Die Verwandlung von »Asylanten« in »Flüchtlinge«…

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… durch den Krieg und ihre künftige Rückverwandlung. Von Ulla Link-Heer, erschienen in: DISS-Journal / kultuRRevolution: Im Auge des Tornados (Gemeinsames Sonderheft Mai 1999) (= DISS-Journal 4 (1999))

Bei der bisher dritten und größten Vertreibungsaktion gegen Kosovoalbaner, die durch den schlagartig und hochstufig am 24. März 1999 einsetzenden Eskalationskrieg der NATO wenn nicht ausgelöst, dann auf jeden Fall unendlich verstärkt wurde, handelte es sich zunächst wiederum um klassischen »anti-subversive warfare«. »Operation Hufeisen«: früher in Vietnam hieß das »Einkreisungs- und Vernichtungsoperation« gegen Partisanenkräfte. Solche Operationen sind grausam und abscheulich genug, sie haben es nicht nötig, aus ihrem strategischen Kontext gerissen und als pure diabolische Brutalität »der Serben« vollends irrationalisiert zu werden. Die dritte Anti-Guerrilla-Operation gegen die UCK mit der parallelen Massenvertreibung (»dem Fisch das Wasser entziehen«) war eben bereits die dritte. Die erste fand im Frühsommer 1998 und die zweite im Herbst 1998 statt. Jedesmal zog sich die UCK (»der Fisch«) zusammen mit der vertriebenen Bevölkerung (»dem Wasser«) zurück und rückte nach dem »Sieg« der Antiguerrilla-Strategen mit dieser Bevölkerung zusammen wieder zurück an den Ausgangspunkt. (Genau wie in Vietnam.) Natürlich kann niemand verlangen, daß deutsche Politiker und Medien ein Gedächtnis besitzen, daß länger als der gestrige »Brennpunkt« zurückreicht, doch gibt es ja noch Zeitungen in Archiven.

Wie titelte die »Berliner Zeitung« am 11. Juni 1998? »US-Präsident Bill Clinton zum Militärschlag im Kosovo bereit. Westen will ethnische Säuberungen verhindern. Rußland sperrt sich. Bundeskriminalamt warnt vor Kriminalität von Albanern in Deutschland.« Damals war die Begründung des Krieges noch klar und deutlich: »In der Bundesregierung herrscht Einigkeit darüber, daß sich eine Flüchtlingsbewegung wie beim Bosnien-Konflikt keinesfalls wiederholen dürfe. In Bonn wird damit gerechnet, daß der Großteil der Flüchtlinge nach Deutschland kommen würde. In Bonn werden Sorgen wegen der Kriminalitätsrate unter Kosovo-Albanern in Deutschland geäußert. In einem internen BKA-Bericht von 1997 heißt es, bei der Kriminalität unter Albanern in Deutschland »handelt es sich um ein ständig wachsendes Problem«, das verstärkt werde »durch die Aggressivität und hohe Mobilität ethnisch-albanischer Straftäter« und das »ihnen zur Verfügung stehende, gut ausgebaute internationale Netzwerk.« Albanergruppen seien am Heroinhandel aus der Türkei beteiligt und strebten beim Drogenhandel und im Rotlichtmilieu die »regionale Monopolstellung« an.

Man muß es vielleicht wiederholen: Diese Kosovo-Albaner mit der extrem hohen Kriminalitätsrate, diese Spitzengangster des Heroinhandels und des Rotlichts sind die gleichen Kosovoalbaner, für die unsere Tornados seit dem 24. März 1999 Belgrad zerbomben und für die die Fernsehzuschauer von 1999 die größte bisherige Spendenaktion überhaupt zustande gebracht haben. Auch damals sollte allerdings bereits mit Tornados bombardiert werden: Aber im Klartext, um diese Leute aus Deutschland fernzuhalten.

Warum sieht bei der dritten »Operation Hufeisen« (die wie gesagt durch die Tornados entweder ausgelöst oder unendlich verstärkt wurde) nun plötzlich alles anders aus? Wieso führen wir jetzt angeblich für diese Leute mit der hohen Kriminalitätsrate Krieg? Wieso konnte zu Beginn der ersten Vertriebenenwelle des Krieges zunächst gemeldet werden, Deutschland sei bereit, 40000 Kosovoalbaner aufzunehmen? (Am nächsten Tag warens nur noch 10000,später wieder 15000:totales Chaos in Bonn?) 40000 – das wäre eine ganze »normale Jahresrate« von »Asylanten« (nach der GG-Änderung) gewesen oder sogar etwas mehr!

