Helmut Kellershohn: AfD – Kampf zweier Linien

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Kampf zweier Linien

Über das Verhältnis von AfD und der Neuen Rechten

Von Helmut Kellershohn
(Stand: 14.2.2017)

In den letzten Jahren hat vor dem Hintergrund des Aufstiegs der AfD eine Gewichtsverschiebung innerhalb der rechten Parteienlandschaft stattgefunden,1 ablesbar etwa an den Wahlergebnissen für die NPD resp. die AfD in Ostdeutschland. Die AfD sei, so Alexander Häusler und Fabian Virchow, „zunehmend [zum] Kristallisationspunkt einer neuen rechten Bewegung mit parteipolitisch erfolgversprechenden Machtoptionen“2 geworden. Zudem ist die Handlungsfähigkeit der NPD trotz Scheiterns des Verbotsantrags vor dem Bundesverfassungsgericht weiterhin eingeschränkt, zumal ihr ein Ende der Parteifinanzierung aus dem Bundeshaushalt droht. Das Spektrum der freien Kameradschaften und autonomen Nationalisten orientiert sich zunehmend in Richtung der neonazistischen Partei Die Rechte oder wird vom nationalrevolutionären III. Weg aufgefangen.3

Der Aufstieg der AfD wäre aber nicht denkbar gewesen ohne die jahrelangen ideologiepolitischen Vorarbeiten der Neuen Rechten. Bis vor vier, fünf Jahren befand sich die Neue Rechte noch, leninistisch gesprochen, in der Zirkelphase ihrer Entwicklung. Dominant war die jungkonservative Strömung um solche Verlage, Zeitungen und Zeitschriften wie der Junge Freiheit (JF), dem Institut für Staatspolitik (IfS) mit der institutseigenen Zeitschrift Sezession, dem Verlag Antaios, der Zeitschrift Blaue Narzisse.

Das strategische Grundkonzept beruhte für diese Neue Rechte auf einer aus ihrer Sicht nicht anzuzweifelnden geschichtlichen Grunderfahrung, nämlich dass „große politische Veränderungen immer auf das Wirken entschlossener Minoritäten“ zurückzuführen seien, die „zuerst die Weltanschauung und dann die Machtverhältnisse selbst verändern“4 würden. Dementsprechend richtete die Neue Rechte ihre Bemühungen auf die Heranbildung einer „geistigen Elite“, die in der Lage sein soll, dereinst weltanschaulich „führend“ zu werden und im „Ernstfall“ Führungspositionen zu übernehmen. Das kann sie aber nicht, so die weitere Unterstellung, wenn sie nicht erstens über genügend Multiplikatoren verfügt und zweitens Massenbewegungen und -organisationen im Vorfeld für die die nötige Verbreit(er)ung der neuen Weltanschauung im alltäglichen Leben und im Alltagsbewusstsein sorgen. Diese sind zudem Voraussetzung für die schrittweise Eroberung von Machtpositionen in den Staatsapparaten.

Soweit das Grundkonzept, das durchaus langfristig – mit verschiedenen Varianten – angelegt war. Aber bereits im Kontext der Euro- und Griechenlandkrise und im Kontext eines solch diskursiven Ereignisses wie des Erfolges von Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab (2010) in einer breiteren Öffentlichkeit, konnte man die Vorboten eines Hegemonieprojekts entdecken, das sich aus verschiedenen ideologischen Formationen und den entsprechenden Trägergruppen zusammensetzte:

  • – eine völkisch-nationalistische Basis-Formation, getragen durch die Neue Rechte selbst und Verbände, in denen die Neue Rechte aktiv ist, wie in den Burschenschaften oder anderen Korporationen, in Teilen der Bündischen Jugend, in diversen extrem rechten Kleinstparteien etc.;
  • – eine neo(national)liberale Formation, getragen von mittelständischen Gruppierungen und einer Riege von eurokritischen Wirtschaftswissenschaftlern und Dissidenten aus den Reihen der FDP und der Union;
  • – eine christlich-konservative bis fundamentalistische Formation, gruppiert um biopolitische Fragen, getragen von evangelikalen Kreisen und intransigenten katholischen Kräften;
  • – eine nationalkonservative, deutschnationale Formation, für die etwa der Name Alexander Gauland steht, gruppiert um Fragen der außenpolitischen Souveränität und der staatlichen Autorität und Durchsetzungsfähigkeit.

