Nicht am grünen Tisch …

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Einige Bemerkungen zur Neuauflage der „Kritischen Diskursanalyse“. Eine Einführung von Siegfried Jäger. Erschienen in DISS-Journal 24 (2012)

Die soeben erschienene 6. Auflage der Kritischen Diskursanalyse ist nicht am grünen Tisch entstanden, sondern beruft sich auf Erfahrungen mit einer Vielzahl empirischer Projekte, die seit den frühen 90er Jahren bis in die Gegenwart im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) durchgeführt worden sind. Diese Neufassung profitierte zudem von Vorarbeiten der 1992 gegründeten Diskurswerkstatt im DISS.

Ich habe ich versucht, den Duktus der Einführung beizubehalten, auch wenn es sich um eine weitgehende inhaltliche Revision der ursprünglichen Einführung handelt. Diese geht einher mit einer Präzisierung des Diskursbegriffs und des immer noch umstrittenen Konzepts des Dispositivs und damit auch der Dispositivanalyse. Dabei versuche ich die Annahme zu plausibilisieren, dass der Dispositivanalyse im Wesentlichen dieselben diskurstheoretischen Annahmen zu Grunde zu liegen haben, wie der traditionellen Diskursanalyse, die sich nahezu ausschließlich mit sprachlich performierten Diskursen befasst hat. In beiden geht es ja darum, das Wissen zu bestimmen, das sprachlich performierten Diskursen und nicht-sprachlich performierten Diskursen zugewiesen wird.

Im Zentrum dieser neuen Einführung steht nach wie vor die Frage nach dem politischen Nutzen der Diskursanalyse, der zwar gelegentlich noch bestritten wird, letztlich jedoch weitgehend anerkannt ist.

Kritische Diskursanalyse ist keine beliebige Methode, die sich vorhandener sozialwissenschaftlicher oder auch germanistisch-linguistischer Verfahren bedient, sondern sie ist dicht an eine Theorie rückgebunden: die Foucaultsche Diskurstheorie. Deshalb habe ich auch versucht, die wichtigsten Elemente dieser Theorie im Zusammenhang zu entfalten, so dass diese Einführung auch als Hinführung zur Foucaultschen Diskurstheorie gelesen werden kann, bevor eine Methode der darauf basierenden Diskurs- und Dispositivanalyse vorgeschlagen wird. Damit ersetzt sie die Primärlektüre der Werke Foucaults nicht, im Gegenteil: sie kann nur ihrer intensiven Lektüre anregen.

Zuzugeben ist: Foucault selbst hat keine in sich geschlossene Methode der Diskursanalyse aufgeschrieben. Seine Verfahren lassen sich jedoch aus seinen Schriften heraus rekonstruieren. Dem versucht diese neue Einführung dadurch Rechnung zu tragen, dass sie sich als offenes Konzept versteht, als „Werkzeugkiste“, in die je nach Notwendigkeit immer wieder neue Werkzeuge hineingelegt werden können und oft auch müssen. Die Vielfältigkeit und Komplexität des „diskursiven Gewimmels“ ist niemals zu antizipieren; die Werkzeugkiste, die für die Analyse der Diskurse bereit steht, ist daher immer offen. Die eigene intellektuelle Kreativität der Diskursanalytikerin soll nicht, ja kann nicht in ein schematisches Prokrustesbett gezwängt werden.

Kritische Diskursanalysen, wie sie hiermit angezielt werden, sind nur am Rande an Sprache interessiert, denn „Die Sprache existiert nur als Konstruktionssystem für mögliche Aussagen.“ (Archäologie des Wissens, S. 124). Und darum geht es: Die Ermittlung von möglichen Aussagen als den Atomen der Diskurse.

Kritische Diskursanalyse ist an Inhalten und Verhältnissen interessiert, die sie kritisiert. Sie tut dies, ohne sich im Besitz objektiver Wahrheit zu wähnen, und übt Wahrheitskritik an solchen Wahrheiten, die als angeblich objektiv und ewig gültig durchgesetzt werden, sei dies mit Drohmitteln, Heilsversprechen oder andere Techniken der Subjektivierung.

Diskursanalysen könnte man als Frühwarnsysteme auffassen. Sie können auf Gefahren hinweisen, die noch nicht aktuell sind, es aber unter genauer zu definierenden Bedingungen werden können und in aller Regel auch werden. Ungerechtigkeiten und Unterdrückung/Herrschaft und gegen Blockaden von Macht-Wissensverhältnissen aller Art, die Foucault auch als Herrschaftsverhältnisse bezeichnet.

Somit hat die hier vorgelegte Kritische Diskursanalyse einen dreifachen Charakter. Sie versteht sich erstens als Lehrbuch und „Gebrauchsanweisung“ für die Erarbeitung von Diskurs- und Dispositivsanalyen, zweitens als wissenschaftlicher Text zum Thema „Diskurs und Dispositiv“ und drittens als politischer Text, indem sie neue Möglichkeiten linker Politik aufzuzeigen versucht.

Kritische Diskursanalyse
Eine Einführung
Edition DISS im Unrast-Verlag Münster 2012
258 S., 19,80 €