Auf dem Weg zur ‚robusten Ökumene’?

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Vernunft und Glaube in Regensburg. Von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal 15 (2007)

Über die Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. ist im letzten Jahr in allen Medien heftig und teilweise kontrovers diskutiert worden. Dabei standen vor allem seine Angriffe auf den Islam im Vordergrund. Entscheidende Aspekte sind jedoch nicht zur Sprache gekommen. So blieb in den Medien undiskutiert, dass die Papst-Rede einen Mosaikstein innerhalb einer strategischen Option des Vatikan darstellt, in der dieser einen Vereinigungsprozess zwischen katholischer und orthodoxer Kirche verfolgt. Auch die in der Rede gleichfalls zum Ausdruck kommenden innerkirchlichen Konflikte zwischen Unvereinbarem, zwischen jesuanischem und thomistischem Religionsverständnis, zwischen christlich-jüdischer Ethik und kirchlicher Macht in Zeiten kirchlichen Machtverlusts blieben bisher weitgehend unbeachtet. Jobst Paul analysiert in seinem Beitrag, welche Auswirkungen die Papst-Rede auf den katholischen Dialogbegriff hat, und welche Funktion eine Furcht vor dem Islam für die katholische Kirche hat. Der taktische Rückzug, der hinsichtlich der Islampolemik stattfand, ist dabei von besonderer Bedeutung.

Der Eklat

Mit seiner Regensburger Rede vom 12. September 2006 ((Die letztgültige Fassung, nun mit Anmerkungen, findet sich unter: http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/ speeches/2006/september/documents/hf_benxvi_ spe_20060912_university-regensburg_ge.html#_ftnref13.)) kam der Papst seinem Renommee als akademischer Lehrer noch einmal entgegen, und dies mit seinem Steckenpferd, der Erzählung vom hellenistischen Christentum. Schon in seiner Bonner Antrittsvorlesung von 1959 war sie Thema ((Neu herausgegeben und kommentiert von Heino Sonnemans: Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., Der Gott des Glaubens und der Gott der Philosophen. Ein Beitrag zum Problem der theologia naturalis. Leutesdorf, 2. ergänzte Auflage 2005.)), sie fand Eingang in die Enzyklika Ratio et Fides (1998) von Johannes Paul II. und in populäre Darstellungen Ratzingers für den Büchermarkt. In der Erklärung Dominus Iesus (2000) verdichtete sie sich schon zum Dogma, indem er dafür von der gesamten Kirchenhierarchie „Gehorsam“ einforderte.

Nun diente sie Ratzinger erneut zur Scheidung zwischen den ‚Vernünftigen’, die an sie glauben sollen, und – allen Anderen. Gegen die Muslime unter ihnen ließ der Papst einen byzantinisch-orthodoxen Kaiser mit einer Beleidigung zu Wort kommen: An Neuem habe Mohammed „nur Schlechtes und Inhumanes“ gebracht, und erst ein Nebensatz erläuterte: „wie dies, daß er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“.

Da habe der Kaiser aber „zugeschlagen“ – kommentierte der Papst die Bosheit, auf die er ausführlich zugearbeitet hatte, u. a. mit Hinweisen darauf, dass der Kaiser es besser hätte wissen können. ((In Regensburg hieß es, der Kaiser habe in „erstaunlich schroffer Form“ reagiert, in der Letztfassung (vgl. Anm. 1) heißt es nun „in erstaunlich schroffer, für uns unannehmbar schroffer Form“.)) Statt aber eine Gleichsetzung zwischen Islam und Gewalt zu dementieren, gab sich Ratzinger „fasziniert“, denn der Fürst spreche hier zum Verhältnis von Religion an sich und Gewalt. In der Textquelle ((Vgl. Palaiologos, Manuel II. Dialoge mit einem Muslim, 3 Bd. Kommentierte griech.-dt. Textausg. / von Karl Förstel. Würzburg 1993-1996. Hier Band I, 1993, S. 241 [Abschn. 1.5- 1.6] )) freilich traktiert der Kaiser allein den Islam als Gewaltreligion und setzt dem ein christliches Friedenscredo entgegen: Wer „jemanden zum Glauben führen“ wolle, brauche „die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung“. Gott habe „kein Gefallen am Blut“. Damit empfahl Ratzinger eine Kernaussage jüdischer Bibelweisheit aus dem Mund eines Herrschers, der – wenn auch am Ende der byzantinischen Macht – das christliche Schwert führte, auch wenn der von ihm gegen die Osmanen organisierte Kreuzzug scheiterte. ((Vgl. Wenn der Papst den vernünftigen christlichen Gott aus dem Talar zaubert, Mohssen Masserrat über den Krach der Religionen. Freitag 38/2006)) Die Dialoge mit einem Perser, aus deren 7. Teil der Papst zitierte, entstanden aus Streitgesprächen, die Manuel II. im Herbst 1391 in Ankara mit einem türkischen Lehrer führte, und die bis in die letzten Jahre immer wieder ediert wurden. ((Klaus-Peter Todt, Manuel II. Palaeologos. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (Bautz), Band V (1993) Spalten 728-731.))

