Rassismus. Thesen zur Klärung eines Begriffs

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Rassismus. Thesen zur Klärung eines umstrittenen Begriffs. Von Siegfried Jäger. ((Überarbeitetes Thesenpapier zum Rechtsextremismus-Colloquium des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) am 16.-18.3.1990 in Radevormwald. Der Duktus des mündlichen Vortrags ist beibehalten worden.)) Zuerst erschienen in: Butterwege, Christoph/ Isola, Horst (1991): Rechtsextremismus im vereinten Deutschland. Randerscheinung oder Gefahr für die Demokratie? Bremen: Steintor-Verlag, S. 56-61.

1. Rassismus, sowohl als ideologisches Konzept als auch als Bestandteil der Weltanschauung, ist ein Kernphänomen rechtsextremer Ideologie und rechtsextremen Denkens. Rassistisch-theoretische Konzepte stellen Leitkonzepte geschlossener rechtsextremer Ideologie dar, oder anders ausgedrückt: rechtsextremer Lehre. Rechtsextreme Ideologiegebäude kommen ohne Rassismus nicht aus. Rassismus ist die Basis auch von Nationalismus, Chauvinismus, völkischer Staatsauffassung, rechtsextremen Menschenbildern, der rechtsextremen Positionierung von Frauen, von ethnopluralistischen Konzepten etc. etc. (Zum Verhältnis von Rassismus und Rechtsextremismus vgl. auch Margret und Siegfried Jäger 1990)

2. Obwohl sich Vertreter rassistisch begründeter einzelwissenschaftlicher Theorien wie Konrad Lorenz, Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Arthur Jensen, Hans Jürgen Eysenck u.a., insbesondere auch Vertreter (fast) der gesamten Soziobiologie, gegenüber Faschismus und Rechtsextremismus meist distanzieren, arbeiten sie ihm doch zu und stellen rechtsextremen konzeptiven Ideologen wissenschaftlich verbrämte Schein-Legitimationen für ihre rechtsextremen Theoriegebäude zur Verfügung. Wenn solche After-Wissenschaftler auch noch in rechtsextremen Publikationen schreiben (wie z.B. der Psychologe Hans Jürgen Eysenck), dann kann man sie getrost selbst dem rechtsextremen Lager zurechnen.

3. Nun ist nicht jeder Rassist auch schon Faschist oder Rechtsextremist, in dem Sinne, daß er oder sie über ein ausgeprägtes rechtsextremes Weltbild verfügte. Rassistische Unterstellungen finden sich selbst bei Wissenschaftlern bis weit hinein ins konservativ-bürgerliche Lager bis hin zu einigen Grünen. Ebenso finden sich rassistische Einstellungen bei (vermutlich) der Mehrheit der Gesamtbevölkerung (vgl. Sinus-Studie 1981), ohne daß diese mehrheitlich bereits als Faschisten oder Rechtsextreme zu bezeichnen wären. Anfälligkeiten für rechtsextremistische Positionen bis hin zur Adaption geschlossener rechtsextremer Weltbilder liegen aber immer vor, wenn rassistische Ideen die Köpfe der Menschen beherrschen, seien diese nun Wissenschaftler oder seien sie keine Wissenschaftler.

4. Da dies der Fall ist, halte ich es für die Analyse des Verhältnisses von Rassismus und Rechtsextremismus für unabdingbar zu klären, was denn unter Rassismus zu verstehen sei. Dies ist um so notwendiger, als es eine Fülle von Definitionen und Rassismus-Theorien gibt. Diese will und kann ich hier nicht im einzelnen vorführen. Stattdessen werde ich versuchen, den Rassismus-Begriff des englischen Soziologen Stuart Hall vorzustellen, weil er m.E. der entfaltetste und differenzierteste ist, den wir zur Zeit haben. Die Arbeiten von Michael Billig über „Die rassistische Internationale“ (1981) und von Lewontin/Rose/Kamin mit dem Titel: „Die Gene sind es nicht … Biologie, Ideologie und menschliche Natur“ (1988) sind m.E. mit Halls Rassismus-Begriff kompatibel und geeignet, seine theoretischen Überlegungen aus sozial- und naturwissenschaftlicher Sicht empirisch abzusichern.

