3.     Einzelanalysen

3.1         Einleitung

Die nun folgenden Einzelanalysen, die man auch als Fallstudien auffassen kann, analysieren und interpretieren die jeweiligen Interviews als zusam­menhängende Texte bzw. als zusammenhängende Fragmente des Interdis­kurses. Dabei stehen die Aussagen der Interviewten im Vordergrund des In­teresses, während die gestellten Fragen und sonstigen Aussagen der Inter­viewenden nur dann diskutiert werden, wenn sie von besonderer Wichtig­keit sind, also wenn sie z.B. dem Verlauf des Interviews eine entscheidende Wendung gegeben haben etc. Dies läßt sich durch das primäre Erkenntni­sinteresse rechtfertigen, das hier nicht auf Interviewtechnik und Dialog ge­richtet ist, sondern auf die Argumentationsweisen, die Ansichten und Ein­stellungen der Menschen, die interviewt worden sind etc.

Dies bedeutet durchaus eine Einschränkung, die hinterfragt werden müßte: Die Fragenden geben den Befragten in der Regel keinerlei Antworten. Diese Einschränkung verweist zugleich auf die Begrenztheit unseres gesamten Projektes. Es ist leider völlig »unsokratisch« und überhaupt nicht pädago­gisch angelegt. Es konnte uns nicht darum zu tun sein, die interviewten Menschen in einen Lernprozeß zu führen, an dessen Ende wir uns den Ab­bau rassistischer Haltungen und Einstellungen bei ihnen versprochen hät­ten. Unser notwendigerweise begrenztes Interesse richtet sich zunächst ausschließlich auf die Frage, wie, in welchen Formen, verbunden mit wel­chen Argumentatitionsstrategien etc. rassistische Einstellungen geäußert werden. Wir glauben dies wissen zu müssen, ehe man sich stringentere Ge­danken darüber machen kann, welche Gegenstrategien gegenüber rassisti­schen Einstellungen und Haltungen zu entwickeln sind.

Mit Sicherheit stellt unser Ansatz nicht den einzigen soliden Weg der Er­forschung des alltäglichen Rassismus dar. Die Projekte von Rudolf Lei­precht, Josef Held, Hans Horn und Athanasios Marvakis aus Tübingen ha­ben in dieser Hinsicht z.B. ganz anders angesetzt, viel anspruchsvoller, in­dem sie Forschungsprozeß und Lernprozeß (Überzeugungsarbeit) eng mit­einander zu koppeln versucht haben. (Leiprecht 1990, 1991, Held u.a. 1991)

Die Entscheidung, unser Projekt auf die Analyse zu konzentrieren, begrün­den wir damit, daß diskursanalytische Verfahren Wissen über den alltägli­chen Rassismus zu Tage fördern können, das über die Ergebnisse von Be­fragungen und nur thematisch-inhaltlicher Auswertungen hinausgeht; fer­ner damit, daß unser Analyseverfahren so zeitaufwendig ist, daß es in ei­nem (für uns) realistischen Zeitrahmen nicht möglich gewesen wäre, dane­ben auch noch eine sozialpädagogische Praxis zu betreiben; drittens aber damit, und das ist zugegebenermaßen ein sehr pragmatisches Argument, daß der Rahmen, der für unsere Forschungsarbeit zur Verfügung steht, viel zu eng ist, als daß wir mehr zu leisten in der Lage gewesen wären.

Das Ungenügen, das auch uns angesichts dieser notwendigen Einschrän­kung beschlich, unser Wunsch, uns selbst gegen den grassierenden Rassis­mus zu wenden und die Position der eher distanziert beobachtenden und analysierenden WissenschaftlerInnen zu verlassen und »ins Feld« zu gehen, artikulierte sich nicht nur in den vielen Diskussionen in der Forschungs­gruppe, sondern auch in einigen praktischen Schlußfolgerungen: So haben wir inzwischen eine »Diskurswerkstatt« gegründet, die sich u.a. die Aufgabe gestellt hat, diskriminierende Diskurse gegen Minderheiten aufzudecken und öffentlich zu kritisieren.[1] Auch versuchen wir, unsere Arbeits­ergeb­nisse an solche Leute durch Vorträge und Seminare heranzutragen, die sie in der Arbeit vor Ort politisch und sozial-pädagogisch umsetzen können.

Daneben hat sich dieser Wunsch nach praktischer Umsetzung unserer Ana­lysen aber auch in zumindest einer der hier vorgestellten Einzelanalysen schon etwas deutlicher artikuliert. Hermann Cölfen hat in seiner Analyse, die wir deshalb auch ans Ende der hier abgedruckten Einzelinterpretatio­nen stellen, auch seine weiteren Gespräche und Diskussionen mit dem von ihm befragten jungen Chemiearbeiter (knapp) einbezogen.[2] Seine Darstel­lung deutet zumindest an, wie eine praktische Umsetzung diskursanalyti­scher Arbeit aussehen könnte.

Während bei den folgenden Einzelanalysen (scheinbar) individuelle Positio­nen und Ansichten im Vordergrund stehen, geht es bei der im darauf fol­genden Kapitel dargestellten synoptischen Analyse (Querschnitts-Analyse aller Interviews) darum, überindividuelle Positionen herauszuarbeiten.

Mag diese Unterscheidung auf dem Hintergrund der theoretischen Vorüber­legungen auch als schief erscheinen, weil ja gerade dort behauptet wurde, das Individuelle sei sozial, so kann durch diese Einzelanalysen doch aufge­zeigt werden, daß auch das Soziale durchaus differenziert gesehen werden muß. Trotz des zur Zeit dominanten rassistischen Diskursstranges im In­terdiskurs zeigen sich erhebliche graduell unterschiedliche Ausprägungen der individuellen Verstricktheit bzw. Eingebundenheit in diesen Diskurs.

Diese Tatsache wirkte sich auch auf Umfang und Anlage der Einzelanaly­sen aus. Zudem sind die Einzelanalysen - trotz gegenseitiger Beratung und Kritik der ProjektmitarbeiterInnen - durchaus von individuellen Besonder­heiten geprägt. Das drückt sich in unterschiedlichen Darstellungsweisen und Zugängen aus bis hinein in individuelle Stile. Es wurde davon abgese­hen, hier weiter zu vereinheitlichen, weil es den (ästhetischen) Zugang zum Problem nicht geben kann. Das hat u.a. zur Folge, daß einige AutorInnen souveräner mit dem Material umgehen als andere, die eher enger am Mate­rial argumentieren. Doch meine ich, daß die Gesamtdarstellung dadurch eher an Lesbarkeit gewinnt.

Die Analysen zeigen, daß es »harte«, »mittlere« und »weichere« Positionen gegenüber EinwanderInnen und Flüchtlingen gibt. Verstrickungen in den rassistischen Diskurs sind jedoch allenthalben zu beobachten.

 

 

3.2         Ulrike Busse:

              „Wir finden unser Geld nicht auf der Straße!“

                 Analyse eines Interviews mit einem 50-jährigen Schneiderehe­paar[3]

 

1.      Vorbemerkung

Das Interview wurde mit einem Ehepaar durchgeführt, beide um die fünfzig Jahre alt, Absolventen der Volksschule und Inhaber einer Schneiderei. Sie besitzen ein kleines Haus, in welchem sich auch das Geschäft befindet und in dem sie zusammen mit ihrem Sohn leben, der zur Zeit studiert.

Ihre wirtschaftliche Situation kann als abgesichert eingestuft werden, ob­schon sie ihr Leben weitgehend nach ihrer Arbeit ausrichten müssen, d.h., daß sie - nach eigenen Angaben - aus ökonomischen Gründen eine vorüber­gehende Schließung der Schneiderei, beispielsweise zur Ur­laubserholung oder aus Krank­heitsgründen, meist vermeiden.

Das befragte Ehepaar lebt seit ca. 21 Jahren in einem Bergbauge­biet, in welchem ein hoher Anteil türkischer EinwanderInnen wohnt. Diese Wohn­lage ist maßgeblich bestimmend für viele der im Interviewverlauf auftre­tenden Äußerungen der Befragten zu Ein­wanderInnen: Die häufig verwen­dete Bezeichnungsform „Ausländer“ (18/73;81;98;104 usw.) bezieht sich auf türkische Ein­wanderInnen.

Außerhalb der eigenen Schneiderei pflegen die interviewten Per­sonen nur sehr wenig Kontakte; ihre so­ziale Lebenssituation beschränkt sich zum größten Teil auf die Familie sowie auf den Umgang mit der Kundschaft.

Das Interview wurde am 8.1.1991 im Hause der Befragten nach Ge­schäfts­schluß geführt. Es dauerte ca. 30 Minuten.

Anfangs wollte sich nur der Ehemann als Interviewpartner zur Verfügung stellen; im weiteren Verlauf des Interviews schaltete sich dann aber doch noch die Frau in das Ge­spräch ein, da sie sich von den Themen offenbar an­gesprochen fühlte. (ab 18/276)

 

2.      Themen des Interviews

         „Eine echte Nachbarschaft kommt gar nicht mehr zustande.“

Den Befragten wurde mitgeteilt, daß es sich bei dem Interview um ein Ge­spräch über Wohnsituation und Nachbarschaft handele. In einem vorausge­gangenen Telefongespräch zur Termi­n­absprache überraschte der Inter­viewte bereits mit der spontanen Äußerung, er fühle sich in seiner Wohnumgebung wie in „Klein-An­kara“. Diese Bemerkung fiel auch nach In­terviewschluß noch ein­mal; während das Mikrophon jedoch eingeschaltet war, bemühte sich der Befragte offensichtlich um eine moderatere Aus­drucks­weise. Ohne daß ich die Thematik angesprochen hätte, kam der In­terviewte sofort auf den hohen Anteil von EinwanderInnen in der Nachbar­schaft zu sprechen:

...auf Nachbarschaft zu kommen * äh * is es so, daß durch den sehr hohen Ausländeranteil eine echte Nachbarschaft gar nich mehr zustande kommt ...(18/4-7)

Während des gesamten Interviews hielten die Befragten an dieser Thema­tik fest, so daß sich ihre Aussagen zu EinwanderInnen wie ein roter Faden durch das Gespräch ziehen[4].

 

3.      Ansichten und Einstellungen zu EinwanderInnen

         „Sie treten in Rudeln auf...“

3.1    Im Interview angesprochene Gruppen von Einwander­Innen

Die Häufigkeit, mit der sich das Ehepaar über Türken äußert,  explizit in 6 Passagen, ergibt sich aus ihrer Wohnumgebung. Sie gehen zunächst einmal von ihren unmittel­baren Lebenszusammenhängen aus. Häufig sprechen sie aber auch explizit von den »Deutschen« (insgesamt 8 Mal). Dies verweist auf die im Interview wiederholt auftretende Strategie des unmittelbaren Ver­gleichs beider Bevöl­kerungsgruppen:

(...) es is jetzt nich so, daß * äh * wir uns irgendwie fürchten müs­sen vor die­sen Ausländern (...); was für uns Deutsche natürlich n biß­chen ungewöhnlich is, daß die in größeren Mengen * äh * zusammen auf­treten, ich sage immer hier »in Rudeln auftreten«. (18/96-102)

(...) denn * äh * im Verhältnis * äh * zu unseren Deutschen werden die meines Erachtens nich eher straffällig als wir Deutschen selber, es is einfach nur eine andere Mentalität, so daß eine echte Nachbar­schaft da (...) kaum denkbar is. (18/109-114) 

Ich höre aber auch (...) von (...) Arbeits* ah * äh * leuten, also sa­gen wir jetzt speziell der Berchmann, der mit diesen (Räuspern) Türken ja auf der Arbeits­stätte zusammenarbeiten muß, daß er oft sogar unter den Türken * äh * an­sprechbarere * äh * Mitarbeiter hat als unter den Deutschen ... (18/114-119)

Des weiteren wird unter Bezugnahme auf das Thema »Deutsche Wie­der­ver­einigung« von „DDR-Auswanderern“ (18/190) und „DDR-Leuten“ (18/267) gesprochen (ab 18/187).  Die Begriffswahl für Spätaus­siedlerInnen geht bei den Befragten ziemlich durcheinander: Neben „Aussiedler(n)“ (18/309) ist auch die Rede von „Übersiedler(n)“ (18/299) und „Umsiedler(n)“. (18/299)

Zum Ende des Interviews hin konzentriert sich das Gespräch auf Roma und Cinti (ab 18/390), die von der Befragten auch als „Zigeuner“ (18/359;406) be­zeich­net werden.

Zwar werden in diesem Interview auch andere Gruppen von Einwan­der­­In­nen angesprochen: Italiener (18/342;345), Spanier (18/342), Polen (18/197) und US-Amerikaner (18/22). Diese Gruppen werden jedoch hauptsächlich im Zusammenhang mit der Geschichte des Bergbaus erwähnt.

Im folgenden sollen die Aussagen und Einstellungen der Interviewten auf möglicherweise vorhandene rassistische Denkmuster herangezogen werden.

 

3.2    Türkinnen und Türken

         „(...) diese Leute (...) sind (...) nicht so anpassungs­fähig...“

Wenn sich auch bei diesem Ehepaar sicher nicht von einem offenen, gar hetzerischen Rassismus spre­chen läßt, so werden viele der nachfolgenden Zitate dennoch ver­deutlichen, daß sie

a)      über rassistische Denkmuster verfügen und

b)      immer wieder subtil verpackten Rassismus äußern. Damit ist gemeint, daß sie bestimmte Inhalte lediglich in eine vorsichtigere oder mode­ra­tere Formulierung fassen, daß sie dabei aber eine Ab- und Ausgren­zung von EinwanderInnen gegenüber der eigenen Gruppe praktizieren.

Dabei spielt genetischer wie kultureller Rassismus eine Rolle, obgleich die Gewichtung je nach der Gruppe von EinwanderInnen unterschiedlich aus­fällt.

So finden sich beispielsweise bei Aussagen über Türkinnen und Türken (verglichen mit denen über Roma und Cinti) nur selten genetisch argumen­tierende Aussagen, welche sich zudem nicht immer di­rekt auf diese Gruppe beziehen lassen, sondern insgesamt auf alle EinwanderInnen, die »anders« auszusehen scheinen, als die eigene Gruppe der Eingeborenen:

Ja, also irgendwie kam mal jemand hier rein, also irgendwie ne fremd­ländi­sche Gestalt, also ich weiß nich, obs Zigeuner waren oder Türken oder man kann das ja nie so genau sagen, weil die ja alle so fremdlän­disch und dunkel aussehen, ja? (18/357-361)

Die Schneiderin verdichtet hier körperliche Merkmale verschiedener Grup­pen von EinwanderInnen zu einem einzigen Bild: die „fremdländische Ge­stalt“, welche „dunkel“ aussieht - „dunkel“ im Gegensatz zu „hell“ oder „weiß“, der eigenen Hautfarbe der Eingeborenen. Die­ses Bild ruft in be­kannter Manier dasjenige vom „Schwarzen Mann“ hervor, der Bedro­hung und Gefahr verkörpert - sozusagen in Anlehnung an die Symbolik »schwarz« bzw. »dunkel« als Sinnbild des Bösen versus »weiß« bzw. »hell« als das des Guten.

Und wenn dann jetzt son Dunkelhaariger reinkommt, dann * is man immer son bißchen voreingenommen, ne? (...) aber so, wenn n ganz Fremder kommt, hab ich echt doch n bißchen Angst. Schon allein dies fremdlän­dische Ausse­hen, ne? (18/373-382)

Mit dieser Aussage werden zunächst einmal alle EinwanderInnen mit dunk­ler Haut und ebensolchen Haaren »in einen Topf gewor­fen«. Genetisch be­dingte »Erkennungsmerkmale« erzeugen hier ein diffu­ses, rational nicht be­grün­detes Angstgefühl.

Interessant ist ferner, daß nur die Frau diese genetischen Aussagen tätigt und diese mit affektiven Momenten verbindet. Ihr Mann scheint demgegen­über um besonders rationale Argumentation bemüht, die allerdings bei ge­nauerer Betrachtung nicht minder mit Angstgefühlen verknüpft ist.

Die Einstellungen des Mannes insbesondere zu Türkinnen und Türken sind aber eher durch einen kulturellen Rassismus geprägt, wobei sich dieser ins­besondere auf die folgenden fünf Bereiche erstreckt:

            Religion/Glaube (18/80-82)

            Mentalität (18/80-82;111-114)

            Erziehung (18/165-172)

            Kleidung (18/82-88;124-129;345-350)

            Allgemeine Lebensweise (18/82-88;99-108;137-146)

Hierzu folgen einige Beispiele:

(...) und durch den muslimischen Glauben dieser * äh * Ausländer * äh * es sich ja einfach um eine ganz andere Mentalität handelt. Äh * diese Leute * äh * sind * äh * meines Erachtens nach nicht so anpas­sungsfähig (18/80-84)

(...) es is einfach nur eine andere Mentalität, so daß eine echte Nachbarschaft (...) kaum denkbar is. (18/111-114)

Aber man hört es wieder hier in * äh * Nachbarschaftskreisen, daß ja * ähm * Schüler oder Schülerinnen (...) aus dem einfachen Grunde Real­schule wählen beziehungsweise Gymnasium, damit sie nicht hier in diese Schwerpunktschule hin* äh * kommen. (18/165-172)

(...) was für uns Deutsche natürlich n bißchen ungewöhnlich is, daß die in größeren Mengen * äh * zusammen auftreten, ich sage immer hier »in Rudeln auftreten«. (18/99-102)

Wir haben hier natürlich (...) Bolzplätze, die überwiegend nur von diesen * äh * Ausländern in Anspruch genommen werden; da traut sich ein deutsches Kind nicht hin (...). Also der is von denen hundertpro­zentig in Beschlag ge­nommen. (18/102-108)

Die zentrale Rolle, die im ersten Zitat der unterschiedliche Glaube von Tür­kinnen/Türken und Deutschen spielt, läßt sich auch mit dem Umstand er­klären, daß die Befragten römisch-katholischen Glaubens sind und das Christsein einen hohen Stellenwert in ih­rem Leben einnimmt. Auf diesem Hintergrund läßt sich die gezo­gene Schlußfolgerung: »anderer Glaube, also auch völlig andere Mentalität« erklären. Türkische EinwanderInnen und Eingeborene las­sen sich somit quasi naturgegebenerweise unmöglich verei­nen. Der unterschiedliche Glaube fungiert hier sozusagen als »natürliche« Grenze zwischen beiden Gruppen.

Auf unterschwellige Weise werden zudem die Deutschen zu »Opfern« der »Ausländer« erklärt. EinwanderInnen nehmen Eigentum der »Deutschen« „in Beschlag“, verdrängen die Eingeborenen aus deren Raum. Dies wird durch die im späteren In­terviewverlauf geäußerte Ansicht, die Eingebore­nen würden von den EinwanderInnen „überlaufen“ (18/276), noch unterstri­chen. Auffällig ist hierbei ferner die geschickte Bezugnahme auf Kinder statt auf Erwachsene - eine Gruppe, die sich nicht in dem Maße wie die Äl­teren zu wehren vermag. Der Einbezug kindlicher Lebenssituationen (Schule, Spielplätze) intensiviert zum einen das Gefühlsmoment beim Zuhö­rer bzw. bei der Zuhörerin; zum ande­ren bewirkt es – damit einhergehend – eine Verstärkung des Bildes von Eingeborenen als »Opfer« der »Besetzung« bestimmter institutioneller Einrichtungen und öffentlicher Plätze durch EinwanderInnen.

Die Tiermetaphorik „in Rudeln auftreten“ (18/102) bewirkt dann ein Übri­ges. Die Assoziation »Rudel von Wölfen« signalisiert verstärkt Gefahr, Angst und Bedrohung: Viele türkische Kinder stehen gegen ein einziges deut­sches Kind – die »Übermacht« der EinwanderInnen gegen die Einge­bo­renen, die zu »Opfern« des »Eindringens« dieser Bevölkerungsgruppe zu werden dro­hen.

 

3.3    Cinti und Roma:

         „(...) die haben ja n bißchen bräunlichen Teng, ne?“

Die Beurteilung der Cinti und Roma erfolgt, stärker als die der Türkinnen und Türken, über die Hervorhebung genetischer Merkmale, welche sich in der Vorstellung der Interviewten in seltsamer Weise mit bestimmten und besonders negativen charak­terlichen Eigenschaften und kulturellen Sitten und Gebräuchen verknüpfen:

Kommen so welche, die wollten Stickereien verkaufen (...). Und wenn man dann nichts abgekauft hat, sind se dann auch n bißchen böse gewor­den. (...) ich kauf denen nichts ab, dann hat man se immer wieder hier stehen. Und das vermute ich, daß das Zigeuner waren, Cinti und Roma eben, am Aussehen, durch diese Haare, und die haben ja n bißchen bräunlichen Teng, ne? (...) Also böse werden se dann und schimpfen, ne? (18/400-410)

(...) und (sie) setzen sich dort an den Geschäftseingängen auch hin oder betteln dort auch ... (18/597-599)

Hier finden sich alle negativ besetzten klischeehaften Vorstel­lungen über Cinti und Roma wieder: Sie hocken auf der Straße und betteln die Bürger an, gehen also nicht ordentlich arbeiten, sondern sie hausieren, wobei sie die EinwohnerInnen belästi­gen. Und dann werden sie auch noch frech und aus­fallend, wenn der/die Deutsche nicht so will wie sie. Zudem entspricht ihr Äu­ßeres (Haare, Teint) genau diesen dunklen Charaktereigenschaf­ten.

Bestimmte genetische Merkmale scheinen hier mit bestimmten »angebo­re­nen« charakterlichen Zügen Hand in Hand zu gehen, wobei dies gewisser­maßen wieder als Grund für bestimmte kulturelle Eigenschaften dieser Gruppe inter­pretiert wird, so daß die Palette negativer Merkmale, insge­samt genetische wie kulturelle,  als »naturgegeben« erscheint.

