Zu einem geplanten Forschungsprojekt. Von Martin Dietzsch und Regina Wamper, erschienen in DISS-Journal 22 (2011).
Einer der ältesten Ausgrenzungs- und Herrschaftsdiskurse Europas ist der Antisemitismus. In Deutschland tritt er heute vorwiegend als sekundärer Antisemitismus auf, bei dem sich Judenfeindschaft nicht trotz, sondern wegen der Shoah artikuliert. Die Frage, wie ein christlicher Antisemitismus weiter wirkt und wie er sich mit heutigem Antisemitismus verbindet, ist in der derzeitigen Antisemitismusforschung weitgehend ungeklärt. Wie relevant und wirkmächtig sind heute christliche antisemitische Kreise? Gibt es Kontakte zwischen solchen Gruppierungen und der politischen extremen Rechten? Diesen Fragen will ein Forschungsprojekt zur Darstellung von Juden und Judentum in deutschen fundamentalistischen christlichen Publikationen nachgehen, das vom DISS und vom Salomon Ludwig Steinheim-Institut konzipiert wurde. Es fragt nach aktuellen antijüdischen Aussagen in rechten christlichen Diskursen. Im Folgenden sollen einige der im Planungsprozess dieses Projekts ermittelten Befunde dargestellt werden.
So kann festgehalten werden, dass sich Evangelikale durch ein breites Netzwerk publizistischer Projekte und Verlage präsentieren. Ihre inhaltlich durchaus unterschiedlichen Spektren weisen auch personelle Querverbindungen zur politischen extremen Rechten, v.a. zur Jungen Freiheit auf. Aber auch inhaltlich finden sich ein ausgeprägter Antimodernismus, Antipluralismus, ein autoritäres Gesellschaftsverständnis, Homophobie, Rassismus und Androzentrismus gepaart mit Dogmatismus und politischem Sendungsbewusstsein. Gegenüber dem Judentum vertritt die überwiegende Mehrheit der Evangelikalen pro-zionistische Positionen. Dass diese pro-zionistische ‚Solidarität’ höchst instrumenteller Natur ist, macht die Bezugnahme auf die christliche Heilsgeschichte deutlich. Eine in der evangelikalen Bewegung vorherrschende Vorstellung ist es, dass Juden und Jüdinnen als ‚auserwähltes Volk’ nach Israel zurückkehren müssen, um schließlich nach der ‚erneuten’ Ankunft des Messias bekehrt zu werden. In diesem Zusammenhang berufen sich die Protagonistinnen positiv auf Gemeinden so genannter „messianischer Juden“, die in Israel die christliche Mission unter Juden und Jüdinnen praktizieren. Sowohl die Gründung des Staates Israel, als auch der 6-Tage Krieg, sowie beinahe jede politische Krise in Israel wird aus biblisch-endzeitlicher Sicht gedeutet. Während sich pietistische Zirkel, pfingstlerische Gruppen und endzeitliche Gemeinden auf Themen der Judenmission und des Nahost-Konfliktes konzentrieren, widmen sich Bekenntnisevangelikale vor allem der deutschen Geschichtspolitik. Sekundärer Antisemitismus, der sich auch antijudaistischer Topoi, beispielsweise der „Rachsucht der Juden“, bedient, ist hier nicht selten aufzufinden.
Verschwörungskonstruktionen sind der evangelikalen Bewegung ebenfalls nicht fremd. In manchen evangelikalen Weltbildern geht die Gefahr von Jüdinnen und Juden, von Freimaurern oder den USA aus. Aber auch die Kirche selbst sei von satanischen Kräften unterwandert. Diese zeichneten sich durch das Streben nach weltlicher Einheit, durch Ökumene und interreligiösen Dialog aus. In Anlehnung an den Jargon der extremen Rechten wird eine „Clerical Correctness“ beklagt, also eine stille Übereinkunft, über all dies nicht zu reden, was in der Kirche nicht gerne gehört werde, weil zu evangelikal, konservativ, biblizistisch oder fromm. Diese für rechte Diskurse typischen Opfermythen ziehen sich durch große Teile der evangelikalen Bewegung. Gesellschaftliche Tabus werden imaginiert, gegen die es sich aufzulehnen gelte. Kritik wird zur ‚Christenverfolgung‘ umgedeutet, sie sei ein antichristlicher Angriff auf das Evangelium. Ähnlichkeiten zu aktuellen extrem rechten Diskursen um Meinungsfreiheit und Zensur sind deutlich. Nur wird hier das zu bewahrende Volk zum bewahrenden Glauben umgemünzt, die „Political Correctness“ wird zur „Clerical Correctness“. Der Mythos vom Opfer-Sein, von der Tabuisierung der Wirklichkeit ist der gleiche. Die Betroffenheit von vermeintlichen politischen Verfolgungen verdoppelt sich: Man fühlt sich nicht nur als Rechter, sondern auch als Christ verfolgt.
