Helmut Kellershohn: Autoritärer Liberalismus

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Autoritärer Liberalismus

Zum Zusammenhang von Ordoliberalismus und »Konservativer Revolution«

Von Helmut Kellershohn

Als Herbert Marcuse 1934 in der Zeitschrift für Sozialforschung seinen Artikel »Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung« veröffentlichte, ging er von drei Überlegungen aus. Erstens von einer »Kontinuitätsthese«, wie der Soziologe Heinz Gess schreibt, der zufolge »die Wendung vom liberalistischen zum total-autoritären Staat sich auf dem Boden derselben Gesellschaftsordnung« vollzogen habe, der Faschismus trotz heftigster Kritik am Liberalismus wesentliche Elemente der kapitalistischen Gesellschaftsordnung bejahe. »Der total-autoritäre Staat« verkörpere nur »die dem monopolistischen Stadium des Kapitalismus entsprechende Theorie und Organisation der Gesellschaft«. Zweitens beruhe diese »Theorie« darauf, dass aus dem Weltbild des Liberalismus »entscheidende Momente aufgegriffen und in der von den veränderten ökonomisch-sozialen Verhältnissen geforderten Weise umgedeutet und weiterentwickelt« würden. Ja, der Liberalismus habe, gewissermaßen in einer Phase der Selbstkritik (vor dem Hintergrund der Krise), autoritäre Ideen aus sich selbst heraus »erzeugt«, so dass also Umdeutung und Selbsttransformation Hand in Hand gingen. Drittens beabsichtigte Marcuse, diesen diskursiven Prozess auf dem Feld des Kulturellen und speziell in der zeitgenössischen Philosophie nachzuvollziehen.

»Heroisch-völkischer Realismus«

Rückblickend fällt auf, dass Marcuse 1934 bei seinem Parforceritt durch die relevante Weltanschauungsliteratur der damaligen Zeit nicht differenzierte zwischen dem, was heute, sicherlich problematisch, mit dem Begriff »Konservative Revolution« bezeichnet wird, und der im engeren Sinne faschistischen Ideologie. Beide Stränge firmieren bei ihm unter dem Titel »heroisch-völkischer Realismus«. Er betont also das gemeinsame weltanschauliche Gerüst, das es in der Tat ja auch gegeben hat und das ich idealtypisch mit dem Begriff des völkischen Nationalismus belegen würde, ohne dass er die verschiedenen Ausdifferenzierungen und politischen Optionen der der jeweiligen Repräsentanten dieser Richtungen berücksichtigt.

Im Folgenden geht es mir darum, den genannten Prozess der Selbsttransformation und Umdeutung beispielhaft und innerhalb eines weit enger begrenzten Rahmens als bei Marcuse zu untersuchen. Aus ideengeschichtlicher Perspektive soll der Zusammenhang zwischen den Anfängen des Ordoliberalismus in Deutschland während der Weltwirtschaftskrise und einigen Argumentationsfiguren der sogenannten Konservativen Revolution und insbesondere des Jungkonservatismus, speziell Carl Schmitts, herausgearbeitet werden. Dem liegt die These zugrunde, dass in dem, was Hermann Heller als »autoritären Liberalismus« bezeichnen sollte, der Schnittpunkt zu suchen ist, der sich heute in den dominanten Strömungen der Neuen Rechten und in Teilen der AfD wiederfinden lässt.

