zusammenhang eine wichtige Konsequenz des Großraum-Ideologems für neurechtes Denken deutlich.40 Bekanntlich gehört der Ethnopluralismus zu den heiligen Kühen neurechter Ideologie, die jetzt, so Sellner, infolge des Ukrainekrieges einem „ideologische[n] ‚Streßtest‘“ unterzogen werde. Sowohl die „ethnokulturell russischen Einwohner des Donbass“ als auch die für den Erhalt ihres Staates kämpfenden Ukrainer könnten sich auf ethnopluralistische Prinzipien („Vielfalt der Völker, Kulturen und Staatsformen“) berufen, während die Russische Föderation als „multiethnisches Imperium“, insofern sie unter Putin für die „geopolitische Vision“ einer multipolaren Weltordnung eintrete, „zumindest verbal […] eher dem Ethnopluralismus als die ‚One World‘ des Westens“ zuneige. Dieses Dilemma – alle Akteursebenen können ethnopluralistische Prinzipien für sich reklamieren – löst Sellner dahingehend auf, dass er das Konzept des Ethnopluralismus ausdifferenziert. So müsse man sich von einem „geopolitisch naiven Ethnopluralismus“ verabschieden. Das Eintreten für die „Vielfalt der Völker, Kulturen und Staatsformen“ bedeute nicht automatisch, die „Forderung nach einem Selbstbestimmungsrecht in einer Welt souveräner Nationalstaaten“ zu erheben. „Selbstbestimmung und Souveränität müssen letztlich militärisch garantiert werden. Ist man selbst nicht dazu in der Lage, braucht es einen fremden ‚Garanten‘. Ein kleines Volk braucht daher in der Regel eine Schutzmacht.“ Ein geopolitisch ‚aufgeklärter‘ Ethnopluralismus müsse sich daher dem „Konzept des Großraums und der Reichsidee“ öffnen. Sellner spricht hier, offener als Höcke und Krah, die Vision des Reiches als Zielmarke neurechten Denkens an.
Die Absage an einen „geopolitisch naiven Ethnopluralismus“ und das Denken in Kategorien wie Großraum und Reich wirft ein bezeichnendes Licht auf den Bundesgedanken im Europawahlprogramm der AfD. Im Programm findet sich zwar der Begriff der multipolaren Weltordnung (EP II, 9, 17, 30), aber statt von Großraum ist lediglich die Rede vom „europäischen Pol in der entstehenden multipolaren Weltordnung“ (EP II, 9)41, während der Reichsbegriff verständlicherweise unerwähnt bleibt. Die AfD umschifft damit das Problem der Struktur bzw. der „Ordnung“ des Bundes europäischer Nationen. Der Begriff des Bundes suggeriert auf den ersten Blick die gleichberechtigte Stellung der Staaten, der Großraumgedanke in schmittistischer Tradition das Gegenteil. Wer ist also die „angestammte Regionalmacht“ (Krah) in Europa, die die Organisation des Bundes bestimmt und die Rangordnung der beteiligten Nationalstaaten festlegt? Man kann davon ausgehen, dass das „wahre“ Europa, das Höcke sich wünscht, ein Europa wäre, in dem Deutschland über die Stellung des Hegemons verfügt.
1 Einer früheren Fassung des Artikels (DISS-Journal H. 46, S. 35-39) lag noch nicht der endgültige Programmtext für die Europawahl 2024 zugrunde, sondern nur der Leitantrag der Bundesprogrammkommission (plus Antragsbuch), der auf der Europawahlversammlung vom 29./30.7. und 4.-6.8.2023 zur Diskussion stand.
2 Im Folgenden werden die beiden Europawahlprogramme als EP I und EP II abgekürzt. Vgl. zu EP I https://www.afd.de/wp-content/uploads/sites/111/2019/03/AfD_Europawahlprogramm_A5-hoch_web_150319.pdf – Zu EP II vgl. https://www.afd.de/wp-content/uploads/2023/11/2023-11-16-_-AfD-Europawahlprogramm-2024-_-web.pdf. Soweit angebracht, wird auch auf den Leitantrag der Bundesprogrammkommission (abgekürzt: BPK) Bezug genommen, vgl. https://www.afd.de/wp-content/uploads/2023/06/2023-06-14_Leitantrag-Europawahlprogramm.pdf.