5. Rassisten behaupten im allgemeinen, alle menschlichen Merkmale körperlicher und geistig-seelischer Art, also auch Verhaltensmöglichkeiten und Fähigkeiten, von der Intelligenz, über die Gefühle bis hin zur Kriminalität seien primär durch die Gene vermittelt. Die Gene seien aber je nach generischer und sozialer Zugehörigkeit und erst recht je nach angeblicher „Menschenrasse“ qualitativ eklatant unterschiedlich verteilt. Genetisch bedingte Unterschiede werden also qualitativ bewertet, oder aber es werden ansozialisierte Unterschiede naturalisiert, also auch letztlich den Genen in die Schuhe geschoben, worauf sie dann ebenfalls negativ oder positiv bewertet werden. „Menschenrassen“ werden in aller Regel aber nicht nur an der (angeblich) unterschiedlichen genetischen Ausstattung der Menschen festgemacht, sondern primär an äußeren körperlichen Merkmalen von der Schädelgröße bis hin zu Geschlecht und Hautfarbe oder Nasenform usw., aber auch anhand von Mentalitäten, Gefühlsdispositionen, Fähigkeiten etc.. Der äußerliche Unterschied ist den meisten also bereits Garant der genetisch bedingten Unterschiedlichkeit. Wo die äußeren Unterschiede fehlen oder marginal sind, werden „innere“ Unterschiede auf biologisch verankerte zurückgeführt. Zu beobachten ist, daß auch die wissenschaftlichen Rassisten von solchen biologisch bedingten Merkmalen ausgehen und diesen post festum unterschiedliche menschliche Fähikeiten usw. zuordnen und umgekehrt. Das ist zwar völliger Unsinn, aber auch sehr hermetisch: Die menschliche Existenz wird so in allen ihren Merkmalen als größtenteils biolgisch determiniert unterstellt. Solche Wissenschaft ist von Beginn an von Vorurteilen geleitet und dient dem Zweck, diese Vorurteile zu bestätigen. Sie verfährt somit nicht anders als jeder Nichtwissenschaftler. Ihre Funktion ist aber legitimatorisch und in aller Regel herrschaftsstabilisierend. Wenn rechtsextreme Ideologen wie Christian Mattausch, Chef-Rassist der militant rechtsextremen Zeitschrift „Nation Europa“, festellt, daß auch der Rassismus angeboren sei, zieht er nur die logische Konsequenz aus den pseudowissenschaftlichen Vorgaben von Galton, Lorenz, Wilson, Günther, Burt, Jensen, Eysenck usw. usw. So findet man bei Soziobiologen, die durachaus ernst genommen werden wollen, Behauptungen wie die, daß es kriminelle oder egoistische Gene gäbe usw. usw.

6. Nun ist aber der Nachweis erbracht, daß es keine genetischen Unterschiede gibt, die die Annahme unterschiedlicher menschlicher „Rassen“ auch nur irgendwie rechtfertigen würden; es ist festgestellt worden, daß etwa 75 % aller menschlichen Gene bei allen Menschen anzutreffen sind und genetische Unterschiede innerhalb sog. „Rassen“ größer sind als solche zwischen den angenommenen „Rassen“. (Vgl. z.B. die sehr überzeugende Darstellung bei Lewontin u.a. 1988) Wissenschaftlich gesehen, ist damit dem Rassismus der Boden entzogen. Doch trotz dieser völlig eindeutigen wissenschaftlichen Beweisführung ist zu beobachten, daß bestimmte Sozio-Biologen und die Mehrheit der Bevölkerung unverdrossen an ihren rassistischen Vorurteilen festhalten. Kurz: Es ist festzustellen, daß es einen „Rassismus ohne Rassen“ gibt: Rassismus als soziale Praxis, wie Stuart Hall sagt, wobei körperliche Merkmale platt zur Klassifizierung bestimmter Bevölkerungsgruppen benutzt werden. (Vgl. Hall 1989, S. 913 ff.) Diese körperlichen Merkmale fungieren nach Hall in rassistischen Diskursen als Bedeutungsträger, als Zeichen innerhalb eines Diskurses der Differenz. Und er meint: „Wenn dieses Klassifikationssystem dazu dient, soziale, politische und ökonomische Praxen zu begründen, die bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen oder symbolischen Ressourcen ausschließen, dann handelt es sich um rassistische Praxen“ (913), um sog. „Ausschließungspraxen“. Solche Praxen sind nach Hall durch Ideen bestimmt, und in diese Praxen sind Ideen eingeschrieben.

