Margret Jäger / Siegfried Jäger
Die Restauration rechten Denkens[1]
(erschienen in: Forschungsinstitut
der Internationalen Wissenschaftlichen Vereinigung Weltwirtschaftz und
Weltpolitik (IWVWW), Berichte November 1999, 38-57, auch erschienen in:
Loccumer Protokolle 10/99 hrsg. Von Andrea Grimm, Rehburg-Loccum 1999))
Kurz nach der Befreiung Europas vom Naziregime durch die alliierten
Truppen im Jahre 1945 notierte Victor Klemperer in seinem Tagebuch: “Ich sehe
einen neuen Hitlerismus kommen. Ich fühle mich durchaus nicht in Sicherheit.”
(Tb. 18.9.1945, 137)
Er befürchtete, daß das Nazidenken und -handeln auch nach der Befreiung
noch fortdauern könnte. Gerade diese Furcht veranlaßte ihn dazu, sein seit
langem geplantes Buch über die Lingua Tertii Imperii, seine LTI, in wenigen
Monaten fertigzustelllen. Er sah seine Tagebuchnotizen aus den Jahren 1933-1945
daraufhin durch, exzerpierte und schrieb sie um und destillierte daraus ein
“Erziehungsbuch”, durch das er der Fortdauer des Faschismus in den Köpfen der
Menschen, insbesondere der damals Jugendlichen, etwas entgegensetzen wollte
(vgl. LTI, 20).
Klemperers Sorge, daß Sprache und Ideologie des Faschismus nach
Beendigung des Krieges nicht einfach verschwinden würden, war keineswegs
unberechtigt. Mit dem Ende des deutschen Faschismus war faschistisches Denken
keineswegs verschwunden. Völkisches Denken und Sprechen war weiterhin auf allen
Ebenen des öffentlichen und privaten Lebens zu beobachten.
So notierte Victor Klemperer am 25. Juni 1945 in sein Tagebuch:
“Ich muß allmählich anfangen, systematisch auf die Sprache des VIERTEN
REICHES zu achten. Sie scheint mir manchmal weniger von der des DRITTEN
unterschieden als etwa das Dresdner Sächsische vom Leipziger.” (Tb. 25.6.45,
31)
Diese Sprache nennt er im folgenden die LQI, Lingua Quartii Imperii
,”Sprache des Vierten Reiches”. Ein paar Tage später hält er bereits einige
Beispiele fest:
“Alle Welt sagt nach wie vor DER Russe.” (Tb. 27.6.1945, 34) Oder in der
Deutschen Volkszeitung werde ständig von “VERLAUTBARUNGEN” gesprochen, obwohl
es mehrere Alternativausdrücke dazu gebe. (ebd.)
Ein paar Wochen später stellt er fragend fest:
“Nazistische Propaganda wirkt noch, wird wohl auch heimlich fortgesetzt.
Ist Dresden besonders kleinbürgerlich, besonders nazistisch – oder ist ganz
Deutschland so gerichtet?” (Tb. 1.8.1945, 77)
Auch in seiner LTI, die er 1946 veröffentlichte, ist ihm diese Frage
wichtig:
“Es wird jetzt soviel geredet, die Gesinnung des Faschismus auszurotten,
es wird auch soviel dafür getan. Kriegsverbrecher werden gerichtet, ‚kleine
Pgs‘ (Sprache des Viertens Reichs!) aus ihren Ämtern entfernt, nationalistische
Bücher aus dem Verkehr gezogen, Hitlerplätze und Göringstraßen umbenannt.
Hitler-Eichen gefällt. Aber die Sprache des Dritten Reichs scheint in manchen
charakteristischen Ausdrücken überleben zu sollen; sie haben sich so tief eingefressen,
daß sie ein dauernder Besitz der deutschen Sprache zu werden scheinen.” (LTI,
20)
Wenn wir Diskurse als einen “Fluß von sozialen Wissensvorräten durch die
Zeit” verstehen, dann sind diese Beobachtungen von Victor Klemperer nicht nur
verständlich; die beobachtete Kontinuität ist sogar erwartbar. Diskurse sind
historische Verläufe, die von Menschen ständig konserviert, reproduziert und
auch verändert werden. Dabei können sich die Veränderungen eher schleichend und
allmählich, sie können sich aber auch bruchartig vollziehen. Einen solchen
diskursiven Bruch haben wir mit dem Niedergang der DDR erlebt. In sehr kurzer
Zeit galten dort Gesetze, Normen und andere bisherige Selbstverständlichkeiten
nicht mehr. Die Menschen dort mußten sich sehr schnell anderen “Diskursregeln”
unterwerfen. Doch trotz solcher spektakulärer Brüche ist gleichzeitig zu
beachten, daß sich neue Diskurse immer auch aus alten Diskursen herausarbeiten
und dabei Teile alter Diskurse auch konservieren (können). So gesehen, konnte der ‚nationalsozialistische‘
Diskurs nicht einfach abbrechen und durch einen demokratischen Diskurs ersetzt
werden. Victor Klemperer hat in seinen Tagebüchern ab 1945 diesen Prozeß genau
notiert: Der alte faschistische Diskurs wurde weitergeführt und gleichzeitig in
der damaligen sowjetischen Besatzungszone in einen neuen demokratischen bzw.
sozialistischen Diskurs überführt. Ein ähnlicher Prozeß vollzog sich auch im
Westen Deutschlands.
Doch wie sieht es heute, nach über fünfzig Jahren, mit solchen
Erbschaften aus?
Wir können und müssen feststellen, daß sich seit einer Reihe von Jahren
sowohl im Osten wie auch im Westen dieser Republik zunehmend rechtsextreme
Vorstellungen auf verschiedenen gesellschaftlichen Handlungsebenen Geltung
verschaffen. Seit dieser Zeit etwa konnten rechtsextreme Parteien Mandate in
verschiedenen Parlamenten erringen. Auch wenn Rechtsextreme mittlerweile aus
vielen deutschen Parlamenten wieder verschwunden sind, so zeigen aber die
Ergebnisse der Landtagswahlen von Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt, daß
rechtsextreme Wahlerfolge auch weiterhin möglich sind – im Westen wie im Osten
von Deutschland. Und wer die Prozentzahlen addiert, die rechtsextreme Parteien
häufig bei Wahlen erzielen, der stellt fest, daß hier durchaus ein
Wählerpotential vorhanden ist, das allein durch die Zerstrittenheit innerhalb
des rechtsextremen Lagers an seiner Entfaltung gehindert wird. Hinzu kommen die
anhaltenden gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber EinwanderInnen,
Flüchtlingen, Schwarzen, Juden und Behinderten. Sie zeigen deutlich, welch
hohes Maß an Gewalt von diesem nationalistischen und rassistischen Hintergrund
ausgeht.
Die Frage steht also: Äußert sich in solchen Entwicklungen eine Erbschaft
aus dem Faschismus? Schließlich können rechtsextreme Gazetten und
Organisationen teilweise auf eine stattliche Anzahl von Existenzjahren in der
alten BRD zurückblicken. Wissenschaftlerinnen,
die sich mit diesen Fragen beschäftigen, stellen weitgehend übereinstimmend
fest, daß es seit Jahren – und nicht etwa erst seit der Vereinigung – im
rechtsextremen Spektrum eine Art Sammlungsbewegung gibt, die sich teilweise
recht widersprüchlich darstellt: Zwischen den verschiedenen Parteien, Zirkeln,
Zeitschriftenredaktionen dieser Szene herrscht einerseits eine enge Zusammenarbeit;
anderseits konkurrieren sie miteinander und streiten über ihre
unterschiedlichen politischen Strategien.[2]
Diese Sammlungsbewegung ist allerdings keine Bewegung, die – wie ein
Druck von rechts – sich von außerhalb auf die herrschende politische Kultur zu
bewegt und deshalb Einfluß gewinnen kann, weil und indem sie sich quantitativ
ausweitet. Wir müssen vielmehr davon ausgehen, daß rechtsextreme
Ideologiefragmente deshalb zunehmend akzeptiert werden, weil sie in diesem
herrschenden politischen Diskurs der BRD, sozusagen in der ‚Mitte‘ unserer
Gesellschaft, dazu passende Anknüpfungspunkte finden. In diesem öffentlichen
und alltäglichen Diskurs hat in den letzten Jahren eine Verschiebung
stattgefunden, die nicht nur von Claus Leggewie mit dem Terminus der “Rechtswende”
belegt wird. (Leggewie 1991)
Dabei ist es irrelevant, ob Parteien der Mitte sich gezwungen sahen, eine
solche Rechtsverschiebung voranzutreiben, etwa um wieder Wählerstimmen an sich
zu binden. Oder ob sie ‚aus freien Stücken‘ ihre Programmatik und Politik
stärker nach rechts ausgelegt haben, weil sie darin eine Lösung der politischen
Probleme in ihrem Interesse vermuten. Entscheidend ist, daß sich so
rechtsextreme Ideologiebestandteile in der ‚Mitte‘ der Gesellschaft etablieren
können. Und natürlich versuchen rechtsextreme Ideologen aus dieser Situation
Honig zu saugen und als Stichwortgeber für weitere autoritäre Entwicklungen zu
fungieren. Dies geschieht beispielsweise dann, wenn das Problem der
Massenarbeitslosigkeit von rechtsextremer Seite völkisch aufgeladen wird und
gegen ausländische Mitbürger gewendet wird.
Die gefährliche Erbschaft aus dem Faschismus liegt also vermutlich genau
in dem Zusammenspiel zwischen ausgearbeiteten rechtsextremen Diskursen und
völkischen Diskursen im Zentrum unserer Gesellschaft. Aufgrund solcher Anschlußstellen im herrschenden Diskurs sind
rechtsextreme Diskurse überhaupt nur in der Lage, demokratische Positionen zu
untergraben. Sie koppeln sich an die in unserer Gesellschaft eben auch
vorfindbaren undemokratischen Positionen und Traditionen an und entwickeln sie
weiter.
Die Gefahr einer undemokratischen und ausgrenzenden Entwicklung geht
dabei sicherlich nicht von den zersplitterten und relativ schwachen
rechtsextremen Organisationen aus, sondern davon, daß sich die diskursive
Entwicklung in der BRD insgesamt weiter für rechtsextreme Ideologieelemente
öffnet, als dies bislang schon der Fall ist.[3] Wollen wir dieser Gefahr wirksam begegnen, ist es
allerdings auch notwendig, sich intensiv mit den Entwicklungen im rechtsextremen
Lager zu beschäftigen. Hier werden die Politikkonzepte geschmiedet oder
konserviert, mit denen unsere Gesellschaft weiter nach rechts verschoben werden
soll. Sie geben Aufschluß über Argumentations- und Deutungsmuster und auch über
Diskursstrategien, mit denen wir konfrontiert werden und die es im Sinne einer
demokratischen Entwicklung in Deutschland abzuwehren gilt.
Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob wir heute überhaupt von einer
einheitlichen rechtsextremen Ideologie sprechen können. Unsere These dazu
lautet: Bei allen Unterschieden, die innerhalb der rechtsextremen Szene zu
Verfeindungen und Abgrenzungen führen, gibt es einen gemeinsamen Kern
rechtsextremer Ideologie. Diesen Kern bezeichnen wir im folgenden als
“rechtsextrem”, wohl wissend, daß in der gegenwärtigen Debatte einzelne
Elemente dieser Ideologie mit anderen Termini belegt sind. Da ist von
Neofaschismus, von Nationalismus und Rechtsradikalismus und nicht zuletzt
häufig auch von der “Neuen Rechten” die Rede. Letztere betrachten wir als eine
intellektuelle Variante des derzeitigen Rechtsextremismus, der es vor allem
darum geht, die Rückwärtsgewandtheit ihrer Gedanken zu kaschieren und sich als
‚modern‘ zu präsentieren.
Die Einschätzung, daß es zwischen den verschiedenen rechtsextremen Parteien und
Gruppierungen keine großen Unterschiede gibt, wird übrigens auch von
rechtsextremer Seite geteilt. Martin Banz klagt mit Blick auf die
Zersplitterung der Rechten: “Ein Blick in die Programme der zerstrittenen
Gruppen läßt vielmehr stilistische, aber keine substantiellen politischen
Unterschiede erkennen.” Verantwortlich für die Zersplitterung seien letztlich
“persönliche Rivalitäten und klischeehafte Vorurteile” (Nation und Europa / Deutsche Monatshefte, Januar 1997, 20).
Rechtsextreme Ideologie wird von der Grundauffassung geleitet, daß die
Menschen von Natur aus ungleich sind und diese Ungleichheit ihnen die jeweilige
Stellung in der Gesellschaft bzw. der Welt zuweist. Diese Grundauffassung
artikuliert sich in verschiedenen Politikfeldern und tritt hervor als
Nationalismus, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, um nur einige Elemente zu
nennen.[4] Insofern setzt sich der rechtsextreme Diskurs in
der Bundesrepublik aus verschiedenen Elementen zusammen, die erst in ihrer
Gesamtheit als rechtsextreme Ideologie zu bezeichnen sind. Trotzdem können sie
bereits als einzelne Elemente diskursive Wirkung entfalten.
Wir werden im folgenden einige dieser Elemente näher betrachten, und zwar
anhand der Themen, die von rechtsextremer Seite derzeit aufgenommen und in den
Mittelpunkt ihrer agitatorischen Bemühungen gestellt werden. Wichtig ist uns
dabei, vorhandene Anknüpfungspunkte zu benennen und herauszuarbeiten, die
rechtsextreme Vorstellungen im herrschenden Politikverständnis finden. Das bedeutet,
daß wir auch auf die im sogenannten ‚Normal-Diskurs‘ bzw. dem Diskurs der
‚Mitte‘ vorhandenen undemokratischen Elemente zu sprechen kommen müssen, die
von rechtsextremer Seite radikalisiert werden können.
Es könnte sein, daß die Betrachtung dieses Zusammenhangs in einem
bestimmten Ausschnitt dem nahekommt, was Victor Klemperer mit seiner
Beobachtung der LQI insgesamt beabsichtigt hat: eine Warnung vor einer
gefährlichen Erbschaft. Deshalb wollen wir im Anschluß Überlegungen beisteuern,
wie aus unserer Sicht einer solchen Entwicklung zu begegnen ist.
Völkischer Nationalismus im Rechtsextremismus
Ein wichtiger Bestandteil des rechtsextremen Diskurses in der
Bundesrepublik ist der Nationalismus
und zwar der völkisch begündete Nationalismus. Was ist damit gemeint?
Im Konzept des völkischen Nationalismus werden die Nation bzw. das Volk
zu einem besonderen Ideal hypostasiert. Oberstes Ziel aller Politik liegt in
der Sicherung der Existenz des deutschen Volkes, das als gewachsenes homogenes
Gebilde unterstellt wird. An diesem Ziel werden alle politischen Strategien
gemessen.
Völkisch begründeter Nationalismus fordert die sogenannte
‚Deutschstämmigkeit‘ seiner Staatsbürger und macht ihre biologische, blutmäßige
Abkunft von deutschen Vorfahren zur Grundbedingung für die Staatsbürgerschaft.
Sogenannte ‚Andersartige‘ können nicht integriert werden. Der Zuzug von
‚Fremden‘ wird abgelehnt, meist wird ihre Ausweisung bzw. eine Entmischung der
Völker gefordert. Damit steht der völkische Nationalismus in einem
fundamentalen Gegensatz zur westlichen politischen demokratischen Tradition,
bei der die Erlangung der Staatsbürgerschaft für ausländische Menschen immer
auch möglich ist, also auch für Deutsche im sog. Ausland. Wir können hier
bereits erkennen, daß ein völkisch begründeter Nationalismus immer auch eine
rassistische Komponente enthält.
Kardinalpunkt des völkisch begründeten Nationalismus ist die erwünschte
Einheit von Volk und Staat. Die Einheit beider soll in der Nation oder der
“Volksgemeinschaft” erreicht werden. Dabei wird anderen Völkern durchaus das
Recht auf eine eigene staatliche Existenz zugesprochen, doch das Ziel deutscher
Politik ist das ‚rassisch‘ homogene deutsche Volk in einem Staat.
In der rechtsextremen Zeitschrift
Europa vorn (Ausgabe April 1997) wird dies etwa von Manfred Rouhs, einem
Vertreter der von den Republikanern abgespaltenen Deutsche[n] Liga für Volk und Heimat (DLVH) folgendermaßen
formuliert:
“Auch wir Deutschen haben ein Recht auf unsere Heimat, auf unser
Vaterland! China den Chinesen, die Türkei den Türken und Deutschland den
Deutschen – das ist unser Credo.....”
Im NPD-Programm von 1996 werden die gleichen Gedanken schwülstiger
vorgetragen:
“Die Völker sind die Träger der Kulturen, Völker unterscheiden sich durch
Sprache, Herkunft, geschichtliche Erfahrung, Religion, Wertvorstellungen und
ihr Bewußtsein. Ihrer kulturellen Eigenart werden sich die Völker besonders
dann und dort bewußt, wo diese gefährdet ist. Die Erhaltung der Völker dient
der Erhaltung der Kultur. Bloße Gesellschaften entwickeln keine Kultur, sondern
bestenfalls eine Zivilisation, deren höchster Wert materiell ist.
“Multikulturelle‘ Gesellschaften sind in Wirklichkeit kulturlose
Gesellschaften. Die Vielfalt der Völker muß erhalten bleiben.”
Nun könnte man einwenden, eine Vision von einem homogenen deutschen Volk
sei illusionär. Wie soll das in einer Gesellschaft vonstatten gehen, in der
seit vielen Jahrhunderten Einwanderung stattgefunden hat und weiter
stattfindet? Schließlich ist in Deutschland kaum noch jemand anzutreffen, den
man für einen alten Germanen halten würde. Dennoch ist zu beachten, daß das
deutsche Staatsbürgerschaftsrecht die Abstammung als ein wichtiges Kriterium
für die deutsche Staatsbürgerschaft ansieht – im Unterschied etwa zu dem anderer
Staaten. Hier liegt also durchaus ein Anknüpfungspunkt für völkisches Denken
vor, auf den rechtsextreme Ideologen verweisen können, um die Legitimität ihrer
Forderung nach einem homogenen deutschen Volk herauszustellen. Und die
teilweise emotional geführte Debatte darüber, ob und in welcher Weise das
Staatsbürgerschaftsrecht reformbedürftig ist, zeigt, daß Bevölkerungsteile im
Zentrum unserer Gesellschaft dieses Recht als notwendig und richtig ansehen.
Die Vision vom “aussterbendem Volk”
Die Forderung nach einem homogenen deutschen Volk wird von Rechtsextremen
oftmals in Form einer angsttreibenden Vision vorgetragen, die die gegenwärtige
Situation in Deutschland als Katastrophe schildert, in der die ‚Eingeborenen‘
als potentielle Opfer dargestellt werden, die von den Politikern, die
schließlich von ihnen gewählt wurden, verraten und verkauft werden.
Alfred Mechtersheimer, ein wichtiger Ideologe des Rechtsextremismus, weil
er in der Lage ist, die unterschiedlichen politischen Lager innerhalb des
Rechtsextremismus anzusprechen, betreibt dies z. B. in seiner Rede, die er vor
dem baden-württembergischen Landtag in Stuttgart hielt und die Europa vorn in seiner April-Ausgabe
1997 in Auszügen veröffentlichte.[5] Angesichts der stattfindenden Einwanderung glaubt
er:
“Längst hat die dritte große Vertreibung von Deutschen in diesem
Jahrhundert eingesetzt, nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg nun die
dritte Vertreibung aus den Stadtteilen, wobei diesmal besonders die sozial
Schwachen betroffen sind.”
Und Franz Schönhuber[6] beschwört als eine Zukunftsperspektive
Deutschlands:
“Deutschland gibt unter der Last der uns immer wieder vor Augen geführten
schlimmen Vergangenheit dem Druck der sich sprunghaft vermehrenden und nach
besseren Lebensverhältnissen strebenden Weltbevölkerung, besonders aus der
Dritten Welt, nach und öffnet die Schleusen; dann wird am Ende ein Gebilde
dastehen, das keinen Unterschied zwischen Wirten und Gästen mehr kennt. Ein
deutsches Volk wird es dann nicht mehr geben.” (Nation und Europa / Deutsche
Monatshefte, Januar 1997, 10)
Charakteristisch an dieser Argumentation ist, daß sowohl von Alfred
Mechtersheimer wie auch von Franz Schönhuber die Einheimischen in eine bedrohte
Situation hineingeschrieben werden, aus der heraus sie quasi aus Notwehr gegen
weitere Einwanderung vorgehen müssen. Dabei müssen sie ihr politisches Ziel:
Erhalt eines homogenen deutschen
Volkes nicht mehr eigens begründen, sondern können dies als Konsens
voraussetzen – eine Voraussetzung, die bei der Leserschaft von Nation und Europa sowie von Europa vorn wohl auch vorliegt.
Solche Bedrohungsszenarien sind jedoch nicht allein in rechtsextremen
Zeitschriften zu finden. Auch in den Printmedien der sogenannten Mitte lassen
sich massenhaft Artikel auffinden, die vor einer Einwanderung in der Weise
warnen, daß Deutsche dadurch im eigenen Land zu Fremden würden. Auch finden
sich Bilder zuhauf, die inszenieren, daß die Einheimischen von einer “Flut” von
Einwanderern und Flüchtlingen geradezu überrannt werden. Da wird dann ein endloser
“Strom” von Flüchtlingen in Szene gesetzt und manchmal sogar in Verbindung mit
Polizeikräften gebracht, so daß die Ohnmächtigkeit der deutschen Bevölkerung
besonders herausgestellt wird. Durch solche Zusammenhange wird nahegelegt,
politische Maßnahmen griffen nicht mehr und man müsse deshalb quasi-militärisch
eingreifen. Auch Politikverdrossenheit, an die Rechtsextreme gerne anknüpfen,
wird durch den Hinweis auf die
Politiker, die versagen, nahegelegt. (vgl. z.B. als ein Beispiel von vielen: Der Spiegel 15/1992)
Auch auf diese Weise werden Angstgefühle in der Bevölkerung geschürt,
ohne daß allerdings die Vision vom “aussterbenen Volk” explizit angesprochen
wird.