 

3.4    Aus- und ÜbersiedlerInnen

         „(...) die meinen, daß sie hier ein besseres (...) Leben führen können.“

Bei den Aus- und ÜbersiedlerInnen finden sich dagegen keine geneti­schen und im Vergleich zu türkischen EinwanderInnen auch nur wenige kul­turelle Aussagen. Trotz genereller Bereitschaft des Mannes, die Menschen in den neuen Bundesländern zu unterstützen (18/179-187), da sie „schließlich Deutsche“ (18/182) seien, fin­den sich dennoch diskriminierende und vorurteilsbeladene Urteile bezüglich beider Gruppen:

(...) komme aber doch jetzt auch mal wieder auf meine Kundschaft zu­rück, die vor Jahren schon, als * äh* Polenübersiedler * äh * bezie­hungsweise auch DDR-Auswanderer hier herübergekommen sind (...), daß sie nicht so tolerant sind, wie wir hier es eigentlich schon eh und je sind. (18/187-193)

(...) aber ich stelle wie gesagt * äh * fest, die (...) vor fünf oder zehn Jahren hierüber gekommen sind, die haben also jetzt Angst davor, daß denen eine Schnitte Brot eventuell weggenommen * äh * würde ... (18/203-207)

Hier werden Toleranzmangel und sozialer Neid der »Anderen« kritisiert:  Nicht die Menschen in den alten Bundesländern bangen um ihren Wohl­stand, sondern dies ist nur bei den »Anderen« zu beobachten.

Dem reiht sich ein nahezu klassisches Vorurteil über Einwande­rInnen ganz allgemein an:

(...) wir werden ja wohl ein * äh * Land * äh * bleiben, das immer mit * äh * Zuwanderern jetzt zu kämpfen haben wird * äh * aufgrund un­seres Wohl­standes. Die kommen ja * äh * nicht wegen der Arbeit nach hierhin, sondern die meinen, daß sie hier ein besseres * äh * Leben führen können. (18/260-265)

Im Klartext heißt dies: EinwanderInnen sind zunächst einmal »Wirtschafts­flüchtlinge«. Damit wird ihnen erst einmal jedes an­dere mögli­che Motiv für die Einwanderung in die BRD abgesprochen und zugleich be­hauptet, sie wollten lediglich vom Wohlstand in (West-) Deutschland profi­tieren und sich ein angenehmes Le­ben machen.

Zur Zeit stellen diese »Zuwanderer« zwar noch keine Bedrohung der Einge­bo­renen dar, denn „wenn die ja nach wie vor so sozial unterstützt werden, wie das im Moment der Fall ist“ (18/305-306), gibt es weiter keine Probleme, bis – ja, bis „Kürzungen auch für Über- und Aussiedler im Raume stehen“ (18/309), und dann – so pro­phezeit der Interviewte – wird „wieder eine Zeit der Plünderung“ (18/311) auf die Eingeborenen zukommen, und das „wäre natürlich fatal“. (18/312-313)

Den EinwanderIn­nen muß noch eine »Bewährungschance« offenstehen – man ist schließlich tolerant:

Ich denke dran, daß hier ja doch sehr hart gearbeitet werden muß, und wir unser Geld nicht auf der Straße finden. Ähm *, wenn sich die ande­ren dar­über im Klaren sind, seh ich da (...) keine Probleme. (18/270-274)

Mit anderen Worten: erst einmal ordentlich die Sozialhilfe und alle weiteren Unterstützungen für EinwanderInnen kürzen, dann kommen die schon ans Arbeiten.

Oder anders: ohne Anpassung an die »deutsche Tugend« des Fleißes auch keine Toleranz den EinwanderInnen gegenüber.  Auffällig ist in diesem Zu­sammenhang eine im Rahmen der Fremddarstellung erkennbare Steige­rung:

überlaufen“ werden (18/277,279), „Völkerwanderung“ (18/281), „sehr dicht besiedelt“ (18/285,286), „Wohnungsprobleme“ (18/295), „Neid“ (18/297), „dann (wird) viel gestohlen“ (18/300), „mehr noch gestohlen“ (18/3O0), „eingebrochen wird“ (18/301) „und anderer Leute Eigentum beschädigt wird“. (18/301f.)

Diese Palette von Problematiken, Bedrohungen und Kriminalitäten, die hier heraufbeschworen wird, kann kaum Zweifel an der ei­gentlichen Intention der Interviewten lassen: »Grenzen dicht« und »Ausländer raus«!

 

3.5    Zusammenfassung

Trotz vorsichtig und moderat erscheinender Formulierungen ist der Tenor der Einstellung beider Interviewten zu Einwande­rInnen unzweideutig:

EinwanderInnen sind »anders« und dies immer im negativen Sinne. Sämtli­che »Negativeigenschaften«, angefangen vom nicht-christli­chen Glauben, über andere Kleidung und somit quasi erz­wungenermaßen eine andere Men­tali­tät, welche zugleich mit einem „fremdländische(n) Aussehen“ (18/ 381-382) der „komische(n) Ge­stalten“ (18/325) einhergeht, das wiederum »naturgegebenermaßen« von Boshaftigkeit, Unverschämtheit und Aufdring­lichkeit zeugt - bis hin zu Intoleranz und sozialem Neid, welche letztendlich in kriminellen Handlungen münden - all diese gegen EinwanderInnen ge­richteten Darstellungen angeblicher Eigenschaften und Charak­terzüge von »Ausländern« und Aussiedlern offenbaren die rassi­stischen Denkmuster der Befragten. Diese selbst - als doch recht wohlsitu­ierte Bürger einer reichen Bundesrepublik Deutschland - betrach­ten dabei die ihnen eigenen Lebens­weisen und »Lebensweisheiten« als die einzig wahren und »normalen«, die den Maßstab für alle anderen setzen, welche sich ausschließlich nach die­sem Maßstab zu rich­ten haben, um überhaupt den Status des Geduldet­seins zu erlan­gen.

4.      Argumentationsstrategien

Folgende Strategien lassen sich in der Argumentation der Inter­viewten er­kennen:

1.      Das Aussehen, die Sitten und Gebräuche der EinwanderInnen werden mit denen der Ein­geborenen verglichen.

2.      Verschiedene Gruppen von EinwanderInnen werden gegeneinander »ausgespielt«.

3.      Scheinbar positive Aussagen über EinwanderInnen fungieren als »Schutzmantel« gegen den möglichen Vorwurf des »Rassismus«.

4.      Eine positive Selbstdarstellung bedingt eine negative Fremd­darstel­lung.

 

4.1    Vergleiche: »wir« und »die«

Diese Strategie findet sich insbesondere dort, wo von türkischen  Einwan­der­Innen die Rede ist. Dabei spielt hier neben der zu beob­achtenden Kon­struktion quasi »naturgegebener« Gegensätze zwi­schen Türken/Türkinnen und Deutschen (Glaube, Mentalität, allge­meine Lebensweise) die Sprache eine entscheidende Rolle. Die Benennung der EinwanderInnen mit dem Wort „Ausländer“ (18/73,81,98,usw.) erfolgt insgesamt neunmal und ist da­mit die am häufigsten verwendete Bezeichnung. Zumeist sind damit türki­sche EinwanderInnen gemeint.

Die Ab- bzw. Ausgrenzung von EinwanderInnen erfolgt zudem über die Wahl der Pronomina. Bei Vergleichen, die zwischen EinwanderInnen und Eingebo­renen gezogenen werden, erzeugen die Pronomina die Trennung zwischen „wir Deutschen“ (18/84,11,87, usw.) und „diese(n) Aus­länder(n)“ (18/97) bzw. „diesen Türken“(18/349).

Auffällig beim Gebrauch des Personalpronomens »wir« ist, daß es

a)      zur Selbstdarstellung im Sinne einer Besonderheit des Inter­viewten als Deutscher sowie der Deutschen allgemein dient und

b)      gleichzeitig zum Vergleich mit anderen Nationalitäten und Völkern bzw. zur Abgrenzung der Deutschen von diesen verwen­det wird. Ver­stärkung erfährt dies durch den parallelen Ge­brauch von Demonstra­tivpronomina.

Ferner dient die Verwendung des Personalpronomens »wir« der Ver­einnah­mung anderer (ZuhörerInnen). Wenn der Interviewte sagt: „Wir sehens ja jetzt schon bei vielen DDR-Leuten“ (18/266,267), dann impliziert bzw. sug­geriert dies, daß nicht nur der Sprecher es sieht, sondern daß alle oder zu­mindest viele (die Mehrheit) es sehen, hören, wissen, usf. Der Sprecher kann da­durch seine Meinung / seinen vollzogenen Vergleich zwischen Ein­geborenen und EinwanderInnen (scheinbar) stützen und somit Äuße­rungen gegen EinwanderInnen u.U. eher abgeben, als dies beim Ge­brauch des Pro­nomens »ich« der Fall wäre.

 

4.2    Ausspielen verschiedener Gruppen von EinwanderInnen

         Die Italiener sind „ein ganz anderer Menschenschlag“

Der Schneider vergleicht italienische und türkische EinwanderInnen:

Die * äh * Italiener waren * äh * ein ganz anderer Menschenschlag, sie kamen auch * äh * viel öfter ins Geschäft hinein, ließen sogar selbst Anzüge (...) hier arbeiten; das is * äh * unter diesen Türken * äh * nicht mehr der Fall. (18/345-350)

Diese scheinbar harmlose Formulierung erweist sich bei genauerer Betrach­tung als eine Form der Diskriminierung von EinwanderIn­nen, des Gegen­einander-Ausspielens zweier Gruppen zum Zwecke der besonders negativen Darstellung der einen von beiden Gruppen (hier der türkischen).

Diese Stelle zeigt zudem das von Leiprecht[5] formulierte Prinzip der „In­stru­mentalisierung“:

Die Gruppe der ItalienerInnen wird positiver als die der Türken/Türkinnen bewertet, da erstere „ein ganz anderer Men­schenschlag“ sei. Nähere Erläu­terungen, warum dies so sein soll, fehlen zwar, aber es wird trotzdem deut­lich werden, weshalb italie­nische EinwanderInnen dem Befragten will­kommener sind: sie dienen in erster Linie dem Geschäftsin­teresse des In­terviewten, oder um mit Leiprecht zu sprechen: „Die »Anderen« werden je­weils (...) nach der Nützlichkeit für den eigenen Standpunkt beurteilt“[6].

 

4.3    Positivaussagen

         „Es ist jetzt nich so, daß wir uns irgendwie fürchten müssen…“

Äh * es sieht aber jetzt nich so aus, daß es sich hier mit den Aus­ländern nicht leben läßt * äh *, es is * äh * hier in jedem Fall noch so, daß man doch damit ganz gut zurecht kommt. (18/72-75)

Hier wird nicht von einem aktiven Zusammenleben gesprochen, son­dern le­diglich davon, daß „es sich (...) mit den Ausländern (...) leben läßt“ und man „ganz gut (damit) zurechtkommt“. Die »Bereitschaft« zum Miteinander geht dem Wortlaut nach also von den Eingeborenen aus. Interessant ist da­bei der Ge­brauch der passivischen Form „es sich (...) leben läßt“ sowie des Ver­bums »zurechtkommen«. Diese deuten ebenso auf ein Miteinander auf­grund einer »üblen« Notwendigkeit hin, nicht aber auf ein ak­tives Mitein­ander.

(...) es is jetzt nich so, daß * äh * wir uns irgendwie fürchten müs­sen vor die­sen Ausländern, ich glaube, daß es * äh * sich da auch um sehr friedliche * äh * Personen handelt ... (18/96-99)

(...) die (werden) meines Erachtens nich eher straffällig als wir Deutschen sel­ber (18/108-111)

Diesen Ansichten widerspricht der Befragte am Schluß des Inter­views, in­dem er eine erhöhte Kriminalität durch den weiteren Zuzug von Ein­wan­de­rinnen nicht nur für denkbar hält, sondern diese bereits festzustellen meint:

Man sieht (...), daß ja Überfälle (...) sich (...) in den Zei­tungen bereits häufen (18/331ff.)

Daß die Überfälle »in den Zeitungen« stattfinden, verweist darauf, welche Re­alitäten die Medien für die Menschen besitzen. Sie scheinen geradezu an die Stelle der Wirklichkeit zu treten.

 

4.4    Positive Selbstdarstellung - negative Fremddarstel­lung

         „Es sind aber auch noch (...) nette Deutsche unter uns“

Eine wiederholt angewandte Strategie des Argumentierens gegen Einwan­derInnen besteht in dem Bemühen des Schneiders, von sich selbst bzw. den »Deutschen« ein besonders positives Bild, von den EinwanderInnen hinge­gen ein stark negativ gefärbtes Bild zu zeichnen und dadurch den Rahmen für eine Ab- bzw. Ausgrenzung von EinwanderInnen zu liefern:

(...) is es so, daß durch den sehr hohen Ausländeranteil eine echte Nachbar­schaft gar nich mehr zustande kommt... (18/5-7)

Es sind aber auch noch * äh * nette Deutsche unter uns in der Nach­bar­schaft... (18/16,17)

(...) diese Leute (gemeint sind Türken) * äh * sind * äh * meines Er­achtens nach nicht so anpassungsfähig (18/82-84)

(...) wir Deutschen (haben) uns eher * äh * diesen Leuten schon ange­schlossen (18/87,88)

(...) stelle unter diesen Leuten (gemeint sind ehemalige DDR-Flücht­linge) doch fest, daß sie nicht so tolerant sind, wie wir hier es ei­gentlich schon eh und je sind. (18/191-193)

Immer läßt sich hier, wie auch an vielen anderen Stellen im In­terview, eine Kopplung zwischen positiver Darstellung der eigenen Zugehörigkeitsgruppe und Negativdarstellung der »Anderen« ablesen. Das »Selbst« wird damit zum gültigen Maßstab gemacht, nach welchem sich alle anderen Gruppen zu rich­ten haben. Alles, was »anders« als dieses »Selbst« ist, wird aus dem Bereich des »Normalen« ausgegrenzt.

 

5.      Quellen des Wissens

Die meisten Aussagen zu EinwanderInnen basieren auf eigenen Er­fahrun­gen bzw. auch Vermutungen, welche die Befragten aus ihrer Lebensumge­bung (Bergbaugebiet mit einem hohen Anteil türkischer BewohnerInnen) schöpfen. Dennoch ist auffällig, daß viele dieser (scheinbar) eigenen Er­fah­rungen durchscheinen lassen, daß es sich nur zu einem gewissen Teil um wirklich unmittelbar selbst erlebte Geschehnisse handelt und daß sich an­sonsten eigene Er­lebnisse mit Wahrnehmungen über Presseberichte, Fern­sehsendungen oder auch Erzählungen Bekannter mischen. Insofern ent­spricht dies der Aussage van Dijks, nach welcher sich der Alltagsdiskurs vor allem durch den Diskurs der Eliten speist.[7]

Folgende Äußerungen über EinwanderInnen unterstreichen diese These:

(...) die (gemeint sind Cinti und Roma; U.B.) gehen mein Erachtens nach eher in die Hauptgeschäftsstraßen hinein (...) und setzen sich dort an den Ge­schäftsein­gängen auch hin oder betteln... (18/394-398)

(...) das mach ich grundsätzlich nich, ich kauf denen (Cinti und Roma; U.B.) nichts ab, dann hat man se immer wieder hier stehen. (18/404-406)

Ja, zum ersten die Wohnungsprobleme. (...) man wohnt ja hier schon so dicht aufeinander, und wo soll das alles hin? Ja und dann der Neid. (...) und über­haupt, die Übersiedler, Umsiedler, die alle hier kommen *, und daß dann viel gestohlen wird (...), ander Leuts Eigentum be­schädigt wird... (18/295-302)

Ich (...) würde sagen, wir werden hier überlaufen, also es kommen zu­viele Aus­länder. Alles will nach Deutschland hin oder beziehungsweise nach West­deutschland, und die können wir gar nich alle packen. (18/276-280)

Gerade auch der Gebrauch des Kollektivsymbols des »Überlaufenwerdens« sowie die »Verallgemeinerungen«, mit denen Ein­wanderInnen gerade auch in Medien häufig in Zusammenhang gedacht werden (Wohnungsmangel, Arbeitsplatzmangel, Kriminali­tätszuwachs, usw.), deuten auf den Einfluß des Elite-Diskurses auf den Alltagsdiskurs der Befragten hin, so daß es sich bei vielen ihrer Eindrücke und Meinung offensichtlich nicht allein um sub­jektive Erfahrungen handelt.

An einer Stelle im Interview werden direkt die Medien, hier die Presse, zur Stützung eigener Aussagen herangezogen:

(...) man siehts ja auch jetzt schon eigentlich tagtäglich in den Zei­tungen, daß ja Überfälle (...) sich (...) häufen, Überfälle (...) von * na, Geschäftsleuten * äh, Einbrüche in Wohnungen * ähm *, in Spielhallen. (18/331-336)

Die Verinnerlichung, das Haftenbleiben dieser Zeitungsmeldungen kommt sicherlich nicht zuletzt auch daher zustande, daß die Be­fragten selbst Ge­schäftsleute sind und sich insofern – verstärkt durch solche Zeitungsmel­dungen – als potentielle »Opfer« kriminel­ler Handlungen von EinwanderIn­nen sehen.

Die Einflußnahme des Elite-Diskurses auf den Alltagsdiskurs spiegelt sich ferner in Redewendungen und Sprüchen der inter­viewten Personen wider. Das nachstehende Zitat zeigt, wie stark die Urteile und Klischeevorstellun­gen über »die Deutschen und ihre Arbeitsqualität« im gesellschaftlichen Bewußtsein verankert sind.

Ja, wenn ich das jetzt mal aus * äh * handwerklicher Sicht (...) sa­gen darf * äh *, wird uns immer wieder von unseren Organisationen ge­sagt, daß wir dem EWG-Binnenmarkt zuversichtlich entgegensehen können * äh *; das Wort »Made in Germany« (...) ist wohl das Wichtigste * äh *, was * äh * uns dann hinterher * äh * weiterhin * äh * zum Erfolg bringen wird; denn (...) unsere Qualitäts­arbeit wird doch nach wie vor dann gefragt sein. Wir können also in erster Linie darauf * äh * fußen, daß wir doch eine recht solide Ausbildung (...) hier haben, und somit auch imstande sind, * äh * die Machenschaften, die da auf uns zukommen werden (...), doch spielend zu meistern. (18/213-225)

Neben der Glorifizierung der Werte der eigenen Zugehörigkeits­gruppe („Qua­li­täts­arbeit“, „Made in Germany“, „solide Ausbil­dung“, „Erfolg“, „Ma­chen­schaften (...) spielend (...) meistern“) begegnen wir hier wieder der be­reits angesprochenen Strategie, die »Gegen­seite« mit Negativattributen („Machen­schaften“, „Konkurrenz“) zu belegen. Dem Gegner muß quasi der Kampf angesagt werden, wobei gar nicht einmal so klar wird, wer denn nun eigentlich die gegnerische Seite mit ihren „Machenschaften“ darstellt (alle EG-Länder?). Scheinbar wird zunächst einmal alles, was »von außen« an die eigene Gruppe herantritt, als gegnerisch wahrgenommen. Diese »Innen-Au­ßen-Strukturen«, gekoppelt mit dem Bild des »Einer ge­gen alle« (hier die BRD gegen sämtliche Länder der Europäischen Gemeinschaft) sind offen­sichtlich Ausdruck einer Grundhaltung der Befragten: auch die Aussagen zu EinwanderInnen lassen – wie gezeigt – ähnliche Strukturen oder Denk­muster erkennen (s.o. 3.2: ein deutsches Kind gegen viele türkische Kinder/ und 3.4: die BRD als „ein Land“, das immer mit „Zuwanderern jetzt zu kämp­fen haben wird“ (18/260-265)).

 

6.      Besonderheiten

         „Es wird sowieso so ne Völkerwanderung in Zukunft ge­ben...“

Da das Interview mit zwei Personen geführt wurde, stellt sich die Frage, ob sich Unterschiede in Art und Form der Argumenta­tionen bzw. in der Form des Rassismus bei der Frau und beim Mann feststellen lassen. Es wurde be­reits erwähnt, daß die Befragte

a)      einen Schwerpunkt auf genetische Merkmale von EinwanderInnen legt und

b)      daß sie ein diffuses Angstgefühl gegenüber dieser Bevölkerungs­gruppe hegt (vgl. 3.2).

Es läßt sich aber noch ein weiterer Unterschied feststellen. Während der Mann auf vorsichtige Formulie­rungen bedacht ist, gibt sich seine Frau offe­ner und zudem stärker emotional am Gespräch beteiligt. Dies zeigt sich zum einen an ihrem spontanen Wunsch, sich doch noch in die Befra­gung einzu­bringen (ab 18/276), um ihrem Mann zu widersprechen, indem sie di­rekt ihre Meinung kundtut, die »Deutschen« würden von den Ein­wan­derIn­nen „überlaufen“ (18/277) und es kämen „zuviele Auslän­der“ (18/276). Fer­ner gibt sie sich äußerst pessimistisch bezüg­lich der EinwanderInnen, wäh­rend ihrem Mann oftmals daran gele­gen scheint, vorsichtig abzuwägen, stets dabei versichernd, die Probleme nicht aufbauschen zu wollen:

Insofern (...) seh ich da jetzt doch nicht so die Probleme drin, ne? (18/88,89)

(...) seh ich da überhaupt keine Schwierigkeiten (18/251,252)

(...) seh ich da (einfach) ebenfalls keine Probleme (18/273,274)

(...) seh ich nicht die Probleme (18/306,307)

Häufig ist jedoch mit dieser Strategie des Herunterspielens ab­lehnender Haltungen eine Betonung des »Wohlwollens« seitens der Eingeborenen bzw. des Befragten verbunden. Allerdings verknüpft sich dieses »Wohlwollen« oftmals mit Forderungen nach Anpassung und Unterordnung der Einwan­derInnen (vgl. oben).

