Eliten-Antisemitismus in Nazi-Kontinuität
Martin Hohmanns Neuhofer Rede im Kontext
von Alfred Schobert
Da Martin Hohmanns Neuhofer Rede vom 3. Oktober 2003 in der Öffentlichkeit meist nur unter Erwähnung einzelner Details („Tätervolk“) thematisiert wurde und da selbst nach dem Beschluss der CDU-Führung in der Fraktion noch Stimmen laut wurden, denen zufolge die Kritiker Hohmanns Rede missverstanden hätten, lohnt ein genauerer Blick auf den komplette Rede (was aus Platzgründen allerdings nicht heißen kann,sie ganz zu zitieren und Stück für Stück einer Feinnanalyse zu unterziehen). So werden zum einen rhetorische Finten Hohmanns deutlich, zum anderen erlauben Analyse und Kontextualisierung, den in der Rede zum Ausdruck kommenden Antisemitismus präziser zu bestimmen.
Ich zitiere nach der Fassung, die Anfang November auf der Homepage der Neuhofer CDU zu finden war. Die Junge Freiheit hat die Rede, um einige sprachliche Patzer Hohmmanns bereinigt, dokumentiert (vgl. JF 46/2003, S. 7).
„Gerechtigkeit für Deutschland“ ist das Thema der zum Nationalfeiertag vor zirka 120 Zuhörern in Neuhof gehaltenen Rede. So widmet sich Hohmann, als Bundestagsabgeordneter und vormaliger Bürgermeister Lokalmatador der Gemeinde von einigen Tausend Seelen, eingangs der Sozialpolitik, genauer angeblichem Sozialmissbrauch. Hier schon setzt er eine deutliche Duftmarke, spricht er doch von einem „Einzelne[n], den man früher Schmarotzer genannt hätte“, was alles andere als eine sprachgeschichtliche Nebenbemerkung ist. Hohmann setzt das Individuum gegen die Gemeinschaft: „Wie viele Menschen in Deutschland klopfen ihre Pläne und Taten auch darauf ab, ob sie nicht nur eigennützig, sondern auch gemeinschaftsnützig sind [, ob – Ergänzung von AS] sie der Gemeinschaft nützen, ob sie unser Land voranbringen?“ Ist das schlecht eingedeutschter Kennedy? Oder geht Hohmann im Kampf gegen Parasiten am Volkskörper „Gemeinnutz immer vor Eigennutz“, wie es im 25-Punkte-Programm der NSDAP hieß? Vor dem Begriff „Volksgemeinschaft“ schreckt Hohmann zurück, doch die Betonung von Gemeinschaft (im Unterschied zu Gesellschaft) ist überdeutlich. [Vgl. zu Gemeinschaft versus Gesellschaft im nationalen Antisemitismus Klaus Holz: Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung. Hamburg: Hamburger Edition 2001, S. 218-225.] So fordert er: „Das Wir-Denken, die Gemeinschaftsbezogenheit, müssen […] zweifellos gestärkt werden.“ Das funktioniert über die Abgrenzung von vermeintlich Fremden.
Hohmann hegt den „Verdacht, daß man als Deutscher in Deutschland keine Vorzugsbehandlung zu [sic] genießt“. Er belegt ihn unter Rückgriff auf seine parlamentarische Arbeit und erwähnt einige Anfragen an die Bundesregierung, deren Beantwortung ihn „nachdenklich“ gemacht habe. „Nachdenklich“ macht Hohmann u.a., dass die Bundesregierung sich nicht für die Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter einsetzen wolle. Schließlich macht ihn „nachdenklich“, dass die Bundesregierung nicht dem Vorschlag folgen wolle, „angesichts der Wirtschaftsentwicklung und des Rückgangs der Steuereinnahmen […] ihre Entschädigungszahlungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (also an – vor allem jüdische – Opfer des Nationalsozialismus) der gesunkenen Leistungsfähigkeit des deutschen Staates anzupassen“. Der von der Bundesregierung bekundetet „Respekt vor dem damaligen Leiden dieser Menschen“, der es „gebiete, das Entschädigungsniveau uneingeschränkt aufrechtzuerhalten“, macht Hohmann „nachdenklich“.
Er sieht da wohl eine „Schieflage“, wünscht er sich doch „einen Konsens […], wie er in vielen anderen Ländern“ bestehe, nämlich: „Der eigene Staat muß in erster Linie für die eigenen Staatsbürger da sein.“ Dieser Wunsch verweist auf die Parole des Front National von der préférence nationale, einem „Kernbegriff des Rassismus“ [so Étienne Balibar: De la préférence nationale à l’invention de la politique. In: ders.: Droit de cité. Paris: PUF 2002, S. 89-132.], und auf die Parole Eigen volk eerst! des neorassistischen und separatistischen Vlaams Blok. Dass diese Maxime in der Bundesrepublik Deutschland nicht gelte, führt Hohmann auf die deutsche Geschichte zurück. So ergibt sich zugunsten sozialpolitischer Gerechtigkeit die Notwendigkeit geschichtspolitischer Operationen. Zwar bekräftigt Hohmann, „kein Kundiger und Denkender“ könne „ernsthaft den Versuch unternehmen, deutsche Geschichte weißzuwaschen oder vergessen zu machen“. Doch das ist lediglich Rhetorik, um desto heftiger dafür zu streiten, dass diese deutsche Vergangenheit keine moralischen und politischen Konsequenzen mehr haben möge. Und kämpfen müsse man, denn: „Immer wieder erfahren wir, wie stark die 12 Jahre der NS-Vergangenheit bis in unsere Tage wirksam sind.“
Das Treiben der Neonazis meint Hohmann damit nicht: Ganz umgehen kann er dieses Thema allerdings auch nicht. Immerhin war kurz zuvor in München eine neonazistische Terrorgruppe aufgeflogen, die laut Bundesanwaltschaft mit Planungen zu einem Anschlag am 9. November befasst war. Doch als Pflichtübung führt das Thema beim vormaligen BKA-Mitarbeiter Hohmann zu halsbrecherischen Formulierungen: „Das Häufchen seiner [Hitlers] Adepten am rechtsextremen Rand der politischen Szene ist nicht zu verharmlosen.“ Schlimm genug, dass der Satz sich über die verharmlosende Rede vom „Häufchen“ selbst dementiert: Ein Häufchen ist tatsächlich nicht (noch weiter) zu verharmlosen. Der Terrorismus-Experte Hohmann setzt noch eins drauf: „Nicht die braunen Horden, die sich unter den Symbolen des Guten sammeln, machen tiefe Sorgen.“. Man lese den Satz ruhig noch ein zweites Mal: „Nicht die braunen Horden, die sich unter den Symbolen des Guten sammeln, machen tiefe Sorgen.“ Es mag zwar sein, dass man gelegentlich But und Göse leicht verwechseln kann. Hohmanns Rede gibt aber Anlass zu der Befürchtung, dass er manche Transparente jüngerer Nazi-Aufmärsche, bei denen auch der Kopf der festgenommenen Münchner Gruppe, Martin Wiese, in Erscheinung trat („Opi war kein Verbrecher“), tatsächlich für „Symbole des Guten“ hält.
