Von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal 37 (2019)
Ursprünglicher Gegenstand der Untersuchung des US-Sonderermittlers Robert Mueller war zwar die Einflussnahme der russischen Regierung auf die Wahl Trumps, aber auch jede andere Straftat, die Mueller im Verlauf der Untersuchung bekannt werden würde. Noch bevor der Report erschien, waren (mit Stand: März 2019) bereits sechs frühere Berater Trumps, 26 Personen russischer Nationalität, drei russische Firmen, ein Kalifornier und ein Londoner Rechtsanwalt angeklagt oder schon verurteilt, während weitere Prozesse noch nicht abgeschlossen waren. Anklagen gegen enge Familienangehörige Trumps und gegen Trump selbst erschienen möglich oder sogar wahrscheinlich.
Das wurde allgemein so verstanden, dass Mueller die Schlinge um Trump selbst immer mehr zuziehen wolle, um dem Kongress das Impeachment Trumps zu ermöglichen. Die Auslagerung einer Vielzahl von Verfahren wurde so verstanden, dass Mueller der Gefahr vorbeugte, dass sein Bericht rechtlich unter Verschluss gehalten würde. Das nun von Demokraten geführte Repräsentantenhaus verabschiedete daher am 14. März 2019 einstimmig bei wenigen Enthaltungen die Forderung nach einer uneingeschränkten Veröffentlichung des Berichts, worauf der republikanische Senatsführer Graham die Forderung prompt der Abstimmung im Senat entzog.
Letztlich wurde vom Mueller-Report der Nachweis erwartet, dass Trump als USPräsident, z.B. durch eigene ökonomische Interessen in Russland oder durch Informationen der russischen Regierung über ihn, der russischen Regierung gegenüber korrumpierbar, oder – mit den Worten eines früheren FBI-Beamten – ein „Russian asset“, ein russisches Pfand darstellte. Geschürt wurden diese Überlegungen durch die Praxis Trumps, Zeugen seiner Zweiergespräche mit Putin auszuschließen, bzw. Unterlagen der US-Übersetzer zu beseitigen.
Die Anhörung Michael Cohens
In einer öffentlichen Anhörung am 27. Februar 2019 breitete Michael Cohen, der frühere Rechtsanwalt Trumps (der zu diesem Zeitpunkt bereits verurteilt war) vor einem Kongressausschuss Details insbesondere zum betrügerischen Geschäftsgebaren Trumps, u.a. auch zu Trumps Geschäftsinteressen in Moskau/Russland aus, deren Klärung man erst vom Mueller-Report erwartet hätte.
Von Anfang an hatte Mueller seinen ersten Hebel bei Cohen angesetzt. So nahm die US-Bundespolizei FBI schon im Juli 2017 Einblick in Cohens Email-Verkehr und seine aus- und eingehenden Telefonkontakte seit Juni 2015. Entdeckt wurden dabei Honorare an Cohen von 2,5 Mill. Euro, vom Schweizer Pharmakonzern Novartis, vom Luftfahrtkonzern Korea Aerospace Industries und von der Schweizer Investmentfirma Columbus Nova, die mit dem Russen Viktor Vekselberg in Verbindung steht. Cohen verheimlichte diese Zahlungen, so dass das FBI im April 2018 einen Grund hatte, Cohens Wohnung und Büro in New York zu durchsuchen und so Cohen in die Rolle eines Kronzeugen gegen Trump hinein zu nötigen.
Cohen bezeichnete Trump bei seiner Anhörung als „racist“, „cheat“ und „conman“. Insbesondere zum Stichwort „conman“ erläuterte Cohen vor dem Ausschuss die Wirkung Trumps auf ihn als „mesmerizing“, „intoxinating“, „monopolizing my life“.