Mit dieser Bestimmung versucht Hall, Rassismus, oder, wie er sagt, rassistische Diskurse bzw. den Diskurs des Rassismus nicht allein ökonomisch, sondern zugleich politisch-ideologisch und ökonomisch zu bestimmen. Dies ist eine wichtige theoretische Bestimmung, die Hall noch einmal wie folgt formuliert: „.. alle ideologischen Praxen (haben) politische und ideologische Existenzbedingungen, wie alle ökonomischen Praxen ideologisch mit bestimmt sind.“ (914) Damit knüpft Hall hier an den materialistischen Diskursbegriff an, wie er, auf Foucault fußend, auch von Jürgen Link, Utz Maas und anderen heute vertreten wird und allmählich größere Verbreitung findet.

7. Rassismus ist, wie der Sexismus, bereits vor dem Kapitalismus dagewesen. Es wäre also ganz falsch, ihn allein aus dem Kapitalismus heraus erklären zu wollen. Dieser nutzt ihn für seine Zwecke und erhält ihn auch aufrecht, denn er dient ihm z.B. dazu, verschiedene Fraktionen der Arbeiterklasse auseinanderzudividieren. Entsprechendes gilt für den Frau-Mann-Unterschied. (Divide et impera!)

8. Rassismus ist Ideologie, und sie hat Funktion und Charakter einer Religion. Sie ist quasi-religiös. Quasi, weil sie nicht auf etwas Transzendentales gerichtet ist, sondern bestimmte aberwitzige konkrete Annahmen an etwas ganz Konkretem festmacht. – In Marx „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ kann man nachlesen, weshalb viele Menschen Religion brauchen. Sie ist für sie „Protestation gegen das wirkliche Elend.“ Die Religion“, heißt es da, ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“ (MEW 1, S. 378) Ohne Religion würden viele schlicht verrückt, weil sie ihr Leben nicht aushalten würden. So dürfte wohl auch Rassismus „Opium des Volkes“ sein. Dies um so mehr, als Religionen, zumindest in unseren Breiten, ihre Überzeugungskraft fast vollständig eingebüßt haben. Die Lügen und aufs Jenseits gerichteten falschen Konsum-Versprechungen der Pfaffen halten gegenüber den Einsichten der modernen Wissenschaft und den konkret hiesigen Konsumangeboten moderner Gesellschaften nicht mehr so richtig stand. Da aber die erfahrenen Mängel und Entbehrungen dieser Welt sich nicht mehr in eine jenseitige Welt abbiegen lassen, müssen dafür entsprechende irdische Blitzableiter gefunden werden.

Hall fragt nun auch: „inwiefern Rassismus eine authentische Form sein kann, in der untergeordnete soziale Gruppen ihre Unterordnung leben und erfahren.“ Und er meint: „Wir müssen begreifen, wie Gruppen, die von den Reichtümern unserer Wohlstandsgesellschaft ausgeschlossen sind, die aber gleichwohl zur Nation gehören, sich mit ihr identifizieren wollen, im Rassismus eine authentische Form der Identitätsgewinnung und des Selbstbewußtseins finden können.“ (916) Und er fragt weiter, „wie“ die Subalternen im Rassismus Identität und Selbstbewußtsein finden können. Darin geht das Implikat ein, daß sie dies tun. In einem ersten Schritt meint Hall, Rassismus legitimiere subjektiv dazu, gebe einem also scheinbar das Recht, andere abweichende Gruppen, mit denen man um einen Platz an der Sonne kämpfe, auszuschließen. Demnach würde Rassismus subjektiv erst überflüssig, wenn die Subalternen sich nicht mehr den Platz an der Sonne streitig machen müßten. Solange kapitalistische und sonstwie verursachte materielle, soziale und psychische Mangelerscheinungen systematisch erzeugt werden und nicht genug für alle da ist, werden wir also auf jeden Fall mit Rassismus rechnen müssen. Hier hat auch politische Aufklärung ihre Grenzen. Anti-rassistische Kampagnen, besonders auch in den Betrieben, haben es deshalb auch außerordentlich schwer. Ihre Wirkung bleibt meist vordergründig, was man merkt, wenn bei Gewerkschaftsschulungen tagsüber gegen Ausländerfeindlichkeit argumentiert wird und abends beim Bier zynischste „Türkenwitze“ kolportiert werden.

