Der Kampf um die Intelligenz

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Anmerkungen zum neurechten Magazin CATO
Von Helmut Kellershohn. Erschienen in DISS-Journal 34 (2017)

Das neueste Produkt aus dem Hause Stein („Junge Freiheit“) liegt auf dem Tisch. Im September erschien erstmals die Zeitschrift CATO, die weiteren Ausgaben werden im zweimonatigen Rhythmus folgen. Das Projekt war schon lange angekündigt: Seit der Spaltung der Neuen Rechten, mit dem Austritt Karlheinz Weißmanns aus der Redaktion der Zeitschrift Sezession und seinem Abgang als wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik im April 2014, war es nur eine Frage der Zeit (und der Finanzierung), bis dieses neue Zeitschriftenprojekt auf den Markt kommen sollte. Man durfte gespannt sein, wie die Macher um Weißmann und ‚seinen’ Chefredakteur Andreas Lombard ihr Produkt im politischen Wettstreit positionieren würden, vor allem im Hinblick auf die Sezession, aber auch zum wachsenden Segment konservativer bis rechtslibertärer Organe wie Tumult, Tichys Welt, eigentümlich frei. Das erste Heft liegt nun vor und lädt zur Begutachtung ein.

CATO, Spengler und die Wiederkehr des Cäsarismus

Zunächst zum Titel: Die Zeitschrift nennt sich CATO. Prompt fühlt man sich an alte Schulstunden im Latein- oder Geschichtsunterricht erinnert, an die Punischen Kriege, an Cato den Älteren und dessen berühmten Ausspruch, dass Karthago zerstört werden müsse („Carthago delenda est“). Aber halt, der ist ja gar nicht gemeint. Es geht um Cato den Jüngeren, den prominenten Gegenspieler Cäsars. Über ihn lässt sich der belgische Althistoriker David Engels im einleitenden Artikel näher aus und macht deutlich, dass die Wahl dieses Namensgebers nicht zufällig erfolgt, sondern aktuellen Bezügen geschuldet ist. Auch das Titelbild legt dies nahe: Es zeigt andeutungsweise den Kopf der Cäsar-Statue, die Nicolas Coustou für den Garten von Schloss Versailles noch zu Lebzeiten Ludwigs XIV. schuf, nur treten an die Stelle der Gesichtszüge Cäsars die der Bundeskanzlerin. Frau Merkel also als der neue Cäsar? Und die Zeitschrift CATO als dem Geiste Catos des Jüngeren verpflichtet, indem sie die „cäsaristische Politik der Kanzlerin“ (A. Lombard) brandmarkt?

In der Tat: Die Zeitschrift bemüht Analogien, konstruiert „Parallelen zwischen dem Untergang der spätrömischen Republik und der EU auf“ (Lombard) und verdichtet diese (Lombard nennt Arbeitslosigkeit, Demokratieverlust, Werteverlust, technokratische Herrschaft) zu einem Konzept, das an Oswald Spengler und dessen Werk „Untergang des Abendlandes“ erinnert. In Spenglers Kulturkreislehre und Zyklentheorie, wonach Kulturen, unabhängig voneinander, nach ein und demselben Bauplan den Gesetzmäßigkeiten von Aufstieg und Verfall unterliegen, kündigt das Zeitalter des Cäsarismus das Ende der Verfallsperiode, die Spengler Zivilisation im Gegensatz zur Kultur nennt, an. Spengler sieht diese Endphase durchaus ambivalent: auf der einen Seite erobert der Cäsar gestützt auf die Massen den Staat und unterwirft diesen seinem „schrankenlosen persönlichen Regiment“ (UdA, 1085). Auf der anderen (positiven) Seite sieht Spengler den Cäsar als Überwinder der plutokratischen Demokratie, der Herrschaft des internationalen Finanzkapitals, das sich der Formen des Parlamentarismus bedient, um seine Interessen durchzusetzen:

„Der Cäsarismus wächst auf dem Boden der Demokratie, aber seine Wurzeln reichen tief in die Untergründe des Blutes und der Tradition hinab. […] Aber eben deshalb erhebt sich nun der Endkampf zwischen Demokratie und Cäsarismus, zwischen den führenden Mächten einer diktatorischen Geldwirtschaft und dem rein politischen Ordnungswillen der Cäsaren.“ (UdA, 1080)

