Andreas Foitzik, Rudolf Leiprecht, Athanasios Marvakis, Uwe Seid (Hrsg.):

 

"Ein Herrenvolk von Untertanen"

Rassismus - Nationalismus - Sexismus

 

 

 

 

Farideh Akashe-Böhme

Exotismus, Naturschwärmerei und die Ideologie von der fremden Frau

 

Die traditionelle Verbindung von Frau und Natur - die Frau sei der Natur näher oder mehr Natur als der Mann - wird in der feministischen Philosophie heute als höchst ambivalent empfunden. Auf der einen Seite spürt Frau in dieser Zuweisung eine der Formen der Zweitrangigkeit, in die Frauen in der Geschichte gedrängt worden sind. Denn wenn man das eigentliche Wesen des Menschen in Vernunft oder Personalität setzt, so ist die Naturhaftigkeit eher ein zu überwindender Zustand. Auf der anderen Seite wird Frau ihre Naturnähe gegenwärtig eher als Stärke empfinden, da alles darauf drängt, einen nichtentfremdeten Naturbezug wieder herzustellen. Darüberhinaus ist die Naturhaftigkeit der Frau seit dem 18. Jahrhundert, obgleich sie eher einen Mangel bezeichnet, immer ein Grund der positiven Bewertung der Weiblichkeit gewesen, ja geradezu der Hauptgrund für die Bewunderung der Frauen und für die Sehnsucht der Männer nach ihnen. Um diese Ambivalenz, mit der die Naturhaftigkeit den Frauen zugeschrieben wurde, besser zu verstehen, muß man sich die Grundzüge der neuzeitlichen Naturbeziehung überhaupt ansehen, wie sie sich in und mit der Herausbildung neuzeitlicher Naturwissenschaft und Technik darstellt.

Historisch betrachtet hat sich der instrumentelle Umgang mit der Natur entwickeln können in dem Moment, als das Zusammentreffen von Gelehrten und Handwerkern die neuzeitliche Wissenschaft möglich machte. Diese brachte einen veränderten Blick auf die Natur mit sich, nämlich einen sezierenden Blick. Sah die klassische Antike einen Gegensatz zwischen Natur und Technik, so wurde nun behauptet, die Natur zeige ihr wahres Wesen im technischen Zusammenhang. Die Natur, gedacht als weiblich, sollte nun durch die experimentelle Methode erforscht, kontrolliert und beherrscht werden. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist mit Francis Bacons Programm eine Naturwissenschaft entstanden, die das wissenschaftliche Experiment als Erkenntnisquelle durchsetzte. Der kognitive Rahmen neuzeitlicher Naturwissenschaften ist wie folgt umrissen:

a) der Naturbegriff,

b) das Experiment,

c) der Begriff des Naturgesetzes,

d) das Fortschrittsdenken.

Die Natur, konzipiert als Wildnis und Chaos, legitimierte den neuen Umgang mit ihr; es galt, sie mit der Macht des Wissens zur Ordnung zu rufen und zu beherrschen. "Die Reduktion der Natur auf das Wilde, chaotische wird zum Beweis für die Notwendigkeit der Naturbeherrschung" (Scheich 1988, S. 83).

Carolyn Merchant beschreibt in ihrem Buch "Tod der Natur", wie die Natur von der Antike bis zur Neuzeit als Organismus verstanden wurde. Indem der Mensch (Mann) dieses lebendige Modell verließ, konnte die Idee der Herrschaft über die Natur entwickelt werden.

Descartes, Gassendi und Mersenne waren die Wegbereiter des mechanistischen Weltbildes, das die Natur als eine tote Materie konzipierte, die ein Herrschaftsverhältnis und einen instrumentellen Umgang erlaubte. Die kulturellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen für diesen instrumentellen Umgang mit der Natur waren vor allem im England des 17. Jahrhunderts gegeben. In England deswegen, weil der Rationalisierungsprozeß im Rahmen der bürgerlichen Kultur zuerst stattgefunden hat. Max Weber verwies in diesem Zusammenhang auf die protestantisch-puritanische Ethik und die Entwicklung des Kapitalismus. Das aufsteigende Bürgertum war die treibende Kraft des Puritanismus in England. Die puritanische Orientierung war eine Geisteshaltung, die dadurch gekennzeichnet war, daß sie eine Zuwendung zur irdischen Welt bejahte, also diesseits-orientiert war; die Prädestinationslehre, die den ökonomischen Erfolg als Zeichen der Auserwähltheit deutete, brachte die "Arbeit" als eine erstrebenswerte Norm hervor. Die innerweltliche Askese, die den Konsumverzicht verlangte, förderte die Kapitalakkumulation.