Die Junge Freiheit – Leitorgan der AfD?

Die AfD, wie sie dann 2013 installiert wurde, setzte sich aus genau diesen Formationen zusammen, ohne dass man daraus ableiten kann, dass sie unmittelbar ein Produkt der Bemühungen der Jungkonservativen gewesen sei. Sie bewegte sich bis zur Spaltung 2015 zwischen den Polen einer FDP 2.0 und einer neuartigen „konservativen Volkspartei“, wie die Partei sich in Sachsen titulierte.5 Aber die JF konnte am Aufstieg der AfD partizipieren und sich gewissermaßen als inoffizielles Sprachrohr oder Leitorgan der AfD etablieren, das sie mit Einschränkung bis heute immer noch ist.

Dazu vier Anmerkungen:

1. Die JF ist mit ihren 25.101 Abonnenten, einer verkauften Auflage von 28.372 Exemplaren (IV. Quartal 2016 lt. IVW) und laut Auskunft von Dieter Stein gegenüber der Wirtschaftswoche (11.03.2016) mit „zuletzt gut 3,5 Millionen Euro“ Umsatz und einem Gewinn „von mehr als 100.000 Euro“6 ein wirtschaftlich erfolgreiches Projekt mit erheblicher politischer Breitenwirkung. Die Milieus der JF-Leser und der AfD–Mitglieder überschneiden sich. Götz Kubitschek, nach dem Abgang Karlheinz Weißmanns der strategische Kopf des IfS, ging Anfang 2014 soweit, die AfD unter der Führung Luckes als den „parteipolitischen Arm des Junge-Freiheit-Milieus“7 zu deklarieren. Die Wirtschaftswoche konstatiert: „Die Zeitung ist nicht Teil, sondern Kern dieser Bewegung.“ Einschränkend muss man hinzufügen: Sie konkurriert in ihrer Eigenschaft als Leitorgan der AfD mit dem IfS, nachdem Anfang 2014 die arbeitsteilige Kooperation in die Brüche ging und das IfS sich in die Konstitution des völkischen Flügels um Björn Höcke und André Poggenburg einschaltete und die Spaltung der Partei 2015 mit inspirierte.8 Mit seinen Leitartikeln interveniert JF-Chefredakteur Dieter Stein seitdem regelmäßig in die innerparteilichen Flügelkämpfe und versucht sie in seinem Sinne zu beeinflussen. Interviews mit den Dramatis personae sowie eine entsprechende Berichterstattung werden gezielt eingesetzt, um z.B. missliebige Führungspersonen zu befehden. So ließ Stein den mittlerweile in die AfD eingetreten Publizisten Nicolaus Fest zu Wort kommen, um die berüchtigte Rede Björn Höckes auf einem Kongress des IfS im Herbst 2015 einer Kritik unterziehen zu lassen.9

