Kirche und Synagoge – Die Dresdner Frauenkirche sollte ein Mahnmal bleiben.

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Von Dr. Jobst Paul. Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung erinnert aus Anlass der Einweihung der Dresdner Frauenkirche mit einer Volltext-Präsentation im Internet an die Entstehung der jüdischen Gemeinde in Dresden und an die Jahre der Erbauung der Semper-Synagoge zwischen 1838 und 1840, eines Kleinods, das in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Flammen aufging. Die Frage, warum es in Dresden nun wieder eine Frauenkirche geben kann, dagegen die Semper’sche Synagoge nie wieder, wird das wiedererstandene Bauwerk begleiten.

Als 1938, genau hundert Jahre nach Baubeginn, die Dresdner Sempersynagoge in der Reichspogromnacht in Flammen aufging, verwendete man die Steine zum Straßenbau. Als im Februar 1945 die Frauenkirche zusammenstürzte, brachen die Deportationen Dresdner Juden in die Konzentrationslager ab – bis zum Beginn der Rekonstruktion vor 15 Jahren blieben die Steine unberührt.

Mit dem Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche soll nun ein Zeichen der Versöhnung und des Erinnerns gesetzt werden. Aus dem Zusammenspiel von neuester Technologie und Handwerkskunst ist ein erstaunliches Werk entstanden, in dem einige Initiatoren die Chance des „Tourismus“ in den Mittelpunkt gestellt haben. Wichtiger wäre es, die Verantwortung für die Zukunft zu sehen, die nun, nach dem Wiederaufbau, über die schmerzhafte Verarbeitung von Krieg, Bombennacht und Tod in Dresden noch hinaus reicht.

Ins Zentrum rückt nun die Frage, inwiefern das Bauwerk nicht mehr für eine ‚triumphierende Kirche‘, für einen übertrumpfenden Protestantismus stehen kann, sondern als endgültige Absage an die Jahrhunderte lang tradierte, christliche Ideologie der Überlegenheit gegenüber Juden und Judentum interpretiert werden kann.

Im Jahr 2001, als die Neue Synagoge in Dresden geweiht wurde, hieß es in einer Pressenotiz der Dresdner jüdischen Gemeinde: „Der Neubau steht mit seinem archaischen Entwurf in Gegensatz zu einer barocken Stadt. Ein Widerspruch mit Absicht. Die moderne Architektur schließt nicht nahtlos an Sempers Ideen an, schmerzvolle Brüche in unserer Geschichte bleiben sichtbar.“

Die Pracht der wiedererrichteten Kirche kann nicht ungeteilt erfreuen und überzeugen, wenn sie für die Fiktion einer ungebrochenen Schönheit stehen soll. Nur als Mahnmal, das sich der heutigen Dresdner Synagoge zuwendet, wird der Wiederaufbau die Bedeutung bekommen, die sich die weltweiten Unterstützer erhofft haben.

Wir erinnern daran, dass die Entstehung der jüdischen Gemeinde in Dresden in die Jahre nach 1726 fällt, in denen George Bähr die Frauenkirche errichtete. In einem Werk aus dem Jahr 1885 unter dem Titel Der polnische Resident Berend Lehmann, der Stammvater der israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden hat Emil Lehmann, ein Nachfahr des Gemeindegründers, die leidensreiche Geschichte der zunächst wenigen Juden in der Stadt in diesen Jahren geschildert. Die etwa einhundert Juden, die für das Jahr 1734 in Dresden verbürgt sind, hatten ihre Existenz im Zeichen von Ausnahmerecht, Leibzoll und Judenfeindschaft zu verteidigen.

In einer zweiten Schrift unter dem Titel Ein Halbjahrhundert in der israelitischen Religionsgemeinschaft zu Dresden. Erlebtes und Erlesenes aus dem Jahr 1890 gibt Emil Lehmann einen Überblick über den Fortgang des Kampfs um bürgerliche Gleichstellung der Dresdner und sächsischen Juden im 19. Jahrhundert und schildert aus Akten und Dokumenten die Entstehung der im Jahr 1840 geweihten Synagoge.

Gottfried Semper, der in Hamburg geborene Baumeister, der über 15 Jahre in Dresden wirkte, zeichnete die Pläne für die Dresdner Synagoge im gleichen Jahr 1838, in dem er auch mit dem Bau des „Ersten Königlichen Hoftheaters“ in Dresden, der Semperoper, begann. Mit der Berufung Sempers setzte die jüdische Gemeinde nicht nur ein Zeichen der Verbundenheit mit ihrer christlichen, insbesondere protestantischen Umwelt, sondern unterstützte damit auch die städtebauliche Ensemble-Tradition Dresdens.