Diesem vorgetäuschten Optimismus setzt die Befragte eine eindeu­tig pes­simistische Einstellung entgegen, wobei sie ihre Argu­mente mit »pro­phe­ti­schen« Momenten versieht:

Es wird sowieso so ne Völkerwanderung in Zukunft geben... (18/281)

Ich seh da nicht so optimistisch in die Zukunft. Ich seh eigentlich das Problem n bißchen pessimistisch. (18/289,290)

(...) das seh ich eigentlich auf uns zukommen. (18/302)

(...) obwohl mir noch nichts passiert ist, aber ich weiß nicht also ich meine, da käme doch was auf uns zu. ich hoffe es nicht, aber * ähm * ich glaube, das is gar nich so weit weg, daß es kommen könnte. (18/326-330)

Dieses Heraufbeschwören einer unsicheren, »dunklen« Zukunft geht eng einher mit den zum Ende des Interviews hin verstärkt auftretenden Erleb­niserzählungen, so daß gehäuft fiktionale Textstrukturen erkennbar wer­den. Durch die Teilnahme der Frau am Interview entsteht eine neue Situa­tion, da sie – stärker als ihr Mann – auf Begebenheiten eingeht, welche sie persönlich erlebt hat. Das Einbringen kleiner »Geschichten« wird u.a. an folgenden Stellen im Interview deutlich:

Im folgenden wird der Aufforderung der Interviewenden nachgekommen, eine Situa­tion zu schil­dern, in welcher die Befragte Angst vor Einwande­rInnen hatte:

** Ja, irgendwie kam mal jemand hier (ins Geschäft) rein, also ir­gendwie ne fremdländische Gestalt... (18/357-382)

Diese Passage ist ein typischer Erlebnisbericht, eingeleitet mit dem Satz „ich habs ja schon erlebt“. (18/324) Erzählt wird eine Begebenheit im Ge­schäft der Befragten: Die Frau hatte Angst vor einem Einwanderer, der hereinkam. Sie war allein, da ihr Mann zu der Zeit im Krankenhaus lag.

(...) und dann kommen so komische Gestalten hier herein, da bekommt echt mit der Angst zu tun (...) also ich meine, da käme doch was auf uns zu. (18/322-330)

Kennzeichnend für die fiktionale Struktur dieser und vieler weiterer Stellen im Interview sind mehrmalige Brüche und Neuan­sätze im Erzählprozess, wiederholte Wechsel der Tempora sowie die Verwendung elliptischer Sätze:

(...) und weiß nich, was er (der Einwanderer) noch alles gesagt hat, geschimpft und dann raus. (18/371,372)

Zu beobachten ist ferner, daß sich das Gespräch zum Schluß ge­wissermaßen hochschaukelt: Durch die Teilnahme der Frau ändert sich die Form des In­terviews auch insofern, als sie ihren Mann quasi mitreißt, d.h., daß nun auch er offener in seiner Argumentation wird, und weniger auf Vorsicht be­dacht bleibt. Damit kann sich die Interviewende weitgehend zurückziehen, denn die Befragten beginnen ein diskussionsähnliches Gespräch. Dies wird auch daran deutlich, daß der Mann nun ebenfalls immer häufiger auf Erleb­niserzählungen zurückgreift:

Da könnt ich ja jetzt ein Beispiel erzählen... (18/411)

Erzählt wird eine Situation, in der Einwanderer in die Schneide­rei herein­kommen und für ihren Zirkus Geld sammeln möchten, der Befragte aber mit der Begründung ablehnt, man solle lieber „für Menschen (...) sorgen, nämlich die UDSSR“. (18/416,417)

 

7.      Resümee

Beide Interviewpartner grenzen „Ausländer“ gegen „Deutsche“ ab. Diese Abgrenzung erfolgt auf zwei Ebenen: Zum einen werden gene­tische Merk­male von EinwanderInnen mit bestimmten negativen Cha­raktereigenschaf­ten in Beziehung gesetzt (besonders – aber nicht nur bei Cinti und Roma). Daraus beziehen die Befragten,  vor allem die Frau, die Begründung für dif­fuse Angstgefühle ge­genüber EinwanderInnen, welche sie jedoch nicht an tatsächlichen Bege­benheiten festmachen können. Daher berufen sie sich auch häufig auf Erzählungen von Bekannten bzw. auf Medienberichte. Zum anderen werden kulturelle Eigenschaften gewissermaßen »naturalisiert«, indem andere Lebensweisen, ande­rer Glaube oder andere Kleidung abge­lehnt werden und zugleich mit einer ganz anderen Mentalität in Verbin­dung ge­bracht werden, so daß eine Annäherung von EinwanderInnen und Eingeborenen von vornherein ausgeschlossen wird. Damit ist das Moment der Ausgrenzung von EinwanderInnen gegeben: sie sind »anders«, sie pas­sen nicht zu den eigenen »Landsleuten«, folg­lich kann man mit ihnen nicht zusammenleben.

Die ablehnende Haltung gegenüber EinwanderInnen zeigt sich mit Bezug auf Türkinnen/Türken und Cinti und Roma in unterschiedli­cher Weise. Während ersteren vor allem mangelnde Anpassung in kultureller Hinsicht vorgeworfen wird, werden  Cinti und Roma nicht nur aufgrund ihrer Kul­tur, sondern besonders wegen ihres »anderen« Aussehens abgelehnt. Es ist denkbar, daß die Befragten Türkinnen und Türken gegenüber »wohl­wollen­der« eingestellt sind als gegenüber Cinti und Roma als einem „nicht­seßhaf­ten Volk“ – , da erstere seit vielen Jahren im Wohngebiet der Interviewten le­ben und im Bergbau arbeiten, so daß man auch von einem »Gewöh­nungs­ef­fekt« sprechen könnte.

Ferner werden »Gastarbeiter« generell positiver gesehen, da sie durch ihre Ar­beitskraft und Mithilfe am Aufbau der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg teilhatten, weil sie also dringend gebraucht wurden. Cinti und Roma aber scheinen den Befragten wesentlich »fremder« zu sein, weshalb die Vorstel­lungen über diese Gruppe von EinwanderInnen auch stark an gängige, in der Bevölkerung und den Medien weit verbreitete Negativklischees erin­nern (sie betteln!).

Die Abgrenzung von EinwanderInnen und Eingeborenen erfolgt viel­fach über eine besonders positive Darstellung der „Deutschen“, wobei die »ande­ren« Gruppen zugleich mit Negativ-Attributen versehen werden. Bei dem Mann geschieht dies auf eine etwas modera­tere Art und Weise als bei seiner Frau, die ihre Abneigun­gen, besonders bezogen auf Cinti und Roma, offener artikuliert.

Die mei­sten EinwanderInnen werden als »Wirtschafts­flüchtlinge« einge­schätzt; andere Motive für die Einwanderung werden von den Befragten erst gar nicht in Betracht gezogen. Die Unterstützung der Einwande­rInnen durch soziale Hilfestellungen wird dabei als übertrie­ben angesehen.

Die Kernansicht beider ist, daß zu viele EinwanderInnen in die BRD kom­men, daß dadurch in erhöhtem Maße Wohnungsmangel, sozialer Neid sowie ein Anstieg der Kriminalität entstehen, was ferner eine Bedrohung des so­zialen Friedens und der Sicherheit der einheimischen Bevölkerung dar­stellt.


3.3         Margret Jäger:

              „Komm, ich weiß nicht, das is irgendwie 'ne Brutstätte für Ag­gressio­nen!“

                 Bettina Robel - eine junge Frau - mit „typisch weiblichen“ Eigenheiten[8]

 

1.      Warum gerade Bettina?

Bettina Robel kannte ich vor meinem Interview seit etwa 3 Jahren. Wir wohnen im gleichen Viertel, einem Stadtteil von Duisburg, in dem der An­teil von EinwanderInnen sehr gering ist. Bettina hat - wie ich - einen Hund, mit dem sie regelmäßig spazieren geht. Auf diesen Spaziergängen ist es häufiger zu Gesprächen über Hunde, Menschen, Beruf, Weltlage etc. ge­kommen.

Bettina ist 34 Jahre und lebt allein. Seit etwa 5 Jahren ist sie geschieden. Kurze Zeit vor unserem Gespräch hatte sie sich als Schauwerbegestalterin selbständig gemacht - für mich ein Indiz für eine gewisse Risikobereitschaft. Überhaupt wirkte sie auf mich wach und interessiert, obwohl sie häufiger betonte, daß ihr die Kompetenz und Ausbildung fehle, um z.B. politische Dinge wirklich beurteilen zu können.

In meinen Augen stellte sie sich als eine Person dar, die offen und sogar ein bißchen mutig, die aber auch gleichzeitig unsicher ist und dies auch nicht verbirgt. Gerade deshalb interessierten mich ihre Ansichten über Einwan­derInnen in Deutschland. Ich erwartete keine starren Haltungen und war gespannt darauf, ob und wenn ja, welche Ressentiments sie gegenüber die­sen Menschen hat und wie sie diese vorträgt.

 

2.      Von „Brüdern und Schwestern“ und Polen

Obwohl Bettina derzeit nicht persönlich davon betroffen ist, sieht sie im Zu­zug von Menschen nach Deutschland durchaus ein Problem. Dadurch würde sich die Wohnungsnot vergrößern, und sie befürchtet sogar:

Der Zorn in der Bevölkerung wird immer größer, und irgendwann fallen dann mal irgendwelche Schüsse... (15/151-52)

Dabei geht es ihr im wesentlichen um zwei Gruppen von Menschen, die sich beide noch nicht sehr lange in der BRD aufhalten: um die Ostdeutschen, besser um Ex-DDR-Bürgerinnen und -Bürger, und um Polinnen und Polen. Gegenüber beiden urteilt sie aus einem Gefühl der Überlegenheit heraus.

Die Ex-DDRlerInnen machen sich in ihren Augen falsche Vorstellungen von der Welt; sie sind naiv und können die Realität nicht richtig beurteilen:

“Unsere Brüder und Schwestern“ - wie sie diese BundesbürgerInnen iro­nisch nennt „wollten alles viel zu schnell“ (15/111), sie haben „einfach zu ... großar­tige Vorstellungen“ (15/116) und hätten sich „wahrscheinlich zu ... vorschnell Hoffnungen gemacht“. (15/120-121)

Bettinas Charakterisierungen lassen die Ostdeutschen nicht nur mit zu ho­hen Ansprüchen, sondern gleichzeitig als ahnungslos, fast kindlich erschei­nen. Ihre eigene Überlegenheit und die darin eingehende Überzeugung, daß sie, Bettina, die richtigen Ansprüche stellt, problematisiert sie nicht.

Ähnlich und doch mit anderen Akzenten urteilt Bettina über die hier anwe­senden Polinnen und Polen, von denen wir nicht erfahren, ob es sich dabei um Spätaussiedler handelt. Bei dieser Gruppe von EinwanderInnen hebt sie hervor, sie würde von den bundesdeutschen Behörden bevorzugt, diese Menschen würden gleichsam positiv diskriminiert und legten darüber­hinaus ein unsoziales Verhalten an den Tag:

...guck mal, wenn die jetzt hier reinkommen, die bekommen sofort irgendwel­che Sozialhilfen, bekommen 'ne Wohnung zugewiesen ... und hier die V. ... die hat, glaub ich, zwei Polenfamilien in ihrem Haus ... die hat mir schon ein paar Mal erzählt, daß die sich derart ... unsozial verhalten gegenüber ihren anderen Nachbarn, ne? (15/173-178)

Dieser insgesamt negative Eindruck verstärkt sich für Bettina noch, wenn sie an den bevorstehenden einheitlichen EG-Binnenmarkt denkt; hier spricht sie zwar keine Nationalitäten explizit an, doch sind ihr die Men­schen, die sie dann einreisen sieht, nicht willkommen:

Oh, oh, oh ... da werden so einige Leutchen einreisen (15/143)

Auch befürchtet sie, daß im Zuge dieser Entwicklung die Kriminalität in Deutschland weiter zunehmen wird. (15/216)

Zwar äußert sich Bettina auch dezidiert positiv, ja geradezu anerkennend über Menschen anderer Nationalität. So betont sie vor allem die Toleranz der Holländer. Aber hier spricht sie von den Holländern in Holland.[9]

Bettina äußert damit eine Reihe der vorherrschenden sozialen Vorurteile gegenüber EinwanderInnen - und als solche müssen wir zu dieser Zeit auch die neuen BundesbürgerInnen sehen, denn sie werden von ihr folgenderma­ßen wahrge­nommen:

        Sie werden von den Behörden bevorzugt,

        sie sind unsozial, passen sich nicht in die Gemeinschaft ein,

        durch EinwanderInnen nimmt die Kriminalität in der BRD zu,

        die EinwanderInnen haben falsche Vorstellungen von unserem Land; sie sind tendenziell dumm.

In diesem Sinne liegen bei Bettina durchaus rassistische Einstellungen vor. Dabei erhebt sich allerdings die Frage, ob ihre Vorbehalte gegenüber den Ostdeutschen als rassistisch anzusehen sind. Es gibt einige Gesichtspunkte, die bei Bettina dagegen sprechen.[10]

Der wichtigste ist, daß Bettina die von ihr konstruierten Eigenheiten der Ostdeutschen nicht als unveränderbar ansieht. Sie sieht durchaus die Mög­lichkeit, daß die Ostdeutschen über einen Lernprozeß z. B. erfahren, daß die Marktwirtschaft nicht von heute auf morgen eingeführt und alle Menschen reich machen kann. Insofern könnte man eher von einer ethnozentristi­schen als von einer rassistischen Einstellung sprechen, die Bettina gegen­über den Ostdeutschen hat.

Auch genießen die Ostdeutschen ja im Unterschied etwa zu den Polinnen und Polen oder den Türkinnen und Türken in unserem Land die gleichen demokratischen Rechte wie die Westdeutschen, und auf sie kommen auch keine Gesetze wie zum Beispiel das Ausländergesetz zur Anwendung. Es ist zwar richtig, daß sie damit keineswegs zur Gruppe derjenigen gehören, die die wirkliche Macht haben. Dennoch kann dies auch nicht für alle Ostdeut­schen gesagt werden, hier ist von einer Hierarchie auch innerhalb der ost­deutschen Gesellschaft auszugehen.[11]

D.h. nicht, daß die Ostdeutschen zur Zeit in Deutschland nicht diskrimi­niert werden. Doch die Motive der Diskriminierung liegen in diesem Inter­view m.E. näher am Klassismus als am Rassismus.[12] Denn was kritisiert Bettina an den Ost­deutschen? In erster Linie, daß sie zu hohe Ansprüche stellen, auch, daß sie Kosten verursachen. Diese Argumentation ist eine, die wir ansonsten eher aus dem Unternehmerlager hören. Bettina nimmt hier eine ähnliche Posi­tion ein.

Wichtig ist aber insgesamt, daß Bettina auch die Ostdeutschen aus einer Überlegenheits- bzw. Machtposition beurteilt.

 

3.      Zur Argumentationsweise von Bettina: unsicherer Vortrag, sicheres Urteil

Negative Aussagen und Vorbehalte werden von Bettina sehr häufig  ande­ren Personen unterschoben: Es sind entweder Bekannte und Verwandte, die sie auf das angebliche Fehlverhalten von EinwanderInnen (einschließlich Ostdeutsche) hinweisen. Aber auch „die allgemeine Meinung in der Bevölke­rung“ (15/157) führt sie als Beleg für ihr Mißtrauen und ihre Vorsicht an. Dies ist anders bei den Aussagen, in denen sie positiv zu Menschen anderer Nationalität Stellung nimmt. Hier ist es sie selber, die die Erfahrung ge­macht hat:

Für mich war Holland immer gleichbedeutend mit locker und tolerant, ja wirklich! Und die Leute sind da wirklich anders, also, so wie ich das gesehen habe. Die sind viel toleranter als wir Deutschen, find ich. (15/259-261)

Angenehmes kann sie vertreten, unangenehme „Wahrheiten“ versteckt sie lieber hinter einer fremden Autorität.

Eine andere Vorgehensweise, unangenehme Dinge zu artikulieren, ohne selbst so leicht in die „Schußlinie“ zu geraten, ist für Bettina die (sicherlich nicht bewußt) vorgetragene Unsicherheit.

Es fällt auf, daß sie gerne und oft ihre Auffassung dadurch relativiert, daß sie Dinge „so sieht“, daß sie Dinge „so findet“. Damit gibt sie zu erkennen, daß ihre Ansichten völlig subjektiv seien.

Solche Relativierungen, die häufig in Verbindung mit expliziten Unsicher­heiten („Ich weiß nicht“) auftauchen, sind für ihr Gesprächs- und Argumen­tationsverhalten geradezu charakteristisch.

Auf meine Frage, ob und an welcher Stelle sie sich von der Vereinigung der beiden deutschen Staaten berührt fühle, antwortet sie:

Ja, in bezug auf erhöhte Steuern auf jeden Fall. Aber sonst ... großartig berüh­ren ... natürlich ist das schon ... ne tolle Sache, aber ... ich seh doch eigentlich mehr das Negative. Bedingt durch höhere Steuern und ... wie auch immer ne? ... also sehr ange- ... was heißt angetan davon, das ist ne gute Sache und das sollte auch so sein, aber ... ich weiß nicht, die allgemeine Meinung ... so, was ich bis jetzt alles so gehört habe, ne, die Leute, also ausm Osten, unsere Brüder und Schwestern ... ich weiß nicht, die wollten das alles viel zu schnell ... was heißt zu schnell, das ist ja innerhalb von einem Jahr, ist das ja praktisch pas­siert. (Störung durch Telefonanruf, deshalb hier Unterbrechung von 2 Minu­ten)

Du warst gerade daran, es wäre so schnell gegangen.

Ja innerhalb von einem Jahr. Nein, weißt Du warum? Die Leute, die haben einfach zu ... ich weiß nicht zu ... großartige Vorstellungen, daß das plötzlich in ihrem ... in ihrem Land, - siehste, das ist einfach immer noch nicht einge­bürgert - daß das alles so Holter die Polter geht mit der freien Marktwirtschaft und die sehen doch jetzt selbst, zig Arbeitslose und ... so schnell geht das ein­fach nicht, ne? Und die haben sich wahrscheinlich zu ... vorschnell Hoffnun­gen gemacht.

Bist Du in der Zeit auch mal drüben gewesen?

Ich war, ja,ja vor fünf Jahren.

Also jetzt nicht in der Zeit?

Nee, nee, da war ich nicht. Du? Warst Du mal drüben?

Ja, ja ich war mal da.

Und? Wie war da so die allgemeine Meinung?

Ja, auch schon son bißchen enttäuschend, nicht? Was Du auch sagst. Aber daß sie den Eindruck hatten, das geht ein bißchen über unsere Köpfe hinweg.

Die Wiedervereinigung?

Ja.

Ja, die wollten das doch?! Das versteh ich nicht.

Das seh ich auch, doch es ist wahrscheinlich noch mal was anderes, wie wir das erleben und wie die das sehen.

Ja, ja ... also ich mein, die machen sich da zu ... großartige Vorstellungen von, also...“ (15/104-137)

Meine Frage beantwortet Bettina zunächst ganz nüchtern (und korrekt) damit, daß es vor allem Steuererhöhungen seien, die sie zu erwarten hätte.[13]

In einem zweiten Argumentationsschritt beteuert sie jedoch, sie fände die Vereinigung schon eine „tolle Sache“, doch im gleichen Atemzug ist sie da­von „nicht angetan“.

Diese Formulierung ist aufschlußreich: Ganz offensichtlich nimmt Bettina an, daß es sich nicht schickt, gegen die Vereinigung zu sprechen. Die sei ja eine „tolle Sache“; sie wagt es nicht, zu sagen, daß sie die Vereinigung ab­lehnt, sondern sie wählt, um ihre Haltung zum Ausdruck zu bringen, die Verneinung einer Positivformulierung.[14]

Schließlich trägt sie im dritten Schritt dann aber doch ihre inhaltlichen Vorbehalte vor: Die aus der DDR wollten das alles viel zu schnell, jedoch re­lativiert sie dies noch einmal, indem sie die (rhetorische) Frage stellt: „...was heißt zu schnell?“

An dieser Stelle wird ihre Argumentation zwar kurz unterbrochen, doch der Faden wird danach sehr stringent wieder aufgenommen.

Hier folgt nun ihre wirkliche Auffassung, die sie mit der Frage einleitet: „Nein, weißt Du warum?“. Von dieser Auffassung läßt sie sich nicht abbrin­gen, auch nicht, als ich Informationen über die Situation in der ehemaligen DDR beisteuere, die sie immerhin einfordert. Ihr Resümee steht dennoch fest: „Ja, ja ... also ich mein, die machen sich da zu ... großartige Vorstellun­gen von, also....“

Genauso verfährt sie auch, als sie mir eine Geschichte von polnischen Kin­dern erzählt, die bei einer Bekannten im Keller spielen, um mir deren un­so­ziales Verhalten zu erläutern:

Ja, die spielen da im Keller, die Kinder, die auch da wohnen, ne? Da sitzen dann so zehn kleine Polenkinder ... mit brennenden Kerzen ... und erzählen sich irgendwelche Geschichten (Lachen). Obwohl, das könnte jetzt auch in, in irgendwelchen deutschen Haushalten passieren, das ist jetzt ... aber trotzdem das ist jetz nur son, son Beispiel. Ja, aber ich mein so, der allgemeine, Haß, will ich das nicht nennen...(15/182-187)

Hier ist nicht nur die Anspielung an die „10 kleinen Negerlein“ auffällig. Auch hier relativiert Bettina ihre Aussage: Das kann bei Deutschen auch geschehen, doch muß ihr dies „trotzdem“ als Erklärung für unsoziales Ver­halten von Polen herhalten.

Natürlich stellt sich die Frage, ob es sich bei Bettinas Relativierungen nicht eigentlich um Differenzierungen handelt: schwierige und komplexe Sach­verhalte, wie das Verhältnis von Einwanderern und Eingeborenen, erfor­dern schließlich ein paar Worte mehr als ein „Gut“ oder „Schlecht“, ein „Weiß“ oder „Schwarz“; da sind Aktzentuierungen vonnöten.

