„Konservative Volkspartei“ –
Über das Interesse der jungkonservativen Neuen Rechten an der AfD
Sondierungen im Feld der AfD Nr. 3
Von Helmut Kellershohn
Die AfD hat bei den sächsischen Landtagswahlen auf ihrem Weg in den nächsten Bundestag einen wichtigen Teilerfolg errungen. Siegesmeldungen wird es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch bei den Wahlen in Thüringen und Brandenburg geben. Ob aber langfristig es tatsächlich zu einer „Umwälzung“ des deutschen Parteiensystems, wie sich dies die jungkonservative Neue Rechte wünscht, ist noch keineswegs ausgemacht. Zumindest ist aus dieser Sicht von Bedeutung, dass mit dem Erfolg in Sachsen der wert- und nationalkonservative Flügel der Partei gestärkt worden ist. Versteht sich doch die sächsische AfD explizit als „konservative Volkspartei“. Ihr Parteiprogramm, das hat die Neue Züricher Zeitung in einer knappen Analyse richtigerweise herausgearbeitet, ist keineswegs eine überarbeitete Fassung der FDP-Programmatik; und sie ist keineswegs ein Kompendium neoliberaler Forderungen, was aber nicht heißen soll, dass es keine Überschneidungen gäbe, die andere Teile der Partei stärker gewichten würden.
Der Blick der jungkonservativen Neuen Rechten auf die AfD ist geprägt durch ihre eigenen programmatischen und strategischen Vorstellungen, wie sie in den letzten Jahren entwickelt wurden. Federführend war hier die Junge Freiheit (JF) um ihren Chefredakteur Dieter Stein, die sich mittlerweile als inoffizielles Sprachrohr der AfD zur Verfügung gestellt hat. Assistiert wurde die JF, wenn auch nicht immer einvernehmlich, durch den jungkonservativen Think Tank, das Institut für Staatspolitik (IfS). Seit dem Ausscheiden des Wissenschaftlichen Leiters, Karlheinz Weißmann ist die Bedeutung des Instituts für die Entwicklung einer rechten politischen Alternative allerdings geschmälert, weil die anderen Protagonisten des Instituts wie Götz Kubitschek oder Erik Lehnert für sich in Anspruch nehmen wollen, die AfD offen von rechts zu kritisieren und weiterhin eigenständige Aktions- und Organisationsformen zu verfolgen. Das mag sich zwar ganz sinnig anhören, tatsächlich aber beschneidet es, weil von außen kommend, Einflussmöglichkeiten – und Chancen, falls die AfD demnächst ihre „Fleischtöpfe“ für Politikberatung und politische Bildung öffnen sollte. Weißmann, im Allgemeinen als Vordenker der Neuen Rechten deklariert, hat dies sicherlich mitbedacht, als er von der AfD als der zurzeit „einzig denkbaren Option“ für neurechte Intellektuelle sprach. Damit stellte er sich hinter den Kurs der Jungen Freiheit.
Dieter Stein, wie Weißmann übrigens Mitglied der Deutschen Gildenschaft, einer Korporation in der Tradition des völkisch-konservativen Flügels der Bündischen Jugend, sieht die politische Hauptaufgabe der JF darin, mit publizistischen Mitteln an der Bildung eines für die Durchsetzung rechter Positionen auf parlamentarischer Ebene tragfähigen gesellschaftlichen Milieus mitzuwirken. Es sei „höchste Zeit für die Formierung eines starken konservativ-freiheitlichen Widerlagers“ (JF 41/2009, 1), das in der Lage sei, die staatstragenden Parteien, insbesondere aber „die Union von rechts unter Druck“ zu setzen und eine Ausdifferenzierung des Parteiensystems nach rechts hin zu bewirken. Die AfD scheint nun der Hebel zu sein, um dies bewerkstelligen zu können. Die AfD habe das Verdienst, schrieb Stein im Mai 2013, das „Thema der verantwortungslosen Euro-Rettung“ und damit verbunden „die endgültige Schleifung der nationalen Souveränität“ in das „Zentrum der Debatte“ gerückt; es müsse nun, trotz mancher Zweifel gegenüber der weiteren Entwicklung der AfD, „von übergeordnetem Interesse“ sein, das „Monopol der CDU“ zu brechen.
