Andreas Foitzik, Rudolf Leiprecht, Athanasios Marvakis, Uwe Seid (Hrsg.):
"Ein Herrenvolk von Untertanen"
Rassismus - Nationalismus - Sexismus
Martha Mamozai
Frauen und Kolonialismus - Täterinnen und Opfer
Eine historische Entdeckungsreise
Es gibt meiner Meinung nach viele Gründe, warum dieses
Thema gerade jetzt wichtig ist; auf zwei davon möchte ich kurz eingehen:
Erstens: Gegenwärtig steigt die Flut der Bücher und
Artikel über Frauen und ihre Teilhabe an der Gestaltung der Zukunft,
Diskussionen über Frauen und Macht, die weiblichen Werte - alles nur positive
Eigenschaften, versteht sich - als Grundlage für eine neue, bessere Welt.
Frauen machen sich ans Werk, die "gute Frau" zu beschwören, Männer
springen auf diesen Zug auf, übernehmen in Ermangelung eigener Konzepte diese
neuen alten Vorurteile. Dies ist in meinen Augen eine verhängnisvolle
Entwicklung. Denn die Wirklichkeit ist eine andere, wie wir gerade am Beispiel
dieser historischen Epoche erfahren können: Auf der Suche nach den Frauen im
Kolonialismus entdecken wir Frauen, die sich auf die Seite von Unrecht und
Gewalt gestellt haben und so zu Komplizinnen HERRschender (Männer-) Ideologien,
zu Mittäterinnen und Mitschuldigen geworden sind, spüren wir die anderen
Frauen auf, jene, die das ungetrübte Bild der "guten Frau" stören -
Mißtöne erzeugen in der Harmonie des Hohelieds von den Frauen als den besseren
Menschen.
Diese Desillusionierung aber, so schmerzhaft sie auch
sein mag, ist notwendig; es gilt, die schützenden Gärten der Unschuld zu
verlassen, das Privileg der Unschuld - die Opferrolle zur Erhaltung eines ewig
guten Gewissens - aufzugeben, Frauen nicht zu abstrakten Ideen verkommen zu
lassen, sondern mit ihrem ungeteilten menschlichen Potential zu begreifen, sich
auch mit den ungeliebten verdrängten Eigenschaften auseinanderzusetzen und so
die Voraussetzung dafür zu schaffen, sich der (Mit-) Verantwortung in
Geschichte und Gegenwart zu stellen.
Zweitens: Als Deutsche stehen wir an einem
historischen Wendepunkt: Mit dem Beitritt der früheren DDR zur Bundesrepublik
wird Deutschland größer, stärker und mächtiger. Ich fürchte, daß dies
unserem Verhalten anderen Ländern gegenüber, und zwar europäischen wie außereuropäischen,
nicht besonders förderlich sein wird. Spätestens seit der Revolution in der
DDR ist öffentlich geworden, wie wir uns anderen, besonders wirtschaftlich Schwächeren
gegenüber verhalten: In unseren Beziehungen zur ehemaligen DDR kommt so viel
von genau dem selben Paternalismus, Oben-Unten-Denken, der Arroganz und Überheblichkeit
zutage, wie sie seit den Anfängen des Kolonialismus bis heute gang und gäbe
sind - auch in dem, was heute "Entwicklungszusammenarbeit" genannt
wird. Es muß sich etwas an der Qualität der Beziehungen zu anderen Ländern,
an unserer Einstellung zum "Rest der Welt" ändern.
Begeben wir uns also auf die Spurensuche nach den Frauen im
Kolonialismus, als Angehörige der Eroberer wie der eroberten Nationen,
begreifen wir sie als Chance, und sie wird zu einer wahren
"Entdeckungsreise" werden.
1. Entdeckung:
Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten waren von
Anfang an am Kolonialismus einschließlich des Sklavenhandels beteiligt. Sie
waren genauso gierig, brutal und rassistisch wie die Männer.
In der gängigen Literatur wird Kolonialismus immer noch
wenn nicht als Männerdomäne so zumindest als geschlechtsneutrale Geschichte präsentiert.
In Wirklichkeit aber waren die Frauen der Eroberernationen mit von der Partie,
in allen Bereichen, allen Kolonien, und sie kamen aus allen gesellschaftlichen Rängen,
Ständen und Schichten.
Am Anfang der spanischen Konquista zum Beispiel stand
eine Frau: Isabella die Katholische, Königin von Kastilien und später Spanien.
Ihre Heirat mit Ferdinand II. von Aragonien im Jahr 1469 war ein kluger
Schachzug; vereinigte sie doch die beiden Königreiche Kastilien und Aragon und
stärkte so die spanische Nation, die sich erst auf dieser Grundlage in das
koloniale Abenteuer stürzen konnte. Es war diese Isabella, in deren Auftrag der
Genueser Christoph Kolumbus segelte, um einen westlichen Seeweg nach Indien zu
finden. Auf seiner dritten Reise nach Westen 1497/98 nahm Kolumbus die ersten
dreißig spanischen Frauen mit an Bord, denen bald ein ständiger Zustrom
weiterer Frauen folgte.
Was Isabella für die spanische Konquista, war Elisabeth I.,
Königin von England und Irland, für den englischen Sklavenhandel.
Offiziell mißbilligte sie ihn zwar, verbot ihn aber nie, obwohl sie die Macht
dazu besessen hätte. Elisabeth teilte im Gegenteil die Profite aus dem
Sklavenhandel mit den See- und Menschenräubern und übertrug den
erfolgreichsten unter ihnen wichtige Staatsämter. Hawkins, einer ihrer
Favoriten, wurde Schatzmeister und Vizeadmiral der königlichen Flotte, Francis
Drake, wie Hawkins von ihr zum Ritter geschlagen, sogar Admiral.
Erinnern wir uns, daß dieser lukrative "Dreieckshandel",
in dem Menschen aus Afrika getauscht wurden gegen Manufakturprodukte aus England
für die Plantagen von Amerika, bezahlt mit Zucker oder Wechseln, fällig in
England, einer der Eckpfeiler der wachsenden Industrialisierung Europas
war. Vorsichtige Historiker schätzen, daß in den vier Jahrhunderten des europäischen
Handels mit "Schwarzhäuten" mehr als 10 Millionen Menschen geraubt,
verschleppt und versklavt wurden. Etwa ein Drittel davon waren Frauen.
Auch unter den Sklavenhändlern gab es Frauen. Doña
Maria de Crusz, zum Beispiel, die Tochter eines früheren Gouverneurs aus
Calabar (heute Nigeria), besaß zwei Sklavenschiffe und saß noch 1826 dick im
Geschäft. Auch wenn hier die Beweislage dünn ist, so haben wir keinen Grund zu
hoffen, Doña Crusz wäre die "berühmte" Ausnahme gewesen, die sich
in diesem blutigen Geschäft die Hände weniger schmutzig machte. In unserem
Geschichtsbewußtsein ist dieses Kapitel weitgehend verdrängt durch andere
schlimme Ereignisse. Hören wir deshalb, was der Augenzeuge eines
Sklaventransportes nach Amerika berichtet: "Ich sah schwangere Frauen, die
ihre Babies zur Welt brachten, während sie angekettet waren an Tote, deren
Leichname unsere betrunkenen Aufseher nicht beiseite geschafft hatten ... Den jüngeren
Frauen ging es zuerst besser, da sie an Deck kommen durften als
Gesellschafterinnen für unsere Mannschaft... Gegen Ende der Fahrt, die fast
sechs Wochen dauerte, hatte die hohe Sterblichkeit ihre Zahl stark verringert,
und eine Anzahl von Frauen wurde nach unten getrieben als Gesellschaft für die
Männer" (Falconbridge, zitiert bei Philip S. Foner 1975, S. 121).