Auch die Ausarbeitungen und Äußerungen einiger führender Unionspolitiker
sind dazu angetan, die Nation zu einer “quasi-religiösen Instanz” (Kellershohn
1997, 346) zu erhöhen. In dem Buch “Und der Zukunft zugewandt” von Wolfgang
Schäuble finden wir z. B. folgende Passage:
“Im Gegensatz zu unseren Verbündeten fehlt den Deutschen heute weitgehend
das Verständnis dafür, daß Nation eben auch Schutzgemeinschaft nach außen
bedeutet. Eine solche emotionale Bindung, das verinnerlichte Ethos einer stets
zur Selbstbehauptung und Verteidigung der Freiheit bereiten
Schicksalsgemeinschaft konnte nach dem Zweiten Weltkrieg natürlich nicht über
Nacht heranreifen.” (Schäuble 1994, 217)
An solche Positionen können rechtsextreme Ideologen teilweise recht
erfolgreich anschließen. Dies geschieht zur Zeit vor allem im Umfeld der
Wochenzeitung Junge Freiheit.
Ihre publizistische Strategie ist es, “strategische Ansatzpunkte und
Sammlungsbewegungen des rechten Parteienspektrums zu unterstützen.”
(Mecklenburg (Hg.) 1996, 415) Deshalb schreiben in Junge Freiheit sowohl konservative Autoren wie auch Personen
aus dem rechtsextremen Umfeld.
Biologischer und kultureller Rassismus in der Gestalt von
Ethnopluralismus
Ein weiteres Element rechtsextremer Ideologie ist der Rassismus. Wie zum
völkischen Nationalismus insgesamt auch muß hierzu gesagt werden, daß er im
herrschenden Diskurs der Bundesrepublik virulent ist.
Rassismus ist ein Kernelement des Rechtsextremismus, mit dem dieser in
besonderer Weise eine Brücke zum Alltagsbewußtsein der Bevölkerung schlagen
kann. Denn mittlerweile ist es wohl unbestritten, daß Rassismus ein Bestandteil
alltagsweltlicher Lebenspraxen ist. Dieser Umstand bedeutet nicht, daß alle
Personen, die rassistisch denken, auch über ein geschlossenes rechtsextremes
Weltbild verfügen.
Unter Rassismus verstehen wir dabei eine Einstellung im Sinne von ‚Für-Wahr-Halten‘
bzw. ‚Wissen‘, bei der Personen, die anders aussehen und/oder andere Sitten und
Gebräuche pflegen als die Mehrheit der Bevölkerung, indem sie z. B. eine andere
Sprache sprechen, als mehr oder weniger homogene Gruppe, eben als ‚Rasse‘, angesehen
und negativ beurteilt werden, wobei diese Beurteilung im Einklang mit dem
hegemonialen Diskurs steht.[7]
Je nachdem, ob die Rassenkonstruktion entlang einem körperlichen oder
einem kulturellen Merkmal zustandekommt, läßt sich von einem genetischen (bzw. biologischen) oder
kulturalistrischen Rassismus sprechen. In beiden Fällen werden soziale Eigenschaften und Verhaltensweisen
von Menschen als natürlich und unveränderbar angesehen, mit anderen
Worten: sie werden naturalisiert.
Auch der kulturalistisch daherkommende Rassismus entpuppt sich so letztlich als
biologistisch.
Rassismus tritt in rechtsextremer Presse gegenwärtig vor allem in seiner
“ethnopluralistischen” Variante auf. Propagiert wird eine ‚Vielfalt der
Völker‘. Die Parole: “Deutschland den Deutschen, die Türkei den Türken” ist
bereits genannt worden.
Solchen Forderungen liegt die Vorstellung zugrunde, daß es in der Welt
verschiedene ‚Völker‘ und ‚Rassen‘ gibt, die häufig auch verschleiernd als
‚Ethnien‘ bezeichnet werden, um den negativen Beigeschmack vor allem des
‚Rasse‘-Begriffs zu vermeiden. Die Zugehörigkeit zu den verschiedenen Völkern
regelt sich über eine gemeinsame Verwurzelung, über ein gemeinsames
biologisches oder kulturelles ‚Erbe‘ (bzw. ‚Erbgut‘). Der Mensch ist in dieser
Sicht nicht in erster Linie ein Individuum, ein soziales Wesen, das in der
Einheit von Körper und Geist existiert, sondern ein Angehöriger einer
biologisch oder kulturell definierten Großgruppe, einer homogenen Ethnie.[8] Daraus wird gefolgert: Eine ‚Identität‘ kann der
einzelne allein im Kollektiv seiner Ethnie entwickeln. Die Ethnie kann dagegen
an einer ‚Überfremdung‘ durch Individuen und Gruppen aus anderen Ethnien
zugrunde gehen, ja ab einem gewissen Grad der “Vermischung‘ muß sie
zwangsläufig zugrunde gehen. Deshalb muß jede Ethnie biologisch und kulturell
intakt gehalten werden und vor ‚Überfremdung‘ geschützt werden.
Das Moderne oder Neue an einer solchen Auffassung ist, daß sie nicht von
vornherein Völker oder Ethnien minderer und höherer Qualität unterscheidet.
Daraus erklärt sich, daß Rechtsextreme durchaus einen Dialog der Kulturen
fordern.
“Die Vorstellung der Überlegenheit einer Nation, eines Volkes, einer
Rasse, einer Zivilisation ist absurd. Besonders grotesk wäre, eine Superiorität
der westlichen Zivilisation zu behaupten – ihr geschichtlicher Weg war
lamentabel, ihr heutiger geistiger Zustand ist ärmlich. Wir brauchen mehr denn
je einen Dialog der Kulturen.” (Alain de Benoist im Gespräch mit Armin Mohler
und Dieter Stein, in: Junge Freiheit,
März 1993, 3)
Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich dieser Dialog dann jedoch recht
schnell als ein “Kampf” der Kulturen gegeneinander, bei dem sich der Bessere
behauptet.
Stefan Ulbrich drückt dies sehr plastisch in einem Artikel in der Jungen Freiheit (10/92) aus. In jeder
Gesellschaft gebe es “eine Vielzahl unterschiedlichster Kulturen.” Und:
“Nicht selten stehen diese Varianten in heftigem Widerspruch zueinander,
nicht selten ähneln die gegenseitigen Gefühle der Feindseligkeit substantiell
denen des Rassenhasses.”
Hieraus schlußfolgert er:
“Laßt uns schwärmen von den Unterschieden ... Die wahren Unterschiede
sind die, die im Kampf behauptet werden können.”
Aus dieser Sicht wird eine multikulturelle Gesellschaft zum Kampffeld.
Wenn das so ist, dann stellt sich aber die Frage: Worin liegt dann
überhaupt der rassistische Gehalt des sogenannten Ethnopluralismus? Er liegt
darin, daß er eine Vermischung von Menschen, die unterschiedlichen ‚Kulturen‘
oder vermeintlichen ‚Rassen‘ angehören, nicht zulassen will. Darin geht die
Vorstellung ein, daß bestimmte vorhandene natürliche und/oder kulturelle
Eigenschaften dieser sogenannten Ethnien sich nicht nur mit unserer nicht
vertragen, sondern daß eine Mischung zur Degeneration unserer Ethnie führe –
was zu verhindern sei.
Mit derartigen rassistischen Vorstellungen ist der rechtsextreme Diskurs
besonders ‚aufgeladen‘. Die folgenden Überschriften lassen sich deshalb auch so
oder in gewissen Varianten permanent in allen rechtsextremen Zeitungen
auffinden:
“Ausländer belasten Staatskassen” (Deutsche
Stimme, Februar 1997)
“Ausländerstopp ist das Gebot der Stunde” (Deutsche Stimme, Januar 1997)
“Streß durch Überbevölkerung” (Nation
und Europa / Deutsche Monatshefte, Januar 1997)
“Arbeitsplätze zuerst für Deutsche” (Flugblatt der NPD zum 1. Mai 1997)
“Ausländer-Kriminalität: Was stimmt? So werden die Deutschen belogen” (Deutsche Nationalzeitung, Juni 1997)
“Wie Schein-Asylanten absahnen” (Deutsche
Nationalzeitung, Mai 1997)
“Asylproblem erreicht neue Qualität” (Der
Republikaner 3/1997)
“Multi-Kulti? Nein Danke!” (Europa
vorn, April 1997)
“Aktuelles aus Multikultopia” (Nation
und Europa / Deutsche Monatshefte, Kolumne in jeder Ausgabe)
Die Frage ist berechtigt, ob eine derartige Überzeichnung und Hetze gegenüber
Ausländern für den herrschenden Diskurs überhaupt von Bedeutung sein kann. Doch
ein analytischer Blick auf die Berichterstattung über Ausländerzuzug und
Einwanderung in eindeutig nicht rechtsextremen Presseorganen zeigt, daß auch
hier, in Spiegel und Focus, in FAZ und WAZ ähnliche
Metaphern und Symbolkomplexe zur Anwendung kommen.
Auch die Verknüpfung von Einwanderung und Kriminalität unter dem
Stichwort der “Ausländerkriminalität” finden wir in den Medien zuhauf.[9] In den letzten Monaten und Jahren gibt es kaum eine
Zeitschrift oder Zeitung, die diesen Zusammenhang nicht thematisiert hat.
Aufsehen erregte dabei der Spiegel-Aufmacher zur Titelstory “Ausländer und
Deutsche: Gefährlich fremd. Das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft”
(vgl. Der Spiegel 16/1997
Bereits die Fotomontage des Titelbildes ist ausgesprochen povokant. Es
zeigt eine junge Frau eine türkische Fahne schwingend in eindeutiger
Eroberungshaltung, deren fanatische Züge durch hervorstehende Halsschlagadern
noch unterstrichen werden. Eingerahmt ist dieses Foto durch weitere Fotos. Eins
zeigt bewaffnete Jugendliche von offenbar nicht-deutscher Herkunft. Ein anderes
bildet kopftochtragende Mädchen in einer Koranschule ab. Auf diese Weise wird
der Komplex der Einwanderung in den Kontext von Kriminalität und
‚Islamisierung‘ gestellt. Im Innenteil wird dann der “Tatort Deutschland” mit
seiner “explosiven” Stimmung beschrieben und:
“Immer mehr Bürger fühlen sich im eigenen Land bedroht, mißbraucht und in
die Defensive gedrängt.”
Eine bisher unveröffentlichte Studie wird zitiert, nach der mehr als 40%
einer Großstadt in NRW der Ansicht seien, daß sich die Deutschen gegen die
Ausländer wehren müßten. (vgl. 79). Auch hier ist von den “Zeitbomben in den
Vorstädten” die Rede.