Die Geschichte der Aufnahme und Abwehr albanischer Flüchtlinge (zunächst aus Albanien, dann dem Kosovo) werden wohl erst die Historiker schreiben. Aber auch der Fernsehzuschauer wird sich doch zumindest noch an die an der Adriaküste landenden überfüllten Schiffe erinnern, die alsbald als Bedrohung unseres eh schon »zu vollen Bootes« und – nach einer ersten Welle des Mitleids – als besonders anfällig für Kriminalität erschienen. Die Frage lautet also, wie die humanitär-bombardierenden Menschenrechtsverteidiger (neue Aufgabe der NATO) die guten Flüchtlingsmassen von den bösen unterscheiden, damit man »die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen« tun kann (ist doch unsere Aufnahmekapazität »schon längst überschritten«)? Seit dem 24. März, seitdem Deutschland im Schoße der NATO (wieder) in Jugoslawien Krieg führt, scheint das Kriterium glasklar geworden zu sein: gute Flüchtlinge, die unser Mitleid verdienen und von denen wir mindestens eine symbolische Quote aufnehmen müssen, sind solche, deren Menschenrechtsverletzung uns zum Krieg und zur High-Tech-Bombardierung zwingt. Was aber wird aus diesen Flüchtlingen werden, wenn »der Westen« genug von diesem Krieg oder anderswo einen anderen »neuen Hitler« ausfindig gemacht hat? Dann wird von diesen Flüchtlingen die Rückkehr in die verbrannte Erde ihrer Heimat verlangt werden: Ihr Status wird sich radikal ändern; aus Menschen, denen die Entbehrungen und die traumatischen Erlebnisse ins Gesicht geprägt sind, die all ihr Hab und Gut aufgeben mußten, werden wieder »rückzuschiebende« »Mafiosi« und »Kriminelle« werden, die den bekannten Pogromstimmungen und Brandanschlägen ausgesetzt sein werden (welche bei uns allerdings gottseidank demokratisch und nicht wie unter dem Schlächter Milosevic verlaufen).

Es klingt zynisch, den kosovoalbanischen Flüchtlingen ein solches Schicksal nochmaliger Vertreibung vorauszusagen, just in dem Moment, wo Flüchtlinge hier endlich einmal wieder »Flüchtlinge« genannt werden und nicht »Asylanten« bzw. »wirtschaftskriminelle Scheinasylanten«. Noch zynischer wäre es allerdings, die Augen davor zu verschließen, daß das Auswärtige Amt bis zum Kriegsausbruch (vgl. den Bericht der FR vom 23.4. und dazu den Artikel von Sigi und Margret Jäger) behauptet hat: »Eine explizit an die albanische Volkszugehörigkeit anknüpfende politische Verfolgung ist auch im Kosovo nicht festzustellen« (so das AA an das Verwaltungsgericht Trier am 12.1.1999 – nach bereits zwei Anti-UCK-Operationen!). Diese Haltung hat das AA nach dem Bericht bis zum Kriegsausbruch in den Asylverfahren, wo es ja um »Asylanten« geht, vertreten. Man kann daraus die Schlußfolgerung ziehen, daß die Vertreibung der Kosovoalbaner »erst die Folge der Kriegsereignisse nach dem Beginn der NATO-Luftangriffe war« (so die Juristenvereinigung Ialana laut FR). Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Jeder weiß, daß auch vorher Kosovoalbaner geflüchtet sind, bloß daß sie da noch »Asylanten« waren, denen man die politische Verfolgung aberkannte.

In »Flüchtlinge«, denen wir helfen und von denen wir eine symbolische Quote aufnehmen müssen, wurden diese »Asylantenströme« erst durch das NATO-Bombardement verwandelt. Bevor sie neuerlich rückvertrieben werden, wird der mediopolitisch-humanitäre Diskurs sie wieder in »Kriminelle« verwandelt haben. Eine solche Prognose ist pessimistisch und bitter – aber seherische Qualitäten verlangt es nicht: schon am 21. April 1999 enthält die Titelseite der WAZ zwei kurze Nachrichten untereinander: »Debatte um Flüchtlinge aus dem Kosovo«. Hier wird berichtet, daß der vorläufige Aufnahmestopp für Kosovo-Flüchtlinge von mehreren CDU-Politikern mit dem Hinweis gerechtfertigt worden sei, »daß einige Kosovo-Albaner Kriminelle seien.« In der zweiten Kurznachricht »Verletzte bei Brandanschlag auf Asylheim« wird darunter von vier in Freiberg verletzten »Menschen« berichtet (ohne »ethnische« Angabe). Rechnet man diese Tendenzen hoch, so werden in der Neuen NATO-Welt-Ordnung »gute Flüchtlinge« nur noch zur Rechtfertigung von Kriegen entstehen – so wie überhaupt bloß noch Kriege »humanitär« sein werden.