Dieses "sie durften an Deck kommen" ist kein
Privileg, wie der Herr Augenzeuge vielleicht andeuten möchte, sondern die
Bereitstellung zur Vergewaltigung. Vergewaltigung und sexuelle Ausbeutung gingen
auf den Plantagen weiter. Hieß das Prinzip zunächst noch "it is cheeper
to buy than to breed" (es ist billiger, sie zu kaufen als zu züchten), so
änderte sich diese Einstellung im Laufe der Zeit. Die Sklavinnen wurden nun
anderen Sklaven zugeteilt, um möglichst viele Kinder zu gebären - die
wichtigste Ware, die auf den Plantagen hergestellt wurde.
Und auf den Plantagen standen sie sich direkt gegenüber,
die Herrinnen und ihre Sklavinnen und Sklaven, ob sie nun als Angehörige der
herrschenden Gesellschaft lediglich von der Ausbeutung der Sklavenwirtschaft
profitierten, feudalem Luxus frönten, sich "Neger" als
"Spielzeuge" hielten oder die riesigen Besitzungen selber verwalteten.
Eine spanische Ehefrau war für die Konquistadoren
das höchste Statussymbol. Viele der verheirateten Männer ließen deshalb ihre
Frauen nachkommen, und sei es manchmal auch erst nach 15- oder 20-jähriger
Abwesenheit von zuhause. Junge Kreolinnen, die in der "Neuen Welt"
geborenen Frauen spanischer Herkunft, heirateten gerne kampfgezeichnete
Konquistadoren, die sie bald als reiche Witwen zurücklassen würden. Als solche
konnten sie bis zu einer Wiederverheiratung, die ihren Besitz nur vermehren
konnte, ihre Ländereien selbst verwalten.
Viele dieser Frauen standen im Ruf, noch herzloser und
grausamer gegen ihre Sklavinnen und Sklaven zu sein als ihre Ehemänner. Zu
ihnen gehörten Frauen wie Maria de Escobar, die im 16. Jahrhundert in Peru
lebte, oder Doña Catalina de los Rios de Lisperguer aus Chile. Letztere hatte
viele Menschenleben auf dem Gewissen, darunter ihren Vater und einen ihrer
Liebhaber, aber auch 40 Indianerinnen und Indianer, von denen viele die Male
barbarischer Tortur trugen. Sie wurde angeklagt, aber das Urteil war milde, sie
mußte lediglich ihre Ländereien verlassen und stand in Santiago unter
Hausarrest. Als sie fünf Jahre später starb, wurde sie in der Kirche der
Augustiner im Habitus einer Nonne beerdigt. Sie war zu Lebzeiten eben eine generöse
Stifterin und Wohltäterin der Kirche gewesen, und diese Kirche war selber Teil
der Sklavenhaltergesellschaft.
Auch in den amerikanischen Südstaaten räumte die
rassistische Männergesellschaft weißen Frauen ihrer herrschenden Schicht ganz
besondere Chancen ein bei der Bewirtschaftung riesiger Plantagen. Die weißen
Herrinnen nutzten denn auch ihre Stunde, die meistens dann geschlagen hatte,
wenn der Ehemann das Zeitliche segnete, was nicht so selten war in einer Zeit
mit unzähligen militärischen Scharmützeln. Die Tatsache, daß die rechtlosen
Sklavenheere, Männer wie Frauen, schwarz waren, gestattet - ganz in der
Logik dieses Siedlerpatriarchats - daß weiße Frauen über sie als Arbeitskräfte
verfügen konnten. Weniger gern gesehen wurden dagegen Frauen, die weiße Männer
als Arbeitskräfte befehligten.
Aber auch die Frauen, die sich einer Art
"philanthropisch-christlicher" Sklavenhalterei verschrieben, stellten
diese keineswegs grundsätzlich in Frage und verfügten ohne Gewissensbisse oder
Skrupel über die erklecklichen Einnahmen aus dem Besitz an Sklaven und
Plantagen.
Die Geschichte der spanischen Eroberung ist auch voller
Beispiele von Frauen, die die Kämpfe ihrer Männer aktiv unterstützten,
sie ermutigten und Kranken- und Verwundetenpflege übernahmen. Philip II.
bedankte sich anläßlich seines Besuches in Arequipa, Peru, am 19. September
1580 in einer Ansprache besonders bei den Frauen dieser Stadt, die seinem
Spendenaufruf, die enormen Kosten zu decken, die die Kriege gegen Türken,
Heiden und Ungläubige verschlangen, so generös nachgekommen waren. Sie hatten
nicht nur Geld, sondern auch ihr persönliches Geschmeide geopfert.
Mit dem Heer an Matrosen, Soldaten, Händlern und anderen
Abenteurern hatte sich in der städtischen Kultur der Spanier in Südamerika ein
ausgeprägtes Bordellwesen entwickelt. Es scheint, als habe es dabei eine
Art Arbeitsteilung gegeben zwischen indianischen und spanischen Frauen. Während
die indianischen Frauen hauptsächlich für die sexuellen Dienste an Männern
benutzt wurden, übernahmen spanische Frauen die vernachlässigten kulturellen
Seiten. Viele von ihnen waren Unterhaltungskünstlerinnen, Sängerinnen,
Musikantinnen.
Wir wissen nicht, ob bereits 1415 bei der Eroberung Ceutas portugiesische
Frauen mit von der Partie waren. Beweise für ihre Anwesenheit gibt es erst
später, als sie in den verschiedenen Festungen der Eroberer in den besetzten
marokkanischen Gebieten auftauchten. Es handelte sich dabei meist um die Ehefrauen
der Festungskommandanten und um arme Verwandte aus Portugal. An der
Seite ihrer Männer beteiligten sich die Frauen aktiv an den zahlreichen
Angriffs- und Verteidigungsscharmützeln gegen die "Mohren", wie die
Mohammedaner damals genannt wurden - und das zu einer Zeit, in der in der
portugiesischen Heimat die Frauen im öffentlichen Leben kaum in Erscheinung
traten und Sitte und Moral jener Tage die einer strengen Männergesellschaft
waren. Nur bei der Erbfolge, die allerdings nur für die Besitzenden
wichtig war, sind die Frauen jener Epoche gut weggekommen: Sie erbten zu
gleichen Teilen wie Männer und hatten das Recht, über ihren eigenen Besitz,
ihre Mitgift und Erbschaften zu bestimmen. Diese Gesetze wurden wichtig für
die Aufrechterhaltung portugiesischer Herrschaft in den riesigen
zusammengeraubten Überseebesitzungen.
Und dies führt uns zur nächsten großen Entdeckung.
2. Entdeckung:
Die geschlechtsspezifische Rolle von weißen Frauen der
Eroberernationen lag in der rassistischen Herrschaftssicherung; sie haben sich
diese ihnen von Männern zugedachte Rolle zu eigen gemacht und aktiv
mitgetragen.