In Regensburg erweckte Ratzinger dagegen den Eindruck einer Neuentdeckung, die er erst „kürzlich“ gelesen habe, und verwies auf die von Prof. Dr. Adel- Theodor Khoury betreute, französische Ausgabe der Kontroverse. Nur – aus ihr konnte schwerlich auf Deutsch zitiert werden, was der Papst gleichwohl tat. Zudem zeigt ein Blick in die Bibliothekskataloge, dass Khourys Ausgabe schon 40 Jahre alt ist. Sie erschien 1966 in Paris, ((In der letztgültigen Fassung der Rede (vgl. oben Anm. 1) wird darauf jetzt in Anm. 1 hingewiesen. Khoury, Adel Theodor, Manuel II. Paléologue: Entretiens avec un Musulman, 7. controverse; Texte critique et trad. avec une introd. et des notes. Paris 1966, 233 S.)) hundert Jahre nach der ebenfalls französischen Ausgabe der Opera omnia theologica (1866) ((Manuel II. Palaeologus, Opera omnia theologica / acc … J[acqes]-P[aul] Migne, 1866, 1104 Sp.)).

Über die Natur der Dialoge ist sich die Fachwelt einig: Englischsprachige Quellen bezeichnen sie als „controversial literature“ (Streitliteratur) und Klaus-Peter Todt hält sie für „Islampolemik“. ((Kardinal Lehmann charakterisierte die Dialoge als „kritischoffensiv“. Der inkriminierte Satz sei „gewiss nicht zwingend notwendig“ gewesen. Vgl. Karl Kardinal Lehmann, Der Kaiser argumentiert mit der Vernunft. Benedikt XVI. und der Islam / Ein Exkurs über die Textstelle, mit der der Papst seine Regensburger Vorlesung intonierte. In: Rheinischer Merkur vom 21.09.2006.)) Tatsächlich vertritt Manuel II. in der Kontroverse eine triumphalistische, mit Herabsetzungen gespickte Position. Kritik des muslimischen Gesprächspartners an der christlichen Vernunft weist er dagegen als „Verhöhnung“ zurück. ((Förstel, Bd. I, S. 253 [3.4]))

Entsprechend spricht auch der Grazer Historiker und Theologe Wilhelm Braun von „traditional Byzantine anti-Islamic polemics“ ((In der ausführlichen Darstellung Manuel II PALAIOLOGOS (1391-1425 A.D.) von Wilhelm Baum, Universität Graz, in: Online Encyclopedia of Roman Emperors. [http://www.romanemperors. org/manuel2.htm ]. In der Debatte um die Regensburger Rede im englischsprachigen Raum wurde Baums ins Englische übersetzte Darstellung zur wichtigen Informationsquelle. )) Dies hinderte ihn aber nicht, im Jahr 2003 die Dialoge in Auswahl, und nun als ‚Weltliteratur’ zu edieren, um sie – mit finanzieller Unterstützung der konservativen österreichischen Regierung ((Baums Publikation wurde vom österreichischen Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur unterstützt. Die Schrift erschien in dem von Baum selbst gegründeten und geführten Kitap-Verlag, der „im Rahmen der Kunstförderung“ wiederum vom Bundeskanzleramt in Wien gefördert wird.)) – in den aktuellen europa-politischen Ring zu werfen. Im Vorwort heißt es:

„Die Diskussion um die mögliche Aufnahme der Türkei in die Europäische Union und über die Folgen des Anschlags vom 11.9.2001 haben viele Fragen hinsichtlich der Konfrontation Europas mit dem Islam aufgeworfen. Über Jahrhunderte hindurch verteidigte das Byzantinische Reich Europa vor dem Ansturm der Araber und Türken. Kaiser Manuel II. setzte sich mit der Frage des Islam auch in einem Dialog auseinander, von dem hier fünf Teile in Übersetzung vorgelegt werden. (…) Die vorliegende Arbeit mag verdeutlichen, dass Deklarationen des türkischen Parlaments nicht ausreichen können, die Türkei in Europa zu integrieren. Auch die Türkei muss sich der kritischen Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit stellen und die Reste des orientalischen Christentums schützen. Die Ruinen der armenischen Kirchen, die zerstörten Fresken von Kappadokien und die Vernichtung von unschätzbarem Kulturgut verdeutlichen, dass es in der Türkei hier noch immer am Bewusstsein fehlt, Konsequenzen aus der Vergangenheit zu ziehen. Das Werk Manuels II. gehört zum europäischen Kulturgut; es soll daher im Diskurs der Kulturen auch in Zukunft Beachtung finden.“ ((Kaiser Manuel II. Palaiologos: Dialog über den Islam und Erziehungsratschläge: mit drei Briefen König Sigismunds von Luxemburg an Manuel II. / Übers.: Raimund Senoner. Hrsg. und eingeleitet von Wilhelm Baum. Klagenfurt ; Wien 2003, S. 6.))