U.a. enthüllte Cohen die betrügerische Praxis Trumps, amtlichen und privatwirtschaftlichen Stellen einen weit überhöhten Wert seiner Immobilien anzugeben, um so die Höhe möglicher Darlehen in die Höhe zu treiben. Die New York Times bestätigte Cohens Angaben im März 2019: Danach behauptete Trump im Jahr 2011, in seinem Golf-Resort im Süden von Kalifornien 55 Luxuswohnungen im Wert zwischen 3 und 12 Millionen Dollar im Angebot zu haben, in Wirklichkeit waren es nur 31. Die Größe seines Weinbergs in Virginia bezifferte Trump mit 80 000 Ar, obwohl es nur ca. 48 000 Ar waren. Sogar die Anzahl der Stockwerke des Trump-Tower in New York fälschte er: Aus den tatsächlich nur 58 Stockwerken machte er durch Tricks beim Nummerieren zehn mehr, nämlich 68.
Er entlastete Trump jedoch hinsichtlich dessen politischer Abhängigkeit von russischen Interessen: Trump habe nicht erwartet, Präsident zu werden und daher seine Moskauer Interessen weiterbetrieben. Auch Trumps Manöver, um den Militärdienst – in Vietnam – herumzukommen, kam zur Sprache, allerdings nun mit der zusätzlichen Wendung, dass sich Trump zum Zeitpunkt der Anhörung zu einem (erfolglosen) Gipfeltreffen mit dem nordkoreanischen Führer Kim Jong Un ebendort, nämlich in Hanoi (Vietnam) aufhielt.
In der abschließenden Pressekonferenz Trumps in Hanoi sorgte ein Detail für Aufsehen, das an sein Verhältnis zu Putin erinnerte: Trump verteidigte den Diktator Kim Jong Un und seine Glaubwürdigkeit gegen die Erkenntnisse der eigenen USGeheimdienste. Wie im Fall Putin und der totalitär regierenden saudischen Regierung zeigte Trump erneut seine Neigung, in die ‚confidence‘-Falle anderer ‚con-men‘ zu gehen, die er so gern selbst anderen auslegte.
Insgesamt unterstrichen die Aussagen Cohens, dass die eigentliche Gefahr für Trump nicht vom Mueller-Report ausgehen würde, sondern von den strafrechtlichen Untersuchungen zum privaten Steuer-Gebaren Trumps, zu dem seines Konzerns und zur Trump-Stiftung, die vom Staatsanwalt im Südlichen Distrikt von New York (SDNY) geleitet wurden.
Gewaltrhetorik
Immer wieder geäußerte Befürchtungen und Warnungen, Trump könnte versucht sein, sich aus der zunehmenden rechtlichen und politischen Umklammerung durch Aufrufe zu Gewalt und Bürgerkrieg zu lösen, erhielten am 12. März 2019 faktische Nahrung: In einem Interview deutete Trump erstmals in dieser Offenheit an, gegen kritische Aktivisten und die Trumpkritische Linke ‚seine‘ Alliierten auftreten zu lassen: „You know, the left plays a tougher game, it’s very funny. I actually think that the people on the right are tougher, but they don’t play it tougher. Okay? I can tell you, I have the support of the police, the support of the military, the support of the Bikers for Trump – I have the tough people, but they don’t play it tough until they go to a certain point, and then it would be very bad, very bad. But the left plays it cuter and tougher.“
Am 15. März 2019 erhielt die Assoziation zwischen Trump und Gewalt weitere Aktualität: Der rechtextreme Attentäter, Brenton Tarrant, der an diesem Tag in Christchurch/Neuseeland 49 Menschen in einer Moschee tötete und viele weitere verletzte, bezog sich in einem von ihm zuvor online gestellten Schreiben auf Trump „as a symbol of renewed white identity“. Trump selbst, die Tat vor Augen, verneinte die Frage, dass “white nationalism” eine weltweit wachsende Gefahr sei: “I don’t really. I think it’s a small group of people that have very, very serious problems.” Im Übrigen wisse er zu wenig darüber.