Die Zuwendung zur irdischen Welt, die Schätzung der Arbeit, die Verbindung von Vernunft und Empirie waren andere Faktoren, die zur Wissenschaftsentwicklung im Sinne von okzidentaler Rationalität im 17. Jahrhundert geführt haben. Anders formuliert:

die Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaft ist eingebettet in den Prozeß des Weltbildwandels und der sozioökonomischen Veränderungen. Das Programm von Francis Bacon (Vater der modernen Naturwissenschaft), das die Naturbeherrschung zum Wohle der Allgemeinheit proklamierte und "Mythen auflösen und Einbildung durch Wissen stürzen" wollte, wurde das Programm der Aufklärung. So begann die "Entzauberung der Welt" und "Der Fluch des unaufhaltsamen Fortschritts" (Horkheimer / Adorno, S. 35). Das Zusammenspiel von mechanistischem Weltbild, protestantisch-puritanischer Ethik, die die Zweckrationalität als Handlungsform und als soziale Organisationsform implizierte, gaben den Rahmen für den instrumentellen Umgang mit der Natur vor. C. Merchant zeigt, wie Natur sterben muß, um Objekt der Erkenntnis und damit beherrschbar zu werden.

Die okzidentale patriarchale Gesellschaftsordnung führte zur Verwissenschaftlichung der Alltagswelt, Rationalisierung der Lebensbedingungen und Technisierung der Arbeit.

Die Disziplinierung durch den Prozeß der Zivilisation (Elias) ersetzte den Fremdzwang durch den Selbstzwang.

Der Mensch des 18. Jahrhundert definierte sich in Folge dieser Entwicklung als ein Vernunftsubjekt, das seine Natur als etwas ansah, was es zu überwinden galt. (Vgl. Böhme / Böhme 1983). Die strikte Trennung, die seit Descartes zwischen Leib und Geist herrschte, brachte die Dominanz der Vernunft mit sich und die Verdrängung des Leibes; der Mensch / Mann sollte zum Vernunftwesen dressiert werden. Mit der Trennung zwischen Natur und Vernunft geht der Verlust der Natur einher. Erst dieser Verlust macht sie wieder begehrenswert. Zugleich aber macht die "Trennung sie als das Andere sichtbar. Man muß sich von sich selbst wegbewegen, um die Natur zu finden; und man tut dies gerne, weil die zivilisatorische Durcharbeitung des eigenen Daseins dieses inzwischen zum Gefängnis gemacht hat". (Böhme / Böhme 1983, S. 30).

Im Prozeß der Moderne ist bereits ein Bewußtsein von der Entfremdung und der Ambivalenz des zivilisatorischen Fortschrittes vorhanden. Denn schon im 18. Jahrhundert wurden die ersten Zivilisationsschäden spürbar und dies erweckte die Sehnsucht nach der Natur. Rousseaus Ruf "revenons á lá nature - kehren wir zur Natur zurück", implizierte den Verlust einer unmittelbaren Beziehung zur Natur. In dem Maße, in dem das gesellschaftliche Leben den Individuen immer mehr Zwänge und Disziplinierungen auferlegte und die Enge des städtischen Lebens zunahm, in dem Maße wurde die Natur als "frei", d.h. im Gegensatz zu Bindungen des gesellschaftlichen Lebens empfunden. Mit dem Verlust der Natur und der entfremdeten Beziehung zu ihr korrespondierte nun eine Sehnsucht nach ihr, die man aber draußen zu befriedigen glaubte.

Friedrich Schiller antwortet auf die Frage nach dieser Dialektik bezeichnend : "Daher kommt es, weil die Natur bei uns aus der Menschheit verschwunden ist, und wir sie nur außerhalb dieser, in der unbeseelten Welt, in ihrer Wahrheit wieder antreffen" (Schiller, S. 430).

Die Rückseite der Naturbeherrschung, der Trennung von der Natur und des Fremdwerdens der Natur war die Naturschwärmerei. Die Entstehung der Landschaftsmalerei und des Landschaftsgartens sind auf dem Hintergrund dieser Dialektik der Herrschaft und der Distanz zu sehen. Die schwärmerische Hinwendung zur Natur verweist auf "vollständige Distanz zwischen Subjekt und Objekt der Hinwendung" (Klinger 1990, S. 74).

Die Verherrlichung des Naturzustandes, in dem der Mensch in vollkommener Harmonie und Übereinstimmung mit deren Gesetzen lebte, und die phantasierte Legende vom "edlen Wilden" waren Ausdruck einer Idyllisierung und Infantilisierung der Natur. Diese kurzfristig als Folie für die Kulturkritik gebrauchte Rede vom Naturzustand führte auf lange Sicht dazu, die anderen im "Naturzustand lebenden Völker", die als Kindheit gegenüber den europäischen Gesellschaften angesehen wurden, realgeschichtlich von Europa aus und durch Europäer zu bevormunden.