Die Analyse der beiden Textstellen zeigt jedoch, daß dies hier  nicht der Fall ist. Fast routinehaft relativiert Bettina ihre Einschätzungen und Beobach­tungen und setzt sie gerade nicht in eine Beziehung zu den dann von ihr ge­äußerten rassistischen bzw. diskriminierenden Einschätzungen. Das aber wäre erforderlich, wenn es sich um eine wirkliche Differenzierung bzw. Ein­schränkung des Gesagten handelte. Das wäre dann gegeben, wenn sie zum Beispiel bei der Vereinigung den Anteil der Westdeutschen an dem Tempo des Prozesses ansprechen würde.

Entsprechend leitet sie solche Gesprächspassagen auch häufig durch Wen­dungen wie „trotzdem“ oder „wie auch immer“ ein; der zuvor artikulierte Einwand wird negiert. Auch ist ihr Einsatz von floskelhaften Fügungen immer dann massiver, als an anderen Stellen. (“Ich weiß nicht“, „würd ich sagen“, „kann ich mir vorstellen“ „irgendwie“ etc.) Dies deutet darauf hin, daß sie sich gerade an diesen „kribbeligen“ Stellen gerne vorgeprägter Wen­dungen mit allgemeinem Gehalt bedient; diese Vagheit verweist auf das Bemühen, bei mir, der Zuhörerin, einen guten Eindruck zu hinterlassen und keinesfalls als Rassistin zu erscheinen.

So ist sie strikt darauf aus, als tolerant gegenüber anderen zu wirken und sich als einen Menschen darzustellen, der eine soziale Gesinnung hat. Ge­sprächsstrategisch versucht sie dies u.a. dadurch zu erreichen, daß sie ver­schiedene EinwanderInnengruppen und Nationalitätengruppen zueinander ins Verhältnis setzt:

....Ich glaube, daß das dann auch verstärkt zunimmt. Ich weiß nicht, ob das jetzt irgendwelche, ... Voreingenommenheit von mir ist ... der wie auch immer ... Vorurteil ... ich kann Dir das nicht sagen, aber ... und ich mein auch, daß so, das schwenkt jetzt irgendwie um, früher warens die Türken, heute sind es die Polen, paß mal auf!

Ja?

Ja, bestimmt.“(15/215-222)

Auf diese Stellung der Polen geht Bettina auch in anderen Passagen des In­terviews ein; es ist ihr offensichtlich sehr wichtig, mir diese Einschätzung mitzuteilen. Schauen wir sie uns deshalb mal ein wenig genauer an:

Neben der bereits oben herausgearbeiteten Argumentationsweise, vorsich­tig tastend ihre Auffassung darüber darzulegen, wie in der BRD mit den Polen umgegangen wird, ist ein weiterer Gesichtspunkt hier interessant:

Die Polen sind die Türken von heute. Diese inhaltliche Aussage enthält eine Anspielung auf die in den 60/70er Jahren entstandene Wendung „Die Tür­ken sind die Juden von heute.“ Sie wurde damals von denjenigen geprägt, die vor Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in der BRD warnen wollten.

Mit dieser Anspielung will Bettina verdeutlichen, daß sie diese Entwicklung nicht gutheißt. Sie erweckt damit den Eindruck, als habe sie keine Ressen­timents gegenüber fremden Menschen in diesem Land, als sei sie tolerant. Trotzdem hat sie aber nicht mehr und nicht weniger gesagt, als daß sie diese Beobachtung macht. Die Bewertung dieser Beobachtung funktioniert nur über die Anspielung.[15] Sie muß erst als solche von mir verstanden wer­den. Hätte Bettina es mit einem Gesprächspartner zu tun, der gegen wei­tere Einwanderer in unserem Land ist, so könnte dieser lapidar erwidern: „Ja, ja, da sehen wir es wieder. Wir haben immer Ärger mit den Auslän­dern.“

Die Anspielung auf der formalen Ebene und die „Ausspielung“ von Türken und Polen auf der inhaltlichen Ebene ermöglichen ihr somit, sich als tole­rant darzustellen.

Auch die bereits angesprochenen Aussagen zu den Holländern verfolgen un­ter „gesprächsstrategischen“ Gesichtspunkten das gleiche Ziel. Dabei wer­den die Holländer mit den Deutschen verglichen, und die Deutschen kom­men deshalb schlecht weg, weil sie eben nicht so tolerant sind, weil sie nicht mal auch „sonne Sache schleifen lassen“ können. (15/263)

Daß ihre Toleranz äußerst brüchig ist, verdeutlichen jedoch die mehrfachen „Stilbrüche“, die Bettina im Gespräch unterlaufen. Wenn mehr Menschen ins Land einreisen können, sieht sie die Gefahr eines Bürgerkrieges herauf­ziehen:

Der Zorn in der Bevölkerung wird immer größer, und irgendwann fallen dann mal irgendwelche Schüsse. (15/151)

Auch beim Versuch, sich die gegenwärtigen Schwierigkeiten zu erklären, stellt sie fest:

Und wenn du nicht plötzlich als Außenseiter darstehen willst, das geht gar nicht. Sofort wirst Du ... niedergeknüppelt. (15/309)

Und schließlich sieht sie auf den Straßen deutsche Menschen, die machen „ein Gesicht zum Reinschlagen.“ (15/290)

Die tolerante Bettina offenbart hier plötzlich eine erstaunlich aggressive Phantasie.[16]

Dennoch bemüht sie sich, mit Hilfe von Relativierungen und Anspielungen so offen wie möglich zu argumentieren. Sie möchte offenbar zwei Dinge mit­einander in Einklang bringen: sie will es jedem Recht machen und sich keine Gegner schaffen, und sie will gleichzeitig das, was sie denkt, auch sa­gen.

Diese Haltung ist dann auf den Punkt gebracht, wenn sie sagt:

Komm, ich weiß nicht, das ist irgendwie 'ne Brutstätte für Aggressionen. (15/163)

 

4.      Von der Verschleierung der Angst

Dabei haben Bettinas Ängste und unterschwellige Aggressionen (auch und gerade gegenüber Deutschen) nur sehr bedingt etwas mit dem Thema Ein­wanderer zu tun, denn sie äußert sie auch in Gesprächsphasen, bei denen es nicht um EinwanderInnen geht. Ihre Angst z.B., niedergeknüppelt zu wer­den, steht zum Beispiel in keinem Zusammenhang mit diesen Menschen. Im Gegenteil: Sie äußert diese Befürchtung dort, wo sie den Versuch unter­nimmt, zu erklären, warum die Deutschen so sind, wie sie sie sieht.

Angst und Aggressionen schwingen somit im Gespräch mit, ohne allerdings offen artikuliert zu werden. Offensichtlich verwendet Bettina einen Teil ih­rer Energie gerade darauf, diese Ängste zu vertuschen.

Das möchte sie zum Beispiel dadurch erreichen, daß sie auf alle Fragen prä­zise zu antworten bemüht ist. Die häufigen Antwortpartikel (Ja/Nein), mit denen sie ihre Antworten einleitet, sind nur ein formaler Hinweis darauf. Auch Nachfragen, mit denen sie sich der Fragestellung noch einmal zu ver­gewissern sucht, belegen diese Unsicherheit, die allerdings einhergeht mit einer hohen Bereitschaft, das Richtige zu antworten. Insgesamt finden sich im Interview neun solcher Nachfragen:

Hast Du denn irgendwie so das Gefühl wenn du über die Straße gehst, daß du dann unsicher bist? Ich mein, Du gehst ja ziemlich häufig, aber Du hast ja H. (Hund) dabei.

Den Leuten gegenüber? Nee eigentlich nicht. Nee ... ich mach mir da auch keine großartigen Gedanken, daß ich jetzt irgendwie, was weiß ich, angegriffen werden könnte oder so. Aber, wie auch immer. Nee kann ich eigentlich gar nicht sagen… (15/223-229)

Ja, Außenseiter. Du bist ja geschieden. Da bist Du doch auch Außen­seiterin?

Wieso? Meinst Du ich bin jetzt in 'ne Außenseiterrolle mit meinem Single-Da­sein? ... Och nee, ich seh das eigentlich anders. (15/311-314)

Die Tatsache, daß Bettina mir im gesamten Interview insgesamt nur zwei „Geschichten“ erzählt, verdeutlicht, daß sie sich überhaupt nicht locker und frei fühlt.

Ein weiteres Mittel, mit dem Bettina ihre Balance zu halten versucht, ist, daß sie sich sogenannter typisch weiblicher Kommunikationsstrategien be­dient. So gibt es neben den angesprochenen Nachfragen auch solche, mit denen sie mich in das Gespräch einbeziehen will und die dazu geeignet sind, die künstliche Interviewsituation zugunsten eines ausgeglicheneren Ge­spräches aufzulösen. (s.o. zur Frage der Vereinigung)

Auch die hohe Anzahl der Gesprächswörter (ne, mhm etc.) ist ein Hinweis auf ihr Bemühen, auf ihre Gesprächspartnerin einzugehen. Das aber wohl wichtigste Indiz für weibliche Gesprächsstrategien ist, daß sie sich von mir ziemlich reibungslos die Themen vorgeben läßt, aber dennoch das einbringt, was ihr wichtig ist.[17]

Bettina sagt keineswegs nur das, was ich hören will:

Ja, das ist schon ein großes Problem. Irgendjemand hat mir erzählt, hier in der Nähe soll es auch Häuser geben, in denen ... ach, ich weiß, wer das war, die G., die hat mir das gesagt, hier in der Nähe sei ein Asylantenheim.

Wäre oder kommt?

Wäre.

Hab ich noch nichts von gehört. Hier in der Nähe?

Ja, also sie hat das gesagt, daß ihr das aufgefallen sei, daß so viele Dunkelhäutige an ihrem Haus vorbeikämen. Und da ist ja jetzt wie­der eingebrochen worden....

Mein Gott, die Arme, die tut mir richtig leid...

Dadurch sind wir auf dies Thema gekommen.

Ach so. Aber ich wüßte nicht wo, wo ist denn hier ein Haus...

Dir ist das also auch nicht aufgefallen, mir nämlich auch nicht.

Nee, hab ich eigentlich noch nicht gemerkt. Aber wo wäre denn hier son, son großes Haus hier in D.?

B-Straße.

Die ist ja hier. Aber was haben wir da? Asylanten? Nee, ist ja egal, weiß ich auch nicht. Ja bei der G. ist auch wieder eingebrochen worden. Ich glaube, daß das dann auch verstärkt zunimmt. Ich weiß nicht, ob das jetzt irgendwel­che, ... Voreingenommenheit von mir ist ... der wie auch immer ... Vorurteil ... ich kann Dir das nicht sagen, aber ... und ich mein auch, daß so, das schwenkt jetzt irgendwie um, früher warens die Türken, heute sind es die Polen, paß mal auf! (15/197-220)

Bettina reagiert auf mein Stichwort „Asylantenheim“ nicht so, wie ich mir das dachte; es interessiert sie in erster Linie die Frage, wo das Haus steht. Deshalb gehe ich einen Schritt weiter und schneide den Gesichtspunkt zu­nehmender Kriminalität an. Aber erst, nachdem sie merkt, daß sie das Standortproblem nicht klären kann, nimmt sie den Faden auf: „Ich glaube, daß das dann auch verstärkt zunimmt.“

Doch scheint ihr der Zusammenhang von Flüchtlingsheim und Kriminalität nicht so sehr am Herzen zu liegen wie ihre Kernthese: Die Polen sind die Türken von heute.

Der von mir ins Gespräch gebrachte angebliche Zusammenhang ist für Bet­tina nicht so gravierend; sie sieht ihn zwar, doch lenkt sie das Gespräch auf das, was für sie wichtig ist.

Es ist zu vermuten, daß ein männlicher Gesprächspartner in einem solchen Fall die Frage wohl eher übergangen hätte und neue, unbelastetere The­men angeschlagen hätte.

 

5.      Fazit

Bettina äußert durchaus rassistische Einstellungen und Auffassungen, vor allem gegenüber Polen. Diese Äußerungen unterlaufen ihr aber sozusagen unterschwellig und werden von ihr in typisch weiblicher Manier vorgetra­gen.

Unterschwellig soll heißen: Bettina äußert zwar Vorbehalte, die sie aber nicht direkt und offen artikuliert. Auch sieht sie persönlich keinen weiter­gehenden Handlungsbedarf, in unserem Land etwas gegen EinwanderInnen zu unternehmen. Allerdings problematisiert sie den momentanen Zustand - und zwar als Problem, das im wesentlichen durch die EinwanderInnen ver­ursacht wird - und ist auf diese Weise „Opfer“ des herrschenden rassisti­schen Diskurses in der Bundesrepublik.

Opfer deshalb, weil ihr Denken einerseits bereits das Resultat politischer Diskurse über EinwanderInnen in der BRD ist; ihre Auffassungen ließen sich m.E. durchaus rassistisch radikalisieren - bei entsprechender politi­scher Einflußnahme.

So könnte aus Bettina eine Bürgerin werden, die Ungerechtigkeiten an und Übergriffe auf EinwanderInnen zwar nicht begeht - sie wahrscheinlich auch nicht richtig findet, geschweige denn dazu auffordern würde -, die aber kei­nen Finger dagegen krumm macht, wenn der „Mainstream“ der Gesellschaft diese Handlungen billigt.

Das könnte so sein, das muß aber nicht so sein. Denn dem steht entgegen, daß die angesprochenen positiven Aussagen über die Toleranz natürlich nicht nur als Gesprächsstrategie interpretiert werden dürfen. Bettina ist ja in der Tat auch der Ansicht, daß Toleranz besser ist als ein verkrampftes Miteinanderumgehen. D.h. sie äußert zwar rassistische Vorbehalte, doch ha­ben diese in ihrem Leben keinen großen Stellenwert, erstens, weil sie mit diesen Menschen persönlich nichts zu tun hat. Zweitens hat sie einen ande­ren Anspruch an sich selbst, nämlich den, Vielfalt zuzulassen. Insofern äu­ßert sie auch an keiner Stelle des Interviews die Absicht, gegen diese Men­schen und die sich weiter abzeichnende Entwicklung müsse „man“ nun et­was unternehmen.[18]

Gerade deshalb soll und darf nicht übersehen werden, daß bei entsprechend positiver Einflußnahme durchaus die Chance besteht, das bei Bettina vor­handene demokratische Bewußtsein zu stärken. Es ist zwar nicht zu erwar­ten, daß sie dadurch aus ihrer doch eher passiven Haltung herauskommt, mindestens würde aber eine gewisse Resistenz gegenüber rassistischem Denken aufgebaut.

Solche demokratischen Potentiale wurden im Interview an einer Reihe von Stellen deutlich. So fordert Bettina mit einer souveränen Selbstverständ­lichkeit die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ein.

Ich frage sie zum Beispiel, ob sie als alleinstehende Frau nicht Nachteile er­lebt. Ihre Antwort lautet:

In Bezug worauf meinst Du?

Daß Du alleine bist, daß Du getrennt lebst oder daß Du geschieden bis, daß Du irgendwie mal Nachteile erlebt hast.

Ja, bei welcher Art von...?

Ja, so beim Einwohnermeldeamt oder was weiß ich, wo Du hin­kommst?

Nee, eigentlich noch nie, kann ich also wirklich nicht sagen. (15/331-336)

Auch bei der Wohnungssuche fühlte sie sich in keiner Weise benachteiligt:

Aber sonst hab ich keinerlei Probleme gehabt. Die haben mich wohl gefragt, woraus ich mein... also wie ich mein Leben finanziere, also durch Unterhalt, aber sonst...

Was natürlich kein Mann gefragt wird...

Bitte?

Die Frage wäre wahrscheinlich keinem Mann gestellt worden...

Ja genau, die haben mich wohl gefragt, ob ich ein festes Einkommen hätte, ne? (15/354-361)

Zumindest für ihre eigene Person ist die Gleichstellung von Mann und Frau so selbstverständlich, daß Bettina Schwierigkeiten hat, den Stellenwert meiner Bemerkungen einzuschätzen. Sie sieht hier nicht die Spur einer Le­gitimationsnotwendigkeit, sondern geht davon aus, daß die Forderung nach Gleichberechtigung keiner weiteren Begründung bedarf.

Hier ist sie durchaus selbstbewußt, klar und stark. An diesem Selbstbe­wußtsein läßt sich positiv ansetzen, indem die tolerante Haltung und das weibliche Selbstwertgefühl in ihren möglichen Konsequenzen präzisiert werden. Auf keinen Fall ist dabei an ihrem (angeblichen) Mitleid gegenüber den Polen anzusetzen, da dies nur aufgesetzt und nicht wirklich in ihrem Lebenszusammenhang verankert ist.

 

 

 

3.4         Sabine Walther:

              „Was ich für ausgesprochenen Blödsinn halte!“

                 Analyse eines Interviews mit Herrn Müller, 60 Jahre, Rentner[19]

 

1.      Vorbemerkung

Gemeinsam mit seiner Familie lebt Herr Müller seit nunmehr elfeinhalb Jahren in einem eigenen Reihenhaus im Duisburger Süden. Das Haus liegt in einem re­lativ ruhigen Gebiet, mit fast ausschließlich Eigenheimen im di­rekten Wohnum­feld. Der EinwanderInnenanteil an der Bevölkerung ist dort ziemlich hoch.

Bevor die Familie Müller in diese Gegend ziehen konnte, wohnte sie drei Jahre in einer „sogenannten Notunterkunft“ (4/428), einige Zeit in einer Wohnsiedlung in Duisburg und weitere sechs Jahre in der Mietwohnung ei­nes Hochhauses. Diese »Wohnetappen« könnten als einzelne Schritte des materiellen Aufstiegs der Fami­lie betrachtet werden. Das Eigenheim ist hierbei der Höhepunkt, für den das Ehe­paar (fast 40 Jahre) hart gearbeitet hat.

Erst mit dem Eintritt in das »Rentenleben« (vor etwa einem Jahr) ist Herrn Müller ein etwas ruhigeres Dasein vergönnt. Während seines ganzen Le­bens hat er schwer gearbeitet (insgesamt 30 Jahre als Kranführer), fast immer im Schicht­dienst.

Seine Freizeit verbringt Herr Müller überwiegend mit Einkäufen, Spazier­gängen, Arztbesuchen, Garten- oder Hausarbeiten. Seltener trifft er sich mit Bekannten oder Freunden; zu seinen Nachbarn hat er wenig Kontakt. Sein Tagesablauf scheint weitestgehend geregelt (sechs Uhr aufstehen, Ehefrau zur Arbeit bringen, Besorgungen erledigen; vgl. 4/506-516), wahr­scheinlich noch geprägt durch sein Arbeitsleben, „da mußte man schon um halb fünf oder noch früher aufstehn. Da gings ja auch.“ (4/509)

Die jetzige Lebenssituation der Familie kann als materiell abgesichert gel­ten. Auch die drei Kinder besitzen eine abgeschlossene Berufsausbildung und haben einen Arbeitsplatz.

 

2.      Zur Gundhaltung des Interviewpartners

         „Ja (...) wenn sich jeder etwas Mühe gibt (...)“

Bei der Rekonstruktion einer Grundhaltung oder eines Weltbildes auf der Basis eines lediglich vierzigminütigen Interviews und einiger, weniger Zu­satzinforma­tionen ist zu berücksichtigen, daß das Gespräch nur einen Aus­schnitt aus dem Leben der interviewten Person repräsentiert.

Trotz der Frage, inwieweit die Rekonstruktion eines Weltbildes mit dem mir vor­liegenden Material möglich ist, möchte ich Leiprechts Idee einer „subjektiven Funktionalität von Rassismus“ bei der Analyse mitberücksich­tigen. Letztendlich trägt die Analyse der Sprache auch zur Erhellung eines Weltbildes bei.

Rudolf Leiprecht sieht in der Grundhaltung Jugendlicher eine „Basis für die subjektiven Gründe, die zur Ablehnung „Anderer“ herangezogen werden“. (Leiprecht 1991, S. 17) Zwar gibt es keinen zwangsläufigen Zusammenhang zwischen subjektivem Un­behagen und rassistischen Einstellungen[20], doch zeigt Herr Müller sowohl ein tie­fes „subjektives Unbehagen“ als auch - wie zu zeigen sein wird - rassistische Ein­stellungen. Es liegt daher nahe, auch bei ihm nach einem eventuellen Zusam­menhang zwischen seiner emotiona­len Befindlichkeit und seiner Einschätzung anderer Menschen zu fragen.

Herrn Müller geht es (heute) insgesamt gut. Es gibt für ihn also keine di­rekte, persönliche „Nützlichkeit“ einer abgrenzenden, diskriminierenden Haltung, das heißt, er hat keinen sofort erkennbaren individuellen Grund, anderen Menschen eine Schuld für etwas zuzuschreiben. Doch obwohl Herr Müller beispielsweise ein Eigenheim besitzt, bezieht er sich in die Gruppe wohnungssuchender Menschen mit ein (Vgl. 4/113) und macht das Vorhan­densein von Aus- und ÜbersiedlerInnen sowie Flüchtlingen für »die Misere« mitverantwortlich. (Vgl. 4/80-110) Dies läßt schon ahnen, daß an­dere Grün­de für seine Haltung gegenüber Minderheiten maßgeblich sind.

Vielleicht wäre eine gewisse „Nützlichkeit“ für solches Denken in der Recht­ferti­gung des eigenen Lebens zu sehen. Auf einen solchen Aspekt geht Lei­precht ein, wenn er erläutert, „(…) daß rassistische/ ethnozentristische Ideo­logien im Alltag in aller Regel nicht für sich alleine stehen, sondern eng mit anderen Ideologien (bspw. Leistungsideologien, Anpassungs- und Ord­nungs­ideologien, Auf­stiegsideologien, sexistische Ideologien usw.) verknüpft sind. Diese anderen Ideo­logien „befördern“, „verstärken“ und „legen“ gewis­ser­maßen rassistische/ethno­zentristische Aus- und Abgrenzungen „nahe“. Sie sind ihrerseits wiederum im Alltag der Menschen in bestimmter Weise „nützlich“, lebenspraktisch real, ma­chen hier ihren spezifischen „Sinn“ und können zu bestimmten Grundhaltungen führen.“ (Leiprecht 1991, S. 20)

Bei Herrn Müller ist seine leistungsorientierte Haltung sowohl richtungs­weisend für sein privates Leben, wie auch für sein Verständnis für das öf­fentlich- politi­sche Leben. So stellt er beispielsweise die früheren Lebens­bedingungen seiner ei­genen Familie denen der heutigen Situation in Ost­deutschland gegenüber und fordert aus dieser Perspektive von den Men­schen ein Handeln, das er damals selbst praktizierte.[21] 

Indem er Verhaltensweisen verlangt, die seinem eigenen Verhalten gleich­kom­men, fordert er also gleichzeitig die Anpassung der anderen an seine als »normal« angesehenen Idealvorstellungen.

