Das Mombasa-Syndrom

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oder: Rassismus à la carte
Von Jobst Paul.  Erschienen in DISS-Journal 32 (2016)

Gewinner des „Hauptpreises und Träger des Deutschen Spielepreises 2016“ ist Alexander Pfister mit seinem Spiel ‚Mombasa‘. ((Auch in Portugal wurde ‚Mombasa‘ zum Spiel des Jahres: https://www.boardgamegeek.com/thread/1631302/mombasa-wins-game-year-jogo-ano-spiel-portugal.))  Der Preis steht in Zusammenhang der ‚SPIEL 16‘, der weltweit größten Publikumsmesse für Gesellschaftsspiele, die – ebenso wie der Preis selbst – vom auf Spiele spezialisierten Friedhelm Merz-Verlag ((Der Journalist Friedhelm Merz war u.a. Politredakteur bei der katholischen Wochenzeitung „Publik“, 1972 Mitarbeiter und Redenschreiber von Erhard Eppler, dann Referent und Redenschreiber Willy Brandts. 1974-76 war er Chefredakteur des „sozialdemokrat-magazins“ und 1976-78 der SPD- Zeitung „Vorwärts“; 1978-85 leitete er den Vorwärts-Verlag. Aufgrund rückläufiger Auflagen wechselte Merz in die Privatwirtschaft und gründete den Friedhelm Merz Verlag für Spiel und Kommunikation, in dem Spiele-Fachzeitschriften erschienen.)) ausgerichtet wird und in diesem Jahr vom 13.- 16. Oktober 2016 in Essen stattfand.

Vor uns auf der Karte, wie ein zu verspeisender Kuchen, liegt Afrika, mit groben Linien in Stücke, d.h. in Interessen- und Rohstoffsphären, aufgeteilt und von den Stützpunkten von vier Handelskompanien belauert: von Osten her in Mombasa (Kenia), von Süden her in Kapstadt, von Westen her in Saint-Louis (Senegal) und von Norden her in Kairo. Ein Spiele-Rezensent schwärmt: „Auf einem schönen, in gedeckten Tönen gehaltenen Afrika-Spielplan mit variabel anlegbaren Kompanieleisten breiten sich viele kleine Holzkontore aus. Tintenfässchen und funkelnde Kunststoff-Edelsteine wandern über stabile Spieler-Kontortafeln. Holzmarker zum Einsetzen, Pappplättchen und hübsch gestaltete Waren- und Aktionskarten runden das stimmige Material ab.“

Ganz entsprechend dürfen wir auf dem Karton-Cover des Spiels einem Kolonialherrn über die Schulter sehen. Er hat nicht nur seinen Deutsch-Südwest-Tropenhut auf dem Klapptisch abgelegt, sondern auch die neuen, von ihm begutachteten Diamanten. Vom Tisch fällt der Blick durch das geöffnete Zelt ins Freie, von wo sich ihm drei schöne afrikanische Frauen mit gefüllten Körben auf ihren Köpfen nähern. Übrigens trägt der Kolonialherr irgendetwas in sein Büchlein – vielleicht sein Tagebuch – ein. Die Spielanweisung gibt zu Beginn den Text wieder:

„Wie erwartet hat die Ostafrikanische Kompanie ((Kenia war zunächst deutsches Protektorat. Die Macht wurde 1898 an die Briten übergeben. Seit 1888 errichtete die Imperial British East Africa Company Stationen entlang der bestehenden Karawanenrouten und der künftigen Eisenbahntrasse. Einzelne Chefs im Inneren, die bereits mit Elfenbein und Sklaven handelten, kooperierten, unterstützt von Massai, die sich als Hilfs-Militär verpflichteten. Zwischen 1890 und 1914 kam es zur brutalen Niederschlagung des Widerstands der Bevölkerung und der Zerstörung aller kulturellen und wirtschaftlichen Strukturen. Große Teile der fruchtbaren Gebiete wurden an weiße Siedler verpachtet oder verkauft. (Zusammenfassung aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Kenias).)) ihr Netz aus Handelsposten bis weit in den Westen vorangetrieben. Sie konnte sogar mehrere Diamantenminen für sich erschließen. Es scheint mir daher nur folgerichtig, unsere jüngsten Erträge hier in Mombasa zu investieren, statt weiterhin unser konkurrenzloses Engagement in Kapstadt zu pflegen. Es kann ja nur zu unserem Vorteil gereichen, mehrere Eisen im Feuer zu haben. Und wenn der Tag der Abrechnung da ist, wird sich zeigen, ob unser Anhäufen von Anteilen und unser kompromissloser Eifer es wert waren.“

Der Wiener Autor des Spiels, Alexander Pfister (44), hat Wirtschaftswissenschaften studiert, arbeitet „als Selbstständiger im Finanzbereich“ und kann sich daher „die Zeit gut einteilen, was beim Spieleerfinden hilft.“

Unter dem Titel ‚Afrika 1830‘ hatte er 2011 mit demselben Spiel schon einmal einen ersten Preis gewonnen, damals beim Hippodice Spieleclub e. V.. Damals lautete die Spielanweisung: „Die Spieler schlüpfen in die Rolle von Investoren von Handelskompanien im Afrika des 19. Jahrhunderts. Um Anteile erwerben zu können, bewirtschaften die Spieler Plantagen oder schürfen in Minen nach Gold. Wer die meisten und wertvollsten Anteile besitzt, d.h. der reichste Spieler, gewinnt.“  ((http://www.hippodice.de/index.php/awb2011details-de.)) Oder wie es ein Rezensent der Neuauflage des Spiels unter dem Titel Mombasa knackig formuliert: „Bananen, Baumwolle, Kaffee und Diamanten: die Schätze des afrikanischen Kontinents versprechen Fortschritt und Reichtum. Doch unsere Ressourcen sind begrenzt und die Konkurrenz schläft nicht.“ ((http://www.spielkult.de/mombasa.htm.))