Der rechtsextreme, der white supremacist-Bewegung nahestehende Abgeordnete Steve King (Rep.) nahm den Ball auf und sagte am 17. März 2019 triumphierend voraus, in einem neuen ‚civil war‘ hätten die Republikaner über 8 Milliarden Patronen zur Verfügung, während sich die Demokraten nicht zwischen ihren diversen Badezimmern entscheiden könnten.
Barrs Informationsblockade: Die sogenannte ‚Zusammenfassung‘ des Reports
Als der Report am 22. März 2019 schließlich ans Justizministerium gegangen war, setzte sich das Warten noch fort. Die Ankündigung des Generalstaatsanwalts William Barr, nur eine ‚Zusammenfassung‘ zu veröffentlichen, führte zu massiven Drohungen der Demokraten. Das Trump-Lager feierte dagegen, dass Mueller auf Anklagen gegen Trump selbst und Mitglieder der Trump-Familie verzichtet hatte.
Die Veröffentlichung der kurzen Zusammenfassung am 24. März 2019 und die Preisgabe nur ganz weniger direkter Zitate aus dem Report weckte den Eindruck eines Coups: Offenbar wollte Barr für die öffentliche Wahrnehmung eine bestimmte Lesart durchsetzen, d.h. die Öffentlichkeit weiterhin mit den Methoden des gas lighting traktieren.
Die erste Informationsblockade reichte bis zur Veröffentlichung des teilweise geschwärzten Reports am 18. April 2019. Bis dahin erweckte Barr den Eindruck, dass Mueller nicht wirklich weitergekommen war: Er habe eine direkte Kooperation des Trump-Wahlkampfs mit russischen Mittelsmännern verneint – obwohl doch alle von Mueller angestrengten gerichtlichen Verfahren gegen diesen Freispruch sprachen. Auch vom Vorwurf der Behinderung der Justiz habe Mueller – so Barr – den Präsidenten freigesprochen.
Der Eindruck verfestigte sich, dass den juristischen Haudegen Mueller der Mut verlassen hatte und er vieles von dem, was er hätte aufdecken müssen, einfach der demokratischen Fraktion im Repräsentantenhaus überlassen wollte. Die zwei Jahre, in denen sich die Hoffnungen der Demokarten auf Mueller gerichtet hatten, schienen sich als verlorene Liebesmüh zu erweisen.
Und noch mehr: Diente der Mueller-Report vielleicht sogar dem Machterhalt des weißen Establishments der USA? Spielte Mueller der Trump-Administration nicht nur hinsichtlich der Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft ‚freie Hand‘ zu? Hatte Mueller Trumps Philosophie sanktioniert, mit seinen Methoden stets ‚durchzukommen‘?
Der CNN-Korrespondent Stephen Collinson kommentierte, Mueller habe Trump darin bestärkt, seinen Instinkten auch künftig freien Lauf zu lassen. Dies sei zugleich ein Omen für die Art und Weise des Präsidentschaftswahlkampfs 2020. In der Tat sah sich die demokratische Opposition in die Enge getrieben: Sollte man sich fortan in Untersuchungsausschüsse erschöpfen oder musste man sich mit allem abfinden, um sich voll der Zukunft zuzuwenden?
Einerseits ging es um die grundsätzliche Frage, für die Legislative die Macht zurück zu erobern, die sich in vielen Jahren auf die Exekutive verlagert hatte. Andererseits unterstrich die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, die demokratische Opposition müsse sich auf die brennenden sozialen, fiskalischen und ökologischen Probleme des Landes konzentrieren.
Barrs Versuch der Irreführung: Der Report zwischen Aktionismus und Opportunismus
Am 18. April 2019 trat Generalstaatsanwalt Barr in einer als bizarr empfundenen Präsentation vor die Presse, um den Präsidenten erneut von allen Anklagen freizusprechen. Bevor der Report dann endlich eine Stunde später (mit Schwärzungen) veröffentlicht wurde, hatte Barr ihn noch den Beratern des Präsidenten zur Absegnung vorgelegt.