2. Die personelle Vernetzung der JF mit der AfD kann sich sehen lassen. Ehemalige Redakteure sind Landtagsabgeordnete (Ronald Gläser im Berliner Abgeordnetenhaus, Steffen Königer in Brandenburg, Martin Schmidt in Rheinland-Pfalz), sitzen im Landesvorstand (Gläser als Beisitzer) oder fungieren als Pressesprecher (Marcus Schmidt für die Landtagsfraktion in Brandenburg, Henning Hoffgaard als Fraktionssprecher in Mecklenburg-Vorpommern und wiederum Gläser als Landespressesprecher in Berlin). Philipp Runge, ehemaliger JF-Pressesprecher, war in der Bundesgeschäftsstelle in der Abteilung für Strategie und Kampagnen mit dem Arbeitsgebiet Planung und Organisation betraut und ist zurzeit der Datenschutzbeauftragte der AfD. Umgekehrt: Es gibt viele AfD-Mitglieder, auch aus dem Führungspersonal, die als Autoren in der JF geschrieben oder Interviews gegeben haben (z.B. Gauland erstmals im Sept. 2005, Beatrix v. Storch erstmals im April 2006, Konrad Adam zuerst im Sept. 2007, Hans-Olaf Henkel im Sept. 2005) oder auf den Sommerfesten, die für die Autoren, Förderer und Freunde der JF gedacht sind, erscheinen. Auf dem Sommerfest 2016 z.B., zum dreißigjährigen Jubiläum der JF, machten mit Jörg Meuthen, Uwe Junge und Alexander Gauland gleich drei Fraktionsvorsitzende ihre Aufwartung, dazu noch die stellvertretende Sprecherin der AfD Beatrix von Storch (JF 24/2016), die bereits auf dem Sommerfest 2001 anwesend war, damals noch als Herzogin von Oldenburg.10 ‚Man’ kennt sich also, oder wie es in der Wirtschaftswoche mit Blick auf Dieter Steins Karriere seit 1986 heißt: „Keiner ist so lange aktiv in der Bewegung wie er, keiner kennt so viele der Beteiligten in und jenseits der AfD.“

3. Der entscheidende ‚Verdienst’ der JF an der Entwicklung der AfD ist ideologiepolitischer Natur. Wie kein anderes Organ oder keine andere Institution steht sie für die inhaltliche Verknüpfung der oben angesprochenen ideologischen Strömungen. Indem sie sich schon früh von dem aus ihrer Sicht diskriminierenden Etikett Neue Rechte trennte11 und sich vorgeblich als konservativ deklarierte, öffnete sie ihre Spalten für wichtige Protagonisten dieser Strömungen. Ablesbar ist diese ideologiepolitische Arbeit am Leitbild der JF, das sie anlässlich des Erscheinens des Jubiläumsbandes „25 Jahre Junge Freiheit“ (2011) veröffentlichte und dabei ihr Bekenntnis zur Neuen Rechten (trotz besagter Distanzierung) und zur Konservativen Revolution als Bestimmungsmomenten ihres Konservatismusverständnisses gleich mit unterschob. Sie bekannte sich zur Nation als dem „entscheidende(n) Ordnungsfaktor und identitätsstiftenden Rahmen“ und zu „Deutschland als selbstbewusste[r] Nation“, womit sie die gleichzeitige Bezugnahme auf das „vereinte Europa“ entwertete. Sie forderte unter dem Stichwort Freiheitlichkeit die Inschutznahme von „Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit“ als Kernelementen der Verfassung vor „Eingriffe[n] durch Staat, Parteien, Medien, Interessengruppen und Konzernen“ und offenbarte damit unter dem Deckmantel eines Kampfes gegen „alten und neuen Totalitarismus“ ein antipluralistisches, autoritär-liberales Staatsverständnis; unter Berufung auf den Wert Konservatismus plädierte die JF für ein „realistische[s], skeptische[s] Menschenbild“, relativierte den „Fortschrittsglauben“, wandte sich gegen „Gleichheitsutopien“ und empfahl, dem „historisch Gewachsenen hohen Rang“ einzuräumen. Trotz der vorsichtigen Formulierungen wurden damit wesentliche Essentials der Konservativen Revolution bestätigt, was dann in die Zitierung Albrecht Erich Günthers einmündete, wonach der Konservatismus „nicht ein Hängen an dem, was gestern war, sondern ein Leben aus dem, was immer gilt“ sei. Dieses Zitat wird aus dem Zusammenhang, in dem es im Original steht, gerissen, denn dort bezieht sich Günther, der Mitglied des Juniklubs und seit 1926 Mitherausgeber der einflussreichen Zeitschrift Deutsches Volkstum war, zustimmend auf ein zentrales Buch der Konservativen Revolution, nämlich Moeller van den Brucks Das Dritte Reich.12 Der letzte Wert, auf den sich die JF berief, ist der der Christlichkeit. Die JF betont ihren „dominierenden, festen christlichen Standpunkt“ und die enge Verbindung zwischen deutscher Kultur und Christentum auch in einer säkularisierten Gesellschaft.