Auch Sexismus und jede Art von Frauendiskriminierung ist als Auschließungspraxis zu verstehen. Vulgärwissenschaftliche und/ bzw. soziobiologische Theorien über den Mann-Frau-Unterschied verdrehen die Tatsache, daß es in erster Linie psycho-kulturelle Erwartungen sind, die die Geschlechtsrollenentwicklung auf eine tiefgreifende Art determinieren. Nur biologisch argumentierende Theorien, die z.B. behaupten, der Bau und die Chemie des Körpers, also z.B. die Hormone, determinieren unausweichlich die Geschlechtsrollen, folgen dem bekannten Deutungsschema, die Menschen seien in ihren wesentlichen Bestimmungen genetisch determiniert. Insofern ist auch die Behauptung, das Patriarchat sei irgendwie biologisch bedingt und daher unvermeidbar, im Grunde rassistisch. (Vgl. dazu im einzelnen z.B. Lewontin 1988, S. 1o3-133) Frauen „anderer“ Herkunft und „anderen“ Aussehens werden i.a. mit einer doppelten Diskriminierung konfrontiert: Sexismus plus Rassismus.

9. Nun eine etwas spekulative Zwischenthese:

Wenn es – z.B. gewerkschaftlich – gelänge, den Streit um den Platz an der Sonne dadurch zu verhindern, daß alle Menschen, insbesondere auch Ausländer und Deutsche, Männer und Frauen, die gleichen Lebenschancen hätten, würde dann der Rassismus und mit ihm die Anfälligkeit für Rechtsextremismus aufhören? Auch wenn die damit angesprochene Durchsetzung der Gleichheit total utopisch klingt, weist dies doch in die richtige Richtung: gleichen Zugang zu Arbeitsplätzen, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Abbau der Tarifklassen, usw. Hier sieht man z.B. auch, welche Bedeutung der Kampf der Frauen für gleichen Lohn für gleiche Arbeit hat.

1o. Die besondere Hartnäckigkeit rassistischer Vorstellungen, von der oben bereits die Rede war, hat nach Hall aber noch einen anderen Grund, den er psycho-analytisch dingfest zu machen versucht: Ausschließungspraxen dienen auch, aber nicht allein, dazu, Gruppen vom Zugang zu materiellen und kulturellen Gütern auszuschließen. „Sie haben auch die Funktion, sie symbolisch aus der Familie der Nation, aus der Gemeinschaft auszuweisen.“ (919, meine Hervorhebung, S.J.) Die damit erzeugte „binäre Spaltung“ legitimiert sich dadurch, die anderen als im Gegensatz zu sich selbst und in der Regel negativ zu definieren. Durch diese Konstruktion des Anderen werden Identitäten produziert und Identfikationen abgesichert. Wir brauchen also die anderen, um uns selbst zu definieren. Die anderen sind aber deshalb für viele Menschen bedrohlich, weil wir in ihnen möglicherweise einen Teil von uns wiedererkennen, den man aus irgendwelchen Gründen verdrängen oder unterdrücken mußte, wie z.B. die (wenn auch nur vorgestellte) Wildheit und Ausgelassenheit, die sexuelle Freizügigkeit und Kraft der anderen, insbesondere anderer „Rassen“ oder des anderen Geschlechts usw. Hall, den ich hier nur in aller Kürze referiere, meint dazu im Hinblick auf anti-rassitische Gegenwehr: „Strategien und Politik des Antirassismus, die nicht versuchen, in diese tieferen und grundlegend widersprüchlichen Schichten des Rassismus hinabzusteigen, werden scheitern, weil sie sich auf die Oberflächenstruktur einer ausschließlich auf das Rationale zielenden Politik beschränken.“ (921) Die Lektüre von Theweleits „Männerphantasien“ könnte diese Erklärung weiter absichern: Der faschistoid-soldatische Mann definiert sich über die Frau als weiße Schwester, die er entsexualisiert, und über die rote Hure, die er sexuell heftig begehrt, die er aber bestialisch – und die Fakten zeigen: nicht nur in der Phantasie – töten muß, weil die Erfüllung dieser Begierde den Zusammenbruch seines männlich-faschistischen Selbstbildes bedeuten würde.