Auf dem Höhepunkt der Krise, im Jahr 1932, sind einige Schlüsseldokumente des (später sogenannten) Ordoliberalismus erschienen – von Autoren, die nach 1945 die wirtschaftspolitische Debatte rund um die so »soziale Marktwirtschaft« bestimmt haben: Walter Eucken, Alexander Rüstow, Alfred Müller-Armack, Wilhelm Röpke. Das Interessante an den von diesen Autoren produzierten Texten sind erstens die Übereinstimmungen in ihrer Krisendiagnose der kapitalistischen Ökonomie und – mit Einschränkung – auch in ihren politischen Schlussfolgerungen (die Einschränkung bezieht sich auf Müller-Armacks Anleihen beim italienischen Modell des Faschismus). Zweitens zeigen sich eindeutige Parallelen zu Carl Schmitts Rede vor dem »Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen« (Langnam-Verein) im November 1932 und zu der Formel »Gesunde Wirtschaft im starken Staat«, wie der Titel der Veranstaltung des einflussreichen Schwerindustriellen-Vereins lautete. Carl Schmitt, der später als »Kronjurist des Dritten Reiches« bezeichnete Verfassungsrechtler, steht für die dominant im Jungkonservatismus vertretene Bejahung einer privatkapitalistisch organisierten Industriegesellschaft (z.T. ergänzt um berufsständische Organisationsformen). Davon abzugrenzen sind solche, sich als antikapitalistisch verstehende Konzeptionen, die auf eine Neubegründung des kapitalistischen Interventionsstaates zielten, mit Autarkiemodellen und planwirtschaftlichen Ansätzen operierten und partielle Verstaatlichungen empfahlen. Diesbezüglich ist vor allem der damalige Kreis um die Monatszeitschrift Die Tat von Bedeutung (das »Autarkie«-Buch von Ferdinand Fried erschien ebenfalls 1932). Sodann sei auf die »Reformer« um Gregor Strasser verwiesen, der sich als Schüler Moeller van den Brucks, des herausragenden Vertreters der »Konservativen Revolution«, verstand. In diesem Zusammenhang tauchen auch neuartige konjunktur- und finanzpolitische Ideen auf, die von John Maynard Keynes, zum Teil auch von den äußerst zweifelhaften Thesen des Zinskritikers Silvio Gesell beeinflusst sind.

Dieser grobe Überblick über wirtschaftspolitische Konzepte der »Konservativen Revolution« und der »nationalsozialistischen Linken« ist deshalb von Interesse, weil sich die heutige extreme Rechte im Wesentlichen an den hier angesprochenen Differenzierungen orientiert: die heutigen Jungkonservativen an der Schmitt-Linie (einschließlich der ordoliberalen Zuarbeiter), die »Neonationalsozialisten« an der anderen Linie, wobei Überschneidungen durchaus möglich sind. Ich konzentriere mich im Weiteren auf Eucken und Schmitt. Was Eucken anbetrifft, stütze ich mich auf die profunde Arbeit von Dieter Haselbach »Autoritärer Liberalismus und soziale Marktwirtschaft« (Baden-Baden 1991).

Walter Eucken: Krisis des Kapitalismus

Eucken knüpft in seinem Artikel »Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus«, erschienen im Weltwirtschaftlichen Archiv, an Schumpeters »Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung« an. Der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter hatte hierin versucht, die Dynamik der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung zu erklären und sie an der innovativen Funktion des Unternehmers festgemacht. »Die Leistung des Unternehmers ist es, die vorhandenen wirtschaftlichen Beziehungen zu transzendieren, Neues in die Welt zu bringen« und insbesondere vermittels des Kreditsystems eine »neue Kombination von Produktionsmitteln« (Haselbach) durchzusetzen. Eucken stellt nun fest, dass es in Deutschland trotz der enormen Kartellierung und Monopolisierung der Wirtschaft, in der eine Tendenz zur »Erstarrung und Feudalisierung« des Unternehmertums liege, genügend unternehmerisches und technisches Potential für Innovationen gebe. Daher sieht er die Ursachen der »Krisis des Kapitalismus« in der hinderlichen »staatlich-gesellschaftlichen Organisation«, im »institutionellen Arrangement des Kapitalismus im 20. Jahrhundert«. (ebd.) Letztendlich geht es also um die Rückgewinnung der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit, und es geht um ein Verhältnis von Staat und Gesellschaft, das dieser Gestaltungsfreiheit förderlich ist.