3 Ein Beispiel: „Die AfD fordert die Durchsetzung der vertraglichen Verbote der Staatsfinanzierung durch die EZB und der Vergemeinschaftung der Schulden, sowie eine Rückführung der Befugnisse der EZB auf reine Geldpolitik, keine Umwandlung des ESM in einen europäischen Währungsfonds und ein sukzessives Ende der EZB-Anleihenkaufprogramme und der ‚Rettungs‘-Programme über EFSF und ESM“ (EP I, 30).
4 Beispiel: „Die AfD lehnt eine Europäische Staatsanwaltschaft und die weitere Verlagerung von Aufgaben der Justiz auf die EU ab. Die AfD wendet sich nicht nur gegen alle Versuche der EU, sich die Zentralkompetenzen einer Bundesregierung anzueignen, […]. Die AfD verlangt stattdessen den Rückbau bereits eingerichteter beziehungsweise im Aufbau befindlicher überflüssiger Justizbehörden“ (EP I, 50).
5 Diese Formulierung im EP I schwächte eine Passage im damaligen Leitantrag der Bundesprogrammkommission ab, in dem noch von einem Zeitraum „innerhalb einer Legislaturperiode“ die Rede war. Die Abschwächung erfolgte nach einer Intervention Alexander Gaulands auf der Europawahlversammlung in Riesa.
6 Deutlicher, weniger verklausuliert als gegenüber der EU argumentierte die AfD hinsichtlich des Euro. So heißt es etwa im Bundestagswahlprogramm (BWP) von 2017 ganz im Sinne des Grundsatzprogramms: „Der Euro ist für ein Wirtschaftsgebiet mit derzeit 19 völlig unterschiedlich leistungsfähigen Volkswirtschaften eine Fehlkonstruktion und kann in dieser Form ökonomisch nicht funktionieren.“ (BWP 2017, 30) Die AfD verlangt daher die „Wiedereinführung der nationalen Währungen“, gegebenenfalls, so das Zugeständnis, unter „paralleler Beibehaltung des Euro“ (ebd.). In EP II wird eingeräumt, dass „strukturgleiche Länder […] eine Gemeinschaftswährung behalten oder neu schaffen“ (II, 12) könnten.
7 Die Resolution, verfasst vor allem von Höcke, Hans Neuhoff und Krah, findet sich unter https://sezession.de/wp-content/uploads/2022/06/resolution-europaneudenken-gueltig.pdf. – Kommentar von Kubitschek unter https://sezession.de/66016/bundesparteitag-in-riesa-2-die-europaresolution.
8 Zum Antragsbuch vgl. https://www.afd.de/wp-content/uploads/2023/07/AfD_Antragsbuch_EWV_anonymisiert.pdf
9 Die letztlich verabschiedete Präambel lautet inhaltlich identisch, aber sprachlich leicht modifiziert: „Daher streben wir einen ‚Bund europäischer Nationen‘ an, eine neu zu gründende europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft“ (EP II, 9)
10 Martin Schmidt (ARD Berlin) schreibt: „Aus Parteikreisen heißt es, dass vor allem Co-Parteichefin Alice Weidel im EU-Auflösungsstreben ein Problem gesehen habe und daher die Umformulierung vorziehen würde. Auch die Formulierung aus dem Bundestagswahlprogramm 2021 habe sie nicht für geeignet gehalten. Damals hatte die AfD geschrieben, sie halte einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union für notwendig.“ (https://www.tagesschau.de/inland/afd-eu-100.html)
11 Seltsamerweise hatte Krah in der ursprünglichen Fassung des Interviews selbst von einer Auflösung der EU gesprochen. Gegenüber der JF sprach er dann von einem „redaktionellen Fehler“.