Die Frau als Natur

Das Frauenbild, das mittels dieser Ideologie kreiert wurde, stand im Einklang mit der im 18. Jahrhundert dominanten Auffassung von Natur; es gehörte zu den grundlegenden Überzeugungen der neuzeitlichen Naturauffassung, daß Natur weiblich sei. Die Geschichte der Naturbeherrschung ist daher die Geschichte der Beherrschung der Frau unter der patriarchalen Herrschaftsordnung. In dem Maße, in dem der Europäer sich der Natur entfremdete und sich als vernunftbegabtes, zivilisiertes Wesen über die Natur stellte, in dem Maße begann er, das Natürliche im Weiblichen und Primitiven anzusiedeln.

Die Stilisierungen des Weiblichen zur "Mutter Erde" und zum "Naturhaften Wesen" oder "schönen Geschlecht" sind Konsequenzen eines Denkens, daß auf der Dualität von Natur / Kultur und der Zuordnung Mann-Kultur und Frau-Natur basiert. Ich will dies deutlich machen an Hand des Philosophen, Schriftstellers und Pädagogen, dessen explizite Zuordnung der Frau zur Natur und des Mannes zur Kultur systematisch in sein Erziehungsprogramm eingeht. J.J. Rousseaus Buch "Emil oder über die Erziehung" ist ein Bildungsroman, in dem er sich mit der Erziehung von Mann und Frau beschäftigt. Es hatte weitreichende Konsequenzen und ein breites Publikum.

Die Aufgabe oder das Ziel der Erziehung ist es nach Rousseau, die erste Natur zu formen und zu gestalten, um ein moralisches und zivilisiertes Wesen zu schaffen. Die Erziehung soll aus Emil einen vollständigen Menschen machen und setzt auf Ausbildung von Vernunft und Selbstbeherrschung und auf eine radikale männliche Autarkie; Emil ist am Ende seiner Sozialisation ein frei entscheidungsfähiges, autonomes Individuum. Sophie ist Natur, unschuldig, ursprünglich, ungezähmt und wild, und ihre Erziehung ist darauf gerichtet, ihre natürlichen Kompetenzen zu kultivieren. Rousseau kreierte ein Weiblichkeitsmuster, das in Sophies Erziehung als idealtypisches Konstrukt einer Ehefrau sich darstellt. Es basiert auf dem Grundsatz, daß Sophie den passiven und schwachen Part zu spielen hat, während Emil aktiv und stark ist, um ein komplementäres Verhältnis zu ermöglichen. Rousseau führt dies auf das "Gesetz der Natur" zurück und schreibt: "Steht dieser Grundsatz fest, so folgt daraus, daß die Frau eigens geschaffen ist, um dem Mann zu gefallen. Es ist weniger zwingend notwendig, daß ihr der Mann auch seinerseits gefällt: sein Vorzug liegt in der Kraft; er gefällt allein dadurch, daß er stark ist. Ich gebe zu, daß das noch nicht das Gesetz der Liebe ist; aber es ist das Gesetz der Natur, das älter ist als die Liebe selbst" (Rousseau 1978, S. 386)

Eben aus diesem Gesetz der Natur leitet Rousseau ab, daß Sophie eine natürliche Moral habe, ihre "Scham" hemme nämlich ihre unbegrenzten Begierden. Sie ist erotisch, sittsam, fürsorglich und eine liebende Ehefrau. Sie beherrscht Emil aber nur durch List und kokettes Verhalten. "Die Herrschaft der Frau ist eine Herrschaft der Sanftmut, der Geschicklichkeit und der Nachgiebigkeit. Ihre Befehle sind Zärtlichkeiten, ihre Drohungen sind Tränen" (ebd., S. 446).