4. In der AfD als Massenorganisation sah die JF endlich die realpolitische Chance, das Monopol der CDU zu brechen und eine „seriöse bürgerliche Alternative“ zu installieren, die nicht von vornherein im Geruch des Rechtspopulismus oder einer extremen Rechtspartei steht. Karlheinz Weißmann, Mitbegründer und bis zu seinem Ausscheiden 2014 Wissenschaftlicher Leiter des IfS,13 hat diese Option als die in der jetzigen Situation einzig denkbare bezeichnet. Es ging ihm gerade aus metapolitischer Perspektive um die Anschlussfähigkeit in die bürgerliche Mitte hinein, um langfristig einen Umbau des Staates zu bewerkstelligen.

Diese Option eines „Marschs durch die Institutionen“ war es, die im IfS und zwischen IfS und JF zu einem (zumindest vorläufigen) Bruch geführt hat. Nicht Anschlussfähigkeit in die Mitte, sondern „Widerstand“ gegen das ‚System’14 – und somit eine andere metapolitische Entscheidung, die auf Aktivismus und Militanz setzt – war hier das Leitbild. Götz Kubitschek, ebenfalls Mitbegründer des IfS und Gegenspieler Weißmanns, verkündete: „Es gibt keine Alternative im Etablierten“. Dieses Leitbild wurde dankbar aufgegriffen vom neurechten Flügel in der AfD (Björn Höcke, André Poggenburg, Patriotische Plattform). Sie floss in die Erfurter Resolution ein und forcierte damit den Spaltungsprozess der AfD, der dann zum Ausscheiden des Lucke-Flügels führte. Was schwebt Kubitschek mit Blick auf die AfD vor? – Eine Partei, die sich primär als Vertretung außerparlamentarischer Bewegungen versteht, wobei er hier vor allem an Pegida als Massenbewegung und an die Identitäre Bewegung denkt und an eine ‚Raumergreifungsstrategie’ von rechts nach dem Vorbild von CasaPound in Italien, einer neofaschistischen Jugend- und Kulturbewegung. Björn Höcke hat dies in der bereits erwähnten Rede im Herbst 2015 auf die Formel gebracht,15 die AfD müsse sich zu einer „fundamentaloppositionellen Bewegungspartei“ entwickeln.

Kampf zweier Linien

Mit diesem Gegensatz sind gewissermaßen die Entwicklung der Neuen Rechten und die der AfD unmittelbar miteinander in einem Kampf zweier Linien verwoben. Die weitere Entwicklung der AfD (und mit ihr die der Neuen Rechten) wird u.a. davon abhängig sein, inwieweit sie es schafft, unterschiedliche und womöglich sich als inkompatibel erweisende Parteikonzepte miteinander zu vermitteln. Auf der einen Seite verlockt die Perspektive, es den anderen Parteien gleich zu tun und den Karriereweg einer klassischen Partei einzuschlagen: Einzug in den Bundestag, Status der Koalitionsfähigkeit, Regierungsbeteiligung, Regierungsübernahme. Das Etikett „Volkspartei“, das sich die AfD nur zu gerne anheftet, würde es erforderlich machen, den eigenen Anspruch durch die Anbindung von außerparlamentarischen Vorfeldorganisationen und -bewegungen zumindest soweit zu unterstreichen, dass man sich legitimatorisch auf sie berufen kann. Der Schwerpunkt läge auf der Parlamentsarbeit, ein zweites Standbein auf der Bedienung von Ansprüchen seitens der Basisorganisationen. Propagandistisch würde dieses Konzept durch die JF unterstützt.

