Kunst und Holocaust – als deutsches und angelsächsisches Thema

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Von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal (38) 2019

 

Hoffman-Curtius, Kathrin (2018)
Judenmord: Art and the Holocaust in Post-war Germany.
London: REAKTION BOOKS. 400 pp. $ 57.00 (cloth)
ISBN 978-1-78023-907-1.

 

Zunächst ((Ich stütze mich auf die Rezension von Maya Balakirsky Katz (Bar-Ilan University, Tel-Aviv) auf H-Judaic (Mai 2019) [https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=54105].)) verwundert es nicht, dass die Frage nach künstlerischen Verarbeitungen des nazistischen Massenmordes zumal in Deutschland an Tabu-Zonen rührt. Kathrin Hoffman-Curtius‘ „Judenmord: Art and the Holocaust in Post-war Germany“ konkretisiert diese Verwerfungen und Brüche, die das Thema mit sich führt, im Zeitraum zwischen 1945 und 1969 anhand konkreter Künstler- und Werkbesprechungen. Doch zunächst interessiert die Tatsache, dass die jetzige englische, überarbeitete und ausgeweitete Fassung des Werks auf die deutsche Originalausgabe ((Hoffmann-Curtius, Kathrin 2014: Bilder zum Judenmord. Eine kommentierte Sichtung der Malerei und Zeichenkunst in Deutschland von 1945 bis zum Auschwitz-Prozess, Marburg: Jonas Verlag.)) im Jahr 2014 zurückgeht und daher einen zutiefst deutschen Kontext hat.

Dafür steht insbesondere das langjährige Engagement der Kunsthistorikerin Kathrin Hoffman-Curtius, viele jener deutschen Künstlerinnen und Künstler vor dem Vergessen zu bewahren, die mit eigenen Erfahrungen des Grauens auf künstlerischem Weg zurechtkommen wollten und mussten. Im nachdrücklichen Engagement der Autorin spiegelt sich zugleich eine deutsche Umwelt der 1950er und 1960er Jahre, die davon eher nichts wissen wollte. Entsprechend dünn ist bis heute die deutsche kunsthistorische und kunsttheoretische Aufarbeitung des Themas geblieben. ((Vgl. u.a. Kilchmann, Esther (Hg.) 2016: Artefrakte. Holocaust und Zweiter Weltkrieg in experimentellen Darstellungsformen in Literatur und Kunst. Köln: Böhlau; Sina, Véronique (Institut für Medienwissenschaft, RUB); Heindl, Nina (Kunstgeschichtliches Institut, RUB 2017: Holocaust in Kunst, Kultur und Medien (Vortragsreihe in Bochum); viele Kurzbeiträge in: Kranebitter, Andreas; Blohberger, Gudrun; Dürr, Christian; Holzinger, Gregor; Kniefacz, Katharina; Warlitsch, Doris 2018: Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. In: KZ-Gedenkstätte Mauthausen; Kranebitter, Andreas (Hg.): Jahrbuch 2017 der KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial. Forschung – Dokumentation – Information. New Academic Press : Wien.))

Ganz anders die angelsächsische Forschung, die vor allem seit den 1990er Jahren eine Fülle von Studien zum Thema hervorbrachte, ohne freilich ihren Blick spezifisch auf die deutsche Kunst zu richten. ((Barron, Stephanie 1991: Degenerate Art: The Fate of the Avant-Garde in Nazi Germany. New York : Harry N. Abrams; Amishai-Maisels, Ziva 1993: Depiction and Interpretation: The Influence of the Holocaust on the Visual Arts. Oxford etc.: Pergamon Press; Young, James 1993: Texture of Memory. New Haven, CT : Yale University Press; Bohm-Duchen, Monica 1995: After Auschwitz: Responses to the Holocaust in Contemporary Art. Northern Centre for Contemporary Art, Sunderland GB; Baigell, Matthew 1997: Jewish-American Artists and the Holocaust. Brunswick, NJ : Rutgers University Press; Toll, Nelly 1998: When Memory Speaks: The Holocaust in Art. Westport, Conn. : Praeger; Zelizer, Barbie 2000: Visual Culture and the Holocaust. Brunswick, NJ : Rutgers University Press.)) Der gemeinsame Grundzug der verschiedenen Annäherungen, nämlich den Holocaust als Zeitenwende an sich und damit tendenziell zu abstrakt zu begreifen, führte jedoch auch zur Kritik. Insbesondere konnte argumentiert werden, dass mit diesem Ansatz die Individualität der betroffenen KünstlerInnen zu wenig gewürdigt würde. Die spätere angelsächsische Forschung reagierte darauf im Rahmen eingehender biographischer Recherchen. In dieses angelsächsische Forschungsinteresse fügt sich die englische Fassung von Hoffman-Curtius‘ Werk bereits inhaltlich, indem es – aus dem Land der Täter – eine Vielfalt deutscher KünstlerInnen vorstellt, die unmittelbar nach Kriegsende ihren Erfahrungen und Betroffenheiten künstlerischen Ausdruck gaben, darunter eben nicht nur Joseph Beuys und Gerhard Richter, sondern auch weniger bekannte KünstlerInnen und Überlebende der Lager. Vor allem aber ergänzt Hoffmann-Curtius ihre Darstellung durch die zeitgeschichtliche und kulturelle Kontextualisierung von über 160 Werken und von über 40 KünstlerInnen. Hierher gehört nicht nur die Frage nach der Bedeutung des Abstrakten in der Verarbeitung des Verbrechens, im Unterschied zur eher realistischen Zeichnung der Verbrechen in Werken von DDR-Künstlern. Offenbar wurde hier bereits an unterschiedlichen Identitäten des Nachkriegsdeutschlands gearbeitet. Hinzu kommen Fragen etwa nach den ikonographischen Vorbildern der KünstlerInnen, aber auch nach der Funktion der Filmtechniken, die die Alliierten einsetzten, um die deutsche Bevölkerung mit dem Grauen der Lager zu konfrontieren, aber auch Fragen nach den Nachwirkungen des Auschwitz-Prozesses 1963-1965 auf die künstlerische Verarbeitung des Völkermords. Kathrin Hoffmann-Curtius hat mit ihrer beeindruckenden Detail- und Interpretationsarbeit ein bleibendes Referenzwerk, aber wohl auch ein persönliches Zeugnis geschaffen. Auf die Spuren dieser persönlichen Auseinandersetzung, die den selbstgesetzten methodischen Rahmen gelegentlich überschreitet, weist die Rezensentin Maya Balakirsky Katz kritisch hin. Nur am Rande sei vermerkt, dass sich die Redakteure von H-Judaic unter Kathrin Hoffmann-Curtius offenbar keine Deutsche vorstellen konnten und sie deshalb kurzerhand in ‚Kathryn Hoffman-Cortius‘ umtauften.