Andreas Foitzik, Rudolf Leiprecht, Athanasios Marvakis, Uwe Seid (Hrsg.):
"Ein Herrenvolk von Untertanen"
Rassismus - Nationalismus - Sexismus
Birgit Rommelspacher
Rechtsextremismus und Dominanzkultur
Die sozialwissenschaftliche Diskussion um Nationalismus
und Rassismus in unserer Gesellschaft hat ihre Zielgruppe gefunden: Es sind
die rechtsextremen männlichen Jugendlichen, um die die wesentlichen Analysen
kreisen. Das ist für mich bis zu einem gewissen Grad ein Ablenkungsmanöver.
In der Konzentration auf diese Gruppen wird verschleiert, daß wir alle in
einer rassistischen Gesellschaft leben, d.h. daß sich der Reichtum unserer
Gesellschaft auf die Ausbeutung von Menschen aus andern Ländern stützt und
zur Legitimation dieser Ausbeutung diese Menschen abgewertet und ausgegrenzt
werden.
Mit diesen Analysen wird der Blick verstellt, daß Rechte
wie Linke, Konservative wie Liberale, Feministinnen wie Umweltschützer, Mächtige
wie Machtlose rassistisch orientiert sind, wenn sie in dieser Gesellschaft
aufgewachsen sind und nicht gelernt haben sich bewußt davon zu distanzieren.
Auf diese Tatsache zielt der Begriff der Dominanzkultur ab.
Es ist auffällig wie sehr sich die Analysen zur Erklärung
des Rechtsextremismus gleichen (Ich beziehe mich vor allem auf Heitmeyer 1989,
Funke 1989 und Leggewie 1989 und hier vor allem auf die Aussagen zum
Rassismus, denn der hier auch wirksame Sexismus wird so gut wie nie
untersucht.).
Der Begriff der Risikogesellschaft (Beck, 1986) ist die
Zauberformel. Damit scheint alles erklärt zu sein. Gemeint ist damit, daß
die klassische Industriegesellschaft ihrem Ende zugehe und von einer
Gesellschaft abgelöst werde, in der die Risikoproduktion die
Reichtumsproduktion dominiere und in der die klassischen Werte von
Fortschritt, Leistung, Natur, Wirklichkeit und wissenschaftlicher Erkenntnis
obsolet geworden seien. Die Modernisierungsrisiken prägten unsere gesamten
Lebensumstände, da sie irreversibel die Existenz von Pflanze, Tier und Mensch
gefährdeten.
So leuchtet ein, daß besonders für Jugendliche das
einfache und eindeutige Weltbild der Rechten gegenüber den Unwägbarkeiten
der Zukunft und den Spannungen unsichtbarer Gefahren und unüberschaubarer
Risiken verlockend ist. Ebenso plausibel klingt es, daß Arbeiter, die von
Deklassierung bedroht sind und keinen Halt mehr in einem gewachsenen
Arbeitermilieu finden, für autoritär nationalisierende Ideologien anfällig
sind.
Diese Analysen sehen in rechtsextremen Ideologien eine Art
Therapeutikum für die Lösung schwerer Spannungen, Ängste und Konflikte.
Damit koppeln sie sich ab von der Frage nach den hier auch wirksamen
materiellen Interessen und Machtdifferenzen. So wird nicht gefragt, auf wessen
Kosten die Probleme 'gelöst' werden. Nur der Rechtsextreme mit seiner
Problematik bleibt im Blick. So wird er unversehens vom Täter zum Opfer.
Solche Analysen erinnern unwillkürlich an das Kernstück
patriarchaler Argumentationskunst, in dem die Ungleichheit zwischen den
Geschlechtern nicht wahrgenommen und die Privilegierung und Vorteilnahme von Männern
geleugnet wird. Auch hier werden die Ursachen männlicher Dominanz und Gewalt
immer in den bedauernswerten sozialen Verhältnissen oder persönlich
tragischen Biographien gesucht. Männer werden so gleichermaßen wie Frauen zu
Opfern, wenn sie nicht gar die eigentlichen Opfer sind.
Das Bedürfnis zur Täterentlastung versteigt sich gar so
weit, rechtsextreme Gewalttäter oder Gewaltbefürworter nicht nur zu Opfern
widriger Umstände und bedauerlicher Verhältnisse zu machen, sondern sogar
ihr Gewalthandeln gegenüber Schwächeren zum Widerstand gegen soziale
Ungerechtigkeit hochzustilisieren. So spricht etwa Hajo Funke in seiner
Analyse der Potentiale von Rechtsextremen vom 'Aufstand der
Modernisierungsopfer' (1989, S. 116). Sein ganzes Buch ist durchzogen von
Hinweisen auf soziale Mißstände und politische Versäumnisse, auf die
desolate Situation der Zukurzgekommenen. Lediglich an einer Stelle erwähnt
er, daß ein Motiv deutscher Facharbeiter, die Republikaner zu wählen, wohl
darin liege, daß sie ihre Privilegien absichern wollten. In einem
Zeitungsartikel räumt er ein, daß ein Gutteil der Wähler aus dem kleinbürgerlichen
Milieu sogar unterdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen und nicht
unmittelbar sozial bedroht sei. Aber, so fährt er fort, "sie sehen für
sich keine Verbesserungsperspektiven und ihre Aufstiegs- und Veränderungsperspektiven
gelten als nicht veränderbar. Subjektiv sehen sie sich bedroht und durch
Ordnung, Sauberkeit und Nationalstolz sicher" (FR 6.4.1989). Auch bei den
deutschen Beamten fällt es ihm sichtlich schwer, sie in das Bild des
Deklassierten zu pressen. So wird flugs das Problem der Steuer- und
Gesundheitsreform aus der Tasche gezaubert. Bei den Bauern muß die Bedrohung
durch die Europäische Gemeinschaft herhalten.