Rousseaus Einstellung zur geschlechtsspezifischen Begabung können wir in dem nun folgenden Zitat unverhüllt erkennen: "Die Erforschung der abstrakten und spekulativen Wahrheiten, die Prinzipien und Axiome der Wissenschaften, alles, was auf die Verallgemeinerung der Begriffe abzielt, ist nicht Sache der Frauen. Ihre Studien müssen sich auf das Praktische beziehen (...). Um in den exakten Wissenschaften Erfolg zu haben, fehlt es ihnen an ausreichender Genauigkeit und Aufmerksamkeit. Die Naturwissenschaften soll der treiben, der von beiden Geschlechtern der Tätigste und der Beweglichste ist, der die meisten Dinge sieht; der die meiste Kraft hat und sie auch übt, um die Beziehungen der Lebewesen und der Naturgesetze zu beurteilen. Die Frau ist schwach und sieht nichts von der Welt draußen" (ebd., S. 420ff). "Sophie hat natürliche Talente (...). Was Sophie am besten kann und was man sie mit größter Sorgfalt hat lernen lassen, das sind die weiblichen Handarbeiten. (...) Es gibt keine Nadelarbeit, die sie nicht machen könnte und die sie nicht mit Vergnügen macht" (ebd., S. 430). Kein anderer hat die vorherrschende patriarchale Einstellung zum weiblichen Geschlecht so unverblümt und explizit formuliert wie Rousseau. Zwar äußern sich Kant, Hegel und Schiller alle auch mehr oder weniger in der gleichen Weise, aber Rousseau schreibt eigens einen ganzen Erziehungsroman, um ein Weiblichkeitsideal zu kreieren, das die konsequente Folgerung der Zuordnung der Frauen zur Natur ist. Kant nennt sie teils in verachtender Absicht teils aus Galanterie "das schöne Geschlecht" und ordnet ihm "schöne Tugenden" zu. Schiller sieht seinen Begriff der "schönen Seele" nur im weiblichen Geschlecht realisiert und formuliert dies so: "In einer schönen Seele ist es also, wo Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung harmonieren ...". Dies nur um einige der Väter der neuzeitlichen Kultur und des neuzeitlichen Denkens zu nennen, die die Auffassung der Geschlechterdifferenz und der Geschlechterbeziehung als einer Herrschaftsbeziehung ausgeprägt haben.

Naturschwärmerei, Exotismus und die fremde Frau

Die unter dem Eindruck der ethnographischen Berichte der ersten Entdeckungsreisen entstandene Idee des "edlen Wilden", dem Eigenschaften wie natürliche Unschuld, Sorglosigkeit, Bedürfnislosigkeit u.ä. zugeschrieben wurden, führte zu einer Bewegung, die man Rousseauismus nannte. Zwar sah Rousseau selbst sein Konzept vom "Naturzustand" als methodisches Konstrukt, von dem aus er den Gesellschaftszustand kritisieren konnte, menschheitsgeschichtlich keineswegs als gegeben an. Er schreibt: "... zu entwirren, was an der jetzigen Natur des Menschen ursprünglich und was natürlich ist, sowie einen Zustand richtig zu erkennen, den es nicht mehr gibt, vielleicht nie gegeben hat und wahrscheinlich nie geben wird". Rousseau lehrt seinen Zögling Emil durch die Distanzierungserfahrung zur Natur ein "natürlicher Mensch" zu werden; d.h. die sentimentale Erfahrung der Natur sei möglich, wenn der Mensch sie aus der Distanz heraus macht, die ihn dann empfindsam und sehnsüchtig werden läßt. Rousseaus Forderung "zurück zur Natur" war keine Rückkehrforderung in den Naturzustand des Menschen. Aber die Erfinder der Legende vom "edlen Wilden" setzten die zeitgenössischen "Naturvölker" gleich mit dem ursprünglichen Zustand des Menschen im Sinne vom historisch Ursprünglichen, sozusagen als die Kindheitsphase der Zivilisierten.

Der verächtliche Blick des Europäers auf die anderen Völker konnte nun umschlagen in Bewunderung, da sie nun als gutmütige und kindliche angeblich einen Naturzustand erhalten hatten, und im harmonischen Einklang mit den Naturgesetzen lebten; sie gaben das Sujet für die imaginären Paradiesvorstellungen, von denen sich die Europäer verzaubern lassen wollten.

Nach dieser allgemeinen Einführung möchte ich nun im folgenden in einem kurzen Abriß versuchen zu veranschaulichen, welche Implikationen diese Sichtweise für die Entwicklung der Ideologie der "fremden Naturfrau" hatte. Ich unterscheide dabei drei Phasen: die erste Phase beginnt im 18. Jahrhundert mit den Entdeckungsreisen; prototypisch für das herrschende Bild der fremden Frau ist die Nymphe; in dieser Phase gehen Natur und Fremdheit in Eins. Die zweite Phase ist die, die im 19. Jahrhundert mit der Zivilisationsflucht einhergeht. Mit der viktorianischen, sexualitätsfeindlichen Kultur korrespondierten die geheimen Gärten der Lüste im Orient; der Harem wurde in Männerphantasien als das Freudenhaus konzipiert und die Orientalin als die Dienende, als das frei verfügbare Eigentum des Mannes. Und schließlich die dritte Phase, die mit dem Massentourismus den Sextourismus ermöglichte. Die fremde Frau wird nun offen und marktgerecht als Handelsware feilgeboten.