Politisches, nicht Wissenschaftliches, so zeigt sich, standen in Regensburg im Mittelpunkt, und entsprechend ließ der Papst über abgrenzende Polemik ein christliches Leitbild entstehen: „Manuel II. hat wirklich aus dem inneren Wesen des christlichen Glaubens heraus und zugleich aus dem Wesen des Hellenistischen, das sich mit dem Glauben verschmolzen hatte, sagen können: Nicht „mit dem Logos“ handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider.“ Ganz zum Abschluss der Rede lobte Ratzinger schließlich noch einmal das christliche Gottesbild des Manuell II. Unter Rückgriff auf eine islamtheologische Extremposition des Mittelalters ((„Khoury zitiert dazu eine Arbeit des bekannten französischen Islamologen R. Arnaldez, der darauf hinweist, daß Ibn Hazn so weit gehe zu erklären, daß Gott auch nicht durch sein eigenes Wort gehalten sei und daß nichts ihn dazu verpflichte, uns die Wahrheit zu offenbaren. Wenn er es wollte, müsse der Mensch auch Idolatrie treiben.“)) hatte er dem zuvor das Gottesbild ‚des Islam’ gegenüber gestellt und mit fehlender Vernunft und der Tendenz nach mit Gewalt in Zusammenhang gebracht.

Der innerkatholisch gut informierte Stephan Baier schlug kurz danach noch tiefer in die Kerbe:

„Er hat einem Gottesbild widersprochen, das die Brücke zwischen der menschlichen Vernunft und dem Allmächtigen abreißt. Er stemmte sich gegen das Bild „eines Willkür-Gottes …, der nicht an die Wahrheit und an das Gute gebunden ist“. (…) Der ewige und allmächtige Gott, der Schöpfer des Universums und jeder Menschenseele ist für den Muslim ganz transzendent und unerforschlich in seinem Willen, für den Christen aber unser liebender Vater.“ ((Vgl. Die Tagespost. Im Blickpunkt, vom 16.9.2006.))

Am 21. September resümierte der Islamwissenschaftler Christian Troll, bis 2005 Mitglied des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog, „dass die Flitterwochen des Dialogs in den letzten Jahrzehnten seit dem Konzil – die ja auch etwas Gutes hatten – vorbei sind.“ ((Vgl. Radio Vatikan, 21.9.2006: http:// www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=96118)) Schon vor Ratzingers Deutschlandbesuch hatte der rechtskonservative Publizist Hans-Peter Raddatz den grundlegenden Kurswechsel des Vatikan unter Benedikt XVI. in Sachen Islam-Dialog begrüßt und sah sich nun bestätigt. ((Hans-Peter Raddatz, Assisi und zurück. „Dialog“ mit Allah im Spiegel der Päpste. In: Die neue Ordnung 3/2006. sowie Hans-Peter Raddatz, Glaube – Vernunft – Gewalt. Benedikt XVI. und das Dilemma des Islamdialogs. In: Die neue Ordnung 5/2006.))

Zweifellos also unternahm der Papst in Regensburg im Gewand des Wissenschaftlers eine politisch gemünzte lslampolemik, die er ‚wissenschaftlich’ immunisierte und bis zur Schmerzgrenze ‚ausreizte’. Angesichts der sich zuspitzenden weltweiten Reaktionen trat er am 20. September 2006, im Rahmen der wöchentlichen Generalaudienz in Rom, schließlich einen taktischen Rückzug an: Aus dem ‚christlichen Leitbild’ Manuel II. wurden nun wieder „die negativen Worte“ eines „mittelalterlichen Imperators“. Der „aufmerksame Leser“, an den Ratzinger in Rom appellierte, hatte also richtig verstanden. ((Masserrat 2006:„Nähme man seinen Rückzieher ernst, es sei ja ein mittelalterlicher Text gewesen, den er zitiert habe, käme das dem Eingeständnis gleich, dass er geschludert hat.“))

Die Diplomatie

Allerdings erklärt all dies noch nicht die Bedeutung, die ein byzantinisch-orthodoxer Kaiser in der Rede bekommen sollte. Ratzinger rückte ihn als Repräsentanten der griechisch-orthodoxen Ostkirche ins Rampenlicht, die lange ein gespanntes Verhältnis zu Rom hatte. Nach Klaus-Peter Todt stand Manuell II. dagegen für eine „nicht fanatische Position“ der Orthodoxie gegenüber dem Katholizismus, d.h. gar für eine „Kirchenunion“ zwischen beiden, um – zu seiner Zeit – „die Türken in Schach zu halten“.

In der Tat wird das Gewicht ‚Manuels II.’ in der Regensburger Rede nur vor dem Hintergrund der Anbahnung einer ’strategischen’ Partnerschaft zwischen Rom und ‚Ostkirche’ plausibel, die der Papst zu ‚seinem’ Projekt gemacht hat. Die diplomatische Basis ist die Stiftung Pro Oriente, Wien, die sich der „Förderung der Beziehungen zwischen römisch-katholischer Kirche und den orthodoxen bzw. altorientalischen Kirchen“ widmet. Der derzeitige Vorsitzende ist Kardinal Christoph Schönborn. Die Stiftung wurde 1964 aus Anlass des Zweiten Vatikanischen Konzils und seines Ökumenismus-Dekrets ‚Unitatis Redintegratio’ gegründet. ((Vgl. http://www.pro-oriente.at/ und http://www.prooriente. at/?site=impressum))

