4.     Synoptische Analyse

4.0         Vorbemerkung

Wir haben es hier zugleich mit 22 verschiedenen Interviews zu tun, nicht mit einem in sich geschlossenen Text, wie ihn cum grano salis jedes einzelne Interview für sich darstellt. Das erfordert, Gemeinsamkeiten und Trends und, soweit möglich, auch Unterschiede festzustellen etc.

Der erste Teil der folgenden Querschnittsanalyse konzentriert sich auf die Qualität der Ansichten und Einstellungen, die in den Interviews geäußert wurden, also auf das Was und Wie.

Der zweite, sehr viel knappere Teil bemüht sich darum, soziale Differenzie­rungen zu ermitteln, die Affinität bestimmter sozialer Gegebenheiten zu rassistischen Einstellungen und Ansichten aufzuweisen. Dazu sei bereits hier gesagt, daß dabei nur sehr grobe Zuordnungen möglich sind. Das liegt nicht so sehr an der relativ geringen Zahl der untersuchten Interviews, das ist auch eine Konsequenz aus dem gewählten Untersuchungsansatz Diskur­sanalyse als primär qualitativer Analyse.

 

 

4.1         Qualitative Querschnittsanalyse

 

4.1.1        Aussagen über EinwanderInnen allgemein

4.1.1.1     Alle Aussagen

Zur Erfassung und Interpretation insbesondere rassistischer Aussagen über Einwanderer und Flüchtlinge allgemein wurden rund 30 inhaltliche Grob-Kategorien ermittelt und thematisch geordnet, wobei auch schon die Häu­figkeit ihres Auftretens festzuhalten versucht wurde. Das ist nicht immer ganz einfach, weil sich Themen überschneiden, Argumente oft in höchst verwickelter Form ineinander übergehen etc.

Die Aussagen werden nach übergreifenden Themen angeordnet, so daß die inhaltlichen Schwerpunkte der Aussagen über Einwanderer und Flücht­linge sichtbar werden. Positive Aussagen über EinwanderInnen werden hier mitberücksichtigt, später aber noch gesondert untersucht. Die folgenden Quantifizierungen können bestimmte Trends deutlich machen[1]:

a.      Aussagen, die sich auf die nationale Einwanderungspolitik beziehen

        Asyl, Asylrecht, Asylpolitik müssen überdacht werden (Asylmißbrauch) (14mal)

        Gastarbeiter: „Wir“ haben sie ja geholt etc.(5mal)

        Wahlrecht der EinwanderInnen (5mal)

        Integration ist ja möglich (5mal)

        Sie sollen abgeschoben werden (4mal)

        Hilfe zur Selbsthilfe tut not und zwar in den Ausgangsländern (2mal)

        Integration ist nicht möglich (2mal)

Tendenziell ist man der Meinung, daß nicht genug gegen den sogenannten Asylmißbrauch getan wird. Zugleich meinen viele, es werde nicht genug für eine Integration i.S. von Assimilation getan, andere, eine Integration sei überhaupt nicht möglich. Das Wahlrecht für Ausländer wird nicht als Lö­sung angesehen. Da meint man schon eher, man müsse in den Ausgangs­ländern anpacken, damit die Flucht- und Einwanderungsgründe entfallen. Bei mangelnder Anpassung empfehlen mehrere Interviewte rigoros die Ab­schiebung. Eher in Schutz genommen werden Gastarbeiter.

Das hier noch grob gezeichnete Bild zeigt, daß in der Bevölkerung durchaus unterschiedliche Optionen bestehen. Eine genauere und differenziertere Analyse kann zeigen, ob hier individuelle Unterschiede im Kleinen oder globalere Unterschiede vorliegen.[2] Auch wird nach unterschiedlichen Einwanderergruppen differenziert werden müssen. Vorherrschend ist, das wird schon jetzt sichtbar, das Unbehagen an der Asypolitik und am Asyl­mißbrauch. Hier scheinen mir die Widerklänge der Medientrommeln und des hegemonialen Politikerdiskurses am deutlichsten hörbar geworden zu sein.

b.      Aussagen, die auf soziale Probleme bezogen sind

        Bedrohungen (12mal)

        Wohnen mit EinwanderInnen, sie zerstören die Nachbarschaft (12mal)

        Belästigungen (10mal)

        Kriminalität (10mal)

        Wohnungsnot durch Ausländer (8mal)

        EG-Markt und Nachteile für „uns“ (8mal)

        Ghettobildungen (7mal)

        Beziehungsprobleme/Liebe (4mal)

        Voraussetzung für gute Zusammenarbeit: Qualifikation und Lei­stung (2mal)

        Verursachung von Ausländerfeindlichkeit (2mal)

        Wohn- und sozale Probleme von EinwanderInnen (2mal)

        Man kommt mit ihnen zurecht (1mal)

        Sie benutzen die Spielplätze unserer Kinder und vertreiben sie (1mal)

Belästigungen, Bedrohungen, Kriminalität wird am stärksten mit der An­wesenheit von EinwanderInnen assoziiert. Auch Wohnungsnot und Zerstö­rung der Nachbarschaften tangieren die Gemüter.

c.       Aussagen, bezogen auf Arbeit und Beschäftigung/Arbeitslosigkeit

        Arbeit (11mal)

        sie verschärfen die Arbeitslosigkeit (8mal)

        gute Kooperation am Arbeitsplatz (4mal)

        ihre Ernährung reicht nicht für Schwerstarbeit; ihre Sitten und Ge­bräuche und ihre andere Mentalität stören bei der Arbeit (3mal)

        sie sind gute Arbeiter (1mal)

        es gibt schon mal Probleme (wie mit Deutschen) (1mal)

        ihnen wird schlechtere Arbeit zugewiesen (1mal)

        sie müssen härter arbeiten als Deutsche (1mal)

        Gastarbeiter verursachen einen hohen Ausländeranteil (1mal)

        sie werden nicht für voll genommen (1mal)

        sie haben einen Anspruch auf einen Arbeitsplatz (1mal)

        sie erhalten einen Arbeitsplatz, wenn sie sich darum bemühen (1mal)

        »Asylanten« können froh sein, wenn sie arbeiten dürfen (1mal)

        sie zahlen in die Rentenversicherung ein (1mal)

Die Aussagen zu EinwanderInnen am Arbeitsplatz beziehen sich in erster Linie auf Gastarbeiter, mit denen direkt vor Ort viele gute Erfahrunhgen gemacht werden. Erst wenn die Interviewten von dieser unmittelbaren Si­tuation abstrahieren, erwacht ihre Skepsis: dann verursachen sie Arbeitslo­sigkeit, einen hohen Ausländeranteil etc. Der Unterschied zwischen Begeg­nungen am Arbeitsplatz und beim Wohnen, mit EinwanderInnen allgemein wird deutlich markiert, wenn ein Interviewter z.B. sagt: „Wo dat arbeits­mäßig war, ja ganz bestimmt, nä!? (Da bin ich gut mit den Ausländern aus­gekommen.) (3/182-186) Vgl. auch 18/117ff.

d.      Aussagen, die auf Rechte und Pflichten der EinwanderInnen bezogen sind

        Sie wollen den gleichen Lebensstandard wie wir (DDR-BürgerInnen, Flüchtlinge, („Asylanten“) (8mal)

        Sie leben von Sozialhife, höhlen das soziale System aus (5mal)

        Sie stellen riesige Ansprüche und sind auch noch unzufrieden (5mal)

        Sie belasten die Staatskasse, ohne selbst zu ihr etwas beizutra­gen (4mal)

        Für sie wird (zu) viel getan (3mal)

        Sie denken, unser Land wäre ein soziales Paradies (3mal)

        Sie wollen nur Rechte, aber keine Pflichten (2mal)

        Sie versuchen ohne Gegenleistung an unserem Wohlstand zu partizi­pieren (2mal)

        Wenn sie arbeiten, haben sie auch Anspruch auf Hilfe (2mal)

        Sie wollen Bares und sind nicht mit Naturalien o.Ä. zufrieden (1mal)

        Sie beziehen zu Unrecht Sozialhilfe (1mal)

        Sie mißbrauchen unsere Gesetze (1mal)

        Sie kassieren zu viel Kindergeld (1mal)

        Sie wollen hier reich werden (1mal)

        Sie nehmen uns den Wohlstand weg (1mal)

        Sie wollen nur abschöpfen (1mal)

        Sie schicken das verdiente Geld nach Hause (1mal)

        Wir können nicht allen helfen (1mal)

        Sie erhalten schon nach kurzer Arbeitszeit Arbeitslosenhilfe (1mal)

        Wenn sie nicht arbeiten, können sie auch keine Ansprüche anmelden (1mal)

        Sie erhalten billige Wohnungen (1mal)

        Sie verursachen Wohnungsnot und Teuerung bei uns (1mal)

        Wir zahlen ihretwegen zu hohe Steuern (1mal)

        Gastarbeiter haben ein Recht, hier zu wohnen (1mal)

Die Angst vor sozialen Einbußen ist sehr verbreitet und bezieht sich auf eine breite Palette von Themen. Zu beachten ist, daß Gastarbeiter stärker respektiert sind als alle anderen EinwanderInnen und Flüchtlinge. Ferner: Asylbewerber (»Asylanten«) und Einwanderer aus der DDR bzw. „Ostdeutsche“ werden oft über den gleichen Kamm geschoren. Die Kritik richtet sich gegen die »Absahner«. Gleichwohl herrscht die Volksweisheit: Wer arbeitet, darf auch essen (und umgekehrt: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen).[3]

e.      Aussagen, die auf Normen und kulturelle Unterschiede bezogen sind:

        Sie haben andere Sitten und Gebräuche generell (18mal)

        Sie behandeln ihre Frauen schlecht  (11mal)

        Sie sprechen nicht oder schlecht Deutsch, sie sollen Deutsch lernen (9mal)

        sie sollen sich gefälligst anpassen/assimilieren (9mal)

        Sie stellen durch ihre Sitten und Gebräuche (Essen, Musik) eine Berei­cherung dar (5mal)

Der Tenor geht in Richtung Anpassungsforderung, wobei zugleich vielfach Skepsis herrscht, ob eine Anpassung überhaupt möglich ist. Als wichtige Voraussetzung wird das Erlernen der deutschen Sprache angesehen und ein Verzicht auf die eigenen Sitten, Gebräuche, Normen, Verhaltensweisen. Demgegenüber wird nur ihre Küche als Bereicherung angesehen.

f.       Aussagen, die auf Erziehung und Schule bezogen sind:

        Schule (6mal)

        Jugend (4mal)

Solche Aussagen sind in unseren Interviews nicht so häufig, was daran liegt, daß die Interviewten nur in wenigen Fällen schulpflichtige Kinder ha­ben.

g.      Sie sind einfach anders

        Hautfarbe, Aussehen, genetische Eigenarten (15mal)

Hier handelt es sich um negativ besetzte genetische Aussagen pur.

 

Die Grundstruktur des Feindbildes EinwandererInnen ist die fol­gen­de:[4]

EinwanderInnen

        sind anders bezüglich Aussehen, Mentalität, Kultur und Normen

        sie passen sich nicht an

        sie sind in negative Handlungen (Belästigungen, Verbrechen, Krimina­lität) verwickelt

        sie bedrohen unsere ökonomischen Interessen

Beim überwiegenden Teil der Aussagen über die Andersartigkeit der Ande­ren gehen negative Wertungen in sie ein. Da dies aus der Position der Macht der Deutschen Mehrheit heraus geschieht, treffen die zentralen Merkmale rassistischer Haltungen hier zu.

 

4.1.1.2     Positive Aussagen über EinwanderInnen

Diese Einschätzung wird auch nicht durch die positiven Aussagen über EinwanderInnen konterkariert.

In fast allen Interviews (21 von 22) finden sich Aussagen über Einwan­derInnen, die auf den ersten Blick positiv wirken.

Sie dienen in der Regel jedoch der Verschleierung der eigenen Position, stel­len also im Grunde nur eine Argumentationsstrategie dar. Wenn man sie im Aussagekontext betrachtet, verlieren sie ohne Ausnahme ihre positive Qua­lität. (vgl. weiter unten auch die Analyse der Argumente und der Strategien der Äußerung rassistischer Aussagen).

Ich stelle hierfür nur einige etwas ausführlichere Beispiele aus Interview Nr. 1 dar, weil keinerlei Variationsbreite gegeben ist:

Nein, ich muß sogar sagen, ich hab eher positive, eh, Erfahrungen gemacht, also mir ist nie etwas Negatives in dieser Richtung begegnet oder aufgefallen, .., kann ich eigentlich von mir selber nicht sagen, daß ich da irgendwelche Ne­gativ- eh- erfahrungen gemacht habe. Im Gegenteil, von den Leuten, von denen ich sprach, wo ich halt nicht so gerne wohnen möchte, kann ich also nicht ir­gendwelche Sachen erzählen, die mir, eh, unangenehm aufgefallen sind, oder die mich belästigt hätten, oder, .. in irgendeiner Weise .., negativ, eh, Einflüsse auf mich haben aus - eh .. , wie soll ich mich jetzt ausdrücken, also, die mich irgendwie, eh, .. beeinflußt hätten, seitens der Aussiedler oder der Asylanten, damit habe ich weniger zu tun oder kenne ich auch weniger, .., aber von den Ausländern selber, da kann ich nicht sagen, daß ich da irgendwie belästigt wurde, oder Beschimpfungen oder dergleichen, das kann ich halt nicht sagen; im Gegenteil., die Kinder sprechen, - von den Kindern wird man oft freundlich angesprochen, wenn man ihnen freundlich begegnet,(...), da muß ich also sa­gen, daß ich da nicht irgendwelche Sachen erzählen könnte, die eh, ein Ein­druck auf die Ausländer werfen würden. (1/140-161)

Auch vorher hatte diese 52 Jahre alte Frau, eine zur Zeit arbeitslose kauf­männische Angestellte, betont, daß sie in den Läden der EinwandererInnen freundlich behandelt worden sei. (1/76-73) Solche positiven Aussagen aber sind eingekreist von manifest negativen Aussagen. Zeile 5o hatte sie noch vom Türkenghetto gesprochen, neben dem sich ein deutsches herausgebildet habe; darauf betont sie die Freundlichkeit, mit der sie im Türkenghetto be­dient werde, worauf wenige Zeilen später wieder massiv die fehlende Sau­berkeit, die Verwahrlosung und der fehlende Ordnungssinn der Türken an­geprangert wird, die türkischen Männer kritisiert werden, die ihren Frauen den Kontakt mit deutschen Frauen verbieten (1/98), der Niedergang der Nachbarschaft bedauert wird (1/108ff.) usw. Bald darauf folgt die oben zi­tier­te zweite lange positive Aussage (1/140-161). Auf diese folgt aber alsbald wieder mas­sive Diskriminierung:

Ich finde es nicht unbedingt toll, in einer Gegend zu wohnen, wo Ausländer sind. (1/166-167)

Aber sie betont sofort wieder, keine schlechten Erfahrungen gemacht zu ha­ben (170-176), worauf sie unmittelbar zugibt, „etwas ausländerfeindlich“ zu wirken. (1/177)

Dieses Hin und Her der Argumentation könnte auch den Eindruck erwek­ken, daß diese Frau mit sich selbst argumentiert, in gewisser Weise hin- und hergerissen ist und um eine Antwort auf das sich ihr stellende Problem ringt. Für dieses „Ringen“ gibt es in diesem und anderen Interviews noch eine ganze Reihe weiterer Belege. Michael Billig interpretiert Argumenta­tionsformen dieser Art in dieser Weise, als Ringen, als Argumentation des Selbst mit dem Selbst. (Vgl Billig 1991a und b) Dies kann m.E. nicht restlos ausgeschlossen werden, und hier ergäben sich, wenn dies zuträfe, auch gün­stige Möglichkeiten, das Bemühen z.B. dieser Frau durch rationale Argu­mentation positiv zu beeinflussen.

Andererseits ist aber festzuhalten, daß diese Frau vor dem/der anderen trotz ihrer zugegebenen Ausländerfeindlichkeit ein positives Selbstbild zu zeichnen bemüht ist.[5] Entscheidend scheint mir zunächst auch zu sein, welche Seite der Argumentation überwiegt. Bei der hier interviewten Frau dominieren die rassistischen Einstellungen ganz stark, so daß die positiven Aussagen offenbar eher eine Alibifunktion haben. Denn hier liegt nur eine Form beliebter Argumentationsstrategien vor. (Siehe dort!)

So kann man auch Kebab und ausländische Gastronomie loben und als Be­reicherung ansehen(2/338ff.), andererseits aber im gleichen Atemzug die „schlim­men Wellen“ von „Asylanten“ beschwören, die uns bedrohen. (2/377) So kann man behaupten, daß Ausländer einen nicht stören (13/702), und zugleich billigend ihre Abschiebung bei geringstem Fehlverhalten in Kauf nehmen. (z.B. 13/713-715)

Vergleichbare Strategien und Argumentationsformen in Verbindung mit Positivaussagen zeigen sich in (fast) allen anderen Interviews, worauf spä­ter noch genauer einzugehen sein wird.

Positive Aussagen, die nicht von negativen begleitet oder gar konterkariert werden, fanden sich nur in einem einzigen Interview, dem mit einer seit mehr als 30 Jahren in Deutschland lebenden Italienerin in einem Wohn­viertel ohne EinwanderInnen (Int. 22).

 

4.1.1.3     Unterschiede in der Bewertung unterschiedlicher Typen von „Fremden“

„Fremde“ - und ich verwende diesen Terminus hier bewußt, weil auch Deut­sche aus anderen Ländern und Ex-DDR-Deutsche von vielen Deutschen als „fremd“ empfunden und als „Fremde“ behandelt werden - werden in unse­ren Interviews mit einer breiten Palette von Bezeichnungen bedacht, neben den vielen Nationalitätenbezeichnungen (s.d.). Es ist bereits deutlich ge­worden, daß sogenannte Gastarbeiter in der Wertschätzung der Deutschen deutlich besser wegkommen als andere Einwanderer.

Es soll im folgenden nun systematisch überprüft werden, ob mit diesen un­terschiedlichen Bezeichnungen auch unterschiedliche Bewertungen einher­gehen bzw. ob sie in verschiedener Weise rassistischen Einstellungen aus­gesetzt sind.[6]

In den Interviews werden folgende Termini verwendet:[7]

in       16 Interviews DDR-Deutsche, DDR-Bürger u.ä.

in       16 Interviews Übersiedler, Umsiedler, Aussiedler, Spätaussiedler, Ost­deutsche, Wolgadeutsche

in       10 Interviews Asylanten

in       4 Interviews Wirtschaftsflüchtlinge

in       3 Interviews Gastarbeiter

in       3 Interviews Flüchtlinge

 

4.1.1.3.1  Ex-DDR-Deutsche bzw. ehemalige DDR-BürgerInnen

Aber ich seh die DDR-Leute schon als, als Deutsche an irgendwo, weil halt eben der Sprachgebrauch da is.“ (9/384f.)

Die Menschen aus der ehemaligen DDR stoßen häufig auf harte Ablehnung. Die Kritik an ihnen ist derjenigen an Asylsuchenden in vielen Punkten sehr ähnlich. DDR-BürgerInnen bedrohen unseren Wohlstand, sie haben andere Sitten und Gebräuche, sie stellen ungerechtfertigte Anforderungen etc. etc. Diese Ablehnung der „Anderen“ erfolgt durchaus aus der Position der Macht heraus, die durch die Zugehörigkeit zur westdeutschen Mehrheit gegeben ist. Die Einstellung unserer Interviewten gegenüber den DDR-Bürgern kann dennoch nicht in jedem Fall als rassistisch bezeichnet werden, weil die DDR-Bürger im Unterschied zu anderen „Fremden“ „deutsch“ sind, d.h. z.B. nicht dem Ausländerrecht unterworfen sind etc., weil sie deutsch sprechen und weil sie, wie es heißt, „deutschstämmig“ sind.[8] Der Grad der Ableh­nung der „Ossies“ variiert jedoch erheblich, so daß es in einigen Fällen sicher­lich angebracht ist, von einem innerdeutschen (kulturellen) Rassis­mus zu sprechen. Besser finden es viele auf jeden Fall, wenn die DDR-Bür­ger zu Hause bleiben:

ja, ich mein, die Frage is, warum sie 'rüberkommen, neh, das is ja eben, weil sie hier auch Arbeitsplätze wolln, weil sie hier mehr Geld verdienen könn'n . Ehm, ich halte das für ansich für'n berechtigten Wunsch, und wenn die Mög­lichkeit besteht, dann kann ich mir schon vorstellen, daß es für viele sehr at­traktiv is, hier rüberzukommen. Nur xxx a) tun die xxx ihrem eig'nen vorheri­gen Land nichts Gutes, und das müssen sie auch sehn, wenn jetz plötzlich alle Facharbeiter hier rüberkommen, kann drüben nichts aufgebaut werden, ja, das is das eine, und das zweite is, je mehr hier rüberkommen, desto mehr wird sich unsere Situation verschlechtern, und da werden sie auch wieder betroffen sein. Und ich denke, wenn man die zwei Sachen sich vor Augen führt, dann ehm, xxx isses schon besser, find'ich, wenn sie dableiben, ja. (10/604-615)

Beklagt wird insbesondere, daß sich die zu „uns“ kommenden Ex-DDR-Bü­gerInnen zu „großartige Vorstellungen“ machen (z.B. 15/136f.) und nicht über die nötige „Arbeitsmoral“ verfügen. (4/174)

In Interview 17 werden DDR-Bürger heftigst abgelehnt (17/391-647). Sie haben nach Auffassung der Interviewten weniger Recht, „hier“ zu sein als die Gastarbeiter (Spanier, Türken, Italiener), weil sie im Unterschied zu diesen nichts „geleistet, nichts in die Rentenkasse eingezahlt haben.“ Die Gastarbeiter leisten etwas:

Im Gegensatz zu diesen Leuten, ob die jetzt aus der DDR kommen, die zähle ich genau so wie die Leute, die ehh aus der Dritten Welt dazu kommen. Denn die haben ja hier, die wollen ja nur unser Sozialsystem irgendwie aushöhlen. Die kriegen Geld vom Sozialamt, haben aber nie Geld eingezahlt. (17/391-395)

Hier begegnen wir der Grundhaltung allen „Fremden“ gegenüber, daß sie nur akzeptiert werden, wenn sie sich anpassen, und das heißt fast immer auch: wenn sie uns nicht auf der Tasche liegen. Einen Unterschied solcher Aussagen zu direkt rassistischen Haltungen kann man oft nicht mehr fest­stellen.[9]

Ideologische Vorbehalte gegenüber DDR-Bürgern, direkte antikommunisti­sche Einstellungen gegen sie finden sich in unseren Interviews kaum, außer daß gelegentlich auf die „andere Geschichte“ verwiesen wird (19/409) oder darauf,

daß mit dem Sozialismus auf die Dauer doch kein Staat zu machen ist. (4/372f.)

 

4.1.1.3.2  Übersiedler, Aussiedler, Ostdeutsche etc.

Zwischen ehemaligen DDR-Bürgern, Aussiedlern, Übersiedlern, Ostdeut­schen wird nicht immer genau unterschieden:

Das hatte ich, das Gefühl (der Bedrohung) bei den Übersiedlern, diesen Ost­deutschen und Polnischen (...) die wurden ja ganz, ganz groß bevorzugt, ne? (9/373-376)

Die Ablehnung solcher Menschen erscheint den meisten Interviewten noch berechtigter als die der ehemaligen DDR-BürgerInnen, wenn sie nicht oder kaum über deutsche Sprachkenntnisse verfügen.

Ja, der Unterschied is nun mal gegeben. Wenn se deutsch sprechen können. Die kommen ja jetz von Rußland und von Polen. Die könn ja auch kein Deutsch sprechen! Die sprechen Polnisch, die sprechen vielleicht noch ein bis­sel Russisch. Die wolln aber die deutsche Identität. (3/946-949)

Noch wichtiger ist aber auch hier, daß sie sich anpassen und Leistung brin­gen:

Un vor allen Dingen, se müssen sich hier, wenn se hier arbeiten wollen, müs­sen se sich ja einrichten, dann müssen se den Posten ja machen, den se zuge­wiesen kriegen, ne? (3/956-959)

Im Grunde werden Übersiedler etc. als „Ausländer“ angesehen:

…kann man ziemlich leicht reden von Integration der Ausländer und sonsti­ger Übersiedler. (12/10-11)

Ein Spätaussiedler aus Polen wird so eingeschätzt:

Einer, der is mehr Pole als Deutscher. (9/203)

 

4.1.1.3.3  „Asylanten“ als Wirtschaftsflüchtlinge und als      „Absahner“

Das Wort „Asylanten“ wird oft umstandslos mit der Notwendigkeit assozi­iert, die damit bezeichneten Menschen abzuschieben:

Asylanten, die man ja doch am liebsten abschieben möchte. (1/132-133)

Sie werden schnell als „schlimme und bedrohliche Fluten, die über uns her­einbrechen“ und als „Wirtschaftsflüchtlinge“ vorgestellt, die normalerweise politisch nicht verfolgt sind:

da bewegen sich natürlich schlimme, eh, Wellen auch, eh, von Flüchtlingen, Asylanten. Ich sag au ma ganz ungeschützt Wirtschaftsflüchtlinge, auf uns zu. Ich sag dat jetz ma so, eh, ma ins Unreine gesprochen. Sicher auch Fälle echter politischer Verfolgung... (2/377-381)

Daneben gibt es auch „echte Asylanten“ (2/386 und 405), die klar von „Wirtschaftsflüchtlingen“ (2/406) abgegrenzt werden. Die „Wirtschafts­flücht­linge“ stellen die große Masse der „Asylanten“: „2/3 Wirt­schafts­flücht­linge“, „da müssen wir (...) ne Riegel vorschieben“. (17/420-422)

Aber wie soll man wissen, wer „echt“ und wer „unecht“ ist?

Aber dat kann man ja gar nich mehr überprüfen, wenn welche vom Libanon kommen und von wo die herkommen. Wie will man denn da überprüfen, ob der wirklich politisch verfolgt is oder ob der nur hierhergekommen is, um zu arbeiten und Geld zu verdienen, wo der dann in einigen Jahren wieder zu­rückgeht. (3/432-436).

Die Nichtüberprüfbarkeit ist manchen ein Dorn im Auge ( vgl. auch 17/374 ff.).

Der sogenannte „Asylmißbrauch“ wird denn auch als eines der größten innen­politischen Probleme der BRD angesehen (6/395-397), zumal sich die­je­­nigen, die kommen, „hier den Himmel erhoffen“ (6/412) und „uns“ die Woh­nungen wegnehmen, indem „unsere“ Häuser (6/420f.) von ganzen „Asylan­ten­familien“ belegt werden (6/4219). Da bringt „unsereins“ dann schon Verständnis auf, wenn „unsere Leute auf die Barrikaden ge­hen“(6/422). Das ist der Grund, daß „Rassenhaß“ entsteht (6/427), zumal die „Asylleute“ „immer mehr, immer mehr“ werden (6/429). Auch „Abschieben“ nützt wenig, denn sie „kommen ja doch wieder“ (6/435). Abschieben in die DDR wird als unvernünftig angesehen, denn „die sind (...) zwei Wochen spä­ter wieder da“ (6/455). Das wird als „unverantwortlich“ angesehen diesen Leuten gegenüber, die

sich eben darauf verlassen, auf unseren Sozialstaat hier und dann irgendwo durchfallen, durch die Maschen ne, das find ich ziemlich traurig. (6/450-452)

Da schwingt Hilflosigkeit mit, man weiß „auch keine Lösung“: kein Wunder, da das „Problem“ von den Medien und den Politikern unglaublich aufge­bauscht ist. (Der Interviewte sieht Stern-Tv und liest NRZ und BILD.)

Prototypen der „Asylanten“ sind Cinti und Roma, die betteln, in den Aschenkübeln herumwühlen und „nicht alles essen“, denn sie „sind ja Aus­länder“ (13/673-682).

Besonders mit „Asylanten“ wird Kriminalität assoziiert:

Asylanten? Nee, ist ja egal, weiß ich auch nicht. Ja bei der G., ist auch wieder eingebrochen worden, ich glaube, daß das dann auch verstärkt zunimmt. (15/214-216)

Das vermutet diese Frau, obwohl sie nichts davon weiß, daß Asylsuchende in der Nähe untergebracht sind. Aber die Vorstellung „Asylanten“ reicht aus, um sie an Einbrüche und Diebstahl denken zu lassen.

Die Städte sind mit solchen „Asylanten“ „überfüllt“ (17/382). Diese kommen  „von irgendwelchen Inseln da und meinen, die können nur ihr Heil hier in der BR sehen“ (17/435-437), in Deutschland als „El Dorado“ (17/443f.), wo sie „Luxuswohnungen“ beanspruchen (17/450) und „Bargeld“ (17/458) und undankbar sind, wenn sie nur „Lebensmittelpakete“ bekommen (17/473). Klar: Es sind alles „Wirtschaftsflüchtlinge“, „die müssen wir hier unbedingt nicht haben.“ (17/494)

Erkennen kann man, im Unterschied zu Türken, „Asylanten“ „An der Rasse, das sieht man schon.“ (17/503) „Asylanten“ unterscheiden sich ganz klar von den „Holluckern“ (!) (17/508), „die („Asylanten“) haben doch so eine dunkle Haut und andere Augen“. (17/510) Und von diesen

…gibt es ja hunderttausend verschiedene Sorten, die wir hier mittlerweile ha­ben, nee? Alles, alles, dat kann man gut auseinanderhalten. (17/515-517).

Hier müßte die Regierung „bißchen rigoroser durchgreifen“ (17/525)

Das bewegt sich insgesamt fernab jeder Realität. Der „Asylant“, so wird hier deutlich, ist eine bloß imaginierte Schreck- und Drohgestalt, die in der Maskierung von „hunderttausend Rassen“ daherkommt. Jürgen Link be­zeichnet das Wort Asylanten zu Recht als Killwort, wie die hier analysierten Äußerungen zeigen. Offenbar ist dieses Wort geeignet, Bilder im Bewußt­sein der Menschen wachzurufen, die absolut negativ besetzt sind und ex­treme Bedrohungsgefühle auslösen. (Vgl. Link 1983b)

 

4.1.1.4     Zusammenfassung

Die Abstufung der Wertschätzung von Menschen, die aus anderen Ländern kommen, steht in engem Zusammenhang mit den „sozialen Kosten“, die sie verursachen bzw. nicht verursachen. Gastarbeiter sind am ehesten gelitten, denn sie arbeiten und zahlen Steuern wie „wir“. Kritik an den Gastarbei­tern beschränkt sich denn auch, und eher am Rande, auf Wohnprobleme und Arbeitsprobleme bzw. den Arbeitsmarkt; gelegentlich wird auch noch beklagt, daß sie so viele Kinder haben und zuviel Kindergeld beanspruchen. Entsprechend sind solche Personengruppen, die nicht arbeiten (dürfen) und von Sozialhilfe leben, der allerheftigsten Ablehnung unterworfen. Sie schma­rotzen an unserem Wohlstand. Auch Umsiedler, Übersiedler und Aus­siedler werden unter dem Gesichtspunkt abgelehnt, daß sie auf „unsere“ Kosten leben. Ja, auch DDR-BürgerInnen, die sich hier „das Paradies erhof­fen“ und danach streben, möglichst schnell „unseren“ Lebensstandard zu erreichen, werden heftig kritisiert und abgelehnt. Die Legitimierung dieser Ablehnung kreist um das Kostenproblem, wobei die Interviewten sich einer großen Palette teils heterogenster Begründungen bedienen. Der Kern der Sache liegt aber darin, daß die „Fremden“ mit „uns“ um den Wohlstand konkurrieren, „unseren“ Wohlstand zu schmälern drohen. Allgemeiner: Aufgewachsen in einer Konkurrenzgesellschaft, in der der Kampf um einen Platz an der Sonne in Schule, Betrieb und im Privatleben zum „täglichen Brot“ gehört und in der Leistung und Disziplin die obersten Tugenden dar­stellen, bekämpfen viele Deutsche die Mitkonkurrenten und lehnen sie ab. Die Gründe dafür glauben sie dann am anderen, von „der Norm(alität)“ ab­weichenden Verhalten der Einwanderer und Flüchtlinge festmachen zu können.  Bei der Forderung nach Anpassung hebt sich der graduelle Unter­schied, den die Interviewten zwischen Flüchtlingen und Einwanderern ma­chen, auf: Wenn sie sich uns anpassen, sich assimilieren und genau so wer­den wie wir und sich entsprechend „deutsch“ verhalten, kann man sie eher akzeptieren. Sie profitieren von dieser Gesellschaft ebenso wie wir und übernehmen die gleichen Pflichten. Alle die das nicht wollen oder können, werden ausgegrenzt. Sie sollten am besten „abgeschoben“ werden. Dies scheint mir die allgemeine Hintergrundfolie zu sein, um die sich die ideo­lo­gischen Begründungen der Ablehnung der Anderen ranken, der Boden, auf dem Rassismus und Diskriminierung gedeihen können.[10]

 

4.1.2        Genetischer und kultureller Rassismus: Eine falsche Unter­scheidung?

Stuart Hall unterscheidet sehr klar zwischen genetischem und kulturellem Rassismus. Darüber hinaus stellt er fest, daß der genetische Rassismus allmählich von einem kulturellen abgelöst werde, als Folge davon, daß der Begriff der biologisch bestimmten „Rasse“ heute zunehmend als nicht mehr zu halten angesehen werde. (Hall 1989, S. 917)

Etienne Balibar unterscheidet zwar auch zwischen genetischem und kul­turellem bzw., wie er zu sagen vorzieht, differentialistischem Rassismus; aber er meint ferner, daß für viele Menschen „auch die Kultur durchaus als eine solche Natur fungieren“ kann, „ganz besonders als eine Art und Weise, Individuen und Gruppen a priori in eine Ursprungsgeschichte, eine Ge­nealogie einzuschließen, in ein unveränderliches und unberührbares Be­stimmtsein durch den Ursprung.“ (Balibar 1990, S. 30) Balibar konstatiert somit ähnlich Roland Barthes[11] eine Naturalisierung des Kulturellen, des Sozialen, der Geschichte, wodurch diese sozusagen stillgestellt und jeg­lichem Versuch einer Veränderung entzogen sei. Zugleich sieht auch er ei­nen „Rassismus ohne Rassen“ aufkommen, „dessen vorherrschendes Thema nicht mehr die biologische Vererbung, sondern die Unaufhebbarkeit der kul­turellen Differenzen ist.“ (Balibar 1990, S. 28)

Nora Räthzel und Annita Kalpaka unterscheiden kulturellen Rassismus und Ethnozentrismus. (Kalpaka/Räthzel 1990, S. 17f.) Ethnozentrismus liege dann vor, wenn die „den Anderen“ unterstellten Eigenschaften nicht naturalisiert, sondern als veränderbar angesehen werden. Auch in der For­derung nach Anpassung zeige sich in der Regel Ethnozentrismus, da die Anpassungsforderung die Möglichkeit der Veränderung logisch beeinhalte. Kalpaka/Räthzel konstatieren diesen Unterschied, meinen auch, daß dieser im Alltag zwar fließend sei, daß an ihm aus analytischen und politischen Gründen aber dennoch festzuhalten sei.[12]

Dagegen entscheidet sich Teun A. van Dijk dafür, nachdem auch er zunächst zwischen Rassismus und, wie er sagt, Ethnizismus, unterschieden hat, wobei er unter letzterem die Diskriminierung mittels ethnischer und kultureller Differenzen versteht, auch den Ethnizismus unter Rassismus zu subsumieren. (van Dijk 1987, S. 28)

Für die Praxis der Diskriminierung und Ausgrenzung ist diese Unterschei­dung denn auch irrelevant. Wenn z.B. unsere Interviewten Anpassung for­dern, kann dies durchaus mit der Unterstellung einhergehen, daß diese gar nicht möglich ist. Das Alltagsdenken ist eben keineswegs widerspruchsfrei.