Soviel Pragmatismus mag politischen Existentialisten wie Götz Kubitschek („Ein-Mann-Kaserne“) verdächtig sein. Aber, gramscianisch gesprochen, ging es der JF immer darum, ein Hegemonieprojekt zu entwickeln, d.h. die Bildung eines Netzwerks von Akteuren zu fördern, das vielleicht einmal in der Lage sein könnte, in den Kampf um die Hegemonie einzugreifen. Welche „Akteurskonstellationen“ bringt nun die JF ein, wo gibt es Anknüpfungspunkte an das Projekt einer „konservativen Volkspartei“? – Dies soll im Weiteren anhand einiger „Eckpunkte“ geklärt werden, die für die JF (und das IfS in der ‚Ära Weißmann’) von zentraler Bedeutung gewesen sind. Bezugspunkt auf Seiten der AfD ist ihr Wahlprogramm in Sachsen.
1. Der erste Eckpunkt ist das sog. „marktwirtschaftliche Profil“ in Verbindung mit der Ablehnung des Euro. Ein „ökonomisches Gefängnis“, empörte sich einmal das IfS. Man kann diese Verbindung zwischen ‚Marktwirtschaft’ und einer Renationalisierung der Währungs-, Finanz- und Wirtschaftspolitik, mit Blick auf die deutsche Parteiengeschichte, als nationalliberal bezeichnen. Der Nationalliberalismus ist ein zentraler Orientierungspunkt des Jungkonservatismus. Das war schon in den 1990er Jahren so, als die JF den nationalliberalen Flügel in der Berliner FDP und den Bund Freier Bürger unterstützte, von dem personelle Kontinuitäten bis in die heutige AfD führen. Unterstützung erhielten auch die Freien Wähler, für die JF-Autor Hans-Olaf Henkel als Programmschreiber tätig war. Gelobt wurden die Volkswirtschaftler, die die Bundesregierung wegen ihrer Euro-‚Rettungspolitik’ kritisierten; von Dieter Stein wurden sie zum sezessionistischen Kern der „publizistisch-wissenschaftlichen Elite“ hoch geschrieben (JF 17/2013, 1).
Seine soziale Basis hat der Nationalliberalismus vor allem in Teilen der Mittelklassen, z.B. mittelständischen Familienunternehmen, soweit sie für Wohlstandschauvinismus und Standortnationalismus empfänglich sind. Die JF spricht nebulös von den „gebeutelten Leistungsträger[n] der Gesellschaft“ (Michael Paulwitz, JF 20/2013: 1), die unter dem „Brüsseler Wasserkopf“ und dem „Sozialstaatswahnsinn“ (Kubitschek) litten. Im sächsischen AfD-Wahlprogramm wird die Sozialstaatskritik von rechts zwar nur dezent angedeutet, dafür heißt es aber klipp und klar: „Wirtschaftspolitik ist für uns in erster Linie eine gute Mittelstandspolitik“. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf das, was materialiter unter „Volk“ verstanden wird. Im Programm tauchen die Arbeiterschaft bzw. die Gewerkschaften als direkter Adressat nicht auf, wohl wird unter dem Stichwort Arbeitsmarktpolitik deutlich gemacht, dass die Verringerung der Arbeitslosenquote nur unter Berücksichtigung eines „preiswerten Arbeitskräfteangebots“ erfolgen dürfe. Im Mittelpunkt stehen dagegen die (regionalen) Standortinteressen des Handwerks und der Landwirte sowie die ständischen Interessen der Ärzte, Professoren, Lehrer etc. Da erlaubt man sich, neben den bekannten Seitenhieben gegen „Brüssel“ und die EZB, auch einige antikapitalistische Töne („enthemmter Neokapitalismus“, „der Landwirt darf nicht zum Sklaven der Banken werden“), nicht aber ohne zugleich auf die „strangulierende Ideologie des Marxismus-Leninismus“ zu verweisen. Die alte Leier also: der arme Mittelstand zwischen Sozialismus und rücksichtslosem Kapitalismus, bedrängt zudem durch den ‚ausbeuterischen’ Steuer- und Schuldenstaat. Marktwirtschaft ja, aber bitte nicht auf Kosten des Mittelstandes. Marc Jongen, Mitarbeiter Peter Sloterdijks und Kandidat auf der Europawahlliste der AfD, hat das alles sehr schön in seinem Manifest Das Märchen vom Gespenst der AfD (Cicero v. 22.01.2014) zum Ausdruck gebracht.
