2.     Überblick über alle Interviews:

        Kurze Inhaltsangaben[1]

Die folgenden Kurzdarstellungen dienen dem Zweck, einen Überblick über die Inhalte aller Interviews zu bieten. Sie beschränken sich auf knappe Cha­rakterisierungen der Interviewten und der wesentlichen Inhalte und Schwerpunkte der Interviews.

 

Interview Nr. 1: „Das Boot ist voll“![2]

Wenn die 52-jährige kaufmännische Angestellte mit Hauptschulabschluß, die z.Zt. arbeitslos ist, von „Ausländern“ spricht, meint sie ausschließlich Tür­ken. Diese sind in ihren Augen schmutzig, lassen Häuser verwahrlosen, ha­ben eine andere Mentalität, und sie meint, die türkische Frau sei stark be­nachteiligt.

Da „wir“ in Deutschland unter „Platznot“ leiden, sei es besser, wenn die „Aus­­län­der“ nicht hierher kommen und „den Leuten“ in ihren Ländern ge­holfen werde.

Ihre ablehnende Haltung trägt die Interviewte mit Hilfe von „Opfer-Täter-Verkehrungen“ vor: Sie sieht die Deutschen als diejenigen an, die benachtei­ligt sind, weil sie z.B. in Gebieten leben müssen, in denen viele Ausländer wohnen (1/108f.).

Ihren Urlaub, den sie in der Türkei verbracht hat und bei dem sie mit der dort herrschenden Armut konfrontiert wurde, verarbeitet sie auf folgende Weise:

... es kann nicht jeder, eh, eh, dem es in seinem Land schlecht geht, die Bun­desrepublik Deutschland als Angelhaken ergreifen und sagen, hier ist der gol­dene Westen, hier geht es mir toll, hier kann ich toll leben; ich finde es im Grunde besser, wenn man Unterstützungen gibt, daß die Leute sich in ihren eigenen Ländern wohl fühlen und daß sie in ihrem eigenen Land, eh, Lebens­bedingungen vorfinden, die, eh, so sind, daß man eben men­schenwürdig, eh, dort wohnen kann, das würde ich also eher begrüßen, als daß die Leute alle in unser Land einfließen... (1/191-201)

Wenn diese Menschen aber schon mal hier sind, dann sollen sie sich anpas­sen. Dabei gesteht diese Frau ihnen durchaus zu, ihre kulturelle Eigenstän­digkeit zu bewahren. Allerdings bleibt dies ein sehr abstraktes Zugeständ­nis. Denn wenn sie präzisiert, in welchen Bereichen sich die EinwanderIn­nen anpassen müssen, nennt sie solche „kulturellen“ Bereiche wie Sprache, Wohnkultur, Sauberkeit etc. (1/239ff.)

Dezidierte Ausführungen macht die Interviewte zur Situation türkischer Frauen, deren Lage sie „miserabel“ findet, weil sie von ihren Männern un­terdrückt und diskriminiert werden. (1/472 ff.)

Positiv findet sie bei den Ausländern, daß sie Nachbarschaft pflegen und sich gegenseitig stützen. Sie versorgen ihre Kranken und schieben sie nicht ab. (1/518) Solche positiven Bemerkungen erfolgen aber eher am Rande. Sie können die Tatsache nicht verbergen, daß rassistischen Haltungen und Meinungen bei der Interviewten dominieren.

Dabei hat sie nach eigenen Angaben persönlich bisher keine schlechten Er­fahrungen mit Ausländern gemacht (1/143), trotzdem konstatiert sie selbst, daß sie „etwas ausländerfeindlich eingestellt wirke“. (1/177)

Die Wiedervereinigung, meint sie, sei für den Osten gut, für den Westen hingegen von Nachteilen begleitet. Auch hier schlägt sie vor, man solle das Geld in die (ehemalige) DDR pumpen, damit die Leute dableiben, denn - und das ist wichtig für die Gesamtargumentation - die BRD ist „voll“. Dieses Denkmuster durchzieht das gesamte Interview.

 

Interview Nr. 2: „Dreck für die Dritte Welt!“[3]

Der 50jährige Studienrat, der sich für das Interview den Namen „Modern walking“ zugelegt hat, verwendet die Strategie der Objektivierung und Ab­si­cherung seiner Aussagen durch Zahlen, Fakten und dergleichen. (z.B. 2/129, 143f. 386f.)

„Modern Walking“ fordert eine „Überprüfung“ des Asylrechts; d.h. für ihn eine Verschärfung: politische Flüchtlinge sollen weiterhin anerkannt wer­den, „Wirtschaftsflüchtlinge“ sollen schneller ausgewiesen werden. Dieses „Problem“ will er auch dadurch gelöst sehen, daß ökologisch stark belastete Industriebetriebe (Schwerindustrie etc.) ihren Produktionsstandort in die 3. Welt verlegen.

Damit trägt er ein ziemlich selten zu hörendes Argument vor: seines Erach­tens ist es aus ökologischen Gründen sinnvoll, Schwerindustrie in die dritte Welt zu verlagern, damit wir hier mehr Grünflächen haben. (2/410/411) Hierbei ist bedeutsam, daß „MW“ politisch zu den Grünen tendiert.

Dann und wann gleitet „MW“ in geradezu völkische Begrifflichkeiten ab: Seine Frau ist für ihn „vom Blut her“ eigentlich Französin (2/317f.) „Er“ habe dem Staat bereits drei Kinder geschenkt. (2/541)

Hinsichtlich der Frauenemanzipation übt „MW“ repressive Toleranz: Die Frauen sollen sich emanzipieren, aber bitteschön, so wie er es für richtig hält. (2/610f.) „Emanzen“ und solche, die nur die schlechte Praxis der Män­ner wiederholen, sind ihm ein Greuel.

