Die Ausweitung des Sagbarkeitsfeldes. Von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal 20 (2010)
Unterschiedliche Politiker haben den gewachsenen Spielraum des Sagbaren ((im Gefolge der „Sarrazin“-Debatte)) schnell genutzt, darunter der bayerische Ministerpräsident Seehofer am 9. Oktober 2010: „Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun.“ Daraus ziehe er den Schluss, „dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen“. Gleichzeitig forderte er – ebenso wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) – schärfere Sanktionen gegen Integrationsverweigerer. ((http://www.wz-net.de/wz_21_109577926-1-53861_Seehofer-Zuwanderungsstopp-fuer-Tuerken-und-Araber.html?WZID=0ffb214beb25d55564f56ab2220c43bd)) Der Ministerpräsident von Hessen, Volker Bouffier (CDU), meinte, nicht Deutschland müsse sich ändern, sondern die islamischen Einwanderer müssten es (ebd.). Der CDU-Fraktionschef im Landtag von Schleswig-Holstein, Christian von Boetticher: „Was machen wir mit denjenigen, die nicht wollen?“ In besonders krassen Fällen, so seine Fraktionskollegin Astrid Damerow, müssten Sanktionsmöglichkeiten angewandt werden: die Aufenthaltsgenehmigung etwa nicht zu verlängern, die Einbürgerung zu verweigern oder staatliche Unterstützung zu kürzen. Laut von Boetticher muss bei Straftätern auch über Abschiebung gesprochen werden. Doch gerade über das Problem der Kriminalität von Migranten werde ein „Mantel des Schweigens“ gehüllt, kritisierte er. ((Kieler Nachrichten 6. Oktober 2010, http://www.kn-online.de/schleswig_holstein/landespolitik/198554-Kieler-Landtag-debattiert-ueber-Integration.html)). Am 6. Oktober 2010 ließ sich Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln, zitieren: „Buschkowsky appellierte, ‚die vorhandene Deutschenfeindlichkeit und Gesellschaftsablehnung als Faktum zur Kenntnis zu nehmen und nicht wieder alles gleich schönreden‘.“ ((http://www.welt.de/politik/deutschland/article10105192/Buschkowsky-Was-Wulff-zum-Islam-nicht-gesagt-hat.html)) Am 8. Oktober meldete Welt-Online: „Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), hat Maßnahmen gegen Deutschfeindlichkeit an Berliner Schulen angemahnt. ‚Wir müssen die Berichte von Berliner Schulen ernst nehmen: Es sind offensichtlich keine Einzelfälle mehr, dass sich Schüler und Lehrer deutschfeindliche Äußerungen anhören müssen‘, sagte Böhmer der „Passauer Neuen Presse“.“ ((http://www.welt.de/politik/deutschland/article10147150/Boehmer-prangert-Mobbing-deutscher-Schueler-an.html)). Am 10. Oktober 2010 folgte Bundesfamilienministerin Schröder und Grünen-Chef Özdemir: „Führende Politiker von CDU und Grünen haben vor einer ‚Deutschenfeindlichkeit‘ innerhalb der Bundesrepublik gewarnt. Laut Bundesfamilienministerin Schröder müssen sowohl Ausländer- als auch Deutschenfeindlichkeit bekämpft werden. Grünen-Chef Özdemir forderte Schritte gegen Deutschenfeindlichkeit an Schulen. Auf Schulhöfen sei diese Haltung‚ genauso wenig akzeptabel wie jede andere Form von Diskriminierung‘“. ((http://www.domradio.de/news/68236/politiker-warnen-vor-deutschenfeindlichkeit.html)). Am 12. Oktober 2010 interpretierte Bundeskanzlerin Merkel die Aussagen Seehofers vom 9. Oktober kurzerhand um: „Seehofers Bemerkung sei auf Fachkräfte zugeschnitten gewesen, die auch aus ihrer Sicht vorrangig ‚aus der Vielzahl von arbeitsfähigen, aber leider langzeitarbeitslosen Menschen in Deutschland‘ rekrutiert werden müssten. „Ansonsten bleiben wir Heimat für viele Menschen und wir hoffen, dass sie sich in Deutschland wohlfühlen.“ ((http://www.tagesspiegel.de/politik/merkel-deutet-seehofer-um/1954516.html)). Am 18. Oktober 2010 schritt Innenminister Thomas de Maizière (CDU) zur Tat und wollte „mit einer Umfrage in den Ländern feststellen lassen, wie viele Ausländer nach ihrer Einreise den verpflichtenden Integrationskurs schwänzen oder abbrechen. Ein erstes Zwischenergebnis aus Niedersachsen deutet dem Bericht zufolge darauf hin, dass die Zahl der Unkooperativen offenbar nicht besonders hoch ist. Demnach hatten etwa 3,8 Prozent der vorgesehenen Teilnehmer ihren Pflichtkurs ohne ausreichenden Grund nicht angetreten oder nicht beendet.“ ((http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article1665955/Streit-um-Zuwanderung-Qualifizieren-statt-anwerben.html)). (Stand 18. Oktober 2010).