Nun, auf den ersten Blick sieht man, wo der Vergleich Merkel-Cäsar hinkt bzw. das Konzept des Cäsarismus willkürlich auf die derzeitigen Verhältnisse übertragen wird. Weder steht Merkel für ein sich auf die Massen plebiszitär sich stützendes und zudem schrankenloses persönliches Regiment. Ihr fehlen die massenhafte Zustimmung und erst recht die Gewaltmittel, über die ein Cäsar verfügen muss, um sich durchzusetzen. Noch steht sie als erklärte Verfechterin einer „marktkonformen Demokratie“ im strikten Gegensatz zur Herrschaft des Geldes, die Spengler als Kennzeichen der Zivilisation (neben der Herrschaft des rationalistischen Geistes) markiert.

Die Willkür, mit der hier operiert wird, trifft natürlich umgekehrt auch auf die Stilisierung der Person Catos zu. Im Editorial stimmt Lombard ein Loblied auf Cato an, der bekanntlich nach seiner Niederlage den Freitod wählte:

„Von der Gnade Cäsars […] wollte Cato nicht abhängig sein, denn er fühlte sich unbedingt der Wahrheit verpflichtet. Und das wiederum gefällt uns. Cato war in Europa seit je ein Sinnbild der Integrität und des Stolzes auf die Tradition, aus der Staat und Volk leben.“

Nun, die modernen Historiker sind da im Allgemeinen etwas nüchterner in der Beurteilung Catos. Seine vorbildliche Haltung, seine Verkörperung der altrömischen Tugenden werden zwar immer wieder betont, sein politischer Sachverstand und die Fähigkeit, den diktatorischen und monarchistischen Tendenzen der Zeit ein realistisches republikanisches Reformprogramm entgegenzusetzen jedoch vielfach infrage gestellt. Klassisch das Urteil von Theodor Mommsen, Cato, der im Senat die Interessen der Optimaten vertrat, sei der „Don Quixote der Aristokratie“ gewesen. Von dorther erhält der Anspruch der neuen Zeitschrift, ein „Magazin für neue Sachlichkeit“ zu sein, eine pikante Note, einmal abgesehen davon, dass sich Maler wie Otto Dix oder George Grosz im Grabe rumdrehen würden, erführen sie von dem Ansinnen neurechter Autoren, ihren Malstil zur Attributierung des Magazins heranzuziehen.

Weißmann: Der neue Realismus

Gleichwohl gehört die Berufung auf einen politischen Realismus, einen konservativen Realismus zumal, zum Grundanliegen der Zeitschrift, das zu begründen, dem spiritus rector der Zeitschrift, Karlheinz Weißmann, vorbehalten ist. Als er sich 2014 im Streit von der Sezession, die er jahrelang als ständiger Autor geprägt hatte, verabschiedete, tat er dies mit einem Artikel über den „neuen Realismus“. In CATO folgt nun sein programmatischer Artikel „Brexit in das Reale“. Gemäß Titel beginnt er mit einem Blick auf die englischen Verhältnisse, der beansprucht, die konservative Blattlinie zu exemplifizieren. Das Panaroma, mit dem er den Artikel eröffnet, erinnert wiederum an Spengler, insofern er die physiognomische Grundlage des Brexit im Kontrast zwischen der Megalopolis London und der englischen Provinz sieht und diesen mit dem Gegensatz zwischen ignoranter Elite, die die „Normalität des Lebens“ missachte, und den „Interessen der sprachlosen Mehrheit“ der autochthonen Bevölkerung in der Provinz assoziiert. Der erste Teil des Artikels ist der Herleitung dieser Verknüpfung gewidmet, der zweite wendet sich speziell der populistischen Konstellation zu und analysiert deren Grenzen