a) Die erste Phase: Südsee-Idylle und der Mythos von den Nymphen

Wenn wir die Identifizierung der Natur mit der Frau, dem Kind und dem "edlen Wilden" nebeneinanderstellen, so ist es nicht verwunderlich, wenn der zivilisierte europäische Mann, der in diesen Gegenpolen das Andere seiner selbst suchte, es in erhöhtem Maße in der "Kindfrau" oder der fremden Frau, insbesondere der Frau der sogenannten Primitiven zu finden hoffte. Das um so mehr, als die europäischen Frauen ihre retardierenden Sozialisations- und Bildungsschranken überschritten. Zwar figurierte die Frau als Mutter Natur auch vorher, aber "... mit der Entgrenzung der europäischen Welt durch die seefahrenden Entdecker traten die Bilder der Frauen aus Übersee hinzu: die schwarze Sklavin, die Frauen mit den Mandelaugen, die Indianerin und über allen das Südseemädchen. Sie alle zusammen beginnen, den Körper zu bilden, der sich den Wünschen zum Aufbruch gerüsteter Männer als geheimnisvolles Ziel anbietet; dieser Körper enthält mehr Lockungen als der Rest der Welt zusammen" (Theweleit 1980, Bd. I. S. 307).

Die Südseeinseln wurden eine Metapher für das Liebesparadies. Vor allem in Tahiti glaubten die Endeckungsreisenden wie G. Forster und Bougainville den "Garten Eden" betreten zu haben, ein Land in jenem Urzustand, in dem der Mensch im harmonischen Einklang mit den Gesetzen der Natur lebte. Vor allem die Reisebeschreibungen Bougainvilles gaben Tahiti jenen Charakter, der diese Insel zu einem Mythos erhob, der den Traum von unvergesellschafteter Natur stimulierte. Für die Inselreisenden verkörperten deren Bewohner ein Leben, das frei von moralischem und zivilisatorischem Ballast war. Vor allem die scheinbare sexuelle Zügellosigkeit der Frauen, ihre Triebenthemmtheit und Bedürfnislosigkeit brachte Bougainville dazu, die Insel als Insel der Liebe (Insel Kythera) zu benennen. Er schreibt: "Die Luft, die man atmet, das Singen, das Tanzen und die dabei üblichen wollüstigen Gebärden - all' das erinnert an die Süße der Liebe und ruft zur Hingabe".

Georg Forster, der James Cook 1773 auf Tahiti begleitete, sprach dagegen von "Creaturen, die alle Pflichten des gesellschaftlichen Lebens hintan setzten und sich lediglich viehischen Trieben überließen" (Forster, S. 308). "Darunter gab es viele Frauen, die wie Amphibien im Wasser herumgaukelten und sich leicht bereden ließen, an Bord zu kommen, nackt, wie die Natur sie geschaffen ...". (Forster, 11. Kapitel, S. 116) Forster wie Bougainville und andere reisende Europäer zeigen in Bezug auf ihre Urteile über die Inselfrauen keine Differenz; Paul Gauguin drückt unverblümt dies darin aus, daß er in seiner Erzählung "Noa Noa, 1897" schreibt, daß die Tahitianerinnen alle buchstäblich genommen werden wollen und alle den geheimen Wunsch nach Vergewaltigungen hätten.

b) Die zweite Phase: Orientalismus, erotischer Exotismus

Der Maler Gauguin, den ich eben zitierte, und bei dem die Projektion eines als Natur verstandenen sexuellen Begehrens auf die fremde Frauen so explizit wird, gehört nun eigentlich schon zum zweiten Typ des erotischen Exotismus, den ich beschreiben will. Gauguin, "europamüde", war einer der ersten Aussteiger. Das Europa, das Gauguin verließ, war gekennzeichnet durch eine allgemeine Entfaltung des Kapitalismus, imperiale Expansion, Industrialisierung und Kolonialismus.

Dienten die Reisen des 18. Jahrhunderts vor allem der Erschließung neuer Handelswege und Entdeckung der Naturvölker, so waren die Ziele der Reisenden des 19. Jahrhunderts "bewaffnete und gut ausgerüstete Expeditionen, die Afrika der Wissenschaft und gegebenenfalls der Industrie erschließen sollen" (Leclerc, S. 14).

