Foucaultsche und sprachwissenschaftliche Diskursanalyse . Von Siegfried Jäger. Erschienen in DISS-Journal 19 (2010)
Rainer Diaz-Bone, Sozialwissenschaftler und (auch) Anhänger einer sich auf Michel Foucault beziehenden Diskursanalyse, hat im Forum Qualitative Sozialforschung Band 11, No. 2, Art. 19 (2010) einen wunderbaren, hoch interessanten Review-Artikel zweier Sammelbande vorgelegt, in dem er sich mit der Frage befasst „Was ist der Beitrag der Diskurslinguistik für die Foucaultsche Diskursanalyse?“ ((Diese beiden Sammelbände sind: Ingo Warnke (Hg.): Diskurslinguistik nach Foucault, Theorie und Gegenstände, Berlin: de Gruyter 2007, und Ingo Warnke und Jürgen Spitzmüller (Hg.): Methoden der Diskurslinguistik. Sprachwissenschaftliche Zugange zur transtextuellen Ebene, Berlin: de Gruyter 2008)) Er konstatiert abschließend, nachdem er, wie zu erwarten war, eine sozialwissenschaftliche Perspektive auf die Diskurslinguistik eingenommen hatte, durchaus versöhnlich:
„Derzeit besteht die Aussicht, dass sich ein besserer wechselseitiger Einblick in die je andere methodologische Praxis und damit in die je andere epistemische Kultur ergibt.“
Und er sieht in den beiden besprochenen Bänden „eine Einladung an die qualitative Sozialforschung.“ Obwohl ich mich nicht der Diskurslinguistik (insbesondere nicht der der besprochenen Provenienz) zurechne, auch nicht einer sprachwissenschaftlichen Diskursanalyse, die sich auch auf Foucault bezieht, wie einige Sozialwissenschaftler unermüdlich behaupten, begrüße ich diese Versöhnlichkeit und sähe die Einladung an die qualitative Sozialforschung zu einem „Einblick“ in die Diskurslinguistik gerne durch die Einladung an die Diskurslinguistik zu einem Einblick in die Foucaultsche Diskursanalyse und die daran anschließende sozialwissenschaftliche Diskursanalyse erwidert, was aber einen etwas anderen Einblick, als die bloße Zurkenntisnahme einer anderen Methode bedeuten würde.
Obwohl die Kenntnis unterschiedlicher Methoden der Sozial- und Geisteswissenschaften nützlich sein kann, insbesondere für das Bestehen von akademischen Prüfungen und sonstigen Spiegelfechtereien, hat die Linguistik – und nicht zu vergessen: die Literaturwissenschaft – der qualitativen Sozialforschung, hier: der sich auf Foucault beziehenden, etwas zu bieten, das ihrer Wirkmächtigkeit und Überzeugungskraft zu Gute kommen durfte: die Erklärung oder doch zumindest Plausibilisierung der Wirkung der Diskurse auf das individuelle und kollektive Bewusstsein. Die sozialwissenschaftliche Diskursanalyse leugnet eine solche Wirkung ja nicht (mehr) und geht (inzwischen) davon aus, dass sich das Wissen der Diskurse individuell und kollektiv in den Köpfen der Menschen niederschlägt. Wie und warum und mit welchen Mitteln das geschieht, bleibt jedoch noch etwas unterbelichtet. Und genau hier können sprach- und literaturwissenschaftliche Erkenntnisse helfen. Mit anderen Worten: Die Stärke der sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse besteht darin, Wissens- bzw. Aussagenanalyse zu sein, sich also nicht mit der Analyse sprachlicher Oberflächen zufrieden zu geben, ihre Schwäche besteht darin, nicht sagen zu können, wie das Wissen und mit welchen Mitteln das Wissen in die Köpfe transportiert wird. Diese Mittel, die man gelegentlich auch als „Fähren ins Bewusstsein“ bezeichnet, sind jedoch auf der Performanzebene zu verorten. Es handelt sich zum Beispiel um Kollektivsymbole (die Foucault nicht interessierten), es handelt sich um Personalpronomen,(durch die Inklusion und Exklusion markiert werden können), um rhetorische Figuren, (wie etwa Implikate oder Anspielungen), um Prinzipien des Aufbaus von Text und Rede, um stilistische Mittel etc.
Vielleicht haben die Sozialwissenschaften die folgende (richtigen) Bemerkungen von Foucault zu sehr verabsolutiert: „Die Sprache existiert nur als Konstruktionssystem für mögliche Aussagen.“ (Archäologie des Wissens, 124) Sowie:
„Man sieht insbesondere, dass die Analyse der Aussagen keine totale, erschöpfende Deskription der ‚Sprache‘ oder dessen ‚was gesagt worden ist‘, zu sein vorgibt. In der ganzen durch die sprachlichen Performanzen verflochtenen Dichte stellt sie sich auf eine besondere Ebene, die von anderen gelost, im Verhältnis zu ihnen charakterisiert und abstrahiert werden muß. Insbesondere nimmt sie nicht den Platz einer logischen Analyse der Propositionen, einer grammatischen Analyse der Satze, einer psychologischen oder kontextuellen Analyse der Formulierungen ein: sie stellt eine andere Weise dar, die sprachlichen Performanzen in Angriff zu nehmen, ihre Komplexität aufzulösen, die Termini zu isolieren, die sich darin überkreuzen, und die verschiedenen Regelmäßigkeiten aufzufinden, denen sie gehorchen.“ (Archäologie des Wissens, 157)
Doch heißt dies, dass die Konstruktionen für die Etablierung der Aussagen völlig unwichtig sind? Doch wohl kaum! ((Vgl. dazu auch den Eintrag „Sprache“ in Siegfried Jäger/Jens Zimmermann: Lexikon Kritische Diskursanalyse. Eine Werkzeugkiste, Münster: Unrast 2010))
Die Stärke der Diskurslinguistik besteht demgegenüber – genau umgekehrt – darin, primär die sprachlichen Mittel in den Blick zu nehmen, während Inhalte dabei keine so prominente Rolle spielen. Der Begriffsgeschichte und der historischen Semantik (z.B. a la Busse) geht es nicht in erster Linie um die Analyse von Diskursen, obwohl auch ihre Erkenntnisse für sozialwissenschaftliche Diskursanalysen (insbesondere für ihre historische Variante) keineswegs unwichtig sind; sie sind jedoch eher irgendwo zwischen Diskurslinguistik und soziawissenschaftlicher Diskursanalyse zu verorten.
Mein Fazit: sozialwissenschaftliche Diskursanalyse sollte linguistische Erkenntnisse in ihre Werkzeugkiste aufnehmen; Diskurslinguistik sollte sich (auch) sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse bedienen, ohne auf ihre linguistische Kompetenz zu verzichten.