Wir sind eine der reichsten Nationen der Welt. Muß hier
die Argumentation mit der Armut nicht als zynisch gelten? Wir wissen, daß bei
allem Reichtum die Widersprüche innerhalb unserer Gesellschaft wachsen und
vor allem die Armut bestimmter Bevölkerungsgruppen größer wird. Aber
diejenigen, die am meisten von Armut und anderen Lebensrisiken betroffen sind,
wählen, wie wir sehen werden, nicht häufiger 'Republikaner' als die
Gutsituierten. Das gilt in besonderer Weise für Frauen.
a) Zunächst zur Ökonomie:
Sollte die Neigung zu rechtsextremen Orientierungen mit
Verarmung zusammenhängen, mit Wohnungsnot und Arbeitsplatzunsicherheit, so
ist zuerst die Gegenfrage zu stellen, ob auch die Umkehrung stimmt, d.h. ob
das Vorhandensein dieser Güter vor Rechtsextremismus schützt. Die Empirie
zeigt (Infas Studie, H. Däubler-Gmelin und K. Kieler, 1989): Republikaner-WählerInnen
verteilen sich gleichmäßig über alle Einkommensschichten. Wohnungs- und
Hausbesitz ist sogar etwas überrepräsentiert. Republikaner-Sympathisanten
sind mit ihrer wirtschaftlichen Lage zufriedener als Wähler von SPD und Grünen.
Sie sind sogar optimistischer als alle anderen Wähler, wenn sie die künftige
wirtschaftliche Lage vorhersagen sollen. Das ökonomische Argument ist daher
wenig stichhaltig.
Heitmeyer (1989) selbst zitiert eine Reihe von
Untersuchungen, die belegen, daß ökonomische Bedrängnis weder durch
Arbeitslosigkeit, noch allgemein im Sinne von niedriger Schichtzugehörigkeit
für rechtsextremes Verhalten prädestiniert. Rechtsextreme Jugendliche kommen
eher aus dem mittelständischen Milieu, und Heitmeyer stimmt Blinkert darin
zu, daß der Zusammenhang von Schichtzugehörigkeit und Autoritarismusneigung
eher ein Mittelschichtsvorurteil sei (S. 108).
Eindrucksvoll bestätigt wird dies auch durch eine neue
Untersuchung von Held, Horn, Leiprecht und Marvakis (1991) zur politischen
Orientierung jugendlicher Arbeitnehmer. Die Forscher haben in einer regional
repräsentativen Studie "Jugend 90" 314 jugendliche Arbeitnehmer
befragt und sie je nach sozioökonomischem Hintergrund (d.h. Schulabschluß,
Lehrstelle, Zugehörigkeit zu prosperierenden Betrieben, Wohnsituation etc.)
in Benachteiligte und Nicht-Benachteiligte aufgeteilt und festgestellt, daß
die Benachteiligten hoch signifikant weniger ausländerfeindlich sind als die
Nicht-Benachteiligten. Sie sprechen bezüglich des Rassismus der
Nicht-Benachteiligten m.E. zu Recht von einem
"Wohlstandschauvinismus", d.h. die Gewinner der gesellschaftlichen
Modernisierung sind in erster Linie diejenigen, die ausgrenzen und nicht
bereit sind, andere am Wohlstand teilhaben zu lassen, und nicht die Verlierer.
b) Zum zweiten Risikobereich, dem Verlust sozialer
Bindungen:
Zweifellos können wir einen fortschreitenden
Individualisierungsprozeß in unserer Gesellschaft beobachten, der etwa allein
schon an der Zunahme von Einpersonenhaushalten abzulesen ist. In West-Berlin
stellen diese mehr als die Hälfte aller Haushalte. Unbestritten ist auch, daß
die damit einhergehende Vereinzelung zahllose psychische und soziale Probleme
mit sich bringt. Die fortschreitende Durchkapitalisierung aller
Lebensbereiche, die von jedem/r höchste Mobilität verlangt, wird für diesen
Individualisierungsschub verantwortlich gemacht.
Bei dieser Analyse bleibt jedoch die subjektive aktive
Aneignung des Individualisierungsprozesses außen vor. Wieviele Frauen werten
die Zunahme der Scheidungsziffern nicht nur als Indiz für Zerfallsprozesse,
sondern mindestens ebenso als Indiz für eine gewachsene Selbstbestimmung der
Frau. Wieviele Jugendliche, aber auch alte Menschen suchen sich eine eigene
Wohnung, weil sie die soziale Kontrolle und auch Gewalt in ihren Familien
nicht mehr aushalten? In den vorliegenden Analysen wird Individualisierung
nahezu ausschließlich als Risiko gewertet, nicht aber auch als Befreiung.