Angesichts solcher nicht zu übersehender Gemeinsamkeiten zwischen
bürgerlicher und rechtextremer Presse ist es nicht verwunderlich, wenn letztere
die Korrektheit ihrer Thesen auch schon mal mit Meldungen aus der bürgerlichen
Presse garniert. Und gerne nimmt man dort zur Kenntnis, daß die herrschende
Politik sich ihrer Sichtweise annähert und feiert dies als eigenen politischen
Erfolg. Mit Blick auf die eigene Strategie wird in Nation und Europa / Deutsche Monatshefte z. B. die
Ankündigung von Innenminister Manfred Kanther, die sogenannte
Ausländer-Kriminalität zum Wahlkampfthema zu erheben, so kommentiert:
“Aus Angst vor gegnerischen Angriffen die eigenen Themen abzuschwächen
oder gar zurückzunehmen”, sei falsch. “Wo dies geschieht, besetzt ohne Skrupel
die Union das freigewordene Feld.” (Nation
und Europa / Deutsche Monatshefte, Januar 1997, 14)
Der spezifische Beitrag rechtsextremer Publikationen ist dabei darin zu
sehen, daß sie die im Diskurs von Polikern, Medien und Alltag vorhandenen
rassistischen Vorbehalte gegenüber Ausländern systematisch zuspitzen und in
politische Forderungen ummünzen, die auf einen Abbau demokratischer Strukturen
hinauslaufen.
So fordert etwa Alfred Mechtersheimer einen “seriösen Radikalismus”, eine
“Argumentations-Offensive”, mit der das “Prinzip der nationalen Präferenz” zum
Durchbruch kommen soll. Unter nationaler Präferenz versteht er eine
grundgesetzliche Verankerung von “Deutschland als Staat des Deutschen Volkes”
mit einem entsprechenden Rechts- und Verordnungssystem.
“Das bedeutet, wer Arbeit bekommt, wer Wohnung bekommt, wer staatliche
Hilfe bekommt, soll daran gemessen werden, ob er zu diesem Volk gehört oder
Gast ist.” (Mechtersheimer in Europa
vorn, April 1997, 10)
Die ‚Natürlichkeit‘ des Rassismus
Ein weiteres fällt auf: Aus rechtsextremer Sicht muß kaum mehr begründet
werden, weshalb eigentlich Deutsche und Zuwanderer nicht miteinander leben
können sollen. Offenbar geht man davon aus, daß sich dies von selbst versteht.
In aller Regel wird der Verweis darauf für ausreichend gehalten, daß die Praxis
in anderen Ländern, etwa im ehemaligen Jugoslawien, ja zeige, daß ein
Zusammenleben von Gruppen unterschiedlicher ethnischer Herkunft nicht möglich
sei. Umgekehrt wird denjenigen dann Rassismus vorgehalten, die annehmen, der Konflikt
im ehemaligen Jugoslawien sei lediglich ein Konflikt der dort ansässigen
Gruppen:
“Es ist eine absonderliche Variante von Rassismus, wenn immer wieder
behauptet wird, eine solche Babarei ist offenkundig nur auf dem Balkan möglich,
nicht aber bei uns in Mitteleuropa, obwohl genau die Bedingungen, die dort zu
den Massakern geführt haben, bei uns hier heute geschaffen werden.” (Europa vorn, April 1997)
Damit meint Alfred Mechtersheimer, den wir hier zitieren, die Zuwanderung
in Deutschland.
Während also das ethnopluralistische Weltbild in rechtsextremen
Publikationen derzeit nicht weiter erklärt werden muß, gilt dies nicht dafür,
die in der Bevölkerung vorzufindenen rassistischen Vorbehalte als natürlich,
vernünftig und angeboren darzustellen. Diejenigen, die Personen als “irgendwie
nicht richtig deutsch” ansehen, auch wenn diese “zwar die deutsche
Staatsbürgerschaft besitzen, aber nur von einem oder gar keinem deutschen
Elternteil abstammen”, gelten als mündige Bürger, die von der “diskutierenden
Klasse” mißachtet würden.
Zum Beleg solch “natürlicher” Abwehr von Fremden werden dann auch gerne
soziobiologische “Erkenntnisse” vorgetragen, mit denen die Argumentation ihre
wissenschaftlichen Weihen erhalten soll.
Wichtig an solchen soziobiologischen Ausführungen ist, daß sie sich
durchaus an den “normalen” Medien-Diskurs anschließen lassen: Im Focus z.B. aber auch in anderen von uns
untersuchten Print-Medien feiern solche soziobiologischen Argumentationsmuster
fröhliche Urstände.
Ein Artikel in der Focus-Ausgabe
24 vom 13.6.94 beschäftigt sich z. B. unter der Überschrift “Terror im Nest”
mit dem Problem der Kindererziehung. Nach einigen Ausflügen in die Welt der
Paviane und der Schilderung von Konflikten, die zwischen Pavian-Mutter und
Jungpavian entstehen, wenn diese in Ruhe fressen möchte, ist deutlich zu
erkennen, wie die Übertragung von Familienstrukturen (Vater, Mutter, Baby, Kind
etc.) auf den tierischen Komplex die Vergleichbarkeit von Tier- und
Menschbeziehungen nahelegt.
Und selbst in der Frankfurter
Rundschau, der hier sicherlich nicht nachgesagt werden soll, daß sie der
Soziobiologie Argumentationshilfe geben will, ist in der Ausgabe vom 24.9.1994
unwidersprochen zu lesen: “Es ist sozialer Streß, der Bürger anfällig macht für
Xenophobie”.
Die rassistische Komponente des rechtsextremen Diskurses zeigt sich somit
insgesamt darin, daß Fremden eine “Andersartigkeit‘ unterstellt wird, die es
abzuwehren gelte. Dabei wird nicht nur von einer biologischen “Andersartigkeit‘
ausgegangen, sondern es wird ebenso auf eine vermeintlich gefährliche
kulturelle “Andersartigkeit‘ hingewiesen. Hinter sich bisweilen modern
ausnehmenden Überlegungen, die z. B. ein Recht der Selbstbestimmung der
einzelnen Völker hervorheben, verbirgt sich die Forderung nach Ausgrenzung und
Ausweisung ausländischer Menschen.
Einwanderung und die “soziale” Frage: Entsteht hier ein völkischer
Antikapitalismus?
Ein besonderes Betätigungsfeld, von dem aus Rechtsextreme ihrer Forderung
vor allem nach nationaler Präferenz Geltung verschaffen wollen, ist offenbar
die in Deutschland herrschende Massenarbeitslosigkeit, die Rechtsextreme strikt
mit der Einwanderungsthematik verknüpfen.
Vor dem Hintergrund völkisch-nationalistischer Vorstellungen ist klar,
daß Arbeitslosigkeit nur insofern ein Problem ist, als sie deutsche Personen
betrifft.
“Für immer mehr Deutsche wird das Schreckgespenst der Arbeitslosigkeit
traurige Realität ... während Millionen Deutsche arbeitslos sind, [sind] immer
noch viele Tausend Ausländer in Beschäftigung.” (Deutsche Stimme, Februar 1997)
Um dies zu verändern, sei eine Politik erforderlich, “die sich an
nationalen Grundsätzen ausrichtet.” (ebd.)
Die Aufspaltung der Bevölkerung in Ausländer und Einheimische ist die
Grundlage aller Forderungen von Rechtsextremen, mit denen sie die
Arbeitslosigkeit abschaffen wollen. “Arbeitsplätze zuerst für Deutsche,” so
lautet denn auch 1997 die 1. Mai-Parole der NPD. Der Front National wird als leuchtendes Beispiel
gefeiert. Er fordere, “daß jedes Unternehmen mit einer Ausländerabgabesteuer
belegt werden müsse, damit diese veranlaßt würden, Franzosen vorrangig zu
beschäftigen.” (Europa vorn,
April 97)
Nicht ganz so drastisch, aber in der Sache genauso ausgerichtet, meldet sich
in Sachen Arbeitslosigkeit “Der Republikaner” zu Wort. Seine politische Gegner
sind vor allem die “Altparteien”, denen “der Blick für die harten Realitäten”
verlorengegangen sei. “Politik heißt immer noch: Bestandssicherung des eigenen
Volkes!” Da dürfen Ausländer wohl kaum mitgemeint sein.
Die militärische Symbolik, mit der diese Thematik abgehandelt wird,
sticht ins Auge. Die Rede vom “politischen Sprengstoff”, von den “Gefahren” für
die politische Kultur von “bedrohlichen” Entwicklungen, “bürgerkriegsähnlichen
Szenarien” zieht sich durch fast alle Artikel. Dies weist darauf hin, daß
dieses Thema auch emotional besetzt werden soll.
Ob diese Rhetorik von Erfolg gekrönt ist, bleibt abzuwarten. Bisherige
Untersuchungen haben gezeigt, daß das Vorurteil, Ausländer nähmen Deutschen
Arbeitsplätze weg, zumindest im Alltagsdiskurs wenig Bedeutung hat. (Vgl. z. B.
Jäger 1992.) Dazu haben sicherlich auch die Kampagnen beigetragen, die in den
letzten Jahren von gewerkschaftlicher Seite geführt wurden. Dennoch kann die
Gefahr einer nationalen Aufladung der Arbeitsmarktpolitik nicht völlig
ausgeschlossen werden. So war zum Beispiel der Wahlkampf der DVU in
Sachsen-Anhalt 1998 zu einem großen Teil auf die Aktivierung eines völkisch
ausgerichteten Antikapitalismus ausgerichtet: Arbeitsplätze für Deutsche,
Wohnungen für Deutsche – so lauteten die Parolen. Der enorme Stimmenerfolg
(12,9%) dieser Kampagne deutet darauf hin, daß es im Alltagsbewußtsein offenbar
starke Erosionstendenzen gibt. Viel wird davon abhängen, ob sich die Tendenzen
zu populistischen Sprüchen und Politikkonzepten innerhalb der Sozialdemokratie,
die ja bekanntlich den Gewerkschaften zugetan ist, vermehren oder verfestigen.
Wenn dies geschieht, haben wir auch hier durchaus mit diskursiven Verschiebungen
zu rechnen, die das demokratische Klima in Deutschland entscheidend gefährden.[10]
Das allmähliche Eindringen völkischen Positionen in den Diskurs der
‚Mitte‘
Die Gefahr einer Rechtsverschiebung der politischen Landschaft in
Deutschland wird auch von Teilen derjenigen gesehen, die Einfluß auf solche
Diskurse nehmen (können): Deutschland driftet - und zwar nach rechts! Das
konstatierte z.B. der CDU-Politiker Friedbert Pflüger in seinem gleichnamigen
Buch. Er verwies darauf, daß es in der Bundesrepublik bereits ein gut
etabliertes “schwarz-braunes Netzwerk” gebe und seine Wortführer die Ideen
jener Konservativen Revolution der
20er Jahre propagierten, die damals das “Dritte Reich” vorbereitet hätten.
Friedbert Pflüger befürchtet:
“Wird jetzt die rechte Tyrannei abgelegt, eingeordnet und bagatellisiert,
die linke dagegen dämonisiert – so werden rechtsradikale und Konservative
Revolutionäre salonfähig. Dann beanspruchen sie ihren Platz im
demokratischen Verfassungsspektrum, dann verschiebt sich die Mitte nach rechts.