Während die Hitler- und Strasser-Jungs Hohmann keine Sorgen bereiten, macht ihm „eine allgegenwärtige Mutzerstörung im nationalen Selbstbewußtsein, die durch Hitlers Nachwirkungen ausgelöst wurde“, allerdings „schwere Sorgen“. Die „Schuld von Vorfahren“ an den „Menschheitsverbrechen“ habe „fast zu einer neuen Selbstdefinition der Deutschen geführt“. Deren Zentrum sei „der Vorwurf: die Deutschen sind das ‚Tätervolk’“. An diesem Bild werde mit „neurotischem Eifer“ gearbeitet. Oder aber für ein deftiges Autorenhonorar – als besonders schlimmes Beispiel dafür nennt Hohmann einen „amerikanische[n] Junior-Professor (Daniel Jonah Goldhagen)“. Hohmann hätte auch gleich ‚der Jude Goldhagen‘ sagen können, denn im folgenden schlägt er exakt diesen Ton an und heftet den auftretenden historischen Personen mehrfach ein Substitut des gelben Sterns an („der Jude Felix Teilhaber“ usw.).
Gegen all die, die „fast neurotisch auf der deutschen Schuld beharren“ (wie Hohmann Pfarrer Joachim Gauck zitiert) stellt er „die provozierende Frage: Gibt es auch beim jüdischen Volk, das wir ausschließlich in der Opferrolle wahrnehmen, eine dunkle Seite in der neueren Geschichte oder waren Juden ausschließlich die Opfer, die Leidtragenden?“ Zur Beantwortung greift Hohmann ausgerechnet auf Henry Fords Buch „The International Jew“ zurück. Hohmann wählt die direkte Anrede seines Publikums, um Fords Buch einzuführen:
„Meine Damen und Herren, es wird Sie überraschen, daß der amerikanische Autokönig Henry Ford 1920 ein Buch mit dem Titel ‚The International Jew‘ herausgegeben hat. Dieses Buch hat in den USA eine Auflage von 500.000 Exemplaren erlebt. Es wurde ein Weltbestseller und in 16 Sprachen übersetzt. Darin prangert Ford die Juden generalisierend als ‚Weltbolschewisten‘ an. Er vermeinte, einen ‚alljüdischen Stempel auf dem roten Rußland‘ ausmachen zu können wo damals die bolschewistische Revolution tobte. Er bezeichnete die Juden in ‚hervorragendem Maße‘ als ‚Revolutionsmacher‘. Dabei bezog er sich auf Rußland, Deutschland und Ungarn. Ford brachte in seinem Buch eine angebliche ‚Wesensgleichheit‘ von Judentum und Kommunismus bzw. Bolschewismus zum Ausdruck.“
Hohmann weiß, dass er hier auf ideologischen Sprengstoff gestoßen ist. Er spricht von „Thesen, die für unsere Ohren der NS-Propaganda vom ‚jüdischen Bolschewismus‘ ähneln“. Statt aber den Kampfmittelräumdienst zu verständigen, hantiert Hohmann im folgenden lange mit seinem Fund herum. Zum Zweck möglichst risikofreier Entschärfung und Entsorgung der explosiven Altlast hätte der Kampfmittelräumdienst zunächst festgestellt, dass der Sprengsatz der NS-Propaganda nicht nur ähnelt: Fords Buch, das international erheblich zur Popularisierung jener berüchtigten „Protokolle der Weisen von Zion“ beitrug, gehörte zu den Quellen, aus denen sich in den 20er Jahren der NS-Antisemitismus speiste. „Der internationale Jude. Ein Weltproblem“ erschien 1921 im Leipziger Hammer-Verlag, der 1902 von Theodor Fritsch gegründet worden war. Fritsch war Verfasser des in etlichen, immer wieder überarbeiteten Neuauflagen erschienenen „Antisemiten-Katechismus“. Per Publikation in diesem antisemitischen Verlag erreichte Fords Buch in zahlreichen Neuauflagen sein Zielpublikum und entfaltete Wirkung. [Vgl. S. Busse/ F. Zimmerman: Theodor Fritsch und seine Verlagsgründungen. In: Hubert Orlowski/Günter Hartung (Hg.): Traditionen und Traditionssuche des deutschen Faschismus. 4. Protokollband. Poznan: Adam Mickiewiz University Press 1992, S. 63-73.]