Wie im März 2006 bekannt wurde, hatte Benedikt XVI. bei Amtsantritt im April 2005 auf den Titel ‚Patriarch des Abendlandes’ ((Johannes Paul II. wurde von orthodoxer Seite, wegen seiner polnischen Herkunft, als ‚Hindernis’ für eine Verständigung betrachtet. In einem Bericht des Informationsdienstes russland.RU vom 4.4.2005 heißt es: „Wer auch immer die Rolle des neuen Papstes übernehmen wird, ein Pole wird der Globalisierung der Christen nicht wieder im Wege stehen.“ http://russland.ru/papst/morenews.php?iditem=46)) verzichtet, was der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen „als ökumenisches Entgegenkommen gegenüber der Orthodoxie“ ((Vgl. http://www.kirchensite.de/ ?myELEMENT=109693&mySID=e8039799272ceedb53fad2863de2c98e)) wertete. ((Vgl. Papst Benedikt verzichtet auf den Titel „Patriarch des Abendlandes“, Bericht des ORF vom 23.3.2006; http:// religion.orf.at/projekt03/news/0603/ne060323_titel.htm . Vgl. aber den skeptischen Einwurf von Hans Küng: „Nicht der jetzt anscheinend abgeschaffte Papsttitel »Patriarch des Westens« ist für die Orthodoxen anstößig, sondern der eines römischen »Stellvertreters Christi«, der eine förmliche Jurisdiktion über die gesamte Kirche (bis nach Sibirien und Ostanatolien) beanspruchen möchte. Auch wäre es höchst bedauerlich, wenn Benedikts Bemühen um Annäherung zur Orthodoxie zu Lasten der ökumenischen Beziehungen zu den Kirchen der Reformation ginge, deren Theologien wie Strukturen ihm vermutlich ferner liegen.“ http://www.weltethos.de/00—home/ benedikt_xvi.htm)) Auf orthodoxer Seite kam es zu kritischen Reaktionen ((Für die Hinweise zur Einordnung danke ich Joachim Willems. Vgl. auch: Ein russisch-orthodoxer Bischof fordert den Papst auf, weitere Titel abzulegen. Bericht Radio Vatikan vom 5.4.2006: „Um die „Wiederversöhnung zwischen der orthodoxen und der katholischen Kirche voranzubringen“, solle der Papst aber alle Titel ablegen, die seine „universelle Jurisdiktion und die kirchliche Doktrin, die dahinter stehe“, bekräftigen.“ ((Vgl. die eingehende Analyse in: Im Blickpunkt. in: Die Tagespost vom 10.6.2006.)), aber auch zu Hoffnungen auf „Augenhöhe mit der Schwesterkirche“. ((Bericht der Deutschen Welle vom 19.04.2006.)) Kardinal Walter Kasper forderte im August 2005 „ein Treffen zwischen Katholiken und Orthodoxen auf höchster Ebene, in dem die Vereinigung beider Strömungen des Christentums besprochen werden soll“. Dabei spielte er auch auf die russisch-orthodoxe Kirche an, über die Rom auch Einfluss beim russischen Präsidenten Putin gewinnen könnte und damit dort auch offenbar willkommen ist. ((Vgl. Alexej Bukalov, Von Rom nach Moskau. Benedikt XVI. könnte gelingen, was seinem Vorgänger versagt blieb: Die Annäherung an die orthodoxe Kirche. In: Die Welt vom 19. August 2005. Zur diplomatischen Rolle von Kardinal Kasper: http://www.radiovaticana.org/tedesco/tedarchi/2005/Juli05/ ted03.07.05.htm))

Im Verlauf der weiteren Annäherung veränderte der russische Patriarch von Russland, Alexi II., im Februar 2006 seine ablehnende Position und rief „zur raschesten Überwindung der Probleme auf“, „die den Dialog zwischen der Russisch-Orthodoxen und der Katholischen Kirche behindern“ ((http://russland.ru/papst/morenews.php?iditem=85)). Im Mai 2006 traf sich unter dem Titel „Europa eine Seele geben“ ein katholisch- orthodoxes Symposium in Wien. In einer Botschaft stellte der Papst fest, es ginge um „den Einsatz der Christen im Bereich des öffentlichen Lebens in Europa“, um „eine gemeinsame, mutige und erneuerte Evangelisierungstätigkeit im Europa des dritten Jahrtausends“, um das „von den Vorfahren überlieferte Erbe der Werte“. ((Vgl. http://www.vatican.va/roman_curia/secretariat_state/ 2006/documents/rc_seg-st_20060503_incontrovienna_ ge.html . Dies entspricht dem ideologischen Programm der auf Deutschland gerichteten ‚Papst-Stiftung’, „alle möglichen Mittel der Öffentlichkeitsarbeit“ einzusetzen, um zu verhindern, „dass der alte, ehemals christlich geprägte Kontinent sich aufgibt. Die Stiftung soll helfen, dass Europa wieder in seinen christlichen Wurzeln Fuß fasst.“ http:// p072.ezboard.com/ ftheratzingerforumfrm30.showMessage?topicID=145.topic sowie http://www.benedictus-stiftung.de/cms/ index.php?option=com_frontpage&Itemid=1)) Aufgabe des Symposiums sei es, „eine gemeinsame Analyse der Herausforderungen“ zu erarbeiten, „vor denen Europa in diesem Augenblick seiner Geschichte steht“. ((Vgl. http://www.vatican.va/roman_curia/secretariat_state/ 2006/documents/rc_seg-st_20060503_incontrovienna_ ge.html . Ein jeweils aktualisiertes Diarium der diplomatischen Ereignisse zwischen Rom und der russischorthodoxen Kirche seit April 2005 findet sich unter http:// russland.ru/papst/ bzw. unter http://russland.ru/papst/ archiv.php?ar_date=2006)) Nach Angaben des Metropoliten Kyrill von Smolensk und Kaliningrad wurde in Wien „ein sehr wichtiges gemeinsames Dokument“ angenommen. ((Vgl. Papst entsendet ranghohe Delegation zum Weltgipfel der religiösen Würdenträger nach Moskau. Bericht vom 22. Juni 2006; http://russland.ru/papst/morenews.php?iditem=88))