König und Regierung in Lissabon mißbilligten die
Verbindungen portugiesischer Männer mit afrikanischen Frauen; denn die
Herrschaft in den eroberten Gebieten sollte nicht durch eine
"Afrikanisierung" der Elite gefährdet werden. Also entwickelten sie
eine besondere Strategie: Die Regierung vergab große Ländereien als "Kronland"
an portugiesische Frauen unter der Bedingung, daß sie einen weißen
Portugiesen heirateten. Erbberechtigt sollten nur die Töchter aus solchen
"rein-weißen" portugiesischen Ehen sein - aber ebenfalls nur dann,
wenn sie wiederum einen weißen Portugiesen heirateten. Zuwiderhandlungen
sollten den Verlust des Kronlandes zur Folge haben. In der Gegend um den
Sambesistrom hießen diese eminent reichen Frauen, die ihre afrikanischen
Sklavinnen und Sklaven unter unmenschlichen Bedingungen ausbeuteten die "Doñas
de Zambesia". Die ökonomische und politische Macht, die an ihre
Anwesenheit am Sambesi geknüpft war, scheint ihr Selbstvertrauen auch gegenüber
ihren Ehemännern enorm gestärkt zu haben. Darüber sind uns zahlreiche
Zeugnisse erhalten. Allerdings gab es zu wenig weiße Portugiesen, und wenn den
Doñas der Sinn nach anderen Männern stand, heirateten sie auch Indo- oder
Afro-Portugiesen. Die Familien der Doñas dunkelten so von Generation zu
Generation nach, ohne daß die Lissabonner Instanzen dies hätten überprüfen
oder gar verhindern können.
Die Lissabonner Bürokratie erfand noch eine weitere
Variante der rassistischen Herrschaftssicherung in den Kolonien, die sog. "Waisen
des Königs". Es waren dies besonders ausgewählte heiratsfähige junge
Portugiesinnen aus den Waisenhäusern der Hauptstadt Lissabon und der Hafenstadt
Oporto. Jede von ihnen bekam eine Mitgift in Form eines mittleren oder
kleineren Kolonial-Beamtenpostens für denjenigen Portugiesen, der sich
entschloß, sie zu heiraten. Dieses System wurde besonders in den
portugiesischen Eroberungen auf dem indischen Subkontinent systematisch und
erfolgreich angewendet.
Das gleiche Problem stellte sich auch im deutschen
Kolonialismus. Mit der zunehmenden wirtschaftlichen Erschließung der
Kolonien nach ihrer militärischen Befriedung stellte sich der Koloniallobby
immer drängender die Frage nach einer zuverlässigen Art der
Herrschaftssicherung. Wollte man die einheimischen Völker auf Dauer von der
Teilhabe an Macht, Herrschaft und Reichtum ausschließen, so eignete sich nichts
besser dazu, als sie aufgrund ihrer "Rasse" auszuschließen. In
diesem Fall allerdings hieß die Parole nicht nur "weiß" zu sein,
sondern "weiß und deutsch".
Das "Problem" erhielt seine hochexplosive Brisanz
durch das stetige Anwachsen einer "Mischlingsbevölkerung". Alle
ehelich geborenen Kinder, die deutsche Männer mit Frauen der Kolonialvölker
hatten, wären automatisch Deutsche geworden, hätten also auch alle staatsbürgerlichen
und bürgerlichen Rechte der Deutschen besessen. Theoretisch hätte so eines
Tages ein "Farbiger" die Möglichkeit gehabt, General der
"Schutztruppe", Polizeipräfekt, Richter oder gar Gouverneur einer
Kolonie zu werden. Solche Vorstellungen scheinen die deutsche Koloniallobby in
Angst und Schrecken versetzt zu haben. Deshalb wurde ein sogenanntes "Mischehenverbot"
erlassen. Allen an der Diskussion Beteiligten aber war klar: Die so bezeichnete
"Verkafferung" der männlichen Kolonialelite konnte letztlich nur
durch ein ausreichendes "Angebot" an weißen deutschen Frauen
gelöst werden.
Die ersten unverheirateten Frauen, die über das
Fraueneinwanderungsprogramm der "Deutschen Kolonialgesellschaft"
reisen durften, trafen zu Beginn des Jahres 1898 in der Kolonie "Deutsch-Südwestafrika"
ein. Sie alle waren innerhalb kürzester Zeit verheiratet.
Im Gegensatz zu den Zuständen in den portugiesischen
Kolonien jedoch, stand für die deutschen Kolonialfrauen fest: " ... daß
eine deutsche Frau sich nicht ebenblütig verbindet, ist ausgeschlossen!" (Zieschank
1918, S. 108). Allerdings schloß das keinesfalls aus, daß deutsche Frauen sich
von einheimischen Männern nicht angezogen gefühlt hätten - Hinweise darauf
gibt es im Gegenteil in ihren Büchern in Hülle und Fülle. Aber, wollten sie
nicht von der Teilhabe an der Kolonialherrschaft ausgeschlossen werden, mußten
sie strikt auf der Rassentrennung bestehen.
An Bewerberinnen für eine kostenlose Überfahrt bestand
kein Mangel, im Gegenteil, nur ein kleiner Teil der interessierten Frauen konnte
berücksichtigt und nach einer strengen Auswahl "verschickt" werden.
Wenn wir nun der Frage nachgehen, warum das Kolonialsystem so attraktiv für die
Kolonialistinnen war, nähern wir uns bereits der dritten Entdeckung.
3. Entdeckung:
Der Aufenthalt in den Kolonien
bedeutete für die Kolonialfrauen gesellschaftlichen Aufstieg und eine
ungeheuere Aufwertung ihres Status - verglichen mit dem zuhause.
Die portugiesischen Kolonialherren hatten - wie wir gesehen
haben - nachgeborenen Töchtern oder unbemittelten Waisen die Wege zu kolonialen
Ehren eröffnet. Und auch die meisten der deutschen Frauen in überseeischen
"Schutzgebieten" entstammten eher den unteren Schichten, zumindest
diejenigen, die über die Einwanderungsprogramme vermittelt wurden: Es handelte
sich zumeist um Dienstmädchen oder Mädchen vom Lande, aber auch Kindergärtnerinnen,
Erzieherinnen, Lehrerinnen oder Büroangestellte im Alter zwischen 20 und 35
Jahren. Für sie wurde der Aufenthalt in den Kolonien fast immer zu einem gesellschaftlichen
Aufstieg. Manche nutzten die Chance und machten sich selbständig als
Schneiderinnen, Caféhausbesitzerinnen, Wäscherinnen oder Weißnäherinnen,
stiegen in das Freizeitgeschäft für Angehörige der "Schutztruppen"
ein oder spekulierten an der Diamantenbörse von Lüderitzbucht. Die meisten
allerdings verheirateten sich und stiegen damit auf in die Schicht der hoch
geachteten "Pflanzersgattinnen". Eine von ihnen, Maria Karow, die in
Okambahe, Südwestafrika, lebte, sagte dazu: "Hier hat die deutsche Frau
Gelegenheit, auf ihrem eigensten Gebiet, auf dem der Hausfrau und Mutter,
mitzuarbeiten. Nirgends spielt die Hauswirtschaft eine größere Rolle als in
einem solchen neuen Siedlungsland ..." (Karow 1911, S. 139). Und eine
andere, Margarethe von Eckenbrecher, schwärmte: "Wohl nirgends sonst in
der Welt wird uns deutschen Frauen von den Herren der Schöpfung soviel
Verehrung entgegengebracht wie gerade in unseren Kolonien" (von
Eckenbrecher 1940, S. 45). Daß die Teilhabe der deutschen Frauen an Macht
und Ruhm sich nur auf die unterjochte kolonialisierte Bevölkerung bezog,
wurde offensichtlich verdrängt. Denn dort, wo wichtige kolonialpolitische
Entscheidungen getroffen wurden, hatten sie nichts zu melden, dies waren reine Männergremien
wie z.B. der Landwirtschaftsrat in der Kolonie Südwestafrika, in dem nur die
Frauen stimmberechtigt waren, die "in Ermangelung des Mannes" eine
Farmwirtschaft leiteten. Leitbild und Ideal aber war die deutsche christliche
Hausfrau und Mutter, die zur Belohnung für ihre Unterwürfigkeit zu "Hüterin
der Kultur" stilisiert wurde und in dieser Rolle eine ungewöhnlichen
Aufwertung erfuhr. Wie die Frauen damit umgingen, führt uns zur nächsten
Entdeckung.