Die populistische Konstellation

Die Beschreibung der Stadt, untermalt mit einem Bild der Skyline von London, arbeitet gezielt mit negativen Konnotationen: „Die Silhouette der Stadt bestimmen himmelhohe Häuser, gesichtslos…“; die „Straßen ersticken im Verkehr, der sich Tag und Nacht über den Asphalt quält…“; die überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel transportieren „Hunderttausende von einem Ende ans andere […], meist im Untergrund, dicht gedrängt, aus allen Poren dampfend, schläfrig, isoliert, apathisch vor sich hinstarrend“; in den Straßen ein ohrenbetäubender „Lärm, der von den Massen ausgeht“; die permanente Unruhe wird „optisch verstärkt“ durch „Reklametafeln…, schreiende Werbung überall, und wie die Posten konkurrierender Besatzungsmächte stehen die Niederlassungen diverser Fast-Food-Ketten an den Straßenecken“; „Nicht nur wenn Gay Pride befohlen ist, ziehen grell geschminkte Männer in Rock oder Kleid durch die Stadt“; „Natürlich gibt es noch den Mann im Geschäftsanzug und die Dame im Kostüm und den irgendwie durchschnittlichen Engländer, die englisch sprechen, aber die Menge der Idiome, die an das Ohr dringen, hat damit nichts zu tun“; „und in der Schulklasse, die das Imperial War Museum besucht, findet sich kein weißes Gesicht; der letzte Europäer ist der Lehrer, der die fröhlich schwatzende Schar zu bändigen versucht“.

Soweit also das Bild, das Weißmann von London zeichnet, das Bild einer gesichtslosen Stadt, mit chaotischem Verkehr, mal apathischen, mal lärmenden Massen, schreiender Reklame, aufdringlichen Schwulen und übermächtiger Multikulturalität. Kurz, es ist ein Bild der Dekadenz, das Weißmann nun benutzt, um vor diesem Hintergrund die Provinz kontrastreich ins rechte Licht zu rücken.

Nun, die Provinz ist ein Ort der Ungleichzeitigkeit und der Weite des Raumes, das Leben vollzieht sich in „gemächlichen“ Bahnen, „britishness, im Guten wie im Schlechten“ bestimmt die Atmosphäre, auch wenn man, „mancherorts häufiger“, auf das Georgskreuz trifft. „Hier gibt es noch den grobschlächtigen Arbeiter, dem man die Pints ansieht, die er in seinem Leben getrunken hat, die Hausfrau, die im Kittelkleid einkaufen geht, der Landwirt, der im verbeulten Rover fährt…“; „Beim Evensong in der Kathedrale sitzt […] ein Herr im Anzug, dessen Gesichtszüge vermuten lassen, daß seine Vorfahren einst mit Wilhelm dem Eroberer ins Land kamen.“

Es scheint also, folgt man Weißmann, die Zeit stehen geblieben zu sein: es dominieren die Ordnungselemente des Britisch- und Christlichseins, der traditionellen Geschlechterverhältnisse und nicht zuletzt der Klassenunterschiede, die sich „nach wie vor in Kleidung und Benehmen“ widerspiegeln. „Mit Sicherheit“, so schlussfolgert Weißmann, „gibt es hier viele, die für den Brexit gestimmt haben.“ „Bei ihnen zündete die Parole ‚Wie want our country back’ als eine Art Wutschrei, gespeist aus dem Gefühl der Ohnmacht gegenüber der politischen Klasse in London, aber vor allem aus dem Gefühl der Entfremdung von dem, was man als das Eigene betrachtet“, das nun aber in einem schleichenden Prozess verloren zu gehen droht. Die Kehrseite der Entfremdung, so Weißmann weiter, ist eine nostalgische Stimmungslage, die sich beispielsweise in den Reenactment-Festivals (Nachspielen von Weltkriegssituationen) niederschlage, die Weißmann als rudimentäre Ausdrucksweisen des Politischen verstanden wissen will:

„Es handelt sich um [die] Sehnsucht [nach der] ‚guten alten Zeit’, in der das Leben zwar hart war, ‚wir’ aber noch zusammengehalten haben; und mit diesem ‚Wir’ waren selbstverständlich die Briten gemeint.“

Organische Intelligenz

Die mangelnde Repräsentanz dieser Stimmungslagen der sog. „schweigenden Mehrheit“ ist für Weißmann der Ausgangspunkt für die Entstehung populistischer Bewegungen, nicht nur in England, sondern in ganz Europa.