Zum Fest Peter und Paul im Juni 2006 äußerte Ratzinger seine Hoffnung „auf baldige Einheit mit der Orthodoxie“ ((ORF vom 29. Juni 2006. „Papst hofft auf Einheit mit der Orthodoxie.“ http://religion.orf.at/projekt03/news/0606/ ne060629_ortodoxie.htm)). Das von der türkischen Regierung – wie Manuel II. von den Osmanen zu seiner Zeit – auf Istanbul zurückgedrängte orthodoxe Oberhaupt, der Patriarch Bartholomaios I., hatte eine Delegation entsandt. Im Juli 2006 folgte ein Moskauer „Welttreffen religiöser Führer“ ((Vgl. Moskau: Boykott beim „Welttreffen religiöser Führer“, Bericht vom 4.7.2006 in: Stern short news. http:// shortnews.stern.de)) mit einer hochrangigen katholischen Abordnung. ((Vgl. Russland und der Vatikan, Orthodoxe und Katholiken konstatieren positive Dynamik in ihren Beziehungen. Bericht vom 5.7.2006. http://russland.ru/papst/ morenews.php?iditem=89)) Im November 2006 bedankte sich der Moskauer Patriarch „emphatisch für eine 10000-Euro-Spende aus dem Vatikan zum Wiederaufbau der St. Petersburger Dreifaltigkeitskirche“ – als „Zeichen echter Zuneigung zur russisch-orthodoxen Kirche“ ((Alexander Kissler, Tausend Jahre sind ein Tag. In Istanbul will der Papst Rom mit den Orthodoxen versöhnen. In: Süddeutsche Zeitung vom 24. November 2006, S. 15.))

Soll es nach dem Sturz des Kommunismus eine christliche Offensive gegen islamische Vormachtstellungen, aber auch gegen die Bastionen des Unglaubens in Europa geben? ((Die Chancen für den Erfolg eines solchen roll-back beurteilt der Siegener Germanist Clemens Knobloch äußerst skeptisch. Es sei „eher unwahrscheinlich, dass sich eine neue politische Gemeinschaft der Vernunftfreunde ausgerechnet hinter der katholischen Fahne sammeln wird.“ Vgl. Clemens Knobloch, Strategisch glauben. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2006, S.1389-1393.)) In Regensburg demonstrierte der Papst offenbar bereits das offensive Selbstbewusstsein, das dem Bündnis zuwachsen soll. Als Morgengaben machten ‚Manuel II.’ und wohl auch ‚Islampolemik’ Sinn – in Richtung Belgrad, wo nach sechsjähriger Pause gerade eine entscheidende Verhandlungsrunde bevorstand.