Das Auftreten von genetischem und kulturellem Rassismus bzw. Rassismus und Ethnozentrismus, wie diese bei den genannten Autoren und Autorinnen definiert worden sind, das ist wohl eines der interessantesten Ergebnisse unserer Analyse des Alltagsdiskurses, ist zwar auch bei unseren Interviews zu beobachten; diese beiden Rassismen tauchen hier aber eigenartig ver­schlungen und vermengt auf. Das läßt mich zu dem Schluß kommen, daß die bei Balibar, Hall, Kalpaka/Räthzel und van Dijk vorgenommene Tren­nung zumindest für den Alltagsdiskurs auch theoretisch nicht zu halten ist. Diese Unterscheidung ist, so meine These, schon allein deshalb schief oder auch ganz falsch, weil für die meisten Menschen in unserer Gesell­schaft das Soziale ohnedies naturalisiert ist und insofern alles So­ziale und Kulturelle biologistisch-natürlich gesehen wird (z.B. der Staat als organisch). Selbst wahrgenommene Veränderungen werden eher im Sinne natürlich-biologischer Entwicklungen interpretiert als als Ergebnis menschlicher Tätigkeit. Ob dies für den Mediendiskurs und für die ver­schiedenen Spezialdiskurse anders ist, müßte allerdings noch genauer un­tersucht werden. Stichproben zeigen, daß z.B. im biologischen Diskurs der Wissenschaft der Versuch gemacht wird, klarer zu trennen.[13]

Die Behauptung zudem, daß heute ein offen genetisch-biologistischer Ras­sismus zugunsten eines kulturalistischen Rassismus aufgegeben werde, wie dies Stuart Hall annimmt, muß auf der Grundlage unseres Materials eben­falls bezweifelt werden.

Biologistische Markierungen von EinwanderInnen spielen nach wie vor eine große Rolle - nicht nur im Alltagsdiskurs.[14] Ein Blick in rassistisch argu­mentierende Medien, besonders auch die Betrachtung der dabei verwende­ten Fotos, zeigt, daß auch heute noch auf das andere Aussehen der Einwan­derInnen und Flüchtlinge starker Nachdruck gelegt wird. Dieses andere Aussehen wird dann als „Ausdruck“ innerer Charaktereigenschaften ange­sehen. Dies unterstrich in aller Deutlichkeit auch die BILD-Zeitungs-Kam­pagne im Herbst und Winter 1991/92, die die Diskussion um die Änderung des Asylparagraphen begleitete. Auf spektakulären Plakaten, mit denen für eine Serie dieser neo-rassistischen Zeitung geworben wurde, tauchten vor­nehmlich schwarzhäutige Menschen auf. Auch „Der Spiegel“ operierte in diesem Zusammmenhang mit suggestiven Tiersymbolen etc. (Vgl. Spiegel-Titel vom 9.9.1991).[15]

Das heißt nun andererseits nicht, daß der dominante Rassismus rein biolo­gistisch sei. Biologistische Markierungen sind aber weiterhin höchst will­kommen als einfache Aufhänger dafür, sichtbare Unterschiede an den Kör­pern mit soziokulturellen Unterschieden in einen Topf zu werfen. Die Arti­kelserie der Bild-Zeitung lieferte dafür (besonders in den 11 Folgen, die vor den Ereignissen in Hoyerswerda im gesamten Bundesgebiet mit jeweils re­gionalspezifischen Bezügen gefahren wurden) eine überwältigende Fülle von Beispielen.[16]

Rassismus speist sich generell aus Naturalisierungen des Sozialen, wie dies ja auch die Verbindung von körperlichen Merkmalen mit bestimmten Fä­higkeiten und Eigenarten von Menschen bereits zeigt. Die Verknüpfung be­stimmter Sitten und Gebräuche, von Kultur und Geschichte allgemein, mit natürlichen Gegebenheiten stellt in gleicher Weise eine Biologisierung des Sozialen dar. Die Unterscheidung zwischen genetischem und kulturellem Rassismus erscheint mir allein deshalb, auf jeden Fall für das Auftreten von Rassismus in Alltagsdiskursen, als wenig sinnvoll. Insbesondere schiene es mir falsch, einen kulturellen Rassismus bzw. einen Ethnozenrismus als we­niger gefährliche Form der Diskriminierung von EinwanderInnen anzuse­hen, gegen die man auch leichter angehen könnte.[17]

Die Ursachen für diesen heute nicht nur im Alltagsdiskurs sehr verbreite­ten naturalisierenden Zugriff auf das Soziale herauszufinden, bedürfte einer viel gründlicheren Diskussion, als ich sie hier entwickeln kann. Hier nur ei­nige Hinweise: Moishe Postone, der einen Zusammenhang zwischen der Kapitalform und der Biologisierung des Sozialen sehen zu können glaubt, meint daß im Verlaufe der Durchsetzung kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsform „Gesellschaft wie historischer Prozeß ... zunehmend bio­logisch begriffen“ werden. Er  spricht von einer dem Warenfetisch „imma­nen­te(n) Naturalisierung“. (Postone 1991, S. 8)

Diese Biologisierung des Gesellschaftlichen hat Folgen.

Gesa Siebert-Ott sieht sie folgendermaßen: „Wenn man ... einen bestimmten (sozio-kulturellen, S.J.) Sachverhalt als natürlich im Sinne von naturgege­ben beschreibt, dann entzieht man ihn zugleich der Diskussion.“ (Siebert-Ott 1991, S.364)

Und sie führt die folgende, keineswegs kritsch gemeinte Aussage als Beleg an:

„Die unbestreitbar vorhandene Fremdenfeindlichkeit erscheint als naturge­setzlicher Vorgang, der politisch nicht beeinflußt werden kann. Eine Politik, die auf Naturgesetze und deren Wirkungen reagiert, ist unbestreitbar ver­nünftig und bedarf keiner weiteren Begründung.“

Sie schreibt dazu:

„In dem vorliegenden Zitat scheinen Konflikte zwischen Einheimischen und zugewanderten Fremden eine unausweichliche Konsequenz zu sein für ho­mogene Gemeinschaften mit zahlenmäßig starken ethnischen Minderheiten.“ (ebd. S. 364)[18]

Ich führe nun zunächst einige Beispiele aus unserem Material an, bei denen genetische Charakterisierungen von EinwanderInnen im Vordergrund zu stehen scheinen, wobei auch hier bereits auffällig ist, daß sie wenig Trenn­schärfe gegenüber kulturalistisch begründeten Diskriminierungen aufwei­sen.

Beispiele für genetischen Rassismus und für Mischformen:

„…eigentlich, vom Blut her is die die (gemeint ist seine Frau, S.J.) ja eigent­lich Französin, ne. Und, eh, von daher denk ich mir, so europäisch denk ich schon, bin ich schon ausgerichtet.“ (2/320-322). ; (50-jähriger Lehrer, der in einem Wohnviertel mit wenigen EinwanderInnen lebt und Grüne wählt, WAZ, Taz, FR, Spiegel und Zeit liest.)

Eine eher völkisch-biologistische Staatsauffassung zeigt sich auch, wenn dieser Herr sagt:

Leute „so wie ich, die dem Staat schon drei Kinder geschenkt haben“ (2/ 541f.)

Gefragt wird in einem anderen Interview nach der Haltung gegenüber Men­schen mit „anderer Hautfarbe“. Die Antwort:

Die Schwarzen, ja, wir hatten einen Schwarzen, der wa - (...) der war stellver­tretender Betriebsführer! (...) Jo, wie gesach, dat geht ja nach Leistung. Wenn der wat leistet! Wir ham dann geschimpft auf den. Da warn da bei uns da auch Obermeister, die dat auch hätten machen können. Und deer is da vorge­setzt, ne? (3/448-467) (ehemaliger Bergmann, 70 Jahre alt, SPD-Wähler)

Ein körperliches Merkmal wird genannt (Schwarzer); darauf betont der Mann, daß ihm diese Eigenschaft gleichgültig sei, solange der Betreffende die erwartete Leistung brächte; dann aber nimmt er das wieder zurück: Er kritisiert, daß dieser Mann den eigenen Leuten, die seine Arbeit auch hät­ten machen können, vorgesetzt worden sei.[19]

In demselben Interview heißt es auf die Frage, woran es liege, daß viele Men­schen in Afrika so arm seien:

Ja, ich mein, dat is ja nu ma - Dat is ja schon so lange, wie die Welt besteht. Die waren arm, und die werden von sich aus da nich mehr rauskommen. Is ja ne ganz andere Mentalität. Die sind ja nich so arbeitsfreudig wie wir, dat die dat von sich aus e bissel hochbringen. (...) wie gesach, Mentalität. Die sind ein­fach zu träge. (3/881-891)

Auf die direkt folgende Frage, woher das komme, das sei doch schwer vor­stellbar, denn diese Menschen seien doch Menschen wie wir, sagt er:

Ja sicher dat! Schon! Nur trotzdem! Dat mach vielleich an de Sonne liegen. In Spanien, die ham ja so viel Zeit. „Wat we heute nich machen, machen we mor­gen, wenn morgen nich, übermorgen.“ Die schieben dat so .. (...) Zu heiß! Ir­gendwie, ob dat auf de Birne geht, sach ich (...) (3/894-898)

Leistungsbereitschaft, Verläßlichkeit und „andere Mentalitäten“, sowie na­türliche Bedingungen, wie das Klima, bilden ein nicht zu entwirrendes Konglomerat.

Die Hautfarbe gilt vielfach als direktes Erkennungszeichen der Einwande­rInnen, der Nicht-Deutschen:

Ja, ja, allein an der Hautfarbe, an den Haaren überhaupt, da sieht man ja äußerlich so, die sehn ja ganz anders aus, sind ja viel dunkler. (5/361-364)

Diese Aussage steht allerdings in direkter Verbindung mit der Kriminalität von Tamilen und Libanesen, die stärker ausgebildet sei als bei Deutschen. Ob dies etwas mit der genetischen Andersartigkeit zu tun hat, wird hier aber nicht eigens gesagt.

Auch Hautfarbe und Religion werden auf merkwürdige Weise miteinander gekoppelt:

In einem der Interviews wird von einem Äthiopier berichtet, der eine weiße Frau geheiratet hat, die als Entwicklungshelferin tätig war. Die Familie ist zusammen mit vier schwarzen Kindern nach Deutschland gekommen. Dann heißt es:

Ich habe da keine Berührungsängste. Man muß aber jetzt unterscheiden. Zwi­schen christlichen Sitten und mohammedanischen Sitten. Ich sag, wenn einer aus dem christlichen Kulturkreis kommt, der kann sich natürlich eher mit Leuten arrangieren, als wenn er aus dem nichtchristlichen Kulturkreis kommt. Genauso wie wir. Also, ich bin der Meinung, man tut sich da leichter. Ja, das ist wahrscheinlich auch schon von vorneherein schon, ne, keine Hemmschwelle mehr in dem Sinne, ne. Zumal für mich auch die Hautfarbe nicht entscheidend ist. Ich hab mich halt für diese Leute entschieden und hab et nie bereut. Muß man dann einfach so sehen. (7/186-198) (Techniker mit Abitur, in einer Wohngegend, in der fast keine EinwanderInnen leben.)

Zunächst bezieht sich dieser Mann indirekt auf einen schwelenden (genetisch argumentierenden) rassistischen Diskurs in der Bundesrepublik; er setzt sich ab von anderen, die „Berührungsängste“ haben. Diese Bemer­kung setzt aber voraus, daß er davon ausgeht, daß es Menschen gibt, die solche Berührungsängste und Vorbehalte haben.

Dann aber folgt eine Einschränkung. Er führt ein anderes Kriterium ein: den Glauben. „Natürlich“, so sagt er, könnten sich Christen besser anpassen als Moslems. Hier ist gut zu beobachten, wie genetische Faktoren bei die­sem Menschen an Bedeutung verloren haben und diese von kulturellen Faktoren abgelöst werden - ohne daß er sich das selber so klar machen würde. Im Gegenteil: indem er einen genetisch begründeten Rassismus (implizit) kritisiert, produziert er kulturellen Rassismus.

Ähnliche Äußerungen finden sich in anderen Interviews.[20]

Häufig wird das andere Aussehen der EinwandererInnen ganz allgemein angesprochen, wobei hier zwischen den verschiedenen Gruppen differen­ziert wird. So glaubt man am Aussehen z.B. Asiaten und besonders Afrika­ner zu erkennen. (10/114-117)

Insgesamt werden solche primär genetisch bezogenen Merkmale von gut 2/3 der Interviewten angesprochen (16 mal).

Auf den ersten Blick kulturalistische Aussagen kommen nun ausnahmslos in allen Interviews vor, wobei Art und Häufigkeit natürlich verschieden sind. Aber selbst dann, wenn primär soziale und kulturelle Besonderheiten oder Eigenschaften angesprochen werden, werden Verbindungslinien zu Aussehen, biologischem Entwicklungsstand und Mentalität gezogen.

Im folgenden ein Beispiel anhand der bei EinwanderInnen angeblich häufi­ger zu beobachtenden Kriminalität:

Ja, diese ganzen Palästinenser und, und, und Türken, und es is für mich un­gefähr - die sind für mich sehr hitzig, die, die, die, die handeln sehr, wie soll ich sagen, spontan, und und sind da  etwas unüberlegt drin, ne, sind da so, sag ich mal, wie kleine Kinder noch, ne? Da wird mir zuviel noch mit Geweh­ren und Pistolen rumgeschossen, ne? Und Leute verprügeln und so, das is also Unsinn. Dat hatten wir hier gehabt und dat hat auch nich funktioniert. (9/575-579)  (31 Jahre, abgeschlossene Lehre, ohne pol. Präf., niedriger An­teil von EinwanderInnen im Wohnumfeld)

Sehr deutlich kommt in dem folgenden Beispiel zum Ausdruck, daß die Kriminalität der Mehrheit der Einwanderer (hier: Türken) als Teil ihrer Unfähigkeit, sich anzupassen, angesehen wird:

*Jaa, also bei uns inner Clique so sind auch zwei, drei Ausländer - also et gibt Ausländer, die verhalten sich echt korrekt so, die passen sich an, eben den deutschen Verhältnissen - abber - überwiegend sind da auch die Türken, die dann inne Stadt sozusagen anmachen und drekt dat Messer ziehen so  unge­fähr, hab ich auch schonn en paarma erlebt, wenn man da mit drei, vier Mädchen durche Stadt geht, dann - man sieht die Türken schonn, dann kommse direkt hinterher und hah - schuppen ein und so, also die benehm sich echt daneben, muß ich schonn sagen. Un is klar dat irgndwie eh, die Deut­schen dann auch en Haß dagegen ham - weil die sich ja nich anpassen kön­nen, wenn se sich anpassen würden, dann würd man sich auch mit denen ver­stehn. Also ich bin kein Ausländerfeind, abber ich kann dat verstehn, wenn andere Leute da en Haß drauf kriegen - so. Weil, die benehm sich ja wirklich daneben. (5/297-313)[21]

Auch daß EinwanderInnen Ghettos bilden, wird als „Natur“ begriffen:

Dat ist im Moment die Natur so, nee? (17/267)

Hier vermischen sich zeitlich-soziale Sichtweisen mit naturbezogen-unver­änderlichen.

Bei den anderen inhaltlichen Typen von Diskriminierungen von Einwande­rInnen läßt sich dieses Schwanken in ähnlicher Weise beobachten. Da das Soziale als naturgegeben angesehen wird, ist es den Menschen gar nicht möglich, genetisch argumentierende Diskriminierungen von kuturalistisch argumentierenden zu trennen. Eine Differenzierung in rassistische und ethnizistische Diskriminierungen wird damit zugleich gegenstandslos. Wenn Gesellschaft Natur ist, Geschichte nur organisches Wachstum, sind auch soziale Unterschiede zwischen Menschen natürliche Unterschiede, worüber sich weiter nicht streiten läßt. Damit erweist sich hier m.E. auch der sogenannte kulturalistische Rassismus als biologistisch verankert. Es mag sein, daß unsere Analyseergebnisse darauf hinweisen, daß gerade die Nichtunterscheidung von Genetisch-Biologischem und Kulturellem zentra­les Charakteristikum des derzeitigen rassistischen Alltagsdiskurses ist.

 

4.1.3        Deutsche Sprache bzw. Sprachprobleme

Die (deutsche) Sprache und Sprachprobleme von EinwanderInnen werden in den Interviews außerordentlich häufig angesprochen. Die Kenntnis der deutschen Sprache wird als Voraussetzung der Integration betrachtet; mangeln­de Deutschkenntnisse gelten als Legitimierung der Ausgrenzung. (Vgl. dazu auch Miles 1991, S. 148)

Sprache galt und gilt auch heute noch für viele Menschen als Ausdruck der „Rasse“ und als Grundlage der Identität einer Nation.[22]  Die Idee von der eini­genden Kraft der Sprache wurde besonders auch von rechtsextremen und rechtskonservativen Autoren wie Leo Weisgerber aufgenommen und mas­senhaft verbreitet. Gesellschaft wurde bei ihm zur „Sprachgemein­schaft“ hypostasiert.[23] Sprache als deutsche Muttersprache erzeugt da­nach gera­dezu das deutsche Volk als Nation. Der Germanist Hans F.K. Günther, auch als Rasse-Günther bekannt, meinte sogar, daß jede Rasse ihre beson­dere Sprachform ausgebildet habe.[24] Hitler dagegen meinte in „Mein Kampf“, Sprache und Rasse seien nicht miteinander ver­knüpft: Aus einem Neger oder einem Chinesen wird kein Deutscher, nur weil er Deutsch lernt, sagt er hier.[25] Bei ihm stand der platte genetische Rassismus im Vorder­grund: Das Blut, so schreibt er, lasse sich dadurch nicht umwandeln. – Sein Haß auf die Juden hätte sich über Sprache allein auch nicht recht­ferti­gen lassen, sondern nur über „Rasse“. Hitler bezeichnet die Anhänger der Ras­sen-Sprachtheorie denn auch als von gestern und als Nationalisten, die den Grundgedanken des Nationalsozialismus nicht be­griffen hätten: die zen­trale Rolle, die die „Rasse“ für das Schicksal eines Volkes spiele. Er be­mühte sich freilich zusätzlich darum, die deutsche Spra­che der Juden als völlig verdorben und „artfremd“ zu diffamieren. (ebd.)

Doch nicht nur bei den Nazis und Nationalchauvinisten der Vergangenheit war die Sprache ein wichtiger Faktor für die Ausschließung oder Einschlie­ßung von Menschen in die Nation. Wir haben es hier mit einer Vorstellung zu tun, die auch heute noch in unserer - und nicht nur in unserer - Gesell­schaft fest verankert ist.

So formulierte der Entwurf des Ausländergesetzes von Feb. 1988 bekannt­lich z.B.: „Eine fortlaufende, nur von der jeweiligen Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktlage abhängige Zuwanderung würde die Bundesrepublik tiefgreifend verändern. Sie bedeutete den Verzicht auf die Homogenität der Gesellschaft, die im wesentlichen durch die Zugehörigkeit zur deutschen Na­tion bestimmt wird. Die gesamte deutsche Geschichte, Tradition, Sprache und Kultur verlören ihre einigende und prägende Kraft.“ (Entwurf 1988, S. 23)

Man vergleiche auch die jahrzehntelange geführte Diskussion um die Tei­lung Deutschlands, die angeblich zur sprachlichen und damit nationalen Auseinanderentwicklung führen soll(te). Gleichwohl reicht es offenbar nicht, daß, wenn jemand - wie z.B. Kinder von EinwanderInnen - perfektes Deutsch spricht, ihn als Deutsche(n) zu akzeptieren, denn: „die Sprache ist es nicht allein“, sagt einer der Interviewten, „dazu gehören auch Sitten und Gebräuche ...“ Und die andere „Natur“. Umgekehrt werden aber auch solche Menschen als Deutsche akzeptiert, die gar nicht oder äußerst schlecht Deutsch sprechen, wenn sie sich ansonsten den deutschen Tugenden und Werten anpassen.

So bekommt man den Eindruck, daß viele, - nicht nur an der sog. sozialen Basis - das Verhältnis von Sprache, Rasse und Nation ziemlich verworren sehen. Eine Entwirrung ist ihnen auch nicht möglich, weil sowohl das Bio­logische als auch das Soziale unterschiedslos als natürlich angesehen wer­den.

In seinem Artikel „Die Nationform: Geschichte und Ideologie“ bemüht sich Etienne Balibar, die Funktion von „Rasse“ und Sprache bei der Herausbil­dung der, wie er sagt, „Ethnizität“ zu klären. „Die Geschichte zeigt uns“, schreibt er, „daß es zwei große konkurrierende Wege zu diesem Ziel gibt: die Sprache und die Rasse.“ (Balibar 1990, S. 119) Es handelt sich nach Balibar um „zwei Weisen ..., die historisch entstandenen Bevölkerungen in einen »natürwüchsigen« Zusammenhang einzubetten“. (ebd.) Dabei bedeutet nach Balibar „Die Produktion der Ethnizität ... auch die Rassisierung der Spra­che und die Verbalisierung der Rasse.“ (ebd. 127)

Diese Vermischung von Sprache und Rasse als Begründerinnen der Ethnizi­tät, egal ob gelegentlich einmal die Rasse oder die Sprache stärker betont wird, meine ich, ist aber deshalb so leicht möglich, weil beide darin iden­tisch sind, daß sie als „natürlich“ und ewig angesehen werden. Trotz Verba­lisierung wird „Rasse“ als naturgegeben imaginiert und kann mit dem ras­sisiert-naturalisierten Verbalen verschränkt oder sogar identifiziert werden. Auch Hitler löste das Deutsch der Juden nur von der „Rasse“ ab und diffa­mierte es als undeutsch, um die Verbindung von echter deutscher Rasse und echter deutscher Sprache nur um so fester und ursprünglicher zusam­menzurren zu können.

Robert Miles sieht die Bedeutung der Sprachen für die Bestimmung von Nationen darin, daß die übliche Enteilung in Rassen nicht ausreichte, die Abgrenzung der Nationalstaaten voneinander z.B. in Europa zu begründen. Hier mußte sozusagen ersatzweise die Sprache herhalten. (Miles 1991, S. 148f.) Deshalb, so meint er, tauchen die Sprache wie auch die Sitten und Gebräuche im engen Zusammenhang mit dem Nationalismus auf. Weil also Sprache als Kriterium der Ausgrenzung fungiere, sei bei der Diskriminie­rung der Anderen durch Sprache eher von Nationalismus zu sprechen. Diese Bestimmung ist auf der Grundlage unserer Ergebnisse für den All­tagsdiskurs so nicht haltbar.

Das Problem besteht in unterschiedlichen Legitimationsversuchen von Ein- und Ausgrenzungen. Wo direkt rassistische Argumente nicht ausreichen, werden hilfsweise linguistische herbeizitiert. Solche Legitimationsargu­mente über­schneiden sich nun teilweise: „rassistische“ Begründungen, seien sie an körperlich-natürlichen oder kulturellen Phänomenen festgemacht, überla­gern linguistische; daneben stehen linguistische Argumente zwangs­läufig außerhalb rassistischer, wenn es um die nationale Abgrenzung an­geblich „rassisch“ verwandter oder identischer Bevölkerungen geht. Das ist ohne Widersprüche und Verwirrungen nicht zu haben. Und solche Wider­sprüch­lichkeiten finden im Alltagsdiskurs auch ihren Niederschlag.

In vielen unserer Interviews gilt das Erlernen der Sprache als die wichtig­ste Voraussetzung der Integration in die Nation und als wichtigster Teil der Anpassung (z.B. 1/267-310).

Menschen aus Rußland und Polen werden erst dann als Deutsche akzep­tiert, wenn sie deutsch sprechen gelernt haben (3/948): da wird geklagt: die wollen „die deutsche Identität“, können aber kein Wort deutsch etc. Deut­sche Identität und deutsche Sprache werden als enger Zusammenhang ge­sehen.

Auf die Frage, was denn der eigentliche Unterschied zwischen Deutschen und EinwanderInnen sei, wird geantwortet:

Dat is ja vor allen Dingen is ja die Sprache. Das Schlimmste is ja die Sprache, dat ma sich nich verständigen kann. (3/332-333)

Gelobt wird ein „gebildeter“ Türke wie folgt:

Erstmal kann er sich vernünftig artikulieren, ne, und hält auch nicht so an den Sitten fest. (7/299f.)

Insbesondere an den türkischen Frauen wird kritisiert, daß sie nicht deutsch sprechen. Diese „werden ohne jegliche Deutschkenntnisse hierher­geholt“ (von ihren Männern (14/123-141).

Auch die „einfacheren“ Türken werden heftig getadelt, daß sie sich nicht die Mühe machen, deutsch zu lernen, sich aber trotzdem dreist benehmen, in­dem sie „alles anfassen“. Im Wortlaut:

Die sind schon viele Jahre hier. (...) Aber (...) die können immer noch kein Wort Deutsch. Ja, wollen die nich oder können die nich?! Irgendwat is doch, die leben hier, äh und haben doch einen Haß auf die Deutschen. Dat begreif ich nicht. Wenn ich meinetwegen auswandern will, nach Amerika und beherr­sche die Sprache doch nich, ja, da bemühe ich mich doch schon enn Jahr vor­her mindestens, daß ich die Sprache kann. Oder is dat nich, dat is natürlich, wenn einer so denkt. Die kommen aber da, die sitzen da, wie en stummen Fisch un können nix. Greifen aber überall dran und sind dreist. Dat begreif ich nich. (11/356-366)

Hier werden natürlich-biologisch determinierte Fähigkeiten, gelernte Fä­higkeiten und soziale Herkunft in zugegeben unverstandener Weise mitein­ander in Beziehung gesetzt. Die Tiermetaphorik „wie en stummen Fisch“ trägt ihr Übriges dazu bei, auch die andere biologische Qualität der - einfa­cheren(!) - Türken zu suggerieren.

Man wundert sich auch darüber, daß ein Einwandererkind perfektes Deutsch spricht, ohne daß die Eltern das könnten (8/16-22). Hier artikuliert sich eine Erfahrung, die im Gegensatz zu den Erwartungen steht. Für viele Deutsche ist die Fähigkeit, eine bestimmte Sprache zu sprechen, sogar an die Hautfarbe gebunden. Sprechen zum Beispiel schwarze Kinder Deutsch, kommt man aus den Staunen nicht mehr heraus.[26]

So ist denn auch die gemeinsame Sprache bei der Beurteilung von Ex-DDR-Bürgern besonders wichtig. Sie werden insbesondere deshalb eher akzep­tiert, weil sie ja Deutsch sprechen. Wörtlich:

Aber ich seh die DDR-Leute schon als, als Deutsche an irgendwo, weil halt eben der Sprachgebrauch da is. Un, und, und die Sprache also da is, die deut­sche auch, aber das hat nur geographisch was zu tun. (9/379-388)

Nationalität wird hier an der Sprache festgemacht und sogar mit geogra­phischen Zusammenhängen gekoppelt. Die Vorstellungen von Nation, Spra­che und Territorium gehen hier eine sehr unklare Verbindung miteinander ein.

Andererseits: Sprechen Einwanderer deutsch, wird zugleich beklagt,daß ihre Nationalität nicht mehr zu erkennen sei (10/109). Die gleiche Person berichtet wenig später, wie eine Türkin sich darüber beklagt, daß ihre Mut­ter nicht Deutsch lernen will. Sie verzichte genau so schwer auf ihre Spra­che wie auf ihre Religion (10/491-511).

Insgesamt zeigen unsere Ergebnisse, daß die Ansicht von Robert Miles, daß immer dann von Nationalismus zu sprechen sei, wenn der Faktor Sprache, Kultur, Sitte etc. als Ausgrenzungskriterium fungiere, so nicht zu halten ist. Gerade die Aussagen über den Stellenwert der deutschen Sprache zei­gen, daß auch hier rassistische und nationalistische Phänomene eine Sym­biose eingehen.

 

4.1.4        Deutsche/Deutschtum

Was dabei die Interviewten unter „Deutsch“ ganz allgemein verstehen, för­dert ein ähnliches Bild zu Tage. Ganz selbstverständlich wird von deut­scher Ab­stammung, deutschen Vorfahren und arischem Blut gesprochen. Deutsch­sein wird also mit biologischen Argumenten noch jenseits der Staatsangehörigkeit angesiedelt. Selbstverständlich fehlt auch hier die Ver­mengung mit kulturalistischen Einsprengseln nicht.

In einem der Interviews wird sogar als besonderes Charakteristikum durchaus positiv hervorgehoben, daß „der Deutsche“ einen Führer braucht etc. ( 13/1002-1014) Ob dies im „ewigen und schicksalhaften Charakter der Deutschen“ begründet ist oder ob es sich um eine sozio-kulturell bedingte Erbschaft, oder besser gesagt: Erblast handelt, bleibt offen.

Hervorgehoben wird auch der besondere Arbeitsfleiß, die Leistungsbereit­schaft der Deutschen im Unterschied zu Fremden, hier auch aus der DDR (14/1059-1061), und die deutsche Sparsamkeit (17/1350-1374). Auch deut­scher Ordnungssinn und deutsche Sauberkeit werden beschworen (ebd. 854 ff. und 424), sowie Fleiß und Zuverlässigkeit in der Arbeit und beim Lösen von Problemen (3/ 894-904). Besonders hervorgehoben wird auch die Ar­beitsfreude der Deutschen. (3/887)

Die Deutschen werden als ein bißchen fanatisch (deutsch) angesehen (3/376), sie verzichten eher auf ihre Religion als auf ihren politischen Glau­ben (an Hitler) (3/384). Dieser Fanatismus besteht auch heute noch (3/389), obwohl das Deutschtum verlorengegangen ist, was bedauert wird. An des­sen Stelle sei der Konsumrausch getreten (3/392). Eng wird das Deutschtum mit der Beherrschung der deutschen Sprache verbunden (s.o. 3/943-959). Doch die oberste deutsche Tugend scheint die Leistung zu sein (3/465 und 515-524). Wenn die Leistung bei Ausländern stimmt und sie sich brav und unauffällig verhalten, dann können sie auch schwarz sein (3/523 f.).

Zu finden sind jedoch auch gelegentlich Vorbehalte gegen die Deutschen. Nicht jede(r) ist unbedingt stolz darauf, eine Deutsche zu sein; aber die glei­che Person empfindet sich im Unterschied zu Ausländern schon als deutsch (12/331-388; vgl. auch 6/325ff.).

Auch findet sich Kritik an deutscher Seelenlosigkeit und Vereinsamung in Deutschland, an Konsumrausch etc. (19/538-581) Einer fühlt sich nur im Ausland als Deutscher wegen der Sprachbarriere (9/207-224), er lehnt na­tionale Gefühle ab (9/532-39), ebenso verbal-rassistische (9/530), wendet das aber so, daß auch die Ausländer in Deutschland ihre Sitten und Gebräuche aufgeben sollen und sich anpassen sollen (9/540ff.). Ebenso meint er, daß bestimmte Tugenden und Nationalitäten miteinander verknüpft seien. (9/618-623) Im Ausland vermißt er die deutschen Tugenden erheblich (Pünktlichkeit etc.) (9/628 ff.). Obwohl das Deutschtum kritisiert wird, wird Deutschland als Heimat und Vaterland hochgehalten (22/378-401 und 439-472) (Italienerin, die 32 Jahre in der BR Deutschland lebt und einen deut­schen Paß hat bzw. deren Tochter, die hier geboren ist).

Neben knallhart rassistischen und nationalistischen Aussagen sind somit durchaus Widersprüchlichkeiten zu beobachten, oft in derselben Person. Das angebliche laissez faire der Einwanderer wird einerseits bewundert, an­dererseits aber auch als unangenehm kritisiert. Was man sich mühselig an­dressiert hat und was einem andresssiert worden ist: die deutschen Tu­genden, wird bei den EinwanderInnen vermißt, und ihr Fehlen wird als Mangel kritisiert. Was man nicht gelernt hat und nicht darf, wird bei den­jenigen, die das für sich in Anspruch nehmen, heftig abgelehnt.[27] Indem der Andere konstruiert wird, konstruiert sich auch das Selbst und umge­kehrt. In diese Konstruktion des Selbst, die zugleich den Prozeß der „rebellieren­den Selbstunterwerfung“, wie dies Nora Räthzel formuliert hat, unter die gegebenen Herrschaftsstrukturen begleitet, fließen auch die damit verbun­denen aggressiven Momente ein, ohne die die Selbstunterwerfung, die Sus­pendierung eigener Handlungskompetenzen für die Betroffenen nicht leb­bar ist.[28] Zu diesem Syndrom haben sich Adorno u.a. hinreichend geäu­ßert, worauf ich hier nur verweisen möchte.[29]

 

4.1.5        Nationalitäten: Der „deutsche Blick“ auf andere Nationen

Der Blick richtet sich in den 22 Interviews stark auf europäische Nationa­litäten (angesprochen 149 mal), Asiaten 63, US-Amerikaner 13, Afrikaner 11, Australier 3.