Diese hier auf ostdeutsche BürgerInnen bezogene Argumentation könnte eine Grundhaltung widerspiegeln, mit der Herr Müller sich auf seine Um­welt bezieht. Seine sehr ausgeprägte leistungsorientierte Haltung wird an vielen Aussa­gen deutlich, (die fast ausschließlich ostdeutsche BürgerInnen anspre­chen)[22].

In Verbindung mit einigen floskelhaften Aussagen (wie z.B. „(...) kommt auch immer auf die Einzelnen drauf an, (...)“ (4/58) oder „(...) wenn sich je­der etwas Mühe gibt, (...)“ (4/61)) kristallisiert sich die Einstellung heraus, daß jede und je­der weitestgehend alleinverantwortlich für ihr/sein Leben ist. Das bedeutet aber auch, daß eine schlechte Situation allein auf das Ver­hal­ten des einzelnen Men­schen zurückgeführt werden kann und die Besei­ti­gung des »Übels« mit der Be­reitschaft zur Leistung möglich ist.

Eine Aussage wie etwa, daß es immer auf den Einzelnen ankomme (4/58), die zunächst einmal auf ein friedliches nachbarschaftliches Zusammenleben an­spielt, wäre, isoliert betrachtet, so sicher überinterpretiert. Im Kanon an­derer Äußerungen sind jedoch Erklärungen möglich. So zum Beispiel, wenn Herr Mül­ler über seine dreißigjährige Schichtarbeit berichtet:

Ich meine, es gibt ja überall das, daß nicht alles goldig ist (...) Ich habe Zeit meines Le­bens nur Schichten gemacht, und mir hat das nicht allzuviel aus­gemacht. (4/281-288)

Zunächst einmal stellt Herr Müller sich selbst mit seiner Leistungsargu­menta­tion in ein »günstiges Licht«. Außerdem ist diese Äußerung vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, daß sich das Ehepaar seinen Lebens­standard wirklich hart erarbeitet hat. Dies gibt Herrn Müller die Bestäti­gung dafür, daß generell eine Möglichkeit besteht, das eigene Leben durch Leistung positiv zu beeinflussen. Das könnte wiederum den Umkehrschluß zulassen, daß ein Scheitern meist selbstverschuldet ist (z.B. durch Faul­heit).

Damit wäre eventuell eine bestimmte Einstellung gegenüber EinwanderIn­nen und ÜbersiedlerInnen (zumindest teilweise) geklärt, denn Herr Müller verlangt nichts, was er nicht selbst erbracht hat.

Vielleicht könnte auch die Anklage, daß die „Einheimischen“ (4/114) wegen der Aus- und ÜbersiedlerInnen keine Wohnung finden, zum Teil aus dieser Sicht er­klärt werden. Danach werden Minderheitenfamilien Wohnungen zugewiesen, ohne daß diese wochenlang suchen müssen und ohne hier vor­her gearbeitet zu haben, also ohne Steuern gezahlt zu haben. Eine solche Sichtweise entspricht den herkömmlichen Anschuldigungen der Eingebore­nen gegenüber EinwanderIn­nen.

Auch die Schilderung des Tagesablaufs könnte Aufschlüsse über Herrn Mül­lers Grundhaltung zulassen. Dieser Tagesablauf, der eher einem »Zeit-Tot­schlagen« gleichkommt, wenn Herr Müller seine täglichen Erledigungen wie Einkäufe oder Arztbesuche beschreibt und abschließend sagt: „Ja, da kann man schon die Zeit ausfüllen.“(4/516)[23], oder seine klischeehafte Le­bens­weisheit „Wer rastet, der ro­stet“ (4/549) verweisen darauf, wie bestrebt er ist, seinem Leben eine gewisse Ordnung zu geben und sich selbst noch eine Funktion zuzuschreiben, bezie­hungsweise nicht als faul zu gelten.[24] Hier zeigt sich die Tragik seiner einseiti­gen, festgefahrenen Grundhaltung, mit der er nicht nur andere Menschen, son­dern auch sich selbst bewertet. Diese Grundhaltung äußert sich auch in der häu­figen Verwendung von Sub­stan­tiven zur zeitlichen Orientierung.[25]

In den privaten und öffentlich gesellschaftlichen Lebensbereichen, die nicht durch Fleiß und körperliche Arbeit zu beeinflussen sind, zeigt Herr Müller eine gewisse Ohnmacht. In seinen Äußerungen tritt eine passive, ab­war­ten­de Hal­tung zutage. Situationen, die nach Herrn Müllers Ermessen nur schwer oder kaum von der eigenen Person verändert oder beeinflußt werden können, werden entweder als gegeben hingenommen oder an andere dele­giert. Zu eventuell auf­tretenden Konflikten im Nachbarschaftsbereich gibt er an, daß „man immer ir­gendwie einen Weg findet“ (4/53) und daß sie „überhaupt keine Probleme“ haben. (4/21)

Gleichzeitig deutet er jedoch an, daß der Kontakt mit den Nachbarn eher spärlich sei (4/63, 4/381) und daß ihm dies auch sehr recht ist, denn so gibt es weniger Probleme. (4/64-66)

Auch in seinem Denken über öffentlich- politische Belange kommt eine große Passivität zum Ausdruck. Nachdem Herr Müller sich zur wirtschaft­lich-sozialen Situation in Ost- und Westdeutschland geäußert hat (4/148-198), frage ich ihn, ob er eine Gefährdung »unserer« Sozialstruktur be­fürchte, falls »noch mehr« Men­schen nach Deutschland kämen. (4/199) Dazu antwortet er:

Ach, wenn das nicht überspannt wird, und die werden sich auch Mühe geben, die Ver­antwortlichen, daß das einigermaßen im Rahmen bleibt, so könnte das schon ungefähr so weitergehen. (4/201-203)

Passivität, Autoritätsdenken und eine gewisse Ohnmacht lassen sich auch in fol­gender Bemerkung zur derzeitigen Situation in »Ostdeutschland« erkennen:

Aber ja, mit der Zeit da wird sich das wohl auch noch einspielen. (4/183-184)

Zu beachten ist, daß sich dieser fast gleichgültige Kommentar nicht auf Herrn Müllers eigene Lebenslage bezieht. Eine Auseinandersetzung mit der Wirklich­keit der Menschen in »Ostdeutschland« erfolgt hier nicht. Ihre Si­tuation wird le­diglich sehr pauschal festgestellt und nur im Bezug auf das eigene Leben betrach­tet.[26]

Herrn Müllers Haltung, vor dem Hintergrund seiner Passivität, ist mit an­deren Äußerungen zu vergleichen: seinem Hinnehmen von Gegebenheiten, sei es nun die dreißigjährige Schichtarbeit, die „im großen und ganzen ganz gut“ war (4/281); die Atmosphäre auf der Arbeit, die „wie überall ist (...) wenn fünf, sechs zusammen sind (...)“ (4/292-293); oder eine wirtschaftliche Situation, die eben „mal besser, mal schlechter“ ist. (4/249)

In solchen und ähnlichen Redewendungen werden veränderbare Umstände fast als natürliche Kreisläufe hingenommen.

Zusammenfassend läßt sich Herrn Müllers Grundhaltung als geprägt durch seine Leistungsorientiertheit, sein Ordnungs- und Funktionsbedürfnis und seine Passivität darstellen, die an manchen Stellen schon fast als Fatalis­mus hervor­tritt.

Diese Grundhaltung hat sich herausgebildet durch ganz bestimmte private und gesellschaftliche Lebensumstände.

Auf dem Hintergrund einer solchen Grundhaltung ist auch Herrn Müllers Ein­schätzung anderer Menschen zu erklären.

 

3.      Die Einschätzung anderer Menschen

         „(...) das können doch auch nicht die ganz Ärmsten sein, die Asylanten.“

In seinen Aussagen über Flüchtlinge, ostdeutsche BürgerInnen und Ein­wande­rInnen bezieht Herr Müller sich immer auf ganz bestimmte, fest um­rissene »Gruppen«. ( Z.B. wenn er von den Türken redet oder die Ostdeut­schen kritisiert.) Jedem und jeder, der/die als »Mitglied« dieser Gruppe er­kannt wird, erhält so au­tomatisch die der jeweiligen Gruppe zugespro­chenen Merkmale (egal ob diese tatsächlich vorhanden sind oder nicht).

Diese »anderen« Personengruppen sind bei Herrn Müller mit ganz bestimm­ten Vorstellungen fest verbunden.

Von der Gruppe der Aus- und ÜbersiedlerInnen sowie von den Flüchtlingen, die er als „Asylanten“ bezeichnet, behauptet beziehungsweise vermutet er, daß sie bei der Wohnungsvergabe bevorzugt würden.[27]

Die ostdeutschen BürgerInnen sind für Herrn Müller teilweise wenig ar­beitswil­lig und »irgendwie rückständig«.

Herrn Müllers Bild von Flüchtlingen, die er von „Deutschstämmigen“ (4/235) un­terschieden sehen will und deren Gründe für ihre Flucht aus der Heimat er we­der recht verstehen und wohl auch nicht so ganz glauben kann, zeigt sich in sei­ner zweifelnden Aussage über die »wirkliche« Armut der Menschen:

Ja, ich frag mich bloß, das können doch auch nicht die ganz Ärmsten sein, die Asylan­ten. Das muß doch was kosten. Diese Überfahrt oder der Flug hierher, was weiß ich alles. Diese Mittel müssen sie doch irgendwoher haben. Und da hätten sie doch eigentlich in ih­rer Heimat mehr oder weniger Auskommen ge­habt. Außerdem, was direkt politisch Ver­folgte sind, ja da gibts doch auch nicht mehr allzuviel. In Europa doch so gut wie gar nicht mehr. (4/237-244)

Im Gegensatz zu den unterschiedlichen Vorstellungen von einzelnen Perso­nen­gruppen tritt das Kollektivsymbol des „Zustroms“ von Menschen im ge­samten In­terview immer wieder auf. Dieses Bild verweist auf ein mögliches Bedrohungsge­fühl gegenüber »zu vielen« Menschen, das Herr Müller in Ge­stalt von Vorwürfen gegen die Fremden nach außen trägt. Die Vorwürfe hierbei sind beispielsweise: das Wegnehmen von Arbeitsplätzen (vgl. 4/135, 216-217), das Wegnehmen von Wohnungen (vgl. 4/81-90, 108-109, 143-145) und das »Wegnehmen« von sozialen Leistungen (vgl. 4/109, 254-256). Aber nicht nur in einzelnen Aussa­gen (Wie z.B. 4/356-359), auch in einer Symbo­lik wie „Zustrom“ (4/88) oder „Einwanderungsland“ (4/229) oder in einzelnen Redewendungen[28] zeigt sich eine Angst vor »zu vielen« Men­schen.

Es stellt sich die Frage, ob Herrn Müllers Beurteilung einwandernder Men­schen von diesem Gefühl gelenkt wird, und welcher Stellenwert der Lei­stungsorien­tiertheit und der „Deutschstämmigkeit“ beigemessen wird.

Im folgenden möchte ich nun versuchen, diese scheinbar konträre Position zu erhellen.

Dabei werde ich außerdem auf die hier nicht erwähnte Gruppe der Einwan­de­rInnen eingehen, wobei das »Analysematerial« hier eher spärlich ist.

 

4.      Die besondere Haltung gegenüber ostdeutschen BürgerInnen

         „Die sollen erst einmal (...) selber was erwirtschaften (...)“

Herrn Müllers besonderes Augenmerk gilt »Ostdeutschland«.

Er selbst ist Anfang der fünfziger Jahre aus »Ostdeutschland« ins Ruhrge­biet ge­kommen. Zu seinen Verwandten hatte er weiterhin Kontakt.

Diese persönlichen Erfahrungen vermischen sich mit Informationen aus Presse, Rundfunk und Fernsehen, die besonders dem wirtschaftlichen Ge­sichtspunkt der »Vereinigung« Beachtung geschenkt haben.

Herrn Müllers Haltung gegenüber »Ostdeutschland« ist emotional (sowohl positiv wie auch negativ ) besetzt. Der besondere Aspekt des Nationalbe­wußtseins - „Wir haben halt immer gedacht, daß die Einheit wieder mal kommt, (...)“ (4/179) -, der Verweis auf die „Deutschstämmigkeit“ (4/225) und die gleichzeitig ausgrenzende Haltung und negative Bewertung der ostdeutschen BürgerInnen markieren diese beiden gegensätzlichen Kompo­nenten.

Die Aussagen, in denen Herr Müller sich auf Aus- und ÜbersiedlerInnen oder auf ostdeutsche BürgerInnen bezieht, sind thematisch nicht immer ex­akt vonein­ander zu trennen.

Als das Oberthema, auf welches sich die anderen Themen zurückbeziehen las­sen, (die oft nur grob angerissen werden) kann die wirtschaftliche Situa­tion in Ost- und Westdeutschland gelten, immer vor dem Hintergrund der »deutschen Einheit«.

In diesem Rahmen übernimmt Herr Müller das gängige Einteilungsschema der beiden sich gegenüberstehenden »unterschiedlichen Welten«: »den Osten« gegen­über »dem Westen« (Kapitalismus - Sozialismus).

Sehr verkürzt läßt sich zunächst sagen, daß der »Westen« die eher positive, der »Osten« die eher negative Situation widerspiegelt, gemäß der Darstel­lung in den Medien. Als Unterthemen tauchen während des Gesprächs auf: Arbeitslosigkeit (4/135), AusländerInnenfeindlichkeit (4/209ff.), die „Arbeits­moral“ der ostdeut­schen BürgerInnen (4/174), die Wohnungsknapp­heit (4/79ff, 4/131, 4/144).

Das letztgenannte Thema wird etwas ausführlicher von Herrn Müller be­handelt und ist zudem ein Angelpunkt für ihn, auf Minderheiten einzuge­hen. Ich werde daher zunächst in einem gesonderten Abschnitt auf diesen Punkt, der sich nur indirekt auf ostdeutsche BürgerInnen bezieht, einge­hen.

 

4.1    Das Problem »Wohnungsmangel«

Herr Müller wird durch mich auf die Thematik hingeleitet, indem ich ihn da­nach frage, ob seine Tochter in nächster Zeit ausziehen möchte. Seine nachfol­gende Äußerung, daß es mit Wohnungen zur Zeit „nicht so einfach“ (4/79) sei, wird von mir bestätigt. (4/80) Diese Bestätigung ist für Herrn Müller eine Auffor­derung, Vermutungen über den Wohnungsmangel anzu­stellen. Ohne daß ich ihn in irgendeiner Weise auf einen Zusammenhang dieser Situation mit Minder­heiten hingewiesen habe, bringt er selbst einen solchen, wenn er sagt:

 (...), und dauernd immer mehr Aus- und Übersiedler kommen, und was weiß ich noch. Ja und die Asylanten nicht zu vergessen, da ne.*  (4/81-83)

Diese Äußerung umkreist schon die Personengruppe, die während des In­ter­views die stärkste Ausgrenzung erfährt. Das Vorurteil, daß einwan­dernde Men­schen »uns« die Wohnungen wegnehmen, ist hier jedoch noch nicht ein­deutig. Zwar bestätigt Herr Müller zunächst generell den Zusam­menhang zwischen der genannten Personengruppe und der Schwierigkeit , eine Woh­nung zu finden, in­dem er sagt:

Ja, da braucht man bloß in der Zeitung zu lesen, ich weiß nicht wieviel Woh­nungen feh­len (...) (4/86-87).

Jedoch sieht er auch, daß eine »Schuld« noch an anderer Stelle zu su­chen ist, wenn er fortfährt:

(...) und wieviel daß sie bauen wollen, das reicht auch noch nicht zu dann, nicht wahr, wenn dieser Zustrom so weitergeht. Daß manche von die Neuan­kömmlinge im Lager sitzen müssen, was weiß ich wie lange. (4/87-90)

Daß Herr Müller einen solchen Zusammenhang herstellt, ist sicherlich auch aufgrund seiner eigenen Erfahrung in einem Auffanglager zu verstehen. (vgl. 4/ 428)

Einen ähnlichen Bezug zur Verantwortung der Regierung stellt Herr Müller her, als ich ihn danach frage, wie man mit der Problematik fertig werden könnte (vgl. dazu 4/118-122). In seiner Antwort redet er zwar nicht aus­drücklich von Ausweisung, dennoch bein­haltet sein (wiederum aus der Presse übernommener) Hinweis über den Bau von „200.000 Sozialwohnun­gen“ (4/120) die Notwendigkeit einer Einwanderungsbe­schränkung. Das wird auch daran deutlich, daß Herr Müller das Wohnungsbauprogramm als „(…) doch schon eine Zeit lang (ausreichend)“ (4/121) betrachtet. Das Über­schreiten dieser festgelegten Zahl würde dann jedoch zu »Problemen« füh­ren (vgl. z.B. 4/123-126).

Wichtiger erscheint mir in diesem Zusammenhang jedoch die Tatsache, daß Herr Müller, scheinbar ohne lange nach­zudenken, (er legt keine Pause ein) Aus- und Übersiedler sowie „Asylanten“ nennt. Hier muß in »seinem Kopf« ein ganz bestimmtes Bild zur Thematik präsent sein. Auch die Art, wie er dies beschreibt, gehört zu diesem Bild. Wenn er sagt „(...) und dauernd im­mer mehr (...)“, so hat man fast die Vorstellung eines nie­mals abbrechenden »Stroms«. Daß Herr Müller diese Vorstellung wirklich hegt, zeigt sich auch in einer weiteren Aussage, wo er die EinwandererInnen global in der Sym­bolik „Zustrom“ (4/88) zusammenfaßt.

Herr Müller selbst ist bisher mit dem Problem »Wohnungssuche« nicht kon­fron­tiert worden, hat nur davon gelesen oder gehört (vgl. 4/99). Trotz­dem zeigt sich eine emo­tionale Verbundenheit mit Eingeborenen, die eine Woh­nung suchen.

Diese Verbundenheit geht so weit, daß Herr Müller sich mit den Wohnungs­su­chenden identifiziert. Zunächst ist seine Argumentation noch relativ di­stanziert, wenn er berichtet, daß neue Häuser gebaut werden. Verfolgt man die Reihenfolge seiner Äußerungen, ist jedoch auch hier schon eine (versteckte) Kritik festzustel­len. So folgert Herr Müller :

         1.            Bekannte suchen eine Wohnung.(4/101)

         2.            „Es werden ja auch neue Häuser gebaut.“ (4/101)

         3.            „(...) wo Aussiedler drin sind, ne.“ (4/104)

Deutlich wird also hier schon die Kritik der angeblichen Bevorzugung der Aus­siedlerInnen.

Auf meine Frage:

Die wurden extra für Aussiedler gebaut? (4/105)

wird Herr Müller in seiner Schuldzuschreibung etwas deutlicher. Gleichzei­tig bekräftigt er auch hier wieder, daß er seine Informationen aus erster Quelle hat:

Ja wir waren jetzt Weihnachten dort oben bei Verwandten, da haben sie uns das erzählt. Die Einheimischen sind natürlich auch nicht gerade begeistert. Daß die vielleicht Sozi­alwohnungen bekommen, und sie selber sie suchen, ne. Werden vielleicht doch mehr ir­gendwie bevorzugt, dann. (4/106-110)

Als ich ihn dann nach den Gründen für diese »Bevorzugung« frage (4/111), gibt Herr Müller sein distanziertes Verhalten auf. Er selbst wird nun zum Woh­nungssuchenden:

Ja, um die vielleicht schneller einzubürgern hier,(...) Und wie die einzelnen, die hier von uns suchen, da von die Einheimischen, die sind bloß weniger ... (unverständlich). (4/112-114)

Im weiteren zeigt sich seine persönliche Betroffenheit in einer sehr gefühls­beton­ten Antwort, bei der er mir noch nicht einmal die Zeit läßt, meine Fra­ge zu been­den:

Also können sie das schon verstehen, wenn die Leute irgendwie sauer sind... -

 ...nicht gerade begeistert sind, na klar! Bleibt ja nicht aus. (4/115-117)

Zusammenfassend läßt sich sagen: Herr Müller bezieht sich in seinen Aus­sagen zur Wohnungsmarktlage nur auf die Personengruppen Aus- und ÜbersiedlerIn­nen sowie auf Flüchtlinge.

Mögliche andere »Problemgruppen« könnten in dem Satz „(...) und was weiß ich noch.“ (4/82)  zusammengefaßt sein.

AussiedlerInnen scheinen bei ihm hierbei besonders präsent zu sein, denn sie werden häufiger genannt. So geht er zu einem späteren Zeitpunkt, als er erzählt, wo er früher gewohnt hat, noch einmal kurz auf AussiedlerInnen ein. (4/427-429)

Insgesamt stellt Herr Müller die Problematik sehr verkürzt und einseitig dar. Trotzdem ist ein Denkansatz vorhanden, der nicht auf eine ausschließ­liche Schuldzuschreibung gegenüber Minderheiten hinweist, wenn Herr Müller einen Zusammenhang zwischen Wohnungsmangel und Wohnungs­bau­programm der Regierung sieht:

(...), ich weiß nicht wieviel Wohnungen fehlen und wieviel daß sie bauen wol­len,(...). (4/86-87)

 

4.2            Die wirtschaftliche Situation als »Angelpunkt« für andere »Probleme«

Nachdem Herr Müller die Wohnungsknappheit noch als Problem für West­deutschland mit dem „Zustrom“ von Menschen erklärt hat, entwickelt sich in seinen Befürchtungen vor einer eventuell wirtschaftlichen Verschlechte­rung Westdeutschlands ein etwas anderes Bild. Nicht mehr (nur) hier le­bende Men­schen werden als »Gefahr« gesehen, sondern die Menschen in »Ostdeutschland« beziehungsweise der »Osten« an sich. Dessen schlechte wirtschaftliche Situation wird aus der Perspektive der »westlichen Lei­stungsfähigkeit« betrachtet, inner­halb deren Herr Müller selbst als posi­tives Beispiel agiert hat.[29] Vor diesem Hintergrund erklärt er sich die ost­deutsche Lage durch folgende Faktoren: die so­ziale Marktwirtschaft (4/371-376), wo »sie« „(...) ja auch Jahrzehnte bloß mal hin­gewirtschaftet (haben, und und wo) doch alles vom Staat subventioniert worden (ist)“ (4/220-221) oder mit „(...) Investitionen von der Westseite (...)“ (4/163) unter­stützt wur­de. Auch die ungelösten „Eigentumsfragen“ (4/165), Arbeitslosigkeit, feh­lende Arbeitsmoral und Leistungsbereitschaft versteht er als Ursachen der wirtschaftlichen Lage in Ostdeutschland.