12 Diese Äußerung offenbart unfreiwillig, dass die AfD sich nicht sicher sein kann, ob andere rechte Parteien in Europa das Anliegen der AfD teilen. Bereits mit ihrer Ausstiegsforderung 2021 stieß sie auf wenig Gegenliebe.
13 Die Formulierung „partnerschaftliche Kooperation“ war im EP I insofern ein Euphemismus, als gleichzeitig ein ungehinderter Wettbewerb der sozialen Sicherheitssysteme („keine europäische Sozialunion“, EP I, 56) oder im Bereich der Steuersysteme (nach Abschaffung des Euro) (EP I, 24) eingefordert wird. Demgegenüber stehen Maßnahmen gegen Lohndumping (EP I, 55), den „Erwerb europäischer Unternehmen durch chinesisch beherrschte Unternehmen“ (EP I, 18) oder etwa Maßnahmen zum Schutz des deutschen „Bauernstand[es]“ (EP I, 45).
14 EP II führt dazu weiter aus: „Die Völker Europas sind durch gemeinsame Geschichte und ihre Orientierung an gemeinsamen humanitären Werten des Zusammenlebens miteinander verbunden. Insbesondere die griechische Philosophie, das römische Recht, das Christentum und die Aufklärung haben eine prägende Wirkung für alle europäischen Völker entfaltet.“ (EP II, 10)
15 Vgl. dazu Reinhard Mehring: Der „Nomos“ nach 1945 bei Carl Schmitt und Jürgen Habermas, in: forum historiae iuris 31.03.2006, online unter: http://www.forhistiur.de/zitat/0603mehring.htm (Abruf: 15.12.2023).
16 Beide Aktionen widersprachen im ersten Fall den Versailler Vertragsbestimmungen, im zweiten Fall der Satzung des Völkerbundes.
17 Carl Schmitt: Die siebente Wandlung des Genfer Völkerbundes. Eine völkerrechtliche Folge der Vernichtung Abessiniens, in: Deutsche Juristen-Zeitung vom 1. Juli 1936, Bd. 41, S. 785-789, abgedruckt in: Ders.: Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles 1923-1939, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 239-243, hier S. 239 und 242f.
18 Maximilian Krah: Politik von rechts. Ein Manifest, Schnellroda 2023, S. 64.
19 Als Beleg werden die Energieversorgung und der „massive Versuch der USA, die Inbetriebnahme der Nord-Stream-Ferngasleitung zu verhindern“ (EP II, 29), angeführt.
20 Der Plan des französischen Ministerpräsidenten René Pleven (1950) sah allerdings eine gemeinsame Armee (damals bezogen auf Frankreich, Italien, Westdeutschland und die Benelux-Länder) vor, die die AfD ablehnt.
21 „Strategische Autonomie“ ist ein prominent vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron seit Beginn seiner ersten Präsidentschaft propagierter Begriff.
22 Zur ‚Befähigung‘ der Bundeswehr schlägt die AfD eine personelle und technologische Aufrüstung der Bundeswehr, die Wiedereinführung der Wehrpflicht und die entsprechende Anpassung des Wehretats vor. Auf europäischer Ebene soll Deutschland bei Schlüsseltechnologien die „Systemführerschaft“ anstreben (EP II, 31; vgl. EP I, 20).
23 Bereits laut EP I sollten bestimmte EU-Institutionen und Vergemeinschaftungsformen entweder wegfallen, wie z.B. das „undemokratische EU-Parlament“ (EP I, 12) oder die „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP) (EP I, 17), oder umgebaut werden, wie z.B. der Europäische Gerichtshof (EP I, 13).
24 Kubitschek referiert in seinem Kommentar zu der Europaresolution „Europa neu denken“ von 2022 [Fn. 7] die Kritik Hans Neuhoffs an der DEXIT-Forderung: Unter den Bedingungen „einer multipolaren Welt- und Großraumordnung“, die jede einzelne europäische Nation in ihrer Selbstbehauptungsfähigkeit überfordere, sei ein „Europa der Vaterländer [notwendig], das sich als Kulturraum begreife und in einer gemeinsam verteidigten und gegen den massiven Einfluß anderer Großräume zusammenstehenden Hülle die je eigene Entwicklung der beteiligten Nationen zulasse“.