Am Abend des 12. September 2006, bei einer auf die Regensburger Vorlesung folgenden ökumenischen Vesper in Regensburg, zu der auch Vertreter der Orthodoxie geladen waren ((Vgl. http://www.netzeitung.de/spezial/derpapst/439861.html)), reichte Ratzinger die entsprechende Information nach. Der EKD-Vorsitzende Huber bemerkte verschnupft: „Der Papst begrüßte die Orthodoxen zuerst …“ ((Vgl. http://217.115.153.122/comet/ Sonderseite_index.asp?ETyp=16&ID=5011&)). Nach einer weit ausholenden Adresse an die orthodoxen Vertreter verwies Ratzinger darauf, in wenigen Tagen würde „in Belgrad der theologische Dialog wieder aufgenommen“. Er „hoffe und bete“, dass die Gemeinschaft, die „uns“, d.h. Katholiken und Orthodoxie, verbinde, zur „vollen Einheit“ reife. ((Vgl. http://www.kirchensite.de/ ?myELEMENT=119679&mySID=0959df3d7ba55678697819dacdc15187))  Am 22. September 2006 ((Vgl. http://www.oecumene.radiovaticana.org/ted/ Articolo.asp?c=9625)) meldeten katholische Quellen den Abschluss der Belgrader Konferenz, zu der nach einer sechsjährigen Unterbrechung wieder die katholisch-orthodoxe Dialog-Kommission zusammengekommen war. Kardinal Walter Kasper betonte das Positive: Von früheren Polemiken sei nichts mehr zu spüren gewesen. In der Sache ging es um die Auslotung der „Spannung zwischen einer synodalen und einer hierarchischen Verfassung“. Ob allerdings ‘Islam- Polemik’ wirklich dem römisch-orthodoxen Zusammenhalt nützt, ist fraglich: Der Berliner Religionspädagoge Joachim Willems hat z.B. darauf hingewiesen, dass insbesondere der russischen Orthodoxie am vertieften Dialog mit dem Islam in Russland gelegen ist. ((Joachim Willems, Das Verhältnis der Russischen Orthodoxen Kirche zum Islam in Russland und auf dem Gebiet der GUS. Ein Beitrag zur differenzierteren Wahrnehmung der Orthodoxie im Kontext ökumenischer Konflikte. In: Ökumenische Rundschau 1 (2005). S.66-83.)) Ratzingers Attacke von Regensburg verriet dagegen Hochstimmung, schon eine ‚robuste Ökumene’ ((Cornelia Sonntag-Wolgast (SPD), seit November 2002 Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, prägte am 24. September 2006 (DLF ‚Kolumne’) den Begriff eines „robusten Dialogs“ mit dem Islam. Ein Korrespondent des DLF beschrieb am 25. September 2006 die Funktion der geplanten Papst-Visite in der Türkei als das Zusammenführen „von Ost- und Westrom“.)) in Richtung Islam vorführen zu können. Viel spricht inzwischen für Selbstüberschätzung. Am 20. September 2006 hatte ein orthodoxer Sprecher den Stand der Annäherung bereits relativiert und eine stärker dezentrale und demokratische Struktur des Katholizismus eingefordert ((Bericht der Deutschen Welle vom 19.04.2006.)). Im Vorfeld von Ratzingers Türkei- Visite dämpfte der russisch-orthodoxe Bischof Hilarion Alfeyev von Wien und Österreich am 12. November 2006 westliche Erwartungen ((Vgl. Orthodox leader says Pope’s Turkey visit will go ahead. Bericht vom 20. September 2006: “a move seen as trying to heal a split between Western and Eastern Christianity dating back almost a thousand years.” http:// www.ekklesia.co.uk/content/news_syndication/ article_060920papa.shtml . Vgl. auch Alexander Kissler (Anm. 33).)) an das Treffen zwischen Benedikt XVI. und dem Patriarchen Bartholomaios I.

Er sprach nun von Jahrzehnten oder Jahrhunderten auf dem Weg zur ‚Einheit’. Möglich sei derzeit allein die „Schaffung einer strategischen Allianz zur Verteidigung der christlichen Werte in Europa“. Hastige Kompromisse in der Lehre und das Übergehen der Protestanten lehnte er ab. Das Phänomen des „islamischen Terrors“ sei eine – nicht auf Religion gegründete – „Reaktion der zeitgenössischen islamischen Welt“ auf die Bemühungen des Westens, „seine Weltanschauung und Verhaltensnormen aufzuzwingen“ ((Vgl. Unsere Kirchen befinden sich auf dem Weg zur Einheit. „Wir müssen pragmatisch sein und anerkennen, dass es wahrscheinlich noch Jahrzehnte, ja vielleicht sogar Jahrhunderte dauern wird, bis es zur Wiederherstellung der Einheit kommt“ – Interview mit dem russisch-orthodoxen Bischof Hilarion Alfeyev. http://www.kath.net/ detail.php?id=15184&&print=yes)). Bartholomaios I. selbst wertete am 18.11.2006 Benedikts XVI. Verzicht auf den Titel ‚Patriarch von Konstantinopel’ negativ: Dieser Titel sei der einzige gewesen, „den wir akzeptieren konnten.“ ((Vgl. den Bericht von Radio Vatikan vom 18.11.2006, Türkei: Bartholomaios I. erwartet vom Papst klare Worte zu den Minderheiten-Rechten. http:// www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=104405)) Noch knapp vor der Türkei-Visite, am 26.11. sah sich der Vatikan genötigt, kurzerhand die positive Haltung Roms zur EU-Mitgliedschaft der Türkei zu erklären, um offenbar im Tausch Ministerpräsident Erdogan zu bewegen, dem Papst doch noch – für eine Viertel Stunde – am Flughafen aufzuwarten.

Die imperiale Geste von Regensburg ist schließlich in den wenigen Tagen der Türkeivisite mit einer Umkehr auf ganzer Linie abgebüßt werden. War die orthodoxkatholische Allianz als offensiver Coup gedacht, so ist sie nun in ‚friedenspolitische’ Verantwortung eingebunden. Ratzinger selbst hat nicht nur – der Orthodoxie gegenüber – sein päpstliches Amt zur Disposition, sondern ließ sich über eine symbolgesättigte, gemeinsame türkisch-vatikanische Medien-Choreographie zum Proponenten der islamisch-christlichen Verständigung küren. Er ist unversehens zum Erben der dialogischen Axiome seines Vorgängers, zum Türöffner der Türkei nach Europa, vielleicht sogar zum Anwalt für den westlichen Strategiewechsel dem Islam gegenüber avanciert. Nicht nur seine rechtskatholischen Unterstützer dürften sich die Augen reiben …

Die Theologie

Nicht weniger bedeutsam ist es, die inhaltlichen Aporien auszuleuchten, mit denen eine künftige katholische, bzw. katholisch-orthodoxe Werteoffensive befrachtet sein wird. Im Mittelpunkt steht dabei die These vom ‚hellenistischen Christentum’.