2. Der zweite Eckpunkt ist ein ausgesprochen rigider christlicher Konservatismus. Bezugspunkte sind Strömungen in beiden Konfessionen mit einer traditionalistischen bis fundamentalistischen Prägung: im protestantischen Bereich das (in sich inhomogene) Spektrum der Evangelikalen, im katholischen Bereich traditionalistische, papalistische, integralistische Kreise, deren gemeinsames Kennzeichen in der Ablehnung der Volkskirche und in der Revision bzw. radikalen Ablehnung des II. Vatikanums (z.B. Forum deutscher Katholiken, Piusbruderschaft) liegt. Die für den Jungkonservatismus relevanten Bezugspunkte liegen hier vor allem im biopolitischen Bereich (Familie, Geschlechterrollen, Sexualmoral, Demographie) und in der Betonung der christlichen Fundamente Europas („Christliches Abendland“) in der Auseinandersetzung mit dem Islam und dem Judentum. In kirchenpolitischer Hinsicht unterstützt man die genannten Kräfte.
Das Bekenntnis zum Christentum gehört zum Leitbild der JF. Weißmann sieht darin ein wichtiges Abgrenzungskriterium gegenüber neuheidnischen Positionen in der extremen Rechten, wie sie z.B. ehemals von Alain de Benoist oder heute noch in der NPD vertreten werden.
In der Präambel des sächsischen AfD-Parteiprogramms wird genau dies (allerdings ohne den kirchenpolitischen Hintergrund) betont: „Das Wertesystem, an dem wir uns […] orientieren, leitet sich aus den Werten des christlichen Abendlandes ab.“ Von dortaus fühlt man sich legitimiert, „die Kernfamilie in den Mittelpunkt der Familiepolitik zu stellen“, sie z.B. steuerlich und in der Rentenversicherung zu privilegieren, die frühkindliche Betreuung in der Familie als gleichberechtigte Betreuungsform zu garantieren oder etwa die „bevorzugte Einstellung und Entfristung von Eltern im öffentlichen Dienst“ zu verlangen. Eine „weitergehende Gleichstellung“ der sog. „Homoehe“ wird abgelehnt, ebenso die „menschenfeindliche Ideologie“ des „verqueren Genderismus“ und erst recht die angebliche „Früh- und Hypersexualisierung in Kindergarten und Schulen“. Die Schwangerschaftskonfliktberatung soll sich dem „Lebensschutz“ verpflichtet fühlen. Erklärtes Ziel dieser und weiterer empfohlener Maßnahmen ist es, „die wertstiftenden Funktionen der Familie zu stärken und die Geburtenrate zu erhöhen“. – In der Bildungspolitik ist, neben der obligatorischen Betonung des mehrgliedrigen Schulsystems, die Forderung von Bedeutung, staatliche und freie Schulen (also auch kirchliche Schule) finanziell gleich zu behandeln.
3. Der dritte Eckpunkt ist die völkische Ideologie, nicht im Sinne der alten völkischen Bewegung, sondern in einem modifizierten Sinne, nämlich vermittelt über die jungkonservative Lesart des völkischen Nationalismus, die bei aller Betonung der „ethnischen Kontinuität“ als Basis der Nation stärker das willentliche, subjektive Element hervorhebt. Wenn Dieter Stein die „Ablehnung der Masseneinwanderung“ hervorhebt, so deshalb, weil (aus seiner Sicht) die Zuwanderung – neben dem Damoklesschwert des Euro – am stärksten die nationale Souveränität und Einheit in Frage stellt. Allerdings offeriert die JF ein ‚flexibleres Angebot’ als etwa die NPD, indem sie das Kriterium der Nützlichkeit als Maßstab für Einwanderung berücksichtigt und mit den Belangen der „Gemeinschaft“ zu vermitteln versucht. Der Burschenschaftler Michael Paulwitz schreibt im JF-offiziösen Manifest für die Zukunft Deutschlands im 21. Jahrhundert (JF 42/2012, 3): „Diese Gemeinschaft ist nicht statisch; sie kann Einwanderer aufnehmen und zu beider Vorteil integrieren, wenn Einwanderung nicht schrankenlos und ungesteuert stattfindet.“ Voraussetzung sei auf Seiten der Einwanderer die Bereitschaft, „sich ohne Vorbehalt mit Staat und Nation zu identifizieren“, sich also voll und ganz zu assimilieren. In diesem Sinne warb Stein in einem weiteren programmatischen Text (JF 41/2013, 1) für einen „erneuerten Volkstumsbegriff“: Nach fünfzig Jahren Einwanderung habe „sich das Bild Deutschlands gewandelt“. Es sei daher „realitätsfremd“, „an einem engherzigen volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff festzuhalten, der integrationswillige Einwanderer und Kinder von solchen“ ausschließe. Demgegenüber wendet sich die JF gegen „ethnisch-kulturelle Parallelgesellschaften“ und gegen die sog. „orientalische Landnahme“ (Paulwitz, JF 23/2012: 1), also speziell gegen Einwanderung aus der Türkei und den arabischen Ländern, da besonders von dorther „Umvolkung“ und „Bevölkerungsaustausch“ drohten.
