Swoboda und Pravyi Sector. Von Mark Haarfeld
Erschienen in DISS-Journal 27 (2014)
Das Referendum um eine Abspaltung der Regionen Donezk und Luhansk am 11. Mai 2014 war ein bisheriger Höhepunkt während des Konflikts in der Ukraine. Laut der Wahlkommission stimmten über 80 Prozent für eine „Volksrepublik Donbass“. Auch wenn die Abstimmung nicht demokratischen Normen entsprach, belegte dies den faktischen Zustand zu diesem Zeitpunkt: Der Osten der Ukraine war nicht mehr unter Kontrolle der Kiewer Übergangsregierung. Die Präsidentschaftswahlen vom 25. Mai konnten hier nicht ordnungsgemäß stattfinden, und auch danach gehen die blutigen Kämpfe um zentrale Infrastruktur im Osten des Landes weiter. Obwohl die internationale Diplomatie sich weiterhin bemüht, Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien einzuleiten, sind es insbesondere die kriegerischen und martialischen Töne aus Kiew und Donezk, die den Konflikt in einen Bürgerkrieg abgleiten lassen können.
Das Referendum bildete einen Höhepunkt der Entwicklung, die seit dem Herbst 2013 an Dynamik gewann. Aus den Protesten gegen die grassierende Korruption und die sozialen Missstände entstand ein in Teilen nationalistischer Konflikt zwischen dem Osten mit großem russischsprachigen Bevölkerungsanteil und dem Westen des Landes, inklusive internationaler Beteiligung von NATO, EU und Russland. Die Ursache für das Referendum im Osten lag nach Lesart der Initiatoren vor allem in der neuen Regierung des Übergangspräsidenten Arsenij Jazenjuk. Als „faschistisch“ betitelte der separatistische Anführer Denis Puschilin die Übergangsregierung und zielte damit besonders auf die Beteiligung von Swoboda (Die Freiheit) und Pravyi Sector (Rechter Sektor) an zentralen politischen Prozessen ab. Mit zwei Ministerposten und dem Generalstaatsanwalt besetzt Swoboda Schlüsselpositionen in der Regierung.
Swoboda
Als „Sozial-Nationale Partei der Ukraine“ wurde Swoboda 1991 gegründet. Die Umbenennung in Swoboda 2004 erfolgte aus taktischen Gründen, um den Habitus einer militanten Partei abzustreifen und sich breiteren Wählerschichten zu öffnen. Bei den Parlamentswahlen 2012 errang Swoboda 10,4 Prozent der Stimmen. Zentral auf ihrer politischen Agenda ist der positive Bezug auf die nationalistische Bewegung, die in den 1930er und 1940er Jahren für eine von Polen und der Sowjetunion unabhängige Ukraine kämpfte. Besonders Stepan Bandera, politischer Kopf des militanten Nationalismus, und Roman Schuchewytsch, Leutnant im „Bataillon Nachtigall“ und später Anführer der „Ukrainische[n] Aufständische[n] Armee“ (UPA) sind Identifikationspunkte des gegenwärtigen ukrainischen Nationalismus. Swoboda gedenkt beider „Nationalhelden“ jährlich mit Aufmärschen, vor allem in Lviv, und fordert eine staatliche Ehrung der historisch umstrittenen Personen. Für Swoboda ist die Ukraine ein Spielball zwischen den Blöcken. Ihr Vorsitzender Oleh Tjahnybok erklärte 2012 unmissverständlich, wer die Ukraine seiner Meinung beherrsche: Eine „russisch-jüdische[…] Mafia“ habe das Land in Griff. Dagegen würden ‚originär ukrainische‘ Menschen keinen Einfluss haben. Gerade der Anspruch, dass aus der Ukraine alles in dieser Diktion Nichtukrainische verschwinden müsse, ist eine Kernforderung von Swoboda, die auch politische GegnerInnen mit einschließt. Seitdem Swoboda an der Regierung beteiligt ist, fordert die Partei das Verbot der Kommunistischen Partei, die als „separatistisch“ bezeichnet wird und die mit Moskau kollabiere.
Dass die Partei dabei nicht zimperlich ist, beweisen die vergangenen Monate. Immer wieder kam es in der Rada zu Schlägereien zwischen Swoboda-Abgeordneten und Kommunisten. Gewaltdrohungen gegen unliebsame Personen sind ein Strukturmerkmal der Art und Weise, mit der Swoboda Macht und gesellschaftlichen Einfluss sichern will. Der unter Schlägen erzwungene Rücktritt des Direktors des Staatsfernsehens ist nur ein bekannteres Beispiel dafür, wie die Transformation der Ukraine in einen nach Maßgabe der Swoboda ‚souveränen Staat‘ vollzogen werden soll. Für Aufmerksamkeit sorgte der Fall vor allem deswegen, weil sich der Swoboda-Politiker Igor Miroschnitschenko, seines Zeichens stellvertretender Vorsitzender des „Ukrainischen Komitees für Meinungsfreiheit“ in der Rada, dabei per Video filmen ließ.