Mit Napoleons Feldzug in Ägypten 1798 und der kolonialen Eroberung Indiens durch England begann eine neue Phase der Beziehung zwischen Orient und Okzident und es entstand der Orientalismus als "eine okzidentale Sichtweise des Orients" (E. Said). Die neuzeitliche Orient - Okzident - Beziehung ist nach M. Rodinson gekennzeichnet durch a) den expansiven Okzident, b) die Neigungen jener Europäer, die ihrer industriellen Zivilisation entfliehen wollen und sich vom Orient angezogen fühlen, und c) die Orientforscher; mit anderen Worten: Imperialismus, Exotismus und Spezialistentum (Vgl. Bassam Tibi).

Edward Said schreibt in seiner scharfsinnigen Analyse des Orientalismus: "Der Orientalismus ist ein wesentlicher Stil der Herrschaft, der Umstrukturierung und des Autoritaritätsbesitzes über den Orient" (Said 1981, S. 10). Die ideologische Orientalisierung des Orients korrespondierte mit seiner realen Beherrschung. "Die Beziehung von Okzident und Orient ist eine Beziehung von Macht, Herrschaft und verschiedenen Graden einer komplexen Hegemonie" (Said, S. 13), was nicht die "totale Negation des Anderen" impliziert. "Die Mannigfaltigkeit der Welt selbst stellt sich ihm als Leckerbissen dar" (Leclerc 1976, S. 27). Der Orient wurde zu einem fiktionalen Topos und wurde "kreiert, d.h. orientalisiert" (Said), um ihn durch lyrische Verklärung zu exotisieren. Das Orientbild des 19. Jahrhundert war folgendes: "Ein Übermaß an Farbe, Pracht und barbarischer Wildheit, Harems und Serails, abgehackte Köpfe, Frauen, die in Säcken in den Bosporus geworfen werden (...) Eunuchen und Wesire (...) gefangene Frauen, die den stürmischen Leidenschaften des Siegers preisgegeben sind (...)". (M. Rodinson, zit. nach Tibi 1986, S. XXXIX) Mit diesem imaginativ produzierten Bild des Orients im Kopf reisten nun die zivilisationsflüchtigen mit lyrisch verklärtem Blick in den Orient; bzw. unternahmen fiktive Reisen in den "orientalisierten Orient". Ihre "sexistischen Scheuklappen" (Said) ließen sie den Orient mit der Vorstellung eines orientalischen Despoten assoziieren, der sich mit den mit passiver und grenzenloser Sinnlichkeit begabten Frauen amüsiert. Der Orientale wurde verkörpert durch Gestalten wie Wesire, Kalifen etc., und die Orientalinnen durch Prinzessinnen aus Tausendundeiner Nacht.

Mitte des 19. Jahrhunderts entstand eine Welle der Orientbegeisterung, die sich in der Mode, in der Architektur, Literatur und Kunst widerspiegelte. In der Literatur reichte diese von der expliziten Kolonialliteratur à la Pierre Loti bis zu den Romanen und Erzählungen und Tagebüchern von anspruchvollerem Genre wie Theophile Gautiers Erzählung "Une nuite de Cleopatre" (1845), und Flauberts Romane wie Salambo (1862). Das Bild der Orientalin, gesehen durch den Schleier der orientalischen Märchen, war ein Vexierbild; sie wurde entweder als passive, den erotischen Gelüsten des Kalifen dienende oder als dämonische und verführerische femme fatale imaginiert.

Die Orientmalerei, die als ein eigenes Genre sich innerhalb der Kunst etablierte, orientalisierte den Orient durch sterotypisierte Themen wie das türkische Bad, den Sklavenmarkt und die Haremsdarstellungen. Allen diesen Sujets ist gemeinsam der kontemplative, passive und lasziv sich den Blicken (des Europäers) anbietende Frauenkörper. Liegend auf Kissen oder Divanen scheinen die Frauen "die Zeit vergessen zu haben, schwatzen mit anderen Frauen, träumen, wedeln einen Fächer oder eine Fliegenklatsche hin und her" (Lynne Thornton 1989, S. 348). Der erotische und sexistisch getönte Exotismus und die Wunschvorstellungen europäischer Männer in Beziehung zur fremden Frau leben bis in die Gegenwart fort. Denn was heute sich als "Sex-Tourismus" etabliert hat, ist die Konsequenz dieser historischen Entwicklung.