Insgesamt werden 69 verschiedene Nationalitäten ange­spro­chen.

In den Interviews werden angesprochen:

Türken in 21 Interviews, DDR-Deutsche in 16, Italiener in 15, Russen in 13, Polen in 12, Spanier in 11, Engländer in 9, Franzosen in 9, Niederländer in 8, Juden in 7, Cinti und Roma in 6, Iraker in 6, Asiaten in 4, Araber in 4, sowie viele Einzelnennungen (Jugoslawen, Rumänen, Ungarn etc.).

Schwarze/Dunkelhäutige werden in 13 Interviews genannt.

Man könnte eine Landkarte des deutschen Blicks auf andere Nationen zeichnen![30] Dieser Blick ist mehr nach Osten gerichtet als nach Süden. Insbesondere „bedrohliche“ Nationalitäten (Türken, Polen, Russen, Iraker, (Ost-)Asiaten, Juden, Cinti und Roma) werden vor allem ausge­macht. Die Dritte Welt, Afrika geraten gelegentlich auch in den Blick:

da sind natürlich mit aus Ghana, Dritte Welt, Afrika un aus Ostasien und so weiter, da bewegen sich natürlich schlimme, eh, Wellen (...) auf uns zu. (2/376-379)

Insbesondere wird auch zwischen „guten“ und „weniger guten“ Nationalitä­ten unterschieden. So werden z.B. die Italiener gegen die Türken ausge­spielt, um letztere in noch dunklerem Licht erscheinen zu lassen:

Die äh Italiener waren äh ein ganz anderer Menschenschlag, sie kamen auch äh viel öfter ins Geschäft, ließen sogar selbst Anzüge (...) hier arbeiten; das is äh unter diesen Türken äh nicht mehr der Fall. (18/345-350)

Nahezu alle Angehörigen anderer Nationen werden aus deutscher Sicht be­urteilt; die Fähigkeit, andere Nationen als ebenso „normal“ anzusehen, ist nicht vorhanden bzw. sie bleibt völlig abstrakt, wenn es etwa heißt, daß dies im Grunde „ja auch Menschen“ seien. Diese Haltung könnte man als ethno­zentrisch bezeichnen; da sie aber in aller Regel mit negativen Bewertungen aus der Perspektive der Stärkeren vorgetragen wird, haben wir es auch hier mit rassistischen Haltungen zu tun.[31]

 

4.1.6        Die Juden und die Funktion des Antisemitismus

                 „Die Türken sind die Juden von Heute“

Obwohl in unseren Interviews nicht explizit darauf abgehoben wurde, also keine entsprechenden Impulse vorgesehen waren und i.R. auch nicht gege­ben wurden, äußerte sich eine ganze Reihe der Interviewten zu Juden, ins­besondere in Verbindung mit der Zuwanderung von Juden aus der So­wjetunion.[32] Dies erklärt sich zumindest teilweise daraus, daß zur Zeit der Interviews Dezember 1990/Januar/Februar 1991 eine Reihe von Berichten durch die Medien ging und sich Juden wegen des drohenden bzw. tobenden Golfkrieges in Deutschland aufhielten.

Die Aussagen über Juden sind fast ausnahmslos antisemitisch, wobei dies auch hier i.R. geleugnet wird: Ich bin zwar kein Judenhasser, aber ... (Int. 3).

Einige Beispiele:

Ja, die werden doch sowieso noch kommen, ne. Die wollen das ja langsam kontingentieren. Ich meine, daß da nur eine bestimmte Anzahl kommen und so. Sonst wird das natürlich, wenn z.B. Juden kommen aus Rußland, da sieht das anders aus. Da müssen sie auch noch Zeltstädte bauen. Daß die Auslän­derfeindlichkeit noch größer wird, das liegt auf der Hand. (4/205-210)

Eine erstaunliche Passage enthält (neben vielen Stories über die Ge­schäftstüchtigkeit und die Betrügereien der Juden) Interview Nr. 3:

Frage: „Stellen Sie sich mal vor: Et gibt arabische Länder, wo man kein Bier trinken darf ...

Antwort Mann: „Ouh! Alkohol, Alkohol - alles klar verpönt. Oder Schweine­fleisch essen! Wir dürften dat ja wahrscheinlich. Uns würden se dat ja zuge­stehn. Ja, die Juden auch ..“

Antwort Frau: „Die dürfen ja nicht alles essen. Bei uns da in M., da war ne Synagoge. Wir haben da auch mit Judenkindern gespielt. Wir wohnten ja Haus an Haus.“

Mann: „Schule!“

Frau: „Und dann warn bei uns auch reiche Juden. Da warn zwei große Kauf­häuser, und die sind noch rechtzeitig raus.

Mann: „32.“

Frau: „32.“

Mann: „Oder 33.“

Frau: „Da ham wer uns verabschiedet, ham wer geweint und so. Da warn wer da mit den Leuten .. Die kamen oft sogar und fragten, ob wer ma auf die Kleine aufpassen und und so. Ham wer alles gemacht.“

Mann: Jo, is ja auch kein Grund. .. So Nachbarschaft! Da ham wer anfüsich keine Probleme gehabt. Also, als ich da nach B. kam, da war ..

Frau: „Da war das schon anders.“

Mann: „33, da warn ja kaum noch welche da.“ (3/739-758)

Die Vertreibung der Juden wird auch rückblickend einfach hingenommen, einfach konstatiert. Dies geschieht hier in einem positiven Kontext, dem aber überwiegend antisemitische Passagen gegenüberstehen.

Die antisemitischen Äußerungen stehen in den Interviews in einem Kon­text, bei dem es sich primär um Einstellungen zu den verschiedensten Ein­wanderInnen dreht. Juden werden so in aller Regel aber nicht schlicht als beliebige Ausländer assoziiert, sie werden rückblickend betrachtet, wie z.B. aus der folgenden Passage klar ersichtlich ist:

Auf die Frage, ob feindselige Einstellungen gegenüber Menschen aus frem­den Ländern eine „menschliche Eigenschaft“ darstellt, wird geantwortet:

Ja, aber jetzt hier so, jetzt nicht um, um die Deutschen zu verteidigen, dat is, ne, aber man muß die Zahl auch berücksichtigen, die hier sind. Und, äh, is nur ma jetzt auch wirklich noch, ich mein, wat, es war ja früher auch schon so, ne? Aber et is jetzt ja noch ma stärker - diese Sachen treten jetzt ja krass schon in Schulen auf, ne? Daß da türkische Gruppen sind, und und deutsche, also die Deutschen gruppieren sich eigentlich nicht so wie die Türken zum Beispiel. Die Türken, die treten nur in Gruppen auf. (...) Warum auch immer, dat, dat is mir jetzt also, und von daher is dat meine Meinung, daß die Sache verschärft wird, ne? Die wird nicht abbauen, die wird sich verschärfen, ne? (...)

Vielleicht - dat weiß ich aber auch nich so genau - wenn, daß, sagen wer mal so vier, fünf Generationen, ne, wenn se, das is meiner Meinung nach auch das­selbe Problem gewesen mit Juden. Juden haben sich auch abgekapselt und haben ihren Lebensstil weiter durchgeführt, das, das gab den Brennpunkt ei­gentlich, ne? Natürlich auch noch darin vielleicht gesehen, weil waren recht erfolgreich. Das sieht man dann natürlich au noch nich so ganz gerne, ne? Wenn der Türke schwer arbeitet und, und, und nicht viel hat, dann akzeptiert man den ja auch sofort. Aber sobald der mal nen größeres Auto fährt - dat sieht man ja au nich gerne, ne? (9/740-757)

Diese Passage zeigt:

Erstens, daß der Interviewte glaubt, Rassismus sei angeboren, daß dieser sich aber weiter verschärft, wenn zu viele Einwanderer da sind und diese Ghettos bilden, und wenn die Einwanderer erfolgreich sind bzw. reich wer­den.

Zweitens zeigt sie: Aus der Geschichte zieht der Interviewte das Beispiel des Verhaltens und der Behandlung der Juden heran, um die heutige Situation der Türken und den Haß gegen sie zu erklären. Hier wirkt offenbar die Parole nach, daß die Türken die Juden von heute seien.[33]

Wichtiger aber ist noch, daß der Interviewte das Verhalten der Juden dafür verantwortlich machte, daß es den „Brennpunkt“ gab. Das ist kein bloßer Ausrutscher, sondern möglicherweise eine mehr oder minder bewußte An­spielung an den Holocaust. Wenn diese Vermutung stimmt, dann werden hier nicht allein die Juden für den Holocaust selbst verantwortlich gemacht; auch die Türken erwartet ein Holocaust, wenn sie sich genau so verhalten wie die Juden im Dritten Reich, insbesondere wenn sie, wie die Juden, zu Reichtum gelangen. Der „Kult“, den die Türken mit großen Autos treiben (9/759), stellt für den Interviewten möglicherweise ein Vorzeichen dafür dar, daß es den Türken eines Tages genau so ergehen könnte wie den Ju­den, denn, wie er meint: Die Situation verschärft sich.

In einem anderen Interview (11/135-188) wird bedauert, daß jetzt auch noch so viele Juden einwandern, die man nicht „zurückjagen“ kann (11/142f.), obwohl „schon ganz Berlin voll von Juden“ sei (11/143). Hier wird eine heu­tige Gefahr einer Ghettobildung der Juden befürchtet (11/148) und auch, daß sie sich wieder „breit machen“ wie früher, wo ganz Berlin von Juden „besetzt“ war (11/148-152). Das wird als eigenartig empfunden und als zeit­überdauernde Eigenschaft („nach Hunderten von Jahren wieder“) bezeich­net. Leider verbieten es Gründe der Moral, die Juden an der Einwanderung zu hindern (11/152-154), im Unterschied zu den „Zigeunern“ und anderen „Volksgruppen“, die man „rausdrücken“ will. Dabei - wie früher - betrügen die Juden die deutschen Behörden, indem sie ihre Papiere fälschen. Angera­ten wird, daß die Juden doch gefälligst nach „Jerusalem“ gehen sollten, was diese aber aus Angst vor dem Golfkrieg nicht machten: Der Jude ist also auch noch feige.

Auch aus der Sicht dieser älteren Frau ist der Antisemitismus zudem die eigene Schuld der Juden: Auch die Russen haben was gegen sie (11/165f.). Und in Berlin kommen die Juden vielleicht „vom Regen in die Traufe“ (11/169f.), worüber sich die Interviewte schieflacht. Sie korrigiert sich et­was, weil sie wohl selbst das Gefühl hat, zu weit gegangen zu sein, wie folgt:

Wär ja nicht zu wünschen, aber dann sollen se - aber warum wollen se nich nach äh (...) nach Jerusalem? (11/171f.)

Bedauert wird auch, daß man die Juden nicht an ihrem Äußeren und ihrer Sprache erkennt (11/183f.), im Unterschied zu „Termilen (sic!) und Türken“, die, selbst wenn sie Deutsch reden, „ne andere Betonung“ haben (11/191).

Hier tut sich das alte Bild vom wandernden, ghettobildenden, raffinierten, betrügerischen, sich verstellenden, feigen Juden auf, gegen den man leider aus moralischen Gründen, also wegen des Holocaust, nicht so rigoros ver­fahren kann wie gegen andere „Volksgruppen“, obwohl wir längst genug „Ausländer“ im Lande haben, die wir ja nun nicht gewollt haben, wie einst die Gastarbeiter (11/137-141).

Juden werden durchaus in Verbindung mit anderen Einwanderern gesehen, die zu uns „hereinströmen“, aber anders als diese. Auch hier ist der umge­kehrte Blick angebracht: Die Asylsuchenden und die Flüchtlinge werden mit den Juden in einem Atemzug genannt. Das Bild entsteht, daß auch ih­nen begegnet werden könnte, wie den Juden im Dritten Reich. Diese Ge­dankenzusammenhänge werden dadurch suggeriert, daß die Interviewte nicht selten auf Ideologeme der Nazis anspielt, etwa in:  sie kommen, ob­wohl wir nicht so viel Platz haben (11/110), wir sind „ein Volk ohne Raum“.

Doch nicht nur ältere Leute tragen antisemitische Argumente vor: In der folgenden Passage, der Aussage eines 33-jährigen Zahnarztes, der längere Ausführungen zum Staat Israel (als Unrechtsstaat) vorangehen, sehen wir das Klischee vom Juden, der selbst Schuld am Antisemitismus ist:

Aber gerade äh, gerade in dem Bezug in der Sowjetunion, wo tatsächlich jetzt wohl - wieder Juden - ja, ich will nicht sagen verfolgt, aber zumindest also - nicht gerade beliebt sind, sieht man ja eben, daß es nicht nur an den Deut­schen liegt. Die also jetzt die bösen Menschen in der Welt sind und jetzt was gegen Juden haben, sondern tatsächlich - andere Völker genauso - äh nicht gerade - wie soll man sagen, also daß es auch in anderen Völkern Menschen gibt, die also ihren Minderheiten nicht unbedingt nur positiv gegenüberstehen. (14/333-340)

Beachtlich ist die Argumentationsstrategie, mit der der Interviewte sich von dem peinlichen Thema Juden wegzumanövrieren versucht und auf Minder­heiten ganz allgemein zu sprechen kommt, wobei zugleich eine Übertragung stattfindet.

Auch die Ja/Aber-Konstruktion findet sich in Verbindung mit der Ableh­nung der Juden:

Ich hab auch nix gegen Juden, aber warum die jetzt alle plötzlich in die BRD kommen, dat macht doch einen irgendwo stutzig, nee? (14/66-667)

Für manche(n) sind die Juden („der Jude“!) nach wie vor Anlaß zu mehr als aufgeregten Reaktionen und klischeehaften antisemitischen Assoziationen:

…wenn ich das (im Weltspiegel, S.J.) sehe mit Afrika,(...)mit, mit, mit, eh, Mogadischu, Somalia und so weiter, und so fort, eh, Israel zum Beispiel, der Jude auch, der Jude wird niemals eh, eh Ruhe geben. Der Jude wird immer der Zankapfel der Welt bleiben. Ehm, der kann in seinem eigenen Land keine Ruhe geben. Er kann es nicht, und er wird es auch nicht tun. Und das ist das, was ich einfach nicht begreifen kann und nicht begreifen will, aus nem einfa­chen Grunde, weil, ich finde, ehm, zum Beispiel meine Kinder interessieren sich auch nich mehr dafür, was damals war. (20/272-281)

Was vergangen ist, soll endlich vergangen sein! Zu beachten sind hier auch die festen Wendungen und die erstaunlichen rhetorischen Mittel: Der Jude wird niemals Ruhe geben. Er kann es nicht, und er wird es auch nicht tun. Er ist der Zankapfel der Welt! Solche Formulierungen schließen nahtlos an den Diskurs der (alten und neuen) Nazis an.

Aufrechnen von Schuld und Relativierung der Verbrechen des Dritten Rei­ches, die durchaus zugegeben, aber auf den „einen“ Mann Hitler abgewälzt werden, ist im gleichen Interview ebenfalls zu beobachten:

Was geht uns die ganze Geschichte an? Gar nix! Und so wars im zweiten Welt­krieg auch. Die sind diesem Affen, diesem Halbgescheiten hinterhergelaufen. Der Deutsche ist doch heute noch, eh, eh, eh, eh, nich gut angesehen in der Welt. (...) Deshalb, das läuft uns immer noch hinterher. Und das ist ja auch das, was uns der Jude nicht vergißt, verständlicherweise einerseits, anderer­seits sag ich mir, der soll die Klappe halten, soll erstmal Ordnung bringen in seinem eigenen Land. Wozu er ganz einfach nicht fähig ist. Denn da schlach­ten die Leute sich ja auch gegenseitig ab, gegen die Palästinenser usw. usf. Ja, finden Sie das richtig? Ich finde das nicht richtig. (20/435-449) (40-jährige Taxifahrerin)

Die Historikerdebatte läßt grüßen! Parallelen zeigen sich auch zu rechtsex­tremen Diskursen, die sich die „Bewältigung“ der Vergangenheit aufs Pa­nier geschrieben haben.[34]

Nur in einem einzigen Interview werden Juden als Menschen anderen Glaubens und eines anderen Lebensstils kurz erwähnt. Dies geschieht, um anderen Einwanderern ebenfalls das Recht auf auf ein gewisses Anderssein zusprechen zu können:

Bei Juden zum Beispiel. Die haben auch en anderen Glauben und anderen Lebensstil. Warum soll ich den anderen das nicht auch zubilligen? Warum? (21/637-638)

Dabei ist die Frau, die hier spricht, keineswegs frei von rassistischen Vor­stellungen. Doch ihr geht es auch um Toleranz in Glaubensfragen:

Ich kann ja jetz nich en Mohammedaner zum Kat-Katholiken, oder Evangeli­sten machen, oder irgendwas. (21/624-625) )

Auffällig ist insgesamt, und darin unterscheiden sich die Aussagen über Ju­den von denen über andere EinwanderInnen, daß die Juden insgesamt nicht so sehr unter den Kategorien abweichender Sitten und Gebräuche und von krimi­neller oder ökonomischer Bedrohung gesehen werden.[35]

Das „Stichwort“ Juden evoziert den rückwärtigen Blick auf das Dritte Reich, auch dann, wenn es um heute einwandernde Juden aus Rußland geht. So kann nicht ausgeschlossen werden, daß der heutige Antisemitis­mus eine andere Funktion hat als der Rassismus gegenüber EinwanderIn­nen: Juden bedrohen keine deutschen Besitzstände und keine deutschen Frauen, ja, sie sind im Grunde gar nicht vorhanden.[36] Sie bedrohen aber das Selbstbild der Deutschen als Schatten der Vergangenheit, der in unsere deutsche Gegenwart hineinragt. So steht der Antisemitismus, der in unse­ren Interviews geäußert wird, sicherlich enger mit einem deutschen Natio­nalismus in Beziehung als mit dem alltäglichen Rassismus. Aber: Die Er­wähnung von Juden richtet sich nicht allein gegen diese selbst, sondern ge­gen andere Einwanderer: Wenn es zu viele sind, sehen wir kommen (oder möchten wir sogar?), daß ihnen das gleiche Schicksal widerfährt wie den Juden im Dritten Reich.[37]

Es ist zu vermuten: Antisemitismus wird strategisch gegen EinwanderIn­nen eingesetzt, um die Folgen der Anwesenheit und weiterer Einwanderung generell drastisch an die Wand zu malen. Er erweist sich als Element rassi­stischer und nationalistischer Argumentationsstrategie.[38]

Diskursanalytische Studien, die diese Vermutungen bestätigen könnten, stehen noch aus. Da unsere Themenbereiche den Antisemitismus nicht ge­zielt ansprachen, ist das erhobene Material noch zu schmal, als daß sie si­chere Schlußfolgerungen erlaubten.[39] Die Tatsache aber, das sich trotz­dem Antisemitismus zeigte und die Qualität, in der er sich zeigte, lassen den Schluß zu, daß Rassismus und Antisemitismus zumindest auch unter­schiedliche Funktionen haben.[40]

 

4.1.7        Cinti und Roma

„Zigeuner“, so bezeichnet man in unseren Interviews im allgemeinen Ange­hörige der Cinti und Roma, werden in unserem Corpus von sechs Inter­viewten angesprochen, obwohl - mit einer Ausnahme - nicht eigens danach gefragt worden ist. Dies ist um so erstaunlicher, als - und das erinnert an den Antisemitismus ohne Juden - nach dem NS-Völkermord an den „Zigeunern“ nur noch etwa 40 000 Cinti und Roma in Deutschland leben.

Roma und Cinti werden in der folgenden Passage direkt mit Juden assozi­iert. Unmittelbar nach einem Bericht über den Exodus bzw. die Vertreibung und Vernichtung der Juden heißt es unvermittelt bei einem älteren Ehe­paar (Interview Nr. 3):

Frau: „So meine Tante G., wenn die ma Wäsche gewaschen hatten un die hing draußen un dann kamen da immer die Zigeuner durch, un dann hat se, ob dat ihr Kind war oder Fremde, die Kinder genommen un: „Kommt hierher!“ und dann ..

Mann: „Die Zigeuner kommen!“

Frau: „Die Zigeuner kommen!“ Tür zugeschlossen ..

Interviewer: Und weshalb?

Frau: Ja, die ham immer geklaut, die Zigeuner.

Mann: Kinder geklaut sogar!

Frau: Und aber die Wäsche ham die ..

Mann: Die ham doch anscheinenend die Kinder geklaut, nä?

Frau: Die auch! (Unverständlich) Die standen auf einmal in de Tür drin! Un da hatten die auch schon immer die Kopftücher auf, un die Kinder hier drin (Zeigt: Tragtuch) Da hat M. gesagt: „Nein, danke!“ Un dann hat se immer so getan, als ob dä Onkel G. dagewesen wä: Doch: „Komma schnell!“ Un dann sin die Frauen wieder abgehauen, nä!? Jaah!“ (3/759-774)

Das Ehepaar erzählt hier in einer Geschichte aus zweiter Hand von einem Ereignis, das längere Zeit zurückliegt. Durch eine Zwischenfrage will der Interviewer das Gespräch auf die aktuelle Situation bringen:

Interviewer: Ich meine, wo se das Thema gerade ansprechen. Das ist ja auch so durch die Presse gegangen mit den Sinti und Roma.

Mann: Jaja! Die sind ja auch ganz arm dran! Dat is ja jetz schon ..

Frau: Sin dat auch Zigeuner?

Interviewer: Was heißt „Zigeuner“? Die nennt man so! Das sind diesel­ben, das ist nur eine andere Bezeichnung.

Mann: Sicher, ich mein, die sind arm dran. Wie weit sind die schon verteilt in Deutschland? Ich mein, schon als Kinder ham wer die Zigeuner gehabt. Un das sin ja schon über sechzig Jahre. Un jetz auf einmal wolln se die abschie­ben. Un dat soll doch so teuer werden noch. Ich weiß nich, mit wieviel tausend sollen die abfinden, damit die da überhaupt rübergehen nach da.

Frau: Die hatten auch hübsche Kinder!

Mann: Ja auch! Un nette Frauenzimmer. Warum nich? Ich mein, jeder hat ja mal gern wat Schönes! (Lacht.) Jaah!!! (3/775-789)

Das Stereotyp „Die Zigeuner klauen (Kinder)“, bedrohen also unser Eigen­tum, ist offenbar ganz fest verankert. Gegen diese Bedrohung kann man sich nur mit Tricks und Täuschung wehren. Hauptkennzeichen der Frauen sind die Kopftücher (wie bei türkischen Frauen!). Die Korrektur des Inter­viewers, daß „Zigeuner“ Cinti und Roma sind, wird von der Frau mit Er­staunen zur Kenntnis genommen. Sie weiß (wohl aus der Presse) um Cinti und Roma, identifiziert sie aber zunächst nicht als „ihre Zigeuner“. Die Ab­lehnung der Bezeichnunng „Zigeuner“ im öffentlichen Diskurs hat hier ge­wisse Früchte getragen, zugleich aber möglicherweise dazu geführt, daß die leidvolle Geschichte der Cinti und Roma, insbesondere deren Vernichtung im Dritten Reich, im Alltagsbewußtsein in Vergessenheit gerät. Der Mann bezieht sich dann ganz klar auf die derzeitige Situation der Cinti und Roma: Die sind arm dran. Er äußert durchaus Mitleid und begründet seine Hal­tung, daß diese nicht „abgeschoben“ werden dürfen, damit, daß sie ja schon lange „da“ seien. Über ihre Vernichtung im Dritten Reich wird aber kein Wort verloren. Wesentlich dafür ist ihm hier dagegen das Kostenproblem: „dat soll doch so teuer werden.“ Und wer soll das bezahlen? 8000 Mark sollte die NRW-“Rückkehrhilfe“ für Roma und Cinti- betragen, eine wahr­lich geringe Summe, die sich der Staat die Lösung des Roma-und-Cinti- „Problems“ kosten lassen wollte. Offensichtlich wird hier ein „Presse-Thema“ aufgenommen, das die Roma-und-Cinti-Frage aus deutscher Ko­stensicht hochgespielt hat.[41] Die Frau greift zu der bei ihr häufiger zu be­obachtenden Strategie, Ablehnung zu relativieren: „Die hatten auch hübsche Kinder!“ Hatten! Ihre Assoziationen nähren sich aus früheren Er­fah­rungen. Der Mann betont die Hübschheit der „Frauenzimmer“. Da sieht man die vollbusige „Zigeunerin“ im kleinbürgerlichen Wohn- und Schlaf­zimmer geradezu an der Wand hängen. Kurzum: Die „Zigeuner“ stehlen, kleiden sich exotisch, sind überhaupt exotisch und freizügig: Was man nicht selbst hat und darf, wird am anderen mit durchaus gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen.[42]

Im Kontext einer „Es sind zu viele“-Rabulistik spricht ein junger Mann (Interview 9) speziell die Cinti und Roma an:

… - ich habe zum Beispiel nen sehr großen Vorbehalt gegen diese Sintis und Romas, es geht mir jetzt nicht danach, daß ich sag, Sintis und Romas, die sind alle sehr schlecht oder so - ich kenn die Leute eigentlich so nicht - aber, äh, diese Bettelphase von denen, das, das geht mir schon auf n Zwirn, daß Kinder reinkommen in ner Gaststätte und dir son Zettel hinhalten und und wollen Geld von einem haben, das find ich dann schon bedenklich, ne? Da müßte man vielleicht schon was gegen tun. Was auch immer, das weiß ich nicht, ne? Da möcht ich auch keine Entscheidung treffen. (9/361-367)

Hier drängt sich das  Betteln der Kinder der Cinti und Roma in den Vorder­grund des Bewußtseins, um die Cinti und Roma als Ganze ablehnen zu können und den „sehr großen Vorbehalt“ des Interviewten gegen Cinti und Roma zu begründen.

In einem ganz ähnlichen Kontext („Wir haben nicht genug Raum!“) wird der Zuzug von „Zigeunern“ radikal abgelehnt (11/109-123).

Cinti und Roma werden dabei durchaus mit Angehörigen anderer Minder­heiten verwechselt bzw. in einen Topf geworfen. In 13/621-624 werden sie umstandslos mit „Asylanten“ gleichgesetzt. Manch­mal werden „Zigeuner“ und Türken nicht unterschieden:

Ja , irgendwie kam mal jemand hier rein, also irgendwie ne fremdländische Gestalt, also ich weiß nich, obs Zigeuner waren oder Türken oder - man kann das ja nie so genau sagen, weil die ja alle so fremdländisch und dunkel ausse­hen (...) Ich bin sofort zu meinem Mann gelaufen, hab zu meinem Mann geru­fen: „Paul, komma eben her!“ und äh - ach nee, ich - mir fällt wieder ein, er wollte betteln (...) Also hier speziell in unser Geschäft *äh* sind keine Roma

und keine Sintis *äh* erschienen (....) (Sie korrigiert sich aber. Vor längerem passierte doch folgendes:) Und das vermute ich, daß das Zigeuner waren. Sinti und Roma eben, am Aussehen, durch diese Haare, und die haben ja n bißchen bräunlichen Teng, ne? Also das is wohl schon mal vorgekommen. Also böse werden se dann und schimpfen, ne? (18/357-410)

Cinti und Roma sind also fremdländisch, dunkelhaarig und böse, wenn man ihnen nichts abgibt; sie stehlen und betteln, und sie flößen ganz allgemein Angst ein. Eine Erinnerung an die Vergangenheit stellt sich auch bei dieser Frau nicht ein.

Bedrohlich könnten die „Zigeuner“ werden, „wenn sie überhand nehmen“ und „man weiß ja nit, wat kommt, ne.“ (21/49-57) Aber der gute deutsche Mann weiß sich zu helfen:

Wenn sie uns belästigen, uns „auf den Wecker fallen“ erhalten sie Ohrfei­gen, „aufn Kopf“. (21/69f.) „Denn ich würde mal sagen, wir habn so mit un­se­rer Arbeit unsern bescheidenen Wohlstand erworben.“ (21/81f.)

Hier zeigt sich offen die Bereitschaft zu Tätlichkeiten, wie sie spätestens seit Saarlouis dann auch massenhaft vorgefallen sind und weiter vorfallen.

In diesem Interview, in dem an vielen Stellen das Betteln der Ausländer ge­tadelt wird, was immer wieder auf Cinti und Roma verweist, wird aber auch der Völkermord an den Cinti und Roma angesprochen:

…wenn ich dat seh, wie die hier vorbeilaufen, mit Lederjacken und so, ne, ver­steh ich nicht, woher dat Geld kommt für die Jacken. Nur als Beispiel wohl­gemerkt.

Iss auch nicht schön - dat macht ja auch nix. Wir sind damit groß geworden, wir hatten 1939 hier vorne Zigeunerlager x die wurden allerdings von x Adolf hinweggetan, und wir hatten damals nicht mal Schwierigkeiten, die haben nicht geklaut, gar nichts - weiß ich auch nich, wat da rechtens ist... (21/194-201)

Die Wendung „von Adolf hinweggetan“ macht Schaudern, weil sie an die „saubere“ technische Durchführung des Genozids erinnert. Im Kontext der Umgangssprache des Ruhrgebiets wirkt diese Formulierung wie Gestein von einem anderen Stern. Daß die Verfolgung der Cinti und Roma, die größ­tenteils durchaus seßhaft waren, dazu beigetragen hat, daß diese zu „Zugvögeln“ (ebd.183) geworden sind, wird nicht einmal im entferntesten gesehen.

Der Völkermord an Cinti und Roma, durch den - wie Historiker schätzen - zwischen 250 000 und 500 000 Menschen umgekommen sind (Kreft 1991, S. 38), ist in allen anderen Interviews erfolgreich verdrängt. Während Antise­mitismus aber in unseren Interviews in Gestalt von Drohungen gegenüber allen Einwanderern und Flüchtlingen eingesetzt wird, werden Cinti und Roma als besonders unerwünschte, weil bedrohliche, „unseren“ Reichtum mindernde Menschen gesehen und behandelt. Sie sind offenbar der beson­ders unerwünschte Prototyp „des“ „Ausländers“.

 

4.1.8        Wie man über „die Anderen“ spricht:

4.1.8.1     Vorbemerkung

Sind bis zu diesem Punkt die Inhalte, Themen und Einstellungen der Inter­viewten analysiert worden, die auftreten, wenn man über „die Anderen“ spricht, so soll jetzt untersucht werden, wie man über „die Anderen“ spricht, welcher Argumentationsstrukturen man sich bedient, welche „Bilder“ über „die Anderen“ produziert werden, insgesamt: mit welchen sprachlichen Mitteln man sie charakterisiert etc.

Rassistische Haltungen und Einstellungen werden i.R. nämlich nicht ein­fach und offen geäußert, sondern man bedient sich dazu vielfältiger Strate­gien, um nicht als RassistIn zu gelten; man äußert seine Ablehnung, seine Befürchtungen und auch seine Vorstellungen, wie das „Ausländerproblem“ zu lösen sei, oft versteckt und vorsichtig usw.

 

4.1.8.2     Argumentationsstrategien

In Verbindung mit rassistischen Aussagen werden oft mehr oder minder ge­schickte Redestrategien angewandt, mit denen man solche Aussagen etwas abmildern, umschreiben, leugnen, relativieren, nachträglich einschränken möchte usw. Sie finden sich auf allen Diskursebenen: Immer wieder hört man: Ich bin kein Rassist bzw. Ausländerfeind, wir sind keine rassistische bzw. ausländerfeindliche Gesellschaft. (Vgl. auch van Dijk 1987, 1991 und 1992a)[43] Selbst das Wort Rassismus ist in der Bundesrepublik noch stark tabuisiert, „wenn es gegenüber Demokraten verwendet wird.“ Rassismus wird in aller Regel nur bei Angehörigen rechtsextremer Gruppierungen ge­sehen. Erst in der Zeit nach den pogromartigen Ausschreitungen in Verbin­dung mit der Asyldebatte im Herbst 1991 findet man das Wort „Rassismus“ wieder verbreiteter im öffentlichen Diskurs.[44]

Rassistische Einstellungen offen zuzugeben, wird denn auch tunlichst ver­mieden. Mit den verwendeten Verharmlosungs- und Verdeckungsstrategien reagieren viele Menschen demnach auf die heute verbreitete soziale Norm, daß es unanständig und undemokratisch ist, rassistisch zu sein. Diese Norm ist historisch, sozial und situativ jedoch erheblichen Schwankungen unterworfen. Rassismus äußert sich je nach den Umständen mehr oder minder offen. Er kann auch durch bestimmte anerzogene Grundhaltungen („christliche Nächstenliebe“ etc.) überdeckt sein.