Von dieser Situation ausgehend erklärt Herr Müller die Ausländer­feindlichkeit (besonders in Ostdeutschland) als logische Folge.

In dieser Argumentation hebt sich seine Einteilung in ost- und westdeut­sche Menschen auf. Die „Deutschstämmigkeit“ (4/234) tritt in den Vorder­grund, die ausgegrenzte Minderheit sind nunmehr die Flüchtlinge.

Diese drei Gedankenschritte von Herrn Müller, möchte ich nun nach­zu­zeich­nen versuchen.

 

4.2.1 Die drei Argumentationsschritte

            A. Die ostdeutsche Lage

Die „Einheit“ (4/180) war von Herrn Müller gewünscht.

(...),und daß das nicht so einfach sein wird, (...)wo die ganze Euphorie vorbei ist schon ne Zeit lang, na da sieht das ein bissel anders aus.* Aber ja mit der Zeit, da wird sich das wohl auch noch einspielen. (4/181-184)

Wie Herr Müller sich das »Einspielen« vorstellt, das die Veränderung der Le­bensweise vieler ostdeutscher BürgerInnen zu beinhalten scheint, ist sei­nen Äu­ßerungen zu entnehmen. Schon seine erste Überlegung könnte eine Forderung nach Änderung bedeuten:

Aber die können ja auch nicht alle so weiter machen, ist meine Meinung. (4/151)

Global faßt Herr Müller alle ostdeutschen BürgerInnen zusammen und be­grün­det seine Forderungen an sie mit seiner eigenen Vergangenheit:

Wir mußten ja auch erst jahrelang sehen, daß wir einigermaßen höherkommen (...) wo die Kinder noch klein waren. (4/153)

Nachdem er sich selbst beziehungsweise westdeutsche Familien als Beispiel an­geführt hat, macht er einen erneuten Schwenk nach Ostdeutschland:

Bei denen wirds eben auch noch ein paar Jahre dauern, vielleicht, bis das an­geglichen ist, ne? (4/154-156)

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang Herrn Müllers Wortwahl. Wenn er von »Angleichen« redet, so kann er damit eigentlich nur eine Anpassung ostdeut­scher BürgerInnen und ihrer Lebensweise an »das westdeutsche Le­ben« meinen. In ähnlicher Weise ist der Begriff des »Einspielens« (s. oben) zu deuten.

Nicht nur in einzelnen Worten zeigt sich diese Forderung nach Anpassung, son­dern auch in der negativen Darstellung »Ostdeutschlands« und seiner BürgerIn­nen, in der sich implizit Herrn Müllers eigenes, beziehungsweise ein »westdeutsches Leben« positiv widerspiegelt. Wenn Herr Müller bei­spiels­weise verlangt:

Die sollen erst einmal - müssen erst einmal selber was erwirtschaften, daß sie dann das auch, eh - das zum Verbrauch hätten. (4/160-162),

dann könnte das bedeuten, daß ostdeutsche BürgerInnen jahrelang faul wa­ren und nur durch die Hilfe anderer gelebt haben. Es ließe jedoch auch den Schluß zu, daß hier der ideologische Wert des Sozialismus angegriffen wird und nicht eine negative Beurteilung einzelner Menschen zum Ausdruck kommt. Ich denke, daß beide Faktoren nicht voneinander zu trennen sind, und selbst wenn Herr Müller sich auf das System des Sozialismus bezieht, so spricht er trotzdem in sei­nen Forderungen die Menschen dieses Systems an. Dieser Tatbestand muß bei der weiteren Analyse sicherlich im Auge be­halten werden. Ähnlich negative Im­plikate liegen in den folgenden Überle­gungen:

Die müssen eben auch umdenken, da drüben. (4/171)

Und Herrn Müllers Er­klärung dazu:

Ja, daß das doch nicht alles so schnell geht, denn das war doch ziemlich, eh, Ar­beitsmoral und so. Das war doch alles volkseigen. Was haben die sich da schon groß Ge­danken gemacht? Während der Arbeitszeit einkaufen gegangen und (da muß) erst eine Leistung erbracht werden. (4/173-177)

Die Vorbehalte »Gedankenlosigkeit« und »Faulheit«, die immer mit dem Wirt­schafts­system erklärt werden, sind eindeutig, wobei der ideologische Wert hier in dem Begriff „volkseigen“ angedeutet sein könnte.[30] Herrn Müllers Glauben an Kapita­lismus und Marktwirtschaft, also an ein System, in wel­chem er es selbst zu etwas gebracht hat, wird nicht nur durch seine eigene Leistungsfähigkeit und seine materiellen Errungenschaften bekräf­tigt, son­dern findet seine Bestätigung in der »Öffnung der Mauer« und sämtlichen dadurch bekannt gewordenen Mißständen. Die Gedanken, die er dazu for­muliert, entsprechen den öffentlichen Darstellun­gen der Medien:

Und das hat sich erwiesen, daß mit dem Sozialismus auf die Dauer doch kein Staat zu machen ist. Sie haben ja Zeit genug gehabt. In Rußland über siebzig Jahre und in der ehemaligen DDR über vierzig Jahre. Aber wirtschaftlich sind sie da ja schlechter dran als wie zu Anfang kann man bald sagen. (4/371-376)

Die Funktion des Kollektivsymbols »Osten«[31], das jahrelang als Feindbild des »Westens« fungierte, hat sich gewandelt. Der »Osten« ist nicht mehr »der Feind«, sondern »das Schwache«.

Ein solcher Gedanke dient nicht in erster Linie dazu, eine real schlechte Si­tuation aufzudecken, um nach Möglichkeiten von Veränderungen und Ver­besserungen zu suchen, sondern um sie der eigenen Situation gegenüberzu­stellen (hier: Kapi­talismus versus Sozialismus) und in dem Zusammen­bruch des einen die Bestä­tigung des anderen zu sehen. Auch in anderen Äußerungen kommt die Symbolik »Westen-Osten« zum Tragen. So zeigt sich das Implikat »Fortschrittlichkeit« der Metapher »Westen« zum Beispiel in folgender Spekulation:

Es wird vielleicht noch ein, zwei Jahre oder noch länger gehen, bevor sie dann selber auf dem Stand sind. (4/163)

Zwar formuliert Herr Müller es nicht eindeutig, jedoch kann, mit Berück­sichti­gung der Gegenüberstellung »Westen-Osten«, davon ausgegangen werden, daß der »Stand«, den der »Osten« irgendwann einmal erreicht ha­ben soll, dem »Stand« des »Westens« entsprechen wird. Die momentan vor­handene Ungleichheit zwi­schen Ostdeutschland und Westdeutschland (und zwar sowohl in politisch-öko­nomischer Hinsicht als auch auf der Ebene des gesellschaftlichen Zusammenle­bens beziehungsweise der Lebensweise der/des Einzelnen) drückt sich in einer weiteren Symbolik aus, die Herr Müller zwar benutzt, deren Bedeutung er aber anscheinend nicht so recht zu­stimmen kann, wenn er vom „sogenannten Wohl­standsgefälle“ (4/150) re­det und anschließt: „wie sie das immer hinstellen.“

Herrn Müllers Gedanken über die zukünftige Situation Ostdeutschlands zeigen, daß er eine vollständige Anpassung (im wirtschaftlichen und gesell­schaftspoliti­schen Sinne) des »Ostens« an den »Westen« befürwortet, bezie­hungsweise eine sol­che Angleichung als die einzig realisierbare, und daher richtige, Lösung für Ost­deutschland erkennt. Alternative Lösungsmöglich­keiten, etwa in der Art zweier selbständiger Staaten, werden niemals ange­sprochen.

Eindeutig ist, daß solche Forderungen nicht Herrn Müllers individueller Mei­nung entsprechen, sondern die westliche öffentliche Meinung bis hin zur Regie­rung widerspiegeln, beziehungsweise durch den Einfluß der Medien gelenkt sind. Diese Tatsache erschwert streckenweise eine Unterscheidung von Aussagen, die lediglich Reproduktionen von Gelesenem oder Gehörtem sind, von solchen, wel­che die persönliche Meinung Herrn Müllers wiederge­ben. Wenn Herr Müller bei­spielsweise über die derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen Ostdeutschlands redet, so entspricht das den »Fakten«, die uns (z.B. über die Medien) vermittelt wer­den.

Wenn er hingegen eine solche Situation mit der „Arbeitsmoral“ (4/174) der Men­schen begründet, so ist dies eine negative und vorurteilsbeladene Beur­teilung. Daß Herr Müller ein solches Vorurteil als eigene Meinung über­nehmen kann, ist zum Teil aus der Sicht seiner persönlichen Erfahrung zu verstehen. Er hat »das Schlechte« durch seine Verwandten selbst erlebt und seine eigene materielle Si­tuation im »Westen« verbessern können. Für ihn scheint das westliche System die einzig mögliche Wirtschafts- und Gesell­schaftsform darzustellen.

Daß auch dieses System nicht immer exakt funktioniert, erklärt sich für ihn aus der »Natur« der Dinge: „Das war doch sowieso immer mal so und mal so gewesen. Mal besser, mal schlechter.“ (4/259) Ein Grund für Herrn Müllers Anpassungs­forderungen (neben der »Nationalitätenfrage«, auf die ich erst im dritten Argu­mentationsschritt eingehen werde), scheinen mögliche ne­ga­tive Auswirkungen für Westdeutschland zu sein. In der Lage des Woh­nungsmarktes hat sich für ihn teilweise schon eine der Befürchtungen be­wahrheitet.

Einerseits sieht Herr Müller eine wirtschaftliche Verschlechterung West­deutsch­lands in naher Zukunft (4/257-259), andererseits könnte eine solche Situation mit der Erfüllung der genannten Forderungen verhindert werden. So erklärt er in diesem Zusammenhang, daß

die (...) da auch viele gut ausgebildete Menschen (sind) vor allen Dingen junge, ne, die dann selber was schaffen wollen. (4/191-192)

In dieser vordergründig positiven Aussage zeigt sich wiederum sein lei­stungs­ori­entiertes Weltbild und sein Bewertungsmaßstab von Menschen. Aus dieser Per­spektive werden im Laufe des Gesprächs nicht »nur« ostdeut­sche BürgerInnen sondern auch Flüchtlinge ausgegrenzt.

 

            B. Die AusländerInnenfeindlichkeit

Ohne daß ich Herrn Müller daraufhin anspreche, stellt er von selbst einen Zu­sammenhang zwischen einem „Zustrom“ von Menschen und Auslän­derInnen­­feindlichkeit her. Diesen Tatbestand sieht er zunächst für Gesamt­deutschland. Auf meine Frage:

Also könnten dann auch ruhig noch einige Aussiedler kommen? (4/204),

reagiert er zunächst in seiner typischen verallgemeinernden Form, begleitet von einem Ohnmachtsgefühl:

Ja, die werden doch sowieso noch kommen.(4/205)

Im Anschluß daran gibt er Informationen aus den Medien wieder, und als Resümee verweist er auf die „Ausländerfeindlichkeit“:

Ja, die werden doch sowieso noch kommen ne. Die wollen das ja langsam kon­tingentie­ren. Ich meine, daß da nur eine bestimmte Anzahl kommen und so. Sonst wird das na­türlich, wenn zum Beispiel Juden kommen von Rußland, da sieht das anders aus. Da müssen sie auch noch Zeltstädte bauen. Daß die Aus­länderfeindlichkeit noch größer wird, das liegt auf der Hand. (4/205-210).

AusländerInnenfeindlichkeit sieht er also vor dem Hintergrund, daß »zu viele fremde Menschen« nach Deutschland kommen und das Land »übervölkern«, was sich auch in der Symbolik „Zeltstädte“ (4/130,209) aus­drückt.[32] Die weitere Argu­mentation erhellt Herrn Müllers Standpunkt.

Wie schon oben angeführt, bescheinigt er auch westdeutschen BürgerInnen „Ausländerfeindlichkeit“, jedoch tritt diese, anders als in Ostdeutschland, in einer weniger krassen Form auf:

Im Ostteil Deutschlands da ist das dann noch viel gravierender als wie bei uns, diese Ausländerfeindlichkeit. (4/214-216)

Die Aussage spiegelt exakt die Meldungen aus Presse und Rundfunk zur Thema­tik wider (vgl. auch 4/213-214).

Herr Müller versucht das ablehnende (ausländerfeindliche) »Gefühl« (Gedanken, Äußerungen, Handlungen) zu erklären, dennoch scheint es, als entschuldige er AusländerInnenfeindlichkeit unter bestimmten Umständen:

Na ja. Die haben Angst, daß die denen auch nur Arbeit wegnehmen, die da noch wenig vorhanden ist. (4/216-217)

Die AusländerInnenfeindlichkeit wird auf die EinwanderInnen selbst zu­rückge­führt, wenn diese beschuldigt werden, den Eingeborenen die Arbeit wegzuneh­men.

Ansatzweise zeigt sich in Herrn Müllers Denken aber auch ein Zusammen­hang zwischen wirtschaftlicher Lage und Arbeitslosigkeit:

Oder weil immer mehr Arbeitsplätze erst mal wegrationalisiert werden, wo die Betriebe nicht immer konkurrenzfähig sind. Die haben ja auch Jahrzehnte bloß mal hingewirtschaftet da,ne.  (4/218-222)

Trotzdem werden AusländerInnenfeindlichkeit und wirtschaftliche Lage je­weils auf bestimmte Personengruppen zurückgeführt, die diese Situationen erdulden müssen. Das bedeutet hier: EinwanderInnen und ostdeutsche Bür­gerInnen wer­den zum Teil für die ihnen entgegengebrachten Diskrimi­nie­rungen selbst ver­antwortlich gemacht. Das, was Herr Müller da be­schreibt, bleibt auf »Ostdeutschland« beschränkt.

»Wir« („bei uns“ 4/215) als Westdeutsche nehmen eine scheinbar souverä­nere Hal­tung als »die« (4/216) gegenüber EinwanderInnen ein. Aber gleich­zeitig verstehen »wir« auch die ostdeutschen BürgerInnen in ihrer Haltung, denn „(...) die haben Angst (...)“. Mit einer solchen Erklärung von Auslän­derInnenfeindlichkeit, die zum Teil aus einem Gefühl der Angst abgeleitet wird, könnte eine ähnliche Hal­tung von Eingeborenen in Westdeutschland (ein­schließlich Herrn Müllers eige­ner Haltung) gerechtfertigt werden.

Im Verlauf der weiteren Argumentation wird Herrn Müllers Verständnis für die AusländerInnenfeindlichkeit deutlicher. Seine bisher eingenommene Distanz zur Problematik hebt sich nach und nach auf. Mit meiner folgen­den, allgemeinen Frage klammere ich die Person Müller aus:

Meinen sie, daß die Ausländerfeindlichkeit teilweise irgendwie ver­ständlich ist von den Menschen? (4/223-224)

Das erklärt die anfängliche Distanz in seiner Antwort:

Ja, zum Teil doch ja. Wenn man doch selber arbeitslos ist, und die sehn da kommen immer mehr und so, die machen sich dann auch Gedanken (...) (4/225-227)

In verallgemeinernder Form (man) wird zunächst (scheinbar) noch die Mei­nung anderer Menschen wiedergegeben. Auch bleibt die Problematik »Aus­länderInnen­feindlichkeit« noch auf Ostdeutschland beschränkt. Der Über­gang zur eigenen Meinung ist fließend. Eine Trennung zwischen persönli­cher Einstellung und wörtlich wiedergegebener fremder Meinung wird im weiteren schwierig.

Was wollen die hier usw. Die haben ja früher auch ohne uns gelebt, und jetzt kommen sie alle hierher. (4/227-228)

Auch diese Äußerung könnte Gedanken ostdeutscher BürgerInnen wieder­geben. Auffällig ist jedoch der Wechsel vom verallgemeinernden Indefinit­pronomen (man) zum Personalpronomen (uns). Die letzte Unklarheit hebt sich in Herrn Müllers abschließenden Worten auf:

Daß  wir schon bald ein Einwanderungsland geworden sind. (4/228-229)

Die Argumentation betrifft nunmehr Gesamtdeutschland. Die Angst vor ei­nem Deutschland als Einwanderungsland könnte sich inhaltlich in dem Vorwurf:

Was wollen die hier (...) Die haben ja früher auch ohne uns gelebt. (4/227-228)

ausdrücken. Das Wortpaar „ohne uns“ beinhaltet das Gegenstück »mit uns«, was in Herrn Müllers Gedankengang aber vielleicht eher als »von uns« zu interpretie­ren wäre. So ließe sich die Abwehrhaltung gegenüber der Situa­tion »Einwanderungsland« damit erklären, daß die einwandernden Men­schen den Eingeborenen irgendetwas wegnehmen. Die Nationalitätenfrage ist in diesem Ansatz zunächst ausgeklammert. Etwas verwunderlich er­scheint mir der abschließende Vergleich mit den USA:

Wie in die USA hier vor hundert und(?) Jahren. Aber die habens ja dann auch wieder alle zusammen geschafft usw. Fühlen sich heute alle als Amerikaner. (4/230-232)

Liegt in diesen Worten eine Hoffnung? Aber auf wen oder was bezieht sich diese, und wer ist mit „alle“ gemeint? Auf gar keinen Fall alle einwandern­den Men­schen, wie sich in Herrn Müllers Haltung gegenüber Flüchtlingen zeigt. Mit der Vorstellung, die Menschen in den USA bildeten eine relativ feste Einheit („die ha­bens alle zusammen geschafft“), in welcher sich »alle als Amerikaner fühlen«, wird das Vorhandensein eines National­gefühls an­gedeutet. Herr Müller be­schreibt dies hier zwar für die Nordamerikaner. In seinem Verweis auf die „Deutschstämmigkeit“(4/234; sowie auf die »deutsche Einheit«,181) tritt der Natio­nalgedanke aber auch bei ihm hervor.

 

            C. Die „Deutschstämmigkeit“

Mit der Hervorhebung des »Deutschseins« geht gleichzeitig eine unter­schiedliche Bewertung von Menschen einher. (Wobei die Hervorhebung ei­ner Nationalität schon eine Ausgrenzung impliziert.) Zwar bezieht Herr Müller sich mit seiner nationalen Argumentation auf Flüchtlinge. Ein Rück­blick auf seine Bewertung ostdeutscher BürgerInnen deutet jedoch an, daß das nationale Argument auf alle EinwanderInnen zu übertragen ist. Trotz der negativen Bewertung Ostdeutsch­lands erfolgt durch die Nationali­tät die Aufhebung der Differenzierung »Ost und West«. Deutschland ist jetzt eine „Einheit“ (4/180). An die Problematik »wirtschaftliche Verschlechte­rung« und AusländerInnen­feindlich­keit anknüp­fend resümiere ich:

Also man könnte es in den Griff kriegen?

Herr Müller antwortet zunächst zuversichtlich und schränkt dann ein:

Man könnte es, ja* (…) auf die Deutschstämmigen, aber Asylanten, die kommen ja auch immer mehr, ne. (4/233-235 )

Während die Schuld der ostdeutschen BürgerInnen in ihrer »erlernten Un­fähig­keit« zu suchen ist, da sie jahrelang durch den Sozialismus bevormun­det wurden („was haben die sich schon Gedanken gemacht?“ 4/175), sind sie letztlich Deut­sche. Diese Differenzierung in »Deutschstämmige« und »ande­re« Menschen scheint fast natürlich und verweist auf eine ungleiche Be­handlung wegen einer »genetischen Andersartigkeit«.[33] Wenn Herr Mül­ler also eine unterschiedliche Bewertung auf Grund der Abstammung be­für­wortet, so liegt hier der Ansatz ei­nes genetischen Rassismus vor.[34]

Aus der genetischen »Verschiedenheit« heraus wird (wenn auch nicht aus­drück­lich) eine Ungleichbehandlung sowie eine Ungleichbewertung erklärt und zusätz­lich noch mit einer »Schuld« der ausgegrenzten Menschen ge­rechtfertigt, in die­sem Fall also der Flüchtlinge. Diese »Schuld« erklärt sich nach Herrn Müller mit dem »unbegründeten« Hiersein der Flüchtlinge denn:

(...) das können doch auch nicht die ganz Ärmsten sein, die Asylanten. Das muß doch was kosten. Diese Überfahrt oder der Flug hierher,(...) Diese Mittel müssen sie auch ir­gendwoher haben. Und da hätten sie doch eigentlich in ih­rer Heimat mehr oder weniger auch Auskommen gehabt. (4/237-242)

Die Berechtigung der Flüchtlinge, in Deutschland leben zu dürfen, wird eindeutig, wenn auch mit einer teilweise vorsichtigen Wortwahl, infragege­stellt. Aus Herrn Müllers Perspektive, seiner Lebenshaltung nach dem Ko­sten-Nutzen-Leistungs­prinzip, ist ihm das Hiersein der Flüchtlinge absolut unverständlich.

