– kein abgekapseltes Milieu. Interview mit Thorsten Bultmann (Mitglied der Bundesgeschäftsführung des BdWi. Erschienen in DISS-Journal 17 (2008)
DISS-Journal: Es ist schon viel über die Neoliberalisierung der Hochschulen geschrieben worden und du hast selbst ein Buch herausgegeben, in dem Bertelsmann als ein zentraler Akteur dieser Prozesse und Transformationen beschrieben wird. Mit all dem im Hinterkopf – hältst du in Zukunft kritische Wissenschaft an der Universität für möglich oder verlagert sie sich in den außeruniversitären Bereich?
Thorsten Bultmann: Kritische Wissenschaft konnte sich in der einmaligen historische Konstellation der Hochschulreform ca. bis Mitte der 70er im akademischen Betrieb institutionalisieren, d.h. Positionen an einzelnen Fachbereichen, insbesondere an neugegründeten Reformhochschulen erobern. Dennoch war sie aufs Ganze gesehen im Hochschulsystem immer in einer Minderheitenposition. So hat sie sich auch schon früher in Form von Netzwerken, politischen Verbänden, alternativen Fachgesellschaften oder Zeitschriftenprojekten »quer« zum Normalbetrieb organisiert. Im Zuge der »Ökonomisierung « der Hochschulen und der dadurch bewirkten Verdrängung alternativer Ansätze erfolgt natürlich ein Bedeutungszuwachs solcher informeller Verbünde. Das ist zunächst der Defensive geschuldet, hat aber auch einen erheblichen positiven Aspekt: Interessierte werden nicht vereinzelt, sondern behalten den Anschluss an die entsprechenden Theorietraditionen und Diskussionskulturen. Ich würde daraus jedoch nie eine politisch zu betreibende »Exodus«-Strategie machen wollen und die Existenz außerhalb der Hochschule zu einer Art positiven Perspektive erheben. Das kann es nicht sein. Kritische Wissenschaft beruhte immer auf drei Standbeinen:
- die politische Hinwendung zur gesellschaftlichen Öffentlichkeit und zu sozialen Bewegungen;
- die ständige kritische Auseinandersetzung mit dem Mainstream des eigenen Faches;
- das Eintreten für alternative akademische Arbeitsformen und damit für die Demokratisierung der Hochschulen.
Nichts davon ist entbehrlich. Nur in diesem Spannungsfeld reproduziert sich kritische Wissenschaft. So ist es auch künftig notwendig, immer den Kontakt zum offiziellen Hochschulsystem zu erhalten und immer wieder zu versuchen, möglichst viele Füße dort hinein zu stellen. Schließlich werden dort immer wieder Widersprüche und politische Auseinandersetzungen aufbrechen. Anläufe zu kritischer Wissenschaft – diese ist kein abgekapseltes Milieu! – entstehen ja auch ständig neu, etwa dadurch dass einzelne Forscherinnen und Forscher mit traditionellen Antworten und Methoden ihres Faches nicht einverstanden sind und ihren Blick zu erweitern versuchen. Dort wo professionell nachgedacht wird, entsteht auch Kritik. Deswegen würde ich die Hochschulen nie völlig politisch abschreiben.
Wie könnte kritische Wissenschaft zukünftig organisiert sein? Sollte sie das überhaupt?
Auf jeden Fall! Die Frage dabei ist vor allem, wie sich Kräftebündelung und Synergieeffekte der doch, bei genauem Hinsehen, erheblich vielen örtlichen Initiativen und überregionalen Verbände, Netzwerke etc. erreichen lassen, die sich allesamt der Pflege kritischer Wissenschaft verschrieben haben – und überwiegend nebeneinander her wurschteln, selten voneinander Notiz nehmen.
Kennst du solche Projekte?
Eine Heidelberger Gruppe hat zum Beispiel eine Diskussion angestoßen, eine Art »Dachorganisation« alternative Verbände und Projekte zu schaffen, möglicherweise als Stiftung organisiert. Ein interessanter Gedanke, bei dem die Rechtsform eigentlich zweitrangig ist. Es geht um die Lösung ganz pragmatischer Dinge, die derzeit im Argen liegen. Etwa sich gegenseitig keine terminliche Konkurrenz mehr bei Kongressen und Veranstaltungen zu machen, die gegenseitige Konkurrenz auf dem – recht kleinen – Markt alternativer Wissenschaftsförderung und -finanzierung möglichst zu reduzieren, also sich nicht gegenseitig die Butter vom Brot zu nehmen, last not least: mehr zusammen zu arbeiten.
Wie könnten solche Projekte unterstützt werden?
Da gibt es viele Möglichkeiten. Wer es sich leisten kann, sollte sich finanziell engagieren. Die meisten der genannten Initiativen sind prekär finanziert: im Regelfall aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Politisch sehr wichtig ist, dass Menschen, die (noch) im Hochschulsystem beschäftigt sind, solche Impulse und Initiativen immer wieder in dieses hineintragen, sie möglichst auch im Fachstudium thematisieren. Nur aus diesem wiederum rekrutiert sich der »Nachwuchs« der an kritischer Wissenschaft Interessierten.
Welche Rolle spielt der BdWi oder könnte er dabei spielen?
Der BdWi ist ein interdisziplinärer bildungs- und wissenschaftspolitischer Verband, der sich zur Hälfte aus Hochschulangehörigen – aus allen akademischen Statusgruppen –, zur anderen Hälfte folglich aus wissenschaftspolitisch Interessierten jenseits des Hochschulbetriebes, dort besonders stark in gewerkschaftlichen Milieus verankert, zusammensetzt. Er verkörpert also das »drinnen« und »draußen« gleichermaßen. Von dieser Struktur ist der BdWi also prädestiniert, das oben genannte Spannungsfeld zwischen Wissenschaftskritik, politischer (Gegen-)Öffentlichkeit und Hochschulreform auszumessen. Tatsächlich versuchen wir seit unserer Gründung, diese verschiedenen Stränge, deren Zusammenhang für kritische Wissenschaft konstitutiv ist, politisch zu verbinden. Das gelingt mal mehr, mal weniger, ist aber ein produktiver Ansatz, für welchen wir noch viel mehr Kolleginnen und Kollegen gebrauchen könnten.
Das Interview führte Jens Zimmermann.