Die Maßstäbe verschwimmen, und Deutschland driftet.” (Pflüger 1994, 86)
Auch Heiner Geißler, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der
CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, warnte vor einer weiteren Rechtsentwicklung –
auch innerhalb der CDU. (Geißler 1994) Anläßlich der Römerberggespräche 1994
meinte er:
“Nachdem die Einheit Deutschlands wiederhergestellt ist, entfaltet sich
eine innere Eigendynamik der Rückkehr zum kleindeutschen, nationalstaatlichen Denken.”
Und weiter: “der homogene Volksstaat wird wieder als die einzige natürliche und
legitime Form des politischen Gemeinwesens verkündet, und wir haben
gleichzeitig eine sehr militante Agitation gegen alles, was eine multiethnische
oder multikulturelle Republik bedeutet, nämlich die Vorstellung, daß auch
Menschen nichtdeutscher Herkunft die Staatsbürgerschaft bekommen und die Kultur
der Staatsbürger in einem säkularen Staat weder völkisch noch religiös, noch
weltanschaulich festgeschrieben und verbindlich gemacht werden dürfen.”
(Geißler zit. nach Franck 1994, 18)
Ähnlich sieht Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in
Deutschland und Mitglied der FDP, die Situation. Es gebe “sogenannte
Konservative”, “die sich selbst als konservativ sehen, aber in Wirklichkeit
schon rechtsradikales Gedankengut verbreiten.” (Bubis 1995, 1 u. 7)
Friedbert Pflüger, Heiner Geißler und Ignatz Bubis sind nicht die
einzigen Politiker, die in den letzten Jahren in Deutschland vor einer
brisanten Rechtsentwicklung warnen. Die besondere Gefahr sehen sie vor allem
darin, daß der Motor dieser Entwicklung nicht am rechten Rand auszumachen,
sondern in der sogenannten Mitte der Gesellschaft angesiedelt ist.
Eine weitere Gefahr dieser Entwicklung ist aus unserer Sicht, daß sie
sich schleichend, gleichsam unbemerkt vollzieht. Auf diese Weise wird das
Skandalträchtige dieser Entwicklung nicht so ohne weiteres sichtbar. Schritt
für Schritt bringen sich völkische bzw. völkisch aufgeladene Positionen im
Diskurs zur Geltung. Das, was in dieser Gesellschaft an undemokratischen
Positionen sagbar ist, wird erweitert und allmählich akzeptiert.
Daß heute wieder relativ ungestört und ohne Hemmungen an
ultrakonservative und völkische Ideologie angeknüpft werden kann, ist dabei
keineswegs selbstverständlich. Dazu bedurfte es intensiver Vorarbeit, die
bereits in den frühen 70er Jahren begann und sich als Gegenbewegung gegen die
Studierenden- und Lehrlingsbewegung der 68er verstand.[11]
Einen ihrer Höhepunkte erlebte dieser rechte Gegendiskurs im sogenannten
Historikerstreit, der aus unserer Sicht nicht, wie oft gesagt wird, mit einer
Niederlage der Rechten endete. Schließlich war das Resultat dieser Debatte, daß
Hitler zum alleinigen Verursacher von Krieg und Holocaust hochstilisiert werden
konnte, womit der deutsche Rest in revisionistischer Manier aus der Schußlinie
genommen werden konnte. Wie unzutreffend diese Sicht der Dinge ist, das zeigen
die Tagebücher Victor Klemperers, das zeigt die (kontroverse) Debatte um das
Buch von Daniel Jonah Goldhagen und die vom Hamburger Institut für
Sozialforschung entwickelte “Wehrmachtsausstellung‘.
Eine weitere Station dieser Entwicklung markiert selbstverständlich auch
die 1989er Wende. Vor allem die Art und Weise, wie die Wiedervereinigung Deutschlands umgesetzt wurde, ist dabei
bedeutend. Sie wurde als nationaler Sieg gefeiert, mit dem Deutschland wieder
zur deutschen Normalität zurückfinden würde. Zumindest was die hegemoniale
Politik angeht, wurde sie mit dem Ziel verbunden, eine Großmacht Deutschland zu
etablieren, mit allem, was dazu gehört – auch militärisch.
So kommt es, daß heute, mehr als 50 Jahre nach der Befreiung der
Konzentrationslager, die Blockade “Drittes Reich” fast restlos abgebaut ist. Es
mehren sich die Politikerinnen und
Autorinnen, die keine Skrupel (mehr)
haben, sich als “rechtsaußen‘ zu outen, wie etwa die Beispiele Botho Strauß,
Ernst Nolte und Rechtsentwicklungen in der FDP und in anderen Parteien deutlich
machen.
Als Beispiel für das allmähliche Eindringen rechter Positionen, die sich
kaum von rechtsextremen unterscheiden, kann der Artikel des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein
vom 23.1.1995 angesehen werden. Unter dem Titel “‘Oh! That Inhumanity!‘ Rudolf
Augstein über das Schandmal deutscher Geschichte” entwarf er ein Porträt von
Hitler, in dem er diesen zum Alleinverantwortlichen für den, wie er sagt,
“Mythos” Holcaust hochstilisiert. Der Effekt dieses Kommentars ist, daß
Deutschland bzw. die Deutschen von ihrer politischen Verantwortung weitgehend
freigesprochen werden.[12]
Einen solchen Text haben wir bis vor wenigen Jahren ausschließlich in
Journalen im Rechtsaußenbereich des bundesdeutschen Blätterwaldes vorfinden
können. Wie Gerd-Klaus Kaltenbrunner 1987 in der eindeutig rechtsextrem
ausgerichteten Zeitschrift Mut in
einem Artikel mit der Überschrift “Bestimmt Hitler die Richtlinien unserer
Politik?” (vorab- und nachgedruckt in einer großen Zahl konservativer und
rechtsextremer Zeitschriften) den Schandfleck Hitler aus der deutschen
Geschichte zu tilgen suchte, so sieht sich nun Rudolf Augstein im 50. Jahr nach
der Befreiung der KZs bemüßigt, das “Schandmal” Auschwitz auszulöschen, indem
er diesen einen Mann Hitler zur alleinschuldigen Bestie umdeutet.
Doch wie es aussieht, handelt es sich bei Augsteins Ausflug an den rechten
Rand eben nur um ein Beispiel für
einen allgemeinen Trend. Wer die rechtsextreme Presse verfolgt, der muß
feststellen, daß hier enorme Verschiebungen stattgefunden haben. Was 1987
eindeutig als rechtsextremes Gedankengut hervorstach, kann heute in jeder beliebigen
konservativen Zeitung auftauchen, ohne daß dies besonders auffiele.
Es sind also nicht allein die spektakulären diskursiven Großereignisse
gewesen, wie der Historikerstreit oder Botho Straußens “Anschwellender
Bocksgesang”, dessen Erstveröffentlichung im übrigen auch im Spiegel (Februar 1993) stattfand, die
eine Rechtsdrift markieren und vorangetrieben haben.[13] Zug um Zug, mit neuem Tempo seit der Bonner Wende
von 1982 und mit verstärkter Schubkraft seit der Berliner Wende von 1989 und
der Vereinigung Deutschlands, sind die großen politischen Themen fast
ausnahmslos von rechts her besetzt worden. Da ist von der Rückkehr in die Geschichte die Rede (Karlheinz Weißmann) oder von
Deutschland als der Zentralmacht in
Europa (Hans-Peter Schwarz), und “Rasse”, Reich, Volk und Nation werden
wieder zu ganz normalen Letztbegründungsbegriffen erhoben. (Bollenbeck 1994)
Auch Teile der Sozialdemokratie und selbst einige Grüne sind in den Sog
dieser Entwicklung geraten, einer Entwicklung, die sich sehr gut in den Medien
und im Alltag nachverfolgen läßt, wobei den Medien als Mittlerinstanz hierbei
eine ganz wichtige Rolle zugeschrieben werden muß.
Unsere Untersuchungen des Mediendiskurses haben ergeben, daß in den
deutschen bzw. deutschsprachigen Medien vor allem durch den Einsatz von bereits
angesprochenen (Kollektiv)Symbolen völkisch-nationale Elemente produziert
werden. Solche Kollektivsymbole sind keine beliebigen Metaphern, sie
funktionieren nicht isoliert voneinander, sondern sie stehen in einem
Zusammenhang, sie bilden ein System. So ist zu beobachten, daß in Verbindung
mit dem Thema Einwanderung und Flucht die eigene Gesellschaft oder das eigene
Bezugssystem oft durch Flugzeuge, Autos, Schiffe oder Häuser symbolisiert wird.
Dagegen gelten für die Außenwelt eher solche Symbole wie Ungeziefer, Stürme,
Fluten, Gifte etc. Zwischen der Symbolserie, mit denen die Innenwelt, die BRD,
Europa oder der Westen codiert wird, und der, mit denen die Außenwelt markiert
wird, bestehen allerdings charakteristische Unterschiede, die massive
Auswirkungen für mögliche Ausgrenzungseffekte haben.
Die Symbole, die das eigene System codieren, signalisieren fast immer den
Subjektstatus der Dargestellten, während die Symbole, die sich auf die
Außenwelt beziehen, diesen vermissen lassen. Das eigene System wird durch
Symbole codiert, die mit Ordnung und Rationalität verbunden sind, das
Außensystem durch solche, die Chaos und Unberechenbarkeit signalisieren.
In Verbindung mit dem Thema Asyl und Flucht haben die Medien solche
Symbole stereotyp bei allen sich bietenden Gelegenheiten wiederholt. Dadurch
bildete sich eine Kette von Äquivalenzen heraus, aufgrund derer sich die
folgenden Analogien ergeben:
Die Bundesrepublik wird im Verhältnis zu Flüchtlingen und Einwanderern
dargestellt als eine ‚Insel‘, als ein ‚Land‘ ohne ‚Damm‘ angesichts von
riesigen ‚Fluten‘, die sie ‚überschwemmen‘. Sie ist gleich einem ‚Boot‘ mit
‚geöffneten Schotten‘ diesen ‚Fluten‘, ausgeliefert. Sie ist wie ein Land, bei
dem trotz einer ‚Belagerung‘ bzw. ‚Invasion‘ die ‚Einfallstore‘ weit
offenstehen. Sie kann als ein ‚Haus‘ gelten, in dem ein ‚Sprengsatz‘ deponiert
wurde oder in dem ‚Tür und Tor‘ weit offenstehen, bzw. aufgebrochen werden
durch den ‚Ansturm‘ von Fremden. Schließlich kann sie als ein ‚Körper‘ gelesen
werden, der von ‚Krankheiten‘, ‚Giften‘, wie z. B. ‚Drogen‘ bedroht ist.
Insgesamt ist diese Welt eine ‚Oase der Ordnung‘, die bedrängt wird von der
‚Wüste‘ des ‚Chaos‘. (nach Gerhard 1992, 170)[14]
Auf diese Weise untermauern Medien nicht nur rassistische Konstruktionen,
sondern sie konstituieren gleichzeitig unter Zuhilfenahme dieses Systems von
Symbolen ein Kollektivsubjekt, das den Namen “Wir Deutsche”, “Deutschland” oder
aber auch “Europa” trägt – je nachdem, welche Perspektive gerade eingenommen
wird.