11. Doch zurück zu dem, was unter Rassismus zu verstehen ist. Oben habe ich den Begriff des Rassismus noch sehr unspezifisch verwendet und nur auf angeblich genetisch bedingte Unterschiede bezogen. Von diesem pseudogenetisch begründeten Rassismus müssen wir aber nun auch noch einen kulturellen Rassismus unterscheiden: Auch wenn bestimmte Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuche einer bestimmten Menschengruppe verabsolutiert werden, sozusagen als die einzig normale Form zu leben angesehen werden und andere, davon abweichende Lebensformen negativ bewertet werden, ohne daß dies unbedingt genetisch begründet wird, ist von Rassismus zu sprechen. Auch dies dient der genannten Ausschließung anderer Menschen, der Abgrenzung, der Legitimation, sie zu bekämpfen. Diese von Stuart Hall vorgenommene Erweiterung des Rassismus-Begriffs scheint mir nützlich und richtig zu sein, da sie andere moderne anti-rassistische Theorien, wie z.B. die von Lewontin/Rose/Kamin 1988 ergänzt und, ohne in Widerspruch dazu zu geraten, weiter ausbaut. Lewontin u.a. sagen ganz deutlich, nachdem sie die Behauptungen der Soziobiologie als Unsinn entlarvt haben: „Jegliche Verwendung von Rassekategorien muß ihre Rechtfertigung aus anderen Quellen als der Biologie beziehen.“ (S. 102) (Vgl. aber auch ebd. bes. S. 96-102)

12. Klar geworden sein dürfte auch, daß jede Form von Ausländerfeindlichkeit rassistisch ist. Ob genetisch oder kulturell begründet: die Ablehnung von Ausländern resultiert in Auschließungspraxen. Nehmen wir ein vielzitiertes Beispiel, mit dem der Versuch gemacht wird, Rassismus von Ausländerfeindlichkeit zu unterscheiden: Ein Fußballfan sagt: „Ich mag die Ausländer zwar nicht. Sie sollen doch nach Hause gehen. Das sage ich aber nicht, weil ich sie irgendwie für minderwertig halten würde, sondern weil sie oft so laut sind, Tomaten auf den Balkons pflanzen oder einfach anders denken als wir.“ Hier liegt ein geradezu klassischer Fall von kulturellem Rassismus vor.

13. Auch „modernere“ rechtsextreme Organe haben inzwischen begriffen, daß die Reduktion des Menschen auf seine Gene und ein sich darauf gründender Rassismus einfach wissenschaftlich nicht zu halten sind. So erschien in der rechtsextremen Zeitschrift MUT vor kurzem ein Artikel des Biologen Wolfgang Kuhn, in dem er solche Reduktionen vehement zurückweist. (MUT 9/1989, S. 38-51) Die Vermutung von Stuart Hall, daß der genetische Rassismus zunehmend von einem kulturellen Rassismus abgelöst wird, könnte darin bereits einen ertsen Ausdruck finden, auch wenn in Kuhns Artikel keinerlei Hinweis darauf vorkommt. ((In früheren MUT-Artikeln finden sich natürlich auch noch genetisch argumentierende Rassismen, vgl. noch in MUT 3/1987 den Artikel von Ortlieb, S. 26 ff., wo sie neben kulturellen stehen.))

 

Verwendete Literatur:

Michael Billig: Die rassistische Internationale, Frankfurt 1981

Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, Frankfurt 1974

Stuart Hall: Rassismus als ideologischer Diskurs, Das Argument178 (1989), S. 913-921)

Siegfried Jäger und Margret Jäger: Rechtsextremismus und Sprache, in: Kurt Bodewig/Rainer Hesels: Die schleichende Gefahr. Rechtsextremismus heute, Essen 1990 (i.E.)

Wolfgang Kuhn: Biologie und Menschenbild, MUT 267, 9/1989, S. 38-51)

Richard C. Lewontin/Steven Rose/Leon J. Kamin: Die Gene sind es nicht. Biologie, Ideologie und menschliche Natur, München 1988

Jürgen Link: Kollektivsymbolik und Mediendiskurse, kultuRRevolution 1 (1982) S. 6-20

Utz Maas: „Als der Geist der Gemeinschaft eine Sprache fand“ …. Sprache im Nationalsozialismus. Versuch einer historischen Argumentationsanalyse, Opladen 1984

Hein-Dietrich Ortlieb: Reform der Weltwirtschaftsordnung. Das Dilemma des Westens, MUT 235, 3/1987, S. 24-33

Sinus-Studie: „Wir sollten wieder einen Führer haben …“ Die Sinus-Studie über rechtsextreme Einstellungen bei den Deutschen, Reinbek 1981

Klaus Theweleit: Männerphantasien 1: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, Reinbek 1980