Sein Gedankengang erklärt sich jedoch nicht nur aus seiner eigenen Le­benspra­xis, wie seine fortsetzenden Worte zeigen:

Außerdem, was vielleicht direkt politisch Verfolgte sind, ja da gibts doch auch nicht mehr allzuviel. In Europa doch so gut wie gar nicht mehr. (4/242-244)

Hier ist wieder der Einfluß der Massenmedien zu erkennen, in denen Flücht­­linge in der Regel in Wirtschafts- und politische Flüchtlinge unter­teilt werden, was schon wegen des Zusammenhangs von Wirtschaft und Po­li­tik absolut unlo­gisch erscheinen muß.

Der Terminus »Wirtschaftsflüchtling« ist mit dieser Unterteilung schon ähnlich negativ behaftet, wie der Begriff »Asylant«. Er bezieht sich auf Menschen, die, angeblich zu faul zum Arbeiten, nach Deutschland (oder in andere westliche Länder) kommen, um hier von »unserer« Sozialhilfe zu le­ben. Herrn Müllers Lo­gik »läuft auf derselben Schiene«: Das Geld für den Flug müssen „sie irgendwoher haben“. (4/240) Obwohl sie dieses Geld hat­ten, sind sie geflüchtet. Also müssen sie faul sein.

Interessant ist auch seine Behauptung, daß es in Europa kaum noch politi­sche Flüchtlinge gibt. Wird dadurch nicht ein ganz bestimmtes Bild der »Kultiviertheit« und »Fortschrittlichkeit« von Europa gezeigt, von dem aus nicht­europäische Länder beurteilt werden? In der folgenden Argumen­tation fordert Herr Müller eine Verschärfung der Gesetze:

Ja, da könnten sie ruhig schon mal was machen,(...) Vor allen Dingen nicht, daß das alles hier Monate oder ein Jahr oder noch länger dauert, ob sie aner­kannt werden oder nicht. (4/246-248)

In dieser Forderung, in der er auf eine Handlung der Regierung drängt, und diese gleichzeitig für ihr »gemäßigtes« Vorgehen kritisiert, ist eine typische, in all­täglichen Gesprächen gängige Einstellung auszumachen. Wenn Herr Müller nämlich der Meinung ist:

Ja, das belastet natürlich auch hier die Steuerzahler… (4/251-252),

so drückt sich darin der klassische Vorbehalt aus: »Die profitieren von uns«! Herrn Müllers Haltung gegenüber Flüchtlingen trägt rassistische Züge, denn hier werden Menschen anderer Herkunft oder Lebensweise negativ bewertet und aus der eigenen sicheren (Mehrheits-und Macht-) Position heraus ausgegrenzt und abgewiesen. Seine eigene Haltung sieht Herr Mül­ler im Einklang mit der breiten Masse („Das sehen ja auch die meisten.“ 4/252), was ihn wiederum in sei­ner Einstellung bestärkt.

Die Argumentationsstruktur, die Herr Müller hier verfolgt, ähnelt seiner »Furcht vor einem Einwanderungsland« (4/225-232). Auch hier taucht die Frage auf: „Was wollen die hier?“ in Fortsetzung des obigen Zitats (4/245-256). Während zuvor je­doch mit einer gemäßigten, schon fast positiven Be­urteilung der Gesamtsituation abgeschlossen wird, ist Herrn Müllers Richt­spruch hier eindeutig negativ: „Das wird ja auch nicht so bleiben.“ (4/256)

In seinen Äußerungen rangieren die Flüchtlinge auf der untersten Stufe der »Erwünschtheits- beziehungsweise Duldungsskala«. Als Gründe für Herrn Mül­lers diskriminierende Haltung gegenüber Flüchtlingen habe ich die „Deutschstämmigkeit“ und die Darstellung der Flüchtlinge in den Medien ange­führt.

Mittels der Medien und in Verbindung mit seiner eigenen, leistungsorien­tierten, Weltanschauung erhält Herr Müller ein ganz bestimmtes, nicht mit der Re­alität übereinstimmendes Bild über das Leben der Flüchtlinge in de­ren Heimat.

 

            Zusammenfassung

Auf den ersten Blick erscheint Herrn Müllers Diskriminierung von Bürgern und BürgerInnen der ehemaligen DDR (im Gegensatz zur Haltung gegen­über den Flüchtlingen), die sich eher auf die Lebensweise und Haltung von Menschen be­zieht, als weniger krass, fast als eine »mildere« Form des Ras­sismus. Letztend­lich handelt es sich jedoch nur um verschiedene Ausgren­zungsformen.

Im Gegensatz zu den Flüchtlingen nehmen die ostdeutschen BürgerInnen keine Minderheitenposition ein. Auf Grund der wirtschaftlichen Vormacht­stellung »des Westens« kann »der Osten« (also nicht nur Deutschland) je­doch aus einem Gefühl der Stärke und Macht beurteilt werden, das der oder die Einzelne wie­derum für sich verinnerlichen könnte, da er oder sie zum »Elitevolk« gehört.

 

5.      Die Haltung gegenüber EinwanderInnen

In seinen Äußerungen beschreibt Herr Müller alle Minderheiten fast durchweg als feststehende Gruppen, die »überhand« nehmen könnten.[35] Die größte Beach­tung schenkt er türkischen EinwanderInnen, denn „die sind ja überhaupt am meisten hier.“ (4/320-322)

 

5.1    Die Hervorhebung der türkischen EinwanderInnen unter zwei Aspekten

         A. Die türkischen Arbeitskollegen

Auffällig ist, daß, obwohl Herr Müller feststellt, „(...), bei so nem großen Werk, da ist von allen möglichen Ländern (…) angeworben worden.“ (4/318-320), er dennoch nicht ohne mein Nachfragen, auf die Einwanderer zu spre­chen kommt. Auch als ich ihn frage, was (...) das denn für Arbeitskollegen (...)“ waren, nennt er keine türkischen Einwanderer (4/302-304), stellt aber abschließend fest:

Das hat sich wohl überall so zusammengemischt.(4/311)

Diese Feststellung könnte eventuell ein Hinweis auf weitere Einwanderer sein, die Herr Müller ganz explizit jedoch erst nennt, als ich mich nach „ausländischen Kollegen“ (4/313) erkundige:

Ja, da waren auch welche dabei. Ach ja, da sind wir auch ganz gut ausgekom­men. (4/314-315)

Ähnlich wie seine Äußerung, daß „die (...) am meisten hier“ seien, ist es schwie­rig, zwischen Feststellung und Wertung zu unterscheiden. Doch selbst wenn man die eher einschränkende Formulierung »auch ganz gut« noch als relativ wertneutral betrachtet, so bleibt die Tatsache bestehen, daß die Einwanderer als andere Gruppe auftreten.

Meine nächste Frage leitet über zum Ramadan. Das Thema bestimmt Herr Müller. Ich will lediglich von ihm wissen, ob es »Probleme« mit den türki­schen Arbeitskollegen gab. (4/323)

Seine Stellungnahme ist zuerst nicht eindeutig. („Ach, auf der Arbeit so nich.“ 4/324) Liegt in dem Verweis auf den Arbeitsplatz der versteckte Vor­wurf, daß das Zusammenleben in anderen Lebensbereichen als problemati­scher angesehen wird? Auch die einschränkenden Worte »ach so nich« las­sen vermuten, daß die Ausübung des Ramadan als befremdlich und unpas­send empfunden wurde. Der einleitende Satz läßt mehrere Erklärungen zu.

Weniger mißverständlich ist Herrn Müllers Unverständnis des Ramadan, und seine von dieser Perspektive ausgehende Beurteilung, das sei „aus­ge­sprochener Blödsinn“ (4/329). Die Feststellung ist im Gesamtzusam­men­hang zu betrachten. Herr Müller fährt in seiner Äußerung fort:

Die machten auch ihren Ramadan, aber trotzdem haben sie ihre Arbeit auch ge­macht. (4/324-325)

Neben dem eindeutigen Faktum, daß es sich hier um die Beurteilung ande­rer Le­bensgewohnheiten handelt, sind die wichtigsten Aspekte der Aussage: die Beurtei­lung des Ramadan als »Fastenmonat« mit dem Schwerpunkt auf »Fasten« und nicht auf den religiösen Hintergründen sowie die Verbindung zwischen dem »nicht essen« aber »trotzdem arbeiten«. Nahrungsaufnahme steht in enger Bezie­hung zu körperlicher Leistungs- und Funktionsfähig­keit, was für Herrn Müller ein ganzes Leben eine ausschlaggebende Rolle spielte.

Dieser Aspekt tritt in der folgenden Äußerung noch deutlicher hervor. Nach­dem ich Herrn Müllers Aussage noch einmal in einer Frage zusam­mengefaßt habe (4/327), fährt er fort:

Ja. Die sagten immer und dann, die dürften dann nichts essen und auch nichts trinken, was ich für ausgesprochenen Blödsinn finde. Wenn es so heiß wird...(unverständlich)... Das geht dann zu weit. Das sind die alten Überliefe­rungen, und wer sich dran gehalten hat. Aber viele haben sich auch nicht dran gehalten. Das geht ja auch gar nicht, wenn se nicht umklappen wollen dabei, ne. (4/328-334)

Die ausschlaggebenden Sätze sind das ablehnende Resümee „das geht dann zu weit“, und die anschließende Behauptung, „das sind die alten Überliefe­run­gen…“

Die Ablehnung wird damit erklärt, daß es sich um „alte Überlieferungen“ han­dele. Fast souverän fügt Herr Müller im nächsten Satz hinzu „und wer sich dran gehalten hat“, betont im Anschluß jedoch, daß sich „(...) viele (…) nicht dran ge­halten“ haben, was er für sich wiederum mit dem physiologi­schen Faktum be­gründet.

Die »Übermacht« der »Vielen« (4/332), die sich „auch nicht dran gehalten“ haben (also die »Modernen« ,«Angepaßten«, »Fortschrittlichen«), steht ge­genüber den »Manchen« (4/336), die es dann doch gemacht haben, es heute vielleicht noch ma­chen, weil sie „so tief religiös sind.“ (4/336-337) Die Tatsa­che der Quantität scheint die Ablehnung und das Unverständnis gegenüber der Religion zu rechtfertigen, welche ja zudem noch eine „alte Überliefe­rung“ ist, und von daher nicht inte­grierbar in das »moderne, zivilisierte west­liche Denken«.

Besonders hier wird deutlich, daß es sich ebenso, wie bei der Be­urteilung der ostdeutschen BürgerInnen um die Feststellung und Bewertung einer anderen Lebensweise handelt. Herr Müller wird durch seine türkischen Ar­beitskollegen mit einer (ihm) unbekannten Religion, mit anderen Sitten und Gebräuchen konfrontiert. Er lernt etwas für ihn Fremdes kennen, das von seinen eigenen Lebensgewohnhei­ten abweicht. Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuche sind etwas Kulturelles, und zwar in dem Verständnis von Kultur als: „die besondere und distinkte Le­bensweise (einer) Gruppe oder Klasse, die Bedeutungen, Werte und Ideen, wie sie in den Institutionen, in den gesellschaftlichen Beziehungen, in Glaubenssyste­men, in Sitten und Bräuchen, im Gebrauch der Objekte und im materiellen Leben verkörpert sind.“[36] Kultur, in diesem Sinne verstanden, bezieht sich also nicht nur auf andere ethnische Gruppen, sondern auch beispielsweise auf ostdeutsche und westdeutsche BürgerInnen.

Sowohl Herr Müller als auch seine Arbeitskollegen stellen nicht einfach nur et­was »Anderes« fest, sondern bewerten dieses Andere vor dem Hintergrund ihrer als »normal« verstandenen Lebensgewohnheiten. Dies zeigt sich deut­lich an der Reaktion der eingeborenen Arbeitskollegen (4/339-345). In deren Köpfen scheint die Vorstellung von »Rückständigkeit« des Verhaltens ihrer türkischen Ar­beitskollegen fest verankert gewesen zu sein. Herrn Müllers Standpunkt vermischt sich nachfolgend mit der Meinung seiner Arbeitskol­legen. Diese respektieren ihre türkischen Arbeitskollegen nicht, sondern machen sich lustig über sie. Ob Herr Müller sich an diesem diskriminieren­den Verhalten beteiligt hat, ist seinen Äußerungen nicht zu entnehmen.

Seine eigene Kritik des Ramadan verweist jedoch zumindest auf Verständ­nis ge­genüber seinen deutschen Arbeitskollegen. Die floskelhafte Redewen­dung („Na ja, jedem sein Himmelreich (...)“ 4/341-345) legt ein souveränes Verhalten ge­genüber Andersdenkenden an den Tag und relativiert gleich­zeitig das zuvor Gesagte. In Herrn Müllers Äußerungen gegenüber ostdeut­schen BürgerInnen und Flüchtlingen wurde jedoch deutlich, daß sein »Respekt« anderen Menschen gegenüber in der Regel nur dann auftritt, wenn diese seinen Vorstellungen ent­sprechen oder ihnen zumindest nicht vollständig widersprechen.

Indem die türkischen Arbeitskollegen gearbeitet haben, haben sie Herrn Müllers Grundverständnis, seinem Leistungsprinzip, zunächst einmal ent­sprochen. Seine Akzeptanz, die er ihrem Glauben gegenüber an den Tag legt, scheint eher in die Richtung eines verständnislosen Hinnehmens zu gehen, das sich in der krassesten Form bis zur Ignoranz ausweiten könnte.

Herr Müller benutzt in der Beurteilung seiner türkischen Arbeitskollegen sein bereits bekanntes duales Einteilungsschema: Entsprechend den Ge­genüberstel­lungen Ost-West, Flüchtlinge- „Deutschstämmige“, Osten-Ein­wanderInnen, We­sten-Aus- und Übersiedlerlnnnen, erfolgt hier die Zweitei­lung türkische Einwan­derer-Eingeborene sowie »fortschrittliche« Einwan­derer - »rückständige« Einwan­derer.

 

            B. Die türkischen Marktstände

Im Verlauf des Interviews nimmt Herr Müller noch einmal, auch wieder un­ter einem kulturellen Aspekt, Stellung zu türkischen EinwandererInnen. Als er vom Hochfelder Markt berichtet, stelle ich fest, daß dieser Markt „ziemlich gemischt“ sei (4/540). Da stimmt Herr Müller mir zu:

Ja, ja. Da kann man Ledersachen kaufen, und Schuhe und was weiß ich, ne. Da sind auch ein paar türkische Stände, hier, die ihre Waren feilbieten, da. Warum nicht? (4/542-544)

Herr Müller zählt Waren auf und führt dann »türkische Stände« an, die als solche schon ein ganz bestimmtes Bild hervorrufen. Die Äußerung scheint zunächst als lediglich wertfreie Feststellung von etwas »Anderem« im Raum zu stehen. Wertend wird die Aussage erst mit der rhetorischen Frage: „Warum nicht?“ so­wie durch das Verb „feilbieten“.

Zunächst zur Frage. Hiermit will Herr Müller wohl andeuten, daß er nichts ge­gen die Marktstände der türkischen EinwandererInnen einzuwenden hat. Warum muß er sein »liberales Verhalten« aber betonen?

Mit dem „Warum nicht?“ nimmt Herr Müller Bezug zum „Waren feilbieten“. Ist es Zufall, daß er zuvor (4/530) berichtet hat, welche Waren „angeboten“ werden, im Zusammenhang mit den »türkischen Waren« jedoch ein anderes Verb benutzt? Das Verb „feilbieten“ scheint hier in einer engen Beziehung zu den »anderen Wa­ren« und der Marktsituation an sich zu stehen. Diese Vermutung findet sich in der Herkunft des Wortes bestätigt. So definiert der DUDEN:

Das Adjektiv »feil« ist heute veraltet; (...) Gebräuchlich sind noch die Zusam­mensetzun­gen feilhalten(...) und wohlfeil( ...) Abl.: feilschen,kleinlich um et­was handeln (...)[37]

Das Verb scheint auch bei Herrn Müller ganz bestimmte Vor­stellungen her­vorzurufen. Etwa das Bild großer Verkaufsmärkte in südlichen Ländern. Eine solche Vorstellung beinhaltet, für sich genommen, keine negative Wer­tung. Wird der Begriff „feilbieten“ jedoch im Gegensatz zu »anbieten« be­nutzt, so erfährt damit der eine der beiden Termini eine Ab- bzw. Aufwer­tung durch den anderen, und dies bedeutet eine Wertung. Daher ist es durch­aus möglich, daß „feilbieten“ (ähnlich wie „Ramadan“) etwas Rück­schrittliches implizieren könnte im Gegensatz zum fortschrittlichen »anbieten«, das in großen Supermärkten und nicht auf »offener Straße« ge­schieht.

Herr Müller akzeptiert die Tatsache des Vorhandenseins der EinwanderIn­nen, hegt aber kein Bedürfnis danach, sie kennenzulernen; sei es ihre an­dere Religion oder ihre anderen Nahrungsmittel. So kauft er auch nicht bei türkischen Ein­wanderInnen ein, was er damit begründet, daß:

Die (…) ja meist das Gemüse und so ne Sachen, speziell für ihre Landsleute (haben). Da brauchen wir nicht unbedingt. (4/546-549).

Herr Müller lehnt etwas »Anderes«, für ihn »Fremdes«, un­ter einem Nutzen- Aspekt ab. Er „braucht“ die »fremden Nahrungsmittel« nicht. Wie weit er mit seiner Ablehnung gehen würde, also wie stark sich diese auf die Men­schen bezieht, ist schwer einzuschätzen.

 

            Zusammenfassung

Die insgesamt wenigen Äußerungen zu EinwanderInnen erschweren eine Ge­samtbeurteilung. Festzuhalten ist jedoch, daß Herr Müller türkische Einwande­rInnen (insbesondere als »Gastarbeiter«) eher zu akzeptieren scheint als Flücht­linge.

Sicherlich sind diese Arbeitskräfte, da sie ja »benötigt« wurden, »zuvorkommender« behandelt und auch in den Medien anders dargestellt worden. (Man denke nur an die medienwirksame Zeremonie des Begrü­ßungsaktes für den soundsovielsten? Einwanderer beziehungsweise Gastar­beiter, der sich über das Geschenk eines Motorrads hocherfreut zeigen mußte.)

Dieser Situation als Einflußfaktor entgegenzuhalten ist die Tatsache, daß vor nicht allzulanger Zeit türkische EinwandererInnen in den Medien stär­ker prä­sent waren und später von Aus- und ÜbersiedlerInnen »abgelöst« wurden. Mit den Veränderungen im »Osten« konzentrierte sich auch die Be­richterstattung auf diesen Bereich.

Ständig waren in den Medien Zahlen über die »neuesten Menschenfluten« aus dem »Osten« zu lesen, was auch zu einem Wandel der Feindbilder führte. Da der »Unmut« der Bevölkerung ob dieses »Massenzustroms« rasch wuchs, wurde eine Kampagne gestartet, die zum besseren Verständnis ge­genüber Aus-und Über­siedlerInnen beitragen sollte, womit jedoch gleich­zei­tig alle anderen Einwande­rerInnen (gewollt oder ungewollt??) ausge­grenzt wurden. Herr Müller selbst kann sich durch solche »Informationen« in sei­ner Bewertung von Menschen nach Funktionalität und Nützlichkeit bestä­tigt sehen.

All diese Umstände spielen sicherlich eine Rolle bei Herrn Müllers Bewer­tung türkischer EinwandererInnen. In seiner Haltung gegenüber diesen stellt er et­was »Anderes« fest und grenzt es durch Gleichgültigkeit aus. Je­doch wird dieses »Andere« nicht als Bedrohung empfunden. Auch zieht Herr Müller keine Vorteile aus dieser Haltung. Insgesamt scheint es, als hätte Herr Müller zur Zeit ver­drängt, daß viele türkische MitbürgerInnen hier le­ben. Vorstellbar wäre es aber, daß bei veränderter wirtschaftlicher Si­tuation und Berichterstattung Herrn Müllers gleichgültiges Verhalten in eine negative Haltung umschlagen könnte.

 

6.      Argumentation und Sprache

Herr Müller trifft fast niemals klare Aussagen. Seine verallgemeinernden, wenig differenzierten Angaben sind oft Forderungen, Schuldzuweisungen, Klischees und Redensarten. Sie entsprechen seinem Weltbild eines natürli­chen Kreislaufs, dem man sich fügen muß. 

Seine Aussagen versucht Herr Müller nicht durch logische Argumentation zu bekräftigen, sondern belegt sie mit Verweisen auf verschiedene Informa­tionsquel­len[38] beziehungsweise auf den Tatbestand, daß die meisten Men­schen ähnlich denken oder handeln würden.[39] Er vermischt subjektives und objektives Wissen, indem er zum Beispiel floskelhafte Redewendungen aus der Alltagssprache ge­meinsam mit Informationen aus den Medien prä­sen­tiert.

Insgesamt verfügt er über einen wenig differenzierten Wortschatz und eine einfa­che, der Alltagssprache entsprechende Wortwahl.

Wiederholungen einzelner Worte und Satzformen, die immer wieder in ähn­licher Art und Weise benutzt werden, beherrschen das Sprachbild. So ver­wendet Herr Müller sehr oft Strukturen wie zum Beispiel:

(...) oder was weiß ich (...), „(...) ich weiß nicht (...);

(...) da kann man schon was anfangen (...) (4/6,8);

(...) usw (...), „(...) und so (...);

(...) wie gesagt (...), „(...) ma gesagt so(...), (...) wie es so schön heißt (...), „(...) kann man sagen(...).

Diese umgangssprachlichen Floskeln treten sämtlich zum Ende eines Satzes be­ziehungsweise einer Aussage auf. Ihre Bedeutung ist verschieden. Sie könnten unter anderem als Hilfe dafür dienen, sich von bestimmten Sachverhalten zu di­stanzieren. So sind Herrn Müllers Aussagen häufig nicht eindeutig. Er könnte sie, wenn nötig, widerrufen oder relativieren.

Auch die vielfache Verwendung von Interjektionen als besonderes Zeichen der Alltagsprache könnte in ähnlicher Funktion wie die floskelhaften Satz­strukturen gesehen werden. Am häufigsten benutzt Herr Müller den Ausruf »ne« am Ende eines Satzes.

Dies dient zum einen zur Bekräftigung des Satzendes, könnte aber auch Herrn Müllers Unsicherheit und seinen Wunsch nach Zustimmung zum Ge­sagten ausdrücken. In etwa gleicher Bedeutung wird ein fragendes »nicht?« oder »nicht wahr?« am Satzende benutzt.