Diese Ansprache, die zudem ständig und umfassend erfolgt, hinterläßt
eindeutige Spuren im Alltagsdiskurs von Deutschland. Unsere Untersuchungen[15] zum Einwanderungsdiskurs haben ergeben, daß in der
deutschen Bevölkerung ein enormer Bodensatz an rassistischen und völkischen
Denken besteht, der jederzeit und nahezu beliebig von Politik und Medien
aufgegriffen und aktiviert werden kann. Dabei spielt die Vorstellung vom
starken Staat eine besonders wichtige Rolle. Er wird nicht nur als die Instanz
gesehen, die die Aufgabe hat, Leben und Wohlergehen der deutschen Bürgerinnen
und Bürger – zur Not auch mit kriegerischen Mitteln – gegen eine imaginierte
Macht und Gefahr von außen zu sichern und zu schützen. Gleichzeitig kann diese
Institution auch den inneren Feind, zu dem Arbeitslose, Kriminelle,
Drogendealer und -konsumenten etc. gehören, bekämpfen – zur Not auch mit Hilfe
der Todesstrafe.
Die Brisanz solchen alltäglichen Denkens ist dabei vor allem darin zu sehen,
daß es kaum Widerspruch erfährt. Natürlich ist nicht das Bewußtsein aller
deutschen Personen restlos mit völkischer Ideologie durchsetzt. Doch haben sich
die völkischen Bestandteile mittlerweile ausgedehnt. Dies hat auch deshalb
geschehen können, weil die demokratischen Stimmen sich nicht genügend Gehör
verschafft haben. Der völkischen Diskurs
hat auch sie nicht unbeeinflußt gelassen und in die Defensive gedrängt. Daran
ändert auch der ‚Politikwechsel‘, von 1998 nur wenig. 16 Jahre neokonservative
Politik sind auch an der Opposition nicht spurlos vorübergegangen. Um so
wichtiger ist das Nachdenken darüber, wie diese Tendenzen nicht nur
aufgehalten, sondern aufgebrochen werden können.
Gegenstrategien
Denn die Gefahr einer undemokratischen völkisch-nationalistischen
Entwicklung in Deutschland kann nicht ausgeschlossen werden. Die Frage erhebt
sich also: Wie läßt sich diese Entwicklung umkehren? Wir möchten hier einige
Anregungen zur Diskussion stellen, die sich auf die mediale und die alltägliche
Ebene beziehen.
Natürlich ist es im Ausgangspunkt wichtig, daß in den Medien möglichst
umfassend und gründlich über die Konsequenzen rechtsextremen und völkischen
Denkens reflektiert wird. Hierzu gehören auch Rückbezüge auf den Faschismus.
Des weiteren ist es notwendig, die Konsequenzen der von Rechtsextremen
angezielten Gesellschaftsordnung darzustellen: Diktatur, Krieg und Verfolgung.
Auf diese Weise läßt sich die selbstschädigende Art aller Formen von
Ausgrenzung hervorheben; denn schließlich kann jeder Mensch in seinem Leben von
Ausgrenzung, und sei es durch Krankheit oder Alter, betroffen sein.
Es sollte auch über rechtsextremistische Umtriebe nicht erst dann
berichtet werden, wenn Brandanschläge verübt oder Aufmärsche rechtsextremer
Gruppen beobachtet worden sind. Auch deren alltägliches Leben, ihre politischen
Vorstellungen und deren Konsequenzen sollten dargestellt werden. Dabei ist
allerdings zu bedenken, daß sich die Medien nicht dazu mißbrauchen lassen
sollten, offenen oder verdeckteren Rechtsextremen ein Forum zu geben.
Dieser Gesichtspunkt ist u. E. besonders wichtig, zumal einer Spielart
von Rechtsextremismus besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird, die nicht in
Glatze und Springerstiefeln daherkommt. Es gibt rechtsextreme Intellektuelle
oder solche, die es gerne wären, die den Versuch machen, an die Gedanken der
Konservativen Revolution anzuknüpfen und auf diese Weise die alte Rechte in
eine Neue Rechte verwandeln wollen. Auf dieses Spektrum, das sich nicht nur am
äußersten rechten Rand artikuliert, ist besonders zu achten.
Wir kommen damit zum Übergangsfeld von rechtsextremen und
neokonservativen Ideologiebestandteilen. Hier findet zur Zeit ein reger
Austauschprozeß statt. Medien sollten deshalb kritisch auf die Übernahme
rechtsextremer Ideologeme in der Mitte der Gesellschaft reagieren und sich in
diesen Prozeß nicht einbinden lassen. Denn dadurch werden rechtsextreme
Gedanken salonfähig gemacht, sie erreichen eine Wirksamkeit, die sie aus
eigener Kraft vom rechten Rand der Gesellschaft her niemals hervorbringen
könnten.
Natürlich können die Medien die Probleme, die mit dem Vorhandensein von
Rassismus und Rechtsextremismus verbunden sind, nur insoweit lösen, wie es
ihnen gelingt, selbst den rassistischen Fallstricken zu entgehen. Deshalb wäre
zu empfehlen, daß kontinuierlich Studien erstellt werden, in denen die eigene
Berichterstattung kritisch analysiert wird und in denen Vorschläge erarbeitet
werden, wie den Fallen, die sich dabei auftun, entgangen werden kann. Zu denken
wäre sogar daran, ob nicht größere Print-Medien bzw. Rundfunk- und
Fernsehanstalten Mitarbeiter beschäftigen, mit der Aufgabe, die diskursiven
Effekte der Artikel und Sendungen zu analysieren.
Denn es ist eben leider zu beobachten, daß die Berichterstattung über
Einwanderer und Flüchtlinge, über ihr Leben und Lassen in Deutschland und in
den Herkunftsländern, Berichte über Straftaten, die von ihnen und gegen sie
unternommen werden, rassistische Sympathisanten mobilisieren und den
rassistischen Diskurs in der Bundesrepublik stärken. Dies liegt aber nicht in
erster Linie daran, daß über diese
Zusammenhänge berichtet wird, sondern wie
dies geschieht.
Wünschenswert wäre deshalb eine besonders sensible und sorgfältige Gestaltung
dieser Berichterstattung. Diese setzt aber einmal umfassendes Wissen über die
in Frage stehenden Zusammenhänge und deren Hintergründe voraus, das auf
Schulungen und Weiterbildungsveranstaltungen vermittelt werden könnte. Doch das
allein genügt nicht. Journalistinnen und Journalisten müssen sich der Macht ihrer Worte, der Macht des Mediendiskurses bewußt werden.
Dann werden sie auch auf auf Negativdarstellungen, begleitet von suggestiven
Kollektivsymbolen, auf zwiespältige Implikate und Nahelegungen, ausgesprochene
und unausgesprochene Vorurteile und übertreibende bzw. verzerrende Schaubilder,
Grafiken und Fotos verzichten – auch wenn dies auf Kosten der Sensationslust
ihrer Konsumentinnen geht.
Einwanderer und Flüchtlinge sollten in Fernsehserien, in Fernseh- und
Spielfilmen, in der Werbung und in den Zeitungsberichten als normale
Bestandteile der Berichterstattung einbezogen werden. Das baut Vorurteile ab
und hilft, die deutsche Bevölkerung einen anderen Blick auf diese
Personengruppe gewinnen zu lassen; auch ausländische und (auf Deutsche) ‚fremd
wirkende‘ Journalistinnen und Journalisten sollten stärker in Erscheinung
treten. Der Alltag von Einwanderern und Flüchtlingen sollte ein
selbstverständlicher Teil in den Programmen und den Zeitungen sein. So kann
deutlich werden, daß sie keineswegs als Ursache unterschiedlichster
gesellschaftlicher Probleme herhalten.
Auch gibt es bei Einwanderern und Flüchtlingen selbstverständlich solche,
deren Verhaltensweisen zu anderen Wert- und Normensystemen gehören und die
vielen Deutschen als rückständig erscheinen. Und diese anderen Normen mögen
manchmal auch wenig menschenfreundlich und demokratisch erscheinen. Trotzdem
muß uns allen bewußt sein, daß auch die Berichterstattung über solche negativen
Ereignisse und Verhaltensweisen Rassismus schürt. Wir stehen hier vor einem
Dilemma, dem man aber u. E. nicht hilflos ausgeliefert ist. Als Lösung bietet
sich aus unserer Sicht folgende Verfahrensweise an:
Straftaten von Einwanderern und Flüchtlingen, über die berichtet wird,
sollten z. B. immer auf dem Hintergrund der besonderen Situation dieser
Bevölkerungsgruppe(n) in Deutschland dargestellt werden. Ist ein solcher nicht
gegeben, besteht auch keine Notwendigkeit, sie als Straftaten von Einwanderern und Flüchtlingen zu
markieren. Es handelt sich um Straftaten, punktum.[16]
Auch Hinweise auf andere Sitten und Gebräuche können dann verständlich
gemacht werden, wenn jeweils deutlich gemacht wird, daß diese bei Deutschen
niemals einheitlich waren und auch heute nicht einheitlich sind.
Unmenschliche und die Würde der Menschen verletzende Normen und Werte –
ein Beispiel, das in dieem Zusammenhang immer diskutiert wird, wäre etwa die
Blutrache – dürfen nicht bagatellisiert, sondern müssen kritisiert werden.
Damit ist der schwierigste Fall angesprochen. Denn auch dies nährt Rassismus. Dem ließe sich möglicherweise mit
einer Relativierungsstrategie entgegenwirken: Die auch bei den Deutschen zu
beobachtende Eifersucht, der gegenseitige Neid, die Neigung, für die
Todesstrafe zu plädieren, müssen als ebenso rückständige, wenn auch
sozio-historisch gewachsene Negativhaltungen dargestellt werden, die gegen
demokratische und allgemein menschliche Werte und Normen verstoßen. Das ist
sicherlich manchmal schwierig, doch mit Schwierigkeiten fertig zu werden,
gehört eigentlich zum Handwerkszeug guter Journalistinnen und Journalisten.
Wenn wir an Gegenstrategien denken, dann denken wir allerdings nicht nur
an die großen Bereiche der Medien und der Politik. Auch im Alltag kann jede/r
etwas dafür tun, daß rassistisches Un-Wissen nicht weitere Blüten treibt.
Die allgemeinste und zugleich einfachste Schlußfolgerung, die aus dem von
uns dargelegten Befund zu ziehen ist, die aber dennoch schwierig umzusetzen
ist, ist die: Keine Pauschalisierungen und Homogenisierungen.
Als ein Beispiel, daß und wie es z. B. möglich ist, eine rassistische
Ethnisierung von Sexismus im Alltag (zumindest zeitweilig) zurückzudrängen,
liefert die folgende Interview-Passage. Direkt zu Beginn des Gesprächs trägt
eine junge Frau ihre Vorbehalte gegenüber männlichen Türken folgendermaßen vor:
“Und als Kind, muß ich ganz ehrlich sagen, hab ich also ausländische
Männer, vor allen Dingen Türken jetzt, sag ich mal ... sehr gemieden,
weil da hab ich also auch... schon mal negative Erfahrungen mit gehabt, ne?”