„Modern Walking“ kann insgesamt als Vertreter der Elite begriffen werden; aus der Art und Weise seiner Argumentation läßt sich herauslesen, daß er auch dieses Selbstverständnis verinnerlicht hat: Er bemüht sich, seine Vor­urteile in positive Aussagen zu kleiden. Er steht analysierend über den Din­gen. Dazu gehört, daß er häufig auf die Geschichte verweist. Er versucht sich auch in Sprachspielen und Neukreationen; z.B. bezeichnet er sich als „Robin Hood im Reiheneigenheim“ (4). Er pflege eine „Ordnung inner Un­ordnung“ (2/9), er lebe im „Mittelschichtsghetto“ (2/71) etc.

 

Interview Nr. 3:          „Wer sich nicht anpaßt, den muß man ab­schie­ben!“[4]

Interviewt wurde ein 70jähriger ehemaliger Bergmann; seine 68jährige Ehefrau nahm an dem Gespräch teil und beanspruchte, ohne zu dominie­ren, eigene Redeanteile.

Bei beiden Interviewten zeigte sich ein sehr deutliches Leistungs- und An­passungsdenken: Wer sich nicht anpaßt, den muß man abschieben. Meß­latte für die Anpassung ist ein explizit „deutscher“ Tugendkatalog: Fleiß und Sau­berkeit.

Das Interview enthält die gesamte Palette von „Gründen“, die derzeit her­an­gezogen werden, die Anwesenheit von EinwanderInnen in unserem Land abzulehnen. Erstaunlich ist, daß diese Argumentationen im allgemei­nen in sehr „gemütlicher“ Form vorgetragen werden. Die Interviewten sind nicht aggressiv, sondern von beinahe unheimlich wirkender Freundlichkeit. Im Zentrum ihres Denkens steht die Frage, was normal sei und was nicht. Der von ihnen als normal angesehene deutsche Alltag eines Rentnerehe­paars, das in bescheidenem Wohlstand lebt, wird gelassen bejaht; ebenso ge­lassen wird alles davon Abweichende oder dies Bedrohende abgelehnt. Da­bei zeigt sich auch ein gewisser Fatalismus gegenüber solchen Gefahren, gegen die man sowieso nichts machen kann. Das alles geschieht nicht ohne eine ge­wisse Toleranz und Abgeklärtheit. Wenn sich die Fremden bemühen, sich an „unsere“ Sitten und Gebräuche anzupassen, werden sie respektiert. Ge­schieht dies nicht, ja, dann kann man eben nichts machen; dann muß man „sie“ abschieben.

Dabei sind beide Gesprächspartner bemüht, nicht als Unmenschen zu er­scheinen: Immer dann, wenn harte Begründungen von der allgemeinen Ab­lehnung von EinwanderInnen bis hin zur Forderung von Abschiebung von Flüchtlingen vorgebracht worden sind, folgt mit Regelmäßigkeit eine Rela­tivierung: Es gibt überall gute und schlechte Menschen; oder sie betonen be­stimmte körperliche Vorzüge z.B. bei Cinti und Roma, die „nette Frauen­zimmer“ oder deren Kinder „schöne Augen“ haben.

Besonders der Mann liebt Anekdoten und Erzählungen, wobei hier viele narrative Einsprengsel auftauchen, in denen ein offener Antisemitismus ge­äußert wird. Auch Cinti und Roma werden - als Prototypen unerwünschter Frem­der - scharf abgelehnt.

Trotz seiner naturalisierenden und rassistischen Grundhaltung finden sich vor allem bei dem ehemaligen Bergmann durchaus Relikte von Klassenbe­wußtsein, weiß er „die da oben“ von „denen da unten“ zu unter­scheiden.

 

Interview Nr. 4: „Was ich für ausgesprochenen Blödsinn finde!“[5]

Bei diesem 60jährigen ehemaligen Kranführer, der nun Rentner ist, domi­nieren in den Passagen, in denen es um EinwanderInnen geht, die Argu­mente, die häufig gegen EinwanderInnen vorgetragen werden: Zum einen finden sich sogenannte „Raum-Argumente“: Der Interviewte hat Angst vor den vielen EinwanderInnen und sieht den „Zustrom“ (4/88) weiterer Men­schen als Bedrohung an. Des weiteren äußert er sogenannte „Wegnehm-Ar­gumente“: Die EinwanderInnen nehmen Arbeitsplätze und Wohnungen weg. (4/135, 144) und sogenannte „Leistungsargumente“: Flüchtlinge, die er „Asylanten“ nennt, sind nach seiner Ansicht vornehmlich „Schein­asylan­ten“. Schließlich hätten sie immer noch genug Geld für die Überfahrt, hät­ten also auch in ihrer Heimat bleiben können. Feste und Bräuche des Islam, z.B. den Ramadan, sieht er als Blödsinn an. (324 ff.)

Insgesamt ist der Interviewte sehr leistungsorientiert, nicht aufmüpfig, son­dern er fügt sich in sein Schicksal. Das wird vor allem auch an seinen Äuße­rungen zu den DDRlerInnen deutlich. Diese haben seiner Ansicht nach keine Arbeitsmoral, und insofern kommen die Türken bei ihm „besser weg“ als die Ex-DDR-Deutschen, weil sie hier ihre Arbeit machen. Trotz all dieser ablehnenden Argumente, sieht er jedoch die BRD als ein Einwanderungs­land. (4/230)

Auch in diesem Interview gibt es mehrere Passagen, in denen es um die Ju­den geht; dabei werden die Juden aber eher als „normale“ EinwanderInnen angesehen. Antisemitische Einstellungen, z.B. gegenüber dem hohen Quali­fikationsstand von Juden, der sie dazu befähige, über Menschen zu herr­schen, klingen aber an. (4/126ff., 205ff., 349ff.)

 

Interview Nr. 5: „Un packen ein direkt am Knie!“[6]

Diese 18-jährige Bürogehilfin, die noch in der Lehre ist, spricht nicht nur über EinwanderInnen und Flüchtlinge, sondern auch darüber, wie Jugend­liche aus unteren sozialen Schichten in ihren Cliquen leben und denken.