„Der Aufstieg der Ukip und das Votum für den Brexit zeigten, wenn sonst nichts, dass man gegen den Willen des Establishments und gegen ein verkrustetes System die Stimme des einfachen Mannes zur Geltung bringen kann.“

Weißmann nimmt das propagandistisch vermittelte Selbstbild des Rechtspopulismus für bare Münze, hinterfragt es nicht. Sein Problem ist ein anderes: nämlich dass der Aufstieg populistischer Bewegungen keineswegs linear erfolgt, sondern Erfolg und Krisen zum Erscheinungsbild des Populismus gehören, wie Weißmann u.a. am Beispiel der AfD aufzeigt.

„Immer bestand das Problem darin, dass Protest so wenig genügt wie die Anpassung an die herrschenden Gepflogenheiten. Nur ausnahmsweise gab es ein Bewusstsein in den Reihen der Führung, ganz zu schweigen von der Basis, dass es nicht genügt, Wahlerfolge zu verzeichnen, sondern dass auch um Begriffe und Vorstellungen gekämpft werden muß.“

Damit ist Weißmann bei einem seiner Lieblingsthemen, der Rolle der Intelligenz. Es gäbe ein ausgesprochenes „Abgrenzungsbedürfnis der Intelligenz gegenüber den vielen, dem Herrn Jedermann“ was umgekehrt dessen Argwohn nähre, „dass von Intellektuellen nichts oder jedenfalls nichts Gutes zu erwarten sei“. Diese „wechselseitige Aversion“ müsse überwunden werden, um den Defiziten des Populismus beizukommen. Es gelte, den „von unten kommenden Strömungen nicht nur Gehör, sondern auch Ausdruck zu verschaffen“. Weißmann verweist diesbezüglich auf Antonio Gramsci und dessen Theorie des „organischen Intelligenz“. Dies stehe im „Gegensatz zu einer freischwebenden [Intelligenz], die nur an sich selbst sowie an den geistigen und persönlichen Scharmützeln interessiert“ sei. Um die „bestehenden Verhältnisse in Frage stellen“ zu können, reiche es eben nicht aus, wählen oder „auf die Straße zu gehen“. Letzteres kann man durchaus als Kritik am Konzept des Instituts für Staatspolitik und der Identitären Bewegung lesen. Der Aufbau einer organischen Intelligenz sei notwendig, um erstens „Gegenvorstellungen und Gegenbegriffe zu den herrschenden Vorstellungen und Begriffen“ zu entwickeln; und zweitens, um diese auch an die Adressaten zu „transportieren“. Dazu bedürfe es einer „argumentative[n] Basis“ und einer entsprechenden „Ausformulierung“ der Ideen.

Weißmann verweist auf die Schwierigkeiten dieses Unterfangens. „Denn daß der Geist links steht, ist eine Binsenweisheit.“ Seit der Aufklärung habe es ein Bündnis der „progressiven Kräfte“ mit den Mächten des Fortschritts in Gesellschaft und Wissenschaft gegeben. Und „die These, dass eine andere Welt möglich sei, in der man selbst eine entscheidende Rolle spielen werde – wenn auch vielleicht nicht als Philosophenkönig – und die auf der Basis rationaler Erkenntnis umgeschaffen werden könne“, übe wie eh und je eine „erhebliche Faszination“ aus. Weißmann lehnt dies als „Traumtänzerei“ und „Wirklichkeitsverweigerung“ ab. Zum Glück aber habe es immer wieder „realistische[ ] Kehren“ gegeben. Und am Beispiel Rüdiger Safranskis glaubt Weißmann zeigen zu können, dass selbst ehemalige (linke) Traumtänzer die „Konversion zur Wirklichkeit“ schaffen können.