4. Entdeckung:
Die Kolonialfrauen bedankten sich für die ungewohnte
gesellschaftliche Anerkennung mit äußerster Loyalität und glühendem
Nationalismus.
Wir haben bereits oben gesehen, wie spanische und
portugiesische Kolonialistinnen sich an der Verteilung der Eroberungen
beteiligten. Das gleiche Phänomen treffen wir in den deutschen Kolonien an.
Dort waren die deutschen Frauen die "Herrinnen", Teilhaberinnen der
Macht. Und deshalb waren diese Frauen bereit, "ihre" Kolonie zu
verteidigen mit Haut und Haaren. Einzelne von ihnen taten sich hervor mit
besonders spektakulären Heldenstücken. Zwar hat ihnen niemand Statuen und Bücher
gewidmet, aber ihr Ruf und der ihrer Heldentaten ist doch auch in die breitere
Öffentlichkeit gedrungen und erreichte zumindest tagespolitische Aktualität.
Zu einer der frühen Heldinnen wurde beispielsweise Margarethe Leue,
"ein schlichtes Mädchen im Diakonissengewande". Als 1893 in der
Kolonie Kamerun ein Aufstand ausbrach, wurde Margarethe Leue mit einigen Männern
in der Apotheke eingeschlossen. "Der kleine tapfere Trupp hielt sich in dem
schwach gebauten Häuschen einen ganzen Tag: Die Schwester, als einzige Frau,
trug unter fortwährendem Kugelregen mit umsichtiger Tapferkeit die Munition zu
und übernahm die Sorge für die Verwundeten. Die schlimme Lage hinderte sie
aber durchaus nicht, nach beendetem Aufstand ihre völlig verwüstete und
zerschossene Station wieder zu beziehen - (und zwar allein, denn die zweite
Schwester war kurz vor dem Aufstand am Fieber erkrankt und gestorben) - und späterhin,
verheiratet, noch lange in der Kolonie zu leben. Solche Frauen, aufopfernd,
tapfer und jeder Lage gewachsen, sind Pioniere, wie das Vaterland sie draußen
brauchen kann" (Nießen-Dieters 1913, S. 70). Bild und Geschichte der
Heldin gingen durch die gesamte Reichspresse. In solch ungewöhnlichen
Situationen wurden die Frauen also selbst dann akzeptiert, wenn sie ihren
angestammten Platz verließen. Der aber war, wie könnte es anders sein,
bestimmt durch die drei großen Ks, Kinder, Küche, Kirche. Und indem wir die
Alltagssituation der Kolonialfrauen untersuchen, nähern wir uns der nächsten
Entdeckung.
5. Entdeckung:
Es gibt einen spezifisch weiblichen Rassismus der
Kolonialfrauen, dessen Wurzeln in ihrer Identität begründet liegt, der
Identifizierung mit den Werten einer extrem männerdominierten, der christlich-
abendländischen Kultur.
Seit den Tagen der Konquista war die Überlegenheit der
christlich-abendländischen Kultur das am meisten gebrauchte Argument, die
überseeischen Eroberungen zu rechtfertigen. Danach hatten die Europäer sich
aufgemacht, den "Wilden" Kultur und den rechten Glauben zu bringen.
Ausgestattet mit diesem christlichen Sendungsbewußtsein strömten auch
Heerscharen von Missionarinnen aller Glaubensrichtungen in alle Winkel
der Erde.
Aber es gibt auch noch eine ganz spezifisch weibliche
Variante dieser Überlegenheitsphilosophie. In der uns bekannten
Geschichte waren und sind Frauen in Abgrenzung zu Männern "das andere
Geschlecht". In ihrem Bewußtsein aber spiegelt sich das nur selten wider.
Vielmehr identifizierten Frauen sich gerade im Kolonialismus im wesentlichen mit
ihrer kulturellen Herkunft. Das "Anderssein" setzten die Frauen
der Eroberernationen in der Kolonialgeschichte fast immer gleich mit "Bessersein"
auf sich selbst und mit "Minderwertigsein" auf die
"anderen" Frauen der eroberten Nationen bezogen. Als Legitimation
mußte dabei ihre pedantische Haushaltsführung herhalten. Die Vorurteile,
die die deutschen Kolonialistinnen in zahlreichen populären Veröffentlichungen
verbreiteten, hielten sich zum großen Teil bis heute. Sehen wir uns einige
davon näher an.
Erste Behauptung: "Sie sind schmutzig und stinken".
Während Clara Brockmann "ihrem" Mädchen Elli
niemals andere Küchenarbeit als die Teezubereitung erlaubte ("nicht einmal
beim Kuchenbacken durfte sie den Teig rühren") und niemals aus einer Tasse
oder einem Glas trank, das, nachdem es "der Eingeborene" bereits
gereinigt hatte, nicht noch einmal unter fließendem Wasser abgespült worden
war, starrten "Eingeborenenweiber" für Lydia Höpker vor Schmutz und
"rochen auf ein paar Meter Entfernung". Sollten bei irgend jemand
Zweifel aufkommen, führten sie - sozusagen als Trumpfkarte - an, "daß man
bei der schwarzen Hautfarbe gar nicht einmal immer das Vorhandensein von
Unsauberkeit genau feststellen kann". Solcherlei Behauptungen wurden von
deutschen Frauen immer wieder und in endlosen Variationen verbreitet. In der
Heimat konnte dieses Vorurteil auf fruchtbaren Boden fallen, gerade bei Frauen,
weil auch die meisten deutschen Hausfrauen Wert auf Sauberkeit legten, weil eine
"ordentliche Haushaltsführung" ihr ganzer Stolz war und sie
daraus ihre Identität als Frau bezogen. Die Beispiele konnten deshalb
einleuchten und das Vorurteil leicht übernommen werden. "Bei euch sieht es
ja aus wie bei den Hottentotten!" war ein weitverbreiteter Spruch, der noch
in meiner eigenen Schulzeit gelegentlich auftauchte.
Zweite Behauptung: "Sie sind häßlich".
Es ist ein besonderes Kennzeichen unserer von Männern geprägten
Gesellschaft, Frauen auf das Attribut "schön" hin zu bewerten. Als
abhängige, unselbständige Anhängsel ihrer Männer haben Frauen wenigstens schön
zu sein. Frauen haben diese Normen verinnerlicht. Jede Frau wird so zur möglichen
Konkurrentin um den Mann reduziert - in der Lage, in der die kolonialen
Siedlerinnen sich befanden, aus deren Sicht unter Umständen eine
existenzbedrohende Situation: Jede Frau, die auf Grund ihrer "Häßlichkeit"
als Konkurrentin ausscheidet, hebt in diesem Fall das Selbstwertgefühl der
Jurorin und sichert ihren Status. Selbst wenn ihnen die Argumente ausgehen, wie
z.B. Frieda Zieschank, die ihrem Mann, einem Arzt, nach Samoa gefolgt war und
nicht umhin konnte, die Inselbevölkerung schön zu finden, gilt wenigstens
noch, daß Frauen "farbiger Stämme" so schön sie auch immer sein mögen,
"den Vergleich mit der weißen Frau nicht aushalten, im einzelnen sowohl
wie im ganzen...". (Zieschank 1918, S. 23)
Dritte Behauptung: "Sie sind dumm".