Frauen können diese einseitige Wertung sicherlich nicht so leicht
nachvollziehen. Auch sie leiden unter Vereinsamung und Isolation. Sie wissen
aber oft genug, welchen Preis sie für eine 'heile Familie' zu zahlen hatten.
Demgegenüber erfahren Männer die Auflösung der Familie offensichtlich
vorwiegend als Fortfall von sozialer Sicherheit und Versorgung.
Eine Ungereimtheit bei dieser Analyse ergibt sich daraus,
daß einerseits Autonomie und Unabhängigkeit zentrales Entwicklungs- und
Erziehungsziel sind, andererseits aber beklagt wird, daß die sozialen
Zusammenhänge immer mehr verloren gehen. Es muß ein Rätsel bleiben, wie
soziale Netze geknüpft werden sollen, wenn alle Individuen sich im
wesentlichen um Unabhängigkeit bemühen. Wie kann man die Auflösung sozialer
Beziehungen beklagen, wenn gleichzeitig im Subjektverständnis des Individuums
keine soziale Identität, keine Verantwortlichkeit für andere und Abhängigkeit
von anderen mitgedacht wird? Für Heitmeyer etwa ist Autonomie nur insoweit
'relational', als sie von anderen eingeschränkt werden kann. Die Verankerung
einer solchen Subjektauffassung im Selbstverständnis des bürgerlichen weißen
Mannes ist von der feministischen Forschung bereits ausführlich und breit
dargelegt worden. Insofern überrascht es nicht, wenn Heitmeyers Analyse in
der Forderung mündet: Die Familie möge ein Netz sein, aber nicht fesseln (S.
119). Der Traum jeden Mannes in unserer patriarchalen Gesellschaft: keine
Verpflichtung, keine Einschränkung, keine Verantwortung. Aber die Familie sei
ihm immer eine Stütze in der Not.
Die Individualisierungsthese im Zusammenhang mit
Rechtsextremismus erweist sich als unhaltbar, denn Heitmeyer muß, wie er
selbst sagt, immer wieder 'irritiert' feststellen, daß Jugendliche mit
autoritär-nationalistischen Orientierungen sich überwiegend in für sie
befriedigenden Interaktionskontexten befinden und sich sozial integriert fühlen.
Das bestätigen auch die Tübinger Untersuchung und die oben zitierte
Infasstudie (1989), bei der auch Gewerkschaftszugehörigkeit und Zugehörigkeit
zu den Kirchen kein Hindernis für Republikanersympathien darstellen.
Wenn, wie W. Heitmeyer und K. Möller (1989) schreiben,
die Schattenseite der Individualisierung im "Verlust an
Gemeinschaftlichkeit" zu sehen ist; darin, daß die "gegeneinander
abgeschotteten Privatexistenzen immer weniger einen gemeinsamen Besitz an übergreifenden
kollektiven Erfahrungs- und Denksystemen" (S. 26) haben, so ist doch
besonders als Deutsche/r die Frage zu stellen, ob denn diese "naturwüchsigen
Medien der Vergemeinschaftung" und "traditionellen Wertsysteme"
uns je vor rechtsextremem Denken geschützt haben? Es bedarf schon einer
unverfrorenen Geschichtsabstinenz, um in Deutschland diese Werte in solch
unkritischer Weise positiv zu besetzen.
c) Schließlich noch die globalperspektivischen Risiken: Die
grundlegende Verunsicherung aufgrund der allseitigen ökologischen Katastrophe
Die Moderne hat uns, laut Beck (1986), Risiken ganz
anderer Größenordnungen beschert, als sie je zuvor erfahren wurden. Es sind
die unsichtbaren, globalen, selbstproduzierten ökologischen Katastrophen, die
die Ausnahme zum Normalzustand machen. Es kann hier nicht darum gehen, die
Destruktivität der derzeitigen Industriegesellschaft, ihre letale Potenz zu
leugnen. Es muß aber darum gehen die 'egalisierende' Funktion dieser
Dramatisierung herauszuarbeiten, die die gleichzeitige Vorteilnahme und
Privilegierung verleugnet. In der Klage um die Globalität der Risiken geht
das Ausbeutungsverhältnis der reichen gegenüber den armen Ländern unter. So
sei, laut Beck, durch die Nahrungskette jede/r mit jeder/m auf der Welt verknüpft.
Und in dem Sinn sind alle gleichermaßen vom Risiko betroffen. Das Risiko
macht also nicht mehr Halt vor Nationalitätsgrenzen und Klassenschranken.
Das bedeutet für unseren Zusammenhang, daß die
Verlagerung des Problemdrucks von der Armut auf die Risikogefährdung uns
erlaubt, uns nicht weiter mit Überlegungen aufzuhalten, warum eines der
reichsten Länder der Welt eine der geringsten Aufnahmequoten für Flüchtlinge
hat. Schließlich sind wir so von den nachgewachsenen Problemen gebeutelt, daß
es allenthalben Grund genug für politische Radikalisierungen gibt, Grund
genug für Inhumanität und Arroganz.