Über Kirchenpolitik hinaus galt für Ratzinger die orthodoxe Ostkirche schon immer als Retterin des antiken Erbes ((Vgl.: Ratzinger, Joseph, Gott und die Welt. Glauben und Leben in unserer Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2000)), dem er eine heilsgeschichtliche Bedeutung unterlegt. Dabei verweist er auf „Platons Bild vom gekreuzigten Gerechten“: Der Grieche ahne „400 Jahre vor Christus“, „dass der vollendete Gerechte in der Welt der gekreuzigte Gerechte sein muss“. ((Ratzinger, Joseph, Einführung in das Christentum, dtv München 1971, S. 213 (Erstauflage 1968). Das Werk hat bis 2006 Neuauflagen erfahren.)) Damit aber wird ein von Judentum und Altem Testament abgelöstes Christentum in den Raum gestellt. Bereits in seiner Bonner Antrittsvorlesung 1959 hatte Ratzinger die erstaunliche Formulierung geprägt: „Der Gott des Aristoteles und der Gott Jesu Christi ist ein und derselbe.“ ((Vgl. Anm. 2, S.16.))

Die päpstliche Enzyklika Ratio et Fides von 1998 fordert danach (heutige) Philosophen auf, sie sollten ihre Argumentation „in Kontinuität mit jener großen Tradition erarbeiten […], die bei den antiken Philosophen anfängt und über die Kirchenväter sowie die Meister der Scholastik führt, um schließlich die grundlegenden Errungenschaften des modernen und zeitgenössischen Denkens zu erfassen.“ (Abschn. 85) Als „authentisches Vorbild“ wird Thomas von Aquin genannt, in dessen Denken „der Anspruch der Vernunft und die Kraft des Glaubens zur höchsten Zusammenschau gefunden“ hätten, „zu der das Denken je gelangt ist.“ (Abschn. 78).

In der Tat sorgte Thomas von Aquin – und darum geht es – für die Übernahme und fortan für die kirchliche Festlegung auf die fatale philosophische Anthropologie des ‚Heiden’ Aristoteles. Ihr Kern, die ‚Stufenleiter’ menschlicher Würdegrade, wurde zur Definitionsmacht über Menschen und ‚Nicht-Menschen’, zum Legitimationsinstrument politischer wie kirchlicher Macht-, Verfolgungs- und Vernichtungspraktiken über viele Jahrhunderte. Die Schulderklärungen von Johannes Paul II. legen darüber beredtes Zeugnis ab. Um so unbegreiflicher ist es, dass die Enzyklika auf dem ideologischen Kern dieser Tradition besteht und weiterhin die „Würde der Person“ von „ihrer geistigen Verfasstheit“ abhängig macht (Abschn. 83 u. ö.). ((Vgl. Paul, Jobst, Das „Tier“-Konstrukt – und die Geburt des Rassismus. Zur kulturellen Gegenwart eines vernichtenden Arguments. Münster 2004, S.153-261.))

Mit der Fortschreibung des Menschenbilds des europäischen Reduktionismus würde sich die katholische Kirche in der heutigen und künftigen Wertedebatte weder als Schutzmacht für eine Ethik der Gleichheit noch für das Kant’sche Instrumentalisierungsverbot empfehlen, etwa gegenüber Koma-Patienten, Demenzkranken, Alzheimerpatienten, menschlichen Embryonen oder Forschungsprobanden. Sie käme stattdessen z.B. auf der Seite einer aggressiven Humanforschung zu stehen, die ihrerseits die scholastische Beweisführung längst dankbar aufgegriffen hat.

Die These vom ‚hellenistischen Christentum’ sorgte dementsprechend in der Regensburger Rede für einen verwirrenden Duktus. Danach bilde dieses Christentum – einerseits – „die Grundlage dessen“, „was man mit Recht Europa nennen kann“ ((Ratzinger fordert daher die Verpflichtung der Weltkirche auf den europäisch-hellenistischen Geist: „Denn das Neue Testament ist griechisch geschrieben und trägt in sich selber die Berührung mit dem griechischen Geist, die in der vorangegangenen Entwicklung des Alten Testaments gereift war. Gewiß gibt es Schichten im Werdeprozeß der alten Kirche, die nicht in alle Kulturen eingehen müssen. Aber die Grundentscheidungen, die eben den Zusammenhang des Glaubens mit dem Suchen der menschlichen Vernunft betreffen, die gehören zu diesem Glauben selbst und sind seine ihm gemäße Entfaltung.“)), das „Ethos der Wissenschaftlichkeit“ eingeschlossen. ((„Das Große der modernen Geistesentwicklung wird ungeschmälert anerkannt: Wir alle sind dankbar für die großen Möglichkeiten, die sie dem Menschen erschlossen hat und für die Fortschritte an Menschlichkeit, die uns geschenkt wurden. Das Ethos der Wissenschaftlichkeit ist im übrigen Wille zum Gehorsam gegenüber der Wahrheit und insofern Ausdruck einer Grundhaltung, die zu den Grundentscheiden des Christlichen gehört.“)) Schon früher hatte der Papst von „christlichen Wurzeln“ der europäischen Technologie gesprochen. ((Interview vom 16.8.2005: Benedict XVI calls on Europe to re-establish Christian roots “extrapolating the continent’s civilization and technology from its „deep roots“ in Christianity, and attaching them to less secure moorings, was a mistake”. Vgl. http://www.ekklesia.co.uk/content/news_syndication/ article_050816pontiff.shtml))