In unseren Interviews sind solche Redestrategien überaus häufig anzutref­fen. Die bereits dargestellten negativen Bewertungen werden nicht selten strategisch abgemildert, durch positive Aussagen über EinwanderInnen „ausgewogen“ (s.o.). Oder man ist bemüht, trotz geäußerter „ausländer­feindlicher“ Haltungen, wie man fast durchweg zu sagen vor­zieht, ein posi­tives Bild der eigenen Person zu zeichnen, das Gesicht zu wahren usw. In unseren Interviews fanden sich nun die folgenden Redestrategien:[45]

1. Ja, aber - Strategie

Dies ist allgemein und auch in unserem Corpus die häufigste Strategie, rassistische Einstellungen zu verbrämen. Sie gehört zum rhetorischen Grundrepertoire aller rechtsextremen und faschistischen Ideologen wie etwa Schönhuber, Le Pen etc., sie ist aber auch wichtiger Bestandteil (strategischer) Alltagskommunikation. In 12 unserer Interviews wird über 40 mal davon Gebrauch gemacht; nicht selten taucht diese Redestrategie geradezu durchgängig auf.[46]

Das klassische Beispiel sieht folgendermaßen aus:

Ja, ich hab nichts direkt gegen Ausländer (Lachen), aber irgendwie, eh, ist es nicht so sehr schön, eh,  von Ausländern umgeben, eh, zu wohnen; (1/29-31)

2. Positive Selbstdarstellung

In ebensovielen Interviews (12) stellen sich die SprecherInnen jeweils mehrfach selbst möglichst positiv dar, als Demokraten, „Ausländerfreunde“, beliebt bei ausländischen Kollegen etc. Hier sticht Interview 3 mit achtma­liger positiver Selbstdarstellung hervor. Ein Beispiel, in dem sich der deut­sche Arbeiter gleichsam als Engel der ausländischen Kollegen feiert, ist das folgende:

Ich hab .. dat is schon zehn Jahre her - auf de Kokerei mit vielen Ausländern da zusammengearbeitet (...) Die sachten da immer, Hein-Heinz, bleib du bei uns. Ich hab da Vorarbeiter gemacht teilweise (...) Hein bleib bei uns. (...) Ich hab mich säh gut mit denen verstanden. (...) Keine Probleme. (3/161-172)

Solche positiven Selbstdarstellungen tauchen bevorzugt dann auf, wenn harte Negativwertungen gefallen sind oder „vorbereitet“ werden.

3. Direkte Verleugnungsstrategien

Direkte Verleugnungsstrategien, die van Dijk insbesondere im Diskurs der Politiker feststellen konnt (van Dijk 1991b), sind im Alltagsdiskurs offen­sichtlich selten anzutreffen.

3.1. Ein Beispiel für Handlungsverleugnung (Das hab ich überhaupt nicht getan/gesagt) findet sich in Interview Nr. 12:

Interviewter: Türken, die sich, öh, eh * assimiliert haben in die deutsche Ge­sellschaft, die sind halt - gehn auch um zehn Uhr schlafen und, ne also, weiß, was ich meine, leben halt mehr in Kleinfamilien ...*

Interviewfrage: Und genau die sind dir lieber?

Interviewter: * Kann man besser mit umgehen, entspricht dem eigen Kultur­kreis mehr, ne? Datt möcht ich ma sagen ...

Interviewfrage: Also muß ne Anpassung stattfinden, von den Auslän­dern zu uns hin ...?

Interviewter: Hab ich nich gesacht, hab ich kein bißchen gesacht! (12/393-404)

3.2. Auch die Strategie, angeblich mißverstanden worden zu sein (Das hab ich nicht gemeint, ich bin mißverstanden worden), findet sich nur sel­ten:

In Interview Nr. 1 wird durchweg eine sehr ablehnende Haltung gegenüber EinwanderInnen vertreten, und negative Bewertungen finden sich in großer Anzahl. Die Interviewte sagt direkt zu Beginn:

Die Wohnlage gefällt mir nicht so besonders, weil um mich herum sehr viele Ausländer wohnen; vor allen Dingen Türken (...) Mich stört das insofern die Mentalität der Ausländer eine total andere ist als die der Deutschen, vor allen Dingen geht es da um Sauberkeit (...) (1/2-8)

Auf die Frage, es müsse dieser Frau dann doch eigentlich gefallen, wenn die Regierung Programme für Ausländer gestrichen habe, antwortet sie:

Eh, Sie scheinen mich da nicht so ganz zu verstehen; ich bin ja nicht, eh, eh, insofern negativ gegen Ausländer eingestellt, indem ich sag, man soll nichts für Ausländer tun, eh, meine Gefühle Ausländern gegenüber sind eigentlich zwiespältig; ich mein, ich lehn sie nicht direkt ab,  aber, eh, ich bin auch nicht der Mensch, der jetzt, eh, direkten Kontakt mit ihnen fördern würde oder, * ihnen gegenüber mich besonders verhalte, daß (ich) sie besonders gut mag. (1/314-324)

Neben dem Hinweis auf ein angebliches Mißverständnis finden sich in die­ser Passage weitere Strategien der Relativierung, so auch wieder die Ja-Aber-Strategie.

4. Verniedlichung (Es wohnen zwar zu viele hier, aber sie haben ja auch Geschäfte, in denen man einkaufen kann)

Auch diese Strategie ist für den Alltagsdiskurs offenbar nicht sehr typisch; sie tritt nur gelegentlich auf. Ein Beispiel:

Zunächst wird bedauert, daß das Warenangebot in türkischen Geschäften nicht gut sei. Dann heißt es auf die Frage, ob das denn auch an dem hohen Anteil der EinwanderInnen liege:

Also, ich glaub schon, weil mittlerweile gibt's ja wirklich - äh - Einkaufsviertel in M.  z.B. - äh - , wo da nur noch türkische Geschäfte sind, * und das ist na­türlich ganz klar auf die Bevölkerung hier ausgelegt, ich meine, ich finde das nicht schlecht, z.B. gehe ich auch gerne bei türkischen Geschäften einkaufen, weiß ich, türkische Spezialitäten, so Eßsachen z.B., aber wie gesagt, jetzt so auf Modesachen ausgerichtet, oder - äh - weiß ich, Möbelgeschäfte oder so wei­ter, das hat dann alles hier'n bißchen, so so null-acht-fünfzehn-Ware, die halt billiger ist, ne? (6/101-114)

5. Rechtfertigung (Sich z.B. auf angeblich objektive Tatsachen und Zwänge berufen.)

Solche Rechtfertigungen tauchen nicht selten auf, werden aber häufig durch Floskeln wie „meine ich, ich weiß es nicht so genau, wieder relativiert. In dem folgenden Beispiel ist Deutschland ein Land ohne Raum:

…das würde ich also eher begrüßen als daß die Leute alle in unser Land ein­fließen und alle hierher kommen, weil der Lebensraum hier so schon sehr eng war und also immer enger wird. (1/200-204)

6. Entschuldigung (Ich kann nichts dafür, es tut mir leid, aber es herrsch-(t)en besondere Bedingungen. Die Zahl der EinwanderInnen ist ein­fach zu groß. Sie verhalten sich eben auch falsch, sind kriminell etc.)

Das hielte ich also für wesentlich sinnvoller, als alle, mühselig und beladen, der Welt hier aufzunehmen, ne. Irgendwo is ja auch, denk ich ma, dat Schiff hinterher, eh, vonner Besiedlungsdichte her, eh, erschöpft, ne, denk ich mir. Auch ökologisch gesehen, wenn so viele Menschen aufeinander sitzen, da wer­den ja auch dadurch, eh, dichte Bebauung dann auch, äh, manifestieren sich ja Aggressionen je verdichtner, äh, verdichteter ich baue, desto, äh, eher be­steht die Gefahr der Verslumung. Wir sehen ja so, eh, Agglomerationsräume wie New York auch, nech? Oder, eh, je höher ich bau, mit Menschen, die enger, eh *, desto enger ich die zusammenpferche, desto aggressiver wird dat ganze, ne. Un, da sind die Räume hier im Ruhrgebiet, denk ich ja auch, weitgehend * eh * sagen wer ma, vonne Infrastruktur her schon ausgereizt. (2/413-425)

Zur Rechtfertigung der Ablehnung weiterer Einwanderung wird hier Argu­ment an Argument gereiht, wobei der hier sprechende Oberstudienrat tief in die Kiste seines „Wissens“ greift: Von der angeblichen Übervölkerung (Das Boot ist voll!), über „humanökologische“ Gründe, städtebauliche Ar­gumente bis hin zu Konrad Lorenz Aggressionstheorie muß alles herhalten, was sich an vorgeblichen Fakten gegen das „Einfließen“ weiterer Einwande­rer vorbringen läßt. Dieser Mann tut sich mit seiner Ablehnung deshalb be­sonders schwer, weil er als fortschrittlich, weltoffen und tolerant gelten möchte.

7. Umkehrung (Wir sind nicht (allein) schuld, sondern sie. Nicht wir sind Rassisten, sondern sie.)

Solche Strategien tauchen in sechs Interviews jeweils mehrfach auf. Bei­spiele:

Und ich habe mir sagen lassen, daß, eh, türkische Bewohner gesagt haben: Man lebt hier ja sehr gut, nur es dürften noch weniger Deutsche in diesem Ge­biet wohnen; das wäre noch schöner, wenn wir Türken ganz unter uns wären. (1/52-56)

Also, dat is doch wirklich seltsam, die Ausländer untereinander - (Lachen) - haben noch mehr Haß aufeinander, wie die Deutschen bei den jeweiligen Aus­ländern. (11/251-253)

sieht man ja eben, daß es nicht nur an den Deutschen liegt. (14/335-336)

8. Sich hinter Autoritäten/Anderen/Systemen verstecken

In knapp der Hälfte der Interviews verschanzen sich die Interviewten hin­ter anderen Menschen, die sich negativ über EinwanderInnen und Flücht­linge geäußert haben.

kann ich nur vom Hörensagen (behaupten). (5/391)

Ich hab mir das erzählen lassen, ich kann das *äh* nicht selbst beurteilen. (18/243f.)

Eine Spielart dieses Sich-Versteckens ist, sich selbst als negativ darzustel­len, um seine negative Aussage über Andere zu legitimieren:

Ich fühl mich hier manchmal wie ne alte Spießerin, die sich über spielende Kinder aufregt und (...) Ausländer mit asozialem Pack gleichsetzt. (12/356-359)

9. Relativierung (Einerseits-andererseits. Ich lehne sie ja nicht di­rekt ab, aber andererseits; obwohl ... etc.)

Solche Relativierungen tauchen in mehr als der Hälfte unserer Interviews mehrfach auf.

Nö, nö, stört mich nicht. Solange mich keiner angreift oder belästigt. (21/567f.)

Tun Deutsche auch, aber ich glaub oder - auch nach dem, was mein Vater (unverständlich) is das eben bei Ausländern häufiger (...) (12/731-733)

In diesem Beispiel versteckt sich die Sprecherin zugleich hinter der Autori­tät ihres Vaters.[47]

10. Sich hinter Unwissenheit zurückziehen.

Solche Vorbehalte sind relativ häufig. Sie tauchen in fast allen Interviews an vielen Stellen in Gestalt von „meine ich, ich weiß das nicht so genau, nehme aber an“ etc. auf.

Ja, das weiß ich nich, also ich hab Ihnen bloß gesagt, daß ich das annehme. (22/229f.)

Das Arsenal an Strategien, Rassismus zu verstecken, zu leugnen und zu re­lativieren, ist also enorm. Das erklärt sich wohl daraus, daß man gegen die Norm, daß es nicht anständig ist, rassistisch zu sein, nicht offen verstoßen möchte, daß man also das Gesicht wahren will etc. Die Alternative, tatsäch­lich auf rassistische Haltungen zu verzichten, stellt sich allerdings kaum jemandem. Zu bedenken ist allerdings, daß auch die Norm, gegen die man nicht verstoßen möchte, von den Interviewten ja internalisiert sein muß, so daß man auch davon ausgehen kann, daß sich die in den rassistischen Dis­kurs Verstrickten selbst in einer Situation des inneren Konflikts befinden. Diese Annahme, die besonders nachdrücklich von Billig unterstrichen wird (Billig 1991b, S. 127f.), enthält Hinweise für Ansatzpunkte antirassitsischer Arbeit und antirassistisch wirksamer Gegenargumente.

 

4.1.8.3     Humanitäre Argumente zur Legitimierung von Rassismus: Die Türken unterdrücken ihre Frauen[48]

In 2/3 unserer Interviews haben wir im Zusammenhang mit rassistischen Einstellungen eine Argumentationsfigur gefunden, die uns auf den ersten Blick verwirrte, da sie eine recht widersprüchliche Struktur enthält. Ich gebe dazu zwei Textbeispiele:

Mich stört das insofern, weil die Mentalität der Ausländer eine total andere ist als die der Deutschen, ** vor allen Dingen geht es da um Sauberkeit, um, **, was mich daran auch stört, die Diskriminierung der Frau, habe ich zumindest das Gefühl; wenn man die Leute paarweise, eh, sieht, ist es halt so, daß die Frau die schweren Taschen tragen muß, die Männer einige Meter hinter den Frauen laufen und ich hab eben das Gefühl, daß die Frau sehr wenig Freiheit genießt in diesen Ländern. (1/6-14)

Diese Aussage stammt von einer 52-jährigen verheirateten Frau aus der Unterschicht, die in einem Wohngebiet mit einem hohem EinwanderInnen­anteil lebt.

Also, daß ne Türkin nen Deutschen geheiratet hat, so was hört und sieht man hier wohl selten - weil, äh - meiner Ansicht nach doch die Frauen bei den Tür­ken sehr äh - ja sehr unterdrückt noch sind. Und dementsprechend sorgt ja - sorgen d`, die Väter und die Brüder noch dafür, wen die - wen die Tochter hei­ratet, und da wird schon darauf geachtet, meiner Meinung nach, und das sehe ich also auch hier in meinem Patientenkreis. (...) Äh, was es wohl häufiger gibt, daß äh - eben türkische Jungen sich hier ne deutsche Frau äh - suchen, beziehungsweise - ne Freundin - ähm. Ja, ich weiß nicht, daß also - m - wenn also ich n Mädchen kennen würde, * also ich würde schon versuchen - äh - der klar zu machen, daß eben - doch ne andere Kultur ist, und dementsprechend sie sich das genau überlegen sollte, insbesondere eben - daß die türkischen Männer doch ne ganz andere Einstellung zu Frauen haben, und - äh - eben die, das Mädchen nicht damit rechnen darf, daß sie dann entsprechend gleichberechtigt ist, sondern doch immer - m - ne untergebene Rolle spielen wird wahrscheinlich. (14/397-416)

Diese Passage entstammt dem Interview mit einem 31-jährigen Zahnarzt, der ebenfalls in einem Wohngebiet lebt, in dem viele EinwanderInnen zu Hause sind.

Hier wird ganz offensichtlich die mangelnde Gleichstellung der Frau bei ausländischen Mitbürgern zum Grund dafür gemacht, diese abzulehnen.

Doch so glatt, wie das auf den ersten Blick erscheint, ist die Sache auch wieder nicht. Beim zweiten Hinsehen zeigt sich, daß bei keinem der beiden Befragten eine Position vorliegt, die sich uneingeschränkt mit den Rechten der Frau identifiziert - auch und gerade, wenn wir berücksichtigen, ob die Vorbehalte gegenüber EinwanderInnen von einem Mann oder von einer Frau geäußert werden.

So präzisiert die Interviewte die von ihr so wahrgenommene Diskriminie­rung der Frau damit, daß diese immer die schweren Taschen zu tragen hätte. Das weist auf ein Verhältnis von Mann und Frau hin, dem sie offen­bar anhängt, in dem der Mann sozusagen »der Kavalier« der Frau ist.

Auch den Zahnarzt interessieren ganz offensichtlich nur die deutschen Frauen bzw. Mädchen. Die angeblich so unterdrückten türkischen Frauen geraten nicht in sein Blickfeld. Aber die deutschen Frauen können auch nicht mit seiner Solidarität rechnen, wenn sie einen Türken heiraten. Sie hätten wissen müssen, was dann ihre (eingeschränkten) Rechte und Pflich­ten sind. Hier geht durchaus die Vorstellung mit ein, daß es schon richtig ist, daß der Mann bestimmt, was Frauen zu tun und zu lassen haben. Bei den Deutschen ist dies halt nur liberaler. Aber sollten Frauen diesen libera­len Raum verlassen, so stehen sie sozusagen in einem anderen Hoheitsge­biet.

Trotz dieser Einschränkungen, die darauf hinweisen, daß bei beiden Spre­cherInnen ein widersprüchliches Verhältnis zur Gleichstellung von Frauen und Männern vorliegt, darf der Grundtenor ihrer Aussage bei der Analyse nicht vernachlässigt werden. Hier geht eben auch ganz wesentlich mit ein, daß die Sprecherin bzw. der Sprecher demokratische Rechte von Frauen mit dem von ihr bzw. ihm so wahrgenommenen Verhalten türkischer Männer ins Verhältnis setzt und auf dieser Grundlage ihre bzw. seine negative Hal­tung begründet.

Hinzu kommt, daß wir die gleiche Argumentationsfigur auch sehr häufig in den Medien und im bundesdeutschen Blätterwald finden. Ein Beispiel da­für, das Aufsehen erregt und die Gemüter bewegt hat, ist das Buch und der Film „Nicht ohne meine Tochter“ von Betty Mahmoody. Das Buch ist mitt­lerweile in die 36te Auflage gegangen, und es muß mit einer LeserInnen­schaft von ca. 10-12 Millionen Menschen in der BRD gerechnet werden. Der gleichnamige Film war wochenlang in den Kinos ausverkauft.

Humanitäre Argumente in Verbindung mit rassistischen Einstellungen fin­den sich nun in unseren Interviews mehr oder weniger ausgeprägt. Dabei geht es aber nicht immer nur um das Verhältnis von Mann und Frau. Eine vergleichbare Argumentation liegt vor, wenn die in der Türkei noch gel­tende Todesstrafe als Zeichen unreifer Demokratie gewertet wird, weshalb die Bundesregierung die Türkei ächten solle und weshalb auch das Wahl­recht von EinwanderInnen abzulehnen sei. Oder: Israel hat die Palästinen­ser von ihrem Land vertrieben, deshalb sollen die Juden mal endlich Schluß machen mit ihrer Anklage der Deutschen. Auch hier werden mangelnde demokratische Rechte bemüht, um eine Ablehnung der Türken bzw. der Ju­den zu rechtfertigen.

Doch in den meisten Fällen ging es in unseren Interviews um Frauen, um das Verhältnis der Männer aus Minderheitengruppen zu ihren Frauen, die sie unterdrücken.

Es ist nun sicherlich auch von Bedeutung, ob die Kritik von einer Frau oder von einem Mann geäußert wird. Bei aller Vorläufigkeit, denn eine genaue Beschäftigung mit diesem Themenkomplex steht noch aus, vermuten wir folgendes:

Bei Frauen ist wohl eher davon auszugehen, daß hinter dem Einklagen von Gleichberechtigung bei anderen Bevölkerungsgruppen und deren Ableh­nung aus diesem Grund sich zugleich „Rebellion“ und „Unterwerfung“ ver­bergen. Sie lehnen das von ihnen bzw. der Öffentlichkeit so konstruierte Verhältnis von Mann und Frau, wie es der Islam teilweise vorsieht, ab, weil sie befürchten, daß dies letztlich auch hier Schule machen könnte, was für sie einen Rückschritt bedeuten würde.

Hier sind sicherlich Einflüsse der Frauenbewegung der 60er/70er-Jahre auszumachen - zumindest, was die ideologische Ebene angeht. Indem sie die ungleiche Stellung von Männern und Frauen ablehnen, rebellieren Frauen dagegen, in eine ähnliche Position kommen zu können, bzw. gegen ihre ähn­liche Position, in der sie sich möglicherweise realiter befinden. Dazu paßt auch, daß sich die Frauen in unseren Interviews viel heftiger und aggressi­ver gegenüber ihren eingewanderten Geschlechtsgenossinnen äußern und diese als faul, hinterlistig etc. charakterisieren. Für sie sind sie heimliche Verräterinnen.

Daß sie ihre Ablehnung bzw. Emanzipationsbestrebungen jedoch ausge­rechnet an den Einwanderern und Flüchtlingen festmachen, das ist das un­terwerfende Moment, das in ihren Aussagen liegt. Sie verlagern damit ein übergeordnetes Problem auf eine Gruppe, die sie von den Deutschen ab­grenzen können und wollen. Indem sie dies tun, akzeptieren sie den Sexis­mus der deutschen Gesellschaft und geben sich der Illusion hin, als sei die­ser hier kein Problem mehr.

Dagegen verweist die gleiche Argumentation bei einem Mann eher darauf, daß er gegen den Verlust an Macht über Frauen klagt, sozusagen als unmit­telbare Verminderung seiner eigenen Handlungskompetenz, indem er „neidisch“ auf die türkischen Männer schaut, die nach seiner sozialen Kon­struktion noch über Macht über Frauen verfügen. Daß er dann dieses Ver­hältnis trotzdem ablehnt und nicht gutheißt, kann durchaus verschiedene Gründe haben. Einer könnte zum Beispiel sein, daß er sich mit seinem Machtverlust abgefunden hat und diesen nun auch von anderen Männern verlangt. Auch hier hätten wir es mit einer Spannung zwischen Rebellion und Anpassung zu tun, die jedoch anders gelagert ist.

Dies sind hier jedoch erste Interpretationsversuche, deren Berechtigung noch nachgegangen werden muß. Das halten wir auch deshalb für wichtig, weil wir die Feststellung gemacht haben, daß auch fortschrittliche Men­schen, zum Beispiel aus der Frauenbewegung, nicht dagegen gefeit sind, zu solchen rassistischen Einstellungen zu kommen. Doch hier liegen mögli­cherweise wieder andere Motive vor.[49]

 

4.1.8.4     Die Sprache der Interviewten

„Der Zweck der Mythen ist, die Welt unbeweglich zu machen.(Roland Bar­thes 1964, S. 147)

 

4.1.8.4.1  Vorbemerkung

Besonders die Syntax, aber auch der Wortschatz allgemein, trägt die typi­schen Merkmale der Umgangssprache im Ruhrgebiet, neben den üblichen Verkürzungen etc. gesprochener Sprache. Auf solche Merkmale wird im fol­genden nur eingegangen, wenn sie für unser Thema von Wichtigkeit sind. So können, um ein Beispiel zu nennen, Versprecher, sprachlich markierte Verzögerungsphänomene, Häufungen von sog. Gesprächswörtern etc. dar­auf verweisen, daß die Interviewten im Hinblick auf Aussagen zu Einwan­derInnen nicht so recht „mit der Sprache herauswollen“. Auf sprachlicher Mikroebene handelt es sich hierbei um sprechstrategische Phänomene, de­ren Untersuchung flankierende Aussagen zu den Haltungen gegenüber EinwanderInnen zulassen.

Im folgenden sollen jedoch die Kollektivsymbole, die verwendeten Bedeu­tungsfelder, die Pronominalstruktur, die Verwendung von Sprichwörtern und Redewendungen, sog. Gesprächswörter und die Funktion der vielfach verwendeten narrativen Elemente besondere Aufmerksamkeit erfahren.

 

4.1.8.4.2  Kollektivsymbole

Unter Kollektivsymbolen versteht man Symbole als „kulturelle Stereotypen ..., die kollektiv tradiert und benutzt werden.“ (Drews, Gerhard, Link 1985, S.265) Jede Kultur besitzt „ein synchrones System von Kollektivsymbolen“. (ebd. S. 266) Kollektivsymbole sind Symbole „mit kollektiven Produzenten bzw. Rezipienten (insgesamt: mit kollektivem Träger)...“ (ebd. S. 267)

Der Interdiskurs[50] wird nun von diesem synchronen System kollektiver Symbole zusammengehalten, deren wichtigste Verkettungen Katachresen (Bildbrüche) sind. Das System von Kollektivsymbolen ist nach Jürgen Link „der kitt[51] der gesellschaft. es suggeriert eine imaginäre gesellschaftliche und subjektive totalität für die phantasie. während wir in der realen gesell­schaft und bei unserem realen subjekt nur sehr beschränkten durchblick haben, fühlen wir uns dank der symbolischen sinnbildungsgitter in unserer kultur stets zuhause. wir wissen nichts über krebs, aber wir verstehen so­fort, inwiefern der terror krebs der gesellschaft ist ...“ (Link 1982, S. 11) Das System der Kollektivsymbole dient einerseits so dazu, die Widersprü­che der gesellschaftlichen Wirklichkeit zuzudecken, ein harmonisches Bild der (immer gleichen, „normalen“) eigenen Welt zu erzeugen, jede auch noch so dramatische Veränderung symbolisch zu integrieren, deutlich zwischen „Normalität“ und „Abweichung“ zu unterscheiden usw. Andererseits können sie dazu dienen, diese Abweichungen von dieser Normalität symbolisch zu kodieren und zu überhöhen („Fluten von Einwanderern“). Sie tragen so dazu bei, Mythen (i.S. von Roland Barthes) im Massenbewußtsein zu ver­an­kern. (Barthes 1964)

Das heute in der BRD (und anderen westlichen Industrienationen) funktio­nierende System der Kollektivsymbolik stellt nun eine schematisch zweige­teilte, dualistisch nach Schwarz und Weiß, nach Freund und Feind, nach In­nen und Außen, Oben und Unten, Rechts und Links entgegengesetzte Struktur dar, die durch verschiedene Kollektivsymbole repräsentiert wer­den kann: „So kann der Westen ... ein Flugzeug sein, das sich durch die Turbulenzen einer Wirtschaftskrise oder terroristischer Bedrohungen be­wegt.“ (Link 1991b, S. 79) So bedeutet etwa die Mitte die Normalität, reprä­sentiert z.B. durch eine Aussage wie: Die Waage darf nicht zu weit nach rechts oder nach links ausschlagen. So bedeutet das Haus unsere Gesell­schaft, die durch Fluten, wilde Tiere, Krankheiten, die eingeschleppt wer­den, bedroht sein kann.[52]

Kollektivsymbole haben nun nicht allein diese Oberflächenfunktion von verstellender Vereinfachung und Groborientierung; zusammen mit den Kol­lektivsymbolen tauchen im Bewußtsein der Rezipienten weitere Bilder auf bis hin zu ganzen Szenarien. Heinrich Böll, der sicher etwas von der Wir­kung von Bildern verstand, etwa schrieb: „Schon bei der bloßen Verwen­dung einer Nationalitätsbezeichnung tauchen Bilder auf, die wir meistens nicht einmal mehr kontrollieren und auch nicht mehr korrigieren kön­nen.“[53] Gemeint sind „Bilder im Wortsinne ...: bestimmte Fotos etwa, oder Bildeinstellungen, oder Karikaturen, oder suggestive Formulierungen in Sprache...“ (Link 1991b, S. 73f.)

In unseren Interviews tauchen die so gefaßten Kollektivsymbole zu Hunder­ten auf, jedoch häufig in besonderer Weise. Während wir einerseits eine Fülle sehr plastischer Kollektivsymbole gefunden haben, wie etwa Schiff oder Boot in Verbindung mit Formulierungen wie „Das Boot ist voll!“, womit darauf verwiesen werden soll, daß wir keine neuen Einwanderer mehr auf­nehmen sollten, finden sich vielfach blasse Formulierungen, die die Innen-Außen-Hier-Dort-Mitte-Rand Topik direkt ansprechen. Dem unterschiedli­chen Gebrauch dieser Markierungen soll im folgenden genauer nachgegan­gen werden.

In allen Interviews tauchen ohne Ausnahme plastische Kollektivsymbole (etwa Boot, Schiff, Flut, Welle) auf sowie viele abstrakte, wenig plastische Bezüge auf das Schema der symbolischen Funktionsweise des Politischen (etwa hier-dort).[54] Daneben gibt es gelegentlich Mischformen wie etwa „hier aufnehmen“, „bei uns einfließen“, wo zwar durch das Verb die Assozia­tion bewirkt wird, bei dem Hier handle es sich um ein Gefäß, einen Körper, unser Haus etc., ohne daß solche Bilder hier voll versprachlicht wären.

Sehr verbreitet ist die Fluß-Flut-Welle-Metaphorik:

Ich finde es im Grunde besser, wenn man Unterstützungen gibt, daß die Leute sich in ihren eigenen Ländern wohlfühlen und daß sie in ihrem eigenen Land, eh, Lebensbedingungen vorfinden, die, eh, so sind, daß man eben menschen­würdig, eh, dort wohnen kann. das würde ich also eher begrüßen als daß die Leute in unser Land einfließen und alle hierher kommen, weil der Lebens­raum halt so schon sehr eng war und also immer enger wird. (1/195-204)

Die Frau fühlt sich durch das „Einfließen“ der Fremden bedroht und beschwört ein Bild einer geradezu sintflutartigen Gefahr: unser Lebens­raum (!) wird überschwemmt, die Wasser steigen, so daß es für uns immer enger wird und wir Gefahr laufen, in der Flut zu ertrinken.[55]

Auch die Schiffsmetaphorik wird verwendet. So zum Beispiel in folgender Passage:

…nein, da wär es anner - an unserer Regierung auch ne weitsichtige Investiti­onspolitik zu machen, auf Sri Lanka oder inner Dritten Welt. Un da hielt ich et für sehr sinnvoller, manche Produktionsstätten aus ökologischen Gründen schon hier noch mehr Schwerindustrie rein, oder Automobilindustrie; Um­weltverschmutzer. Manche Investition auch dort zu machen, auf Sri Lanka oder inner Dritten Welt, um den Leuten dort Arbeitsplätze zu schaffen, ja. Das hielte ich also für wesentlich sinnvoller, als alle, mühselig und beladen, der Welt hier aufzunehmen, ne. Irgendwo is ja auch, denk ich ma, dat Schiff hin­terher, eh, vonner Besiedlungsdichte her, eh, erschöpft, ne, denk ich mir. (2/407-417)

Dieser Oberstudienrat hat sich schon so sein Weltbild zurechtgelegt: Den Dreck raus halten, Umweltverschmutzung nicht hier, sondern bitte in der Dritten Welt. Dreck zu Dreck! Denn „unser Schiff“ ist eh „erschöpft“; ein merkwürdiges Bild im übrigen. Er meint wohl: vollgeschöpft, findet das Wort nicht (s. die vorangegangene Pause) und verfällt auf eine semantische Kontamination, die Überfülle mit Erschöpfung in eins assoziiert. Hier taucht ein Weltszenario auf, das ein sauberes Deutschland enthält und sich jeder christlichen Nächstenliebe gegenüber den „Wirtschaftsflüchtlingen“ (Z. 406) zu enthalten habe: Die Mühseligen und Beladenen zu erquicken kann nicht „unsere“ Aufgabe sein (vgl. Matthäus 11, Vers 28), denn dann droht die Gefahr, daß es untergeht. So konnte ja schließlich auch die Arche Noah nur von jeder Tierart ein Pärchen aufnehmen, wenn man die Sintflut überstehen wollte.[56]

Daß ein Schiff von der Besiedlungsdichte her erschöpft sein kann, verweist zudem darauf, wie sich im Bewußtsein des Sprechers Bilder kata­chretisch verknüpfen. So läßt sich das imaginierte Weltbild trotz aller Wi­dersprüche zusammenhalten.[57]

Die Flut, die „uns“ bedroht, „unser“ Schiff gefährdet, soll zudem bereits weit weg von uns eingedämmt werden: in den Herkunftsländern der Flüchtlinge.

Auch muß das deutsche Schiff flott bleiben:

Wenn se die reinlassen in der Masse, dann sind wer nachher genau so aufem Trockenen wie die. Dat bleibt nich aus! Ich weiß ja nich, wieviel wir hier noch aufnehm können. (3/922-924)

Hier zeigt sich die Angst, „unser Schiff“ könnte stranden, wenn wir noch weitere „Millionen“ hineinlassen. Das Szenario assoziert aber auch die Wü­ste, in der „die anderen“ leben und die „uns“ auch droht, wenn die Anderen massenhaft hierherkommen: Wenige Zeilen vorher hieß es in einer Kritik an der päpstlichen Bevölkerungspolitik:

„Dä will ja, dat se sich noch mehr wie Sand am Meer ... Aber ma muß doch aufem Boden bleiben.“ (3/912-913)

Sandmassen bedrohen „uns“, entweder als Sandbänke, auf denen unser Schiff stranden kann, als Wüsten, in denen wir verdursten, oder als Ballast, der unser Schiff zum Sinken bringt. Das Bild von der Wüste und dem uns bedrohenden Sand gehört offenbar zum festen Bestandteil des Weltbildes dieses Bergmanns, der auch seinen Stollen gegen die hereinbrechenden Massen von Sand, Stein und Geröll absichern mußte. Die Redewendung, „man müsse auf dem Boden bleiben“, führt ein zusätzliches Bild katach­retisch hinzu: Die Stabilität muß gewahrt bleiben.

In Verbindung mit dem drohenden Golfkrieg wird das Bild nun noch erheb­lich um Wolken und Feuer und Sandstürme erweitert:

wenn dat da wirklich zum Knallen kommt, dann wird dat schon wat geben. Hundertdreißig Tage ham wa noch Ölvorrat. Un wenn dat da wirklich zum Knallen kommt, dann gnade uns Gott! Wenn dä wirklich da die ganzen Öl­felder ansteckt, wie ä sachte, nä, denn dat kriecht man ja nich me gelöscht, dat Feuer. Dann verbrennt ja alles! Dann kommen die Wolken, die Wolken, die kommen bis hier rüber. Bestimmt! ... Damals, wie der große Sandstuem, wa!? Da ham wer ja auch den Sand hier rübergekriecht, und wenn da solche Wolken - solche Ölfelder brennen, dann kriegen wir den Dreck auch noch ab. (3/644-654)

Abstrakte Symbole und Pragma-Symbole, also solche Bilder, die direkten Realbezug haben, verbinden sich hier zu einem Szenario apokalyptischen Ausmaßes. Die Bedrohlichkeit des Außen wird als real imaginiert: Sand, Feuer und Finsternis bedrohen unsere heile Welt und drohen sie zu ver­nichten. Daß dies kein Hirngespinst ist, belegt der Mann durch den Verweis auf den realen Wüstensand, der vor einigen Jahren tatsächlich unsere schönen Autos mit Staub befleckt hat.

Bevorzugt treten EinwanderInnen und Flüchtlinge auch in Massen oder auch als „Menschenmaterial“ und „in Rudeln“ auf:

Is schon ne ganze Masse, wat se da reingeschleppt haben“ (3/322-324)

Dat is ja unheimlich, wie die da mit dem ganzen Menschenmaterial kein Ende haben. (3/328-329)

was für uns Deutsche natürlich n bißchen ungewöhnlich is, daß die in größe­ren Mengen *äh* zusammen auftreten, ich sage immer hier „in Rudeln auftre­ten“. (18/99-102)

Die Flüchtlinge als Individuen verschwinden in der gesichtslosen Masse oder in Ghettos:

Die typische türkische Mutter (...) bleibt von daher irgendwie in nem türki­schen Ghetto innerhalb von nem  - äh, falsch in nem türkischen Vakuum innerhalb der deutschen Gesellschaft. (16/237-245)

Das Ghetto - das die Sprecherin nicht genannt haben will, offenbar weil sie damit die Ghettos der Juden assoziiert -  ist aus der Sicht der Deutschen in­teressanterweise ein Vakuum, leer, nicht gefüllt, weil leer von Deutschen, eventuell auch ein bedrohliches Loch im eigenen Gesellschaftskörper.