Fords Buch ist eine sehr ergiebige Quelle antisemitischen Wahns, die im folgenden nicht komplett und en détail analysiert werden kann. Die Darstellung beschränkt sich auf einige Impressionen sowie die Motive, die für die Analyse der Hohmann-Rede von Bedeutung sind. Was uns dabei so alles entgeht, sei nur anhand des „Was ist Jazz“ überschriebenen Kapitels verdeutlicht, das wie folgt anhebt: „Viele wundern sich, woher diese ununterbrochene Flut von musikalischem Kitsch kommt, die bis in die anständigen Familien dringt und die jungen Leute der Gegenwart dazu bringt, das Gelalle von Buschnegern nachzuahmen. Nun, mit einem Wort: Jazz ist jüdisches Machwerk.“ Deutlich ist damit schon, dass Ford keineswegs nur eine antisemitisch artikulierte Verdammung des Bolschewismus zu Papier brachte, sondern eine Anklage der modernen Gesellschaft, zu deren rapider Modernisierung er als innovativer Industrieller einen entscheidenden Beitrag leistete (und zwar nicht nur durch Auto-Mobilisierung: der Begriff „Fordismus“ hat ja historisch-sozialwissenschaftlichen Sinn). Die deutsche Fassung des Buches besteht aus zwei Teilen (die US-amerikanische umfasst vier Bände) und beinhaltet 45 durchnummerierte Kapitel. Viele Überschriften sprechen bereits für sich, das heißt gegen Ford:
„8. Besteht ein festes jüdisches Welt-Programm?
9. Die geschichtliche Grundlage der jüdischen Weltherrschaft
10. Eine Einleitung zu den ‚jüdischen Protokollen‘ […]
12. Die ‚jüdischen Protokolle‘ beanspruchen teilweise Erfüllung
13. Der jüdische Plan, die menschliche Gesellschaft durch ‚Ideen‘ zu zersetzen […]
15. Ist der jüdische ‚Kahal‘ der jetzige ‚Sowjet‘? […]
17. Beherrscht das Judentum die Weltpresse? […]
19. Der alljüdische Stempel auf dem ‚Roten Rußland‘
20. Jüdische Zeugnisse zugunsten des Bolschewismus […]
40. Bolschewistische Treibbeete in den Vereinigten Staaten […]
45. Die Finanzpläne des internationalen Juden“
Wenn hier die Rede von „jüdischen Protokollen“ ist, so sind die „Protokolle der Weisen von Zion“ gemeint auf die Ford sich schon im achten Kapitel stützt. Bei der Entlarvung der jüdischen Komponente des Bolschewismus legt Ford besonderen Eifer an den Tag. So judaisiert er Lenin:
„Um der furchtbar ernsten Anklage auf Mord, sittliche Verwüstungen, Räuberei, strafweisen Hungertod zusammen mit widerwärtigen Humanitäts-Phrasen im jetzigen Rußland zu entgehen, die sich in ihrer ganzen Entsetzlichkeit weder beschreiben noch begreifen lassen, klammert sich die jüdische Propaganda an zwei Strohhalme: einmal wird behauptet, Kerensky, der an der Spitze des bolschewistischen Einbruchs stand, sei kein Jude. Nun gibt es wohl kaum einen stärkeren Beweis für den jüdischen Charakter des Bolschewismus als die laut verkündete jüdische Behauptung, wenigstens zwei der Umsturz-Führer seien keine Juden. Es ist gewiß recht mißlich, unter Hunderten nur gerade zwei abzustreiten – und überdies ändert bloßes Abstreiten gar nichts an Kerensky’s Nationalität. […]
‚Aber Lenin‘ sagen die jüdischen Sachwalter, ‚Lenin, das Haupt, das Gehirn des Ganzen – Lenin ist Nicht-Jude!‘ Möglich, aber warum läßt er seine Kinder Jiddisch sprechen? Warum erläßt er seine Proklamationen auf Jüdisch? Warum hat er den christlichen Sonntag abgeschafft und den jüdischen Sabbath eingeführt? Diese Erklärung hierfür kann sein, daß er eine Jüdin heiratete. Die zweite Erklärung ist, daß er selbst doch Jude ist. Sicher ist er nicht ein russischer Adliger, wie immer behauptet wurde! Was er selbst darüber behauptet, ist gelogen. Die Behauptung, daß er kein Jude ist, ist mindestens zweifelhaft.“
Deutliche Spuren der Hetzschrift Fords finden sich in Dietrich Eckarts 1924 publizierter Schrift „Der Bolschewismus von Moses bis Lenin“. An zwei Stellen des „Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir“ legt Eckart Hitler Behauptungen Fords in den Mund: „’Wenn’s nach mir ginge, müßten in allen Schulen, an allen Straßenecken, in jeder Gaststätte Plakate hängen, auf denen weiter nichts stünde, als das Wort von Schopenhauer über die Juden: ‚Große Meister im Lügen!‘ Es gibt kein besseres. Und ausnahmslos trifft es zu, auf jeden Juden, ganz gleich, ob hoch oder niedrig, Börsianer oder Rabbiner, getauft oder beschnitten. […] Henry Ford erzählt, in seiner Heimat werde allgemein behauptet, die Vereinigten Staaten hätten mehr Gold als jedes andere Land. Aber wo sei es? ‚Seit wann hast du kein Goldstück mehr gesehen?‘ Die Regierung sei überschuldet, versuche verzweifelt zu sparen, nicht einmal die Kriegsinvaliden könne sie bezahlen, in Amerika sei das Gold zweifelsohne, aber es gehöre nicht den Amerikanern.’“ Später heißt es: „Ganz Israel steht offen im britischen Lager!‘ verkündete 1916 der Führer der amerikanischen Sozialdemokraten Samuel Gompers. Sämtliche Juden der Welt also. Auch der Amerikaner Ford wußte das. Er spricht von der Untreue der ’sogenannten‘ deutschen Juden gegen das Land, wo sie wohnten; und daß sie sich mit den übrigen Juden zum Sturze Deutschlands vereinigt haben“. [Dietrich Eckart: Der Bolschewismus von Moses bis Lenin Ein Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir. München: Hoheneichen 1924; ich zitiere nach der auf der mehreren Nazi-Homepages im Volltext verfügbaren Fassung. Der Fehler im Titel („Ziegespräch“ statt „Zwiegespräch“) lässt darauf schließen, dass die diversen Cyber-Nazis sich aus einer Quelle bedienen.]