Die Türken in ihrer Clique zählt sie zu ihren Freunden (5/297ff.), da diese sich größtenteils an die deutschen Lebensverhältnisse angepaßt haben. (5/299) Dennoch argumentiert auch sie rassistisch, wenn sie die sexuellen Belästigungen durch Einwanderer (Türken, Tamilen, Libanesen) in den Vordergrund ihrer Erörterung stellt - sie fühlt sich von ihnen „angemacht“. (5/417f./490)

Im Verlauf des Interviews revidiert die junge Frau zwar ihre anfängliche Forderung nach Anpassung der Einwanderer an deutsche Lebensverhält­nisse (5/600), doch betont sie, daß durch Anpassung viele Konflikte vermie­den werden könnten. (5/309f.) In diesem Zusammenhang äußert sie auch Verständnis für die herrschende Ausländerfeindlichkeit. (5/310-313) Wäh­rend die sexuellen Belästigungen durch Einwanderer auf eigenen Erfah­run­gen beruhen (5/485ff.), stützt sie sich auf die Erzählungen ihrer Freun­din­nen und ihrer Mutter bei ihrer Behauptung, daß Libanesen stehlen. (5/390ff.) Die Bedrohung, die oftmals von den »aggressiven« Türken aus­geht, unterstreicht sie  durch die mehrmalige Erwähnung der Erfahrung, daß diese in den Konfliktsituationen oft das Messer ziehen. (5/302, 332) Als persönliches Hauptkriterium der Unterscheidung zwischen »guten« und »schlechten« EinwanderInnen dient ihr eine „Normalitäts“grenze: „Ja, die sind ganz normal, also - so wie wir.“ (5/555) Diese Norm ist hauptsächlich durch das als normal empfundene Verhalten der Menschen in ihrer Clique geprägt, scheint darüber hinaus aber auch Ausdruck der „deutschen Nor­ma­lität“ zu sein. Obwohl sie auch die Skinheads als Abweichler von dieser Norm betrachtet (5/437ff.), sind es doch in ihrer Wahrnehmung vornehm­lich die Türken, die für Ärger sorgen. (5/530ff.) Insbesondere auch in Ver­bin­dung mit sexuellen Belästigungen durch Libanesen gerät die Interviewte so auf eine kulturell-rassistische Argumentationsschiene. (5/494f.)[7]

Interessant und außergewöhnlich ist ihre Erklärung, warum Deutsche und Türken sich nicht verstehen:

Jaja, ja vielleicht liecht et an den Deutschen, kann sein. Abber ich weiß nich, wenn, wenn die Tü-, wenn die Türken, mit den wir uns gut verstehn, sich hier zurechtfinden, dann können dat ja die andern genauso gut. Also dann wüßt ich nich, warum dann die Deutschen daran schuld sind, sonst würden werr uns ja mit gar keinen Türken verstehen. (5/530-536)

Hier sieht man ganz deutlich, daß das eigene Verhalten und vor allem die ei­genen Erfahrungen in der Clique absolut gesetzt werden. Diese werden verallgemeinert und auf das gesamte Zusammenleben zwi­schen Einwan­derern und Deutschen übertragen.

 

 

Interview Nr. 6:          „Man kann nicht alle Asylanten über einen Kamm scheren!“[8]

Der 23jährige Student der Vermessungstechnik hat für alles Verständnis. „Jörg“ versteht, warum Menschen aus fernen Ländern, in denen Armut und Krieg herrschen, hier leben wollen; er versteht, wenn Menschen aus­länder­feindlich werden, weil so viel Geld für Flüchtlinge ausgegeben wird; er ver­steht alles - und sagt: „ich wüßt auch keine Lösung dafür...“ (6/430)

Er ist sehr vorsichtig und bemüht sich, nicht rassistisch zu wirken, was ihm aber meist nicht gelingt. Er hat eine positive Einstellung gegenüber der Ver­einigung Deutschlands und verurteilt mehrfach uns Eingeborene. Auch äu­ßert er sich zum Thema „Frauen in die Bundeswehr“. Er ist dafür - we­gen der Gleichberechtigung.

 

Interview Nr. 7: „Die Welt ist schön!“[9]

Bei „Heinz“, einem 43-jährigen Techniker mit Abitur, handelt es sich um einen Mann, für den die Welt in Ordnung ist. Er verdient gut, besitzt ein Haus, wird von seiner Umgebung geachtet. Ausländer sind für ihn „kein Problem“, wenn sie sich anpassen, was die „Vernünftigeren“, sprich: die Ge­bildeteren unter ihnen, auch tun. Er selbst empfindet sich als „Zugerei­ster“, weil er vor Jahren aus der Eifel in den gutsituierten Stadtteil gezogen ist. Er engagiert sich in der Kirche und in der CDU. Die Stadt emp­findet er als „schön“, auch die Wiedervereinigung ist „schön“. Er kennt keine Ein­wande­rer, außer einem äthiopischen Mann, auf dessen „kulturelle“ Schwierigkei­ten er aufmerksam macht: Er sei autoritär.

 

Interview Nr. 8: „Liebe Nachbarinnen habe ich!“[10]

Die 79 Jahre alte Frau, eine ehemalige Hausangestellte, berichtet über eine Geburtstagsfeier, die sie bei einer Koreaner-Familie erlebt hat. Dabei hebt sie relativ naiv die positiven Seiten dieser gebildeten und wohlhabenden Familie hervor. Sie erzählt darüber hinaus einige Geschichten aus ihrem Leben, in dem sie jedoch ansonsten keine Berührung zu EinwanderInnen oder Flüchtlingen gehabt hat. Naivität zeigt sich auch, wenn sie Skins mit Bun­deswehr-Soldaten verwechselt, zu denen sie offenbar einen guten Draht hat: ihre Wahrnehmung der Wirklichkeit ist sehr schlicht und egozentriert.

 

Interview Nr. 9:          „Es is nich dat, wat man als wunderbar emp­fin­den kann!“[11]

Dieser 31-jährige Chemiearbeiter ist gelernter Bäcker, hat aber seinen ur­sprünglichen Beruf aufgegeben, weil er mit der Arbeit, der Arbeitszeit und der Bezahlung nicht mehr zufrieden war.