(II/1/55-59)[17]
Die Interwieverin (bzw. die Gesprächspartnerin) veranlaßt diese Bemerkung
genauer nachzufragen. Sie will wissen, welcher Art diese Erfahrungen waren, wo
und wann die Begegnung stattgefunden hat. Dadurch kann sie die zuvor
vorgenommene Pausalisierung zurücknehmen und (sich) verdeutlichen, daß es sich
um eine einmalige Begegnung mit einem (vermutlich) türkischen Mann handelte:
“Ja, das war in H. [Stadtteil von Duisburg] damals; wir haben damals ...
gespielt; da war ... son großes Haus mit so ner Feuerleiter, sind wir immer
runtergerutscht, ... und aufer andern Seite, da war en Haus, da wohnten
vorwiegend ... Alleinstehende, auch viele Ausländer jetzt, aber auch
alleinstehende Männer im großen und ganzen, und da war eben einer, der hatte
sich dann gezeigt am Fenster und kam dann hinter- auch hinter uns her und hat
dann mit “nem Hundertmarkschein gewunken und so. Das verbinde ich
stellenweise mit ...Türken, ... nich, eh, pauschal Ausländer, aber mit
Türken jetzt, ne?” (II/1/69-82)
Diese Offenheit gegenüber falschen Verallgemeinerungen wird durch eine
zweite Nachfrage genutzt, die sich darauf richtet, ob sie solche Erfahrungen
auch schon mal mit deutschen Männern gemacht habe: Sie antwortet:
“Eh, in der Form nich, nein. ... In der Form nich. ...
Obwohl, nee, dat stimmt nich, ... dat war wohl schon mal in “ner Telefonzelle,
da hat sich nämlich auch schon mal einer gezeigt, aber ... da war ich, glaub
ich, noch jünger, da kann ich mich gar nich mehr so richtig dran erinnern.”
(II/1/93-102)
Es wurde also nicht verstärkend nachgefragt, etwa, ob sie eine solche
Erfahrung auch schon mit Italienern gemacht habe, sondern die Erfahrung
sexueller Nötigung wurde in den Kontext der BRD-Gesellschaft gestellt. Deshalb
kann die junge Frau nun darüber nachdenken und ihre vorherige Verallgemeinerung
dadurch zurücknehmen, daß sie sich – wenn auch nur dunkel – an einen Vorfall
mit einem deutschen Mann erinnert.
Hieraus lassen sich zwei Schlußfolgerungen ziehen. Erstens: Es kann
sinnvoll sein, sich durch konkretes Nachfragen im Gespräch der “Einmaligkeit”
der eigenen Erfahrungen zu vergegenwärtigen, um vorgenommene falschen
Verallgemeinerungen sichtbar zu machen und aufzulösen. Zweitens: Es kann
sinnvoll sein, die Erfahrung in einen anderen gesellschaftlichen Kontext zu
stellen. Im diesem Falle gelang dies dadurch, daß der Standort der Perspektive
gewechselt wird: der angesprochene Sexismus von Einwanderern wurde nicht aus
der Perspektive der “Eingeborenen‘, sondern aus der Perspektive einer Frau
(oder eines Mannes) thematisiert. So können Bornierungen und falsche
Verallgemeinerungen sichtbar gemacht werden.
Rassismus ist ein Produkt der “gemeinsame Arbeit an Sprache”, d.h. er
kann auch dann Wirkung entfalten, wenn die Gesprächsteilnehmerinnen nicht reagieren, wenn sie nicht
widersprechen und stillschweigend über rassistische Äußerungen hinweggehen.
Deshalb ist Widerspruch angesagt. Das bedeutet, es sollte in Gesprächen darauf
hingewiesen werden, daß zwischen den Beteiligten kein Einvernehmen herrscht. Das ist sicher im Einzelfall nicht
immer einfach und erfordert auch ein gewisses Maß an Konfliktfähigkeit und
Zivilcourage. Häufig reicht es auch schon aus, wenn klar gesagt wird, daß man
in diesem Punkte nicht konform geht. Es ist dann nicht unbedingt notwendig, den
anderen von der Richtigkeit der eigenen Position überzeugen zu müssen. Es
reicht, wenn deutlich wird, daß es in diesem Falle auch andere Auffassungen
gibt. Das bedeutet, wenn in Alltagsgesprächen genau markiert wird, was Konsens
bzw. vor allem, was Dissens ist, können rassistische Effekte minimiert werden.
Dies wiederum erfordert jedoch ein hohes Maß an Konzentration auf die Gespräche
und eine Klarheit der Argumentation, die man gerade in Alltagssituationen
häufig deshalb scheut, weil man dem Gesprächspartner nicht zu nahe treten
möchte. Hier sind sprachliche Möglichkeiten auszuloten, die nicht verletzen, es
aber trotzdem möglich machen, klar und deutlich zu sagen, was gemeint ist.
Spielerische Versuche, solche Alltagssituationen vorwegzunehmen, um dann
angemessen reagieren zu können, halten wir durchaus für sinnvoll.
Bei all dem gilt: moralisierende Ansprachen überzeugen wenig. Sie haben
eher zur Folge, daß die diskursiven Effekte nur ironisiert werden: Einwandererinnen sind keine Engel, ebensowenig wie
dies Bürgerinnen und Bürger deutscher Herkunft sind. Solche Moralisierungen
sind häufig (ungewollt) von positivem Rassismus begleitet. Werden Einwanderer
zu Idealgestalten hochstilisiert, werden sich die rassistischen Vorurteile
dadurch Bahn brechen, daß sich solche positiven Rassismen an der Wirklichkeit
blamieren.
Ebensowenig dürfte eine nur rationale Kritik und das formale Aufarbeiten
von Widersprüchen innerhalb der Argumentation besonders wirkungsvoll sein. Es
hat sich gezeigt, daß Widersprüche so zugedeckt werden, wie es den am Diskurs
Beteiligten gefällt.
Demgegenüber scheint es eher sinnvoll zu sein, den Blick auf die Vorteile
zu richten, die mit einer demokratischen Umgangsweise für jeden einzelnen
verbunden sind. Damit sind nicht nur die Vorteile für durch Ausgrenzung
diskriminierte Personen gemeint. Daß sich durch einen Abbau völkischer,
insbesondere rassistischer und ethnozentristischer Vorurteile im
Einwanderungsdiskurs für diese Personen Vorteile in ihrer Lebenslage und in
ihrem Lebensgefühl ergeben, bedarf keiner großen Erklärung.
Unseren Beitrag zu dieser Arbeit sehen wir auch darin, die Widersprüche
und die demokratischen Potentiale herauszuarbeiten und zu benennen, die dabei
helfen können, daß die Menschen ihre völkisch geprägten Auffassungen überwinden
können.
Deutlich zu machen, daß diejenigen, die völkisch argumentieren, sich
dabei selbst Schaden zufügen, ist schon komplizierter: Ein positives Beispiel,
wie z. B. eine rassistische Ethnisierung (z. B. von Sexismus) zurückzudrängen
ist, liegt aus unserer Sicht mit dem Ausstellungskatalog von Meral Akkent und
Gaby Franger “Das Kopftuch / Basörtü. Ein Stückchen Stoff in Geschichte
und Gegenwart / Gecmiste ve Günümüzde Bir Parca Kumas” vor. Sie stellen dort u.
a. Frauen vor, die ihre Gefühle schildern, die sie mit dem Tragen ihres
Kopftuches verbinden. Als erste erhält die Deutsche Margarete Erber aus
Neunkirchen in Oberfranken das Wort. Der/die Leserin ist zunächst verblüfft: Denn das Kopftuch wird im Diskurs vor
allem mit Einwanderinnen, besonders mit Türkinnen, in Verbindung gebracht.
Freundlich und dennoch bestimmt wird in diesem Buch auf bornierte
Wahrnehmungen von Eingeborenen hingewiesen. Den beiden Verfasserinnen gelingt
es, dem/der Leserin ein Gefühl von
Freude bei der Entdeckung eigener Bornierungen und Unwissenheiten zu
vermitteln; es entsteht eine neugierige Lust auf Mehr. Das alles geschieht ohne
den berüchtigten erhobenen Zeigefinger! (Vgl. Akkent/Franger 1987.)
Zu denken ist auch an eine Diskursstrategie, wie sie in den Texten des
Sängers Udo Lindenberg sehr häufig und wirkungsvoll verfolgt wird. Udo
Lindenberg nimmt ganz bewußt die hegemonialen Symbole auf die Schüppe und
karikiert sie. Z. B. sitzen in seinen symbolischen Booten nicht die
Etablierten, sondern die Ausgeflippten und Marginalisierten dieser
Gesellschaft. (Vgl. Hippler/Lindzus 1985.)
Solche alternativen Diskursstrategien zu entwickeln, halten wir für
ausgesprochen sinnvoll. Sie können die Widersprüche und Potentiale
bereitstellen, mit denen den gefährlichen Erbschaften aus dem Faschismus und
der Restauration rechten Denkens begegnet werden kann.
Wir gehen also nicht davon aus, daß Rassismus eine notwendige
Begleiterscheinung des Kapitalismus ist, auch wenn dieser sich den Rassismus
zunutze machen kann. Auch in wie auch immer begrenzt demokratisch verfaßten
kapitalistischen Gesellschaften läßt sich das falsche Wissen, das den Rassismus
ausmacht, zurückdrängen, so lange dieser auf Demokratie angewiesen ist. Die
Hermetik der Ideologie totalitärer Regime, die Victor Klemperer in seiner LTI
und in seinen Tagebüchern so eindrucksvoll beschrieben hat, ist in demokratisch
verfaßten Gesellschaften nicht in gleichem Maße gegeben, auch wenn neuere
Tendenzen der Entpluralisierung zu denken geben.
Literatur
Akkent, Meral / Gaby Franger 1987: Das Kopftuch/Basörtü. Ein Stückchen
Stoff in Geschichte und Gegenwart / Gecmiste ve Günümüzde Bir Parca Kumas,
Frankfurt
Bollenbeck, Georg 1994: Siegfriedlinie gegen den Wertezerfall,
schrägstriche 12, S. 19-21
Bubis, Ignatz 1995: "Ich kann nicht sagen, ich bin ein cooler
Typ." Ignatz Bubis über seine Rolle im Gedenkjahr 1995, seine Präsenz in
den Medien und – natürlich – den Rechtsradikalismus in Deutschland, Frankfurter Rundschau vom 23.2.1995, S.
1 und 7
Cleve, Gabriele 1997: Völkisches Denken im Alltag, in: Disselnkötter /
Jäger / Kellershohn / Slobodzian (Hg.) 1997, S. 244-260
Dietzsch, Martin 1988: Zwischen Konkurrenz und Kooperation.
Organisationen und Presse der Rechten in der Bundesrepublik, in: Jäger, Siegfried
(Hg.) 1988, S. 31-80
Disselnkötter, Andreas / Siegfried Jäger / Helmut Kellershohn / Susanne
Slobodzian (Hg.) 1997: Evidenzen im Fluß, Demokratieverluste in Deutschland,
Duisburg
Faber, Richard (Hg.) 1991: Konservatismus in Geschichte und Gegenwart,
Würzburg
Franck, Norbert 1994: Annehmen oder ignorieren. Die Debatte über “Nation”
und “nationale Identität” zieht Kreise, schrägstriche, Zeitschrift für
bündnisgrüne Politik 12, S. 18
Fröchling, Helmut 1996: Die ideologischen Grundlagen des Rechtsextremismus.