Eucken sieht in der historischen Entwicklung des Kapitalismus eine Abfolge staatlich-gesellschaftlicher Organisationsformen, die vom absolutistischen Merkantilsystem über den liberalen Staat des 19. Jahrhunderts zum interventionistischen »Wirtschaftsstaat« führt, in dem Staat und Gesellschaft in verhängnisvoller Weise zusammenwachsen. Während der Bismarcksche Interventionismus noch vom Primat der Politik und der Staatsräson geprägt gewesen sei, habe sich das Verhältnis in der Folgezeit umgekehrt, die Wirtschaft habe »den Interventionsstaat den eigenen Interessen« (ebd.) unterworfen und damit die Erfolgsbedingungen wirtschaftlichen Handelns im Sinne Schumpeters in ihr Gegenteil verkehrt. Nicht der Unternehmer habe Erfolg, der innovatorisch tätig sei, sondern derjenige, »der seine Virtuosität in der Einflussnahme auf den Staat und seine interventionistischen Maßnahmen entfaltet« (ebd.), um z. B. Schutz vor in- oder ausländischer Konkurrenz durch Subventionen oder Zollpolitik zu erhalten. Auch die Herausbildung von Kartellen und Monopolen, die Vermachtung der Industrie und Landwirtschaft, auch der Einfluss der Gewerkschaften werden kritisch begutachtet und die Benachteiligung mittlerer und kleiner Betriebe angesprochen.

Eine interessante Wendung nehmen Euckens Ausführungen dort, wo er sich speziell auf den »Wirtschaftsstaat« bezieht. Sein besonderes Augenmerk richtet er nämlich auf den »staatsgläubigen Antikapitalismus«, womit er nicht den Antikapitalismus von links meint, der in der marxistischen Tradition staatsfeindlich sei, sondern den neueren rechten Antikapitalismus. Dieser setze strategisch beim Wirtschaftsstaat an und versuche, so Euckens voreiliges Urteil, »im totalen, die Wirtschaft umfassenden, möglichst autarken Staat den Kapitalismus (zu) überwinden«.

Der »staatsgläubige Antikapitalismus« wird laut Eucken durch zwei Faktoren befördert. Auf den ersten verweist der kulturkritische Impetus des Ordoliberalismus: Im Gefolge der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft sei es mit dem »Verlust religiösen Sinns« zu einer Kulturkrise gekommen. Diese habe dazu geführt, dass der Staat zu einem »innerweltlichen Religionsersatz« geworden sei, zu einer Instanz, »von der Krisenlösungen weit mehr erhofft (würden) als etwa vom unternehmerischen Handeln, aus dem bisher kapitalistische Dynamik erwachsen sei« (ebd.). Der zweite Faktor, der dann besonders bei Müller-Armack herausgearbeitet wird, ist die dramatische Zuspitzung des wirtschaftsstaatlichen Interventionismus durch die Demokratisierung des politischen Systems, die zu einer Potenzierung wirtschaftlicher Einflussnahmen auf den Staat und zu einem weiteren Verflechtungsschub geführt habe.

Es sind also insgesamt drei Krisen, die für Eucken den Wirtschaftsstaat begünstigen: die zunehmende Inanspruchnahme des Staates, die Kulturkrise und schließlich die Mängel der parlamentarischen Demokratie. Zusammenfassend schreibt Eucken:

»Die Umwandlung des liberalen Staates zum Wirtschaftsstaat bedeutet (…) eine Schwächung des Staates, ja, sie birgt sogar die Gefahr der Auflösung des Staates in sich. (…) gerade durch die enge Verflechtung mit der Wirtschaft (wird) die Selbständigkeit der Willensbildung des Staates unterhöhlt (…), auf der seine Existenz beruht.«

