Nationalistische Ausfälle?

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Anmerkungen zu den deutsch-polnischen Beziehungen. Von Wulf Schade. Erschienen in DISS-Journal 16 (2007)

In Polen wird zunehmend unverhüllter die „deutsche Karte“ gespielt, so jedenfalls hat es bis zur Parlamentswahl am 21. Oktober immer häufiger in politischen Kommentaren in Deutschland geheißen. Vor allem während der Verhandlungen um die EU-Verfassung in der ersten Hälfte dieses Jahres wurden normale Auseinandersetzungen um Einfluss und Macht von polnischer Seite, die beispielsweise ähnlich von Großbritannien, den Niederlanden, Tschechien oder auch Deutschland für die jeweils eigenen Interessen geführt wurden, als antideutsche Bestrebungen charakterisiert. Während man Polen vorwarf, es würde aus durchsichtigen Motiven überholte Geschichtsbilder wiederbeleben, um die eigenen Interessen auf internationalem Parkett durchzusetzen, traten in unserem Land die versteckten antipolnischen Stimmungen zu Tage.

Was sich in den politischen Kommentaren in Forderungen äußerte wie, Polen müsse sich an die demokratischen Spielregeln halten, fand ‚vor Ort’ seine Entsprechung in der Anknüpfung an die ewige Feindschaft mit Polen. So hieß es beispielsweise in der WAZ vom 3. September über den verpatzten deutschen Wechsel beim 4x400m Staffellauf während der Leichtatletik-WM: „Es waren wieder einmal die Polen, mit denen das deutsche Team aneinander geriet.“ Auf Rückfrage bei der WAZ konnte man sich in der Sportredaktion an keine Vorfälle mit Polen in den letzten Jahren erinnern, letztlich den Satz auch nicht erklären. Erleichtert wurden diese im Kern antipolnischen Äußerungen auf deutscher Seite durch tatsächliche nationalistische antideutsche Ausfälle der polnischen Regierung. So war es einfach, die Verantwortung für das heute schlechte bilaterale Verhältnis Polen zuzuschieben. Diese Ansicht erhielt durch den aktuellen Wahlkampf in Polen neue Nahrung: Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwoćś PiS) versuchte ja in der Tat, auch durch Mobilisierung nationalistischer Stimmungen gegen Deutschland wieder die parlamentarische Mehrheit zu erlangen.

Auf deutscher Seite wird dabei geflissentlich übersehen, dass sich diese Rhetorik der letzten zwei Jahre mitnichten nur gegen Deutschland richtete. Sie ging einher mit einer rassistischen und minderheitenfeindlichen Politik, die sich beispielsweise auch gegen die ukrainische Minderheit, Homosexuelle, die Postkommunisten, die nichtnationalistische Solidarnoćś-Strömung, die Feministinnen, kurz gegen Minderheiten sowie „westlichliberalistische Strömungen“, die angeblich die nationale Identität Polens zerstören, richtet. PIS wollte einen polnischen konservativautoritären, katholischen Rechtstaat etablieren. Um dieses Ziel zu erreichen, war ihr jedes Mittel Recht, eben auch die Mobilisierung von Nationalismus und Rassismus. Es verwundert denn auch nicht, dass auf ihren Listen zur Sejmwahl antisemitische Persönlichkeiten wie Prof. Richard Bender kandidierten. Die antideutsche Rhetorik war also ’nur‘ Teil einer allgemeinen nationalistischen und rassistischen Strategie und in allererster Linie ein innenpolitisches Instrument. Übersehen werden darf dabei auch nicht, dass ebenfalls bedeutende Teile der Bürgerplattform (PO), der Wahlsiegerin vom 21. Oktober, ähnliche Slogans mittrugen: „Nizza oder Tod“ stammte von der PO!

Weiterhin wird auf deutscher Seite meist übersehen, dass sich das deutsch-polnische Verhältnis bereits seit Jahren ständig verschlechterte. Die antideutsche Rhetorik kann in Polen vor allem deshalb verfangen, weil es tatsächlich tiefgehende Probleme zwischen Deutschland und Polen gibt. Eine wesentliche Ursache hierfür ist die zunehmende Diskussion in Deutschland seit Ende der 1990er Jahre um die ‚eigene Leidensgeschichte’ während und nach dem 2. Weltkrieg sowie damit verbunden die Forderung des Bundes der Vertriebenen (BdV) nach einem „Zentrum gegen Vertreibungen“. Das Streben nach einer Gründung des „Zentrums“ wird ausdrücklich von der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages gefördert, findet seine Unterstützerinnen aber auch außerhalb konservativer und rechter Kreise wie beispielsweise in Teilen der SPD, so durch den Vorsitzenden der Bayrischen SPD-Landtagsfraktion Franz Maget, wie auch in namhaften allgemein als liberal anerkannten Persönlichkeiten, z.B. Ralph Giordano, dem Kabarettisten Harald Schmidt, der Publizistin Helga Hirsch. Auch die Gründung der Preußischen Treuhand, die maßgeblich von Mitgliedern des BdV-Vorstandes und der CDU/CSU initiiert wurde, um die Eigentumsrechte „deutscher Vertriebener“ konsequenter einfordern zu können, fällt in diese Zeit. Zwar distanzierten sich später aufgrund der öffentlichen Diskussion die Parteivorstände der CDU und CSU wie auch der Vorstand des BdV von der Preußischen Treuhand, der Ausschluss aus ihren Organisationen droht den Mitgliedern der Preußischen Treuhand aber nicht. Landsmannschaften wie die der Ostpreußen und der Schlesier, ebenfalls Mitglied des BdV, unterstützen die Preußische Treuhand weiterhin offen. In Polen wurden und werden diese Bestrebungen von Beginn an mit großer Sorge verfolgt und abgelehnt ((Die Diskussion in Polen wurde über mehrere Jahre in POLEN und wir verfolgt und durch Übersetzungen aus der polnischen Presse dokumentiert: s.a. POLEN und wir Nr. 3+4/2002, 4/2003, 1/2004, 2+4/2005, 4/2006 und 2/2007)). Man ist erschrocken darüber, dass die Unterstützung für ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ unter Leitung des BdV in Deutschland bis weit in die politische Mitte reicht. Man erinnert sich daran, dass die Vorsitzende des BdV, Erika Steinbach, als Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag – sie ist auch heute noch Mitglied dieser Fraktion – dem Grenzvertrag mit Polen 1990 die Zustimmung verweigerte. Auch bei Deutschland ohne Vorbehalt positiv gegenüberstehenden Menschen in Polen setzte sich die Erkenntnis durch: Den zukünftigen Betreibern geht es beim „Zentrum gegen Vertreibungen“ und der darum stattfindenden Diskussion mitnichten um das Leid von Menschen, sondern um die