Andere Kollektivsymbole sind z.B. „Deutschland als Angelhaken“ (1/193) [58], „wasserdichtes (Asyl)Verfahren“ (2/405), „die Menschen sitzen aufein­ander“ (2/418), „die Räume sind ausgereizt“ (2/424ff.), das „Kopftuch“ (mehrfach als Pragmasymbol für die türkische Kultur, unter dem es gele­gentlich von Läusen wimmelt (3/219)), „unser geregelter Ablauf“ (3/717), das „Gefälle“ (Wohlstandsgefälle), das „Netz, durch dessen Maschen man fällt“ (6/450), das „gemachte Nest“ (6/293), „Barrieren“ (9/221), „Bayrisches Hof­bräuhaus“ (für Deutschland) (9/558), der „Brennpunkt“ (9/753), die „Zwitter­stellung“(10/457), der „Hut, unter den man alles kriegt“ (10/81), der „Kultur­kreis“ (12/399), die „Waage“ (16/121ff.), aus dem „Lot“ sein (16/655ff.), Deutsch­land „platzt aus den Nähten“ (17/88-899), die „Völkerwanderung“ (18/288), der „Himmel auf Erden“ (18/228), der „Zankapfel“ (20/275), „Zugvögel“ (21/182) usw. usw.

Blasse Formen von Kollektivsymbolen, z.B. solche, bei denen nur noch das Verb eine Metapher impliziert, ohne daß diese selbst versprachlicht wäre, treten z.B. auf in:

ist es nicht mehr möglich, daß man noch mehr Ausländer aufnimmt. (204-206)

Also, dat echte Asylanten - politisch verfolgte - durchkommen... (2/405f.)

Flüchtlinge dringen in einen Raum ein, der aber nicht genauer bestimmt wird. Es ist „unser“ Lebensraum, in den sie eindringen.

Die Topik verdünnt sich nicht selten zu knappen Ortsadverbien und vagen Richtungsangaben:

die Ausländer können sich hier, auch wenn sie es vielleicht wollen, schlecht in­tegrieren (1/103-105)

und daß sich die Lebensbedingungen dort verbessern. (1/209)

Die meisten Politiker wollen die Ausländer lieber rein als raus **, lieber raus als rein, Entschuldigung. (1/297-298)

Meine ursprüngliche Vermutung, daß die Verwendung plastischer und wohl ausgeführter Kollektivsymbol(systeme) besonders bei Leuten mit Abitur und akademischer Ausbildung sowie „gehobener“ Zeitungslektüre anzutref­fen sei, während alle anderen eher blasse Topoi zur Orientierung im System der politischen Symbolik verwenden, bestätigte sich nicht.

Da Kollektivsymbole ein bevorzugtes Mittel des Mediendiskurses sind, kön­nen wir davon ausgehen, daß ihr so häufiges Auftreten im Alltagsdiskurs auf die intensive Einwirkung des Mediendiskurses zurückzuführen ist. „Tendenziell gilt heute“, so schreibt Jürgen Link, „daß keine politische Aus­sage mediengerecht ist, wenn sie nicht symbolisch kodiert ist.“ (Link 1991b, S. 77) Als besonders stark schätzt auch van Dijk den Einfluß des Medien­diskurses auf das Alltagsbewußtsein ein. (van Dijk 1991, S. 40f.) Da zudem die Affinität des hier untersuchten Alltagsdiskurses zum Me­diendiskurs auch in anderen Zusammenhängen aufgezeigt werden konnte, kann wohl mit einigem Recht behauptet werden, daß die Kollektivsymbolik der Medien in den Alltagsdiskurs penetriert, oder umgekehrt und allgemei­ner: Auch anhand der Untersuchung der Kollektivsymbolik erweist sich der Einfluß der Presse.

Eine ähnliche Funktion wie die Kollektivsymbole haben auch Gegenüber­stellungen wie „wir“- „die anderen“, „unser“- „ihr“, da auch sie der Aus- und Abgrenzung des Anderen dienen.

 

4.1.8.4.3  Bedeutungsfelder

Als Bedeutungsfelder fasse ich Gruppen von Wörtern, die bestimmte Le­bens-, Sozial-, Natur- etc. -bereiche ansprechen. Ich meine damit nicht sprachliche Felder im Sinne Jost Triers, der davon ausgeht, daß sich sprachliche Inhalte wechselseitig begrenzen etc. (Trier 1931). Mich interes­siert mehr die Vorstellung von Wirklichkeit, die die Leute im Kopf haben, als die lexikalischen Mittel, die sie dazu benötigen.[59] Daher gehe ich von der Bedeutung der Wörter im jeweils aktualisierten sprachlichen Kontext aus, als Voraussetzung dazu, ihre für die Sprechenden jeweilig konkrete Bedeutung zu ermitteln. Auf dieser Grundlage haben wir die Wörter „Wirklichkeitsbereichen“ zuzuordnen versucht.[60] Auf diesem Wege wollten wir ermitteln, was für die von uns interviewten Leute wichtig ist und um was sich ihr Denken und Trachten bewegt.

Eine zusammenfassende Analyse der Bedeutungsfelder aller Interviews kann nur grobe Hinweise darauf geben, wo die Themen- und Interessen­schwerpunkte aller Interviewten liegen. Gleichwohl möchte ich darauf nicht verzichten, weil diese, wenn auch grobe Analyse, Schlußfolgerungen für die Beschaffenheit des „sozialen Blicks auf und die Vorstellung von Wirklich­keit“ zuläßt.

Beachtet werden muß bei diesem Bemühen jedoch auch, daß den Inter­viewten bestimmte „Gegenstände“ angeboten worden sind. Ich erinnere deshalb an die in den Interviews von den InterviewerInnen angesprochenen Themen:

        Nachbarn, Nachbarschaft, Stadt

        „Ausländer“, falls die Interviewten nicht von sich aus darauf zu spre­chen kommen

        Geschehen und Erlebnisse in Parks, öffentlichen Verkehrsmitteln, Ge­schäften

        Arbeit, Beruf

        Schule (falls die Interviewten schulpflichtige Kinder haben)

        Quellen des Wissens (Medien, Bekannte, eigene Erfahrungen)

        Situation der Frau

        Vereinigung Deutschlands/Öffnung des Ostens

        Europäischer Markt und Abschottung nach außen

Die Bedeutungsfelder in unseren Interviews sind in der Reihenfolge ihres Umfangs die folgenden:[61]

        Wohnen, Wohnumfeld, Nachbarschaft (ca. 600)

        (andere) Kultur, Sitten, Gebräuche ca. 500)

        Familie, Verwandtschaft: ca. 450

        Nationen/Nationalitäten (ca. 400)

        Orte, Städte ca. 400

        Arbeit, Beruf ca. 350

        Zeit, Zeitbezüge: ca. 320

        Politik, Wirtschaft ca. 270

        Verkehr ca. 200

        Gemüt, „Mentalität“, Gefühl, Verstand ca. 200

        Nation, Heimat ca. 170

        Medien ca. 150

        Geld, Wohlstand ca. 150

        Krieg, Bedrohung durch andere Staaten ca. 120

        Natur, Tiere ca. 120

        Institutionen ca. 80

        Geschäfte ca. 60

        Körperteile ca. 50

Diese groben Bedeutungsfelder spiegeln die Themenvorgabe in den wesent­lichen Bereichen.

Auffällig ist, wie oft Zeit und Zeitbezüge angesprochen werden, zumal kei­ner der „Impulse“ darauf abzielte. Dies verweist auf die vielen historischen Bezüge, die vorgenommen worden sind, auf „den Blick zurück“. Der Blick auf die Vergangenheit, auch die des Dritten Reiches, spielt doch eine erheb­liche Rolle. Daneben gibt der Umfang dieses Bedeutungsfeldes auch einen Hinweis darauf, wie wichtig in unserer kapitalistischen „Industriekultur“ zeitliche Begrenzungen, Vergleiche etc. sind. Dabei ist auch die disziplinie­rende Funktion der (sozial erzeugten) Zeit mit dem Resultat einer sozusa­gen „inneren Zeitdisziplin“ zu beachten.

Auch die Verweise auf Gemüt, „Mentalität“, Gefühl und Verstand sind re­lativ häufig. Die Interviewten beschäftigt die Basis von Denken und Fühlen erheblich. Möglicherweise spiegelt sich hier das, was Etienne Balibar „das Begehren nach Erkenntnis“ genannt hat, die er den Menschen unterstellt, den Versuch also, sich in der Wirklichkeit zu orientieren, darüber zu philo­sophieren, wie menschliches Wissen, menschliches Verhalten etc. sich er­eignen. (Balibar 1989, S. 369f.)

Das Denken kreist zudem stark um Besitz und Wohlstand, die Sicherheit der eigenen Existenz. Auch Natur und Tiere beschäftigen viele der Inter­viewten.

Überraschend ist die große Zahl der angesprochenen Nationen (s. auch dort) und die Häufigkeit der Erwähnung von bestimmten Nationen insgesamt. Das Außen wird offenbar sehr aufmerksam, wenn auch selektiv, zur Kennt­nis genommen. Ebenso das Innen: Wohnen, Wohngebiet, Nachbarschaft, (Nah-)Verkehr, Familie, Verwandtschaft, der Ort, die Stadt, in der man lebt, sowie Arbeit und Beruf. Auch hier spiegelt sich eine Außen-Innen-Po­larisierung, die anhand anderer sprachlicher Aspekte bereits konstatiert werden konnte.

 

4.1.8.4.4  Der Gebrauch der Pronomina

Pronomina dienen dazu, das Ich von dem Anderen, „uns“ von „denen“, die nicht zu uns gehören, das, was mir gehört und mir zusteht, von dem, was anderen gehört und zusteht, abzugrenzen und zu unterscheiden, ohne daß die gemeinten Personen direkt „beim Namen genannt“ werden. Sie stehen „für“ etwas. Ich beziehe mich hier zunächst auf die Darstellung der „Anderen“ und des „Ich, Wir“ als Gegensatz, gehe aber auch auf Unter­scheidungen innerhalb des „Wir“ ein.

Interessant sind hier besonders die Darstellungen der Deutschen und der EinwandererInnen als Nationalitäten. Wenn von einzelnen Menschen die Rede ist, zeigen sich keine Auffälligkeiten. Da die Interviewten sehr viel aus eigener Erfahrung (ich, wir) oder doch fast immer ganz konkret berichten, tauchen verallgemeinernde Pronomina relativ selten auf, wenn aber, dann in besonders aufschlußreicher Weise.[62]

Das deutsche Volk wird den EinwanderInnen etwa folgendermaßen gegen­übergestellt:

 Ja, ich meine, wir sind ja selber schuld. Wir ham die ja hier reingeholt. Die sind ja nicht von alleine gekommen. (3/245f.)

Der Sprecher identifiziert sich mit den Deutschen, obwohl ihn ja keiner ge­fragt hat, ob er „Gastarbeiter“ geholt haben möchte oder gar selbst holen wollte. Die Einwanderinnen sind „die“ als amorphe Masse.

Aber es gibt auch Distanzierungen zu diesem „Wir“ in Gestalt eines „Sie“. Vgl.:

Is schon ne ganze Masse, wat se da reingeschleppt haben! (3/322f.)

Der Interviewte verweist auf die Politiker, die er hier nicht als Teil des Wir versteht. Er äußert Unzufriedenheit mit der Politik, während oben Zustim­mung, Identifikation signalisiert wird. Dabei handelt es sich um den glei­chen Vorgang: Die Anwerbung von „Gastarbeitern“. Während er oben meint, das Problem sei unser aller Schuld, wälzt er hier die Verantwortung auf die Politik ab. Die Aussage ist hier auch viel schärfer: oben war von „die“ die Rede, hier von einer „Masse, die reingeschleppt wurde“. Neben allgemeiner Identifikation zeigt sich spezielle Abgrenzung gegenüber den Politikern.

Aber die Abgrenzung gegenüber den Politikern wird nicht lange durchge­halten. Unmittelbar folgend, heißt es im gleichen Interview, und hier geht es nicht mehr um „Gastarbeiter“, sondern um Asylbewerber:

Dat is ja nu - hier ham wer ja nun noch Glück, nich? Wenn dat nun alles, vom Libanon und wo die alle herkommen. Da kann man ja hier anundfüsich ganz froh sein! (3/323-325)

Tauchen größere „fremde Massen von weither“ auf (Asylbewerber) (= „dat alles“) (Libanon, Orient), sieht der Interviewte Deutschland bedroht, mit dem er sich als „wir“ sofort wieder identifiziert. In „man“ bezieht er sich weiter als Person in die (deutsche) Allgemeinheit ein.

Hier zeigt sich die unterschiedliche Wahrnehmung von Asylbewerbern und Gastarbeitern, die man ja geholt hat, während die anderen kommen und „scheinheilig“ um Asyl bitten. So heißt es etwa 3/432ff.:

Aber dat kann man ja gar nich mehr überprüfen, wenn welche vom Libanon kommen und von wo die herkommen. Wie will man denn da überprüfen, ob der wirklich politisch verfolgt is oder ob der nur hierhegekommen is, um zu arbeiten und Geld zu verdienen, wo der dann in einigen Jahren wieder zu­rückgeht. (3/432-436)

Interessant ist hier, daß die Asylbewerber hier als Einzelpersonen wahrge­nommen werden: „der“, nachdem sie unmittelbar zuvor im Plural als „welche“, „die alle“ bezeichnet worden sind. Der Einzelne verschwindet hier in der großen Masse.

Auffällig ist das Springen zwischen Allaussagen und den Einzelfallbeispie­len, mit denen die Allaussagen erhärtet werden sollen. Das ist eine spezifi­sche Form der Beweisführung, die aus den Medien (vgl. die Bildzeitung) hinreichend bekannt ist (Kasuistik).

Die Identifikation mit dem allgemeinen deutschen „Wir“ wird auch bei der Rede über den drohenden Golfkrieg deutlich. Obwohl der Interviewte kein Öl braucht und nicht Auto fährt, meint er:

... wenn dat da wirklich zum Knallen kommt, dann wird dat schon wat geben. Hundertdreißig Tage ham wa noch Ölvorrat. … Wenn dä wirklich da die gan­zen Ölfelder ansteckt, wenn ä dat wirklich macht, wie ä sachte, nä, denn dat kriecht man ja nich me gelöscht, dat Feuer. Dann verbrennt ja alles! Dann kommen die Wolken, die Wolken, die kommen bis hier rüber. Bestimmt! (3/644-650)

Die Wolken werden den Mann zwar auch persönlich beeinträchtigen, fürch­tet er, und er erinnert sich an den großen Sandsturm, der den Wüstensand bis „zu uns“ brachte. (s. auch Kollektivsymbole). Aufgebracht konstatiert er wenig später:

Das Schlimme is ja nun, dat wir - dä is ja fanatisch, abe wie gesach, warum dä so haart is… (3/656-657)

Der Mann sieht also insbesondere die Bedrohung von „uns“.[63]

Das verallgemeinernde deutsche „Wir“ bezieht sich auch auf die (alte) Bun­desrepublik. Zu den Folgen der „Vereinigung“ meint er:

Bezahlen müssen wir den Spaß! Ob dä Kohl jetz uns versprochen hat, daß das ohne Steuern und alles abgeht ... (3/546-548)

Oder:

Ich fürchte, dat wir noch drankommen. (3/550)

Wie diffus die Sicht von verallgemeinerndem und persönlichem Wir ist, geht aus der folgenden Passage hervor:

Und wenn das Wirklichkeit is, eh, das könn we ja nich - we kenn ja die Ge­schichte nich. (3/664-665)

„Er“ kennt die Geschichte nicht und spricht trotzdem von „wir“. „Die“ Deut­schen kann er damit nicht gemeint haben, aber wen dann?

In der folgenden Passage ist dagegen völlig klar, daß er „die“ Deutschen meint, mit denen er sich identifiziert und deren „Jungs“ marschieren müs­sen:

Ja, un die Türkei is ja auch dadran. Un dadurch hängen we ja da mit drin! Wenn dä die Türkei irgendwie anpackt - we sind ja Nato-Verbündete - dann müssen wir ja auch da mitmarschieren. Un dat is für unsere Jungs - man weiß et ja nich - ja nich so schlimm. (3/671-674)

Von dem „wir“ unterscheidet er aber weiterhin die Politiker:

... dann bleibt uns ga nix anderes übrig. Da brauchen die keine Gesetzesände­rung für machen. ... dat we da mithelfen müssen. ... dann sim wer mit drin. (3/687-693)

Mit dem „Wir“ grenzt der Mann auch die Männer von den Frauen ab:

Frauen ham da noch was, was wir nich haben. (3/808 passim)

Er (sein männliches Ich) plustert sich als Saubermann gegenüber seiner Frau auf. (3/858-873)

Es gibt also

        das persönliche „Wir“ (Ich, Du etc.),

        das „wir“, mit dem die Männer sich von den Frauen abgrenzen,

        das verallgemeinernde „Wir“ = Deutschland,

        und das die Ex-DDR ausschließende „Wir“ = Deutschland.

zu dem „Se“, die Politiker, noch einmal abgegrenzt werden.

Alle diese „Wir“ stehen den Anderen (die, dä etc.) gegenüber. Anders: Neben dem persönlich sozialen Zusammenhang gibt es die Frauen, das deutsche Volk, die Einschränkung dieses Volkes auf die Ex-BRD und die Abgrenzung gegenüber den Politikern - zum einen; die Grenzen dazwischen sind manchmal fließend.

Das „Ich“ ist in diesem Interview (Nr. 3) demgegenüber eher schwach, aufs Persönliche begrenzt, klein („Dat versteh ich auch nich“. (3/680); viele Re­den werden mit „ich meine, ich glaube“, „Ich meine, dat is meine Meinung.“ (981)) etc. eingeleitet). Stark betont, taucht das männliche Ich gegenüber der Frau auf (3/859-873), und wenn es um die typischen deutschen Tu­genden wie Sauberkeit, Ordungssinn, Pünktlichkeit etc. geht (vgl. 3/862 ff.). Das gilt auch für die anderen Interviews mit Leuten nicht-akademischer Berufe bzw. ohne Abitur. Das „Ich“ ist zwar nicht restlos unterdrückt, steht aber längst nicht so stark im Vordergrund wie das „Wir“ der verschieden­sten Ausprägungen und erst recht nicht so stark wie das „Ich“ der Inter­viewten mit Abitur.

Die hier insgesamt sichtbar werdende üppige und differenzierte Weise des „Wir“-Gebrauchs dominiert zwar, findet sich so jedoch nicht in allen Inter­views. In Interview 12 z.B. verwendet die 23-jährige Studentin das „Wir“ ausgesprochen selten:

Wir leben auf Kosten verarmter Länder. (12/643f.)

In diesem Interview wie auch in einigen anderen ist denn auch die beson­dere Häufigkeit der Verwendung der 1. Person Singular zu beobachten, so zum Beispiel in Interview Nr. 6 mit einem 23jährigen Studenten der Ver­messungstechnik.[64] Er berichtet fast ausschließlich aus der Perspektive seines Ich. In den 520 Zeilen seiner Rede verwendet er rund 300 mal sein „ich“ bzw. Ableitungen davon. Er gebraucht diese Strategie als eine Art „Rückendeckung hinter sich selbst“, worauf auch die vielen subjektivieren­den „find ich, mein ich“ etc. verweisen.

Dieser Verwendung des Ich korrespondiert das häufig verwendete verall­gemeinernde „man“, das wie eine Art verallgemeinernden Stellvertreters auch des „Ich“ wirkt:

... weil ich hier aufgewachsen bin, von daher macht man - verbringt man die meiste Zeit hier. (6/16f.)

Hinter dem „man“ kann sich das „ich“ auch zu verbergen versuchen:

man kann nicht alle Asylanten über einen Kamm scheren… (6/396f.)[65]

Ähnliches gilt für Formulierungen wie „die Leute“ (für „die Deutschen“). Sol­che Formeln dienen aber auch der verallgemeinernden Bezeichnung „der anderen“.

Die Dominanz des „ich“ vor dem „wir“ ist, von einer Ausnahme abgesehen, in allen Interviews mit Studierenden bzw. Akademikern zu beobachten.[66] Das „Wir“ kommt in diesen „Studierten-Interviews“ zwar gelegentlich auch vor, aber im allgemeinen nur dann, wenn von ganz persönlichen Verhältnis­sen, der eigenen Familie etc. die Rede ist oder als Plural Majestatis. Nur zweimal findet sich eine derartige Dominanz des „Ich“ bei Menschen ohne Abitur. Die Interviewte in Nr. 15, die 128 mal „Ich“ verwendet, bedient sich nur 2mal des „Wir“; sie ist 34 Jahre alt, hat einen Realschulabschluß, lebt als Single und ist selbständige Schauwerbegestalterin. Die Taxifahrerin in Interview 20 verwendet das „Ich“ meist nur in Verbindung mit Floskeln der Unsicherheit wie „ich mein, ich glaub“ neben „wir“, wobei „wir Westdeut­sche“ dominiert. Zu vermuten ist, daß jüngere und eher gebildete junge Leute dem unterworfen sind, was als Individualisierung und verstärkte Ichbezogenheit bezeichnet werden kann.[67]

Eine quantitative Betrachtung der Pronomina zeigt im übrigen, daß die Einwanderer sehr viel häufiger hinter Pronomen verschwinden, insbeson­dere hinter „die“, „die alle“, während die Deutschen tendenziell sprachlich konkreter gefaßt werden.

An den Pronomina zeigt sich häufig auch die Kontextgebundenheit des Sprechens. Beispiel:

Die sind ja noch nich eingegriffen. Se sind aber wohl schon nahe dran! Wenn et zum Knall kommt, dann müssen se auch da sein! Ja, nun! (3/703-704)

Mit dem letzterem „se“ sind „Deutsche Jungs, die an die Front sollen“ ge­meint, was erst mühsam aus dem weiteren Kontext zu erschließen ist. Diese Kontextgebundenheit führt auch dazu, daß das Verständnis des Gemeinten gelegentlich sehr stark erschwert oder gar verunmöglicht wird:

Das ist dann bloß zuviel alles. Ja, die haben dann auch Befürchtungen, wenn das schlechter wird oder wieder ne starke Diktatur ne, daß denen dann auch schlechter geht. Der Antisemitismus macht sich ja auch schon breit. Deswegen hauen so viele ab, bestimmt. Von Rumänien kommen ja auch immer noch wel­che, Asylanten und so. (4/252-357)

Das könnte man als sprachliche Ungeschicklichkeit oder als Folge einer Konzentrationsschwäche abtun, was es sicher auch ist. Zugleich wird aber hier deutlich, wie wenig Wert auf klare Unterscheidungen der Personen ge­legt wird: es sind sie alle, die da kommen und uns beschweren.

 

4.1.8.4.5  Die Funktion von Sprichwörtern und Redewendungen

                        „Der Mythos tendiert zum Sprichwort.“  (Barthes 1964, S. 145)

Für die Sprechweise der Interviewten ist der Gebrauch von Sprichwörtern, (mehr oder minder) fester Redewendungen, Sentenzen, Vergleiche etc. cha­rakteristisch. Eine Abgrenzung dieser sprachlichen Mittel ist in einer Viel­zahl von Fällen nicht möglich, ja, die Frage, ob es sich im einzelnen Fall um eine Redewendung handelt oder nicht, ist vielfach nur intersubjektiv auszuhandeln.[68]

Relativ problemlos ist die die Markierung von Sprichwörtern, deren Funk­tion in unseren Texten ich mich zunächst zuwenden möchte:

Sprichwörter

„Sprichwörter sind allgemeine Aussagen oder Urteile, mit denen eine gege­bene Situation erklärt, eingeordnet, beurteilt wird. Der Sprechende beruft sich dabei auf die »Volksweisheit«, d.h. auf die allgemeine Erfahrung, die diese Sätze geprägt hat.“ (Burger 1973, S. 54) Sie haben Autorität.

Es stellt sich die Frage, in Verbindung mit welchen Sachverhalten Sprich­wörter geäußert werden.

Voll ausgeführte Sprichwörter tauchen z.B. in Interview 3 immer zusam­men mit kritischen Aussagen über EinwanderInnen und Juden auf:

Nachdem Juden als betrügerische Kaufleute mehrfach vorgestellt worden sind, charakterisiert der Interviewte den Weg, auf dem diese zu Reichtum gekommen sind, wie folgt:

Ich nehm dat an, dat dat typisch is, denn von nix kommt nix. (3/609)

Unmittelbar darauf holt er zu einer (weiteren) diskriminierenden Juden­story aus und meint:

Die Juden „die haben sich an dä Hauswand den Kaftan saubergescheuert. (...) Und auf einmal warn se gemachte Leute. 3/611-615)

Sich an der Hauswand den Kaftan sauberscheuern: Diese Aussage ist nicht ganz einfach zu verstehen. Sie hat den Charakter eines Sprichwortes, zu­mindest aber einer festen Redewendung. Sie ist heute wohl wegen ihres in­härenten Antisemitismus mehr oder minder ungebräuchlich geworden. So fragt denn auch der Interviewer nach, was diese Aussage bedeute, und der Mann antwortet:

Den Rücken ham die dauernd an die Wand, haben die sich den sauberge­scheuert. Die hatten ja weiße Wände da in de Eifel, da hamse sich sauberge­scheuert, und en paar Jahre von dem Bauchhandel und wat se da so getrieben haben, warn die gemachte Leute. (3/618-621)

Durch den Interviewer mehr oder minder gezwungen, das Sprichwort zu erklären, flüchtet der Mann ins Konkrete, um sich und dem Fragenden den Inhalt des Gesagten zu verdeutlichen. Dieses Verfahren ist sehr bezeich­nend für diesen Mann: Er stellt sich vor, daß die Juden in sauberer weißer Kleidung, deren Sauberkeit sich aber nur der Tünche oder Kreide des Eifel­hauses verdankt, einen guten sauberen Eindruck zu machen versuchten, obwohl sie in Wirklichkeit schmutzig waren, um durch dieses Täuschungs­ma­növer ihre Ware besser an den Mann und die Frau bringen zu können. Diese merkwürdig erscheinende Denkhaltung erklärt sich daraus, daß der Interviewte ein Sauberkeits- und Ordnungsfanatiker erster Güte ist. Diese „Tugend“ verbindet sich bei ihm hier mit seinem tiefsitzenden Antisemitis­mus. Besonders wichtig scheint mir aber auch hier, daß das Sprichwort in enger Verbindung mit der Diskriminierung der Juden verwendet wird und zugleich einen antisemitischen Einschlag hat. Dieser Spruch wird dann auch noch mit der Redewendung „ein gemachter Mann sein“ verbunden.

Im folgenden läßt sich der Mann über die mangelnde Ordnungsliebe der EinwanderInnen aus, worauf er doziert:

Ordnung ist das halbe Leben. (3/867)

Die „anderen“ bereiten uns zu hohe Kosten, deshalb meint der Interviewte:

Irgendwo muß man die Kirche im Dorf lassen!  (3/880)

Hier kritisiert er die Nicht-“Normalität“ der angeblich zu hohen Kosten, die die Einwanderer uns aufzwingen. Dabei beruft er sich konkretisierend auf eine wichtige Autorität, die durch das Sprichwort selbst nahegelegt wird:

Sacht der Herr Pastor! (3/880)

Die „Faulheit“ der Spanier bekräftigt er kritisch mit der abgewandelten Le­bensweisheit:

Wat we heute nich machen, machen we morgen, wenn morgen nich, übermor­gen. (3/895f.)

Den „faulen“ Spaniern wird hier in den Mund gelegt, daß sie die deutsche Sentenz: „Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!“ partout nicht befolgen wollen. Sie stellen unsere Normen sozusagen auf den Kopf und setzen noch eins oben drauf, indem sie ihre „Faulheit“ auch in der nächsten Zukunft - „übermorgen“ - beizubehalten gedenken.

Auch in der folgenden Erzählung über Türken, die mit Sack und Pack billig reisen wollen und „uns“ in öffentlichen Verkehrsmitteln den Platz wegneh­men, wird die Kritik durch ein Sprichwort - hier ein „Tell-Zitat“ - unterlegt:

die Gelegenheit war günstig. Die versuchen immer wieder die günstige Ge­legenheit herauszupicken. (3/1048f.)

Das zum Sprichwort gewordene Zitat wird dann noch weiter verallge­meinert, wobei das Picken zudem noch Einwanderer mit Tieren (Hühnern, Vögeln) assoziiert.

In Verbindung mit Betrachtungen über die „anderen“ Eßgewohnheiten von Türken bemerkt ein 60-jähriger Rentner und ehemaliger Kranführer:

Jedem das Seine! (4/549)

Wo mag er diesen Spruch wohl herhaben? Die zynische Parole, die in jedem KZ zu lesen war und sagen sollte, daß die KZ-Insassen ihr Schicksal selbst verschuldet und auch verdient hätten, hat sich in seinem Schatzkästlein deutscher Sprüche fest verwurzelt.[69]

Die Armut der Herkunfts-Länder wird durch folgenden Spruch zu relativie­ren versucht:

…und dann wird immer natürlich dabeigesagt, daß die BRD eben eins der reichsten Länder ist, und wir herrlich, wir leben wie Gott in Frankreich ... (11/338-340)

 

Redewendungen

Feste oder stehende Redewendungen stellen, ähnlich wie die Sprichwörter, eine Weise des nichtwörtlichen Sprechens dar. Sie sind „Routinen des Spre­chens“, „Einheiten der Sprachbewußtheit“.

Ihr häufiger Gebrauch verweist auf solche Routine.[70]

Sie haben in unseren Interviews eine den Sprichwörtern vergleichbare Funktion von Verallgemeinerung und Bekräftigung der Kritik an den Ein­wanderern. Sie kommen natürlich sehr viel häufiger vor als Sprichwörter. Dazu eine Auswahl von Beispielen:

werden die (Menschen in fernen Ländern) veranlaßt, ihr Glück au ma hier zu versuchen. (2/384f.)

Die zu „uns“ komenden Einwanderer sind demnach eine Art Glücksritter. Man denke auch an die Liedzeile: Man muß sein Glück probieren, marschie­ren ...

Wenn die Leistung nich stimmt, dann kanne ja nix verdienen, dann kann er ja nix verlangen. (3/519-521)

Bezahlen müssen wir den Spaß. (3/546f.)

Wenn der Golkfkrieg ausbricht,

Dann gnade uns Gott! (3/647)

Zur Frage des Einsatzes deutscher Truppen am Golf wird gesagt:

Da geht ja kein Wech dran vorbei! (3/700)

Die folgende Aussage

Der Jude is - ich kann dat ja aus meiner Sicht sagen - dat is ja en Ge­schäftsmann. (3/581f.)

stellt eine immer noch gängige feste Redewendung dar, die als solche be­reits antisemitisch ist.

Kritisch gegenüber den TürkInnen wird angemerkt:

Jaah! Ich mein, en bissel Ordnungssinn (muß sein) (3/854) [71]

Weitere Redensarten in diskriminierenden Kontexten sind in den folgen­den Passagen zu finden:

Wenn natürlich alle Ausländer jetz, die hier reinkommen und Sozialhilfe empfangen wollen und hier auffer faulen Haut sitzen und dafür dat ich Steuern zahlen darf, dann fühl ich mich benachteiligt. (5/776-780)

die sollen doch erstmal selber ein bißchen arbeiten und sich hier nicht ins gemachte Nest setzen. (6/292f.)

man kann nicht alle Asylanten über einen Kamm scheren.(6/396f.)

da ist natürlich klar, daß die Leute hier rüberkommen, sich hier den Himmel erhoffen... (6/441f.)

und da muß jeder sein Schäflein beitragen. (9/395

Über die einwandernden Juden wird hämisch gesagt:

Vielleicht kommen se ja vom Regen in die Traufe.(11/169f.)

Gegenüber den Ansprüchen von DDR-Bürgern wird gesagt:

Wir (finden) unser Geld nicht auf der Straße. (18/272)

Solche festen, und weil fest, sehr verbreiteten Wortverbindungen dienen dazu, den Aussagen den Charakter allgemeiner Gültigkeit zu verleihen. Sie enthalten häufig moralische Volksweisheiten, die verbreitet akzeptiert sind und üblicherweise auch zu Bewertungen verwendet werden.[72] Die sozial verankerten und geregelten sprachlichen Versatzstücke dienen zudem der Verallgemeinerung und Bestärkung des Gesagten und sind somit auch als redestrategische Elemente zu verstehen.

 

4.1.8.4.6  Gesprächswörter wie ne, ja, ehm etc. und ihre Funktion

Auffällig sind die vielen ne, nich, newa (= nicht wahr?! = Bist Du/ Sind Sie nicht auch dieser Meinung, Sehen Sie das (nicht) auch so?) und ähnliche Formen, die meist am Satzende bzw. an markanten Stellen auftauchen. Sie strukturieren nicht nur die Rede, indem sie deutliche Pausen, Satzenden etc. markieren. Sie werden auch als Bekräftigung des Gesagten und zugleich als Frage intoniert. Die Funktion ist zweifelndes Heischen um Be­stätigung und Bekräftigung der Richtigkeit des Gesagten zugleich. Die In­terviewten scheinen sich nicht so ganz sicher zu sein, ob das richtig ist, was sie gesagt haben, nicht sicher, ob der Gesprächspartner der gleichen Mei­nung ist wie er/sie etc., wollen sich aber dessen Zustimmung vergewissern. Auch hier sieht man die bereits beobachtete Strategie der Relativierung und der Unterstreichung des Gesagten auf mikrostruktureller Ebene. Solche Gesprächswörter erscheinen am häufigsten in Gestalt des „ne“. Auffällig ist hier, daß Leute mit Abitur etc. deutlich weniger von solchen Mitteln Ge­brauch machen. Eine Ausnahme stellt auch hier der Techniker aus der Eifel dar (Interview 7). So kann man schon folgern, daß Menschen mit „höherer“ Bildung sprachlich sicherer im Interview auftreten und durchsetzungsfähi­ger wirken.