Carl Schmitt: Starker Staat und gesunde Wirtschaft

Damit wären wir bei Carl Schmitt und dessen Rede vor dem Langnam-Verein am 23. November 1932, kurz nach dem Rücktritt des Reichskanzlers Franz von Papen. Schmitt stellte seine Rede (abweichend vom Titel der Langnam-Veranstaltung) unter das Motto »Starker Staat und gesunde Wirtschaft« und entwickelte hier den Unterschied zwischen einem »quantitativ totalen Staat« (i.e. die Weimarer Republik) und einem »qualitativ totalen Staat«, den er mit dem faschistischen »Stato totalitario« in Verbindung bringt. Die Abgrenzung zwischen diesen beiden Arten des totalen Staates erfolgt mit der »sauberen, klaren Unterscheidung der staatlichen und der staatsfreien Sphäre«, nicht im Sinne einer »Trennung«, wie Schmitt betont, sondern im Sinne einer Verhinderung »unsachlicher« Übergriffe der einen auf die andere Sphäre und umgekehrt. Der quantitativ totale Staat verstößt gegen dieses Prinzip: Er ist »ein Staat, der sich unterschiedslos auf alle Sachgebiete, alle Sphären des menschlichen Daseins begibt, der überhaupt keine staatsfreie Sphäre mehr kennt, weil er überhaupt nichts mehr unterscheiden kann. Er ist total in einem rein quantitativen Sinne, im Sinne des bloßen Volumens, nicht der Intensität und der politischen Energie. […] Diese Totalität im Sinne des Volumens ist das Gegenteil von Kraft und Stärke.« Und mit Blick auf die Weimarer Republik heißt es weiter: »Der heutige deutsche Staat ist total aus Schwäche und Widerstandslosigkeit, aus der Unfähigkeit heraus, dem Ansturm der Parteien und der organisierten Interessenten standzuhalten. Er muss jedem nachgeben, jeden zufriedenstellen und den widersprechenden Interessen gleichzeitig zu Gefallen sein.«

Die Ursache der Schwäche ist damit bereits angedeutet: Zwischen Staat und Gesellschaft hat sich eine »Mehrzahl totaler Parteien« etabliert, die sich das »Monopol der Politik« angeeignet haben und – da es sich um ein »festes durchorganisiertes Mehrparteiensystem« handelt – ein »Polypol« bilden. Die Funktionsweise dieses Polypols beruht laut Schmitt zum einen auf der Monopolisierung der »politischen Vermittlung«, d.h. die Parteien organisieren die Interessen der Bürger und deren »Umschaltung […] in den Staatswillen«. Zum anderen beherrschen sie über die »Aufstellung der Kandidatenliste« und damit den Zugang zum Parlament den Staat und machen »ihn zum Objekt ihrer Kompromisse«. Die Institutionen der Verfassung würden dadurch »verfälscht«, der Staat zum »Ausbeutungsobjekt« organisierter Interessen degradiert. Dies, die Ausbildung des »totalen Parteinstaates« bzw. des »pluralistischen Staates«, führe »zu jener merkwürdigen quantitativen unterschiedslosen Ausdehnung des Staates auf alle Gebiete«.

Demgegenüber sei der qualitativ totale Staat dadurch gekennzeichnet, dass er »echte[r] Staat«, ein »besonders starker Staat« sei. Dieser Staat verfügt alleine und »ausschließlich« über die »Machtmittel, die er zu seiner politischen Herrschaft« braucht, insbesondere die »militärtechnischen Machtmittel« und die Techniken der »Massenbeeinflussung«. Er stützt sich auf »Heer und Beamtentum«, die sich durch »Unparteilichkeit und Staatsgesinnung« auszeichnen sollten. Mit Blick auf die damaligen deutschen Verhältnisse schrieb Schmitt, dass dieser Staat »das einzige legale Machtinstrument des echten Notfalles, das er heute noch hat, nämlich den Artikel 48« anzuwenden habe, womit der Verfassungsrechtler einmal mehr die staatserhaltende Rolle des Reichspräsidenten hervorhebt. Verfügt der Staat über all diese Machtmittel, vermag er, »in seinem Innern keinerlei staatsfeindliche, staatshemmende oder staatszerspaltende Kräfte aufkommen« zu lassen. Er lässt es nicht zu, dass »seine Macht unter irgendwelchen Stichworten, Liberalismus, Rechtsstaat oder wie man es nennen will, untergraben« wird. Schlussendlich: »Er kann Freund und Feind unterscheiden.«