Tatsächlich lässt die Aufmachung des Spiels keinen Zweifel, dass sich hier europäische Investoren und Spekulanten über Afrika hermachen, um den Preis der Arbeitskraft, der Gesundheit und des tausendfachen Todes ihrer afrikanischen SklavenarbeiterInnen.  Dementsprechend meint ein Rezensent daher sarkastisch: ((https://de.trictrac.net/news/diamanten-kompanien-und-buchhalter.))

„Kolonialismus und Imperialismus sind keine Schimpfworte, nein, viel mehr versprechen sie Wohlstand und befriedigen die nationale Großmannssucht. Die Industrialisierung macht Europa reich und die Arbeiter arm. Noch ärmer sind nur die Menschen in den Kolonien in Übersee, denn ihr Land wird ausgebeutet und sie als Wilde verschrien. Ja, der Hintergrund des Spiels ist unbequem. Muss man das überhaupt spielen oder glorifiziert man am Tisch Ausbeutung und irgendwo auch Rassismus?“

Andere Kritiker ((Vergleiche zum Folgenden: http://alexanderpfister.blogspot.de/2015/07/mombasa-ein-fiktionales-spiel.html?m=1.))  fordern Pfister daher ironisch auf, doch einmal ein Spiel zu schaffen, in dem

„der 2. Weltkrieg nachgespielt wird“ und in dem es „um die Plünderung der jüdischen Besitze geht“, aber eben so, dass die Spieler meinen, es gehe „doch nur um die Besitze, die Menschen sind doch gar nicht involviert“.

Alexander Pfister kann diese und andere Vorwürfe nun überhaupt nicht verstehen. Mit „der Verortung in Afrika zu Zeiten der Kolonisierung“ thematisiere das Spiel die historisch damit verbundene Ausbeutung von Menschen ja gar nicht. Es handele sich nämlich ausdrücklich nicht „um eine historische Simulation, sondern um ein fiktionales Spiel mit fiktionalen Handelskompanien“, d.h. letztlich nur um ein „Handelsspiel“. Es wäre doch schade, so Pfister weiter,

„wenn man kein fiktionales Wirtschaftsspiel in Afrika machen kann, weil jeder gleich an Kolonialzeit denkt. Afrika ist ein schöner und wirtschaftlich durchaus auch aufstrebender Kontinent – natürlich gibt es große regionale Unterschiede.“

Und weiter:„Nein, die Länder werden definitiv nicht geplündert, sondern es werden Handelsposten errichtet. Das bestimme ich so als Autor …“ Es sei natürlich gut, „wenn diese Zeit nicht in Vergessenheit gerät, sondern thematisiert wird“, aber bitte außerhalb von Mombasa. Denn entscheidender sei für ihn, „dass wir mit dem Spielen ein schönes, friedliches und freundschaftliches Hobby haben. In einer Welt, die aktuell sehr aggressiv (geworden) ist.“ Es sei beleidigend, ihn (Pfister) gleich als ‚rassistisch‘ zu bezeichnen, nur weil er eine andere Meinung habe.

Inzwischen haben sich der verantwortliche Eggert-Verlag und offenbar auch die Spiele(r)-Community auf Pfisters Lesartverständigt und dem Leugnen und Verdrängen eine nette Form gegeben. Der Verlag ergänzte seine Spiele-Anweisung nun lediglich mit dem Hinweis, dass Handelskompanien „untrennbar mit einem dunklen Kapitel der Geschichte verbunden“ waren, dem Kolonialismus, und dass dieser „für Ausbeutung und Sklaverei“ stand. ((http://www.spielkult.de/mombasa.htm))

Für die Spiele-Community stehen Stimmen wie die von Jörg Köninger vom Portal ‚Cliquenabend‘ ((http://www.cliquenabend.de/spiele/523500-Mombasa.html)), oder von Ingo Hackenberg ((Als Lektüre wird empfohlen: Jürgen Osterhammel und Jan C. Jansen, Kolonialismus – Geschichte, Formen, Folgen. Verlag C. H. Beck, München, 2009)), dem Chefredakteur des Online-Portals ‚Spielkult‘. So meint Köninger, das Spiel sei „durch die Kolonien“ und wegen „der Ausbeutung Afrikas nicht jedermanns Geschmack“, doch diese Thematik spüre „man im Spielverlauf überhaupt nicht.“ Und Ingo Hackenberg sekundiert:

„Der von manchen Kritikern unterstellte Rassismus ergibt sich einzig aus dem dafür nötigen historischen Hintergrundwissen zum gewählten Spielsetting. Wer dieses Wissen nicht hat und auch nicht darauf gestoßen wird, bekommt im Spiel davon nichts mit.“

Es scheint, dass der Rassismus der Mitte in der Tat nicht vorhanden ist, wenn man darauf nicht gestoßen wird.