25 Vgl. https://www.ardmediathek.de/video/phoenix-vor-ort/hoecke-diese-eu-muss-sterben-damit-das-wahre-europa-leben-kann/phoenix/Y3JpZDovL3Bob2VuaXguZGUvMzIwOTM3Mw.
26 Vgl. hierzu näher Helmut Kellershohn: Höckes Kriegsrede am 3. Oktober 2022 in Gera, in: DISS-Journal 45/2023, 14-17.
27 Im Höcke/Gauland-Papier von 2022 heißt es: „Die EVG [Europäische Verteidigungsgemeinschaft] wird Mitglied einer reformierten NATO (Depolitisierung und Beschränkung auf die militärische Verteidigung des Bündnisgebietes, Straffung der Entscheidungsverfahren, Revision der Partnerschaftslisten und der Agenda 2030, keine Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens).“
28 Im Gegensatz etwa zum Antrag 51 im Antragsbuch (S. 77) oder zum „Positionspapier der AfD-Bundestagsfraktion zum Rußland-Ukraine“ vom März 2022 (https://afdbundestag.de/positionspapier-ukraine.krieg/). Zur kontroversen Debatte um den Ukrainekrieg vgl. Helmut Kellershohn: Im Widerstreit der Positionen. Die Haltung der AfD und neurechter „Vordenker“ zum Ukrainekrieg, in: Wolfgang Kastrup / Helmut Kellershohn (Hg.): Der Krieg in der Ukraine. Weltordnungskrieg und „Zeitenwende“, Münster 2024, S. 157-190.
29 Krah zufolge gehört auch Russland zu den außereuropäischen Großmächten: „Europa ist danach das Gebiet des europäischen Festlands einschließlich Zyperns und Maltas, aber ohne Rußland, Weißrußland, die Türkei und mit den Grenzfällen Moldawien und der Westukraine.“ (Maximilian Krah: Politik von rechts. Ein Manifest, Schnellroda 2023, S. 66). Die Ostukraine und die Krim betrachtet Krah offensichtlich als russisches Territorium.
30 In diesem Sinne etwa der Antrag 43 im Antragsbuch, S. 68.
31 Zitiert nach Handelsblatt vom 6.8.2023 (https://www.handelsblatt.com/dpa/afd-spitzenkandidat-krah-derzeit-kein-nato-oder-eu-austritt/29304518.html).
32 Menzel entstammt dem Umfeld des Instituts für Staatpolitik, ist „Hauptverantwortlicher“ der Recherche D[resden] und Pressesprecher der AfD Landtagsfraktion in Sachsen.
33 Carl Schmitt: Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht [zuerst 1939, 4. erweiterte Aufl. 1941], in: ders.: Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, hrsg. mit Vorwort und Anmerkungen von Günter Maschke, Berlin 1995, 269-371.
34 Krah, Politik von rechts, S. 119.
35 Ebd., S. 121
36 Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung, S. 295f.
37 „Das ‚ius ad bellum‘ wie auch die Möglichkeit einer Neutralität und im weiten Maße die außen- und innenpolitische Handlungsfähigkeit war den Großraumstaaten genommen.“ (Mathias Schmoeckel: Die Großraumtheorie. Ein Beitrag zur Geschichte der Völkerrechtswissenschaft im Dritten Reich, insbesondere der Kriegszeit, Berlin 1994, 72)
38 Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung, S. 297.
39 Ebd., S. 297.
40 Martin Sellner: Ukraine vs. Russland – zu wem hält der Ethnopluralist? (14.11.2022); https://sezession.de/66761/ukraine-vs-russland-zum-wem-haelt-der-ethnopluralist
41 Im Leitantrag taucht er an einer Stelle auf: „Nordafrika sowie der Nahe und Mittlere Osten sind ein für Europa geostrategisch wichtiger Großraum.“ (BPK, S. 50)