Emil Lehmann selbst musste freilich erleben, dass ausgerechnet von seiner Heimatstadt Dresden und von Sachsen besonders massive Impulse der antisemitischen Bewegung in Deutschland ausgingen. Sie organisierte sich nach der Reichsgründung 1871 in christlich-theologisch inspirierten Parteien, die letztlich mit den gleichen antisemitischen Argumenten gegen Juden agitierte, mit denen schon der Mittelstand Dresdens um 1730 Berend Lehmann und die Dresdner Juden attackiert und deren anhaltende Entrechtung anvisiert hatten. Es sollten schließlich jene Argumente werden, die auch dem Nationalsozialismus als Vorlage dienten und in den Völkermord an den europäischen Juden führten.

 Dr. Jobst Paul, DISS Duisburg

Koordinator des Forschungsprojekts Staat, Gesellschaft, Nation: Das jüdische Projekt der integrativen Gesellschaft im 19. Jahrhundert und seine Bedeutung für Gegenwart und Zukunft    

Werke (Auswahl):

Emil Lehmann, Frankels Erklärung seine Schrift »Hodegetik in der Mischna« betreffend, in: Der Israelit, 1861, 177 ff.; Die Rechtsverhältnisse der Juden in Sachsen (1869) In: Ders. Gesammelte Schriften, S.154-169; Lessing, Mendelssohn, Nathan. In: Lessing-Mendelssohn-Gedenkbuch. Zur hundertfünfzigjährigen Geburtsfeier von Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn, sowie zur Säcularfeier von Lessing’s ‚Nathan’, hrg. vom Deutsch-Israelitischen Gemeindebunde (Leipzig) 1869, S. 3-26; Zu Chanuka: Ein jüdisches Haus- und Volksbuch; Im Verein mit befreundeten Gelehrten (J. F. Hartknoch) Leipzig 1874; Ueber die judenfeindliche Bewegung in Deutschland. (Referat erstattet auf dem dritten ordentlichen Gemeindetag zu Leipzig am 11. April 1880 (Offenhauer & Co) Leipzig 1880; Gabriel Riesser, ein Rechtsanwalt. (1880) In: Ders., Gesammelte Schriften, S. 258-287; Zur Geschichte des Judenhasses. In: Ders. Gesammelte Schriften, S.100-116; Der polnische Resident Berend Lehmann, der Stammvater der israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden. Von seinem Ur- Ur- Urenkel. (E. Pierson) Dresden 1885; Die Juden einst und jetzt. Ein Beitrag zur Lösung der “Judenfrage”. Zweite durchgesehene Auflage. (E. Pierson’s Verlag) Dresden 1887; Ein Halbjahrhundert in der israelitischen Religionsgemeinschaft zu Dresden. Erlebtes und Erlesenes. (Gustav Salomon) Dresden 1890; Familie Körner in Dresden: Zum Gedächtnis an Theodor Körners hundertsten Geburtstag (23. September 1891) (Verl. v. Alexander Kösler) Dresden [1891]; Zacharias Frankels Berufung nach Berlin, in: Allgemeine Zeitung des Judenthums. Ausgabe vom 2. Dezember 1892, 581-582; Der Deutsche jüdischen Bekenntnisses. (Vortrag, gehalten im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens zu Berlin am 27. September 1893.); Aus alten Acten. Bilder aus der Entstehungsgeschichte der israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden (Verlag Tittmann) Dresden 1896; Offener Brief an den Herrn Professor Friedrich Paulsen (December 1897) In: Ders. Gesammelte Schriften, S.395-405; Ders., Gesammelte Schriften. Hrsg. im Verein mit seinen Kindern von einem Kreis seiner Freunde (Hermann) Berlin (2. Auflage) 1899

Literatur:

Biographie. In: Emil Lehmann, Gesammelte Schriften, 1899, S. 1-8; Im deutschen Reich, Heft 10 (Oktober 1898), S. 523-524; Heft 6 – 7 (Juni 1899) S. 371.

 

<h2>Volltext-Fassungen (pdf) auf dem DISS-Server:</h2>

Emil Lehmann, Der polnische Resident Berend Lehmann, der Stammvater der israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden. Von seinem Ur- Ur- Urenkel. (E. Pierson) Dresden 1885

Emil Lehmann, Ein Halbjahrhundert in der israelitischen Religionsgemeinschaft zu Dresden. Erlebtes und Erlesenes. (Gustav Salomon) Dresden 1890