Bezeichnenderweise speisen sich diese Behauptungen fast
ausschließlich aus Beispielen, die sich auf die Fertigkeiten der deutschen
Hausfrauen beziehen, wie auf Nähen, Spülen, Blauen, Stärken, Aufhängen
und Legen der Wäsche, Plätten, etc. Ihr Wissen und Können wurde nicht in
Frage gestellt, sondern als allgemein gültig betrachtet. Die Frage, wie die
deutschen Siedlerinnen sich beim Bau eines Pontoks, beim Flechten von Körben,
beim Töpfern, Bierbrauen oder der Herstellung von Rindenstoffen angestellt hätten
- alles Handwerke, die die afrikanischen Frauen meisterinnenhaft beherrschten -
stellten sich erst gar nicht.
Vierte Behauptung: "Sie sind faul, dreist, heimtückisch,
sie lügen und stehlen...".
Dies sind alles Behauptungen, die an den verlogenen Idealen
und der Scheinmoral der Kolonialgesellschaft gemessen wurden. Denn es waren in
Wirklichkeit die Deutschen, die ungefragt in fremde Länder eingedrungen, den
dort lebenden Völkern Land, Vieh und Bodenschätze geraubt, die gebrandschatzt
und gemordet, die Menschen versklavt hatten. Als Teil der Kolonialelite stellten
die Kolonialfrauen die Wahrheit ungeniert auf den Kopf. Und so wird denn auch
die angebliche Faulheit nicht als das verstanden, was sie in Wirklichkeit
war, nämlich Arbeitsverweigerung und damit eine Form des Widerstandes,
wie sie besonders von Frauen praktiziert wurde.
Fünfte Behauptung: "Sie sind kokett, hinter weißen Männern
her und ruinieren diese in jeder Beziehung".
Hier wird die Sexualkonkurrenz deutlich, die sich
teilweise bis zu offenem Haß steigert. Dazu eine Kostprobe: Ein weißer
"Herr" trifft auf "eingeborene Weiber", er "wich zurück
vor den stinkenden Leibern, die sich noch nie gewaschen hatten und an denen die
Brüste herabfielen wie schwarze Schalen einer Frucht". So hätte es die
Schreiberin, Margarete Kierstein (1935, S. 6) wohl gerne gehabt. Die
Wirklichkeit aber sah ganz anders aus, hätte es sonst ja nie eines
Mischehenverbots bedurft! Doch auch auf diese Wirklichkeit ließen sich die
deutschen Kolonialfrauen nicht ein.
Die fremden Frauen stellten für sie gleichzeitig eine
Bedrohung und eine Herausforderung dar: Es waren "wilde" Frauen, das
heißt, sie waren nicht durch die patriarchalisch-bürgerliche Schule der
Frauenunterdrückung gegangen und entsprachen daher nicht dem Ideal der gezähmten
Frau, die ihre eigene Unterdrückung verinnerlicht hatte und zur Hausfrau,
Gattin und Mutter geschrumpft war. Wo sie sich weigerten, den Kolonialherren
Kinder als zukünftige Arbeitssklaven zu gebären, verweigerten sie den
Kolonialherren die Verfügung über ihre weibliche Produktivkraft, die Fähigkeit,
Kinder zur Welt zu bringen. Sie mußten die deutschen Frauen dadurch
unweigerlich daran erinnern, daß diese die Verfügung über den eigenen Körper
längst nicht mehr besaßen. Und während die weiße Welt zur Kenntnis nahm, daß
die Frauen der Kolonialvölker Gebärstreik als Mittel des Widerstandes
einsetzten, abtreibende Mittel und Methoden kannten und anwandten, gab es für
die weißen deutschen Frauen in den Kolonien nur eines: möglichst viele Kinder
zu gebären. Eine Herausforderung, der die weißen Frauen sich nicht stellten,
sie im Gegenteil verdrängten und mit Beleidigung, Verachtung, Versklavung und
Mißhandlung der einheimischen Frauen beantworteten. Auch aus den zahlreichen
Schilderungen der Missionarinnen geht im übrigen hervor, daß es vor allem
darum ging, die Nacktheit und die Sexualität der unterjochten Frauen zu zähmen.
Mit welch unglaublichen Methoden dies zuweilen geschah,
erfahren wir exemplarisch bei Margarethe von Eckenbrecher. Sie berichtet aus Südwestafrika
von einem besonderen Sonntagsbrauch: "Das Schönmachen bestand bei den
jungen Mädchen des Ortes im Anlegen einer weißen Leinenbinde um die Stirn.
Diese Binde stellte das Symbol der Keuschheit dar, es war von einem Missionar
eingeführt. Ließ sich eine Jungfrau etwas zuschulden kommen, was öffentliches
Ärgernis erregte, dann trat der Rat der Ouderlinge (Kirchenältesten) unter
Vorsitz des Missionars zusammen. Den folgenden Sonntag wurde dann dem Mädchen
vor den Augen der andächtigen sittlich entrüsteten Gemeinde die weiße Binde
von der Stirn genommen. Sie mußte Schule und Kirche fernbleiben, bis sie
bereute, dazu hatte sie sechs Wochen Zeit. Die weiße Binde durfte sie niemals
wieder tragen" (von Eckenbrecher 1940, S. 48).
Ja, sie begriffen sich als das Maß aller Frauen: weiße,
deutsche Hausfrauen. Die enge, kleinkarierte, provinzielle, reaktionäre
Auffassung von dem, was gut und böse, ordentlich, sittlich, weiblich war, ließ
sie andere Frauen demütigen, ja vernichten. Was immer sie an fanatischem,
sexistischem und rassistischem Haß zu bieten hatten, es waren vor allem die
Frauen der kolonialisierten Völker, über die sie ihn ergossen. Und es kam
ihnen so nicht in den Sinn, ihre Situation als Frauen zu überdenken, die eigene
unwürdige Lage zu erkennen. Denn, keine Frage, in ihren Familien und in ihrer
Gesellschaft gaben die Männer den Ton an. Indem sie sich aber mit den Zielen
und Werten ihrer Herren identifizierten, verdrängten sie nicht nur ihre
eigene Unterdrückung, sondern beraubten sie sich außerdem der Chance, den
Aufenthalt unter fremden Völkern als Lernprozeß für sich zu nutzen. Statt
dessen brachten sie Unheil und Unrecht, machten sie sich mitschuldig an
der Unterwerfung und Ausbeutung der Kolonien, der Zerstörung und dem Untergang
ganzer Völker und Kulturen. Und das alles für das bißchen Anerkennung durch
ihre weißen Männer, die sie doch hundertfach betrogen.
Wie weit die Kolonialfrauen in ihrer Identifikation und
Komplizenschaft mit den Männern und ihren Werten gingen, und wie sie dabei
ihren Opfern gegenübertraten, möchte ich noch an einem Beispiel verdeutlichen.