Das zweite Parteikonzept verdichtet sich in der bereits erwähnten Formulierung Björn Höckes, der die AfD als „fundamentaloppositionelle Bewegungspartei“ verstanden wissen möchte. Fundamentaloppositionell heißt, so Höcke in seiner Dresdner Rede (17.01.2017), „diesen Staat, den wir erhalten wollen, vor den verbrauchten politischen Altparteien zu schützen, die ihn nur missbrauchen, um ihn abzuschaffen.“16 Und als Bewegungspartei müsse die AfD „immer wieder auf der Straße präsent sein und […] im engsten Kontakt mit den befreundeten Bürgerbewegungen stehen.“ Der Schwerpunkt liegt hier erstens auf der Dienstbarmachung der Partei für außerparlamentarische Bewegungen; das Parlament wäre dann im Liebknechtschen Sinne die „Tribüne“, auf der die Ansprüche dieser Bewegungen (an deren Aushandlung man natürlich selbst maßgeblich beteiligt wäre) artikuliert würden. Zweitens liegt die Betonung auf der Befürchtung, dass der „lange Marsch durch die Institutionen“ die AfD zu einer Staatspartei deformieren könnte, die nicht mehr in der Lage wäre, den nötigen Umbau des Staates und des „Systems“ generell zu bewerkstelligen.17 Im Hintergrund steht hier die Auffassung des anderen Teils der Neuen Rechten rund um das IfS. Götz Kubitschek, Stichwortgeber für Björn Höcke und Pegida, beruft sich auf Robert Michels Parteientheorie, wonach Organisationen generell und speziell auch demokratische Parteien zu Bürokratisierung, zur Herausbildung einer Machtelite und in der Folge zu einer Oligarchisierung tendierten. Bei Höcke heißt es: „…jede Partei hat eine schlimme Tendenz, und das ist die Tendenz der Oligarchisierung und der Erstarrung. Diese Tendenzen … sind Parteien immanent, das sind praktisch die Naturgesetzlichkeiten des Parteienstaates“. 18 Bekanntlich trat Michels 1928 der faschistischen Partei Italiens bei und stimmte der von Mussolini vorgebrachten Kritik an der „als ewig unfruchtbar und als innerlich unwahr betrachteten Demokratie“ zu und propagierte nun eine faschismusaffine Theorie der Elite als einer bewussten und energischen, nötigenfalls opferbereiten Minderheit, der die wahre Macht im Staat zukommen müsse. Diese opferbereite, idealistische Elite schwebt Kubitschek als Vorbild offensichtlich vor, auch wenn er sie in Kategorien kleidet, die Spengler und Ernst Jünger entlehnt sind. Björn Höcke, der bereits mehrfach mit NS-Anspielungen zu provozieren suchte, drückt sich da schon klarer aus, wenn er, darauf weist Andreas Kemper hin,19 von einer „Tat“-Elite im Unterschied zu den demokratischen „Pseudo-Eliten“ spricht und damit auf eine Selbstbezeichnung der SS zurückgreift. Sollten sich derartige Konzepte als zentrales Element einer „fundamentaloppositionellen Bewegungspartei“ in der AfD durchsetzen, kann man sich nur schwer vorstellen, dass dies ohne erneute Spaltungsprozesse abgehen würde.

Klaus Weber hat im Argument davor gewarnt, den Faschismus-Begriff „als moralisch aufgeladene Metapher gegen politische Gegner zu verwenden“, gleichwohl aber empfohlen, derartige Phänomene wie Pegida, AfD, die Identitäre Bewegung oder das Institut für Staatspolitik mit der von ihr inszenierten Plattform Ein Prozent unter dem Gesichtspunkt von möglichen Faschisierungsprozessen zu beobachten.20 Terminologisch bevorzuge ich zurzeit noch den offeneren und weiteren Begriff „völkische Bewegung“, der interessanterweise von Volker Zastrow in der FAZ in die Debatte geworfen wurde,21 in den zahlreichen Studien des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung zum völkischen Nationalismus aber immer schon latent mitgedacht worden ist.