Neubewertung der deutschen Geschichte, in der das „Tätervolk“ zum „Opfervolk“ wird – mit all seinen auch juristischen Folgen. Die Dementis des BdV diesbezüglich werden von ihrer Vorsitzenden selbst als Lüge entlarvt. So sagte auf dem „Tag der Heimat“ am 6. August 2005 Erika Steinbach:

„Ja es war Adolf Hitler, der die Büchse der Pandora geöffnet hat. Ein Behältnis, voll gefüllt mit Unmenschlichkeit und Gewalt. Es war eine schreckliche Herrschaft, erst über das eigene Volk, dann über ganz Europa mit dem singulären Holocaust.“ (Hervorhebung W.S.)

Und am 5.9.2006 im Deutschlandfunk äußerte sie:

„Ohne Hitler, ohne den Nationalsozialismus hätten all die Wünsche, Deutsche zu vertreiben, die es in der Tschechoslowakei schon davor gegeben hat, die es in Polen schon davor gegeben hat, niemals umgesetzt werden können. Hitler hat die Tore aufgestoßen, durch die andere dann gegangen sind, um zu sagen, jetzt ist die Gelegenheit, die packen wir beim Schopfe.“

Weder wies die nach Erika Steinbach auf dem Tag der Heimat sprechende heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel die Geschichtsauffassung ihrer Parteikollegin zurück, noch führten so eindeutige geschichtsrevisionistische Aussagen Steinbachs zum Rückzug der aus der gesellschaftlichen Mitte stammenden politischen Unterstützerinnen. Bei der Ablehnung des „Zentrum gegen Vertreibungen“ des BdV gibt es in Polen denn auch keine signifikanten Unterschiede zwischen den politischen Lagern, gleichgültig ob rechtsstehend, liberal oder linksstehend. Ein solches Zentrum wird eindeutig und geschlossen abgelehnt. Auch die deutschfreundlichsten Kräfte, so z.B. der Publizist Adam Krzeminski, erinnern sich, wenn auch ungern, an die zögerliche Haltung Deutschlands 1989/90 bei den Verhandlungen um den Grenzvertrag mit Polen.

„Kohl war gegenüber Polen nicht fair, er verschleppte die Anerkennung der Grenze. (…) Er riskierte auch niemals etwas für die Aussöhnung mit Polen. Deshalb sollte die polnische Seite eine Vergabe des Friedensnobelpreises an ihn auch nicht unterstützen“ (Übersetzung W.S.),

schrieb Krzeminski im September dieses Jahres in der linksliberalen Wochenzeitung Politiyka. Man beginnt langsam zu erahnen, dass es langfristigem Denken geschuldet war, als es die deutsche Seite 1990 rigoros ablehnte, den Grenzvertrag mit Polen einen Friedensvertrag zu nennen und darauf bestand, dass die Grenze im Artikel 1 des Grenzvertrages vom 14.11.1990 nicht als „anerkannt“ sondern nur als „bestätigt“ bezeichnet wurde. Vielleicht traut man sich auch demnächst darüber nachzudenken, warum die Bundesrepublik Deutschland im Nachbarschaftsvertrag vom 17.6.1991 darauf bestanden hat, dass dieser „Vertrag sich nicht mit Fragen der Staatsangehörigkeit und nicht mit Vermögensfragen“ befasste („Briefwechsel zum Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“ vom 17.6.1991).

Eine wesentliche Ursache für die deutsch-polnischen Probleme liegt also darin, dass Deutschland gegen herkömmliche Meinung alte Rechtspositionen gegenüber Polen tatsächlich nicht aufgegeben hat. Deutschland hätte in den Verträgen mit Polen 1990/91 unzweideutig seine Verantwortung als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches dergestalt wahrnehmen können und müssen, dass es die Grenze als „endgültig“ anerkannt und jegliche Ansprüche für sich und seine Bürgerinnen auf polnisches Eigentum vertraglich ausgeschlossen hätte. Als äußeres Zeichen hätte man dann den ursprünglich provisorischen Staatsnamen Bundesrepublik Deutschland, der ja laut Grundgesetz nur für einen Teil des Nachkriegsdeutschlands stand, ändern und das ebenfalls provisorische, für diesen Teil Deutschlands geltende Grundgesetz durch eine endgültige Verfassung, die für das nun vollständige Deutschland gilt und zwar mit den heutigen Grenzen, ersetzen müssen. So hätte man dann auch eine gesetzliche Grundlage z.B. für ein Verbot der Tätigkeit der Preußischen Treuhand geschaffen. Die „deutsche Karte“ hätte aufgehört, als ernsthaftes politisches Argument zu funktionieren. Und zwar auf beiden Seiten.