"Wäre ich ein Mann gewesen..."
Wir schreiben das Jahr 1913. Es ist das 25. Regierungsjahr
Kaiser Wilhelms II. Europas neue Fortschrittsgläubigkeit feiert Triumphe. Kunst
und Kultur blühen. Die sozialen Gegensätze spitzen sich weiter zu; während
sich ein Großteil der Bevölkerung wegen des enormen Preisanstiegs kein Fleisch
mehr leisten kann, florieren Luxus-Restaurants für Adel und Bürgertum, in
Berlin zum Beispiel Kempinski, Adlon oder Café Kranzler. Auf der politischen Bühne
zieht das drohende Wetterleuchten eines nahenden Weltkrieges herauf. Die Rivalität
der europäischen Kolonialmächte um Rohstoffquellen und Absatzmärkte verschärft
sich. Der deutsche (Männer-) Reichstag, in dem seit den Wahlen von 1912
erstmals die Sozialdemokraten mit 110 Sitzen die stärkste Fraktion bilden,
stimmt einer Erhöhung des Wehretats zu. Der Antisemitismus formiert sich: Im
Deutschen Reich gibt es bereits 17 Verbände, die von ihren Mitgliedern das
Bekenntnis nicht-jüdischer Abstammung verlangen. In ganz Europa wird heftig für
Gleichberechtigung und Wahlrecht für Frauen gekämpft, das es erst in zwei
Staaten, in Finnland und Norwegen, gibt. In Südafrika demonstriert Mahatma
Gandhi mit über 2000 Anhängern gegen Rassismus und Apartheid. In diesem Jahr
1913 erscheint in Berlin das Buch der deutschen Farmerin Ada Cramer aus der
Kolonie "Südwest"...
Windhuk, Hauptstadt der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, am
4. April 1913: Um 11 Uhr vormittags ergeht vom Obergericht als Berufungsinstanz
folgendes Urteil: "Der Farmer Ludwig Cramer, Otjisororindi, wird wegen gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung, begangen an Eingeborenen zu 4
Monaten Gefängnis und 2700 Mark Geldstrafe, sowie zur Tragung der Hälfte der
Gerichtskosten verurteilt".[1]
Durch dieses Urteil wurde das in der ersten Instanz
ausgesprochene Strafmaß von 21 Monaten Gefängnis erheblich zugunsten des
Angeklagten abgemildert. Damit war ein Fall abgeschlossen, der nicht nur die Gemüter
der Betroffenen und der weißen Farmerschaft heftig bewegt hatte, sondern auch
in der deutschen und ausländischen Presse hohe Wellen schlug. Worum ging es?
Nach verschiedenen wirtschaftlichen Fehlschlägen und
schiefgelaufenen Spekulationen versucht Ludwig Cramer sein Glück in den
Kolonien. 1907 schifft er sich mit seiner Frau Ada - die vier Kinder bleiben zunächst
in Deutschland - auf der "Adolf Woermann" ein, Kurs: Deutsch-Südwestafrika.
Dort kaufen sie sich eine Farm, 20.000 Hektar groß, ein Hektar kostete damals
dreißig bis fünfzig Pfennige.
"Das Land ist über Erwarten schön und fruchtbar, zum
Teil schwerer Weizenboden, überall dichte, üppige Weide und viel
Baumwuchs", schwärmt Ada Cramer. "Doch davon, daß vor wenigen Jahren
ein zahlreiches Volk das Land bewohnt hatte, war nicht mehr das geringste zu spüren".
Das einstmals "zahlreiche Volk" waren die Herero. Gegen sie, die um
Freiheit und Unabhängigkeit ihres Volkes kämpften, hatten die Deutschen mit
General Lothar von Trotha an der Spitze einen "totalen Krieg" geführt:
"Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr,
mit oder ohne Vieh, erschossen. Ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr
auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen", verkündete
er in seiner Proklamation vom 2. Oktober 1904. 1884 wurde die Kolonie Südwest
zum deutschen "Schutzgebiet" erklärt; 1892 wurden die Herero auf
circa 80 000 Köpfe geschätzt. Nach einer offiziellen Statistik von 1909/10
lebten noch 19 962 von ihnen. Etwa 3000 war die Flucht nach Betschuanaland
gelungen. Alle anderen waren entweder erschossen oder in die Wüste getrieben
worden und sind dort elendiglich zu Grunde gegangen.
Überall in den deutschen Kolonien herrschte ein chronischer
Mangel an Arbeitskräften. Dieser gründete zum einen auf der massiven Weigerung
der einheimischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten, für die neuen Herren
zu arbeiten, zum anderen wirkten sich die Folgen der heftigen und blutigen
Kolonialkriege aus, ebenso wie die hohe Flucht- und Todesrate unter den
verschleppten, entwurzelten Zwangsarbeitern. Aber es zeigt auch der Gebärstreik
seine Wirkung, den viele der kolonialisierten Frauen als ihre ureigenste
Widerstandswaffe einsetzten. Eines der wichtigsten Probleme in den deutschen
Kolonien bestand also in der Rekrutierung einer ausreichenden Anzahl von
Arbeitskräften.
Diesem Problem sahen sich auch die Cramers gegenüber:
"Große Not hatten wir, vom Distriktsamt die nötigen Eingeborenen zu
bekommen. Schließlich erhielten wir drei Männer, Hereros, fünf Frauen und
sechs Kinder im Alter von 7 - 3/4 Jahren. Diese Leute waren eben eingefangen
worden, hatten sich dabei zur Wehr gesetzt und geschossen, wobei 7 Leute von der
Werft getötet wurden".
In der Kolonialszene hieß sie die
"Arbeiterfrage", und zu ihrer Beantwortung ließen sich die Deutschen
einige spezielle Methoden einfallen. In allen deutschen Kolonien war
Zwangsarbeit für die einheimische Bevölkerung die Regel. Die deutsche
Kolonialverwaltung fand vielerlei Mittel und Wege, sie durchzusetzen; oft genug
auf dem "sauberen" Verwaltungsweg. So wurden zum Beispiel am 18.
August 1907 im kolonialen Südwestafrika Verordnungen erlassen, die unter
anderem auch die folgenden Maßnahmen beinhalteten: Von diesem Tag an galt für
die afrikanische Bevölkerung das Verbot von Landerwerb und Viehhaltung, die
Einführung von Paßgesetzen und einer "geregelten" Kontraktarbeit.
Diese "Eingeborenenverordnungen" waren die Keimzelle der Apartheid.
Die Afrikaner wurden in Gettos in der Nähe der Wohn- und Arbeitsstätten der
Weißen angesiedelt, Paß- und Meldepflicht hoben ihre Freizügigkeit auf. Das
Verbot von Landerwerb und Viehhaltung beraubte sie ihrer eigenständigen
traditionellen Existenzgrundlage. Sie mußten so zu Lohnsklaven für die Weißen
werden.
Teil der Strategie, das Problem des vorherrschenden, überall
spürbaren Arbeitskräftemangels zu lösen, war der Einsatz von
Kriegsgefangenen. Kriegsgefangene wurden Bergwerksgesellschaften, Plantagen und
Farmen als Arbeitskräfte zugewiesen und außerdem für öffentliche Arbeiten
eingesetzt. Der Anteil von Frauen und Kindern unter ihnen war hoch. Bei den
Herero in Südwestafrika zum Beispiel begleiteten die Frauen mit ihren Kindern
nach alter Tradition die Männer in den Kampf. Sie wurden von den Deutschen
genauso gefangengenommen wie ihre Männer. Oft aber wurden Frauen und Kinder
gezielt geraubt, als Geiseln gehalten, um die dazugehörigen verwandten Männer
entweder zusätzlich oder stellvertretend für sie als Arbeitskräfte zu
erpressen. Durch Flucht(versuche), Arbeitsverweigerung, Sabotage versuchten sich
die Zwangsrekrutierten aufzulehnen, zur Wehr zu setzen, Widerstand zu leisten.