Er macht sich Sorgen um die Aufrechterhaltung des bestehenden Lebens­standards, den er durch die kommenden Veränderungen in Europa und die steigende Zahl von EinwanderInnen gefährdet sieht.

Rassistische Äußerungen finden sich vor allem im Bereich eines „kulturellen Rassismus“. Er fordert von den EinwanderInnen strikte An­passung an deutsche Lebensweisen, wobei er allerdings die Forderung nach Anpassung auch auf den hypothetischen Fall einer Einwanderung seiner­seits in ein an­deres Land bezieht. Außerhalb dieses Konzeptes kann er sich keine Lösung vorhandener kultureller Konflikte vorstellen.

Seine Erfahrungen mit EinwanderInnen in Deutschland beschränken sich auf die mit Türken. Außerdem hat er in Ägypten in einem Arbeitsurlaub Er­fahrungen mit einer anderen Kultur gemacht.

Kommunales Wahlrecht für EinwanderInnen lehnt er ab, obwohl er von seinem eigenen Wahlrecht keinen Gebrauch macht. Er hält z.B. die Türken für noch nicht „reif“ genug und befürchtet, daß sie im Falle der Gewährung von Wahlrecht zu viel von ihrer „noch unreifen“ Kultur einbrächten.

Er sieht sich selber nicht an seine Nationalität gebunden, sondern orientiert sich in dieser Hinsicht an seiner „geographischen Herkunft“. Deshalb glaubt er auch nicht, speziell deutsche Eigenschaften zu haben.

 

Interview Nr. 10:        „Ich möchte nich in sowas hineinfallen, daß ich denke, das is mein Land, und das is mein, mein, mein!“[12]

Das Interview wurde mit einer 25-jährigen Studentin der Ökonomie („Leila“) durchgeführt, die sich selbst als gläubige Christin bezeichnet. Bei ihr tauchen keine direkt rassistischen Äußerungen auf, und sie bemüht sich, dem herrschenden rassistischen Diskurs zu entgehen, dies allerdings nicht immer mit Erfolg.

Ihre Religion prägt „Leilas“ gesamte Persönlichkeit - auch das, was sie über EinwanderInnen sagt. Sie verallgemeinert selten, trotzdem unterlaufen ihr einige „Entgleisungen“: „die“ Ausländer seien lauter als „die“ Deutschen (10/90 f.); „sie“ machen die Gegend unsicher (10/305 ff.3) etc. Sie hat Ver­ständnis für Flüchtlinge und »Ostdeutsche« und stellt sich selbst nicht po­siti­ver dar als andere. Zu vermuten ist, daß sie sich gerade dadurch positiv ins Bild zu setzen sucht.

Interview Nr. 11:        „Uns hat man dat noch so beigebracht, dat wir nur Deutsche akzeptieren!“[13]

Die 65 Jahre alte Frau, eine ehemalige Verkäuferin, äußert sich direkt und ausgiebig rassistisch. Nicht nur Türken und Tamilen, auch „der Engländer“ ist ihr nicht geheuer. (11/85) Auch ihr Antisemitismus ist klar und direkt: die Juden, die aus der Sowjetunion fliehen, seien an ihrer Verfolgung selbst Schuld. (11/142-171)

Der Religion kommt nach Ansicht dieser Frau eine entscheidende Rolle beim Entstehen von Abneigungen gegenüber Türken zu. (11/220) Sie zeigt Unverständnis auch gegenüber „abweichenden“ Sitten und  Gebräuchen von EinwanderInnen, so z.B. wenn sie von einer Türkin im Krankenhaus be­richtet, die die Kost dort nicht ißt, sondern immer nur das, was sie von zu Hause mitgebracht bekommt. (11/233)

In Verbindung mit der Rolle der Frau bei den Türken tauchen auch bei ihr „anti-sexistische“ Argumente auf, mit denen sie ihren Rassismus begründet. (11/275/416f.) Gleichzeitig bekommen aber auch die türkischen Frauen ih­ren Teil ab: Diese sind raffiniert, verstecken sich hinter ihren Männern etc. (11/288)

 

Interview Nr. 12:        „Wenn man abseits vom Ghetto lebt, kann man leicht reden von Integration!“[14]

Die 23 Jahre alte Studentin („fokus“) berichtet in dem Interview sehr nach­haltig von ihren zerstörten Illusionen über ein harmonisches Zusammenle­ben von EinwanderInnen und Eingeborenen. Seit einigen Monaten wohnt sie in einem Stadtteil mit einem hohen Anteil von EinwanderInnen.

Mehrfach betont „fokus“ die Diskrepanz zwischen ihrer positiven Erwar­tung vor dem Umzug und den negativen Erfahrungen danach. Heute sieht sie das Zusammenleben von Menschen verschiedener kultureller Herkunft als sehr problematisch an.

Ausgangspunkt der Argumentation ist der als fremd und andersartig wahr­genommene „Kulturkreis“ der Anderen: Diese sind lauter als Deutsche (12/20), verursachen Müll (12/77ff.), neigen zu Kriminalität (12/33ff. 728ff.) etc.

Als Beurteilungskriterium dient „fokus“ dabei die Beeinträchtigung ihrer persönlichen Lebensqualität. Ihre Sichtweise ist ausgesprochen egozen­trisch.

Angesichts des hohen EinwanderInnenanteils in ihrem Stadtteil kann sich „fokus“ durchaus auch als Deutsche identifizieren: Sie fühlt sich manchmal wie eine „spießige Deutsche“, die Einwanderer mit asozialem Pack gleich­setzt. (12/354f.) Insbesondere die nicht-assimilierten EinwanderInnen bil­den geschlossene Gesellschaften (12/212) und kapseln sich durch Großfami­li­enbildung (12/143ff.) oder Bandenbildung (12/729ff.) vom Rest der Gemein­schaft ab.