Dazu zwei Anmerkungen: Schmitt knüpft hier an seine im August 1932 in zweiter Auflage erschienene Schrift »Der Begriff des Politischen« an. Gegenüber der ersten Auflage von 1927 hat Schmitt in diesem Buch einige Erweiterungen vorgenommen, u.a. Passagen über den Bürgerkrieg eingefügt und die Freund-Feind-Erklärung um eine innenpolitische Komponente erweitert (»innerstaatliche Feinderklärung«). Damit rechtfertigte er ein »unnachsichtiges Durchgreifen gegen diejenigen Kräfte, die als Staatsfeinde« anzusehen sind: »nach Lage der Dinge …Kommunisten und Nationalsozialisten«, wie der Historiker Wolfram Pyta schreibt. Es war das Ziel Schmitts, gerade mit der Betonung des Artikels 48, die Position des Reichspräsidenten zu stärken und ihn »als Repräsentanten des einheitlichen Volkswillens zu überhöhen« (Pyta) – gegen den Reichstag und die politischen Parteien. Pläne einer Reichs- und Verfassungsreform, wie sie noch Franz von Papen und Walter Schotte (»Der neue Staat«) propagiert worden waren und in den Schwerindustriellen-Kreisen auf große Zustimmung stießen, hielt er in der damaligen Situation für wenig aussichtsreich.

Zweitens: Der »einheitliche Volkswille« verweist auf ein (angenommenes) Substrat, eine ethnische Homogenität, das Basisideologem des völkischen Nationalismus. Jede echte Demokratie, so Schmitts berühmte Definition einer nichtliberalen, nicht repräsentativen, sondern identitären Demokratie, »beruht darauf, dass nicht nur Gleiches gleich, sondern […] das Nichtgleiche nicht gleich behandelt wird. Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.« Andererseits ist für Schmitt der Volkswille keineswegs eine spontane oder gar unmittelbar gegebene, natürliche Größe. Der Volkswille ist vielmehr Resultat diskursiver Prozesse, in deren Verlauf gesellschaftliche Konflikte, soweit sie einen bestimmten Grad an Intensität gewonnen haben, zu einer Freund-Feind-Unterscheidung führen, die letztendlich auf einem dezisionistischen Akt der »Entscheidung« beruhen, bei dem Inhalt und Begründung letztlich nebensächlich sind: Die beteiligten Gruppen »entscheiden« sich, z. B. in einer Situation des Bürgerkrieges, in einer anderen Gruppierung »Feinde« zu sehen, nehmen also für sich in Anspruch, das Volk und den Willen des Volks zu repräsentieren. Solange es aber noch funktionierende staatliche Instanzen gibt, wie etwa den von Schmitt immer wieder ins Spiel gebrachten Reichspräsidenten, so ist es deren Aufgabe, die Freund-Feind-Erklärung zu organisieren und zu kommunizieren. Volk ist also einerseits eine ethnische Größe, andererseits aber Resultat politischer Willensbildungsprozesse. »Volk« existiert zwar, aber entsteht erst wirklich in einem politischen Prozess. Volk ist also wesentlich, um Hans Freyer zu zitieren, »politisches Volk«.

Diese Unterscheidung ist insofern wichtig, weil sie jungkonservative und im engeren Sinne völkische Strömungen (zu denen nicht zuletzt der Nazifaschismus gehört) voneinander abgrenzt (auch heute noch). In der ordoliberalen Gedankenwelt wiederum tritt der völkische Gedanke weitgehend zurück.

Was bedeutet nun für Carl Schmitt »gesunde Wirtschaft im starken Staat«? Diese Frage interessierte 1932 vornehmlich die Herren des Langnam-Vereins, und Schmitt blieb eine Antwort nicht schuldig. So kritisierte er die Idee einer »Wirtschaftsdemokratie«, die in den letzten Jahren der Weimarer Republik die wirtschaftspolitische Programmatik der Sozialdemokratie prägte. Schmitt sieht hier eine unzulässige »Vermischung von Wirtschaft und Politik«, eine »unsachliche« Politisierung der Wirtschaft durch den quantitativ totalen Staat. Es sei der Versuch, »mit Hilfe politischer Macht sich wirtschaftliche Macht im Staate anzueignen, und dann mit Hilfe der so gewonnenen wirtschaftlichen Macht wiederum seine politische Macht zu verstärken«. Getreu seiner Unterscheidung von staatlicher und staatsfreier Sphäre betrachtet er »die Sphäre des freien, individuellen Unternehmers« als »reine Privatsphäre«, davon getrennt die wirtschaftlichen Unternehmungen im staatlichen Bereich, die nur dieser organisieren könne. Daneben gibt es aber noch einen Zwischenbereich, der »nichtstaatlich, aber öffentlich« sei. Gemeint ist damit die »wirtschaftliche Selbstverwaltung«, also der Bereich, in dem »von den Trägern dieser Wirtschaft« – dazu gehören nicht die Gewerkschaften – die gemeinschaftlichen Belange »organisiert und verwaltet« werden. Auch dieser Bereich müsse staatsfrei gehalten werden. Dass die »Entpolitisierung« der Wirtschaft auf Kosten der Gewerkschaften und der Arbeiterklasse geht, demonstriert Schmitt den Herren vom Langnam-Verein hier nachdrücklich. Hermann Heller, der sozialdemokratische Antipode Schmitts, hat darauf sofort reagiert.