Heinrich Himmler bemerkte 1924 in einem Brief, Ford sei „einer der wertvollsten, gewichtigsten und geistreichsten Vorkämpfer“. [Zitiert nach Armin Pfahl-Traughber: Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat. Hrsg. von Anton Pelinka u. Helmut Reinalter (= Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzzeit Bd. 9). Wien: Braumüller 1993, S. 39.] In seiner Aussage beim Nürnberger Prozess erinnerte sich Reichsjugendführer Baldur von Schirach wie folgt an seine Ford-Lektüre: „Das ausschlaggebende antisemitische Buch, das ich damals las und das Buch, das meine Kameraden beeinflußte […] war das Buch von Henry Ford ‚Der internationale Jude‘. Ich las es und wurde Antisemit. Dieses Buch hat damals auf mich und meine Freunde einen so großen Eindruck gemacht, weil wir in Henry Ford den Repräsentanten des Erfolgs, den Repräsentanten aber auch einer fortschrittlichen Sozialpolitik sahen.“ [Baldur von Schirach vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg am 23. Mai 1946; hier zit. nach Pfahl-Traughber: Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos (Anm. 4), S. 39.]
Aufschlussreich zur Verbreitung der Wahnvorstellung vom „jüdischen Bolschewismus“ unter den Nazis, wie sie insbesondere durch Fords Bestseller popularisiert worden war, ist ein Gutachten, das der Historiker Reinhard Maurach für die Verteidigung im Prozess gegen die Einsatzgruppen vorlegte. Maurach behauptete, es könne „überhaupt kein Zweifel“ bestehen, dass „es dem Nationalsozialismus vollständig gelungen ist, die öffentliche Meinung in Deutschland und darüber hinaus die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes von der Identität zwischen Bolschewismus und Judentum zu überzeugen.“ [Zitiert nach Daniel J. Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Berlin: Siedler 1996, S. 460. Goldhagen fügt an: „Wie die Täter unmittelbar nach dem Krieg befand sich auch Maurach noch fest im Griff dieser Ideologie, und so verteidigte er diese Auffassungen als richtig.“]
Auch im Neonazismus ist Fords Buch weiterhin beliebte Lektüre. So erschien 1976 ein deutschsprachiger Reprint. Die Verlagsangabe lautet: White Power Publications, Liverpool, VA in den USA. Spuren führen indes nach Deutschland: So wird u.a. das Versandantiquariat Berg im norddeutschen Toppenstedt empfohlen, gefolgt von dem Hinweis: „Die angeführten Firmen haben mit dem Druck dieses Heftes nichts zu tun!“. Das „Vorwort zur ersten Neuauflage nach dem Zweiten Weltkrieg in deutscher Sprache“ macht erst gar nicht den Versuch,den Band als Quellenedition zu wissenschaftlichen Zwecken auszugeben, wie dies bei anderen Nazi- oder auch Ludendorffer-Reprints häufig geschieht : „Die Welt befindet sich am Rande des Abgrundes, entweder das Judenproblem wird von dieser Generation gelöst, oder dieser Planet wird im Morast der Unsitte und Unmoral, der bewußt gesteuerten und geförderten Dekadenz versinken.
Das Problem ist durch dieses Buch analysiert – es gilt jetzt endlich zu handeln.
Es besteht heute ein jüdischer Staat, alle Juden, die sich nicht integrieren wollen, müßten nach dort verfrachtet werden. Nur durch die physische Separation, durch komplette Entflechtung der Juden aus den Volkskörpern, ist wirklicher Friede möglich. Die einzige andere Alternative ist die undenkliche Ausrottung der Juden in einer weltweiten Kristallnacht, wenn das Maß der Völker übervoll sein sollte.“
Für Horst Mahler ist Fords antisemitische Paranoia seit einigen Jahren eine Quelle krudester Weltanschauung: Datiert auf den 15. Oktober 2000 erschien auf Mahlers Homepage „Werkstatt Neues Deutschland“ eine vom Deutschen Kolleg verantwortete „Ausrufung des Aufstandes der Anständigen“, in der es nach Verneigungen vor Martin Walser und Norman G. Finkelstein wie folgt hieß: „Wir gedenken der unbekannten Verfasser der ‚Protokolle der Weisen von Zion‘, die hellsichtige Betrachtungen über die Mittel und Wege für die Begründung der jüdischen Weltherrschaft angestellt haben, die uns als Warnung dienen sollten. Wir meinen: ‚Der internationale Jude‘, Henry Fords Streitschrift gegen die Weltherrschaft des jüdischen Bankkapitals ist Pflichtlektüre für jeden Deutschen.“ [Dokumentiert in Martin Dietzsch/Alfred Schobert: Ein „jüdischer David Irving“? Norman G. Finkelstein im Diskurs der Rechten – Erinnerungsabwehr und Antizionismus. Duisburg: DISS 2001, S. 79-81, hier S. 80; vgl. zu Mahlers Werdegang ebd., S. 21f.]
