Alfred Schobert

Die Entwicklungen innerhalb der französischsprachigen europäischen extremen Rechten zu analysieren, gehört seit vielen Jahren zur Routine im AK Rechts am DISS. Dabei sammelte sich auch einiges Quellenmaterial an. Unter Archiv-Gesichtspunkten allerdings nahmen sich diese Bestände doch sehr bescheiden aus. Die Lektüre quellengesättigter französischer Sekundärliteratur war immer von dem frustrierenden Eindruck begleitet, was so alles nicht zur nötigen Weiter- und auch Gegenlektüre zur Verfügung stand. Die wenigen vorhandenen Zeitungen, Zeitschriften und Bücher verloren sich in der Fülle der deutschsprachigen Archivalien. Daher wäre es vermessen gewesen, an einen frankophonen Schwerpunkt innerhalb des Archivs auch nur zu denken. Ein erster Versuch zur Europäisierung des Archivs, nämlich die Beschaffung von Standardwerken international ausstrahlender Ideologen der („Neuen“) Rechten als Grundausstattung, scheiterte 2004; die beantragte Startfinanzierung (eine vergleichsweise geringfügige Summe) wurde leider nicht bewilligt.

In einer Sammlung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, die wir Anfang 2005 übernahmen, fand sich zu unserer großen Freude auch eine bemerkenswerte Anzahl französischsprachiger Periodika. Diese ergänzten vorzüglich unsere kleine frankophone Sammlung, die vor allem im Zuge jüngerer Untersuchungen zu aktuellen brisanten Themen entstanden war – das war ein großer Sprung nach vorn. So ergab sich überraschend doch noch ein frankophoner Schwerpunkt innerhalb des DISS-Archivs zur extremen Rechten. Im Verhältnis zu den Gesamtbeständen ist er gewiss winzig; auch kann er mit der Sammlung von Materialien der Ludendorffer-Bewegung nicht mithalten. Doch er umfasst mittlerweile immerhin 60 Titel aus Frankreich, Belgien, der Schweiz und dem frankophonen Teil Kanadas mit insgesamt weit über 400 Einzelausgaben von Zeitungen, Zeitschriften und Zirkularen. Knapp ein Drittel der Titel unseres Sortiments stammen komplett aus der Schenkung oder wurden durch diese ergänzt.

Abgerundet wird der frankophone Schwerpunkt durch eine nicht unbeträchtliche Menge Bücher einschlägiger Weltanschauungsproduzenten (zudem übrigens auch viele deutsche Übersetzungen). Zu nennen sind Autoren wie Maurice Bardèche, Alain de Benoist, Christian Bouchet, Roger Cosyns-Verhaegen, Guillaume Faye, Jean Mabire, Jules Monnerot, Paul Rassinier, Jean Thiriart, Alexandre del Valle, Dominique Venner u.a.

Der Schwerpunkt unserer Sammlung frankophoner Periodika liegt auf Publikationen der Nouvelle Droite. Das geht sowohl auf die Interessengebiete und Arbeitsschwerpunkte der Frankfurter Arbeitsgruppe als auch die bisherigen Schwerpunkte unserer eigenen Arbeit zurück. Von den wichtigen Periodika wie ÉlémentsNouvelle École und Krisis, Orientations, Vouloir und Nouvelles de Synergies Européennes liegen uns zahlreiche Ausgaben vor, wenn auch leider keine einzige komplette Sammlung, die bei den genannten Publikationen Alain de Benoists bzw. seines Umfeldes jeweils mehrere Jahrzehnte umfassen müsste. Die Komplettierung dieser Zeitschriftenbestände wird angestrebt, da diese Periodika mit internationaler Wirkung Themen setzen und stilbildend wirken.

Der weitere Ausbau des frankophonen Archiv-Schwerpunktes folgt primär unseren thematischen Interessen und nicht der Eigenlogik eines Archivs, das Vollständigkeit anstrebt; den regelmäßigen Bezug der zahlreichen Periodika können wir uns leider nicht leisten (wir konzentrieren die vorhandenen Mittel auf die Sammlung deutschsprachiger Periodika). Wie bisher auch, geht es dabei insbesondere um aktualhistorische Diskursanalysen zu Themen wie Globalisierungskritik von rechts, rechte Kritik an den Weltpolizeikriegen, Debatten zur EU und EU-Erweiterung (nebst Reizthema EU-Beitritt der Türkei) usw.

Diesen thematischen Zugriff ergänzend, sind wir allerdings darum bemüht, die rechtsextreme frankophone Publizistik aktuell zumindest in Stichproben zu erfassen, um so ein immer präziseres Bild der Organisations- und Publikations-Landschaft zeichnen zu können. Aussagekräftige Stichproben aus verschiedenen Strömungen und, wie man in Frankreich zu sagen pflegt, „Familien“ der extremen Rechten, wurden in den vergangenen zwei Jahren bereits gezielt zusammengetragen. Dies gilt für Publikationen der ‚alten‘ Rechten im Umfeld des Front National, für die militante Szene und für diverse Regionalisten (von denen sich einige in der Kampagne gegen den EU-Beitritt der Türkei engagieren). Nicht zu vergessen die Monarchisten, die man in Frankreich nicht als eher bedeutungslose Nostalgiker abtun darf; als politische Strömung und Kraft verdienen sie immer noch eine gewisse Beachtung.