Ausblick

Höckes Rede in Dresden ist neben des in ihr propagierten Geschichtsrevisionismus, auf den hier nicht weiter eingegangen werden kann, erklärtermaßen eine Kampfansage an die eigene Partei, in der er sich, ohne das kenntlich zu machen, an mehreren Stellen direkt auf Kubitschek und das IfS beruft.22 Das entscheidende Vehikel dieser Kampfansage ist die in seiner Rede getätigte Übertragung des populistischen Gegensatzes von Volk und Eliten/ Establishment auf die eigene Partei, in der er bestimmte „Typen“, übriggebliebene „Luckisten“ sich in den Vordergrund drängen sieht: Das seien die, „die keine innere Haltung besitzen, die Establishment sind und Establishment bleiben wollen oder so schnell wie möglich zum Establishment gehören wollen“. Diesen „Halben“23 sagt Höcke den Kampf an, und mehr als die innerparteiliche Kritik an Höckes Geschichtsrevisionismus, die sich im Wesentlichen auf Fragen des Stil und des falschen Zeitpunkts reduzierten, scheint genau dies führende Parteikader beunruhigt zu haben. Dieter Stein hat dies deutlich zum Ausdruck gebracht, wenn er den Anhängern des völkischen Flügels in der AfD empfiehlt, sich doch „bei der ‚authentisch nationalen und systemoppositionellen’ Partei“, der NPD, zu sammeln.24 In der Tat läge dies in der Logik des von Höcke und dem IfS favorisierten Parteikonzepts, nämlich die Öffnung hin zu einer „Volksfront von rechts“ und einer in den Parlamenten repräsentierten völkischen Bewegung.

Die jüngste Entwicklung legt die Vermutung nahe, dass die Parteiführung der AfD mehrheitlich die Kampfansage Höckes verstanden hat und die unterschiedlichen Parteikonzepte für nicht mehr kompatibel hält. Am Tag nach der Bundespräsidentenwahl hat sie gegen die Stimmen von Gauland, Poggenburg, Meuthen und Armin-Paul Hampel (niedersächsischer Landesvorsitzender) ein Parteiausschlussverfahren beschlossen. Umgehend drohte Höcke, die Entscheidung besitze „zweifellos das Potential zur Spaltung der Partei“.25

1 Vgl. Alexander Häusler/ Fabian Virchow: Fazit, in: Dies. (Hg.): Neue soziale Bewegung von rechts? Hamburg 2016, 122-125.

2 Ebd., 123.

3 Vgl. Hendrik Puls: Die Anti-Asyl-Agitation des Neonazi-Spektrums, in: Ebd., 105-114; Christoph Kopke: Der III. Weg, in: Burschel, Friedrich (Hg.): Durchmarsch von rechts, Berlin 2016, 79-87.

4 Wiggo Mann: Metapolitik, in: Sezession H. 25, 56.

5 Der Titel erinnert an die 1930 entstandene „Konservative Volkspartei“, die sich aus zwei von der Hugenberg-DNVP abgespaltenen Gruppierungen um Gottfried Treviranus und Kuno Graf von Westarp zusammensetzte und die Regierung Brüning unterstützte.

7 http://www.sezession.de/43016/sezession-der-12-jahrgang.html/print/

8 Vgl. dazu ausführlich Helmut Kellershohn: Die jungkonservative Neue Rechte zwischen Realpolitik und politischem Existenzialismus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 9/2015, 721-740.

9 Nicolaus Fest: „Vom Konservatismus verabschiedet“ (14.12.2016), https://jungefreiheit.de/debatte/interview/2015/vom-konservatismus-verabschiedet/

10 Als 2007 das Ehepaar Storch die „Zivile Koalition“ ins Leben rief, sprach die JF wohlwollend von der Gründung einer neuen APO (JF v. 11.05.2007). Mit den ehemaligen FAZ-Redakteuren Klaus Peter Krause (schrieb seit Sept. 2004 für die JF) und Karl Feldmeyer, der bekannte, dass er sich schon früh für die JF eingesetzt habe, waren zwei wichtige Verbindungsleute der JF involviert.