c) Die dritte Phase: Die fremde Frau als Tauschwert

Wenn der Europäer im 18. Jahrhundert jenseits der Grenzen Europas noch die Natur suchte und im 19. Jahrhundert noch mit ganz anderen kulturellen Welten rechnete, so kann man das vom gegenwärtigen Ferntourismus nicht mehr sagen. Die Basis dieses Tourismus ist die sich weltweit ausbreitende technische Zivilisation. Für diese technische Zivilisation gibt es prinzipiell keine Grenzen mehr, hinter denen dann das ganz Andere gesucht werden könnte. Das Andere erscheint in der technischen Zivilisation als Ware, oder als durch die Massenmedien produziertes Phantasma. Auch die fremde Frau wird entsprechend nicht mehr in den Gewässern der Südsee oder hinter dem Schleier des Harems gesucht, sondern sie erscheint ganz manifest auf den Glanzseiten der Reiseprospekte oder in den Katalogen der Kontakt- und Heiratsvermittler. Diese Bilderwelt lebt von den Klischees, die sich in den vorangegangenen zwei Jahrhunderten herausgebildet haben. Um es noch einmal typologisch zu wiederholen: Es ist einmal die naturumflorte Nackte und es ist andererseits die Verschleierte, die aus ihren Hüllen heraus dem Betrachter einen verheißungsvollen Blick präsentiert.

Das Entscheidende ist hier, daß der Konsument dieser Andersartigkeit, d.h. also der Leser von Illustrierten, der Fernsehzuschauer und der Tourist im Grunde sich auf das Andere, sei es die Natur oder die fremde Frau, gar nicht einlassen will. Aus dem Sessel heraus oder auf der Basis der internationalen Hotels konsumiert er nur noch den Schein des Anderen. Das hat verheerende Konsequenzen für die Begegnung mit der Frau in der Ferne einerseits und die Wahrnehmung der Fremden hier andererseits. Denn diese Begegnungen sind flüchtig (Bordell etc.) und selbst, wenn sie in Heirat münden, ist der Mann unfähig und unwillig, sich auf die fremde Frau einzulassen; das nämlich würde implizieren, daß er z.B. ihre Sprache lernt, sich die Mühe macht, ihre Kultur jenseits der exotistischen Oberfläche kennenzulernen. Umgekehrt sollen die Frauen sich seiner Kultur assimilieren und wenn dies nicht gelingt, behalten sich die Männer Rückzugsmöglichkeiten vor. Die Wahrnehmung der fremden Frauen hier haftet an Äußerlichkeiten, an denen die Klischees festgemacht werden. Die exotisierte Fremde verzaubert allerdings nur draußen oder auf dem Bildschirm zu Hause. Denn während Bildbände über fremde Frauen und dergleichen dem Bücherregal einen exotischen Hauch verleihen, wird Frauen aus Ghana, Äthiopien oder der Türkei im eigenen Land mit Mißtrauen und Vorurteilen begegnet; man schaut eurozentrisch in einer superioren Haltung auf sie herab. Nach demselben Verhaltensmuster werden fremde Kulturen im Völkerkundemuseum konserviert oder als Folklore präsentiert.

Exotismus innerhalb der Alternativen- und der Frauenbewegung

Abschließend möchte ich noch auf den gegenwärtigen Exotismus im weiteren Sinne aufmerksam machen. Es handelt sich hier um die Form des Exotismus, in dem alles in die Ferne projeziert wird. Der Exotismus der Alternativen (Linken) äußerte sich z.B. in der Personalisierung von Revolutionsführern; der Maoismus der 60er Jahre, die Begeisterung für Che Guevara. Im Alltag äußerte er sich durch das Tragen von Kaftans und Djlabas in den 70er Jahren; er äußert sich in der Zuwendung zum Schamanismus und dem Zustrom von indischen Gurus à la Said Baba und vielem mehr. All' dies sind Idealisierungen anderer Völker. Dieselben Tendenzen können wir am Beispiel der Begeisterung für Bauchtanz oder auch in der Idealisierung des Haremlebens in Frauenzusammenhängen feststellen.

Alliatas Buch über den Harem, erschienen 1981, erinnert an die Haremsdarstellungen des 19. Jahrhunderts; wir lesen z.B.: "In einer mondlosen Nacht wurde ich zu einem Fest eingeladen. Ein Fußboden aus Körpern, gehüllt in metalldurchwirkten Taft und Achatfiligrane, ein Wirbel aus Purpur und Amarant, aus Kadmiumgelb, Meergrün und Kobaltblau, aus Büscheln von Perlen und Basilikum, Diademen von Korallen und Brokaten. Verzückt, leidenschaftlich ragten die Körper aus den Düften nach Zimt und Tuberosen, aus dem Funkeln des Goldes, aus dem Rausch riesiger Wasserpfeifen, wiegten sich beim ausgelassenen Gesang der musayene, fuhren hoch im Rhythmus der Trommeln, bebten schaurig und ungestüm, schmachteten in einem sinnenbetäubenden Delirium, während die Gesichter aufflammten wie bei heidnischen Gottheiten. Für wen, frage ich mich, diese perfekten Schönheitsmale, diese mit Antimon bemalten Stirnen, diese schwarz getupften Wimpern, wie sie vor dreitausend Jahren die Königin von Saba zu tragen pflegte? Für wen diese so fein verzierten Hände, die aussahen, als steckten sie in Spitzenhandschuhen, und diese mit geheimnisvollen Zeichen dekorierten Füße? Wo waren die Männer von Sana'a, während hier das Bachanal tobte? Die Männer lagen wie immer in narkotischer Stumpfheit, (...) den Frauen bleibt als Trost nichts als das erregte Durcheinander der Orgie, die Hysterie eines Rituals, das gleichzeitig Tanzvergnügen, Kino und Sauna ist, der Versuch, die Einsamkeit in ein Eden zu verwandeln, in dem Schönheit und Sinnlichkeit endlich Bedeutung erlangen" (Alliata 1981, S. 155ff).