Hermann Heller: Autoritärer Liberalismus

Der diesbezügliche Artikel Hellers (»Autoritärer Liberalismus«) ist von besonderem Interesse, auch aus aktuellen Gründen. Er wurde 1932 geschrieben, allerdings erst 1933 veröffentlicht. Erstens stellt er klar, dass der totale oder autoritäre Staat, den Schmitt der Schwerindustrie präsentiert, auf antidemokratischer Grundlage beruht. Und er stellt den Zusammenhang mit Schmitts wichtigsten staats- und verfassungsrechtlichen Arbeiten her, wenn er schreibt, dass in der Krise »eine Staatsauffassung Erfolg haben kann, die gleich der von Carl Schmitt die Ausnahme für entscheidend, die Regel und Norm aber für belanglos erklärt und sich seit anderthalb Jahrzehnten darum bemüht, die demokratische zugunsten der diktatorischen Staatsautorität herabzusetzen«. Zweitens betont er den Zusammenhang mit dem zeitgenössischen »neoliberalen« (!) Diskurs, den ich oben in Gestalt von Eucken näher charakterisiert habe. Im Gegensatz nämlich zu Ernst Jünger, den er als den eigentlichen Propagandisten des totalen Staates nach italienischem Vorbild sieht, seien Schmitt und seine Adressaten, »die militärisch und wirtschaftlich mächtigen Vorkämpfer des ›autoritären‹ Staates«, keine Schwärmer. Zu Jünger heißt es: »Der ›Arbeiter‹ und der ›Krieger‹, ökonomisch, geistig und seelisch schwer leidend unter der anarchischen Zerrissenheit des Volkes, mögen sich in ihrer unpolitischen Erlösungssehnsucht begeistern für eine völlig gegensatzlose Gemeinschaft, in der das Individuum völlig aufgelöst und erlöst ist, sie mögen von der klassenlosen Gesellschaft und vom ›Reich‹, von einem internationalen oder nationalen Sozialismus stark und tief träumen« – die Stellung des autoritären oder totalen Staates à la Schmitt zur kapitalistischen Wirtschaftsform sei eine andere.

Heller sieht Schmitts Ausführungen (irrtümlicherweise) in der Nähe zu von Papens »Neuem Staat« und zeigt Parallelen zu Walter Schottes gleichnamigem Buch auf, in dem ein Loblied auf die kapitalistische Privatwirtschaft gesungen wird. Das Projekt »Neuer Staat« unterläge also den Grenzen, die auch Carl Schmitt aufzeigt. Zusammenfassend definiert er die Grundidee des qualitativ totalen Staates bzw. den Inhalt des »autoritären Liberalismus« wie folgt: »Rückzug des autoritären Staates aus der Sozialpolitik [und] Entstaatlichung der Wirtschaft […]. Autoritär und stark muss solcher Staat sein, weil, nach Schmitts durchaus glaubwürdiger Versicherung, nur er die übertriebenen Verbindungen zwischen Staat und Wirtschaft zu lösen vermag. Sicherlich! Denn in demokratischen Formen würde das Volk diesen neoliberalen Staat nicht lange ertragen.«

Eine gekürzte Fassung dieses Artikels erschien am 12.11.2015 in der Tageszeitung junge Welt.