In einer einschlägigen Mailing-Liste fand sich der Hinweis, dass Fords Buch „vor kurzem in der ‚Archiv‘-Reihe eines rabiat-ludendorffschen Verlages erschienen“ sei „und weit gestreut unaufgefordert ‚zur Ansicht‘ versandt wurde“. [eisernekrone vom 6.11.2003. Dahinter steckt der rabiat antisemitische Österreicher und Bekenntnis-Teheraner Martin Schwarz.]
Es handelt sich also um mehr als bloße Ähnlichkeit der Thesen Fords mit der NS-Propaganda vom „jüdischen Bolschewismus“. Doch selbst das Konstatieren bloßer Ähnlichkeit hätte Hohmann doch davon abhalten müssen, im Redetext wie folgt fortzufahren: „Wie kommt Ford zu seinen Thesen, die für unsere Ohren der NS-Propaganda vom ‚jüdischen Bolschewismus‘ ähneln? Hören wir, was der Jude Felix Teilhaber [recte: Theilhaber; AS] 1919 sagt: ‚Der Sozialismus ist eine jüdische Idee … Jahrtausende predigten unsere Weisen den Sozialismus.’“
Hohmann ist allerdings geschickt genug, sich bei seinen folgenden Aussagen nicht unmittelbar auf Ford zu stützen. Er hält sich an eine Veredelung des Stoffs, die der Bielefelder Bibliothekar und Historiker Johannes Rogalla von Bieberstein vorgelegt hat. [Johannes Rogalla von Bieberstein: „Jüdischer Bolschewismus“. Mythos und Realität. Dresden: Edition Antaios 2002.]
Wolfgang Benz nannte Rogalla von Bieberstein in einem Fernseh-Interview mit Michael Hörz einen „dubiosen Mann“. [„Ein Buch aus dem rechtsradikalen Rand, in einem völlig unbekannten Verlag erschienen, von einem dubiosen Mann geschrieben“ (http://www.n-tv.de/5192240.html).]
Ganz so einfach ist das vielleicht doch nicht – oder ausgerechnet am Deutschen Historischen Institut Warschau besteht ein Problem; zum Thema Verschwörung gilt Johannes Rogalla von Bieberstein nämlich durchaus als seriöser Autor, der zu einschlägigen Tagungen geladen wird, so beispielsweise zur Tagung „Verschwörungstheorien – Typen, Variationen, Testfälle“, die das Deutsche Historische Institut Warschau im Mai 1999 durchführte. Dort entwickelte Rogalla von Bieberstein in einem Exkurs bereits in Grundzügen das Thema seines späteren Buches. [Vgl. Johannes Rogalla von Bieberstein: Die These von der Verschwörung der Freimaurer. In: Ute Caulmanns,/Mathias Niendorf (Hrsg.): Verschwörungstheorien. Anthropologische Konstanten – historische Varianten. Osnabrück: Fibre 2001, S. 75-88.]
Rogalla von Biebersteins Buch erschien in der Dresdener Edition Antaios. Das ist sozusagen der Hausverlag des der rechtsextremen Wochenzeitung Junge Freiheit nahe stehenden Instituts für Staatspolitik (INSTAPO). Die INSTAPO-Gründer hantierten zur Selbstbeschreibung mal mit der Formulierung „Reemtsma-Institut von rechts“, das Vorbild mit umgekehrtem Vorzeichen ist das Hamburger Institut für Sozialforschung und insbesondere die öffentliche Wirkung der Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht“. [Vgl. Martin Dietzsch u.a.: Nation stattt Demokratie. Sein und Design der „Jungen Freiheit“. Duisburg: DISS 2003, S. 75-94.]
Eine Darlegung des angeblichen „jüdischen Bolschewismus“ passt da vortrefflich ins Programm. Eine entsprechende Aufnahme in der Publizistik des völkischen Nationalismus war garantiert, wie beispielsweise die Rezension des Militärpfarrers a.D. Lothar Groppe und ein Aufsatz von Brigadegeneral a.D. Reinhard Uhle-Wettler zeigen. [Vgl. Lothar Groppe: Die Rolle von Juden im Bolschewismus. Johannes Rogalla v. Bieberstein greift in seinem neuesten Buch ein brisantes Thema auf. In: Preußische Allgemeine Zeitung 17/2003, S. 3. Bei der Preußischen Allgemeinen Zeitschrift (früher Das Ostpreußenblatt) handelt es sich um das Organ der Landsmannschaft Ostpreußen. Uhle-Wettlers Aufsatz „Bleibt Deutschland eine Canossa-Republik?“ steht auf der Homepage der Hamburger Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft e.V. (SWG).]
Das CDU-Mitglied Hans Helmuth Knütter gab in einer Rezension die Stichworte vor – das antijüdische Ressentiment als Nonkonformismus und Tabubruch: „In der Tat handelt es sich um ein Thema, dessen Behandlung im politischen Klima des heutigen Deutschland bemerkenswert ist. Halten sich doch unsere charaktervollen etablierten Historiker lieber an karrierefördernde zeitkonforme Themen. Juden und ‚Linke‘ – das kann in der herrschenden denunziantischen Atmosphäre leicht böswillig missverstanden werden. […] Rogalla von Bieberstein legt mit der Behandlung dieses ‚heiklen und bislang vernachlässigten‘ Themas ein überaus wichtiges Werk zur Aufklärung der Zusammenhänge vor. Die etablierte Geschichtswissenschaft hat nicht nur versagt, sondern sich durch das Beschweigen dieses Gegenstandes moralisch diskreditiert.“ Das Buch sei „ein verdienstvoller Tabubrecher, geeignet, auch die etablierten Historiker zu zwingen, sich mit dem vernachlässigten Thema zu befassen.“ [Die Rezension steht ohne Angabe einer weiteren Quelle auf der Homepage des pseudolibertären Magazins Eigentümlich frei.]