Enthistorisierung und Entpolitisierung sind hier die
Nebeneffekte einer Defizitthese, die allein im aktuellen ökonomischen und
sozialen Problemdruck die Ursachen für Rechtsextremismus ausgemacht zu haben
glaubt. Aber, wie wir sahen, selbst der Kern der Defizitthese trägt nicht.
Wirtschaftliche Not und prekäre Zukunftsaussichten sind kein echter
Risikofaktor für rechtsextreme Sympathien. Es fragt sich also, warum diese
These so ungemein populär ist und vielen so plausibel erscheint. Das wird
dann m.E. deutlicher, wenn wir uns zunächst genauer anschauen, wie vielseitig
Rechtsextremismus und hier vor allem der Rassismus mit unserer Gesellschaft
verwoben ist.
Rechtsextremismus als Erscheinungsform einer Dominanzkultur
Obgleich Heitmeyer immer wieder darauf hinweist, daß die
von den Jugendlichen übernommenen Ideologeme im Zentrum der Gesellschaft
produziert werden, bleibt er uns die Antwort auf die Frage schuldig, warum und
wie sich die Interessen des Zentrums mit denen der Jugendlichen verknüpfen.
Worauf gründet sich die Kontinuität der Argumentation? Was verbindet die
Mentalität der Jugendlichen mit denen der Mächtigen, trotz doch so
unterschiedlicher Lebenslagen?
Den Analysen, die in rechtsextremen Orientierungen den
Wunsch nach Klärung von Vieldeutigkeiten, nach Vereinfachung aufgrund von Unübersichtlichkeit
und nach Entschiedenheit gegenüber Ambivalenzen sehen, ist sicherlich
insoweit zuzustimmen, als die auszuhaltenden Widersprüche immer eine Spannung
entfalten, die hin zu einer 'Flucht vor den Widersprüchen' (H. Heise), zu
einer Flucht in die scheinbare Sicherheit des extremen Pols drängen.
Es ist aber ein Trugschluß, von der allgegenwärtigen
Existenz von Widersprüchen auf ein spezifisches Lösungsmuster zu schließen;
hier auf die 'Lösung' der Widersprüche durch Dominanzverhalten, durch
einseitige Verfügung über andere und deren Existenzrechte. Es sind im Falle
von Konflikten durchaus andere Lösungsmuster denkbar: Unterwerfung ebenso wie
Auseinandersetzung und Kooperation in Gegenseitigkeit. Oder anders formuliert:
Es ist ein Trugschluß, das Dominanzverhalten allein mit Spannungen und
Konflikten zu erklären. Sie sind zwar notwendige, aber nicht hinreichende
Bedingungen.
In einer Gesellschaft unseres Zuschnitts werden die
Menschen im Konfliktfall ständig zu expansiven Bemächtigungstendenzen
ermuntert. Dabei unterstützen sich gegenseitig kulturelle Traditionen, ein
expansives Wirtschaftssystem und das Herrschaftsverhältnis zwischen Männern
und Frauen. Sie legen es nahe, der Verunsicherung durch Fremde qua
Hierarchisierung aus dem Weg zu gehen. Sie unterstützen Strategien der
expansiven Bemächtigung, um die eigenen Privilegien abzusichern und die
eigene Position als die einzig rechtmäßige, vernünftige und normale zu
behaupten.
1. Der Umgang mit Fremden qua Hierarchisierung
Alles Fremdartige wird im allgemeinen in unserer
Gesellschaft als Provokation empfunden, als Herausforderung der eigenen
Identität, faszinierend und Angst-machend zugleich. Um die Spannung zwischen
Selbst und Fremden zu lösen, gibt es die Möglichkeit, das Fremde qua Bemächtigung
auszuschalten oder so weit an die eigenen Vorstellungen zu assimilieren, bis
das Fremde in der Anpassung verschwindet. Es gibt die Möglichkeit, sich dem
Fremden zu unterwerfen und seine Eigenart aufzugeben. Und schließlich gibt es
die Möglichkeit, das Andere in der Gegenseitigkeit als Anderes anzuerkennen
und damit auch die Grenzen des eigenen Selbst.
Hans Jonas (1984) hat die Konfliktlösung qua
Domianzverhalten als 'Alexandersyndrom' beschrieben: Jede Grenze zu einem
neuen Land, zu einem unbekannten Territorium war für Alexander den Großen
Provokation genug, um es unterwerfen zu müssen. Er war getrieben, alles Neue
sich und seinem Reich einzuverleiben.
Dies Konfliktlösungsmuster, der Umgang mit Andersartigem
als etwas zu Unterwerfendem, hat in unserer Gesellschaft eine elementare
Quelle im Umgang mit dem Geschlechtsunterschied. Die Differenz der
Geschlechter ist die erste Begegnung mit einer prinzipiellen Andersartigkeit
von Menschen. Die Sozialisation lehrt die Jungen mithilfe aggressiver
Selbstbehauptung und Abwertung des Weiblichen ihre Männlichkeit zu beweisen.