Dies war auch die Situation auf der Cramerschen Farm, und
sie spitzte sich zu: Die Cramers fühlten sich bedroht. Angeblich wollte die
einheimische Dienerschaft die Familie Cramer und ihr Vieh vergiften. Die Rede
war von einer Wurzel namens Okukaikai. Außerdem kam es ständig zu Viehdiebstählen.
Um diese Vorfälle "aufzuklären", prügelte Cramer bestialisch mit
dem Schambock, der Nilpferdpeitsche, drauf los. Die Opfer waren - von wenigen
Ausnahmen abgesehen - hauptsächlich Frauen, und einige von ihnen waren
schwanger.
Zu der Schwere der Verletzungen an einigen der Mißhandelten
führte der Sachverständige des Prozesses, Dr. Holländer, in der ersten
Verhandlung am 12. September 1912 folgendes aus:
"Die Konturu hat meiner Ansicht nach eine
Fehlgeburt gehabt (...) ob sie auf das Prügeln zurückzuführen ist, kann ich
nicht mit Bestimmtheit sagen. Unmöglich ist es jedenfalls nicht, daß durch die
seelische Wirkung des Prügelns die Fehlgeburt veranlaßt wurde. Maria hatte
auch im Gesicht Striemen wie von Stockschlägen. Bei ihren großen Verletzungen
hatte sie starkes Wundfieber gehabt und längere Zeit in Lebensgefahr geschwebt.
Gegenwärtig übertreibt das Weib - das bei seinem Erscheinen im Gerichtssaal
sich stöhnend und ächzend auf den Boden gelegt hatte - zweifellos. Der große
Hautdefekt, der durch Nebeneinanderfallen mehrerer Hiebe verursacht wurde, hat
sich nicht beseitigen lassen (...). Die Amalia hatte einen 20 x 12 cm großen
Hautdefekt, aber bei ihrer Jugend eine bessere Heilhaut; sie ist
wiederhergestellt und dürfte keine nachteiligen Folgen davontragen (...). Die
Auma hatte einen 20 x 18 cm großen Hautdefekt mit Fliegenmaden und brandiger
Haut an den Rändern, ebenso kleinere Hautdefekte auf der Schulter und an den Brüsten.
Sie war hinfällig und ist gestorben. Ein Zusammenhang zwischen den Hieben und
dem Tod ist nicht nachzuweisen. Die Magdalene hatte ebenfalls viele geschwürige
Wunden, auch an den Brüsten, das Fieber, das sie hatte, ist offenbar kein
Wundfieber gewesen, dem Weibe muß noch etwas anderes gefehlt haben...".
Neun Monate später, am 3. April 1913, hält der
Staatsanwalt sein Plädoyer und stellt ergänzend fest:
"Der Fall Maria hat sich wohl in seinen Folgen
als der schwerste erwiesen. Vielleicht erinnern sich die Beteiligten, die am
letzten Termin zugegen waren, daß damals die Zeugin, ein schwaches, gebrochenes
Weib, nicht mehr aufrecht stehen konnte, in den Gerichtssaal getragen werden mußte,
und damals wagte man zu behaupten, daß die Zeugin simuliere. Heute ist das Weib
tot. Daß die Zeugin an den Folgen der Körperverletzung gestorben ist, ist
nicht bewiesen. Es konnte in dieser Hinsicht zum Glück für den Angeklagten
nichts festgestellt werden (...). Die meisten der Verletzten hatten 9 Monate
nach der Tat noch offene Wunden (...)."
Im Verlauf der Verhandlung wurde auch die Ehefrau des
Angeklagten, Ada Cramer, als Zeugin vernommen. Der "Südwest Bote"
berichtete ausführlich. Von einigen der Prügelungen will sie zunächst nichts
gewußt haben. Die Verhandlung schleppt sich dahin - bis es zu einem
Zwischenfall kommt: "Der Oberrichter bricht ein Stück der als Okukaikai
bezeichneten Wurzel ab und verzehrt es lächelnd, indem er zur Zeugin äußert:
"Sehen Sie, es bekommt mir ganz gut". Da erhebt sich die Zeugin plötzlich
vom Stuhl und ruft mit gerungenen Händen vor dem Richtertisch sich bewegend,
mit tränenerstickter Stimme: "Oh, Herr Oberrichter, spotten Sie nicht,
spotten Sie nicht unserer Not! Sie wissen nicht, was wir durchgemacht
haben!" Der Vorsitzende verwahrt sich im weiteren Verlauf der Verhandlung
mehrfach entschieden dagegen, daß er irgendwie habe Spott betreiben wollen.
Frau Cramer beschreibt die Schmerzen, die sie erst nach dem Genuß des
vergifteten Sennesblättertees gehabt hatte: "Gerade, als wenn ein armer Sünder
aufs Rad geflochten wird, so war mir. Der ganze Rücken war gerade wie in kleine
Stücke zerschlagen."
Die Verhandlung geht weiter. "Als sie sagt, sie habe
den Weibern die Oberkleider vor der Prügelung aufgeschnitten, ihrem Mann hätten
die Hände zu sehr vor Erregung gezittert, hebt der Vorsitzende den Schambock
empor und sagt: "Er war nicht fähig, die Kleider aufzutrennen, aber prügeln
konnte er!" Zeugin: "Mein Mann hat nie unmenschlich geprügelt."
Vorsitzender: "Ich bedaure, meine gnädige Frau, wenn Sie auf dem
Standpunkt stehen, diese Weiber seien menschlich behandelt worden. Ich für
meine Person stehe auf dem Standpunkt, sie sind unmenschlich behandelt
worden." Zeugin (weinend): "Ich möchte den Mann sehen, der seine Frau
und Kinder lieb hat und das nicht täte, und möchte die Frau sehen, die mit
ihrem Mann das durchgemacht hat, was ich habe durchmachen müssen".
Frau Cramer, die "gnädige Frau", hat kein Wort
des Mitleids für die geschundenen Opfer. Im Gegenteil. Sie assistiert dem Schläger,
ihrem Mann. Zerschneidet den Frauen die Kleider, damit er besser zuschlagen
kann. Keine Spur von Bedauern, kein Empfinden für das Unrecht. Aber Ada Cramer
geht noch weiter. Noch im selben Jahr verfaßt und veröffentlicht sie ihre
Verteidigungsschrift und darin sagt sie: "Wäre ich ein Mann gewesen, hätte
ich die ganzen Weiber über den Haufen geschossen".
Ada Cramer war kein Einzelfall. Am 17. September 1911
erschlug die Farmerin Elisabeth Ohlsen den "Klippkaffer" Deubib mit
einem Ast. Sie wurde freigesprochen. Auch Marie von Weiher aus dem
Omaruru-Bezirk war des vorsätzlichen Mordes "unter mildernden Umständen"
schuldig gesprochen. Sie wurde zu wahlweise 300 Pfund Geldstrafe oder achtzehn
Monaten Gefängnis verurteilt. Diese spektakulären Fälle, über die in den
"Windhuker Nachrichten" und im "Britischen Blaubuch"
berichtet wurde, sind jedoch nur die Spitze eines Eisbergs unter dem sich alltägliche
Gewalt und strukturelles Unrecht verbargen, wobei sich die deutschen Frauen als verlässliche
Komplizinnen ihrer rassistischen Männer erwiesen.