Die Herkunft dieser Negationsform läßt sich an Interviews ablesen, in denen in gleicher Funktion ausgeführtere Floskeln erscheinen wie „mein ich, so ähnlich, ich weiß es nicht, das begreif ich nicht, kennst du ja, ja, tja“ etc. Interview 11 z.B. enthält fast keine „ne“, dafür aber eine Vielzahl sol­cher Gesprächskontaktwörter, die dazu dienen, Zweifel und Bestätigungs­wunsch zugleich zu artikulieren. Strategisch gesprochen, liegt hier der Wunsch nach Akzeptanz und Nähe vor, gerade wenn heikle Aussagen fal­len. Oft ist zu beobachten, daß Aussagen über EinwanderInnen gehäuft mit Unterbrechungen gespickt sind, die dann durch „äh, eh, mhm“ etc. gefüllt werden. Dies verweist darauf, daß Aussagen dieser Art als gefährlich emp­funden werden, weshalb man Denkpausen benötigt, um die „richtigen“ Worte zu finden. Auch hier zeigt sich auf einer Mikroebene das Bemühen, einen guten Eindruck zu machen und sich keine Blöße geben zu wollen. Menschen mit Abitur verfahren so, daß sie solche Denkpausen etwas elabo­rierter füllen, mit „das kann ich jetzt nicht so genau sagen, das kennst du ja“ usw.

 

4.1.8.4.7  Zur Funktion der narrativen Strukturen: Geschichten

In den Interviews ist häufig zu beobachten, daß die Gesprächspartner zu längeren Geschichten ausholen oder aber doch zu episodenartigen Erzäh­lansätzen bzw. Erzählungsbruchstücken, bei denen dann ein expliziter Schluß fehlt, Argumente übersprungen werden etc. Solche Geschichten werden in den konversationalen Interviews durch den Gesprächspartner gelegentlich beeinflußt oder gar gestört. Die Art und Weise, wie wir die In­terviews geführt haben, ließ der Erzählfreude i.R. jedoch freien Lauf. In die­sen Geschichten liegt daher am authentischsten freies Reden vor, so daß diese für die Ermittlung rassistischer Einstellungen besonders wichtig sind. Insgesamt ließ sich feststellen:

Daneben, daß solche narrativen Elemente sicherlich auch Ausdruck einer gewissen Freude am Erzählen sind, haben sie aber im Rahmen der Argu­mentation der Sprechenden eine bestimmte Funktion: Das eigene Urteil ab­zusichern und zu legitimieren, ohne daß man sich in jedem Fall mit dem Inhalt der Geschichten identifizieren lassen muß. Sie haben so auch eine gesprächsstrategische Funktion.

Neben Berichten aus eigener Erfahrung stehen Geschichten, die Versatz­stücke („volkstümlicher“) sozialer und verallgemeinerter Erfahrungen sind, die mündlich weitergegeben und teilweise über Generationen tradiert wer­den können. Solche Geschichten stellen eine Art „Volksvermögen“ dar (Rühmkorf), das in der offiziellen Kommunikation nicht oder selten anzu­treffen ist, normalerweise versteckt auftritt und somit Bestandteil einer Art „Untergrundkommunikation“ ist.[73] Oft handelt es sich sogenannte „kleine Formen“, ähnlich wie Witze[74], Fabeln oder auch Märchen. Oft ist das Er­zählen solcher Geschichten von Lachen begleitet. Sie werden offenbar auch als humoristische Einlagen verstanden, mit denen der Zweck verfolgt wird, „eine gemeinsame verstohlene Billigung zu erzielen für etwas, das wegen moralischer Hemmnisse nicht ausdrücklich gebilligt werden kann.“ (Myrdal 1944, S. 39)

Aber auch die Geschichten aus eigener Erfahrung sind nicht nur individu­elle und zufällige Erlebnisdarstellungen. Sie enthalten zumeist „typische“ Vorfälle, Beobachtungen etc. meist stereotyp negativen Charakters im Hin­blick auf Einwanderer und Flüchtlinge. Mit anderen Worten: Ganz be­stimmte Negativeinstellungen bilden den Plot dieser Geschichten. Sie die­nen dazu, diese Negativeinstellungen durch Verweis auf die eigene Erfah­rung glaubhaft zu machen und selektive Wahrnehmungen zu verallgemei­nern und aufgestellte Behauptungen zu illustrieren und zu bekräftigen.

Geschichten, erzählte Episoden bieten, wie gesagt, eine reichhaltige empiri­sche Basis für die Untersuchung rassistischer Einstellungen, denn in sol­chen mehr oder minder geschlossenen Formen der Mitteilung drücken die Interviewten sehr offen ihre tatsächlichen Ansichten aus.[75]

Eine genaue Analyse der gefundenen Erzählstrukturen würde im Rahmen dieser Gesamtanalyse zu weit führen.[76] So viel sei jedoch betont, daß auch die in unseren Interviews anzutreffenden Erzählungen über Minderheiten in der Regel in hohem Maße sozial sind und nicht im Kern individuell.[77] Sie sind häufig historisch über lange Zeiträume hin tradiert (vgl. im folgen­den die Judenstory Nr. 4) und in gewisser Weise verfestigt. Sie repräsentie­ren somit sozial verbreitete Haltungen und Einstellungen. (Vgl. van Dijk 1987, S. 62ff.)

Anhand des Interviews mit einem besonders erzählfreudigen älteren Ehe­paar (Bergmann, 69 Jahre, Hausfrau 70 Jahre: Interview 3) soll dies nun etwas ausführlicher dargestellt werden, worauf dann auch auf weitere In­terviews im Überblick eingegangen werden soll.

Der Text des Interviews enthält ca. 30 i.R. breiter ausgeführte Episo­den/Begebenheiten bis hin zu abgerundeten vollständigen Stories. Um einen Eindruck von der Dichte der Erzählungen und Episoden zu vermittelen, gebe ich diese im folgenden in der Reihenfolge des Interviewablaufs (in Auswahl) wieder:

77-89: Wohnungssuche eines Türken

Mann: (...) Da sollte mal oben mit Kind in de 5. Etage, da warn se ausgezogen, da wollte ein Türke, der hat dat probiert, ne, daß er nur probehalber - probie­ren geht über studieren - sach ich immer ...

Ja und da?

Mann: Aber der Hausherr hat se nich gelassen.

Frau: Ja, komm mal nach oben ( unverständlich)

Weshalb?

Mann: Wie ich, wahrscheinlich.

Das war ne türkische Familie!?

Mann: Türkisch, jaah!

Frau: Ja, der sachte: „Lassen se alles stehn!“ Wollte nix bezahlen. Alles stehn!

Der Erzählcharakter wird durch „da sollte mal ...“ einleitend sehr deutlich. Hier wird die türkische Familie als Eindringling in „unsere“ Wohnung dar­gestellt, die sich auf „unsere“ Kosten („Wollte nix bezahlen“) bereichern will. Dieser Versuch wurde durch den deutschen Vermieter noch abgewehrt. In der folgenden Geschichte aber ist ihm dies gründlich mißlungen:

89-136: Über eine Polin

Mann:(...) da war einmal die Polin, die is ja jetz auch schon fünf Jahre oder noch sechs, die is ja auch da reingezogen...

Und die wohnt auch noch da?!

Mann: Die wohnt noch da! Die hat ja auch mit dem Krach. Die hat gesacht: Ja, sie kriegen dat Geld. Und jetz sind schon fünf Jahre rum. Der hat immer noch kein Geld gesehn.

(...)

Frau: Die Türkin, die hat et geschafft.

Mann: Die Polin! Die is ja reingekomm. Aber wie gesacht, die is auch ganz raf­finiert.

Dat würde mich aber auch noch mal interessiern, also, die is also - die hat sich also beworben um die Wohnung, und, naja, und sie war ja of­fensichtlich dann auch in der engeren Wahl, und wat, is da irgendwie was, Sie sachten, ja, die wollte alles stehen gelassen haben und so? Und wat hat der Vermieter dazu gesacht?

Mann: Ja, dä hat gesach: „Dat kommt ja garnich in Frage!“

Aber wie die Polin eingezogen is, dä hat sich mit der eingelassen und hat ihr alles hängen lassen, Gardinen und einiges andere, und wie gesach, vor zwei Jahren, wa dat her, da sacht er: „Du, ich hab bis jetz noch kein Pfennig gesehn von der!“ Die hatte en Sohn, unne Tochter. Die Tochter war ja Krankenpflege­rin.

Ehem!

(...)

Mann: Jaah! ... Naja, ich meine, sie versteht halt ihr Gechäft also. Wat ir­gendwie rauszuholen is an Geld vonne, ..., wie heißt dat, vonnet So - Sozi­alamt undsoweiter? Da is die ja so ganz clever drin. Dann hat se en paar Mo­nate gearbeitet, dann hat se damals - isse se dann so krank geworden en Jahr, mit dem Hals da, da hatte se en steifen Hals ...

Frau: Halskrause!

Mann: Jaja, ich mein, wä dat eben vosteht, nich?! Und dä Junge, dä, ja, hübsch wa auch dat Mädchen, abe dä Junge wa wieder so ganz ...

Frau: Stur, ne?!

Mann:Mhm!

Frau: Abe jetz grüßt ä schon.

Die Polin hat also mehr Erfolg, doch sie ist keineswegs weniger raffgierig als die Türken. Sie betrügt den (gleichen) Vermieter, der sich dummerweise mit ihr „eingelassen“ hat - hier sind die sexuellen Untertöne nicht zu über­hören - , sie simuliert eine Krankheit und lebt auf unsere Kosten von Sozial­hilfe. Auch hier liegt eine ganz klare Einleitung vor (Da war einmal) und auch die Schlußpointe ist geschickt als Verallgemeinerung gesetzt: „Jaja, mein ich, wä dat eben vosteht ...!“ Die Polin war geschickter als die Türken­familie, die aber ähnliches im Schilde führte.

Hier beruft sich das Ehepaar auf eigene Erfahrungen, mit denen doppelt abgesichert werden soll, daß EinwanderInnen „uns“ an die Tasche wollen bzw. auf „unsere“ Kosten zu leben versuchen.

217-223: Das Kopftuch

Mann: Aber da gab's ja keine Schwierigkeiten.

Frau: Wenn man sich gesehen: Wie geht's?“ So!

Mann: Außer wie gesagt, die Frau I., aach! Die sacht - die hat also außem Fenster geguckt, und da hat die denn gesehn, die haben die Kopftücher abge­macht, und das wimmelte von Läusen.

(...)

Mann: Da isse dann ruckzuck, is se dann, wie se dat gesehen hat, isse dann: „Mann, hier bleib ich nicht wohnen, dann hab ich auch noch die Läuse hier drin!“ Isse gleich .. „Schluß!“

Diese Geschichte aus zweiter Hand wird von dem Mann erzählt. Nachdem er betont hat, daß es keine Schwierigkeiten mit ausländischen Nachbarn gegeben habe, relativiert er dies durch eine Geschichte, die er von einer Be­kannten gehört hat. Aus zweiter Hand wird ein massiver Vorwurf gegen die Türkinnen erhoben: Sie sind schmutzig und voller Ungeziefer. Läuse gelten deutschen Saubermännern und -frauen als ekelhafte, schmierige Krank­heitsüberträger. Sie bringen Fleckfieber und andere ansteckende Krankhei­ten, und sie gelten als Blutsauger. Dieses Ungeziefer droht in deutsche Häuser einzudringen; da kann man nur die Flucht ergreifen. Die verhüllte türkische Frau scheint dem deutschen Mann daneben Gegenstand ganz be­sonderer Phantasien geworden zu sein: Unter der Hülle verbirgt sich ekel­hafter Schmutz. Mit dieser Geschichte versucht der Mann zu legitimieren, daß er das Zusammenwohnen mit TürkInnen für höchst problematisch hält.[78]

224-232: „Ausländer“  in der Straßenbahn

Auf die Frage hin, ob er schon mal mit EinwanderInnen ins Gespräch ge­kommen sei, erzählt der Mann zunächst ganz freundlich:

Mann: (...) Inne Straßenbahn schon ma. Bin ich mit de Straßenbahn gefahn, da ham se schonma gefracht mit dem - mit dem Faschein, nich?!

... um dann aber sofort zum Klischee des schlechten Verhaltens der Ein­wande­rer in der Öffentlichkeit zu greifen. Da bricht es ohne weiteren An­stoß gera­dezu aus ihm heraus:

Mann: Mit de Beine saßen se da. So wa das. Einer war ja dadran ..

Wie?

Mann: Einer muß ja dadran gewesen sein! (lachen)

233-239: Ausländische Frauen in der Straßenbahn

Die Assoziation „Erlebnis in der Straßenbahn“ wird weiter ausdifferenziert:

Mann: Einma da bin ich auch mit de Straßenbahn gefahn, mein Gott, die Frau, die hatte zwei Kinder dabei, und die hatte dann - , eh, wa se so am Kucken. Ich gefragt, ob ich ihr helfen könnte. Jah! Da möchte se noch en Schein holen, weil sons müssen se naher Strafe bezahlen. Ach, hat die sich bedankt! War ne junge Frau .. mit zwei Kindern. Die darf ja nur für ein Kind en freien Schein fahn. Ja, in de Straßenbahn! Wat hat die sich bedankt danach bei mir.

Diese positive Selbstdarstellung balanziert die vorangegangene heftige At­tacke wieder aus.

302-312: In der Straßenbahn

Die Straßenbahn hat es den Interviewten angetan. In der folgenden Episode imaginiert die Frau einen Spanier, der in Wirklichkeit nur ein deutscher Flüchtling aus der DDR war.

Frau: Die Spanier, die warn ja immer Straßenbahnführer.

Mann: Spanier ham we ja viele auf Straßenbahn!

Frau: Da grüßt uns heut imme noch einer. Der winkt und bleibt stehen mit seine Bahn und sacht: „Heinz, wie geht es?“

Mann: Ja, dat is aber kein Spanier, dat verwechsels du..

Frau: Ja! Ja! Ja! Dat is eine ausse DDR.

349-360: Ramadan

Mann: Näh, die Sprache allein is nich. Dat is bei denen Sitten und Gebräuche, dat kann man ja dann auch mit reinnehmen, daß die - .. Und dann wenn die Ramadan feiern auf Arbeit. Das war ja ne Katastrophe, newa?! Da ham die ja bis Mitternacht - , wir warn ja auf Nachschicht, da ham die nix gegessen. Aber wenn dann zwölf Uhr drüber war, dann ging`s aber ran.

(...) Dann ham se, wat glaum Se, wat die gegessen ham. Also ich hab mich immer gewundert: Solche dicken Zwiebelen, da ham die so reingebissen, als wenn wir in Apfel beißen.

(...) Jaha! Und dann. Dat Gemüse dabei. Also die ham wirklich viel Grünzeug gegessen. Ich hab mich ja da gewundert, ich sach: „Jungs! Da könnt ja gar nich arbeiten von dem Grünzeug. Da muß doch nach wat schmecken, ma wat anderes rein oder wat!“ Ne!

Selbst das andere Eßverhalten ist eine „Katastrophe“. Der deutsche Ar­beits­mann, der hier von eigenen Erfahrungen berichtet, kann sich nicht einmal vorstellen, daß andere Menschen nach Maßgabe anderer Sitten und Ge­bräuche leben können.

401-427: Schweinefleisch

Es wird allgemein beklagt, daß jeder für sich allein lebt, Nachbarschaften abgestorben sind. Auf die Frage, wie dies denn bei den ausländischen Mit­bürgern aussehe, antwortet der Mann:

Mann: (...) Dat tut bei denen genau so zutreffen wie bei uns. Denn wir sehen ja: Wenn die ne Weile hier sind, ham die ne ganz andere Meinung, als wie wenn se am Anfang kommen. Wenn se kommen, sind sie noch fanatisch auf ihre Reljon und auch auf alles, wat da so dran is. Abe wenn die ne Weile hier sind... Weiß man! Wir ham ja verschiedne gekannt. Die dürfen ja kein Schweinefleisch essen. Nä! Un dann ham wer se erwischt hier in Duisburg - ich weiß jetz nich mehr den Namen - ham wer se erwischt hier in Duisburch, dat einer Eisbein gegessen hat. Und dann ham wer se natürlich aufgezogen. Oh, da wurd der giftig, oh, da wurd der wütend, wurd der: „Dat dürft ihr nich weitererzählen! Dat darf keiner wissen“ und so, un der sprach auch nich so gut Deutsch wie der andere. Aber ... Da werden die genauso schon langsam von abgehn von ihrem Fleisch ..

Als besonderes Zeichen von Anpassung und Deutschwerdung wird hier die Fähigkeit betrachtet, Schweinefleisch essen zu können. Ohne Zweifel han­delt es sich hier um eine Anspielung auf die orthodoxen Juden, die beson­ders daran erkannt wurden, daß sie kein Schweinefleisch aßen. Wer Schweinefleich (aß)ißt, (war)ist nicht Deutscher! Mit dieser Geschichte un­terstreicht der Mann seine Anpassungsforderung und legitimiert sie da­durch, daß er den Prozess der Anpassung als eine Art Witz verniedlicht.

437-447: In der Straßenbahn

Die folgende Geschichte besteht aus drei aufeinander bezogenen Episoden:

Frau: Dat ham wer auch schon festgestellt, sang wer ma so, daß wer mit der Straßenbahn gefahren sind: die Türkenjungens sind frech. Hier auf de Ma- Straße ham se en Fahrer . .

Mann: Mit der Gaspistole!

Frau: bedroht, ne? Un de andere hat ihm nich  - ..., also mancher  -...

Meinen Sie, daß die „Ausländer“ die Kriminalität - ...

Frau: Ja, da in dem Ding war's mal schlimm. In B., ne? Da haben se aller­hand, ne, bis da ma Ordnung reingekommen is. Ja, das war schon ma -  Ne Bekannte von uns, die M., die is da eingeladen worden inne Türkei, da is se sehr nett behandelt worden. Freundlich! 14 Tage war se da. Ne?!

Türkische Jugendliche werden im ersten Zugriff als rabiate Kriminelle ge­schildert. Auf die Zwischenfrage des Interviewers hin erfolgt eine verallge­meinernde Bekräftigung, worauf sich die Frau selbst unterbricht, um eine positive Episode anzufügen, die ihre harte Aussage relativiert. Im Ausland sind die Türken nett. Hier schwingen ethnopluralistische Momente mit: Deutschland den Deutschen, den Türken die Türkei!

484-494: Zigarettenspitzen

Mann: Nä, ich seh an und füe sich, auf de Abeit, da bin ich mit allen gut aus­gekommen. Ich weiß, ich hab -, ich war da en paar Tage in Urlaub gewesen, als ich zurückgekommen bin, da hatten se so selbstgemachte Zigarettenspit­zen. Ne ganze Zeit lang, jede Woche oder wann, hatt er mir wieder eine Ziga­rettenspitze mitgebracht. Is die alte schonn kaputt? Ich hab ja damals noch selbs gedreht, da hab ich immer Spitze gehabt, ne?! Jetz wo ich Filter rauch, brauch ich die nich mehr. Die haben mir dat etliche Jahre immer wieder  - ...

Diese positiv wirkende Story soll die Beliebtheit des Vorarbeiters bei seinen Gastarbeiterkollegen unterstreichen. Die Funktion ist nur eine positive Selbstdarstellung: Wenn die Türken so nett zu ihm sind, wie unglaublich nett ist er dann?

494-501 Besuch

Im folgenden mischen sich positive und negative Charakterisierungen:

Frau: Wo wer da gewohnt haben, da waren viel Türken. Da kriechten wir Be­such von München, war die R. da, ne!? „Mein Gott“, sacht die, „die hatten ja hübsche Kinder!“ Die hatten so große Augen gehabt. „Ja, wat is denn hier los?“ Ja, da spielen die alle. Die hätt se am liebsten mit nach Hause genomm, Mün­chen, ne?! Jaah!

Mann: Jaah!

Frau: Ja, es gibt auch welche, die sind furchbar. Wenn man da zu H. runter geht, ne?! Manche, aber jetz sind se alle schon gepflegter.

Mann: Ja, so im allgemeinen is ja ganz klar, de Wohlstand, dat hebt sich ja. Mit dem Wohlstand könn se ja - (unverständlich) un dann könn se ja schon besser aussehen. Wie gesagt, die Kopftücher, dat is ja furchbar, dat se die nich weglassen. Ne?! Aber dat is eben Relijon, dat is Religion, ne?!

Die Kopftücher sind das Kollektivsymbol für die mangelnde Integrierbar­keit der Moslems. Selbst bei höchster Anpassungsleistung (=Erwerb von Wohlstand und äußerlicher Assimilation) wird die andere Religion auf ewig ein Integrationshemmnis bleiben.

569-578: 1. Judenstory[79]

Mann: Ja, ich weiß, ja als Kinder. Wir haben zwei-, dreiunddreißig, wie die Machtübernahme war, wir hatten ja in B. fast keine Juden, aber den armen Juden, der da kassiert hat, der hat ja immer kassiert, da haben ja immer die Leute gekauft, un da kam der jede Woche kassieren, 50 Pfennig, oder ne Mark, die Sachen abbezahlen, und dem hamse das Fahrrad, ich war ja damals selbs en Kind, 10, zweiunddreißig, ham se dem das Fahrrad oben auf de Laterne draufgehängt, hamse dem. Wie se dat gemacht ham, weiß ich einglich gar nich ..

Frau: Der arme Kerl!

Mann: Sons, sons ham wer einglich mit Juden in B. keine Probleme gehabt.

In dieser ersten von einer ganzen Reihe von Erzählungen über Juden wird aus eigener Erfahrung berichtet: Zunächst taucht das klassische Bild vom Juden als wanderndem Händler und Geldeintreiber auf. Dann wird von ei­nem (lustigen) Streich berichtet, den man dem Mann gespielt hat. Aber: „Sons, sons ham wer einglich mit Juden in B. keine Probleme gehabt!“

Hier liegt eine geradezu klassische Opfer-Täter-Umkehr vor: Dem Juden wurde übel mitgespielt. Das aber war für den Mann ein Problem!

581-599: 2. Judenstory

Die Judenassoziation ruft weitere Bilder und Szenarien hervor:  

Mann: Ich fürchte dat. Der Jude is ja - ich kann dat ja aus meiner Sicht sa­gen, dat is ja en Geschäftsmann.

(...) Ne!? Denkt immer: „Wer mach n Geschäft!“ Ich weiß ja nich, wie set dre­hen! .. Da habe ich doch kürzlich - de T. , dä hat da Bekannte in Mallorca, nä in (...) Grancanaria. Un da hat dä en Juden kennengelernt. Un dä hat ihm er­zählt, wie ern Geschäft macht. Da wa eine große Familie, de Schwei .., die wa­ren Metzger. Un dä hat immer so billiges Fleisch verkauft. Jah! Wie will dä dat machen? Ja, sacht er: „Da gilt ja der Handschlach!“ Wenn dä gesacht hat: „Für die Kuh brauch ich hundert Mark!“, dann hat der die Hand drauf, und dann hat er gesacht: „Ich gib zehn Mark!“ Da war der Handschlag .. (lacht laut). Dat is aber doch einglich kein Geschäft.

Das ist eine knallhart antisemitische Erzählung aus dritter Hand mit mora­lischer Schlußfolgerung, die, so wie sie ist, immer wieder weitererzählt wer­den kann. Entsprechendes gilt auch für die folgenden Geschichten, die al­lerdings noch schärfer antisemitisch artikuliert sind:

599-607: 3. Judenstory

(...) Dann hat dä dat andere Beispiel auch von dem erzählt. Dä hat Anzüge verkauft. Hundert Mark sollten die kommen. Und dä die gekauft hat, dä wollte aber keine hundert Mark dafür bezahlen. Dä wollte nur 75 dafür bezah­len. Hat auch gesach: 75! Jetz hat der dem die Anzüge geliefert, war auch schriftlich, jetz warn die aber mit so kurze Hosen. „Ja“, sacht der, „wat hasse mir den da angedreht?“ „Ja, du has doch die Anzüge bezogen..“ „Aber doch mit lange Hosen!“  „Ja, dann musse für die langen Hosen musse noch 25 Mark extra zahlen.“ Dat war doch schon so hintenrum.

608-621: 4. Judenstory

Mann: Ich nehm dat an, dat dat typisch is, denn von nix kommt nix. Wir warn - inne Eifel war ich mal inne Kur. Dat is aber auch schon gut dreißich Jahre her. Also da sachten - dat waren schon so ältere Leute - die haben sich an dä Hauswand den Kaftan saubergescheuert. Sacht er! En Jahr lang. Dat muß also schon ganz früher gewesen sein.

(...) Und auf einmal warnse gemachte Leute.

Wat heißt ... Ich hab die Redewendung nicht verstanden: den Kaftan saubergescheuert ...

Mann: Den Rücken ham die dauernd an die Wand, ham die sich den sauber­gescheuert, sacht er. Die hatten ja weiße Wänd da in dä Eifel, da hamse sich saubergescheuert, und nach en paar Jahre von dem Bauchhandel und wat se da so getrieben haben, warn die gemachte Leute.

Diese Geschichte kann durchaus sehr alt und immer wieder überliefert sein. Die Redewendung, deren Bedeutung dem Mann (und übrigens auch Ken­nern der Geschichte der Juden in Deutschland) nicht bekannt ist, verweist ebenfalls auf die Altertümlichkeit dieser Kolportage. Der Versuch des Man­nes, die Redewendung wörtlich zu nehmen, bringt ihn natürlich auch nicht weiter.

627-642: 5. Judenstory

Frau: Wie ich noch en Kind wa, da warn die Pens noch hier, drei Jungens, meine Tante, und die hat dann auch immer vom Juden direkt ..

Mann: Gekauft!

Frau: So gekauft, und dann - und dann immer am Samstag bezahlt, immer abbezahlt, und auf einmal kricht sie sonne Rechnung, nich. Und dann isse dann dahin, un da sach ich: „Maria, der kommt doch jeden Samstag hier vor­bei. Du bezahls doch!“ Nein, dä is nich drauf eingegangen, un da sacht die, da sacht die: „Nehm se doch die Kleine mit, die kann das doch bezeugen.“ War ich mit, nich: „Ja sicher, is der jede Woche gekommen un hat das Geld geholt. Ich hätt auch ma gern 50 Pfennig gehab“, sach ich. Und dann mußtse alles zu­rückzahlen. Jaah! Un - Das hab ich nich vergessen. Als ich da ers den Juden sah, un hab da alles beguck, ja! Und dann . ne!? - und dann hab ich nachher auch von meiner Tante 50 Pfennig gekricht, ne?!

Mann: Damals 50 Pfennig, dat wa ja viel Geld in der Zeit.

Frau: Das is so lang gutgegangen, nich, dat ... un auf einmal, da is maa was -

Diese Geschichte aus eigener Erfahrung knüpft an die erste vom geldein­sammelnden Juden an. Kam in der ersten Geschichte dieser Jude noch glimpflich davon, so erscheint er hier als Betrüger.

744-758: 6. Judenstory

Frau: Die dürfen ja nicht alles essen. Bei uns da in M., da war ne Synagoge. Wir haben da auch mit Judenkindern gespielt. Wir wohnten ja Haus an Haus.

Mann: Schule!

Frau: Und dann warn bei uns auch reiche Juden. Da warn zwei große Kauf­häuser, und die sind noch rechtzeitig raus.

Mann: 32

Frau: 32

Mann: Oder 33

Frau: Da ham wer uns da verabschiedet, ham wer geweint und so. So warn wir da mit den Leuten... Die kamen oft sogar und fragten, ob wer ma auf die Kleine aufpassen und so. Ham wer alles gemacht.

Mann: Jo, is ja auch kein Grund .. So Nachbarschaft! Da ham wer anfüsich keine Probleme gehabt. Also, als ich da nach B. kam, da war ..

Frau: Da wa das schon anders.

Mann: 33, da warn ja kaum noch welche da.

Hier berichtet das Ehepaar über positive Einstellungen und Verhaltenswei­sen gegenüber Juden. Die Erfahrung der Deportation der Juden, die „nicht rechtzeitig raus gekommen sind“, wird den anderen, negativen Geschichten entgegengestellt. Hier soll unterstrichen werden, was der Mann an anderer Stelle sagte: Ich bin ja kein Judenhasser ...

831-861: Türkenstory über Sauberkeit

Mann: Ja, sicherlich. Die Ausländer! So weit ich weiß, das Problem is nu mal da. Die Frage is nur: Das Problem, wie wir das vom Tisch kriegen. Wir müs­sen uns mit denen arrangieren.

Frau: Ich würde nie dadrüber schimpfen, nich?!

Mann: Ja, ich weiß ..

Frau: So wie H. immer!

Mann: Die hat ja auch ne schlechte Nachbarschaft.

Frau: Eine Schwägerin von uns und hat auch keine guten Nachbarn, in B. also, wenn we dahin kommen. Nich!? Sicher, die hat de Türken voe de Tür, auf den Rasen, da is se manchmal, da flippte se dann manchmal aus. Ich sach: „H. , dat darfse nich so nehm.“ „Ooch“, sacht se.

Wat findet se an denen nich in Ordnung?

Frau: Ja, die sind ihr nich sauber genuch. Nich?!

Mann: Wie gesach! Du sachs ja damals ma ..

Die sind ja draußen, die kommen ja nich rein ..

Frau: Jah!

Mann: Jah! Wie gesach, wenn de die so erzählen hörs: Die Ascheneimer quel­len über. Dat nächste mal, da schmeißen die da alles daneben, ob dat wegge­holt wird oder nich, näh?! Dat is natürlich für die nebendran wohnen .. - ne­bendran dat Haus, steht dä Aschenkübel un alles quillt über, un alles liecht daneben. Kommtma dadran vorbei, dann sieht dat natürlich nich gut aus.

Und was meinen Sie, woran das liegt?

Mann: Jaah! Ich mein, en bissel Ordnungssinn - ich mein, die müssen ja auch inne Türkei en Ordnungssinn gehabt haben. Die können ja nich einfach alles dahinschmeißen un liegen lassen. Wird schon einer kommen, der dat sauber­mach! Ich meine -

Sie meinen also, daß die sich hier schlechter benehmen als zu Hause?

Mann: Nä! Ich nehme an, dat die dat zu Hause so machen. Denn wir ham ja auch Deutsche.. - wir ham ja auch unsere, die dat machen. Dat se dann alles dahinschmeißen und sagen: „Ach!“ Dat seh ich ja oft genuch.!!!

Durch Berufung auf eine Dritte Person objektiviert man das Urteil und schützt sich zugleich gegenüber dem Vorwurf, rassistisch zu sein. Der In­terviewer lockt den Mann jedoch aus der Reserve: Die machen das zu Hause genauso! Doch dieser versucht, sofort wieder zu relativieren: Aber es gibt auch schmutzige Deutsche.

927-942: Tantenstory

Mann: Zum Beispiel in Berlin is ja genaudatselbe! Wer ham - Die Tante hat ja jetz dat Haus auch, ganz alleine! Da is ja auch einer gekommen, en Bekannter von ihrer Tochter: „Eine Person für son großes Haus?! Dat darf doch nich zu­lässig sein!“

Hier stehn auch viele Wohnungen leer.

Mann: Jah!

Wär nicht son Problem.

Mann: Abe wer will sich mit zwei oder drei andere in eine Wohnung setzen, die viel zu groß is. Dat isset!

Müßte man umbauen!

Mann: Jouh! Irgenwie wat machen. Aber bei der is dat schlecht zu machen. Da wa se richtig sauer: „Da hasse mir abe einen mitgebrach, dä würde mir am liebsten noch dat Haus wegnehmen.“

(...) Von de Grünen wa dat einer! Ich sach: „So schnell kann dä dir dat Haus ja nich wegnehmen.“

Hier wird das Wohnungsproblem angesprochen, scheinbar ohne auf Ein­wan­derInnen bezug zu nehmen, indem man ganz allgemein zu parlieren scheint. Unmittelbar vorher ist jedoch von den Ausländermassen die Rede gewe­sen, die man nicht verkraften könne. Das Wohnungsproblem ist so ganz klar auf die EinwanderInnen bezogen.

987-1007 Türkenrowdies in der Straßenbahn

Mann: Die warn dahinten inne Straßenbahn. So zehn / zwölf so Rowdies. Auch Türken. Die haben da einen Lärm gemacht, und de Fahrer hat sich nachher nich meh getraut, nich getraut, die zur Ordnung zu rufen. Da hat ihm einer gesacht: Rufen se die Polizei an, dann soll die die gleich raussetzen. Da hat dä die denn angerufen, die Polizei, die kam dann ande übernächste Haltestelle kam dann die Polizei. Dä hat sich nich getraut, denen was zu sa­gen.

Und was hat die Polizei gemacht?

Mann: Die hat se rausgesetzt. Die warn ja schon die ganze Zeit am Radau ..

Frau: Imme die Leute am belästigen!

Mann: Die Leute belästigt. Die Beine aufem Sitz, ohne Gnade, näh!? „Wat quatschse , wat guckse mich so blöd an?“ wuede dann für jeden gesacht. Und dann hat dä angerufen un is noch soundsoviel Stationen gefahn, un dann kam die Polizei, un dann ham die Ordnung geschafft.... Ich meine, wenn da jetzt nu ne Masse is, dann sind die ja stark, un dann is dat ja schnell passiert. Daß da mal Gewalt is gegen Gewalt is. Wenn dat ja nur einzelne sind, die müssen dann ja kuschen, ne?!

Frau: Ich hab ma gesehn, so von draußen, da ham se de Straßenbahn mit dem Fuß so ...

Mann: Dagegengetreten!

Frau: Die waren ganz wild!

Diese Geschichte nimmt das Vorangegangene inhaltlich auf, auch wenn die Problematik an ganz anderen Ereignissen festgemacht wird. Hier wird „bewiesen“ bzw. an die Wand gemalt, was „uns“ blüht, wenn z.B. die Türken die Übermacht gewinnen: Das Chaos bricht aus ...

1051-1063: Türken

Frau: K. kannst Du dich noch erinnern, wie wer einmal in Berlin gestanden haben am Flughafen.