Auch wenn Swoboda mit 10,4 Prozent die kleinste Partei der Koalition von Julia Timoschenkos „Allukrainischer Vereinigung Vaterland“ und Vitali Klitschkos „Ukrainischer demokratischer Allianz für Reformen“ darstellt, ist der Einfluss auf die Regierung nicht zu unterschätzen. Ein bedingungsloses Vorgehen gegen die ostukrainischen Separatisten, das in der Regierung umstritten ist, fordert der Swoboda-Vorsitzende Tjahnybok mit den Hinweis, notfalls auch alleine aktiv zu werden und die Regierung abzusetzen.
Pravyi Sector
Der „Rechte Sektor“ ist eine Sammelbewegung, die im Herbst 2013 entstand. Unter dem Label schlossen sich verschiedene Gruppen aus der Skinheadszene sowie neofaschistische Splitterparteien zusammen. Dominierend ist die nationalistische und autoritäre Partei „Ukrainische Nationalversammlung“ (UNA) und deren paramilitärischer Arm „Ukrainische Nationale Selbstverteidigung“ (UNSO), die sich als Nachfolgeorganisation von Roman Schuchewytschs UPA begreifen. Besonders unter jugendlichen Fußballfans hat der Rechte Sektor zahlreiche Anhänger. Der Rechte Sektor formuliert kein politisches Programm, sondern definiert sich als paramilitärische Organisation, die eine „Entrussifizierung“ und Neustrukturierung der Ukraine nach völkischem Prinzip fordert. Während der Maidan-Proteste avancierte der studierte Philologe Dmytro Jarosch zu einer der Führungsfiguren der Organisation. Auch den Medien gilt er seitdem als erster Ansprechpartner. Wie Swoboda sieht sich der Rechte Sektor als „Verteidiger der ukrainischen Interessen“, die besonders durch Kommunisten und die Russische Föderation bedroht seien. Während Swoboda versucht, radikale Parolen in der Öffentlichkeit zu vermeiden, ruft der Rechte Sektor offen zum Mord und zur Vertreibung von „Moskalis“ auf und praktiziert dies auch. In mehreren Erklärungen forderte der Rechte Sektor die Bevölkerung auf, Milizen zu gründen, um unabhängig von staatlichen Organen gegen die Separatisten im Osten und Süden der Ukraine vorzugehen. Während der Ausschreitungen in Odessa vom 2. Mai 2014 war eine Abteilung des Rechten Sektors vor Ort und übernahm die Leitung beim Sturm auf das Gewerkschaftshaus. Dabei kamen nach offiziellen Angaben 46 Menschen ums Leben und über 200 wurden verletzt. Dass es sich hierbei nicht um Einzelaktionen handelt, beweisen die Glorifizierungsaufrufe, die besonders andere Menschen animieren sollen, sich dem Rechten Sektor anzuschließen. In Veröffentlichungen des Rechten Sektor wird, ganz in der Tradition der UPA, der ‚Tod für das Vaterland‘ als ehrenvolle Aufgabe dargestellt. Der Rechte Sektor ist mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich bereits direkt in die militärischen Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine involviert. Hierbei soll es auch zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gekommen sein.
Auch wenn der Rechte Sektor als militanter Arm der Maidan-Bewegung in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, kündigte Jarosch im April seine Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen am 25. Mai an. Die Kandidatur schützte Jarosch vor möglicher Strafverfolgung bis zu den Wahlen und brachte dem Rechten Sektor zusätzliche Aufmerksamkeit ein. Obwohl Meinungsumfragen von Anfang an deutlich machten, dass Jarosch keine Chancen auf ein Ergebnis hat, das über einem niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt, dokumentiert die Kandidatur die Ambitionen der Organisation, in der politischen Landschaft der Ukraine dauerhaft eine Rolle zu spielen.
Sowohl Swoboda als auch Rechter Sektor sind im derzeitigen Machtgefüge der Ukraine verankert. Während Swoboda offiziell Teil der Übergangsregierung von Arsenij Jazenjuk ist, kann sich der Rechte Sektor als radikale Straßenmiliz profilieren, die die Übergangsregierung einerseits von rechts militant unter Druck setzt, andererseits trotzdem strukturell eingebunden ist. Offiziell verkündete Pläne der Regierung zur Entwaffnung insbesondere des Rechten Sektors werden dadurch konterkariert, dass die paramilitärischen Formationen nun zum Teil innerhalb der staatlichen Nationalgarde agieren, wobei die Organisation sich trotzdem weigert, das staatliche Gewaltmonopol anzuerkennen. Dieses Zeichen der Akzeptanz gegenüber offen völkisch-nationalistischen und gewaltsam agierenden Gruppen ist fatal, wenn ein unbegrenzter Bürgerkrieg in der Ukraine vermieden und demokratische Strukturen stabilisiert und gestärkt werden sollen.