Zu berücksichtigen ist, daß „fokus“ ihre eigene Haltung zuweilen reflektiert und durch die Einbeziehung von Ratio und Emotion (12/359ff.) ihre Position zu ergründen versucht. Trotzdem reproduziert sie im Gespräch teilweise of­fen kulturell-rassistische Standpunkte.

Auch zeigen sich bei ihr anti-sexistische Argumente, die Rassismus legiti­mieren sollen. (12/271f.) Obgleich auch deutsche Männer in dieser Hinsicht negativ dargestellt werden (12/49ff.), sind es doch vornehmlich die Einwan­derer, die durch sexuelle Belästigungen auffallen. (12/308ff.)

 

Interview Nr. 13:        „Die jetzt in der Ostzone, die jammern und jam­mern!“[15]

Die alte Frau (75), die früher den Beruf einer Kabelwicklerin ausgeübt hat, ist in den 50er Jahren selbst als Flüchtling nach Westdeutschland gekom­men.

Auffallend ist auch hier: die „deutschen Tugenden“ sind der Gradmesser für die Beurteilung von Ausländern. Trotzdem hat diese Frau Verständnis für Flüchtlinge, möglicherweise weil sie früher in einer ähnlichen Lage war. Bedingung ist, daß sie sich „anständig benehmen“. (13/713) Sie toleriert die Ausländer, wie sie andere Dinge auch toleriert, solange ihre Kreise nicht ge­stört werden.

Bei den Beurteilungen geht sie sehr konkretistisch vor; das heißt, ihre Er­fah­rungen sind für sie die wichtigste Quelle. Doch dies ist nicht durchgän­gig der Fall. Bei den Aussagen, die sie über die Ostdeutschen macht, macht sich ihre Bildzeitungslektüre bemerkbar: Mit harten Argumenten lehnt sie diese Menschen ab, was einem innerdeutschen Rassismus gleichkommt. (Vgl. z.B. 13/1074ff.)

 

Interview Nr. 14:        „Das Problem bei den Türken im Gegensatz zu den anderen Ausländern sehe ich so, daß es eben n ganz anderer Kulturkreis ist!“[16]

Mit dem 33-jährigen Zahnarzt spricht gleichzeitig der Aufsteiger, der Ein­wanderInnen vor allem aus seiner Praxis kennt. Dabei hebt er hervor, daß Türkinnen häufig von ihren Männern in seine Praxis begleitet werden. Dies führt er darauf zurück, daß türkische Frauen vielfach schlecht Deutsch sprechen, wie auch darauf, daß der Mann auf die Frau aufpasse. (14/430) Nicht zuletzt wegen des von ihm so wahrgenommenen Verhältnisses von Männern und Frauen bei den Türken würde er auch deutschen Mädchen von einer Verbindung mit einem türkischen Jungen abraten. Die türkischen Männer hätten eben eine andere Einstellung zu Frauen, diese würden wahrscheinlich „... doch immer ne untergebene Rolle spielen...“ (14/417)

Türken werden im Zusammenhang mit Glücksspielen und als Gefahr für deutsche Mädchen gesehen. (14/104-108) Er unterscheidet innerhalb der Ausländer die Europäer und die Türken. Letztere haben einen anderen „Kulturkreis“ (den „vorderasiatischen“ (14/237,253, 255)), der u.a. durch die Religion stark geprägt sei. (14/256) Deshalb bezweifelt der Mann auch, ob sich die Türken hier überhaupt eingliedern lassen wollen. (14/259ff.) Er be­fürwortet zwar eine Integration - darunter versteht er, daß die „Ausländer“ „... möglichst gut Deutsch lernen (sollten) und möglichst sich hier sehr schnell anpassen...“ (14/266f.) - denn er will kein Nebeneinander der Kul­turen in „unserem“ Land. (14/270, 380)

Weiterhin befürchtet er, daß die deutschen Kinder in der Schule zu kurz kommen, wenn die Lehrer mehr auf die „ausländischen“ Kinder eingehen, da diese Sprachprobleme haben. (14/485ff.)

Interessant sind seine Ausführungen zu der Frage, ob Deutschland wegen des Dritten Reichs in besonderer Weise vorbelastet sei. Das sieht er nicht, denn anderer Nationen würden ähnlich verfahren. So hält er der Türkei das „Abschlachten“ der Armenier und Kurden entgegen und den Franzosen ih­ren Umgang mit den Algeriern. „Und genauso würd ich, äh - genauso wenig würde ich eben die deutsche Kultur als schlecht bezeichnen - weil es ne Zeit gegeben hat - wo hier - ne Diktatur geherrscht hat und wo Verbrechen ge­schehen sind“. (14/296-298)

Massive Vorbehalte äußert der Interviewte auch gegenüber den Juden. Er kritisiert den Staat Israel, weil er die Palästinenser von ihrem Land vertrie­ben habe. Dies und die Tatsache, daß die Juden in der Sowjetunion nicht „...gerade beliebt sind,“ zeigen ihm, „das es nicht nur an den Deutschen liegt, die also die bösen Menschen in der Welt sind und jetzt was gegen Ju­den ha­ben, sondern ... daß es auch in anderen Völkern Menschen gibt, die also ihren Minderheiten nicht unbedingt nur positiv gegenüber stehen ... Nicht immer die schlimmen Deutschen es sind.“ (14/334-342)

Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten begrüßt er und hält die De­monstranten, die dagegen waren, für „Spinner“. (vgl. 14/204-207)

Auch die „Vereinigten Staaten von Europa“ (14/270f.) hält er für wün­schens­wert, doch er fände es nicht so gut (14/220), wenn die Türkei dazuge­hören sollte.