Mädchen hingegen müssen ihre Weiblichkeit in Form von Friedlichkeit, Fürsorgeverhalten
und Selbstentwertung entwickeln. Beide lernen so mit einem Unterschied qua
Hierarchisierung umzugehen, qua Dominanz resp. Unterwerfung. Die
Hierarchisierung der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen bestätigt
diese Grundmuster immer wieder aufs Neue. Das bedeutet nicht, daß Frauen
immer unterwerfend reagieren und Männer dominant, sondern
a) daß beide qua Hierarchisierung Konflikte zu lösen
lernen. Wer sich unterwirft, der ist auch dominant. Und wer herrscht, ist auch
den Herrschenden gegenüber unterwürfig. Heinrich Mann hat diesen
Zusammenhang auf den Begriff gebracht, indem er die Deutschen im Kaiserreich
als ein 'Herrenvolk von Untertanen' charakterisierte.
b) In Bezug auf die Geschlechtsidentität ist dominantes
bzw. unterwerfendes Verhalten konstituierend. D.h. Frauen gelten dann als
besonders weiblich, wenn sie Unterwerfungstendenzen zeigen. D.h. nicht, daß
sie nicht vor allem Schwächeren wie Kindern, ethnischen Minderheiten,
Hausangestellten gegenüber ebenfalls Dominanzverhalten zeigten (Zur Beziehung
von Frauen zum Rechtsextremismus vgl. Ch. Holzkamp und B. Rommelspacher,
1990).
Da Frauen aber auf den unteren Hierarchieebenen
angesiedelt sind, hätten sie sehr viel mehr Grund, sich rechtsextrem zu
verhalten als Männer. Dem aber widerspricht (teilweise) die Empirie. Die
Untersuchungen von Heitmeyer zeigen, daß die Mädchen weniger rechtsextreme
Orientierungsmuster aufweisen als die Jungen. Auch frühere Untersuchungen, so
die große Untersuchung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung (1955)
in den Nachkriegsjahren zeigt, daß Frauen deutlich weniger
ressentimentgeladen waren gegenüber Juden und Jüdinnen und die deutsche
Schuld am Weltkrieg und der Judenvernichtung eher sehen und annehmen konnten
als Männer.
Es müßte also erklärt werden, warum Frauen gleich oder
gar weniger ausgrenzend sind als Männer (ebenso wie die Benachteiligten in
der Tübinger Untersuchung).
Eine erste These ist die, daß sie als Diskriminierte
nicht nur die Unterdrückung weitergeben, sondern sich auch in die Unterdrückten
eher einfühlen und die Unmenschlichkeit mitempfinden können. Unterstützt
wird diese Bereitschaft zum Mitgefühl durch ein Konzept von Weiblichkeit / Mütterlichkeit,
das ein bedingungsloses Ja zu anderen Menschen beinhaltet, gleichgültig ob
sie den Leistungsstandards und körperlichen Normvorstellungen der
Gesellschaft entsprechen. Dieses Mitgefühl wird aber konterkariert durch die
Beschränkung der Mütterlichkeit auf den engen Bereich der eigenen Familie
oder der eigenen Nation / Rasse, die sie wiederum ängstlich, borniert und
ausgrenzend gegenüber Fremden macht (vgl. Rommelspacher, 1991).
Eine zweite These ist, daß ihre relative Distanz zur
gesellschaftlichen Machtsphäre sie kritisch werden läßt gegenüber den
herrschenden Werten und relativ unabhängig von gesellschaftlicher Belohnung
und Bestechung. Sie haben mit ihrem 'Vater'-land nicht soviel gemein wie Männer.
Sie finden sich hier nicht repräsentiert und können sich mit diesem
Staatswesen nicht so umstandslos identifizieren. Ihre Randständigkeit macht
sie aber auf der anderen Seite zugleich persönlich abhängiger vom Mann, so
daß sie 'ihm zuliebe' allzuoft die eigene kritische Distanz über Bord
werfen.
Diese Distanz und die Bereitschaft, persönliche
Verantwortung für andere zu übernehmen, die aus der Mütterlichkeit und
Beziehungsorientierung von Frauen entspringt, sie kann sich dem Kreislauf von
eigener Unterdrückung und Machtausübung sowie den Verführungen der Dominanz
entgegenstellen. Darin liegt der spezifische Verhaltensspielraum und damit
auch die Verantwortung von Frauen für eine menschliche Gesellschaft.
2. Rechtsextremismus als Verteidigung von Privilegien
Wird Rechtsextremismus als eine Form der Risikobewältigung
interpretiert, so bewegt sich auch dies Verhalten im Rahmen gesellschaftlicher
Hierarchien. Die Risiken werden auf Kosten anderer Gruppen zu minimieren
versucht. Arbeitsplatz und Wohnung sollen auf Kosten von Fremden abgesichert
werden.