Mann: Jah!

Frau: Mein Gott!

Mann: Der Flugzeug mußte weg, aber erst mußtense auch warten. Da könn se ja nich egal en Flugzeug nehmen. Die hatten Wagen voller Kinder, also das war voll, dat fiel bald runter, links un rechts mußten se se festhalten. Wat die alles mitgenommen haben! Pakete, Sachen, die se selber gar nich gebrauchen konnten, ham se alles mitgenommen für die Verwandtschaft da ... (Unverständlich)

Frau: Ich bin immer stehen geblieben, un hab gedacht, so viel ..

Mann: Normal is ja festgeleg, wieviel se .. Dat wird ja gewogen! Aber dat wa auch ne einmalige Sache, wa dat! Jaah! (Bietet Zigarette an!)

Interessant ist hier die „Arbeitsteiligkeit“ von Mann und Frau: Sie erzählt, und er liefert die Schlußfolgerungen.

Als besonders erzählfreudig erweisen sich auch die Gesprächspartner in den Interviews 9, 11, 12, 16, 17, 18 und 21. Besonderheiten stellen Interview 12 und Interview 13 dar, weil hier ausführliche Erfahrungsberichte aus dem Stadtteil bzw. ein Bericht mit sehr stark autobiographischem Charakter vorliegt.

Zusammenfassung:

Die Geschichten sind oft durchaus interessant und abwechslungsreich er­zählt. So werden Dialoge in wörtlicher Rede aufgebaut, „Pointen“ werden nicht verpatzt usw. Der Duktus dieser Geschichten ist fast immer erzäh­lend-retrospektiv. Die Funktion ist hier zunächst die, die Authentizität und Glaubwürdigkeit des Gesagten zu untermauern. Oft exemplifizieren diese Stories vorangegangene allgemeine Aussagen; typisch dafür sind einige der Judenstories und insbesondere auch die „Zigeuner“-Story, die weiter oben im Abschnitt über Cinti und Roma behandelt worden ist. Doch genauer be­trachtet, zeigt sich: Ganze Geschichten können sich gegenseitig wieder rela­tivieren, so daß man die Relativierung als das wichtigste „Kompositions­prin­zip“ bezeichnen könnte, das sich auf den kleinen und großen strukturel­len Ebenen immer wieder zeigt. Positiv wirkende Darstel­lungen werden immer wieder durch negative konterkariert, worauf - wohl im Gefühl, zu weit gegangen zu sein oder als Rassist dazustehen - wiederum positive Aus­sagen (auch über sich selbst) folgen. Insgesamt ergibt sich, daß die Inter­viewten sich potentiell durch Einwanderer bedroht und belästigt fühlen, worüber sie sich beschweren; sie wollen aber nicht als Unmenschen daste­hen, im Gegenteil: Sie möchten selbst als gute und tolerante Menschen wahrgenommen werden, allseits beliebt und vernünftig. (S. dazu auch die Funktion der positiven Aussagen allgemein.) 

Solche Erzählversuche und Episoden tauchen nun fast in allen unseren In­terviews auf, wenn auch kaum einmal in der Üppigkeit wie in Interview 3. Sie spielen meist in ähnlichen öffentlichen Umgebungen, in der Straßen­bahn, auf dem Markt, auf dem Bahnhof etc., also in relativ trivialen alltäg­lichen und „normalen“ Umgebungen. Was würde erst geschehen, wenn es in komplizierteren Situationen zu „Begegnungen“ mit EinwanderInnen käme? Solche Situationen werden denn auch gelegentlich explizit phantasiert!

 

4.1.9        Quellen des Wissens

Wie sichtbar geworden ist, machen sich rassistische Haltungen und Einstel­lungen an bestimmten konkreten Themen, „Fakten“ und Ereignissen fest.

Wie kommen die Menschen nun zu diesen Konkretisierungen ihrer (mehr oder minder rassistischen) Einstellungen und Haltungen über Einwande­rInnen? Woher beziehen sie diese? Welche Einflüsse tragen zu ihrer For­mierung und auch zu ihrer Veränderung bei? Diese Frage läßt sich nicht auf der Grundlage von Interviews allein beantworten. Andererseits ist es nicht möglich, Menschen „im freien Felde“ zu beobachten und dadurch herauszu­finden, mit wem und wie sie über EinwanderInnen diskutieren, welche Ar­tikel in Zeitungen sie lesen und welche Radio- und Fernsehsendungen sie zur Kenntnis nehmen. Dazu brauchte man hunderte von Beobachtern, die über einen langen Zeitraum solchen Fragen mit dem Tonbandgerät unter dem Arm nachgingen. Und selbst wenn dies möglich wäre: Sie hätten nur sehr beschränkten Zugang zu all den Situationen, in denen möglicherweise entsprechende Gespräche und Diskussionen geführt werden.

Wir haben deshalb die Interviewten außerhalb oder während des Interviews danach gefragt, woher sie ihr Wissen beziehen, welche Zeitungen sie lesen, welche Fernsehsendungen sie ansehen und ob sie viele Bekannte haben, mit denen sie regelmäßig diskutieren. Daraus ergaben sich viele Hinweise, die noch dadurch ergänzt werden, daß die Interviewten ungefragt beim Erzäh­len von Begebenheiten und Geschichten auf die Quellen ihres Wissens ein­gegangen sind. Da heißt es dann: Das hab ich selbst gesehen, selbst erlebt etc. oder. Das hat mir meine Schwester erzählt oder Frau G. aus der Nach­barschaft: Sehr oft wird auf die Zeitungslektüre verwiesen, seltener auf Fernsehsendungen und noch seltener auf andere Quellen. Solche Angaben sind häufig, zumal die Interviewten darum bemüht sind, die Glaubwürdig­keit ihrer Aussagen unter Beweis zu stellen. Der Verweis auf die Wis­sensquellen ist so auch ein Teil der Redestrategie der Interviewten, seriös zu wirken und Tatsachen zu berichten, keine aparten individuellen Ansich­ten zu äußern, sondern darauf verweisen zu können, daß andere Menschen das genau so sehen wie sie.[80] Daneben ist jedoch in den Interviews zu be­obachten, daß die Menschen völlig selbstbewußt von Ereignissen berichten, Tatsachenbehauptungen aufstellen, ohne sich die Mühe zu geben, darauf hinzuweisen, woher sie ihr Wissen bezogen haben. Deshalb ist es interes­sant, sich die Stellen genauer anzusehen, an denen sie sich in besonderer Weise auf bestimmte Quellen ihres Wissens berufen.[81]

 

4.1.9.1     Eigene Erfahrungen

Neben den Medien, die alle Interviewten als Quellen ihres Wissens angeben (s.d.), beziehen sich alle Interviewten auch auf eigene Erfahrungen mit EinwanderInnen, egal ob sie in Wohnvierteln mit hohem oder niedrigem Anteil von EinwanderInnen leben. Eigene Erfahrungen, von allen Men­schen wohl als die glaubwürdigste Form des Wissenserwerbs angesehen, werden denn auch dann angeführt, wenn sie wenig wirklich glaubhaft sind. So dürften z.B. wirkliche Erfahrungen mit Kriminalität von EinwanderIn­nen selten sein; sie werden aber relativ oft angeführt und verallgemeinert. Zu beachten ist auch, daß die eigenen Erfahrungen selbst gemacht und be­halten werden auf dem Hintergrund bereits gegebener stereotyper Ansich­ten und verfestigter kognitiver Wahrnehmungsmuster oder -rahmen.[82]

Auf eigenes Erleben pocht die folgende junge Frau in einem interessanten Zusammenhang, den ich etwas ausführlicher zitiere:

Was hast Du denn selbst zum Beispiel für - Erfahrungen mit eh Ausländern gemacht?

Antwort: Jaa, also bei uns inner Clique so sind auch zwei, drei Ausländer - also et gibt Ausländer, die verhalten sich echt korrekt so, die passen sich an, eben den deutschen Verhältnissen - abber - überwiegend sind da auch die Türken, die ein dann inne Stadt sozusagen anmachen und drekt dat Messer ziehen so ungefähr, hab ich au schonn en paarma erlebt, wenn man ma mit drei, vier Mädchen durche Stadt geht, dann - man sieht die Türken schonn, dann kommse direkt hinterher und hah - schuppen ein und so, also die be­nehm sich echt daneben, muß ich schon sagen. Un is klar dat irgendwie eh, die Deutschen dann auch ein Haß dagegen ham - weil die sich ja nich anpas­sen können, wenn se sich anpassen würden, dann würd man sich auch mit denen verstehn. Also ich bin kein Ausländerfeind, abber ich kann dat ver­stehn, wenn andere Leute da en Haß drauf kriegen - so. Weil, die benehm sich ja wirklich daneben.“ (5/295-313)

Die eigene Erfahrung, daß die Türken direkt das Messer ziehen, wird durch „so ungefähr“ sofort zurückgenommen. Hier tauchte bei der Interviewten das Bild vom Türken mit dem Messer auf, das sie sofort revidiert, weil sie sich anhand der eigenen Erfahrung kontrolliert. Das Messerzücken wird dann durch das realistischere „Schuppen“ (Anrempeln) ersetzt. Gleichwohl hält das Bild dazu her, den Haß der Deutschen auf Ausländer zu legitimie­ren.

Gelegentlich beruft man sich auf direkte Kontakte mit EinwanderInnen:

weil wir auch Kontakte haben zu dem Sri Lanka-Verein hier. (2/371)

Oder darauf, daß man „es“ selbst gesehen habe:

Wenn ich dat seh, wie die hier vorbeilaufen, mit Lederjacken und so, versteh ich nicht, woher dat Geld kommt für die Jacken. Nur als Beispiel, wohlge­merkt. (21/194-196)

In Interview 3 werden 29 mal explizit eigene Erfahrungen als solche be­nannt, wobei hier häufig auf Erfahrungen zurückgegriffen wird, die Jahr­zehnte zurückliegen:

Ich hab .. dat is schon zehn Jahre her - auf de Kokerei mit vielen Ausländern da zusammengearbeitet. (3/161-163)

Der Verweis auf eigene Erfahrungen kann indirekt erfolgen. So in dem fol­genden Beispiel, wo eine Frau über einen Besuch in einem türkischen Ge­schäft berichtet:

wo man auch als Deutsche sehr, sehr zuvorkommend und sehr, sehr freund­lich behandelt wird. (1/70-72)

 

4.1.9.2     Berichte von Bekannten, Verwandten und anderen

Berichte anderer, von Verwandten und Bekannten, werden von etwa drei­viertel der Interviewten ebenfalls als Quellen des Wissens angeführt, aller­dings seltener als eigene Erfahrungen. Diese haben natürlich auch wieder ihre eigenen Wissensquellen, insbesondere wiederum eigene oder fremde Erfahrungen, von denen sie gehört haben, Medienberichte etc. Es ist also kaum möglich, das Gewirr von Quellen genau zu durchschauen. Hier macht sich eben geltend, daß die Menschen in den Interdiskurs eingebunden sind.

Die folgende junge Frau beruft sich auf ihre Freundinnen:

... zwei meiner Freundinnen sind Verkäuferinnen ..., ja und die erzähln mir eben auch, datse wieder Tamilen gefaßt ham oder Libanesen, ja natürlich auch Deutsche, is klar, abber überwiegend sind et die Ausländer, die in den Geschäften sozusagen klaun. (5/370-375)

In der folgenden Passage beantwortet eine Frau die Frage, was sie denn über „türkische Wohnverhältnisse“ wisse, folgendermaßen:

Ich bin also in einer türkischen Wohnung nie gewesen, kann ich mir also kein , eh, direktes Bild machen, ich weiß halt nur, eh, von, eh, türkischen Jugendli­chen, mit der, mit denen ich mich des öfteren unterhalten habe, daß die Zu­wendung der Eltern halt eine andere ist, als die bei den Deutschen... (1/568-574)

Hier beruft sie sich auf Einwanderer als Kronzeugen, die es ja wissen müs­sen.

Nicht immer ist man sich genau darüber im klaren, woher man sein Wissen bezogen hat:

Jaja. Was man so lesen kann. Hört man ja auch manchmal von Bekannten, die (...) erwachsene Kinder haben. (4/99f.)

Der Bericht von anderen wird nicht selten zu eigener Erfahrung umphanta­siert. Eine Passage, in der ein solcher Umschlag sprachlich noch sichtbar ist, ist die folgende:

Außer, wie gesagt, die Frau I., aach! Die sacht - die hat also außem Fenster geguckt, un da hat die denn gesehen, die haben die Kopftücher abgemacht, und das wimmelte von Läusen. (3/217-219)

Indirekte Rede wird unter der Hand zu direktem Bericht. Man gibt auch vor, an Erfahrungen anderer direkt beteiligt gewesen zu sein:

Dat ham wer ja erlebt. (22/654)

Aus dem Zusammenhang wird deutlich, daß die Frau, die hier spricht, über ein Erlebnis ihrer Tochter berichtet.

 

4.1.9.3     Die Medien

Der Einfluß der Medien ist teilweise bis in die Formulierungen hinein nachweisbar. Bestimmte Schlüsselwörter wie Mentalität, Identität, Integra­tion, Assimilation sowie andere journalistische Schlüsselwörter (häufig auch in der Alltagssprache sonst höchst ungebräuchliche „Fremdwörter“ etc.) kommen hier im Zusammenhang einer alltäglichen Ruhrgebietssprache vor, in der sie wie Fremdkörper wirken. Hier ist der Einfluß der Medien ganz besonders klar nachweisbar.

In den Interviews fanden sich z.B. bei einer Auswertung, die sozial gewich­tet ist, also sowohl Menschen mit Hauptschulabschluß als auch mit Abitur berücksichtigt, die folgenden „journalstischen Schlüsselwörter“:

Agglomeration, Aggression, Ambition, Analyse, Aspekte, Asylant, Assimila­tion, Aufnahmefähigkeit, Beschäftigungspolitik, Diskriminierung, Einge­mein­dung, Eingliederung, Entspannung(spolitik), Ernüchterung, Erwach­se­nen­bildung, Feindbild, Goldener Westen, Grundgesetz, Identität, Infra­struk­tur, Interaktion, Kampagne, Konflikt, Kulturkreis, Level, Menschen­material, Mentalität, Migration, Mitbestimmungsrecht, Nachbarschafts­grenzen, Negativerfahrungen, Produktionsstätten, Programm starten, Ra­dius, Rationalität, Rechtswesen, Schlafstadt, schulischer Bereich, Steuer­last, Strukturwandel, Umfeld, Überbauung, Verbraucher, Veto, Werktätige, Wohnbereich, Wohnkultur, zum Negativen verändern, arbeitsbedingt, ar­rangieren, baulich, eingegliedert, entnehmen, ethnisch, global, gravierend, integrieren, intendiert, investieren, kopflastig, multikulturell, multinatio­nal, räumlich, reaktionär, virulent, zugewiesen, zweigeteilt.[83]

Solche Wörter, die zumeist den diversen Spezialdiskursen entstammen, die ja, vermittelt besonders durch die Medien, den Interdiskurs speisen, wirken wie Fremdkörper in der Alltagssprache besonders der weniger „Gebildeten“. Sie verweisen eindeutig auf den Einfluß des Mediendiskurses.

So geben denn auch alle Interviewten eine oder mehrere Zeitungen und Zeitschriften an, aus denen sie bevorzugt ihre Informationen beziehen. Die - geht man nach den Auflagenhöhen - sehr verbreitete Lektüre der Regenbo­genpresse (Bunte etc.) wird nur einmal genannt. Sie wird möglicherweise verschwiegen, weil man einen guten Eindruck machen möchte. Ein Grund könnte auch sein, daß man solche Blätter gar nicht als Zeitungen versteht, sondern als eine Textsorte eigener Art, ähnlich z.B. Pornoheften.

Nicht selten werden Zeitungen explizit im Interview als Quellen des Wis­sens zitiert:

Die fordern hier ihre Rechte, steht in jeder Zeitung. (21/77)

Es kommt auch vor, daß eine Interviewte zunächst bestreitet, überhaupt Zeitungen zu lesen. Später sagt sie trotzdem auf die Frage:

Hasse da ma was zu gehört odder gelesen, daß Libanesen Geschäfte ausrauben?

Ja eh, da stand glaub ich ma inner Zeitung, daß sich - Libanesen treffen woll­ten, dreißig Libanesen und so - und wolltendie ganzen Boutiquen ... im City-Center da ausrauben ... (5/338-344)

Wir haben in dem Zeitraum, in dem die Interviews durchgeführt wurden, auch ein Auge auf den Mediendiskurs gehabt:[84] Deshalb  lassen sich an einigen Stellen direkte Parallelen aufzeigen.[85]

Die Berichterstattung über Roma und Cinti war 1991 in den Medien eine Art Dauerbrenner. Um die Cinti und Roma hatte es in den letzten Jahren eine anhaltende politische Auseinandersetzung gegeben, die breit von den Medien aufgenommen wurde und weiterhin wird.[86] In der Kölner Rund­schau stand z.B. noch am 26.6.91 trotz der wenigen Cinti und Roma in Deutschland:

„Wir können uns nicht mehr vorn den Mantel des großzügigen gutmütigen Onkels umhängen und immer neue Schulden machen. Das ist keine Caritas, sondern Liederlichkeit. Wenn wir jetzt Zigeunern schon allein Millionen da­für zahlen, daß sie künftig nicht mehr in unser Land kommen, kann es in der Denkungsart unserer Politiker nicht mehr mit rechten Dingen zugehen. Jede Regierung hat ihre Politik zum Wohle des Volkes auszurichten. Weiß man in den Regierungszentralen überhaupt noch, wie das Volk denkt? Hat man noch Vorstellungen, was dem Volke(!) wirklich zum Wohl gereicht? Die Auffassungen scheinen bedenklich ins Wanken gekommen zu sein.“ (Jürgen C. Jagla, Kölner Rundschau 26.6.91 zu den 8000 Mark pro Kopf für Cinti und Roma.)

Man vergleiche dazu die Cinti und Roma-Story aus 3/759ff., die mit dem sehr viel später geschriebenen Jagla-Artikel stark übereinstimmt. Auch dies kann als Beleg für die Stabilität der Diskurse gelten.

Solche Feststellungen lassen nun aber keinesfalls den Schluß zu, daß Zei­tungsdiskurs und Alltagsdiskurs voneinander unabhängig verliefen. Dis­kurse haben ihre Geschichte und korrespondieren miteinander, wobei dem dominanten Mediendiskurs die Rolle der Steuerung zukommt. Er produ­ziert und reproduziert ständig den Alltagsdiskurs. Ja, der Mediendiskurs ist in der Lage, schlummernde Diskurse auf der Alltagsebene jeder Zeit wieder zu erwecken und zu eskalieren. Der Herbst der Pogrome 1991 ist dafür der „schlagende“ Beweis. Ende 1986, vor der Bundestagswahl, war ähnliches zu beobachten, nur daß es damals schneller gelang, den entfachten Brand wie­der einzudämmen. (vgl. Devantié, Gawel, Jäger u.a. 1987) Gestört wird der „ruhige Fluß der Diskurse“ jedoch immer wieder durch bestimmte „Diskur­si­ve Ereignisse“ wie Tschernobyl oder die Öffnung des Brandenbur­ger Tors. Dies kann unter Umständen zu erheblichen Änderungen diskursi­ver Ver­läufe führen.

Zu beachten ist natürlich, daß dreiviertel der Interviewten auch Fernseh­sendungen anschauen, auf die sie sich explizit berufen,  insbesondere auf Nachrichten, aber auch auf Unterhaltungs- und Sportsendungen. Nur 5 ge­ben an, auch Magazinsendungen zu sehen wie Monitor, Report oder das Wirtschaftsmagazin. Nur selten werden das Radio, ein Film, Videokassetten oder Bücher[87] als Informationsquellen genannt, und wenn, dann eher als ergänzende Quelle neben den Zeitungen:

... die regionale Zeitung, die hier angeboten wird, die reicht mir im Grunde, und was in diesen Zeitungen, eh, nicht angeboten wird, entnimmt man eben aus Radio, Fernsehen und dergleichen. (1/382-384)

Da zumal Tagesschau und andere Nachrichtensendungen wenig haftenblei­bende Informationen bieten (Schmitz 1990), kann man wohl sagen, daß die Hauptquelle der Information aus den Medien die Zeitung ist.

 

4.1.9.4     Andere Quellen

Sonstige Wissensquellen werden selten angegeben, gelegentlich wird auf den Schulunterricht verwiesen oder auf Gehörtes in der Kirche, bei Ge­werkschaftsschulungen, im Studium etc.

 

4.1.9.5     Zusammenfassung

Es kann wohl davon ausgegangen werden, daß die Medien einen enormen Einfluß auf die Konkretisierung, aber auch auf die Herausbildung und Ver­festigung rassistischer Einstellungen in der Bevölkerung haben. Es zeigt sich jedoch in unseren Interviews, daß es auch die alltägliche Kommunika­tion ist und reale oder imaginierte eigene Erfahrungen, die hierbei mit im Spiel sind. Die häufig gehörte Annahme, die Presse gebe nur wieder, was die Menschen im Lande ohnedies denken, dürfte kaum zu halten sein.[88] Viele im Mediendiskurs auftretende Spezialtermini, Kollektivsymbole als „Kitt“ der Mediendiskurse und Stabilisatoren dessen, was für uns Deutsche als „normal“ angesehen wird, direkte Parallelen zwischen Zeitungsberichten und Interviewpassagen etc. lassen diesen Schluß als hinreichend plausibel erscheinen.

Der Mediendiskurs trifft natürlich keine „tabula rasa“ an, sondern Vorprä­gungen, entwickelte und verfestigte Frames und Scripts usw. Diese aber sind ebenfalls Resultat diskursiver Prozesse, die sich insgesamt - bei zeitli­chen Verschiebungen - als Grundstrukturen medialer Diskurse weiderfin­den lassen. Diese Annahme wird durch die verschiedenen Untersuchungen Teun A. van Dijks zusätzlich gestützt, ebenso wie durch durch die empiri­schen Untersuchungen Jürgen Links zum Mediendiskurs und seiner Wirk­samkeit für das Enstehen bestimmter „Normalitäts“-Strukturen im Alltags­bewußtsein. (Link 1978, 1992 und Gerhard 1992)

 

4.2         Der soziale Hintergrund und sein Einfluß auf die Her­ausbildung und Stärke rassistischer Haltungen. Einige zusätzliche quantitative Aspekte

4.2.1        Vorbemerkung

Bei der vorangegangenen qualitativen Gesamtanalyse wurde nur gelegent­lich und eher am Rande danach gefragt, ob möglicherweise Geschlecht, Al­ter, Wohngebiet, Schulabschluß, Parteipräferenzen und Lesegewohnheiten Einfluß auf die Herausbildung und die spezifische Qualität rassistischer Haltungen haben könnten. Dieser Frage soll im zweiten Teil der synopti­schen Analyse nun etwas systematischer nachgegangen werden.

Zu beachten ist hier, daß dabei zwar gewisse Trends sichtbar werden kön­nen, aber keine absoluten Quantifizierungen möglich sind. Das erhobene Corpus an Interviews ist zwar materialreich und läßt verallgemeinernde Aussagen zu, da die ermittelten Strukturen primär als sozial angesehen werden können. Eine exakte statistische Auswertung ist jedoch auch z.T. wegen der noch relativ geringen Zahl der Interviewten nicht möglich.[89] Es zeigt sich aber, daß die Ermittlung von Trends in bestimmten Aussagebe­reichen durchaus Sinn macht, zumal diese durch Vergleiche z.B. mit den umfassenderen Projekten Teun A. van Dijks für die Niederlande weiter ge­stützt werden können.

 

4.2.2        Überblick über den sozialen Rahmen

Die von uns Interviewten sind, was Geschlecht, Alter, Schulbildung, Wohn­gebiet, Parteipräferenz etc. betrifft, für eine großstädtische Bevölkerung gut repräsentativ gestreut. Im einzelnen haben wir die folgende Verteilung:

Frauen und Männer:

Zehn der Interviewten sind Männer, 12 Frauen. In drei Interviews treten Frauen zusätzlich mit längeren Redeanteilen auf (Int. 3, 18 und 21).

Wohngebiet:

Zwölf der Interviewten leb(t)en in Wohngebieten mit hohen Anteilen von EinwanderInnen, 15 in Wohngebieten mit niedrigen Anteilen von Einwan­derInnen. Davon haben drei Personen über mehrere Jahre Erfahrungen in Wohngebieten beider Art gemacht.[90]

Altersverteilung:

5 der Interviewten sind zwischen 18 und 30 Jahren alt, 5 zwischen 31 und 40, 6 zwischen 41 und 50, 3 zwischen 51 und 60, 3 zwischen 61 und 70 und 2 sind älter als 70.

Schulabschluß:

18 der Interviewten haben einen Volkschul- oder Hauptschul- oder Real­schulabschluß, sieben haben Abitur bzw. Studium aufzuweisen.

Parteipräferenz:

Grün bzw. moderat links: zwei; SPD: neun, CDU: sechs, FDP: drei; CDU und SPD: eine; keine Präferenz: drei; eine interviewte Person wollte dazu keine Angaben machen.

Bevorzugte Zeitungs-Lektüre:

17 geben an, eine der großen Familienzeitungen zu lesen, sechs geben die BILD-Zeitung an, drei den Spiegel, zwei den Stern, je einer Bunte, FAZ, Handelsblatt, Frankfurter Rundschau, die Zeit, die taz (teilweise Mehr­fachnennungen).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

4.2.3        Soziale Differenzierungen[91]

4.2.3.1     Unterschiede in der Haltung gegenüber EinwanderInnen bei Männern und Frauen

Bei den Interviewten sind nur geringfügige Unterschiede bei Männern und Frauen festzustellen.[92] Ausführlich und exemplarisch möchte ich das an­hand einiger ausgewählter Themen aufzeigen:

Zu Arbeitsmarkt, Arbeitsplatz

Auffällig ist zunächst, daß sich mehr Frauen als Männer zu Auswirkungen der Anwesenheit von EinwanderInnen auf den Arbeitsmarkt, zur Zusam­menarbeit am Arbeitsplatz und zu Arbeitsproblemen allgemein äußern (10:5). Einige Beispiele:

Einwanderer aller Art verursachen Arbeitslosigkeit:

Frau 1/213f.:

Ja, ich sehe große Probleme sogar auf uns zukommen, sei es im Arbeitsbereich ... (Frau 1/213f.) [93]

Einwanderer verursachen keine Arbeitslosigkeit, meint die Frau in  Inter­view 19/1192f.

Einwanderer und Flüchtlinge haben Anspruch auf einen Arbeitsplatz, meint der Mann in Interview 14/371.

Es spricht nichts dagegen, daß Gastarbeiter hier arbeiten und Geld verdie­nen, meinen die Frauen in Interview 19/1220-22 und 20/228-245.

Sie machen die Drecksarbeit, die kein Deutscher machen will, sagt eine Frau in Interview 19/1202-1207.

Manchmal werden sehr widersprüchliche Erfahrungen geäußert. Einerseits hat man sich gut verstanden, andererseits beklagt man sich doch, wenn z.B. Gastarbeiter den Deutschen gute Positionen „wegnehmen“:

Mann: „Ich hab mich säh gut mit denen verstanden“. (3/170; vgl. auch 3/186-189 und an mehreren anderen Stellen.)

Später heißt es aber:

Wir ham dann geschimpft auf den. Da warn ja bei uns da auch Obermeister, die dat auch hätten machen können. Und deer is da vorgesetzt, ne? (3/465-467)

Keine Probleme am Arbeitsplatz sehen: Frau 5/693-96, Mann 18/57f., 115ff. und 193 -199, Mann 21/220.

Türken halten die Lehre nicht durch: Frau 21/513-535.

Sie drücken sich vor Arbeit wie Deutsche auch: Frau 21/540ff.

Gebete am Arbeitsplatz: Frau 11/265 ff.

Zum Arbeitsverhalten äußert sich auch Mann 3/360-373 und 484-85.

Einwanderer werden am Arbeitsplatz nicht für voll genommen: Frau/11/272f.

Angst vor Überfüllung äußert: Mann 3/315-317 und 327-329.

Arbeitsprobleme von Asylbewerbern werden genannt: Frau 17/460ff.

Lob der Gastarbeiter gegenüber „Asylanten“, Sie haben Rentenversicherung gezahlt etc.: Frau 17/385-386 und 411.

Einstellung von EinwanderInnen ohne Probleme: Mann 14/137-161

Positive und negative Äußerungen von Männern und Frauen halten sich in etwa die Waage. (Zu beachten ist, daß die Positiväußerungen allerdings i.a. wieder relativiert werden, s.o.)

Bedrohungen und Belästigungen durch Einwanderer

Hierzu äußern sich Frauen sichtlich häufiger als Männer (9:5). Allerdings zeigt sich keine themenspezifische Verteilung. Für beide Geschlechter gel­ten die „Massen“ von EinwanderInnen und die damit für „uns“ verbundenen Kosten als bedrohlich. Auch über Belästigungen beklagen sich mehr Frauen als Männer (8:4); Angst vor der Kriminalität der EinwanderInnen äußern 8 Frauen und vier Männer. Das läßt sich damit erklären, daß sich Frauen häu­figer als Männer als Opfer von Gewalt und Straftaten sehen.

Kritik der sozialen Kosten

Generellen „Asylmißbrauch“, hohe Kosten für „uns“ befürchten 11 Frauen und nur 5 Männer.

Kritik anderer Sitten und Gebräuche

Auch hier dominieren die Frauen mit 14:8

Kritik der Aussiedler und Übersiedler

Die Frauen sehen dieses Problem schärfer als die Männer (10:5).

Themen, bei denen Männer gegenüber Frauen deutlich dominieren, gibt es nicht. Gleichwohl sind die quantitativen Unterschiede insgesamt unbedeu­tend.

 

4.2.3.2     Unterschiede in der Haltung gegenüber EinwanderInnen je nach Alter

Hier gibt es eine deutliche Tendenz dazu, daß ältere Menschen stärker dazu neigen als jüngere, Vorbehalte gegenüber Einwanderinnen zu hegen.[94] Faßt man die Gruppe der über 50jährigen zusammen, so gibt es kaum einen Themen­bereich, in dem sie nicht quantitativ und qualitativ dominierten. Eine schwache Ausnahme bildet nur das Thema „Benachteiligung deutscher Kinder in der Schule durch die Anwesenheit von Kindern von Einwande­rInnen“, was allerdings nicht verwunderlich ist, da diese Altersgruppe selbst keine schulpflichtigen Kinder hat.

Die Gruppe der 41-50-jährigen ist schwächer mit ablehnenden Haltungen vertreten als die Gruppe der Älteren. Beide Gruppen haben ihre Schwer­punkte bei Problemen mit dem Arbeitsmarkt, bei Bedrohung und Belästi­gung, Kriminalität, Ablehnung des „Asylmißbrauchs“, Ablehnung fremder Sitten und Gebräuche, bei sozialen Kosten, Wohnungsproblemen, und sie üben häufig Kritik an Aus- und Übersiedlern. Die Bandbreite der Vorurteile ist also deutlich geringer als bei den über 50-jährigen.

Die Gruppe der 31-40jährigen sieht gegenüber der der 41-50-jährigen bei ähnlicher thematischer Bandbreite leicht weniger Probleme. Schwerpunkte liegen hier bei Bedrohungen, Kriminalität, „Asylmißbrauch“, fremde Sitten und Gebräuche.

Die jüngste Gruppe der 20-30-jährigen ist offensichtlich im Vergleich zu den 31-40-jährigen etwas stärker negativ eingestellt. Sie äußern eine größere Bandbreite von Vorbehalten und sehen insbesondere Gefahren in der Ghet­toisierung und fürchten Belästigungen.[95]

 

4.2.3.3     Wohngebiet: Wohnumgebungen mit hohem und mit niedri­gem Anteil an EinwanderInnen

Die thematische Bandbreite der Diskriminierungen ist nahezu flächendek­kend, oder anders: die meisten Typen von Ablehnung tauchen bei Menschen aus beiden Wohngebieten auf, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung. Die Abschiebungsforderung dominiert geradezu einhellig Bewohner von Wohn­gebieten mit hohen EinwanderInnenanteilen. Auch über Hilfen zur Selbst­hilfe machen sich nur (und auch nur einige wenige) Bewohner solcher Stadtviertel Gedanken, ähnlich wie über die Ursachen der Einwanderung.

Insgesamt läßt sich der folgende Trend feststellen:[96]

Bei deutschen BewohnerInnen von Wohnvierteln mit hohen Anteilen von EinwanderInnen dominieren (mit abnehmendem Gewicht):

1.      Abschiebungsforderung

2.      Segnungen der Gastronomie der EinwanderInnen

         Probleme von Jugendlichen

         Zu hohe soziale Kosten

         Schwierige soziale Situaton

         Erhöhung der Wohnungsnot

3.      Anpassungsforderung

         Probleme auf der Arbeit

         Ausländergesetzgebung

         Gastarbeiter und ihre Rolle

         Kriminalität der EinwanderInnen

         Schulprobleme

4.      Belästigungen

         Gefahren der Ghettobildung

         Sprachprobleme

         Ablehnung des Wahlrechts

         Wohnprobleme mit EinwanderInnen

Bei deutschen BewohnerInnen in Wohnvierteln mit eher niedrigen Anteilen von Einwanderinnen dominieren (mit abnehmenden Gewicht):

5.      Ablehnung von Übersiedlern

         Kritik abweichender Sitten und Gebräuche

         Bedrohung durch die große Zahl der EinwanderInnen

6.      Integration ist möglich bei Assimilation

         Bedrohung unserer Frauen

7.      Eheliche oder Liebesbeziehungen zwischen Deutschen und Einwan­derInnen werden als problematisch angesehen[97]

Sichtbar wurde: Zusammenwohnen mit und Kennen von EinwanderInnen geht nicht einher mit dem Abbau ablehnender bis rassistischer Haltungen, wie noch vielfach angenommen wird. Umgekehrt führt die Ferne zu Ein­wanderInnen ebenfalls nicht dazu; allerdings resultiert sie in tendenziell anderen Schwerpunkten von Vorurteilen, die im übrigen auch eher auf ei­ner Meta-Ebene abgehandelt werden, da meist konkretere Erfahrungen fehlen.