Grundstruktur rechtsextremistischer Weltanschauung. Politischer Stil,
Strategien und Methoden rechtsextremer Propaganda, in: Mecklenburg, Jens (Hg.)
1996, S. 84-123
Geißler, Heiner 1994: Im Gespräch mit Gunter Hofmann und Werner A.
Perger, München
Gerhard, Ute 1992: Wenn Flüchtlinge und Einwanderer zu Asylantenfluten
werden - zum Anteil des Mediendiskurses an rassistischen Pogromen, in: Jäger /
Januschek (Hg.) 1992, S. 163-178
Gessenharter, Wolfgang / Helmut Fröchling 1996: Neue Rechte und Rechtsextremismus
in Deutschland, in: Mecklenburg, Jens (Hg.) 1996, S. 550-571
Hippler, Gregor / Helmut Lindzus 1985: "Randale im Kopf" oder
wie Udo Lindenberg die hegemoniale Kollektivsymbolik aus den Angeln hebt,
kultuRRevolution 8 (1985), S.60-62
Holzkamp, Klaus 1994: Antirassistische Erziehung als Änderung
rassistischer 'Einstellungen'? - Funktionskritik und subjektwissensschaftliche
Alternative, in: Jäger (Hg.) 1994, S. 8-29
Jäger, Margret 1996a: Fatale Effekte. Die Kritik des Patriarchats im
Einwanderungsdiskurs. Duisburg
Jäger, Margret 1996b: Fatale Effekte. Die Kritik des Patriarchats im
Einwanderungsdiskurs. Materialband, Duisburg
Jäger, Margret / Gabriele Cleve / Ina Ruth / Siegfried Jäger 1998: Von
deutschen Einzeltätern und ausländischen Banden. Medien und Straftaten. Mit
Vorschlägen zur Vermeidung diskriminierender Berichterstattung, Duisburg
Jäger, Margret / Siegfried Jäger 1999: Gefährliche Erbschaften. Die
schleichende Restauration rechten Denkens, Berlin
Jäger, Siegfried 1992: BrandSätze. Rassismus im Alltag, Duisburg (4.
Auflage 1996)
Jäger, Siegfried / Dirk Kretschmer / Gabriele Cleve / Birgit Griese /
Margret Jäger / Helmut Kellershohn / Coerw Krüger / Frank Wichert 1998: Der
Spuk ist nicht vorbei. Völkisch-nationalistische Ideologeme im öffentlichen
Diskurs der Gegenwart, Duisburg
Jäger, Siegfried (Hg.) 1988: Rechtsdruck. Die Presse der Neuen Rechten,
Berlin/Bonn
Jäger, Siegfried (Hg.) 1994: Aus der Werkstatt: Antirassistische Praxen.
Konzepte - Erfahrungen - Forschungen, Duisburg
Jäger, Siegfried / Franz Januschek (Hg.) 1992: Der Diskurs des Rassismus.
Ergebnisse des DISS-Colloquiums im November 1991, Oldenburg (=Osnabrücker
Beiträge zur Sprachtheorie 46)
Kellershohn, Helmut (Hg.) 1994: Das Plagiat. Der Völkische Nationalismus
der Jungen Freiheit, Duisburg
Klemperer, Victor 1987: LTI. Notizbuch eines Philologen, 4. Auflage, Köln (zuerst
1947)
Klemperer, Victor 1995a: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten.
Tagebücher 1933-1941 und 1942-1945, Berlin
Klemperer, Victor 1995b: Und so ist alles schwankend. Tagebücher Juni bis
Dezember 1945, Berlin
Leggewie, Claus 1991: Rechts, ganz rechts - und die Ma-o-am-Partei. Die
Lage(r) der Union, in: Faber (Hg.) 1991, S. 85-93
Lohmann, Hans-Martin (Hg.) 1994: Extremismus der Mitte. Vom rechten
Verständnis deutscher Nation, Frankfurt/M.
Mecklenburg, Jens (Hg.) 1996: Handbuch Deutscher Rechtsextremismus,
Berlin
Pflüger, Friedbert 1994: Deutschland driftet. Die Konservative Revolution
entläßt ihre Kinder, Düsseldorf
Schäuble, Wolfgang 1994, Und der Zukunft zugewandt, Berlin
Scholz, Rupert 1994: Kopf hoch, Deutschland! Rheinischer Merkur vom
28.10. 1994 (Rezension zu Schwilk/Schacht (Hg.) 1994)
Schwilk, Heimo / Ulrich Schacht (Hg.) 1994: Die selbstbewußte Nation,
Frankfurt M./Berlin
Seitz, Norbert 1994: Als Rudolf Augstein 70 wurde ..., in: Lohmann (Hg.)
1994, S. 168-179
[1] Die
folgenden Ausführungen fussen auf eine umfangreiche Untersuchungsarbeit, die
wir im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung seit Jahren
durchgeführt haben. Das Ergebnis dieser Untersuchung haben wir in Jäger/Jäger
1999 ausführlicher dargestellt.
[2] Vgl.
hierzu etwa schon Jäger (Hg.) 1988, 1989 sowie Fröchling 1996,
Gessenharter/Fröchling 1996, sowie insgesamt Mecklenburg (Hg.) 1996, Kellershohn
(Hg.) 1994 und immer noch zutreffend Dietzsch 1988.
[3] Vgl.
hierzu auch die Ergebnisse eines vom DISS durchgeführten Projekts, in dem
Vorhandensein und Formen “völkisch-nationalistischer Ideologie-Elemente” im
derzeitigen Politik-, Medien- und Alltagsdiskurs untersucht wurden. (S. Jäger
et al 1998)
[4] Das
Konzept des völkischen Nationalismus, aus dem heraus diese Vorstellungen
resultieren, wird bei Kellershohn 1994 entwickelt. Er geht davon aus, daß alle
Bestandteile des völkischen Nationalismus von der Idee einer nach völkisch /
rassischen Kriterien homogenisierten Nation durchzogen sind.
[5] Von
Alfred Mechtersheimer und seiner Rede wird im weiteren deshalb noch häufiger
die Rede sein, weil er im rechtsextremen Lager zur Zeit eine wichtige Funktion
einnimmt. Er ist in der Lage, die verschiedenen politischen Lager anzusprechen
und zu orientieren. Das zeigt nicht nur, daß seine Rede nicht im Republikaner
dokumentiert wurde, sondern im Konkurrenzblatt Europa vorn. Es zeigt sich auch
daran, daß seine Thesen sich teilweise sogar wörtlich auch in anderen
rechtsextremen Gazetten wiederfinden.
[6] Auch
Franz Schönhuber, der ehemalige Vorsitzende der Republikaner, wird im folgenden
noch häufiger zitiert. Er ist im rechtsextremen Lager deshalb von Bedeutung,
weil seine Mischung “aus Rechtspopulismus, rassistischen Ressentiments,
antisemitischen Anspielungen und Nationalismus” (Mecklenburg (Hg.), 525) dieses
Lager zusammenbindet und sich dabei gleichzeitig in Distanz zur bürgerlichen
Politik hält, ohne den Bezug darauf zu verlieren.
[7] Den
Begriff “Einstellung” verstehen wir nicht sozial-psychologisch. Wir teilen die
Kritik von Klaus Holzkamp und anderen, daß eine Reduzierung von ‚Rassismus' auf
‚Einstellungen', ‚Vorurteile' o.ä. die gesellschaftliche Dimension des
Rassismus psychologisiert und individualisiert. (vgl. Holzkamp 1994, 9)
[8]
Hintergrundfolie einer solchen Auffassung ist dabei der bereits angesprochene
Völkische Nationalismus, der das Volk zu einem Kollektiv-Subjekt erhöht und
daraus folgernd die Volksgemeinschaft als vorrangig vor allen besonderen
gesellschaftlichen Interessen positioniert.
[9] Bereits
der Terminus “Ausländerkriminalität” verweist auf einen rassitisch
strukturierten Deutungszusammenhang. Er suggiert, daß die Kriminalität dieser
Personen etwas mit ihrer nationalen Herkunft zu tun habe.
[10] In
diesem Zusammenhang sind die Ergebnisse einer Untersuchung des Instituts
Infratest/dimap besonders alarmierend, die von April bis August 1998 erhoben wurde.
Danach ist das rechtsextreme Wählerpotential unter Gewerkschaftsmitgliedern
ausgeprägter als bei Nichtorganisierten. Auf die Frage “Können Sie sich
vorstellen, bei der Bundestagswahl im September die Republikaner, die DVU oder
die NPD zu wählen?” antworteten 11% der Gewerkschaftsmitglieder mit “Ja,
sicher” oder “Ja, vielleicht” gegenüber 8% der Nicht-Organisierten. Besonders
ausgeprägt scheint die Zustimmung bei
arbeitslosen Gewerkschaftsmitgliedern zu sein: 20% können sich vorstellen,
rechtsextrem zu wählen.
[11] Als ein
Beitrag zu dieser Arbeit kann man z. B. die vielbändige, von Gerd-Klaus
Kaltenbrunner herausgegebene rechts-konservative Herder-Bücher-Initiative
verstehen.
[12]
Augsteins Artikel sollte nicht als Ausrutscher eines alten Zynikers mißzuverstanden
werden. Daß er seit langem revisionistische Optionen vertritt, wenn auch unter
dem Deckmantel pragmatischer Realpolitik, zeigt z. B. die Darstellung von Seitz
1994.
[13] Dieser
Essay wurde zum Leitartikel in dem neo-konservativen Manifest von Heimo Schwilk
und Ulrich Schacht gemacht (Schwilk/Schacht (Hg.) 1994), einem Buch, das
wiederum von Rupert Scholz, dem ehemaligen Verteidigungsminister, im
“Rheinischen Merkur” vom 28.10.1994 euphorisch besprochen wurde.
[14] Vgl.
hierzu u.a. Jäger et al 1998, sowie Jäger/Jäger 1999, 103-187
[15] Vgl.
hierzu Jäger 1992, M.Jäger 1996, sowie Cleve 1997
[16] Zusammen
mit einer Arbeitsgruppe haben wir 1998 im Anschluß an einer Studie zur
Kriminalitätsberichterstattung in den Print-Medien, Vorschläge zu entwickeln,
wie Journalistinnen und Journalisten mit dem in der Tat nicht einfach zu
lösenden Problem der Berichterstattung über Straftaten von Einwanderern umgehen
können. Diese Vorschläge haben wir in mehreren Diskussionsrunden mit
Journalistinnen und Journalisten kritisch hinterfragt und modifiziert. Sie
verstehen diese Vorschläge als Anregungen, die in den Redaktionen und in der
Ausbildung von JournalistInnen hoffentlich aufgenommen und weiterentwickelt
werden. Vgl. eine erste Fassung in M. Jäger / Cleve / Ruth / Jäger 1998.
[17] Dieses
Interview ist nachzulesen in Jäger 1996b
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