Ein Kapitel für sich sind die diversen christlichen Integristen, denen wir in den letzten Monaten einige Aufmerksamkeit geschenkt haben: da gibt es römisch-katholische Getreue der traditionellen Liturgie, untereinander zerstrittene Anhänger des verstorbenen Erzbischofs Marcel Lefebvre und seiner Priesterbruderschaft Pius X (FSSPX), von denen einige im Front National und seinem Umfeld eine wichtige Rolle spielen, andere mit der Action Française verbunden sind, und schließlich auch frankophone Sedisvakantisten.

Der frankophone Schwerpunkt unseres Archivs wird also – nicht ganz freiwillig, versteht sich – vom Mut zur Lücke beherrscht. Die mehr als 2.600 Ausgaben von L’Action Française 2000 bzw. des Vorgänger-Titels Aspects de la France, die bisher nicht im Archiv vorhanden sind, würden wir als Schenkung gewiss nicht verschmähen. Sie fänden ihren Platz im Magazin-Keller. Sollte dann jemand eine historische Studie zur Publizistik der Maurras-Anhänger schreiben wollen, fände sich schon vorübergehend Stellfläche an den Arbeitsplätzen des Archivs. Bis zum Eintreffen dieser Geschenksendung aber sollten sich Interessierte besser in der Bibliothèque Nationale in Paris nach einer Sammlung der Publizistik der Action Française umschauen. Wer sich hingegen für die Position der Action Française zur EU-Verfassung und zur EU-Erweiterung interessiert, wird bei uns fündig, da wir hier gezielt eine ausgiebigere Stichprobe gezogen haben.

Gleiches gilt für die wöchentlich erscheinende Zeitung Rivarol, von der uns auch ca. 2.700 Ausgaben nicht vorliegen, ohne dass sie uns in der laufenden Arbeit wirklich fehlten. Die Crew von Rivarol ist ideologisch so beharrlich, dass einige Testnummern pro Jahr für unsere Bedürfnisse, die bloße Einordnung des Blattes in die Gesamtlandschaft, ausreichen.

Wer die rechtsextreme frankophone Publizistik ein wenig kennt, wird schnell bemerken, dass die vorhandene Stichproben-Sammlung zur Groberfassung der gesamten rechtsextremen publizistischen Landschaft selbst unter dem bescheideneren Anspruch, eben nur Stichproben zu erfassen, noch gravierende Lücken aufweist. Dies gilt insbesondere für vergangene Jahrzehnte (bezüglich derer wir allenfalls hoffen können, vielleicht mal eine ergiebige Sammlung zu übernehmen). Immerhin verfügen wir nun über eine größere Menge von Ausgaben der Zeitschrift Défense de l’Occident (Maurice Bardèche) sowie kleinerer, aber aussagekräftiger Bestände von Publikationen der Bewegung Jean Thiriarts aus den 60er Jahren.

Lücken gibt es aber auch bezüglich der Erfassung jüngerer Publikationen. Fehlende aktuelle Titel sollen alsbald beschafft werden. Das Eintreffen des Frankfurter Archivs hat dabei motivierend gewirkt, eine solche Schenkung hat ja den Effekt einer – um es mit einem stramm konservativen, bei der Nouvelle Droite sehr beliebten Autor zu sagen – „unbestimmten Verpflichtung“ (Arnold Gehlen): Seither wurde das Sortiment schon um einige neue Titel erweitert. Dass die Archivierung trotz der Beschränkung auf Stichproben bereits eine beachtliche Dichte erreicht hat, zeigt sich daran, dass beim Eingang bisher nicht vorhandener Titel in der Autorenschaft oft ‚alte Bekannte‘ auftauchen sowie an der feststellbaren thematischen Rekurrenz. Dieses Sortiment zu pflegen, also mit der Zeit immer wieder auf den aktuellen Stand zu bringen und durch neue Ausgaben aufzufrischen, wird in Zukunft schon einige Mühe kosten.

In einigen Fällen können die Lücken im Zeitschriften-Archiv durch das elektronische Archiv kompensiert werden. So liegen uns zwar nur zwei Ausgaben von Christian Bouchets Zeitschrift Résistance vor, doch das Diskursmaterial der von ihm angeführten „revolutionären Nationalisten und Solidaristen“ ist über die Komplett-Speicherung ihrer einschlägigen Homepages, darunter einer, die wegen eines Organisationsverbots längst aus dem Netz verschwunden ist, sehr gut erfasst. Dass beispielsweise die Zeitschrift Jeune Résistance bislang in unserer Sammlung fehlt, konnte ebenfalls im elektronischen Archiv kompensiert werden. Einige Publikationen bieten auf ihren Homepages mittlerweile auch, zumeist als PDF-Dateien, komplette ältere Ausgaben. (Der Bestand des elektronischen Archivs ist nicht in der Bestandsliste verzeichnet; diese beschränkt sich auf Originalausgaben und Kopien im ‚körperlichen‘ Archiv zur extremen Rechten.) Zu erwähnen ist auch die umfängliche elektronische Archivierung von Publikationen Alain de Benoists. Auch könnten wir uns über längere Zeit mit dem Hören und Analysieren von MP3-Dateien mit französischem Identitäts-Rock quälen.

Allerdings geizen viele frankophone Publikationen auf ihren Homepages mit Texten. Ein Grund mehr, um Unterstützung bei Pflege und Ausbau (auch) des frankophonen Schwerpunkts unseres Archivs zu bitten.