 

Interview Nr. 15:        „Und irgendwann fallen dann mal irgend­welche Schüsse!“[17]

Bei der 34-jährigen selbständigen Schauwerbegestalterin äußert sich eine Form von nicht offen artikuliertem Rassismus. Sie äußert sich zurückhal­tend, doch ihre Vorbehalte und Vorurteile kommen bei näherer Betrachtung ihrer Argumentationsstrategien zum Vorschein. So äußert sie z.B. ihre Vor­behalte gegenüber Polen dadurch, daß sie Türken positiv hervorhebt. Das Ausmaß der Gefühle von Bedrohtheit kommt bei dieser zurückhaltenden und bescheidenen Frau dadurch zum Ausdruck, daß sie für die nächste Zu­kunft prophezeit:

Der Zorn in der Bevölkerung wird immer größer, und irgendwann fallen dann mal irgendwelche Schüsse... (Z. 15/151f.)

Diese Aussage erfolgte immerhin ein knappes Jahr vor der Eskalation von rassistisch motivierter Gewalt gegen EinwanderInnen in der gesamten Bundesrepublik Deutschland.

 

Interview Nr. 16: „Genau wie alle Hunde gleich sind!“[18]

Für diesen 22-jährigen Studenten der Wirtschaftswissenschaften stehen Türken synonym für fremdländische Kulturen schlechthin. Türken sind für ihn der „Präzedenzfall“. (16/528) Er hält sich selbst für tolerant, merkt aber wohl im Laufe des Interviews, daß er das gar nicht ist. Auffällig ist bei ihm sein Interesse für die Unterdrückung der Frau durch die türkischen Män­ner. (16/530)

Seine Haltung gegenüber „Ausländern“ wird in folgender Passage auf den Punkt gebracht:

Ich bin zwar ähm nicht gläubig, aber ich äh, x ich glaub', daß alle Menschen gleich sind, öh. Genau wie alle öh, Hunde gleich sind. Äh, xx die einen ah, - die Menschen auf verschiedenen - auf den verschiedenen Kontinenten haben andere Fähigkeiten; die eine sind praktischer, die anderen sind theoreti­scher. Ich glaub, wir, wir Europäer sind insgesamt theoretischer, wie äh, Afrikaner, und äh, dieses äh, ähm, x Ungleichgewicht zwischen den ver­schiedenen Konti­nenten hält die Welt, glaub ich, äh, äh, im Lot. Wenn alles gleich wär', äh, wenn alle gleich wären, würd' das die Welt bestimmt ir­gendwo umkippen. (16/655-669)

 

Interview Nr. 17:        „Und können dat auch gar nicht anders se­hen - dat geht    gar nicht!“[19]

Diese Frau, von Beruf Metzgerin und knapp 50 Jahre alt, die zur Zeit des Interviews eine Umschulung zur Bürokauffrau absolviert, bringt den „Gastarbeitern“ (Türken, Spaniern und Italienern) eine gewisse Toleranz entgegen, da sie nicht freiwillig in die BRD gekommen seien, sondern im Zuge der Anwerbepolitik geholt wurden (17/538-545). Deswegen - aus mo­ra­lischen Gründen - wehrt sie sich auch gegen Äußerungen wie „Türken raus!“. Auch die Kinder dieser „Gastarbeiter“ könne man nicht rausschmei­ßen, da die BRD ihre Heimat geworden sei und sie in der Türkei „Aus­länder“ seien. (17/558-565)

Diese Frau befaßt sich durchaus mit türkischer Kultur bzw. mit dem, was sie dafür hält, und sie setzt sich darüberhinaus dazu ins Ver­hältnis. So ver­gleicht sie die unterschiedlichen Arten von Türken und Deut­schen, Hochzeit zu feiern. Sie findet zwar beide Arten schön (17/1187), fa­vorisiert aber die „deutsche“ Hochzeit, da die türkische Hochzeit mit bis zu 500 Gästen ihr zu anonym ist (1302) und sie sich nicht vorstellen kann, die Gastgeberin von „so unheimlich vielen Leuten“ zu sein. (17/1431).

Verglichen werden auch unterschiedliche Verhaltensweisen von türkischen und deutschen Mädchen. Das türkische Mädchen, so glaubt sie, kann sich an „deutsche“ Verhaltensweisen nicht anpassen (z.B. abends mit Freunden auszugehen), weil sie sich von den „türkischen“ Erzie­hung/Tradition/Nor­men etc. nicht freimachen kann. Sie kann es deshalb nicht, weil ihr da halt „etwas fehle“. (17/1034-1038)

Sie bedauert einerseits, daß viele Deutsche Vorurteile gegenüber Türken ha­ben, andererseits kann sie das aber auch verstehen. (17/333-355) Ver­ständnis hat sie auch den Vermietern gegenüber, wenn sie ihre Wohnung nicht an „Ausländer“ vermieten wollen, denn sie müssen ja gucken, daß die Hausgemeinschaft durch die „fremden Einflüsse“ der „Ausländer“ und die Vorurteile der Deutschen nicht gestört wird . (17/324-334)

„Asylanten“ und DDR-Deutschen gegenüber hat sie eine betont negative Einstellung. Diese wollen nur „unser Sozialsystem aushöhlen“. (17/391-419) Sie schätzt, daß es sich bei den „Asylanten“ um 2/3 Wirtschaftsflüchtlinge handelt (17/420), und meint, die Politiker müssen „noch mehr sortieren“ (17/526), denn die Städte sind mit ihnen schon überfüllt. (17/381f.) Da sie auch keine Arbeit haben, also auch nicht in die Sozialversicherung einzah­len, haben sie auch kein Recht, hier zu wohnen. (17/383-390) „Asylanten“ erkennt sie außerdem an der „Rasse“, wie sie meint.

DDR-Deutsche „... sollen da drüben bleiben und sollen die DDR mal auf­bauen, haben sie wat zu tun!“ (17/571). Sie müssen erst mal „... wat leisten, dann können die mitrennen“. (17/415f.) Das ist für sie der Maßstab: Wer ar­beitet, hat auch Rechte.

Sie ist gegen die Vereinigung Deutschlands, weil das zu teuer ist. (17/620)

Gegenüber Juden, die aus Rußland in die BRD kommen, äußert sie sich ten­denziell ablehnend. Es macht sie „stutzig“ (17/667), daß sie alle in die BRD kommen, obwohl sie keine Beziehung zu Deutschland mehr haben. (17/656-660)

 

Interview Nr. 18: „Wir finden unser Geld nicht auf der Straße!“[20]

Interviewt wurde der 50-jährige Inhaber einer Schneiderei; mit dabei war seine Frau, die sich auch ins Gespräch einbringt.