6. Entdeckung:
Frauen waren immer "Kinder ihrer Zeit" und haben
bewußt und unbewußt kolonialistische und / oder rassistische Vorurteile übernommen
und verbreitet. Wie sehr Frauen - auch wenn sie nicht direkt in den
Kolonialismus verstrickt waren, doch im kolonialen und rassistischen Denken
gefangen blieben, lernen wir aus zahlreichen diesbezüglichen Beispielen von
Frauen im Deutschen Reich.
Da sind zunächst die offenen Propagandistinnen, die
den "kolonialen Gedanken" offensiv vertreten wie beispielsweise im
"Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft", 1908 von Adda von
Liliencron und anderen "Kolonialfreundinnen" gegründet, oder im
"Deutschen Frauenverein für Krankenpflege in den Kolonien", später
umgetauft in "Deutscher Frauenverein vom Roten Kreuz für die
Kolonien". Neben der Rekrutierung von übersee-interessierten Frauen,
warben diese Frauen für "den kolonialen Gedanken" durch
Ausstellungen, Reden, Spendensammlungen, Veröffentlichungen aller Art. Die
meisten dieser Frauen entstammten Familien, die ein direktes Interesse am Besitz
und Erhalt von deutschen Kolonien hatten.
Aber auch die frauenbewegten Frauen jener Zeit
akzeptierten auf ihren internationalen Kongressen widerspruchslos, daß Europäerinnen
sich als "Vertreterinnen" der Frauen anderer - der unterworfenen -
Nationen präsentierten, daß zur Entspannung nach den hitzigen
Strategiediskussionen gemeinsam sogenannte "Völkerschaustellungen"
besucht wurden, wie z.B. in Berlin 1896 die Kolonialausstellung, auf der neben
Produkten auch Menschen aus den Kolonien ausgestellt waren, oder ein Jahr später
auf dem Brüsseler Kongreß die "Kongoausstellung". Hagenbecks Völkerschaustellungen
waren ein allgemein akzeptiertes Vergnügungsangebot, das "stärkste
Anziehungskraft auch auf die breiten Massen ausübte", wie zeitgenössische
Zeitungen schrieben - also durchaus akzeptabel für die sonst so aufmüpfigen
Frauen.
Kinder ihrer Zeit waren auch die sozialdemokratischen
Frauen, darunter die ersten weiblichen Abgeordneten. Marie Juchacz zum
Beispiel, die zeitweise für die Schriftleitung der Frauenzeitung "Die
Gleichheit" verantwortlich war, stellte sich in ihrem Aufsatz
"Friedensvertrag und Kolonialarbeit" offen auf die Seite der Befürworter
von deutschem Kolonialbesitz: "Auch in unseren Reihen rang sich der Gedanke
durch", schrieb sie, "daß ein Siebzig-Millionen-Volk mit starker
industrieller Entwicklung Kolonien braucht (...)." Und Clara Bohm-Schuch,
eine Fraktionskollegin von Marie Juchacz, lehnte zwar Kapitalismus und
Imperialismus ab, aber nur, um die Sozialisten zu auserwählten "Kulturträgern"
zu ernennen. Ein sozialistischer Staat, sagte sie, könne nicht auf
Kolonialbesitz verzichten. Aber, so fuhr sie fort, "der Sozialismus allein
ist (...) auch berufen, die Kulturarbeit durchzuführen, die in fremden
Erdteilen geleistet werden muß (...)." Dies fand zu einer Zeit statt, in
der Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg seine Überseeterritorien bereits
verloren hatte. Mit dem Kolonialbesitz, so das vorherrschende Zeitgefühl,
sollte das geschlagene Deutschland wieder in die Reihen der starken europäischen
Staaten eingegliedert und das verletzte Nationalgefühl der Deutschen
rehabilitiert werden.
Obwohl durch völkerkundliche und andere
Kolonialwissenschaften die Eigennamen der unter europäischer Gewalt lebenden Völker
durchaus bekannt waren, wurden die Menschen der Südsee im volkstümlichen
Sprachgebrauch zu "Kanaken", die Südwestafrikas zu
"Kaffern" oder "Hottentotten", immer gebraucht als Synonyme
für Rückständigkeit, Dummheit, "Untermenschentum". "Wir wollen
keine Kaffern mehr sein", kann deshalb die jüdische Dichterin Else
Lasker-Schüler, die später selbst vor den rassistischen Nazis fliehen mußte,
1920 ungeniert ausrufen, als sie mit ihren Dichterkollegen wegen zu geringen
Verzehrs aus ihrem Stammcafé hinausgeworfen wurde. Relikte dieses volkstümlichen
kolonialistisch-rassistischen Sprachgebrauchs haben sich bis in unsere Tage
erhalten, genauso wie die Gleichsetzung von schwarz gleich böse, schlecht und
unheilvoll.
Noch ein Nachtrag: Die Machtübernahme der
Nationalsozialisten brachte für den kolonialen Frauenbund endlich das Verständnis,
das er sich immer gewünscht hatte. Und das, so stand in seinem Jahresbericht
1933/34 zu lesen, verdankte er einzig "unserem Führer Adolf Hitler".
Die Eingliederung des Bundes in den nationalsozialistischen
"Reichskolonialbund" vollzog sich reibungslos. Für Frauen, die sich
in den Kolonien zu "Herrenmenschen" erklärt hatten, war die
Denk-Kategorie "Untermensch" nichts Neues, sie erweiterten sie einfach
und neben den "Kanaken" und "Kaffern" gehörten dazu jetzt
eben auch Juden, Polen, Sintis ...
Fassen wir also zusammen: Es gab im Kolonialismus
eine geschlechtsspezifische Einbindung von Frauen sowohl auf Seiten der
Kolonialisten als auch der unterdrückten Nationen. Während die Frauen der
ehemals kolonialisierten Länder bis heute schwer an der Folgen dieser
historischen Epoche tragen, haben wir, die Erbinnen der früheren Kolonialmächte,
dieses Kapitel unserer Geschichte weitgehend verdrängt. Es wird Zeit, daß
wir uns der Verantwortung stellen.
Literatur
Cramer, Ada (1913). Weiß oder Schwarz, Lehr- und
Leidensjahre eines Farmers in Südwest im Lichte des Rassenhasses. Berlin.
Eckenbrecher, Margarethe von (1940). Was Afrika mir gab und
nahm, Erlebnisse einer deutschen Frau in Südwestafrika 1902-1936. Berlin.
Foner, Philip S. (1975). History of Black Americans, From America to the Emergence of the Cotton
Kingdom. Westport / London.
Karow,
Maria (1911). Wo sonst der Fuß des Kriegers trat. Farmerleben in Südwest
nach dem Kriege. Berlin.
Kierstein, Margarete (1935). Trommeln tönen durch die
Wildnis. Breslau.
Mamozai, Martha (1989). Schwarze Frau, weiße Herrin.
Reinbek bei Hamburg.
Dieselbe (1990). Komplizinnen. Reinbek bei Hamburg.
Nießen-Deiters, Leonore (1913). Die deutsche Frau im
Auslande und in den Schutzgebieten. Berlin.
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