 

4.2.3.4     Unterschiede je nach Schulabschluß

Höhere Bildung feit nicht gegen Vorurteile. Die thematische Bandbreite an Vorurteilen ist bei Menschen mit Abitur (von einer unwesentlichen Aus­nahme abgesehen, einem Techniker aus der Eifel) ebenso groß wie bei Leu­ten mit Haupt-, Volks- oder Realschulabschluß. Es gibt aber deutliche Un­terschiede in den Gewichtungen:

Bei Menschen ohne Abitur liegen die Schwerpunkte der Vorurteile bei

        der Abschiebungsforderung,

        bei Problemen auf dem Arbeitsmarkt und auf der Arbeit,

        bei Gefühlen der drohenden Übervölkerung,

        bei Vorbehalten gegen Jugendliche aus Minderheitengruppen,

        bei der Zuweisung höherer Kriminalitätsbereitschaft,

        bei der Behauptung, die sozialen Kosten wären zu hoch,

        bei Problemen des Zusammenlebens,

        bei der Ablehnung von Übersiedlern,

        bei Fragen nach den Ursachen der Einwanderung und sehr hoch

        bei Problemen der Wohnungssuche (Wohnungsnot).

Demgegenüber setzen die Leute mit Abitur tendenziell andere Schwer­punk­te:

        Sie lehnen den angeblichen Asylmißbrauch relativ häufiger ab,

        sie befürchten häufiger, daß durch Einwanderung Ausländer­feind­lich­keit entsteht,

        sie sehen eher Probleme in Beziehungen der Geschlechter,

        sie sehen die deutschen Frauen eher bedroht,

        sie erwähnen häufiger die Segnungen der Gastronomie der Einwan­derInnen,

        sie fürchten mehr negative Folgen der Ghettobildung,

        sie sehen eher Schulprobleme,

        lehnen eher das Wahlrecht von EinwanderInnen ab.

 

4.2.3.5     Unterschiede je nach Parteipräferenz

Parteipräferenzen, die sich in unserem Corpus um die „Mitte“ konzenztrie­ren (bei leichtem Überhang nach links), spielen keine besondere Rolle. Mitte-Links-Wähler (SPD, Grüne) zeigen bei Problemen mit Arbeit, Arbeits­losigkeit, „Asylmißbrauch“, Bedrohung durch die „Masse“ und Angst vor Wohnungsnot eine leicht stärker ablehnende Tendenz als Mitte-Rechts-Wähler (CDU, FDP). Für die übrigen Themen lassen sich keine Unter­schie­de feststellen.

 

4.2.3.6     Bevorzugte Lektüre und sonstiger Medienkonsum

Daß der Einfluß der Medien neben der Verarbeitung eigener oder gehörter Erfahrungen, die oft allerdings auch wieder aus den Medien bezogen wer­den, für die Herausbildung und Verfestigung rassistischer Haltungen von großer Bedeutung ist, konnte bereits bei der qualitativen Analyse aufgewie­sen werden.

Auffällig ist, daß die Interviewten ganz überwiegend auch die großen Fami­lienzeitungen und/oder die BILD-Zeitung lesen. Nur sechs der Interviewten lesen zusätzlich überregionale Zeitungen wie FR, FAZ und Handelsblatt oder Wochenzeitschriften und Magazine wie Stern oder Spiegel. Das Fern­sehen spielt hier möglicherweise eine geringere Rolle. Nur etwa die Hälfte der Interviewten sehen viel TV (2 Stunden und mehr), während die andere Hälfte weniger oder kein TV konsumiert. Auch gibt nur die Hälfte der In­terviewten an, Nachrichtensendungen zu sehen, deren Informationswert allerdings ohnedies nicht sehr groß ist (Schmitz 1990). Politische Sendun­gen werden nur von vier der Interviewten angegeben. Insofern läßt sich auch aus dieser Perspektive sagen, daß die Berichterstattung der großen Familienzeitungen und der BILD-Zeitung von erheblicher Relevanz für die Meinungsbildung ist.

 

4.2.4        Vorläufige Schlußfolgerungen

Der hier vorgenommene Versuch, unser Material auch unter (einigen) quan­titativen Gesichtspunkten zu analysieren, ist noch sehr unzulänglich. Bei weiteren Diskursanalysen sollte aber den folgenden Fragen weiter nachge­gangen werden:

        ob ältere Menschen gegenüber EinwanderInnen in stärkerem Maße ne­gativ eingestellt sind;

        ob die jüngere Generation der 20-30-jährigen wieder stärker mit ableh­nenden Haltungen behaftet ist und welche Ursachen das haben könnte;

        ob bessere Erziehung und höherer Schulabschluß (bzw. der Beruf) eher gegen solche Haltungen immunisieren;

        ob sich, wie vermutet, das Wohnen in Nachbarschaften mit geringen Anteilen an Einwanderinnen nur auf die Qualität solcher Haltungen auswir­ken, nicht aber auf deren Vorhandensein als solches etc. etc.

 

 

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Copyright © 2000 Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung
Stand: 25. September 2006

 



[1]          Die folgenden Grobkategorisierungen richten sich nach van Dijk 1987. Die Feinuntergliederungen ergeben sich allein aus dem Material. Die Zahlenangaben beziehen sich auf die Anzahl der Interviews, in denen Aussagen dieser Art vorkommen. Unberücksichtigt bleibt, daß solche Aussagen in einem Interview mehrfach auftauchen können, da es sich hierbei nur um Wiederholungen ein und derselben Struktur handelt.

[2]          Ich verweise dazu auch noch einmal auf die voranstehenden Einzelanalysen, deren Lektüre das folgende erst voll verständlich macht.

[3]          Eine differenziertere Analyse, die zwischen den verschiedenen EinwanderInnen­grup­pen genauer unterscheidet, erfolgt weiter unten.

[4]          Sie entspricht im wesentlichen dem, das van Dijk für die Niederlande und die USA festgestellt hat (van Dijk 1987, 1992a). Im einzelnen ergeben sich Unterschiede zu den Resultaten van Dijks, die sich auf die tendenziell anderen alltäglichen, sozio-öko­nomischen, politischen und historischen Bedingungen zurück­führen lassen.

[5]          Vgl. dazu van Dijk mehrfach.

[6]          Im Rahmen der hier aufgeworfenen Fragestellung erübrigt es sich, den Terminus „Aus­länder“ zu untersuchen. „Ausländer“ ist der Sammelbegriff für alle, die nicht deutsch sind.

[7]          Die damit angesprochenen Gruppen tauchen i.R. auch in paraphrasierter Form auf. Ich beschränke mich hier im wesentlichen auf die direkte Ansprache durch die hier aufgeführten Termini.

[8]          Einen besonders deutlichen Fall von Ablehnung der Ex-DDR-Bürger haben wir in Interview 13 vorliegen. Vgl. dazu oben die differenzierte Einzelanalyse von Angelika Müller.

[9]          Solche intranationalen Rassismen werden auch in anderen europäischen Ländern konstatiert, so zum Beispiel in Italien, wo für viele Europa hinter dem Arno endet. (Intra-)Rassistische regionale Organisationen erhalten Rückhalt in der Wähler­schaft. So erzielte etwa die Lega Lombarda mit rassistischen Parolen gegen die Mil­lionen angesiedelten „Südstaatler“ so große Stimmengewinne, daß sie 1989 mit zwei Sitzen ins Europaparlament einziehen konnte. Vgl. dazu im einzelnen Raith 1989.

[10]        Auf die Diskriminierung anderer sozial schwacher Gruppen wie Behinderte, Frauen, Kinder, Alte möchte ich an dieser Stelle nur verweisen. Sie erfolgen m.E. aus ähnli­chen Motiven, aber mit anderen „Argumenten“. Das Angebot rassistischer Ableh­nungs­gründe stellt gegenüber den „Fremden“ ein willkommenes Repertoire dar. Die Ablehnungsbegründungen gegenüber ehemaligen DDR-Bürgern stellen hier einen Sonderfall dar. Sie sind i.a. auch kulturalistisch verbrämt, lassen sich aber nicht durch die Nichtzugehörigkeit zur Nation legitimieren. Hier handelt es sich um Dis­kriminierungen, die denen anderer deutscher „Kostenverursacher“ ähneln, wie etwa Kranke, Alte, Behinderte usw. Die Nichtzugehörigkeit zur Nation wird dann als we­niger gravierend angesehen, wenn die „Fremden“ keine (oder nur wenig) Kosten verursachen und wenn sie sich an unser Leistungs- und Normensystem einigerma­ßen „anpassen“.

[11]        Barthes formuliert: „Der Mythos entzieht dem Objekt, von dem er spricht, jede Geschichte.“ (Barthes 1964, S. 141)

[12]        Rassismus und Ethozentrismus, so schreiben sie, „bezeichnen die Konstruktion von sozialen Unterschieden als Gegensätze, wobei die ethnischen Minderheiten als min­derwertig definiert werden. Rassismus bezeichnet darüber hinaus die Naturalisie­rung der sozialen Verhaltensweisen.“ (ebd. S. 77, meine Hervorhebung, S.J.)

[13]        Vgl. z.B. Kuhn in MUT 267, 9/1989, S. 38-51. Derselbe Autor bekräftigt jedoch in einer anderen Ausgabe von MUT (von Juli 1990) die biologische Determiniertheit von Mann und Frau. In der Zeitschrift „Nation Europa“ werden gleichwohl bis heute rein biologistisch argumentierende Positionen vertreten, insbesondere durch den Chef-Rassisten Christian Mattausch, der nach wie vor die These vertritt, Rassismus sei angeboren. (Mattausch 1986.)

[14]        Vgl. dazu Tsiakalos 1992, der eine biologisch argumentierende Haltung gegen den verbreiteten „genetischen“ Rassismus entwickelt und für Gegendiskurse empfiehlt. Dies sei erforderlich, weil der biologische Diskurs insgesamt sehr stark und aner­kannt sei und biologisch argumentierende Rassisten millionenfach Gehör fänden, wobei er auf Konrad Lorenz und Irenäus Eibl-Eibesfeldt verweist.

[15]        Auf dem Spiegel-Titel 37/1991 vom 9.9.1991 wird Deutschland als Arche Noah dargestellt, in der wimmelnde Massen ameisengleicher Menschen Zuflucht suchen. Diese kollektivsymbolisch höchst aufgeladene Darstellung trägt den Titel „Ansturm der Armen“.

[16]        Vgl. dazu Quinkert/Jäger 1991.

[17]        Kalpaka/Räthzel sehen die Gefahr des Ethnozenrismus insbesondere darin, daß er leicht in Rassismus übergehen könne. (Vgl. 1990, S. 18)

[18]        Rechtsextremisten wie Christian Mattausch, Vielschreiber in der rechtsextremen Zeitschrift „Nation Europa“, betrachten Fremdenhaß gar als angeboren. Man vergleiche auch die Ansichten der einflußreichen Verhaltensforscher Lorenz und Eibl-Eibesfeldt sowie Jensen, Eysenck etc., deren Bücher Millionenauflagen errei­chen und die hervorragenden Zugang zu den Medien haben.

[19]        Hier liegt ein typisches Beispiel für die Strategie der Relativierung vor, durch die die rassistische Einstellung des Sprechers aber nicht verdeckt werden kann.

[20]        Vgl. auch 9/317-326 und 707-748.

[21]        Ähnliche Fälle sind häufig: z.B. 3/437-446, 5/334-384, 12/32-33 oder 21/560-584 u.a.

[22]        Vgl. auch Gesa Siebert-Ott 1991, S. 362 ff.

[23]        Vgl. Weisgerber 1941.

[24]        Nach Reumuth 1941, S. 23. Günther wirkte auch noch nach dem Krieg weiter und vertrat weiterhin rassistische Thesen. Vgl. z.B. Günther 1966; hier konnte er schreiben: „Menschenwürde ist ja nicht ein allen Menschen angeborener und eigener Zustand, sondern ein Vorbild für die Siebung und Auslese wie für die Erziehung.“ (ebd. S. 5)

[25]        Mein Kampf, Ausgabe München 1941, 626.-630. Auflage, S. 428.

[26]        Beobachtung außerhalb der Interviews.

[27]        Siehe dazu auch Halls psychologische Interpretation, Hall 1989, sowie Miles 1991.

[28]        Vgl. Räthzel 1991, S. 40.

[29]        Vgl. Adorno 1973 und Hall 1989.

[30]        Diese Karte habe ich einen Tag nach der Auswertung dieser Nationalitäten­bezeich­nungen in unseren Interviews in der Zeitschrift Quick gefunden. Hier werden 29 Nationen mit Zahlen von „Asylbewerbern“, die im ersten Halbjahr 1991 nach Deutschland gekommen sind, verzeichnet. 18 davon werden auch in unseren Inter­views genannt.

[31]        Interessant ist, daß Lateinamerika dem „deutschen Blick“, der sich vornehmlich (aus deutscher Sicht) nach Osten und nach Süden richtet, völlig entgeht!

[32]        Von sechs Interviewten wurden Juden ohne irgendwelche Impulse der Inter­viewenden angesprochen. In anderen Interviews wurden die Juden in Verbindung mit Einwanderung generell angesprochen und zwar in Verbindung mit Hinweisen der Interviewenden auf Einwanderungen aus der Sowjetunion allgemein. Auch hier handelt es sich also um sehr schwache Impulse.

[33]        Seit längerem kursiert in Deutschland der folgende Anti-Türkenwitz: „Ein mit Tür­ken vollbesetzter Zug fährt in Istanbul ab - und kommt in Frankfurt leer an. Wa­rum? - Er fuhr über Auschwitz.“ Diese anti-türkische Funktion antisemitischer Aus­sagen ist also Bestandteil des „Volksvermögens“. Vgl. dazu Albrecht 1989, S. 83 ff.

[34]        Vgl. den Artikel von Gerd Klaus Kaltenbrunner „Bestimmt Hitler die Richtlinien der Politik?“ von 1987, in dem ganz ähnlich argumentiert wird.

[35]        Vgl. dazu auch die Ergebnisse der Untersuchungen von Ruth Wodak zum Antisemitismus in Österreich. (Wodak u.a. 1990, S. 279ff.)

[36]        Zum Antisemitismus ohne Juden vgl. auch von Braun/Heid 1990.

[37]        Der überwiegende Teil der Interviewten, die sich antisemitisch äußern, lebt in Stadtvierteln mit einem großen Anteil an EinwanderInnen (7:2). Da nur 9 der Interviewten insgesamt in einem Stadtteil mit niedrigem EinwanderInnenanteil leben, läßt sich hier möglicherweise ein Zusammenhang sehen: Die Nähe von EinwanderInnen erweckt unmittelbare persönliche Bedrohungsgefühle, deren man sich mit teilweise aggressiven Gegenstrategien zu erwehren versucht.

[38]        Auffällig ist, daß keine(r) der Interviewten mit antisemitischen Einstellungen einen Schulabschluß aufzuweisen hat, der über den Hauptschulabschluß hinausginge. Das besagt zwar nicht sehr viel, weil davon auszugehen ist, daß antisemitische Einstel­lungen auf den Gymnasien bewußt tabuisiert worden sind. (Bergmann/Erb 1991, S. 75 konstatieren: Je höher der Bildungsabschluß, desto weniger Antisemi­tismus. Und: Wir haben es mit einem überkommenen ideologischen Komplex zu tun, der durch höhere Bildung stärker aufgelöst wird. (ebd. S. 82)) (Bergmann/Erb 1991 fra­gen nicht nach der Anwesenheit von Einwanderern in den Stadtvierteln.)

[39]        Interessant ist aber, daß Antisemitismus in allen Altersgruppen vorkommt, eher weniger bei den über 60jährigen. Er kommt allerdings nicht vor in der Gruppe der 20-30jährigen.

[40]        Im Rahmen einer umfassenden empirischen Untersuchung zum Antisemismus im gegenwärtigen Deutschland (Alte BRD) auf der Grundlage von standardisierten Be­fragungen kommen Bergmann/Erb zu dem Ergebnis, daß der Antisemismus zwar ein singuläres Phänomen darstelle, daß er aber auch „Teil einer allgemeinen xeno­phobischen Haltung (sei), die sich heute primär gegen die Arbeitsmigranten und Asylbewerber richtet.“ (Bergmann/Erb 1991, S. 206) Sie sehen auch, daß Antise­mi­tismus sich nicht an ökonomischen, sozialen und Bedrohungsängsten festmacht. Auch halten sie es nicht für ausgeschlossen, „daß die in den 80er Jahren anwach­sende Ausländerfeindlichkeit aus nationalistischen Motiven (?) auch wieder zu einer stärkeren Ablehnung der Juden führt“, obwohl diese insgesamt in den vergangenen Jahren eher abgenommen habe. (ebd. S. 299) Welche Funktion der Antisemitismus haben könnte, außer „zur (sog.) Bewältigung der Vergangenheit beizutragen“, wird damit jedoch nicht sichtbar.

[41]        Vgl. dazu auch die Darstellung der Quellen des Wissens, bei denen die Informatio­nen aus der Presse offensichtlich eine überragende Rolle spielen.

[42]        Vgl. hierzu auch die psychoanalytische Deutung von Hall 1989.

[43]        Vgl. jetzt auch van Dijk 1992b. Hier diskutiert van Dijk die Leugnung von Rassismus auf auf allen Diskursebenen, die er in den letzten zehn Jahren untersucht hat. Die folgende Aufstellung von Strategien der Äußerung/Verleugnung von Rassismus nimmt die Ergebnisse van Dijks auf und differenziert sie weiter aus. Reeves (1983) spricht von  „discoursive deracialisation“, rassistischen Haltungen, die in nicht-rassistischer Terminologie einherkommen. Einen Überblick über die Forschung zu diesem Bereich gibt Billig 1991b, S. 123ff.

[44]        Ab Herbst 1991 tauchten immer wieder Stellungnahmen von Prominenenten „gegen Rassismus“ in der Presse auf. Wie sehr das Wort „Rassismus“ aber vorher tabuisiert war, zeigte sich in einer Debatte des Schleswig-Holsteinischen Landtags, bei der der Fraktionsvorsitzende der SPD, Gert Börnsen, den CDU-Abgeordneten, die das Bun­desverfassungsgerichtsurteil gegen das kommunale Wahlrecht für Einwan­dererIn­nen verteidigten, worwarf: „Das ist im Kern ein Stück Rassismus.“ Diese Aussage rief eine heftige Kontroverse hervor, in deren Verlauf Börnsen gerade­zu gezwungen wurde, dieses Wort ungesagt zu machen. Der CDU-Vorsitzende Klaus Kribben nannte den Rassismus-Vorwurf „abwegig, beleidigend und ver­letzend.“ Andere spra­chen von einer Diktion, die „unser gesamtes parlamentarisch-demokratisches Sy­stem trifft“ und der CDU eine „geistige Verbindung zum Nationalsozialismus unter­stellen“ wolle. Interessant hier die Begriffsdefinition eines CDU-Abgeordneten: „Der Begriff des Rassismus ist eindeutig als ein negatives moralisches Werturteil belegt, so daß, wenn es gegenüber Demokraten gebraucht wird, der Betreffende, der sich nicht dagegen wehrt, als politisch und moralisch disqualifiziert gilt. Es ist notwen­dig, diese für uns ungeheuerliche, beschwerende und in ihrer Wirkung auch beleidi­gende Äußerung zurückzunehmen, weil sonst ein gedeihliches Klima in diesem ho­hen Hause nicht möglich ist. ... Es gibt im sprachlichen Umgang Grenzen, die wir im Interesse unserer Demokratie einzuhalten haben. Dieser Vorwurf überschreitet das Zumutbare und Erträgliche.“ Vgl. die Protokolle der Landtagssitzungen vom 13., 14, und 27. November 1990.

[45]        Die folgenden Strategie-Typen tauchen ohne Ausnahme auch in den Unter­such­un­gen van Dijks zum alltäglichen Rassismus in den Niederlanden und den USA auf, vgl. van Dijk 1987 und 1992b. Die zusammenfassende Untersuchung van Dijks über die Leugnung des Rassismus in den verschiedensten Diskurstypen zeigt aber, daß es für unterschiedliche Diskurse auch in unterschiedlicher Weise bevorzugte Redestrategien dieser Art gibt.

[46]        So z.B. 10mal in Interview 12: 162, 209, 276-77, 359-64, 446-450, 472-74, 495-99, 574, 675-77, 743-45. Ähnlich häufig wurde sie verwendet in Interview 1, 5 und 6.

[47]        Ein geradezu klassisches Beispiel für die Relativierung des Rassismus der Deutschen durch Verweis auf andere Länder enthält die Quick vom 13.2.1992 auf S. 28-31.

[48]        Diesen Abschnitt habe ich teilweise wörtlich dem Manuskript eines Vortrags ent­nommen, den Margret Jäger am 4.2.1992 in Tübingen gehalten hat. In ihrer Disser­tation geht sie dieser Frage auf der Grundlage einer zusätzlichen Reihe von Inter­views genauer nach.

[49]        Ob das Verhältnis zwischen eingewanderten Männern und Frauen, zwischen islamischen Männern und Frauen tatsächlich so ist, wie es die Deutschen vermuten, und wie diese Konstruktion zustandegekommen ist, steht hier übrigens nicht zur Debatte.

[50]        Zum Terminus Interdiskurs führt Link aus: „Aus den verschiedenen spezial­diskursen sammelt sich nun in den redeformen mit totalisierendem und integrieren­dem charakter (z.b. journalismus, z.b. populärwissenschaft und populärphiloso­phie...) ein stark selektives kulturelles allgemeinwissen, dessen gesamtheit hier inter­­dis­­kurs genannt wird.“ (Link 1986, S. 5f.)

[51]        Die in diesem Zitat unterstrichenen Wörter sind nach Link Kollektivsymbole.

[52]        Vgl. dazu die verschiedenen theoretischen Ausführungen Links und seine konkreten Materialanalysen u.a. in der Zeitschrift kultuRRevolution. Einen Überblick findet man in Jäger 1991c.

[53]        Zitiert nach Link 1991b, S. 73.

[54]        Eine solche Unterscheidung wird bei Link nicht vorgenommen. Ihm geht es darum zu zeigen, wie das „Symbolfeld des Politischen“ durch konkrete Kollektivsymbole in Texten repräsentiert wird, insbesondere in der Sprache der Medien und der Litera­tur. Es dürfte eine Eigenart der gesprochenen Alltagssprache unserer Interviews sein, daß hier neben konkreten Kollektivsymbolen eine Vielzahl direkter und sehr abstrakter Markierungen dieses Symbolfeldes auftritt.

[55]        Die Flut- und Flußmetaphorik taucht in einer Reihe weiterer Interviews ebenfalls auf: vgl. z.B. 2/343, 345, 377: 4/88, 196.

[56]        Vgl. dazu auch die verbreitete Schiffsmetaphorik in Karikaturen, die häufig auch die Anspielung auf die Arche Noah enthalten.

[57]        Hier wird Jürgen Links These von den katachretisch mäandernden Kollektiv­sym­bolen und deren Funktion für den Zusammenhalt imaginierter Weltbilder auch für den Alltagsdiskurs nachhaltig bestätigt.

[58]        Hier hat im übrigen ein Perspektivenwechsel stattgefunden: Aus dem fremden (uns bedrohenden) System heraus werfen die Einwanderer ihre Rettungsangeln über uns aus.

[59]        Das ist nicht abbildtheoretisch zu verstehen, sondern diskurstheoretisch. Vgl. dazu die Überlegungen von Link 1992.

[60]        Eine Auseinandersetzung mit der Lehre vom sprachlichen Feld halten wir an dieser Stelle nicht für erforderlich. Vgl. dazu aus der Sicht der inhaltsbezogenen Sprach­wissen­schaft Hoberg 1970.

[61]        Eine Computerauswertung war hier nicht möglich, da die Wortbedeutungen im je­weiligen Kontext definiert werden. Das Verfahren, die aktuellen Bedeutungen zu codieren und maschinell auszuwerten, wurde erwogen, aber wegen des riesigen Auf­wandes an Arbeitszeit und eines sich in Grenzen haltenden Ertrags wurde darauf verzichtet. Die folgenden Angaben sind daher relativ grob. Sie stützen sich auf 15 100%ige Auswertungen „von Hand“, für den Rest der Interviews wurden i.R. nur alle 10 Zeilen Stichproben genommen. Auch die Verben und Adjektive sind nach die­sem Verfahren ausgewertet worden. Ihre Analyse wird hier nicht eigens ange­führt, weil sie im Vergleich zur Analyse der Substantive keine neuen Erkenntnisse zu Tage gefördert hat.

[62]        Ich gehe im folgenden zunächst von einem Interview aus, weil die Besonderheiten des Pronominalgebrauchs in größeren Kontexten besser verdeutlicht werden können als durch Einzelbeispiele. Im weiteren werde ich dann auch die anderen Interviews einbeziehen.

[63]        Vgl. auch Zeile 3/876-880, wo der Interviewte, ein »kleiner« Rentner, um „unsere“ Millionen bangt, die man nicht (an die Einwanderer) verschleudern soll.

[64]        Vgl. aber auch zum Beispiel Interview Nr. 10, 12.

[65]        Vgl zu dieser Strategie auch die Einzelinterviewanalyse von Stefanie Hansen, wo diese Strategie im Zusammenhang mit der Grundeinstellung des Interviewten im einzelnen beleuchtet wird.

[66]        Nämlich in den Interviews 2, 6 ,12, 10, 14 16 . Der Interviewte in Nr. 7 hat zwar Abitur; er ist ein 43 Jahre alter Techniker, aus der Eifel kommend, der ein sehr ein­geschränk­tes kleinbürgerliches Leben führt und für diese Gruppe insofern untypisch ist.

[67]        Eine genauere Auseinandersetzung mit diesem Problem ist im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich. Ich verweise auf die differenzierte Forschungs-Diskussion bei Leiprecht 1990.

[68]        Vgl. dazu Januschek 1986, bes. S. 52 ff.

[69]        Zugleich ist hier in aller Kürze das Konzept Ethnopluralismus auf den Punkt gebracht: Deutschland den Deutschen, den Türken die Türkei!

[70]        Vgl. die Ausführungen bei Januschek 1986, S. 59 ff.

[71]        In Interview 3 fanden sich über 200 mehr oder minder feste Redewendungen.

[72]        Zu sprachlichen Bewertungen vgl. Sandig 1979.

[73]        Vgl. dazu genauer Winnick 1961.

[74]        Vgl. dazu besonders Albrecht 1989.

[75]        Vgl. dazu auch van Dijk 1987, S. 65.

[76]        Vgl. etwa zu Erzählstrukturanalysen Ehlich 1980. Van Dijk analysierte die Strukturen der in einem Corpus von 100 Interviews auftretenden Erzählungen nach Katego­rien wie „setting, orientation, complication, resolution, evaluation/ conclusion“. Er zeigt z.B. daß in (fast) allen Geschichten „Komplikationen“ auftreten, und betrachtet dies als ein Hauptkennzeichen der Geschichten über Einwan­derInnen. Diese Beobachtung trifft auch für unsere Interviews zu.

[77]        Van Dijk schreibt: „They are not I-stories, but we-stories...“. (van Dijk 1987, S. 68)

[78]        Zur Funktion des Kopftuchs als Pragma-Symbol s. o.

[79]        Zu den Geschichten über Juden vgl. auch die Ausführungen zum Antisemitismus.

[80]        Über die Schwierigkeiten, absolut verläßliche Auskünfte über die Wisssensquellen von Interviewten zu gelangen vgl. van Dijk 1987, S. 119-122. Die Angaben der Interviewten über ihre Wissensquellen sind dabei nur eine Fundgrube; daneben sind die Interviews selbst als Quellen anzusehen: Sie reproduzieren die kollektiv geteilten Ansichten über EinwanderInnen bei bestimmten Variationen, die mit Alter, Wohngebiet, Geschlecht und anderen Faktoren einhergehen; s. dazu weiter unten.

[81]        Die Analyse der Quellen des Wissens, auf die sich unsere Interviewten beziehen, kann hier nur exemplarisch durchgeführt werden; eine vollständige Analyse aller Quellenangaben und -hinweise auf Quellen würde eine Untersuchung aller Aussagen voraussetzen. Das aber würde den Rahmen dieser Monographie sprengen. Vgl. aber die sehr differenzierte Analyse bei van Dijk 1987, S. 131-140

[82]        Vgl. dazu ebd. S. 128.

[83]        Zur genaueren Bestimmung wurde aus den Interviews heraus eine Basisliste sol­cher als journalistische Schlüsselwörter eingschätzten Termini erstellt. Diese Wör­ter könnten durch ein Suchprogramm in allen anderen Interviews auffindbar ge­macht werden. Zur besseren Absicherung könnte eine Worthäufigkeitsliste des ge­samten Corpus erstellt und daraufhin überprüft werden, ob sich hier weitere solcher Schlüsselwörter finden lassen. Auf dieses relativ aufwendige Verfahren wurde ver­zichtet, weil bereits diese Stichprobe den Einfluß der Medien hinlänglich plausibel macht.

[84]        Das wurde nicht systematisch und auch nicht flächendeckend vorgenommen. Um die Jahreswende stand die „Asyldebatte“ im übrigen auch im Schatten des drohen­den Golfkrieges, der damals die Medien in erster Linie beschäftigte. Ab Mitte Au­gust/September 1991 haben wir unter dem Eindruck der dramatischen Eskala­tion rassistischer Straftaten mit medialer Begleitmusik eine breitangelegte Medien­ana­lyse begonnen. So haben wir zwei Monate lang die Presseberichterstattung der Bild­zeitung zur Asylfrage dokumentiert und diskursanalytisch aufbereitet und kommen­tiert. Die Parallen zwischen der Bildzeitung und den zentralen Ausagen in den In­terviews liegen trotz des Abstandes von sieben-acht Monaten auf der Hand. Der ras­sistische Diskurs scheint ziemlich stabil. Vgl. Quinkert/Jäger 1991. Bei einer Erwei­terung unseres Projektes soll aber der Versuch gemacht werden, eine Parallelisie­rung von Alltagsdiskurs und Mediendiskurs zu erreichen.

[85]        Vgl. dazu auch die Einzelanalyse von Sabine Walther.

[86]        Vgl. Toulmein 1990, Kreft 1991.

[87]        Nur in Interview 20 werden Bücher und Videos als dominante Wissensquelle ange­führt.

[88]        Genaueres dazu s. Jäger 1991f., hier bes. S. 4-8.

[89]        Entsprechend zurückhaltend beurteilt van Dijk den Aussagewert quantitativer Feststellungen in Verbindung mit seinen 24 US-amerikanischen Interviews. Vgl. van Dijk 1987, S. 351.

[90]        Die Überschreitung der Zahl 22 ergibt sich daraus, daß an einigen Interviews mehrere Interviewte teilnahmen bzw. daß z.B. Wohngebiete gewechselt wurden. In einigen wenigen Fällen fehlten auch genauere Angaben zum 2. Interviewpartner.

[91]        Die folgenden Angaben beruhen auf einer Korrelation sozialer Daten mit der Anzahl des Auftretens der Themen, mit deren Hilfe Vorbehalte gegenüber EinwanderInnen aller Art geäußert werden. Im Unterschied zu van Dijk beziehen wir uns nicht auf eine Vorurteilsskala (vgl. van Dijk 1987, S. 131ff.). Auf der Grundlage der qualita­tiven Analysen der Interviews stuft van Dijk den Grad der Vorurteilshaftigkeit auf einer Skala von 1 bis 7 zwischen Vorurteilsfreiheit und offenem Rassismus ab und kommt zu einem Mittelwert von 3,4. Signifikante Abweichungen von diesem Mittel­wert sind sodann der Maßstab für die Bestimmung des Grades der Vorurteilshaftig­keit bestimmter sozialer Gruppen etc. Angesichts der auch von van Dijk konstatier­ten Problematik solcher Verfahren und zusätzlich wegen der noch geringen Zahl von Interviews verbietet sich ein solches Verfahren für unsere Untersuchung. Die Un­tergruppierungen werden dabei zu klein. Wir begnügen uns deshalb damit, be­stimmte grobe Trends herauszufinden, deren Aussagewert selbstverständlich nur sehr vorläufigen Charakter hat.

[92]        Ähnliche Befunde zeigen die Untersuchungen van Dijks (Vgl. van Dijk 1987, S. 350).

[93]        Ähnlich äußern sich Mann 3/315-317, Mann 4/135 und 216f., Frau 11/137-140.

[94]        Ich verzichte ab nun auf eine genauere thematische Auffächerung und begnüge mich damit, bestimmte Besonderheiten hervorzuheben.

[95]        Diese Ergebnisse sollten nicht überschätzt werden, insbesondere nicht für die jüngeren Altersgruppen. Einigermaßen verläßlich dürfte das Ergebnis sein, daß die ältere Generation deutlich stärkere Vorbehalte hat als die Jüngeren. Dies entspricht auch ganz den Ergebnissen Teun A. van Dijks für die Niederlande (van Dijk 1987, S. 350).

[96]        Wir haben Wohngebiete mit hohem Anteil mit 2 und solche mit geringem Anteil mit 1 gewichtet. Für alle Interviewten zusammen erhielten wir einen Durchschnittswert von 1,6. Die folgende Zuordnung ist in der Reihenfolge der Durchschnittswerte zwischen 2,0 bis 1,0 vorgenommen worden. Zwischen den Werten über 1,6 und darunter ist eine Markierungslinie angebracht worden, die darauf verweisen soll, in welcher Art Wohngebiet welche Vorurteile dominieren. Die Auflistung ist also so zu lesen: Bei allen Werten unter zwei bis 1,6: Solche Vorurteile dominieren hier, kommen aber in dem anderen Wohngebiet auch vor. Und umgekehrt: Bei Werten unter 1,6 bis über 1: Solche Vorurteile dominieren in diesem Wohngebiet, kommen aber in dem anderen auch vor. Das ist natürlich statistisch nicht unproblematisch und kann nur ganz grobe Trends markieren.

[97]        Diese Verteilung korrespondiert mit den Ergebnissen van Dijks für die Niederlande: „The first obvious difference is the one between high- and low-contact areas, the first being well above the average, the second below the average prejudice level.“ (van Dijk 1987, S. 349)