Interessant ist hier der unterschiedliche Grad der Ablehnung von Auslän­dern bei den beiden Interviewpersonen, was möglicherweise etwas mit dem Geschlechterverhältnis zu tun hat. Während die Ehefrau artikuliert, sie habe Angst und fühle sich bedroht, sagt ihr Mann:

…es ist jetzt nich so, daß x äh x wir uns irgendwie fürchten müssen vor diesen Ausländern, ich glaube, daß es x äh x sich da auch um sehr friedliche x  äh x Personen handelt.... (18/97-99)

Doch Ausländer passen sich nicht an, im Gegenteil. Die Deutschen passen sich ausländischen Gewohnheiten an. (18/85)

Insgesamt kommen beide zu dem Resultat: Einwanderer sind tendenziell kriminell, sie sind arm und betteln und jagen Angst ein (Cinti und Roma), Türken sind nicht hilfsbereit, außer am Arbeitsplatz. Hervorgehoben wird immer wieder, daß die Nachbarschaft durch die Einwanderer zunichte ge­macht würde.

 

Interview Nr. 19: „Solang man selbst nicht betroffen ist!“[21]

Die 47-jährige Sekretärin, die allein lebt, ist gegenüber „Asylanten“ und „Ausländern“ negativ eingestellt, besonders auch wegen der Kosten, die sie „uns“ verursachen. Dennoch fühlt sie sich aber zur Zeit nicht selbst betrof­fen:

Ja, ich mein, solang man selbst nich betroffen is in irgendeiner Art und Weise, sacht man immer ganz gerne äh mein Gott, warum nicht, die Men­schen müssen ja irgendwo unterkommen, oder ähm pu, wenn ich selbst be­troffen wäre, ich glaub, wenn es ganz nah an meiner Wohnung wäre und äh es viel­leicht ähm Leute wärn, ja wie hm Asylanten, die mir menschlich ei­gentlich auch sehr fremd sind, äh würd's mich schon beunruhigen, weil man ja auch hört, daß in diesen Lagern selbst sehr viel Unruhe is und die ar­beitslos sind, und die Menschen ja wirklich sehr unglücklich unzufrieden sind und äh von daher auch äh ne gewisse Krimi - Kriminalität herrscht. (Z. 19/232-243)

Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen spielt für ihre Einstellungen eine große Rolle. So nimmt sie an, daß die Vorwürfe gegen ausländische Männer, sie seien gegenüber Frauen zudringlich, nicht immer berechtigt sind: Die weißen Touristinnen - das weiß sie aus eigener Erfahrung in Ma­rokko - gehen auf die „Anmache“ der Marrokkaner ein, provozieren diese ge­radezu:

Ich hab' auch das Gefühl, daß man da 'n bißchen äh m vielleicht äh selbst dran schuld ist, wie man sich gibt, ne. Wenn ich mich auffallend gebe äh, bin ich natürlich eher in Gefahr angepöbelt zu werden… (19/172-174, s. auch 296)

Doch sie argumentiert auch umgekehrt: Bei einem Aufenthalt in Tunesien ist ein Taxifahrer ihr zu nahe getreten, hier lag die Zudringlichkeit ganz bei dem tunesischem Mann. (19/262f.)

Den ostdeutschen BundesbürgerInnen unterstellt sie Unmündigkeit und ein zu hohes Anspruchsdenken. Das erklärt ihr auch, warum Westdeutsche lie­ber den Russen als den Ostdeutschen helfen: die Russen verhalten sich nicht so fordernd.

Die Interviewte sieht sich insgesamt in einer (noch) heilen Welt, die sie aber durch Fremde bedroht sieht. Die noch vereinzelte Unruhe und Kriminalität könnte „ausbrechen“ und ihr Leben in Mitleidenschaft ziehen. Über Ursa­chen von Flucht und Elend denkt sie nicht nach.

 

Interview Nr. 20: „Der Jude wird niemals Ruhe geben!“[22]

Die 40 Jahre alte Taxifahrerin, die die Volksschule besucht hat, ist verhei­ra­tet und hat drei Söhne. Es macht ihr zu schaffen, daß ihre Kinder jetzt das Haus verlassen, denn sie weiß noch nicht, wie sie die neue Situation bewälti­gen soll.

Rassistische Aussagen zu fremden Nationen lassen sich kaum finden, woge­gen ein ausgeprägter Antisemitismus auffällig ist. In erster Linie dominiert eine erstaunliche Deutschenfeindlichkeit. So konstatiert sie eine Unfähig­keit der Deutschen, aus der Geschichte zu lernen. Überhaupt nimmt die In­ter­viewte den Deutschen ihre Vergangenheit übel. Sie beklagt, daß sie in der Nachkriegszeit nicht hinreichend über die Nazi-Zeit aufgeklärt worden ist.

Sich selbst hält sie für „ziemlich dumm“, und auch sonst ist sie nicht sonder­lich von sich eingenommen. Dieser Haltung steht als Gegensatz ihre be­harr­liche und dominante Redeweise entgegen. Sie möchte nicht unterbro­chen werden, und sie befürchtet auch, den Faden zu verlieren. Ihre Sprache ist von Redewendungen so stark durchsetzt, daß beinahe jeder Satz eine Flos­kel oder Redewendung enthält.

Ihre Zukunftserwartungen sind durchweg pessimistisch. Der - damals nahe - Golf-Krieg wirkt auf sie sehr bedrohlich; sie befürchtet in jeder Hinsicht das Schlimmste. Aus der Gegenwart besehen, beurteilt sie ihre Situation, die in­nerstädtische Umgebung und die Weltlage negativ.