Gestützt auf Rogalla von Bieberstein breitet Hohmann seitenlang vermeintliche Belege für die antisemitische These vom „jüdischen Bolschewismus“ aus. So liefert er statistische Angaben über die Juden in der bolschewistischen Führung aus; im Unterschied zu Ford zählt er Lenin übrigens zu den „Nicht-Juden“. Auch betont er den starken jüdischen Anteil in der Tscheka. „Diese Feststellung leitet zu einem Kapitel über, das zur damaligen Zeit für ungeheure Empörung gesorgt hat. Der Mord am russischen Zaren und seiner Familie wurde von dem Juden Jakob Swerdlow angeordnet und von dem Juden Chaimowitz Jurowski am Zaren Nikolaus II. eigenhändig vollzogen.“
Hohmann beschränkt seine Geschichtsstunde nicht auf die Sowjetunion: „Nicht zu vergessen die Münchner Räterepublik: Kurt Eisner, Eugen Leviné, Tobias Achselrod und andere Juden waren hier als unbestrittene Führungspersönlichkeiten tätig. Ein großes Aufsehen erregte damals das Eindringen bewaffneter Rotgardisten in die Münchner Nuntiatur des späteren Pacelli-Papstes. Er wurde von den Revolutionären mit einer auf die Brust gehaltenen Pistole bedroht. Auch die Ende April 1919 von Rotgardisten durchgeführte Erschießung von sieben Mitgliedern der ‚Thule-Gesellschaft‘, die in enger Verbindung zur späteren NSDAP stand, zeigt die Entschlossenheit des revolutionären Prozesses. Diese Geiselerschießung, der die Londoner Times am 5. Mai 1919 eine Schlagzeile gewidmet hatte, gab einem ‚giftigen Antisemitismus Nahrung und erzeugte lange nachwirkende Rachegelüste‘.“
Der Katholik Hohmann betont insbesondere jüdisch-bolschewistische Christenverfolgung: „Keinesfalls darf die ausgesprochen antikirchliche und antichristliche Ausrichtung der bolschewistischen Revolution unterschlagen werden, wie es in den meisten Schulbüchern der Fall ist. Tatsächlich hat der Bolschewismus mit seinem kriegerischen Atheismus die umfassendste Christen- und Religionsverfolgung der Geschichte durchgeführt. […]
Weder die orthodoxen Kirchen oder Klöster wurden verschont. Die Baulichkeiten wurden entweder zerstört oder für profane Zwecke genutzt. So wurden Kirchen zu Clubs, Kaufläden oder Speichern umgewandelt. Das Gold und das Silber der sakralen Schätze der orthodoxen Kirche verwendete man zur Finanzierung weltweiter revolutionärer Bewegungen.“
Dieser Rückblick auf das Treiben von Juden bringt Hohmann zu folgendem Ergebnis: „Mit einer gewissen Berechtigung könnte man im Hinblick auf die Millionen Toten dieser ersten Revolutionsphase nach der ‚Täterschaft‘ der Juden fragen. Juden waren in großer Anzahl sowohl in der Führungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos aktiv. Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als ‚Tätervolk‘ bezeichnen.“
Es gehört freilich zu Hohmanns demagogischem Geschick, dass er hier, grammatisch korrekt im Konjunktiv, ein hypothetisches Zwischen-Ergebnis formuliert. Allerdings tut Hohmann im folgenden so, als habe es sich in der langen Redepassage über den „jüdischen Bolscheismus“ nur um ein Gedankensspiel gehandelt – man kennt diese Schreibtechnik von Ernst Nolte. [Vgl. zu Noltes Schreibweise Alfred Schobert: Geschichtsrevisionismus à la carte. Mit Nolte und Zitelmann gegen „Westextremismus“. In: Helmut Kellershohn (Hg.): Das Plagiat. Der Völkische Nationalismus der Jungen Freiheit. Duisburg: DISS 1994, S. 269-296, bes. 287ff.]
Hohmann präsentiert abschließend ein „Tätervolk“, das aus (in großer Zahl jüdischen, von Gott abgefallenen) Bolschewisten und Nazis bestehe. Als „verbindendes Element“ macht Hohmann ihre „religionsfeindliche Ausrichtung und die Gottlosigkeit“ aus. „Die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, sie waren das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts.“
Auf die Konjunktive stützt sich Hohmann auch in seinen Ausflüchten im Interview mit Frontal 21 am 1. November 2003: „Frage: Aber Sie haben doch die Frage gestellt: Mit gewisser Berechtigung könnte man die Juden als Tätervolk bezeichnen. Ist dieser Satz nicht zumindest unvorsichtig – wenn man es untertreibt…
Hohmann: Es ist aber ein Konjunktiv. Man könnte! Man könnte.