11 Vgl. Dieter Stein: Phantom „Neue Rechte“, Berlin 2005.

12 Vgl. Albrecht Erich Günther: Wandlung der sozialen und politischen Weltanschauung des Mittelstandes, in: Der Ring 22/1931, 409.

13 Mittlerweile konzentriert sich Weißmann auf seine ‚Vordenker’-Position in der Jungen Freiheit, mit deren Chefredakteur Dieter Stein er ‚brüderlich’ verbunden ist durch die gemeinsame Mitgliedschaft in der bündischen Deutschen Gildenschaft. Vgl. Weißmanns neuestes Buch Rubikon (Berlin 2016). Geplant ist, eine neue Zeitschrift 2017 herauszubringen.

14 Die Widerstands-Ideologie ist in der Rechten allgemein verbreitet (vgl. „Nationaler Widerstand“), ist also keine nationalrevolutionäre Besonderheit, in der Tradition von Ernst Niekischs Widerstandskreis; letztendlich geht sie auf den Juniklub und Moeller van den Bruck zurück (Das Dritte Reich, 3. Aufl., Hamburg 1931, 230). Zur anmaßenden Begründung eines Rechts auf bzw. einer Pflicht zum Widerstand vgl. neuerdings Waldstein v., Thor: „Wir Deutsche sind das Volk“. Zum politischen Widerstandsrecht der Deutschen nach Art. 20IV Grundgesetz in der „Flüchtlingskrise“, Schnellroda/ Steigra 2016.

15 Zur Analyse der Rede vgl. den Beitrag von Jobst Paul: Der Niedergang – der Umsturz – das Nichts, in: Helmut Kellershohn/ Wolfgang Kastrup (Hg.): Kulturkampf von rechts, Münster 2016, 122-145.

17 Entsprechend sagt Höcke: „Auch die AfD wird irgendwann einmal erstarren. Und sie kann auch irgendwann meinetwegen einmal erstarren, aber bitte erst, nachdem sie ihre historische Mission erfüllt hat.“ Gemeint ist die Erringung der absoluten Mehrheit respektive die Führung einer Koalitionsregierung, um endlich eine „Politik für das Volk“ machen zu können.

18 Götz Kubitschek: Nach dem Triumph der AfD (2): Das sowieso gefrierende Wasser, in: Sezession im Netz 15.03.2016, http://sezession.de/53523.

19 Andreas Kemper: Zur NS-Rhetorik des AfD-Politikers Björn Höcke, in: DISS-Journal 32/2016, 3-5.

20 Klaus Weber: „schreiben, als ob alles davon abhinge…“. Notizen zur Faschisierungsfrage, in: Das Argument H. 318/2016, 483-500.

21 Volker Zastrow: Die neue völkische Bewegung (F.A.S v. 29.11.2015), http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/afd-die-neue-voelkische-bewegung-13937439.html

22 Er zitiert z.B., ohne Kubitschek zu erwähnen, dessen markanten Satz: „Es gibt keine Alternative im Etablierten.“

23 Es handelt sich um eine Anspielung auf die in extrem rechten Fußball-Fangruppen weit verbreitete Parole „Die Halben hol’ der Teufel.“ Dazu schreibt die Lausitzer Rundschau (28.08.2012) in einem Bericht über die Cottbusser Fangruppe Inferno: „Die scheinbar harmlos Zeile stammt aus einem Zitat der Romanfigur Gilbert Wolzow, einem Antihelden in dem antifaschistischen, im Osten früher weitverbreiteten Roman ‚Die Abenteuer des Werner Holt’. Wolzow hält eine flammende Durchhalte-Rede: ‚Wer … Deutschland in seiner schwersten Stunde im Stich lässt, der ist ein Schweinehund. Alles oder nichts. Die Halben hol’ der Teufel. Wir stehen zum Führer’.“ (http://www.lr-online.de/nachrichten/Tagesthemen-Verantwortung-bis-zum-Stadionzaun;art1065,3922390)

24 Siehe unter https://www.facebook.com/dieter.stein.146/posts/10211269632194090