 

Interview Nr. 21:        „Nur wenn se uns aufen Wecker fallen, dann allerdings is dat schlecht!“[23]

Interviewt wurde ein älteres Ehepaar, er, 59 Jahre alt, ehemals Dreher und jetzt Rentner; sie, 56 Jahre und arbeitet als Fleischereifachverkäuferin.

Bei den beiden Interviewten lassen sich unterschiedliche Argumentations­strukturen beobachten: Der Mann berichtet in der Regel von scheinbar posi­tiven Erfahrungen mit EinwanderInnen, kommt jedoch trotzdem zu einer negativen Grundeinstellung. Er bemüht sich, nicht als rassistisch zu er­scheinen, kann aber eine gewisse Nähe zu rechtsextremen Positionen und zu Affinitäten zur Ideologie des Dritten Reiches nicht verbergen.

Demgegenüber erzählt die Frau ständig negative Geschichten über Ein­wan­derInnen, mildert diese aber immer ab, um ebenfalls nicht als rassi­stisch zu erscheinen. Diese positive Grundeinstellung ist allerdings so löch­rig, daß die Vermutung naheliegt, daß es sich hierbei um eine Attitüde ei­ner Ge­schäftsfrau handelt, die es sich mit keinem verderben will.

Das „Geheimnis“ dieser widersprüchlichen Argumentationsstrukturen lüf­tet sich, wenn die Aussagen des Ehepaars im Zusammenhang gesehen wer­den. Dann nämlich erkennen wir ein interessantes Zusammenspiel: Der Mann gibt im Gespräch die Stichworte vor, die von der Frau dann mit nega­tiven Geschichten präzisiert werden.

 

Interview Nr. 22: „Ich möcht auch kein anderes Heimatland oder Vaterland haben!“[24]

Interviewt wurde eine etwa 60- bis 65jährige Rentnerin, die selbst Italiene­rin ist/war und deren 30-35jährige Tochter, die als Putzhilfe arbeitet.

Aufgrund ihrer Vergangenheit, in der sie häufig benachteiligt und ausge­grenzt wurde, hat die ältere Frau eine eher tolerante Einstellung gegenüber EinwanderInnen. Allein auf Italiener ist sie nicht gut zu sprechen, da diese sie in Italien nicht akzeptieren. Nicht zuletzt deshalb fühlt sie sich in Deutschland zu Hause.

Ihre Tochter fühlt sich gegenüber Flüchtlingen diskriminiert. Bei ihrer Wohnungssuche hat sie es erlebt, daß diese eine Wohnung erhalten haben und sie leer ausging. Deshalb fühlt sie sich benachteiligt.

In diesem Punkt pflichtet die Mutter ihrer Tochter bei. Hier zeigt sich, daß selbst die erheblichen eigenen schmerzhaften Erfahrungen der Italienerin sie nicht aus dem herrschenden rassistischen Diskurs gänzlich befreien.


 

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Stand: 25. September 2006

 



[1]          Bei den folgenden Kurzdarstellungen wird auf detaillierte Angaben zur Person ver­zichtet. Ich verweise dazu auf den tabellarischen Überblick in Jäger 1991b, S. 19-21, sowie auf die Angaben zur Person, die dort jedem Interview vorangestellt sind. Die Inhaltsangaben bzw. Kurzkommentare wurden i.R. von den Interviewenden verfaßt und nur leicht überarbeitet. Die Zahlen in Klammern weisen auf die Code-Nr. des Inter­views und auf die Zeilennummern hin.

[2]          Interviewerin: Silke Schledorn, Aufnahmedatum: 16.12.1990

[3]          Interviewerin: Sabine Ulrich, Aufnahmedatum: 14.1.1991.

[4]          Interviewer: Siegfried Jäger, Aufnahmedatum: 11.1.1991.

[5]          Interviewerin: Sabine Walther, Aufnahmedatum: 3.1.1991.

[6]          Interviewer: Stephan Groppe, Aufnahmedatum: 6.1.1991.

[7]          Auf die Problematik der Unterscheidung von kulturellem und genetischem Ras­sis­mus, die in der Diskussion des Rassismusbegriffs heute noch allgemein vorge­nom­men wird, wird besonders bei der synoptischen Analyse eingegangen werden müs­sen.

[8]          Interviewerin: Stefanie Hansen, Aufnahmedatum: 6.1.1991.

[9]          Interviewer: Dirk Retzlaff, Aufnahmedatum: 3.1.1991.

[10]        Interviewerin: Veronika Haarhaus, Aufnahmedatum 14.1.1991.

[11]        Interviewer: Hermann Cölfen, Aufnahmedatum: 30.12.1990.

[12]        Interviewerin: Erika Klinner, Aufnahmedatum: 3.1.1991.

[13]        Interviewer: Frank Wichert, Aufnahmedatum: 14.1.1991.

[14]        Interviewer: Andreas Quinkert, Aufnahmedatum 14.1.1991.

[15]        Interviewerin: Angelika Müller, Aufnahmedatum 8.1.1991.

[16]        Interviewerin: Ingrid Elm, Aufnahmedatum 2.1.1991.

[17]        Interviewerin: Margret Jäger, Aufnahmedatum 29.12.1990.

[18]        Interviewerin: Marion Meyboom, Aufnahmedatum: 15.1.1991.

[19]        Interviewerin: Aygül Arslan, Aufnahmedatum: 22.1.1991.

[20]        Interviewerin: Ulrike Busse, Aufnahmedatum: 8.1.1991.

[21]        Interviewerin: Sabine Hansen, Aufnahmedatum: 16.1.1991.

[22]        Interviewerin: Catherine Peyre, Aufnahmedatum: 11.1.1991. Die Materialaufbe­rei­tung zu diesem Interview wurde von Hermann Cölfen vorgenommen, da Catherine Peyre in dieser Projektphase infolge der Geburt ihres Kindes an ande­rer Stelle wich­tiger war.

[23]        Interviewerin: Anja Sklorz, Aufnahmedatum: 15.11.1990.

[24]        Interviewerin: Sabine Berchem, Aufnahmedatum 4.2.1991.