Frage: Waren Sie überrascht auf das Echo Ihrer Rede hin, auf den Sturm der Entrüstung? Hohmann: Ich war über den Sturm der Entrüstung schon überrascht, das hatte ich mir so nicht vorgestellt. Andererseits geht das Ganze für meine Begriffe auf einen falschen Eindruck und auf falsche Informationen zurück. Ich habe das Gegenteil von dem gesagt, was mir vorgeworfen wird. Ich habe gesagt: Die Juden sind kein Tätervolk, und die Deutschen sind kein Tätervolk. Ich habe gesagt: Die Ideologen, die sich von ihrer moralischen, religiösen Bindung freigemacht haben, gewissenlos gemordet haben im letzten Jahrhundert, das waren die Täter. Das ist meine Kernaussage – und nichts anderes.“ Später sagt er erneut: „Ich muss klar sagen, dass ich die Juden nicht in die Nähe eines Tätervolks gerückt habe, sondern ich habe wortwörtlich gesagt: Daher sind weder DIE Deutschen, noch DIE Juden ein Tätervolk. Ich habe fortgefahren und weiter gesagt: Mit vollem Recht aber kann man sagen: Die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, die sich von dem Gebot ‚Du sollst nicht morden‘ freigezeichnet haben: Das war das Tätervolk in dem letzten unheilvollen Jahrhundert. Das war meine Kernaussage, und zu der stehe ich, und sie trifft auch zu.“
Der zweimalige Konjunktiv „könnte man“ im Redetext, den Hohmann wie ein Echo im Interview wiederholt, steht im Redetext im Kontrast zur wiederholten Betonung der „Berechtigung“ der Bezichtigung „Tätervolk“. Es geht, aller kontextueller Einbettung und allen später nachgeschobenen Ausflüchten zum Trotz, sehr wohl um die Bezichtigung „der Juden“ als „Tätervolk“. Dafür spricht auch die Dimensionierung dieses Teils der Rede: die betreffende Passage umfasst zirka ein Viertel des gesamten Redetextes. Zu berücksichtigen ist zudem, dass es sich um eine mündlich vorgetragenen Text handelt, dessen grammatische Feinheiten wie die Konjunktivformulierungen bei vielen Zuhörern vermutlich ‚überhört‘ werden. Im Interview mit Frontal 21 betont Hohmann mit Bezug auf diese Redepassage, dass er hier doch „Tatsachen“ und nur „Tatsachen“ wiedergegeben habe, weshalb er sich auch nicht für die Rede entschuldigen könne.
Besagte „Tatsachen“, die so ausführlich aufgebotenen vermeintlichen Belege für die Vorstellung vom „jüdischen Bolschewismus“, beflügeln auch manche Verteidiger Hohmanns. Reinhard Uhle Wettler formulierte am 1. November 2003 in seiner Funktion als Vorsitzender der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft e.V. (SWG) in einem „Offenen Brief an die CDU/CSU-Fraktion“ das rechte Verständnis der Hohmann-Rede: „Es scheint nicht einmal die Courage vorhanden zu sein, die gemachten Aussagen vor der öffentlichen Bewertung sorgfältig zu analysieren. Presse und Zentralrat der Juden sind offensichtlich stark genug, um eine sachliche Auseinandersetzung zu verhindern. Diese müßte die Literatur einbeziehen, aus der H[ohmann] zitiert: Johannes Rogalla von Bieberstein ‚Jüdischer Bolschewismus‘, Mythos und Realität“. [Reinhard Uhle Wettler: Offener Brief an die CDU/CSU-Fraktion (1.11.2003), zu finden auf der Homepage der SWG.]
Die Assoziation von „Presse und Zentralrat der Juden“, die gewissermaßen als Zensur-Instanz gegen die Meinungsfreiheit funktionierten, bedient sich im klassischen Repertoire des Antisemitismus und findet sich, um zur Illustration ein im Kontext naheliegendes historisches Beispiel zu wählen, auch bei Henry Ford. Dessen Buchkapitel „Beherrscht das Judentum die Weltpresse?“ dient einem doppelten Zweck: „festzustellen, was die Protokolle [die „Protokolle der Weisen von Zion“; AS] über die Beziehungen zwischen Presse und [in Kapitel 8 als „jüdisch“ gekennzeichnetem; AS] Welt-Programm besagen und in das Studium des jüdischen Einflusses auf die Presse einzuführen“.
Der fast ‚klassisch‘ zu nennende Topos von der „vermauschelten Presse“ ist beim Hohmann-Verteidiger Uhle-Wettler zeitgemäß legiert mit einem zentralen Komplex des sekundären Antisemitismus: Es bedürfe des Mutes („Courage“), ja der „Kühnheit“ (die Walser zugleich zittern ließ), die „Tatsachen“ auszusprechen – der Antisemit geriert sich, wie Adorno dies beschrieb, als „Verfolgter“, „gegen den der Stachel der Gesellschaft sich richtet, während im Allgemeinen die Antisemiten doch die sind, die den Stachel der Gesellschaft am grausamsten und am erfolgreichsten handhaben“. [Theodor W. Adorno: Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute. In: ders.: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1971, S. 105-133, hier S. 109.]
Uhle-Wettler nennt den Unionsabgeordneten, „offensichtliche Unbildung“ und „fehlende Zivilcourage“ der „Berliner politisch[n] Klasse“ geißelnd, „[w]eitere wichtige Quellen zum Thema, die wenigstens Ihr wissenschaftlicher Dienst auswerten müßte“, nämlich Bücher von Alexander Solschenizyn, Sonja Margolina und Wolf Calebow.
[Alexander Solschenizyn: Zweihundert Jahre zusammen. Die Juden in der Sowjetunion. München: Herbig 2002. Sonja Margolina: Das Ende der Lügen. Berlin: Siedler 1992; vgl. den Beitrag zur Hohmann- Rede: Diesseits und jenseits der Zahlen. Welchen Anteil hatten Juden an der Oktoberrevolution, und warum? In: Berliner Zeitung 3.11. 2003. Damit qualifizierte sich Margolina zur Interviewpartnerin für die Junge Freiheit; vgl. dies.: „Verurteilung statt Diskussion“. Über den Fall Hohmann, Konformismus und Meinungsfreiheit in Deutschland (Gespräch mit Moritz Schwarz). In: JF 46/2003, S. 3. Wolf Calebow: Auf dem Weg zur Normalisierung – 15 Jahre Dialog mit amerikanischen Juden. Berlin: Verlag Arno Spitz 1999.]