Die Rückkehr zur Normalität

Die Emphase, mit der Weißmann von „Wirklichkeit“ spricht, steht in keinem Verhältnis zur geistigen Dürre seiner weiteren Ausführungen. Wirklichkeit, das sei nichts anderes als die „Übereinkunft über die normative Geltung der Normalität“ als „Basis des Zusammenlebens“ der Menschen. Wirklichkeit also als ein Set von Gewohnheiten, auf die sich die Menschen geeinigt haben, dass sie für sie und ihr Handeln Geltung beanspruchen können. Unausgesprochen kommt hier die Gehlensche Anthropologie und Institutionenlehre ins Spiel. Wenn sich nämlich die Menschen permanent über die Regeln ihres Handelns einigen müssten, wäre dies eine gravierende Überforderung. Deshalb, so Gehlen, bedarf es institutionell abgesicherter Regelungen. In Institutionen werden auf der einen Seite

„die Zwecke des Lebens gemeinsam angefasst und betrieben, auf der anderen orientieren sich die Menschen zu genauen und abgestimmten Gefühlen und Handlungen, mit dem unschätzbaren Gewinn einer Stabilisierung auch des Innenlebens, so dass sie nicht bei jeder Gelegenheit sich affektiv verwickeln oder sich Grundsatzentscheidungen abzwingen müssen.“ (MH S. 97)

Das ist die berühmte Entlastungsfunktion der Institutionen für den Menschen „als ein seiner Natur riskiertes und unstabiles, affektüberlastetes Wesen“ (ebd.). Wenn Weißmann also von der „wohltuenden Fraglosigkeit“ der Normalität spricht und damit Gehlen zitiert, so ist damit immer schon eine institutionenvermittelte Normalität gemeint.

Diese Normalität aber, so Weißmann, ist heute in Gefahr. Zum einen objektiv durch die Auswirkungen des beschleunigten technischen ‚Fortschritts’, durch die „Möglichkeit, alle denkbaren Alternativen kennenzulernen, Waren und Dienstleistungen aus jeder Weltecke zu beziehen“; zum anderen würden diese Tendenzen in ihrer Wirkung verstärkt durch die „künstliche[ ] Verunsicherung der Menschen“. Was bei Gehlen paradigmatisch mit dem Werk der Aufklärung in Verbindung gebracht wird (MH S. 102), klingt bei Weißmann eher nebulös so: „Gezielte Einflussnahmen sollen Irritation bewirken, Zweifel an dem züchten, was Normalität ausmacht.“ Das riecht nach Verschwörung und gerät dann in der Aufzählung der Zweifel leicht ins Ironische, so als ob sich eine nähere Beschäftigung damit nicht lohnen würde:

„Herkunft ist unerheblich, heißt es, Heimat hat nichts mit dem Raum zu tun, in dem wir leben, Biologie spielt keine Rolle, das Geschlecht ist nur eine soziale Konstruktion, Männer können Männer heiraten, Familie ist da, wo alle aus einem Kühlschrank essen, der Nationalstaat hat sich überlebt, bunt ist besser, das Abendland gibt es gar nicht, Europa verdankt dem Islam, der Aufklärung, dem Westen alles, die Weltgemeinschaft ist empört über dieses und jenes.“

Gegen diese Denormalisierungen spannt ein geradezu anrührendes Lob der „sogenannten einfachen Leute[ ]“ gewissermaßen den Bogen wieder zurück zu den Ausführungen über die Provinz. Weißmann glaubt in den alltäglichen Gewohnheiten dieser seltsamen Wesen, in deren Handeln und Bewusstsein, eine unreflektierte Sicherheit und Selbstverständlichkeit zu erkennen, die aber bei näherem Hinsehen auf eins verweisen, nämlich auf „ein spontanes, gleichwohl aus Erfahrung und Überlieferung gespeistes Wissen um die conditio humana: Keiner kann nur tun, was er will, und die Bäume wachsen nicht in den Himmel.“ Die Quintessenz dieser Weisheiten nennt Weißmann „genuin konservativ“. weil dem entsprechend, was Weißmann unter Realismus verstanden wissen möchte. Da aber die einfachen Leute diese Weisheiten nicht artikulieren oder nicht artikulieren können und die Kluft zur politischen Klasse immer größer wird, bedarf es der organischen Intelligenz, die „für die sprechen muß, die darin nicht geübt sind“.

Nun ist die Kategorie der „einfachen Leute“ aus der Sicht Gramscis eine Nonsens-Kategorie und erinnert eher an die romantische Überhöhung der Volkspoesie; und auch die paternalistische Ideologie des stellvertretenden Sprechens wäre Gramsci fremd. Worauf Weißmann hinaus will, ist, sein an Pareto und Gaetano Mosca geschultes Eliteverständnis populistisch zu unterbauen. Das, was diese Elite will, ist nichts anderes, als das, was das „einfache Volk“, wenn auch mehr oder weniger unbewusst, immer schon vermeintlich will, nämlich die Erhaltung der Normalität. Aber was das ist, das muss ihm gesagt werden.