Diese Differenzierung hat Methode: Auch das AfD-Wahlprogramm unterscheidet zwischen einer erwünschten und einer unerwünschten Zuwanderung. Die erstere richtet sich nach dem Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften („bedarfsorientierte Einwanderungspolitik“ nach kanadischem Vorbild), die Zuwanderung als gewissermaßen unumkehrbare „Lebensentscheidung“ betrachten und denen der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft eine „Herzensangelegenheit“ ist. Die zweite dagegen ist „eine ungesteuerte Einwanderung über Familiennachzug, Duldungsmechanismen und durch laxe Auslegungen des Asylrechts.“ Im Übrigen wird auch hier betont, dass die Erhöhung der Geburtenrate durch Familienförderung und Qualifikationsangebote an deutsche Arbeitslose wichtiger seien und Zuwanderung „nur kurz- und mittelfristig negative Effekte abmildern“ könne. Diese „erneuerte“ Volkstumspolitik ist, nebenbei gesagt, keineswegs neu. Klassiker der sog. Volkstheorie wie Max Hildebert Boehm oder Wilhelm E. Mühlmann haben schon immer Assimilation als wichtiges Instrument der Ethnopolitik und „Volkwerdung“ betrachtet.
Ein Kuriosum noch am Rande: Identitätspolitik ist ein eigenständiges Thema im Wahlprogramm: Zum einen wird die (regionalbezogene) „Landesidentität“, zum anderen die „Nationalidentität“ beschworen. Wer diese nicht hat, neigt erstaunlicherweise zum Extremismus, schuld am Extremismus ist also die mangelnde Identifikation mit dem Land, in dem man lebt. Dagegen hilft z.B. ein Geschichtsunterricht, dessen „deutlicher Schwerpunkt“ im 19. Jahrhundert liegen soll (1813, 1848, 1871). Das „Absingen der Nationalhymne bei feierlichen Anlässen“ sollte „selbstverständlich“ sein. Empfohlen werden „weniger Anglizismen“ und „mehr deutschsprachige Titel“ in Rundfunk und Fernsehen. Gleichzeitig wendet man sich gegen Sprachregelungen und politische Vorgaben bzgl. „Gender- und Gleichstellungsideologie“. Insgesamt also ein Plädoyer für eine staatlich gelenkte, nationalbewusste PC-Politik.
4. Ein vierter Eckpunkt ist ein bestimmtes Verständnis des Staates. Die Kritik an Euro und EU, die Warnungen vor Multikulturalismus und Islamisierung oder die Kritik am Sozialstaat motiviert die Jungkonservativen, an bekannte Konzepte des „Staatsumbaus“ in der Endphase der Weimarer Republik anzuknüpfen. Man lese dazu Walter Schottes Der neue Staat (1932) und wird interessante Parallelen zu heutigen Debatten entdecken. (Schotte war übrigens Berater des Reichskanzlers v. Papen und führendes Mitglied des Deutschen Herrenklubs.) Freilich ist man hier nicht alleine. Das Spektrum, innerhalb dessen heute Debatten um Wahlrechtsänderungen (z.B. Kinderwahlrecht, Stärkung der Persönlichkeitswahl, Pluralwahlrecht), die Einführung eines Zwei-Kammer-Systems oder die Aufwertung des Bundespräsidenten in Verbindung mit direkt-demokratischen Verfahren stattfinden, reicht von Wissenschaftlern, Journalisten, Politikern, Verbandsvertretern über neoliberale Think Tanks wie der Zivilen Koalition (Beatrix v. Storch!) oder dem Konvent für Deutschland bis hin eben zur AfD und zur JF. Selbst die NPD versucht hier anzudocken. Konzeptive Ideologen wie Hans-Olaf Henkel oder Hans Herbert von Armin tauchen in all diesen Zusammenhängen auf und beklagen den Zustand der Republik. Im Mittelpunkt steht immer der „exzessive“ Parteienstaat, das „faktische Monopol der Parteien in der politischen Willensbildung“, wodurch ‚Reform’-Bemühungen zum Scheitern verurteilt seien.