Mit anderen Worten: Die Sache mit der ‚jüdischen Täterschaft im Bolschewismus‘ müsse endlich diskutiert werden, ganz sachlich, versteht sich. Und das, obwohl Hohmann das doch, laut eigenem Bekunden, gar nicht gesagt habe.
Hohmanns Rede von der „Gottlosigkeit“ der Nazis ist historischer Humbug und dient dem katholischen Fundamentalisten als Entlastungspropaganda. Gewiss gab es innerhalb des Nazismus dem Christentum feindlich gesonnene Ideologen. Doch findet sich gerade bei herausragenden Naziideologen und insbesondere in ihren antisemitischen Tiraden positive Bezüge auf das Christentum. In der Nachbemerkung zu Dietrich Eckarts unvollendet gebliebener Schrift „Von Moses bis Lenin“ spricht der Hoheneichen-Verlag von diesem „Zwiegespräch“ mit Hitler als einem „für die christliche Einstellung der völkischen Bewegung zeugenden, hochbedeutsamen Werk[.]“ und hofft, dass „Adolf Hitler nach der Beendigung des gegenwärtig gegen ihn in München anhängigen Hochverratsprozeß die Liebenswürdigkeit haben wird, die Vollendung dieses unmittelbar vor seinem Abschluß stehenden Werkes zu übernehmen“. Hitler schrieb in der Haft stattdessen „Mein Kampf“, an dessen Schluss er sich unter der Kopfzeile „Unseren Toten als Mahnung zur Pflicht“ vor Eckart als „Märtyrer“ der NS-Bewegung verneigte. [Vgl. Adolf Hitler: Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. München: Zentralverlag der NSDAP., Franz Eher 815-820. Auflage 1943, S. 781.]
Passend zu dieser Ehrung des für die christliche Einstellung der völkischen Bewegung zeugenden Autors heißt es in „Mein Kampf“ u.a.: „Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“ [S. 70].Gemeint war der christliche Gott. Entsprechend zitierten auch katholische Nazis diesen Kernsatz Hitlers; verwiesen sei hier nur auf Carl Schmitts Eröffnungsrede und sein Schlusswort bei der Tagung „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ Anfang Oktober 1936 in Berlin. [Vgl. zur Tagung Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000, S. 120-134.]
Statt sich also wie Hohmann christlich selbstgefällig reinzuwaschen, täten Christen gut daran, einen religionspolitologischen Hinweis zu reflektieren (oder meinetwegen auch zu beherzigen): „Wer den dünnen Faden christlicher Glaubensgewißheit aushält, wird aber ohne Scheu, nicht stolz auf dem Unterschied [zwischen Nazismus und Christentum – AS] bestehen, sondern auch danach fragen, in welchen Hinsichten, ob einige oder gar viele, Ähnlichkeiten festgestellt werden können. Die Lösung der Aufgabe, was an der ‚Religionsideologie der Nationalsozialisten christlich, häretisch oder genuin neu ist, muß künftiger Forschung überlassen bleiben.“ [Claus-Ekkehard Bärsch: Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiöse Dimension der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler. München: Fink 1998, S. 350f.; vgl. ebd., S. 370: „Es ist die Aufgabe einer christlichen Religionsgeschichte festzustellen, ob die nationalsozialistische Weltanschauung eine christliche Häresie ist oder nicht.“ Vgl. ders.: Erlösung und Vernichtung – Dr. phil Joseph Goebbels. Zur Psyche und Ideologie eines jungen Nationalsozialisten 1923-1927. München: Boer 1987.]
Derartige kritische Selbstreflexion ist Hohmanns Sache nicht. Er sieht selbstgewiss Gott auf seiner Seite im Kampf gegen „das Böse“. Dabei handelt es sich um einen Gott mit nationaler Präferenz: „Mit Gott in eine gute Zukunft besonders für unser deutsches Vaterland!“
Hohmanns auf Deutschland zentrierte christlich-abendländische Akzentuierung der Totalitarismusthese Ernst Noltes kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die CDU in Gestalt Hohmanns (auch nach seinem Ausschluss aus der Fraktion) und seiner Getreuen in der Partei ein massives Antisemitismus-Problem hat. Im Vergleich mit den vorhergehenden antisemitischen Ausfällen deutscher Eliten in Wissenschaft (Ernst Nolte), Kultur (Martin Walser) und Politik (Jürgen W. Möllemann) weist Hohmanns Antisemitismus eine neue Qualität auf (Moshe Zimmermann sprach von einem „Quantensprung“): Diese besteht nicht allein in der systematischen Geschlossenheit der antisemitischen Ideen-Darlegung, wobei die Systematik wohlgemerkt die eines Wahnsystemes ist. Das erschreckende Novum ist, dass ein Bundestagsabgeordneter (unter Beifall eines der wichtigsten Generäle der Bundeswehr) einen zentralen ideologischen Komplex des Nazi-Antisemitismus reproduziert. Man könnte fast versucht sein zu behaupten, nicht das Treiben der Neonazis, sondern der neue Eliten-Antisemitismus bereitete tiefe Sorgen; doch hieße dies, einer falschen Denk-Alternative aufzusitzen und das Ineinandergreifen von rechtem Rand und Mitte der Gesellschaft zu übersehen: die harte Naziszene sieht sich mit einiger Berechtigung durch Hohmanns Rede bestätigt und angefeuert. (as)
Dieser Aufsatz erschien zuerst in den Archiv-Notizen, Dezember 2003. Eine gekürzt Fassung erschien in der Graswurzelrevolution 184.