Es gibt aber kein risikoloses Leben. Hinter jeder
Absicherung verbirgt sich ein neues Risiko. Jede neue Information deckt neue
Gefahren auf. Jedes gestillte Bedürfnis weckt neue Bedürfnisse. Bedürftigkeit
wird so zu einem sehr relativen Begriff. Jeder Gewinn verweist nicht nur
darauf, was ich dabei bekommen habe, sondern immer auch darauf, was ich noch
nicht habe. Die Empirie zeigt: Es sind nicht in erster Linie reale Probleme im
Sinne von Verarmung oder sozialer Verelendung, die rechtsextreme
Orientierungsmuster aktivieren. Insofern muß es sich um subjektiv
wahrgenommene Probleme handeln. Diese bemessen sich aber nicht nur daran, was
einem objektiv zum Leben mangelt, sondern auch daran, was man im Vergleich zu
andern nicht hat. Orientierungsgröße wird das subjektive Empfinden von dem,
was einem 'zusteht'. Dieser Wert ist nach oben unendlich verschiebbar.
Besitz weckt immer neue Begehrlichkeiten. Macht gebiert
immer neue Machtansprüche, zumindest in einer Gesellschaft, die auf Expansion
ausgerichtet ist. Das Kapitalistische Wirtschaftssystem hat zum Kern die
Verwertung des Wertes, die rastlose Bewegung des Gewinnens (Marx, MEW 23, S.
168). Insofern nennt Marx den Trieb der Schatzbildung von Natur aus als maßlos.
Geld ist nie im Überfluß da, es verdirbt nicht, es ist in jede Ware
umsetzbar. Und er spricht von der qualitativen Schrankenlosigkeit des Geldes,
das den Schatzbildner stets zurück zur Sisyphusarbeit der Akkumulation
treibt: "Es geht ihm wie dem Welteroberer, der mit jedem neuen Land nur
eine neue Grenze erobert." (S. 147, MEW 23) (Diese Formulierung ist
nahezu identisch mit der von Jonas, mit der er das Alexandersyndrom
schildert.)
Die Internalisierung dieses Prinzips nach immer mehr, nach
immer mehr Reichtum und immer mehr Absicherung für die Zukunft kann so als
Ausdruck einer Dominanzkultur gewertet werden, die die Menschen nicht dazu
animiert, sich mit dem zu begnügen, was ist. In einer solchen Kultur bedarf
es erheblicher Distanzierungsleistungen, um sich zu beschränken.
Die Verteidigung von Privilegien bedeutet jedoch nicht nur
immer weitere Expansion, sondern sie verlangt auch die ständige Absicherung
gegenüber möglichen Konkurrenten. Der exklusive Zugang zu Macht und
Ressourcen muß ständig gegen Eindringlinge verteidigt werden. So beschreiben
Norbert Elias und John Scotson (1990) in ihrer Untersuchung über Etablierte
und Außenseiter, wie allein die Tatsache des späteren Zuzugs einer Gruppe
von Arbeiterfamilien die alteingesessenen Arbeiterfamilien dazu veranlassten,
jene als moralisch und sozial absolut minderwertig wahrzunehmen. Es waren
nicht einmal ökonomische oder ethnische Unterschiede vonnöten, um unüberbrückbare
Gräben aufzuwerfen.
Denn für die Alteingesessenen ging es darum, die einmal
eingenommen Machtpositionen nicht zu verlieren oder zu teilen. Sie besetzten
alle formellen und informelle wichtigen Posten und verteidigten sie
unerbittlich gegen die Neuen. Im Zuge dieses Zusammenrückens wurden diese
zunehmend zu Fremden gemacht, verdrängte und abgewehrte Triebimpulse wurden
projektiv auf sie abgeladen: Sie waren die Unmoralischen, die Unsauberen, die
Unordentlichen, die Gefährlichen.
Dasselbe Phänomen begegnet uns zur Zeit im Zuge der
Vereinigung von Ost- und Westdeutschland. Allein die Warteschlangen vor Geschäften
provozieren Wut, Ärger und Abscheu bei den wohlhabenden Westlern. Sie sehen
ihre angestammten Rechte und den exklusiven Zugang zum Wohlstand in Frage
gestellt.
Insofern ist für mich auch der immer weiter sich
ausbreitende Nationalstolz in der ehemaligen BRD ein ganz anderer als der
anwachsende Nationalismus der ehemaligen DDR, denn der Nationalismus der
Machtlosen ist ein anderer als der der Mächtigen.
So entstand in der ehem. DDR seit der 'Wende' ein erhöhter
Identifikationsbedarf aus dem Verlust aller bisherigen Orientierungen und aus
dem Verlust von Macht und Selbstmächtigkeit. Alles, was vorher stimmte,
stimmt nicht mehr. Wo es zuvor darum ging, den eigenen Staat aufzubauen, hieß
es nun: Das könnt ihr nicht. Dieser Zustand ist mit dem vergleichbar, den
Erikson (1973) als 'Identitätsdiffusion' bezeichnet: Es zerfällt dabei das
Gefühl der Kohärenz des eigenen Ichs, erlebt als Verlust der Mitte, als
Zerfall der Kontinuität. Es entsteht ein "Gefühl, das Leben geschieht,
statt aus eigener Initiative gelebt zu werden". Und: "Leben und
Kraft scheinen da zu existieren, wo man nicht ist, während dort, wo man sich
zufällig befindet, nur Verfall und Gefahr drohen." (S. 15) Je mehr die
innere Kohärenz zerfällt, desto mehr wird die Hoffnung auf eine übergeordnete
Figur gerichtet, die alles zusammenhalten soll. Und um die Beschämung über
die Selbstentwertung zu überspielen, liegt es nahe, sich forciert mit den
jetzt Mächtigen zu identifizieren, um durch die phantasierte Teilhabe an der
fremden Macht die Kontrolle über das eigene Leben zurückzugewinnen.