Angesichts der Reinwaschung Trumps durch Barr mussten die im Report zusammengetragenen Details zur Kooperation des Trump-Wahlkampfteams mit russischen Infiltratoren (collusion) und zu Trumps Versuchen der Strafvereitelung im Amt (obstruction of justice) umso schockierender wirken. Der Report überführte Trump und seine Mitarbeiter in 77 Fällen der Lüge und dokumentierte indirekt, dass 14 weitere, bis dato unbekannte Gerichtsverfahren liefen. Mueller dokumentierte insbesondere Trumps Versuche, engste Mitarbeiter, wie u.a. den Rechtsberater Donald F. McGahn II, zum Rechtsbruch anzustiften, um die Untersuchung zu stoppen.
Vor allem stellte sich heraus, dass Mueller von einer Strafverfolgung Trumps nicht deshalb abgesehen hatte, weil die Befunde nicht dazu ausreichten. Offenbar sah Mueller allein deshalb davon ab, weil das ihm übergeordnete Justizministerium die Leitlinie ausgegeben hatte, dass ein amtierender Präsident nicht angeklagt werden kann.
Die Demokraten reagierten auf den Report mit einer Salve strafbewehrter Anordnungen ans Justizministerium und andere Institutionen, darunter an die Deutsche Bank, zur Herausgabe von Dokumenten. Doch obwohl der Vorsitzende des Rechtsausschusses (des Repräsentantenhauses), Jerry Nadler, mit Haft- und Geldstrafen bis zu 20 000 $ pro Tag drohte, setzten die Rechtsanwälte Trumps mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2020 auf Obstruktion und juristische Verschleppung.
Am 3. April 2019 wurde bekannt, dass Mitglieder des Mueller-Teams über Barr verärgert waren. Drei Wochen später stellte sich heraus, sich Robert Mueller persönlich bei Barr beschwert hatte: Dieser habe weder den Kontext, noch die Natur und Substanz des Reports wiedergegeben, die Presse in die Irre geführt und Missverständnissen über Mueller Vorschub geleistet. Barr habe sogar eine von Mueller selbst verfertigte Zusammenfassung ignoriert.
In einer Senatsanhörung am 1. Mai 2019 trat die Arroganz Barrs noch deutlicher hervor: Barr bezeichnete Mueller nun als untergeordneten Beamten, dessen Arbeit beendet sei. Der Report sei daher sein, Barrs, ‘baby’ geworden.
Die Anhörung unterstrich das unglaubliche Ausmaß, in dem Spitzenbeamte wie Barr ebenso wie die Riege der republikanischen SenatorInnen, darunter insbesondere der einst so renommierte Lindsey Graham, eigentlich für immer ihre charakterliche Glaubwürdigkeit aufgegeben hatten: Der einst geachtete Jurist Barr übernahm vor dem Ausschuss Trumps propagandistische Lügen, so die These, es habe gegen den Trump-Wahlkampf 2016 ‚Spionage‘ gegeben.
Am gleichen Tag fasste der von Trump gefeuerte FBI-Chef James Comey das Phänomen in denkwürdiger Form zusammen: “Leute, die zwar angesehen sind, aber keine innere Stärke haben, können nicht widerstehen, die Kompromisse einzugehen, die man eingehen muss, um Trump zu überleben. Und das summiert sich zu etwas, von dem sie sich nie mehr erholen werden. … Trump frisst deine Seele in kleinen Bissen auf. Es fängt damit an, dass du schweigst, während er lügt, ob nun in der Öffentlichkeit oder privat, und dieses Schweigen macht dich zum Komplizen. Wenn du mit ihm zusammen bist, überschüttet er dich unwidersprochen mit Floskeln wie ‚was alle denken‘ und ‚was offensichtlich stimmt‘ – wie mir das in meinem Treffen am 17. Januar 2017 passiert ist – ,denn er ist der Präsident und er redet in einem fort. Und so zerrt er alle, die um ihn herum sind, in einen Kreislauf der schweigenden Zustimmung.“ (Übers. JP)
(Stand: 1. Mai 2019)