Der Hebel, der im AfD-Programm angesetzt wird, liegt zum einen im Bereich der Stärkung direkt-demokratischer Verfahren: „Das Volk ist gemäß Art. 70 der Sächsischen Verfassung neben Regierung und Parlament berechtigt, Gesetzesvorlagen einzubringen. Wir wollen dieses Element direkter Demokratie stärken und die Verfahren für Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid verbessern.“ Zum anderen wird ein Familienwahlrecht gefordert, das dem nahe kommt, was Paul Kirchhof schon mal in der FAZ unterbreitet hat, und – wie angedeutet – auch zu den verfassungspolitischen Forderungen der Jungkonservativen in der Endphase der Weimarer Republik gehörte: „Kinder sind […] vollwertige Bürger dieses Landes. Zur Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes im aktiven Wahlrecht und der Generationengerechtigkeit, treten wir für das aktive Wahlrecht der Kinder von Geburt an ein […], indem die Stimme des Kindes bis zur Vollendung von dessen 16. bzw. 18. Lebensjahr jeweils von den Erziehungsberechtigten abgegeben wird.“
Die Brisanz dieser Forderung erhellt sich aus folgendem historischen Bezug: Bei Walter Schotte firmiert das Familienwahlrecht unter dem Stichwort „Pluralwahlrecht“. Dieses gibt vor das Gewicht der Stimmen nach „Leistung“ und „Verantwortungsfähigkeit“ zu differenzieren, wobei hier an die „Sammlung der Stimmen aller Unmündigen bei den Versorgungsberechtigten und -verpflichteten“ (Schotte 1932, 61) gedacht wird. Ein solches Pluralwahlrecht, das damals vornehmlich den Vätern zugute gekommen wäre, würde „eine ungeheure Festigung der Familie als der Keimzelle des Volkes zur Folge“ haben; und im völkischen Ton fortfahrend heißt es bei Schotte: „Erst ‚das Wahlrecht des Babys’ kann die parlamentarische Demokratie (sic!) sinnvoll machen und in Beziehung setzen zum Volke, das kein Durchschnitt durch die Generation der über Zwanzigjährigen ist, sondern ein werdendes Ewiges (!), das im Fortgang der Generationen erst sich vollendet“ (ebd.). Das Volk also als generationsübergreifende völkische „Zeugungsgemeinschaft“ mit Ewigkeitswert!
Fazit: Die vorstehenden Überlegungen machen deutlich, dass die Selbstdarstellung der AfD als „konservative Volkspartei“ tatsächlich sich dem nähert, was dem jungkonservativen Hegemonieprojekt um die Junge Freiheit schon seit längerem vorschwebt: nämlich durch die Verknüpfung von nationalliberalen, christlich konservativen, völkischen und staatspolitischen Ideen eine „moderne“ völkisch-konservative Bewegung im vorpolitischen Raum zu inspirieren und über deren parteipolitische Implementierung in den politischen Raum zu einer „Umwälzung“ (Stein) des politischen Systems beizutragen. Karlheinz Weißmann als ausgewiesener Kenner der Konservativen Revolution hat bereits 2003 die JF als in der Tradition der sog. „Volkskonservativen“ stehend bezeichnet, einer Teilströmung des Weimarer Jungkonservatismus, die sich aus abtrünnigen Deutschnationalen, Teilen der Bündischen Jugend und des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes zusammensetzte und von Vordenkern der Konservativen Revolution wie Hermann Ullmann, Georg Quabbe und Edgar Julius Jung „geistig“ beeinflusst wurde. Dieter Stein hat damals zu dieser „Verortung“ geschwiegen. Heute wiederholt Weißmann genau diesen historischen Bezug, wenn er in seiner Begründung für seinen Abschied vom Institut für Staatspolitik die Notwendigkeit und die Möglichkeit betont, dass sich die AfD in Richtung einer Volkspartei entwickelt.
Dieser Text erschien in leicht abgewandelter Form zuerst in der Tageszeitung junge welt vom 6.9.2014.