Das kann allerdings nur ein Element in der Erklärung des
Rechtsextremismus in der ehemaligen DDR sein, angesichts der Tatsache, daß
dort auch bereits vor der Öffnung erheblicher Rechtsextremismus existierte
(vgl. Ködderitzsch und Müller, 1990).
Der neue Nationalismus der ehem. BRD hingegen speist sich
aus den entgegengesetzten Motiven: Die politische Neuordnung brachte ihr
erhebliche narzißtische Bestätigung. Ihr Weg erwies sich als der bessere. In
der Niederlage der Anderen spiegelte sich die Überlegenheit der eigenen
politischen Ordnung und ökonomischen Macht. Der so ausgelöste Rausch der
Selbstgerechtigkeit will nun alle Einwendungen hinwegfegen und alle historisch
überkommenen Kränkungen ungeschehen machen. Die unerträgliche Arroganz, mit
der Politiker und Wirtschaftsleute aus dem Westen mit ihren DDR Kollegen von
Anfang an umgingen, zeigte, daß der Vereinigungstaumel oft weniger dem Mitgefühl
der Befreiung der 'Landsleute' geschuldet war, als vielmehr dem Delirium der
Selbstgefälligkeit. Die eigene Überlegenheit will nun ununterbrochen neu
bestätigt werden. Die Sucht nach Anerkennung wird maßlos.
Und je pompöser der Westen seine Vorherrschaft
demonstriert, desto mehr unterhöhlt er das Selbstbewußtsein im Osten. Dies
wiederum löst dort weitere Absicherungsversuche aus, eben auch in Form eines
gesteigerten Nationalismus. Die derart selbst mit-provozierten Konsequenzen
dienen dann zur weiteren moralischen Absicherung des Westens, zum Beweis der
eigenen Überlegenheit. Ein fataler Kreislauf, der Kreislauf der Dominanz, der
durch die Entwertung der anderen immer mehr und deutlichere Beweise seiner
eigenen Überlegenheit suchen muß.
Aber in einer Dominanzkultur geht es nicht nur um die
Absicherung materieller Privilegien, sondern auch um den Erhalt eines
Selbstbildes, das diese Dominanz rechtfertigt.
3. Dominanz als Abwehr
Das Fremde konfrontiert uns auch immer mit nicht gelebten
Lebensmöglichkeiten und mit verdrängten Seiten unseres Selbst. Es zeigt uns
immer auch die Alternative: So könnte man / frau auch leben. Das kann
neugierig machen, aber auch verunsichern und ängstigen. Die Fremden zerstören
Mythen, die wir um uns selbst gesponnen haben und stören Illusionen. Die Flüchtlinge
in unserem Land etwa zerstören den Mythos, daß wir eine christliche
Gesellschaft wären, die allen Notleidenden hilft. Ebenso zerstören sie den
Mythos, daß wir unseren Reichtum allein mit unserer eigenen harten Arbeit
errungen hätten. Sie zeigen, daß es sehr viel bittere Armut auf der Welt
gibt und erinnern uns daran, daß wir einen Gutteil unseres Reichtums ihrer
Armut verdanken. Juden und Jüdinnen stören die Illusion, daß alles nicht so
schlimm war und wir Deutschen einen Schlußstrich unter die Vergangenheit
ziehen könnten (Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz).
Die Begegnung mit fremden Menschen bringt aber auch die
innere Balance der Identitätsbildung ins Schwanken. Sie stellen die Selbstzwänge,
die Anpassungsleistungen in Frage, die wir als Preis für die Zugehörigkeit
zur Gruppe zu zahlen bereit sind. In diesen Begegnungen besteht die Gefahr,
"die eigene Verhaltenssicherheit zu verlieren, die durch das Einverständnis
mit der Ordnung entstanden ist. Es wird ein Stück Lebenssinn in Frage
gestellt, die eigene Anpassung, die Arbeit, die diese Anpassung gekostet hat,
die Schmerzen, die dem Leben auch einen gewissen Sinn geben, weil man fühlt,
man hat etwas geleistet, man ist mit andern gemeinsam in einer Ordnung, diese
Schmerzen werden jetzt in Frage gestellt" (A. Kalpaka & N. Räthzel
1986, S. 164). So zwingen die Fremden zur Überprüfung eingefahrener
Verhaltensmuster sowie deren Sinn und damit der eigenen Selbst-Konstruktionen.
Und schließlich begegnet uns im Fremden zuweilen das
Unheimliche. Das, wie Freud (GW XII) in seinem gleichnamigen Aufsatz ausführt,
eigentlich begrifflich vom Heimeligen abstammt, vom Vertrauten, vom Zugehörigen.
