„Grenzgänger in Deutschland“

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Verfrühte Absolution für die „Junge Freiheit“ aus dem Bundesinnenministerium. Von Helmut Kellershohn. Erschienen in DISS-Journal 9 (2001) 

Wie aus dem Bundesinnenministerium zu hören ist, geht man dort an hoher Stelle davon aus, daß die rechtsintellektuelle Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) allenfalls noch zu fünf Prozent als rechtsextremistisch einzustufen sei. Ich will im Folgenden nicht darüber spekulieren, welche Motive sich hinter dieser sonderbaren Rechnung verbergen. Anhaltspunkte für eine solche Einschätzung mag es durchaus geben, aber nur eine oberflächliche und politisch voreingenommene Lektüre der Zeitung kann dazu verleiten, diese überzubetonen.

Doppelstrategie

Die JF und ihre Macher bewegen sich auf der Grenzlinie des Verfassungsbogens. Man präsentiert sich einerseits als journalistisches Flagschiff einer in Entwicklung sich befindenden  „konstitutionellen Rechten in Deutschland“, von der der Chefideologe der JF, Karlheinz Weissmann, behauptet, sie werde demokratisch sein, oder sie werde nicht sein. Der Katalog der Positionen, die man zu besetzen gedenkt, erinnert folglich eher an staatstragende Verlautbarungspapiere mancher Parteien als an exponierte Forderungen der intellektuellen Rechten: „Identitätspolitik, Ablehnung eines europäischen Bundesstaates, Beschneidung der Sozialgesetzgebung, Stärkung der inneren Sicherheit, Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips und ein pädagogisches roll-back“ (JF 44/1996) – insgesamt gesehen eine halbwegs moderate Mischung von völkischen, wert- und nationalkonservativen sowie neoliberalen Elementen. Andererseits läßt sich der ideologische Horizont der JF keineswegs primär durch diese einzelnen Elemente definieren, sondern vor allem durch ihren Bezug auf die „Konservative Revolution“ der 20er Jahre, die sich damals bekanntlich weitgehend gegen die Demokratisierung des politischen und gesellschaftlichen Lebens aussprach und darüber hinaus ideologische Vorarbeiten für den Faschismus leistete. Die Kritik der JF an den gegenwärtigen Verhältnissen greift immer dann, wenn es um das Grundsätzliche geht (z.B. in der Debatte um die „Leitkultur“) auf  das Argumentationsarsenal dieser „Konservativen Revolution“ zurück. Insofern kann man den Ort der JF im politischen Spektrum der „Berliner Republik“ als den einer ideologischen „Grenzgängerin“ bezeichnen.

Erfolg in Grenzen

Es versteht sich von selbst, dass eine solche Positionierung auf erheblichen Widerstand in der demokratischen Öffentlichkeit und z.T. auch von Seiten der Verfassungsorgane stoßen musste. Sie hat ihn durch die eben charakterisierte Strategie, anschlussfähig zu bleiben im tagespolitischen Geschäft und gleichzeitig den Sagbarkeitshorizont der „Konservativen Revolution“ für sich zu reklamieren, sowohl provoziert als auch zu unterlaufen versucht und dabei meines Erachtens durchaus Erfolge erzielt. Die Liste der renommierten Politiker besonders aus den Reihen der CSU und FDP,  die sich als Interviewpartner der JF zur Verfügung gestellt haben, deutet auf  einen wachsenden Akzeptanzgewinn hin, der offensichtlich damit zu tun hat, dass besagte Politiker eine Menge Gemeinsamkeiten mit der JF in „praktischen Fragen“ (Weißmann) glauben entdecken zu können. Man mag dies mit Hans-Dietrich Sander als „MUTisierungsprozess“ (nach dem Vorbild der ehemals NPD-nahen, heute wertkonservativ ausgerichteten Zeitschrift MUT) beklagen; man kann umgekehrt den „Extremismus der Mitte“ ein weiteres Mal hervorheben.

Unabhängig aber von diesen unterschiedlichen Sichtweisen wird der Erfolg gerade dadurch relativiert, dass sich die JF – immer unter der Voraussetzung, dass sie sich weiterhin in die Tradition der „Konservativen Revolution“ stellen will – auf der besagten Grenzlinie des Verfassungsbogens halten muss. Sie muss sich als vom Verfassungsschutz und der antifaschistischen Linken Verfolgte und als Vorkämpferin der „Freiheit“ darstellen können, um die nötigen Solidaritätsprozesse sowohl von rechtsaußen als auch aus dem konservativen und nationalliberalen Lager provozieren zu können. Eine klare politische Entscheidung für eine demokratische Position würde ihr ebenso die „Luft“ zum Überleben nehmen wie umgekehrt eine Entscheidung für den Kampf gegen das „System“. In beiden Fällen würde die JF auf erdrückende Konkurrenz stoßen. Folglich sind den Entwicklungsperspektiven der JF enge Grenzen gesetzt, es sei denn, die politischen Verhältnisse veränderten sich erheblich, was auf absehbare Zeit nur dann zu erwarten ist, wenn insbesondere die Erosion des konservativen Lagers in einem relevanten Ausmaß fortschreitet (Schill-Effekt).

Hoffnung auf bessere Zeiten

Einstweilen muss man sich mit „kleinen Brötchen“ begnügen. Karlheinz Weißmann, dessen Beiträge für den Kurs der JF durchaus maßgeblich sind (Chefredakteur Dieter Stein ist zwar ein durchsetzungsfähiger Organisator, aber kein konzeptiver Ideologe: dazu fehlen ihm, schlicht und ergreifend, die nötigen Kenntnisse), hat von einem „bunten Haufen“ gesprochen, auf den sich eine „konstitutionelle Rechte“ stützen könnte: traditionelle Katholiken und Nationalprotestanten, konservative Ökologen, Rechtsliberale und Undogmatische. In Bezug auf diesen „Haufen“ sieht er die Möglichkeit, einen Konsens in tagespolitischen Fragen  zu organisieren, dessen Inhalte durch die vorhin angesprochenen Elemente zu umreißen wäre. Als ein Mittel, um einen solchen Konsens immer wieder aufs Neue herzustellen und offensiv in den mediopolitischen Diskurs einzuspeisen, kann man zweifellos die JF ansehen. Es muss freilich nicht, wie angedeutet, bei diesem „bunten Haufen“ bleiben, und auch die Tagespolitik hat ihre Grenzen. Die derzeitige Krise der Union, in der es nach „verbrannte(r) Erde“ (Michael Inacker, FAZ-Sonntagszeitung v. 4.11.01) riecht, produziert das Bedürfnis nach einer ideologischen Aufrüstung des Konservatismus, ob in oder außerhalb der Unionsparteien. Auf diesem weiten Feld wird sich die JF mit Sicherheit tummeln und ihre Chance suchen, etwa im Verbund mit anderen jung- und nationalkonservativen Einrichtungen wie dem „Studienzentrum Weikersheim“, dem „Institut für Staatspolitik“ oder dem „Deutschland-Magazin“. Die Renaissance der „Konservativen Revolution“ hat möglicherweise erst begonnen.