Andererseits sei Europa gerade nicht dem hellenistischen Vernunftbegriff („Logos“), sondern einem „Enthellenisierungsprogramm“ ((Als Hauptschuldige nennt Ratzinger die Reformatoren, die wissenschaftliche Bibelkritik und die aktuellen Gegner der eurozentristischen Position der katholischen Kirche.)) gefolgt, für das er u. a. den Protestantismus, aber auch Immanuel Kant verantwortlich machte, und dies habe zum ethischen Defizit geführt.

Der Versuch, die Integrität der scholastisch-thomistischen Tradition zu retten, wurde freilich übertroffen durch eine darauf folgende Schuldzuschreibung, in der Ratzinger „Enthellenisierung“ schließlich – als ‚Judaisierung des Christentums’ ((In der annotierten Fassung der Rede (vgl. Anm. 1) lenkt Ratzinger ausdrücklich darauf hin. In Anm. 11 zur Rede heißt es: „Aus der umfänglichen Literatur zum Thema Enthellenisierung möchte ich besonders nennen A. Grillmeier, Hellenisierung – Judaisierung des Christentums als Deuteprinzipien der Geschichte des kirchlichen Dogmas, in: ders., Mit ihm und in ihm. Christologische Forschungen und Perspektiven. Freiburg 1975 S. 423-488.“ http://www.vatican.va/ holy_father/benedict_xvi/speeches/2006/september/ documents/hf_ben-xvi_spe_20060912_universityregensburg_ ge.html)) decodierte: Er kritisierte nicht weniger als die Hinwendung zum Stifter der eigenen Religion, „zum einfachen Menschen Jesus“, der „den Kult zugunsten der Moral verabschiedet“ habe, als „neuzeitliche Selbstbeschränkung der Vernunft, wie sie in Kants Kritiken klassischen Ausdruck gefunden hatte, inzwischen aber vom naturwissenschaftlichen Denken weiter radikalisiert wurde.“ Die Ethik des Juden Jesus als Ursache des ethischen Niedergangs Europas?

Eine erstaunliche These, um so mehr, als Ratzinger zuletzt in der im Januar 2006 veröffentlichten Enzyklika Deus caritas est das genaue Gegenteil darlegte. Dort begegnet man dem ‚Logos’ wieder, der in Regensburg für hellenistische ‚Vernunft’ stand, nun freilich als ‚christliche Liebe’ firmiert, die überraschender Weise nun im Kontrast zur antiken Welt fungiert habe. ((Vgl. u.a. Absch. 13 der deutschen Textfassung: „Wenn die antike Welt davon geträumt hatte, daß letztlich die eigentliche Nahrung des Menschen — das, wovon er als Mensch lebt — der Logos, die ewige Vernunft sei: Nun ist dieser Logos wirklich Speise für uns geworden — als Liebe.“ Der Wortlaut ist unter folgender Adresse einsehbar: http://www.vatican.va/ holy_father/benedict_xvi/encyclicals/documents/hf_benxvi_ enc_20051225_deus-caritas-est_ge.html))

Von einem ethischen Anspruch des Hellenismus ist dort keine Rede mehr, vielmehr stellt Joseph Ratzinger im Prolog fest, das Christentum habe – über die Gestalt Jesus’ – mit der „Zentralität der Liebe“ die „innere Mitte“ des Judentums in sich aufgenommen. „Neue Ideen“ habe das Neue Testament dem nicht hinzugefügt, allerdings den „unerhörten Realismus“ der „Gestalt Christi“ (Absch. 12). Bereits in der Rede in der Kölner Synagoge vom 19. August 2005 hatte es geheißen: „In Anbetracht der jüdischen Wurzeln des Christentums hat mein verehrter Vorgänger in Bestätigung eines Urteils der deutschen Bischöfe gesagt: ‚Wer Jesus Christus begegnet, begegnet dem Judentum‘.“

Die Regensburger Rede signalisiert – in theologischer Hinsicht – die Zuspitzung eines innerkirchlichen Konflikts zwischen Unvereinbarem, zwischen jesuanischem und thomistischem Religionsverständnis, zwischen christlich-jüdischer Ethik und kirchlicher Macht in Zeiten kirchlichen Machtverlusts. Der Papst hat sich ohne Not zur ‚Verkörperung’ des Konflikts gemacht und würde die Zerreißprobe – mit einer Re-Dogmatisierung nach innen – nur beschleunigen. Letztere könnte allerdings ohnehin zur Disposition stehen, da Joseph Ratzinger die äußere Legitimation, das Feindbild Islam, so unversehens abhanden gekommen ist.