Dies Heimelige mußte, aus welchen Gründen auch immer, heimlich werden, d.h.
verdrängt, vom Bewußtsein ausgeschlossen werden. Das Verdrängte können wir
bei uns selbst nicht mehr zulassen, so projizieren wir es auf die Fremden. Und
in den Fremden begegnen uns diese Anteile unseres Selbst, jetzt allerdings
angstbesetzt und unheimlich. So könnte die Beklommenheit, die viele Deutsche
im Umgang mit Jüdinnen und Juden befällt, Ausdruck einer Angst sein, die auf
der Verdrängung der Vertrautheit, der inneren Verwandtschaft mit den TäterInnen
beruht. Diese Verbundenheit mußte heimlich, d.h. verdrängt werden, weil mit
ihr die Bestätigung der Menschen und damit auch ihrer Taten verbunden ist.
Sie erwarten dann von den Jüdinnen und Juden, wie Jessica Jacoby und Gotlinde
Magiriba Lwanga (1990) ausführen, eine Art Absolution, eine Freisprechung von
etwas Unfaßbarem, von einer mysteriösen Schuld, einer Schuld ohne Tat.
So ist die Begegnung mit Fremden meist eine narzißtische
Kränkung, die umso stärker ausfällt, je mehr die Einzelnen der dominanten
Kultur verhaftet sind, d.h. davon ausgehen, daß sie selbst die Norm repräsentieren.
So wird unser Denken z.B. auch durch die Norm der Seßhaftigkeit bestimmt, daß
nur ein Leben in einer stabilen kontinuierlichen Umwelt psychische Stabilität
und Gesundheit garantiere. Jede größere Veränderung, jede Migration wird
als psychischer Risikofaktor, als Problem, als Abweichung gewertet. Zumindest
als Irritation: warum sind sie hier und nicht dort geblieben. Diese Irritation
wird als Legitimationsdruck an die EinwanderInnen weitervermittelt mit so
wohlmeinend klingenden Fragen wie: Woher kommst du? Warum bist du hier? Wann
gehst du wieder?
Schluß
In Anbetracht der Unbewußtheit der Dominanzattitüde, der
Selbstverständlichkeit der Privilegierung, wie sie in unser Selbstbild
eingebaut ist, wird m.E. die Popularität der Defizitthese verständlicher:
Wird der Rechtsextremismus auf bestimmte Gruppen projeziert, so etwa auf
arbeitslose männliche Jugendliche oder auf die von Deklassierung bedrohten
Arbeiter, dann kann das 'Problem' dingfest gemacht werden. Man kann sich in
der Hoffnung wiegen, 'dies Problem' mithilfe von Sozialarbeit (in diesem
Zusammenhang wird gerne eine Abenteuerpädagogik für männliche Jugendliche
empfohlen), von Wohnungsbau, Arbeitsplatzbeschaffung und nicht zuletzt
mithilfe der Polizei 'in den Griff' zu bekommen.
Die Kontinuitäten zum Zentrum der Gesellschaft und zur
Geschichte sind gekappt. Niemand, kein Sozialwissenschaftler und kein
Politiker muß sich in Frage stellen lassen. Das Ausländergesetz kann
passieren, unsere verbrecherische, antisemitische Vergangenheit kann ruhen.
In einem zweiten Entlastungsmanöver werden nun die so
identifizierten 'Täter' entschuldigt. Sie haben realiter soviel Probleme, daß
ihr Verhalten zwar zu verurteilen, gleichwohl aber auch zu verstehen ist. Alle
sind sie wieder Opfer. Auch wenn sich die Jugendlichen noch so
menschenverachtend gewalttätig und brutal ethnischen Minderheiten gegenüber
verhalten, immer steckt für die Pädagogen dahinter ein noch größeres
Problem, das dies Verhalten wenn nicht unbedingt entschuldigt, so doch
'befriedigend' erklärt.
Die Frage, die dabei aber immer auch gleichzeitig gestellt
werden muß ist allerdings, auf wessen Kosten werden diese Probleme 'gelöst'?
Warum werden immer Lösungsmuster gesucht, die auf Kosten der Schwächeren
gehen? Und was ist der Preis dieser Dominanz? Wie verknüpft sich das
Selbstbild mit der Überlegenheitspose, der Selbstgerechtigkeit, den
Projektionen, der Angst vor Fremden, der Realitätsverleugnung und der
Entfremdung von sich selbst?
Wo bleibt hier die Frage nach dem Umgang mit den eigenen
Privilegien, der sozialen Verantwortung für andere, der Fremden- und
Frauenverachtung. Und es ist letztlich eine Frage des Umgangs mit sich selbst,
denn so wie wir mit unserer Vergangenheit umgehen, wie wir das Unheimliche in
uns selbst wieder erkennen, so gehen wir auch mit den (sog.) Fremden um. D.h.
es muß der Preis der Dominanz eingeschätzt werden, d.h. der Erstarrung,
Anpassung und Selbstentfremdung, der in Kauf genommen wird, um den exklusiven
Zugang zu den Privilegien zu behalten.
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