Im Unterschied zur zersplitterten evangelikalen Szene beziehen sich dagegen sogenannte intransigente (unversöhnliche) katholische Bewegungen auf einen gemeinsamen Pol, den Papst. Dies geschieht freilich auf sehr unterschiedliche Weise. Unterscheiden kann man drei Hauptströmungen: Traditionalisten innerhalb der römisch-katholischen Kirche, Lefebvristen und Sedisvakantisten.
Diese rechten katholischen Gruppierungen zielen tendenziell und einige auch explizit auf die Wiederherstellung oder Neuschaffung vordemokratischer Strukturen und Werte, die Gleichheit der Menschen auf Erden wird abgelehnt, Aufklärung und Menschenrechte erscheinen suspekt, bzw. sogar als Teufelswerk. Zentral ist die Aussage, die (monolithisch verstandene) römisch-katholische Tradition sei die allein gültige, ewige Wahrheit; jedes Zugeständnis an die moderne Welt sei deshalb abzulehnen.
Bezüglich antisemitischer Konstruktionen stehen intransigente Katholiken den Evangelikalen um nichts nach, allerdings finden sich hier um einiges unverhohlener antijudaistische Stereotype, beispielsweise der Vorwurf des Ritualmordes. Sogar die „Protokolle der Weisen von Zion“ werden hier mitunter als authentisches Dokument empfohlen. Aus dem Spektrum der Sedisvakantisten kommt zudem einiges an antisemitischer Verschwörungs-Literatur. Diese Schriften finden ein Echo weit über diese meist nur sehr kleinen Zirkel hinaus, sie werden beispielsweise auch von Evangelikalen, Esoterikerinnen und von Neonazis rezipiert.
Es sei auch daran erinnert, dass zwei Autoren der Jungen Freiheit seit langer Zeit die Berichterstattung über den Katholizismus in dem jungkonservativen Blatt prägen: Werner Olles, ein bekennender Sedisvakantist, und Alexander Barti, der dem Hardliner-Flügel der Lefebvristen nahe steht. Insbesondere der Skandal um die Rehabilitierung des holocaustleugnenden Bischofs der Lefebvristen, Richard Williamson, durch den Papst löste in fast allen Lagern der extremen Rechten ein verstärktes Interesse gegenüber rechts-christlichen Stömungen aus. Selbst die mehrheitlich neuheidnisch und tendenziell antichristlich ausgerichtete NPD pries in ihrer Monatszeitschrift Deutsche Stimme die Judenfeindschaft und die mit der parlamentatischen Demokratie unvereinbaren Gesellschaftskonzeptionen des vorkonzilialen Katholizismus.
Dass es gute Kontakte zwischen rechten Christinnen und der politischen extremen Rechten gibt, verwundert nicht allzu sehr. Bedenklicher stimmt, dass etliche der in die geplante Untersuchung einbezogenen Gruppen und Publizisten durchaus zugleich auch in hegemoniale christliche und politische Zusammenhänge hineinwirken.
Diskursiv ist Antisemitismus kaum als Problem allein der extremen (christlichen oder neopaganen) Rechten anzusehen. Für dezidiert antisemitische Gruppierungen sind durchaus auch gesellschaftliche Anknüpfungspunkte vorhanden. Die entsprechenden Diskurse können von der politischen und von der christlichen Rechten auch im (christlichen und gesamtgesellschaftlichen) Mainstream radikalisiert werden.