Der NS – ein Kulturbruch?

  • Lesedauer:3 min Lesezeit

Eine weiterhin bange Frage

Eine Rezension von Jobst Paul. ((ch stütze mich auf die Rezension von Jennifer Gramer (University of Wisconsin-Madison), vgl. https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=51656.)) Erschienen in DISS-Journal 36 (2018)

Zwischen 1938 und 1941 wurde die Wanderausstellung Entartete Kunst, die in den ersten sechs Monaten bereits eine Million Besucher auf sich zog, von München aus in 12 anderen Städten gezeigt. Doch muss der NS-Kunst- und Kulturpolitik klar gewesen sein, dass diese Demonstration der Herabsetzung von ‚Nicht-Kunst‘ nicht funktionieren konnte ohne eine gleichzeitige Demonstration dessen, was künftig als hohe NS-Kunst zu gelten habe. Dazu diente eine Parallelausstellung im Haus der Deutschen Kunst, in der 1938 900 von der NS-Kunstpolitik als ‚neue deutsche Kunst‘ apostrophierte Exponate gezeigt wurden.

DamErstellenit etablierte die NS-Propaganda eine weitgehend bis heute etablierte Trennung, die es dem deutschen Kulturverständnis nach 1945 ermöglichte, nun an die geächtete Kunst des Beginns des 20sten Jahrhunderts anzuknüpfen und umgekehrt die NS-Kunst als Zeugnis eines kurzen, allerdings dunklen Kulturbruchs zu verdrängen und von einer ernsthaften kunstgeschichtlichen Erörterung auszuschließen (Matthew Feldman, S. 246).

Dass sich diese Thematik für den Kurator des KODE Kunstmuseums in Bergen/Norwegen, Frode Sandvik, und für Erik Tonning, Anglist der Universität Bergen, und für eine Reihe anderer internationaler Wissenschaftler aufdrängte, liegt an einer ebenfalls von der NS-Kunstpolitik 1942-1943 auch in Oslo arrangierten Ausstellung mit dem Titel Kunst og ukunst (Kunst und Nicht-Kunst). Im Jahr 2015 rekonstruierten Sandvik und Tonning diese Bergener Ausstellung, ergänzt um Werke von sogenannten Kriegsmalern, die während des Kriegs in Norwegen stationiert waren.

Hintergrund der Rekonstruktion war die Einsicht der Kuratoren, dass weder der Nazismus noch die NS-Kunst außerhalb von Raum und Zeit existierten und nicht so leicht von weiterreichenden Aspekten der europäischen Kultur abgetrennt werden können – „auch wenn wir uns das so sehr wünschen“ (Matthew Feldman, S. 246).

Der Katalog „Art in Battle“ umfasst – neben der Dokumentation der Exponate – eine Reihe von herausragenden Aufsätzen internationaler Wissenschaftler, die anlässlich der Ausstellung von 2015 in ein Gespräch miteinander eintraten. Sie arbeiten nicht nur die norwegische Kunstszene während der deutschen Besatzung auf. Besonders denkwürdig ist die im Band dokumentierte wissenschaftliche Auseinandersetzung, weil sie unangenehme Fragen aufwirft, u.a. nach der wenig aufgearbeiteten Attraktion der Verknüpfung von Ästhetik, Gewalt und Utopie, der von einer Ästhetisierung des Rassismus und des Faschismus.

Zwar kollidiert der punktuelle Fokus des Projekts auf Norwegen und auf die Zeit des Nazismus mit der Absicht, die binäre Perspektive aufzulösen und einen erweiterten kulturellen Standpunkt einzunehmen. Der verengte Fokus wird auch den Lebensgeschichten und Entwicklungen vieler (oppositioneller) KünstlerInnen vor 1941 und nach 1945 nicht gerecht. Deshalb ‚ruft‘ der Band/der Katalog geradezu nach der langfristigen wissenschaftlichen Etablierung der Frage nach dem Zusammenhang von Kunst, Kultur und Totalitarismus: „Je mehr wir als Wissenschaftler* und Kunstkonsumenten* die NS-Kunst nur als Abweichung, als abstrakte Abirrung von der Norm begreifen, umso mehr könnten wir für die ‚unwissentliche‘ Repetition der Vergangenheit anfällig sein.“ (Jennifer Gramer, University of Wisconsin-Madison)

Frode Sandvik/Erik Tonning (eds.) 2017
Art in Battle
Stuttgart: ibidem Verlag 2017.
Illustrations, 256 pp., $ 110.00 (paper).