CATO – ein Projekt für die ‚Führungsoffiziere’ des Bildungsbürgertums

CATO ist nicht für die einfachen Leute gedacht, sondern soll, folgt man Weißmann, dem „Aufbau“ der organischen Intelligenz dienen. Während die Aufgabe der Jungen Freiheit darin besteht, mehr tagespolitisch orientiert ein breiteres Publikum („konservativ-freiheitliches Widerlager“ nennt das Dieter Stein) anzusprechen und darüber sich zu einer „führenden meinungsbildenden, überregionalen Wochenzeitung“ zu entwickeln, „die nicht mehr zu überhören ist“ (Beilage zur JF 41/2017), adressiert CATO gezielt auf bildungsbürgerliche Kreise, die, um das etwas salopp auszudrücken, mit dem Namen „Cato“ noch etwas anfangen können, weil sie über entsprechende Wissensbestände verfügen.
Weißmanns Chefredakteur Andreas Lombard hat dies in einem Interview auf die Frage, warum man nicht ein „volksnahes Magazin auf den Markt“ bringen wolle, so ausgedrückt: „Ich kann doch eine sinnvolle politische Ausrichtung auch dann vertreten, wenn ich mich an eine Elite richte. Es ist sogar konsequent. Denn wenn ich einen Umdenkungsprozess in Gang setzen möchte, muss ich mich an die Schicht wenden, in der die Diskurse stattfinden. Dort habe ich die größten Möglichkeiten, für ein Umsteuern zu werben.“ Das sei die Aufgabe dieses „metapolitische[n] Magazin[s]“.

CATO richtet sich demnach, um ein militärisches Bild zu gebrauchen, an die Führungsoffiziere des Bildungsbürgertum, die an den Stellschrauben der Diskursproduktion sitzen, in den Medien und anderen zivilgesellschaftlichen Institutionen (Kirchen, Wissenschaft, Bildungsbereich, Kunst etc.).
Weißmann hat in den letzten Jahren politische Positionen gewechselt. Während Dieter Stein und die Junge Freiheit immer schon, zumindest seit dem Umbruch 1994/95 auf eine realpolitisch motivierte, gradualistische Strategie der kleinen Schritte baute und in diesem Zusammenhang auf die Selbstverortung als „Neue Rechte“ verzichtete, weil der Begriff durch Politik, Medien und Verfassungsschutz negativ besetzt sei, und stattdessen die Etikettierung der Zeitschrift als konservativ, christlich, freiheitlich und national präferierte, betonte Weißmann noch 2009:

„Wer glaubt, dass er die [Machtverhältnisse – H.K.] durch die Anpassung an Sprachregelungen verändern kann, versuche sein Glück. Meine Prognose lautet, dass ihn Machtverhältnisse verändern werden. Eine prinzipielle Gegenposition – also eine, die Prinzipien vertritt – muß als solche kenntlich und unter den gegebenen Umständen die Position einer Minderheit sein. Gehlen hat einmal davon gesprochen, dass in aussichtslos erscheinender Lage nichts so überzeugend wirkt wie das überzeugende Beispiel, Integrität eben.“

Weißmann verteidigte den Begriff Neue Rechte, die er als Kern einer geistigen Gegenelite verstand, die in der Lage sein sollte, in einer Situation der ‚großen’ Krise Führungsposition in Staat und Gesellschaft zu übernehmen. Zur Begründung führt er an:

„Es geht um Einsicht, wirkliche Einsicht haben nur wenige. Das kann nur eine Elite betreffen, es ist absurd zu behaupten, dass plötzlich Millionen von Menschen die tatsächlichen Zusammenhänge begreifen.“ Und in einem anderen Zusammenhang heißt: „Es müssen sich, um eine Formel Enzensberger zu benutzen, historische Minderheiten bilden, die notfalls gegen erdrückende Mehrheiten ihre Position behaupten und wenn der Fall eintritt, handlungsbereit sind.“