Zwar können wir dies als eine fiktive Episode betrachten, aber der Exotismus dieser Sichtweise existiert auch in weniger märchenhaften Erzählungen.

Worauf ich hinaus möchte, ist, daß auch diese Begegnungen, so wohlwollend sie gemeint sind, keine symmetrischen, auf Gegenseitigkeit der Bedürfnisse aufbauenden und auf gegenseitiger Akzeptanz basierenden Begegnungen sind.

Diesem Ariadnefaden können wir bis in die Wissenschaft folgen. Erinnern wir uns, daß beim Feldzug Napoleons 1798 150 Wissenschaftler aller Zweige dabei waren, die die Herrschaftsbeziehung als eine wissenschaftliche Überlegenheit legitimierten, "Wissenschaftler gehörten stets zu den wichtigen kolonialen Unternehmen" (Tibi 1984, S. 267). Wir müssen, wollen wir über die Beziehung zwischen dem Westen und der Dritten Welt reflektieren, auch zu einer Dekolonisation der Wissenschaft aufrufen. Dies verlangt eine symmetrische interkulturelle Kommunikation, eine dialogische, und nicht monologische (Vgl. Tibi 1984), denn die Beschäftigung mit fremden Kulturen erfordert auch eine inhaltliche methodische Neubestimmung der Beschäftigung. Das bedeutet, daß es eine Zusammenarbeit mit den "specialistes indigenes" (Rodinson) geben muß, eine Anerkennung ihres Anspruches, als Kollege beteiligt zu sein (Vgl. Tibi 1984).

Literatur

Alliata, Vittoria (1981). Harem. Freiheit hinter dem Schleier. München.

Böhme, Gernot (1985). Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Böhme, Hartmut & Böhme, Gernot (1983). Das Andere der Vernunft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Bovenchen, Sylvia (1980). Die imaginierte Weiblichkeit. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Forster, Georg (1979). Entdeckungsreise nach Tahiti und in die Südsee 1771/75.

Horkheimer, Max & Adorno, Theodor W. (1969). Dialektik der Aufklärung. Frankfurt/M.: Fischer.

Klinger, Cornelia (1990). Das Bild der Frau in der patriarchalen Philosophiegeschichte. In: Herta Nagl-Docekal (Hrsg.). feministische Philosophie. Wiener Reihe.

Koebner, Thomas & Pickerodt, Gerhart (Hrsg.) (1987). Die andere Welt. Frankfurt/M.: Athenäum.

Leclerc, Gerard (1976). Anthropologie und Kapitalismus. Ullstein Verlag.

Merchant, Carolyn (1987). Der Tod der Natur. München: Beck.

Rousseau, J.-J. (1978). Emil oder über Erziehung. Schöningh Verlag.

Ders. (1978). Schriften zur Kulturkritik. Felix Meiner Verlag.

Said, Edward W. (1981). Orientalismus. Ullstein Materialien.

Scheich, Elvira (1988). Denkverbote über Frau und Natur. In: Christine Kulke (Hrsg.). Rationalität und sinnliche Vernunft. Centaurus Verlagsgesellschaft.

Schiller, Friedrich (1962). Über naive und sentimentale Dichtung. In: Schiller Werke. Nationalausgabe, Bd.2. Weimar.

Theweleit, Klaus (1980). Männerphantasien (Zwei Bände). Reinbek: Rowohlt.

Tibi, Bassam (1986). Einleitung zu M. Rodinsons Buch "Islam und Kapitalismus". Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Ders. (1984). Orient und Okzident. Feindschaft oder interkulturelle Kommunikation? In: Neue Politische Literatur, S. 267-286.

Thornton, Lynne (1989). Frauenbilder. Zur Malerei der "Orientalisten" In: Sievernich G. & H. Budde (Hrsg.). Europa und der Orient. Berliner Festspiele. Bertelsmann Lexikon Verlag.

 

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Stand: 25. September 2006