Eine relativierende, floskelhaft verallgemeinernde Funktion haben die Par­tikel »also«, »na ja«, »tja«, »och«, »ach«, »na eben«. Durch solche Partikel wird, in dersel­ben Weise wie durch die Konjunktionen »auch«, »und« oder einschränkende Worte wie »vielleicht«, »eigentlich«, die Unbedingtheit einer Aussage abgeschwächt:

Werden vielleicht doch mehr irgendwie bevorzugt. (4/109)

Nicht nur durch einzelne Worte oder Satzstrukturen stellt Herr Müller eine Di­stanz zur eigenen Person und Aussage her, sondern auch durch seine ge­nerali­sierende Argumentationsweise. Mit dem Hinweis darauf, daß be­stimmte Situa­tionen immer wieder und überall auftreten, wird ein schlech­ter Zustand hinge­nommen und begründet:

Das war doch sowieso immer mal so und mal so gewesen. Mal besser, mal schlechter. (4/258)

Herrn Müllers Erkenntnis, daß es immer so war und weiterhin sein wird, daß bestimmte Vorgänge einem nicht zu beeinflussenden Regelkreislauf un­terliegen, der Veränderungen nur in einem festgelegten Rahmen zuläßt, er­klärt bezie­hungsweise verweist auf seine passive und konforme Haltung. Auch seine all­tagssprachlichen Redewendungen sind zum Teil verallgemei­nernde Lebensweis­heiten, Klischees, mit denen er sich das Leben oder Ver­haltensweisen anderer Menschen erklärt und gleichzeitig sich selbst zu be­ruhigen scheint, nach dem Motto »Das wird schon wieder«.[40]

Redewendungen wie zum Beispiel: „Na ja, jedem sein Himmelreich…“ (4/341 oder: 345, 545) entsprechen bei Herrn Müller offensichtlich nicht ei­nem Verständnis, »andere« und »anderes« zu re­spektieren und zu tolerieren, sondern beziehen sich eher auf die eigene Person, das heißt sie markieren ein egoistisches Denken und Handeln, welches sich nur so­lange rücksichts­voll zeigt, wie die eigene Person und das eigene Umfeld nicht ge­fährdet sind. („Solange alles (…) im Rahmen bleibt (...)“ 4/203)

Eine weitere Auffälligkeit beziehungsweise sprachliche Besonderheit ist Herrn Müllers Verwendung der Pronomina. Hier zeigt sich die schon an an­deren Sprachstrukturen sichtbar gewordene, distanzierte unsichere Hal­tung sowie die unterschwellige »innen–außen«-Kollektivsymbolik. So ver­wendet Herr Müller Pronomina einmal zur Ausgrenzung von Gruppen und im Gegensatz dazu zur Identifikation und Selbstdarstellung seiner eigenen Person. Teilweise ist die Aus­grenzung eindeutig, indem Herr Müller seiner eigenen »wir-Gruppe« eine andere (»die«, »sie«) Gruppe gegenüberstellt.[41]

Der Interviewte, seine Haltung und Einstellung, verschwindet in Gruppen, mit denen er sich identifiziert. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Per­sonenkreis bedeutet zum einen eine gewisse Stärke und könnte Herrn Mül­ler selbst die Rich­tigkeit seiner Einstellung bestätigen. So ist in seinen ne­gativen Äußerungen über Aus- und ÜbersiedlerInnen, Flüchtlinge und Ein­wandererInnen festzustellen, daß er des öfteren die Personalpronomina »wir« und »uns« benutzt, anstatt von sich selbst in der ersten Person zu re­den.

Auch für seine Erzählungen im privaten Bereich ist Ähnliches festzustellen.

Statt des Personalpronomens »ich« benutzt er hier sehr viel häufiger das un­be­­stimmte Pronomen »man«. Diese Bevorzugung des Indefinitpronomens ent­spricht Herrn Müllers Hinweis, daß viele Menschen wie er denken und handeln.[42] Auffällig ist die Verwendung des Personalpronomens »ich« in Aussagen, mit denen Herr Müller sich offensichtlich in ein »günstiges Licht rücken« will.[43]

Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Analyse der Sprache zeigt Herrn Müller als eine passive, konforme und ord­nungsliebende Person (im Sinne einer Strukturierung des Lebens), mit einer lei­stungsorientierten Grund­haltung und einem insbesondere materiel­len Sicher­heitsbedürfnis. Seine in der Regel nicht eindeutigen Urteile wer­den aus einer rein subjektiven Per­spektive, aber immer im Schutz einer be­stimmten Gruppe (Familie, Staat, Europa) gefällt. Die Gruppe, der er sich zugehörig fühlt, wird po­sitiver als die ausgegrenzte Gruppe bewertet. Aus dieser festgefahrenen Position her­aus erklärt Herr Müller sich »die Welt« und bestätigt sich die Richtigkeit sei­ner Sichtweise durch Verallgemeine­rungen.

 

7.      Zu den Informationsquellen des Interviewpartners

         „…da braucht man bloß in der Zeitung lesen…“

In einem letzten kurzen Abschnitt möchte ich einige Quellen der Äußerun­gen von Herrn Müller darstellen. Seinen eigenen Angaben zufolge hat er wenig Kontakt zu Nachbarn oder Freun­den (4/392-399), so daß ein Erfah­rungsaustausch in Gesprächen dem­ent­spre­chend selten vorkommen wird. Im Gegensatz dazu scheint der »Kontakt« zu den herkömmlichen Massen­medien sehr eng, was sich sowohl an den direkten Ver­weisen auf die Me­dien zeigt, als auch an Inhalt und Wortwahl einzelner Ge­sprächspassagen. Wel­ches Medium die tragende Rolle für Herrn Müller in der Informations­über­mittlung spielt, läßt sich durch das Interview nicht ausma­chen. Nach seinen eigenen Angaben orientiert er sich stark an der Tageszeitung NRZ, die er schon „jahrelang“ (4/470) liest. Entsprechend häufig findet man Ver­weise auf diese Zeitung.[44] Daß Herr Müller diese Informationen meist sehr unre­flektiert zur Bekräftigung seiner eigenen Aussagen übernimmt, zeigt sich an einer teilweise wortgetreuen, teils inhaltsgetreuen Übernahme aus Zei­tungsarti­keln. In insgesamt 13 Zeitungsartikeln, die ich in der Zeit vom 16.11.1990 bis zum 3.1.1991 (dem Tag des Interviews) in der NRZ ge­funden habe, konnte ich Überein­stimmungen zwischen den Aussagen Herrn Mül­lers und den Inhalten der Arti­kel feststellen. Drei treffende Beispiele, in denen der Einfluß der Zeitung sehr deut­lich zum Ausdruck kommt, sollen hier vorgestellt werden. Den einzelnen Arti­keln habe ich jeweils Zitate von Herrn Müller zugeordnet: Bild einfügen


 

Sicher ist eine Anzahl von lediglich 13 Zeitungsartikeln nicht repräsentativ. Doch zeigen sie beispielhaft, daß die Medien die Meinung und Einstellung von Men­schen beeinflussen. So ist die NRZ ohne Zweifel (auch) eine Quelle von Herrn Müllers Bedrohungsgefühl gegenüber den »zu vielen« einwan­dernden Menschen. Jeder die­ser Artikel, ohne Ausnahme, spricht von einer solchen »Überflutungsgefahr«. Ob in Kollektivsymbolen wie „Fluchtwelle“, „Flüchtlingsstrom“, „Zustrom“ oder „Asylantenflut“, Symbole die zudem noch in Schlagzeilen auf der ersten Seite prangen, oder in inhaltlichen An­merkungen auf Begrenzungen und Zahlenan­gaben, durchgehend wird das Bild heraufbeschworen, daß »unser Land aus allen Nähten zu platzen droht«.

Weitere Schlüsselbegriffe und Äußerungen, die auf einen Medieneinfluß hindeu­ten, sind: „Eigentumsfragen“ (4/165), „Volkseigen“ (4/175), „Golf-Krise“ (4/260); aber auch die Floskel: „Na ja, die Kriminalpolizei rät ja auch immer (...)“ (4/449), die den Titel des gleichnamigen, fünfminütigen Fern­sehspots (Sonntags, 22.45 Uhr, ARD) wortgetreu wiedergibt.

Die Informationen aus den Medien werden teilweise als eigene Meinung de­kla­riert und gelangen so mit der Alltagssprache in den Interdiskurs. Eine derart vorgefertigte Meinung wird wiederum mit neuen Informationen aus Presse und Rundfunk gestärkt und gefestigt.

Dies kennzeichnet die Bedeutung des Weltbildes, auf dessen Hintergrund Mittei­lungen aus den Medien ausgewählt werden, und zeigt außerdem, daß nur mit ei­ner Vermittlung »anderer« Informationen einer solchen starren Situation nicht beizukommen ist.

 

6.      Abschließende Bemerkung

Analyse und Interpretation des Interviews haben gezeigt, daß bei Herrn Müller rassistische Einstellungen genetischer und kultureller Art vorhan­den sind.

Es ist deutlich geworden, daß Herr Müller Menschen anderer Herkunft oder an­derer Lebensweise negativ bewertet. Die Art seiner Bewertung ist ab­hängig von verschiedenen individuellen und gesellschaftlichen Faktoren.

Die Kriterien für Ausgrenzung oder Aufnahme von Minderheiten sind:

           Die Anzahl der einwandernden Menschen;

           deren Anpassungs- beziehungsweise Arbeitswille und

           die „Deutschstämmigkeit“.

Von diesen drei Hauptkriterien ausgehend, werden insbesondere ostdeut­sche BürgerInnen, Flüchtlinge und türkische EinwanderInnen beurteilt. Am stärk­sten ausgeprägt treten die Anpassungsforderungen gegenüber ost­deutschen Bür­gerInnen auf.

Die türkischen BürgerInnen scheint Herr Müller positiver zu beurteilen. Beiden Gruppen spricht er ein »Bleiberecht« zu, soweit sie seinen Vorstel­lungen, insbe­sondere seiner leistungsorientierten Grundhaltung entspre­chen. Von dieser Haltung ausgehend, wird die Gruppe der Flüchtlinge aus­gegrenzt, wobei die »Abstammung« hier als ein zusätzlicher Ausgrenzungs­faktor dient. Bei seiner Bewertung »anderer« Menschen spielt Herrn Mül­lers Grundhaltung (bzw. sein Weltbild) eine wichtige Rolle. Mit dieser Grund­haltung entspricht er fast der »Idealnorm« »unserer« leistungsorien­tierten Gesellschaft: Er ist fleißig, »ordentlich« und konform.

Die Ausgrenzung »anderer« Menschen -  also seine rassistische Einstellung - hat für ihn nun die Funktion, sein Weltbild abzusichern. Sein starres, auf Sicherheit und Ordnung ausgerichtetes Leben, könnte durch andere Men­schen infragege­stellt werden. Die Erkenntnis, daß eine andere Form von Leben möglich wäre, könnte sein gesamtes Weltbild ins Wanken bringen. Daher er­scheint es nur folgerichtig, wenn er Menschen, die nicht seinem Weltbild ent­sprechen, ausgrenzt oder zumindest ignoriert.

Nur „wenn (...) das einigermaßen im Rahmen bleibt, könnte das schon unge­fähr so weitergehn.“

 

 

 

3.5         Frank Wichert:

              „...uns hat man dat noch so beigebracht, dat wir nur Deutsche akzeptieren und keine Ausländer.“

                 Analyse eines Interviews mit einer 65-jährigen ehemaligen Verkäuferin[45]

 

1.    Archäologie einer Einstellung

Hier erinnert sich eine 65-jährige Frau, die ihre Jugend unter nationalso­zialistischer Herrschaft verbrachte, an das damals im Erziehungsdiskurs propagierte »Herrenvolkdenken« der Nazis. Mona, so werde ich meine In­terviewpartnerin im folgenden nennen, war zu Beginn der Machtüber­nahme 1933 sieben Jahre alt, sie war neunzehn, als die faschistische Dikta­tur in Trümmer fiel. In der Schule wurde sie mit den rassistischen Dogmen der Nazis konfrontiert, die Mona bis zum heutigen Tag prägen.

Sicherlich hat Mona den Erziehungszielen der Nazis in ihrer Jugend nicht viel entgegensetzen können; andererseits hätte sie später, nach dem Zu­sammenbruch der Diktatur, prinzipiell die Möglichkeit gehabt, die ihr da­mals vermit­telten Dogmen kritisch zu reflektieren und sich von den natio­nalsozialisti­schen »Idealen« zu distanzieren.

Doch wie die folgende Analyse ihrer Ansichten und Haltungen zeigt, beur­teilt sie auch heute noch Menschen aus anderen Ländern aus der Perspek­tive rassistischer Grundüberzeugungen.

 

1.1    Monas aktuelle Lebenssituation

Mona lebt seit ca. 40 Jahren in einem traditionell von Arbeitern bewohnten Stadtteil. Zur Zeit ist sie Mieterin einer gemütlichen Sozialwohnung, die mit zahlreichen Büchern und einem Fernsehapparat ausgestattet ist. Die­sen schaltet sie häufig ein, denn soziale Kontakte zu ihren Nachbarn finden nur selten statt. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, daß viele Ver­wandte und Bekannte weggezogen sind. Andererseits wurden große Mehr­familienhäuser gebaut, in denen der Kontakt zum Nachbarn nicht allzu eng ist. Außerdem sollte man bedenken, daß Mona als alleinstehende Frau vielleicht nicht den Mut hat, von sich aus auf ihre neuen Nachbarn zuzuge­hen.

Mona hat den Beruf der Verkäuferin erlernt, sie steht jedoch seit vielen Jahren nicht mehr im Berufsleben. Dies führte ebenfalls dazu, daß ihr Kon­takt zu anderen Menschen abgebrochen ist. Daß dies einmal anders war, daran kann sie sich noch gut erinnern:

Aber ansonsten, so wie früher,- daß eine schon mal kommt und, oder Kaffee trinkt oder tratscht, dat is nich. (11/39 f.)

Mona bezieht sich hierbei auf den nachbarschaftlichen Kontakt, den sie in der »Kolonie« hatte. (vgl. 11/480) In dieser Arbeitersiedlung bestand ein enges nachbarschaftliches Miteinander, welches auch eine Folge der be­grenzten Wohnverhältnisse war. Die Mehrzahl von Monas Nachbarn war in einer Gießerei beschäftigt. Durch mancherlei Sanierungs- und Rationali­sierungsmaßnahmen hat sich die Situation geändert; viele ihrer damaligen Nachbarn wurden arbeitslos und sind fortgezogen, um andernorts Arbeit zu finden.

Die heutige Lebensweise ihrer Mitmenschen paßt Mona überhaupt nicht. Sie sind ihr zu stark am bloßen Konsum orientiert, am Geld, das den Cha­rakter verdirbt:

Woran liegt dat denn?

Abber die Leute sagen immer, die sind immer sonn« bißchen einseitig, nee. Die interessieren sich nur für eventuell Preise, da is et teurer, da is et billiger, nach (Geschäftsnamen) is neuerdings teuer, sagen se, da gehn wa nimmer, gehn wa na (Geschäftsnamen) un..,*,- so. Dat is so dat Thema.

Mmh.

Odder dat Wetter und so. Ein bißchen andere Gespräche oder so, äh, mit den Leuten, da kann man sich nich so unterhalten, dat würde mir hier schonn en bißchen fehlen.

Hast Du jetzt irgendwelche Veränderungen in der Nachbarschaft in den letzten Jahren festgestellt? War es früher mal anders, so gesehen, also der Zusammenhang ...?

Ja, natürlich warn die Leute * tja dat is *, die Leute haben mehr Geld und mit dem Geld ändert sich auch äh, der Charakter. (11/5-16)

Recht deutlich wird hier, daß so etwas wie eine Hausgemeinschaft nicht mehr besteht. Der Grund liegt nach Monas Ansicht darin, daß die Menschen durch zunehmenden »Reichtum« stark konsumorientiert sind und nur noch über Preise und Kosten reden. Diese Entwicklung hat ihres Erachtens dazu geführt, daß soziale Kontakte zur Nachbarschaft abgenommen haben. Doch dieser Konsumrausch hat noch eine andere Folge…

 

1.2    Über den Konsumrausch und den Dornröschenschlaf

Mona meint, daß die Gefahr, die aus der Anwesenheit so vieler Einwan­derInnen in Deutschland resultiert, zur Zeit noch gar nicht richtig gesehen wird:

Die sehen dat gar nich, aber vielleicht, wenn es ernstliche Zerwürfnisse ir­gendwie gibt und sie dann auf einmal wach werden und sehen auf einmal, wie? - alles Ausländer, dann!

Aber momentan sind die Leute zufrieden, wenn sie sich alles kaufen können, noch ordentlich essen können und drei mal im Jahr in Urlaub fahren, dann sind sie zufrieden, und dadurch, daß se in Urlaub fahren, fahren se auch schon ma in Länder, so wo hier die Menschen eben sind, so Türkei und so, und dadurch ändern se auch oft ihre Meinung. Da lernen se dann auch wat ken­nen, und ist doch alles ganz prima, und dann is die Abneigung auch nicht mehr so groß - mein ich. (11/209-216)

Mona glaubt, daß die Deutschen, durch ihren derzeitigen Wohlstand einge­lullt, die Gefahr, die mit der Anwesenheit so vieler EinwanderInnen ver­bunden ist, nicht wahrnehmen. Sie fürchtet, daß es ein böses Erwachen ge­ben könnte, wenn es „ernstliche Zerwürfnisse“ gibt, sprich: ernste soziale und ökonomische Verschlechterungen.

Zugleich meint sie, daß die Ruhe, das Stillhalten der Deutschen auch da­durch bedingt sei, daß viele von ihnen - und das ist wieder eine Folge ihres Wohlstands - im Urlaub fremde Menschen, Sitten und Gebräuche kennen und tolerieren gelernt hätten. Und gerade darin sieht sie eine Gefahr. Eben dies habe dazu geführt, daß die Deutschen nicht mehr wachsam genug seien. Für sie »ist doch alles ganz prima«. Mona hat wohl ganz richtig beob­achtet, daß die Kenntnis anderer Sitten und Gebräuche die Menschen tole­ranter machen kann. Doch gerade darin sieht sie eine Gefahr. Toleranz ist für sie keineswegs eine erstrebenswerte Tugend. Toleranz lullt ein, schwächt die Deutschen. Nach der oben zitierten Passage läßt Mona dann auch ihrer Abneigung, insbesondere gegen Türken, freien Lauf:

Weil immer mehr Kirchen aufgekauft werden und die in Moscheen verwandelt und die Art der Türken, dat is irgendwie was Fremdes. (…) (11/221-223)

So ist es auch nicht verwunderlich, daß Worte wie „zurückjagen“ (11/143), „rausschmeißen“ (11/127) und „Haß aufeinander“ (11/252) zu ihrem Sprach­repertoire gehören. Diese Worte weisen sicherlich auf die Tendenz Monas hin, Deutschland bildlich als »Innenraum« oder »Haus« zu sehen. Zum an­deren verweisen sie auf eine geschichtliche Parallelität: In gewisser Hin­sicht korrespondiert die Vorstellung des »Deutschen Hauses« mit der natio­nalsozialistischen »Blut und Boden-Ideologie« vom »Deutschen Volkskör­per«.[46]

 

2.    „Was nicht gute Rasse ist auf dieser Welt, ist Spreu.“[47]

Früher war dat anders, die hatten andere Methoden, aber wir haben ja noch so, * äh, äh, also uns hat man dat noch so beigebracht, dat wir nur Deutsche akzeptieren und keine Ausländer. (Lachen) Irgendwie, obwohl man damals noch Kind war, dat ist irgendwie drin ne. * *

Mmh

Wat man so von Kindheit hat drin, äh, eingeimpft kriegt, dat bleibt doch hän­gen, meine ich.

Ja welche Methoden meinst Du?

Ne Abwe…, Ja, also daß man Ausländer ablehnt. Et is ne andere Rasse und dat deutsche Volkstum * (stocken) und die, und die *, und die deutsche Rasse eben, dat, * dat is eben wichtig, dat arische Blut darf nicht untergehen, so ähnlich.

Und so hast Du das gelernt...

Und keine Mischung! (verlegenes Lachen)

So hast Du das gelernt!?

Ja! (11/313-327)

Es wird ersichtlich, daß Mona die nationalsozialistischen Erziehungsme­thoden und -inhalte bis zum heutigen Zeitpunkt weder kritisch durchleuch­tet hat, noch sich von ihnen distanziert. Sie kann sich nicht von ihrer er­lernten Denkweise lösen. („dat bleibt doch hängen“; s.o.)

An dieser Stelle zieht sie selbst ein quasi »lerntheoretisches Resümee«. So stellt Mona fest, daß sie das, was sie als Kind gelernt hat, nicht mehr ver­gessen kann.

An den auftretenden Stockungen zeigt sich jedoch, daß sie Mühe hat, diese »Formeln« so, wie sie diese gelernt hat, wiederzugeben. An zwei Stellen die­ser Textpassagen relativiert sie die Härte ihrer Aussagen durch ein verle­genes Lachen. Ihr erster Lacher zeigt an, daß sie ihre Aussagen über Aus­länder selbst als ein wenig hart empfindet. Die Doktrin vom »eigenen und dem fremden Blut«, die dazu diente, eine deutsche »Rasse« zu konstruie­ren[48], wird von ihr in der heutigen Zeit zwar verharmlost, doch hindert das sie nicht daran, diese Anschauung zu reproduzieren.

Die angeführten „Methoden“ werden nicht weiter erläutert, und so muß man annehmen, daß Mona es nicht als nötig erachtet, diese Ideologie zu rechtfertigen. Ja, mehr noch, die Absichten, die eine solche Ideologie haben entstehen lassen, erscheinen ihr als durchaus richtig. Denn durch die Diffe­renzierung im Umgang mit Deutschen und Ausländern entsteht ein Selbstbild des Deutschen, der sich nicht mit anderen Kulturen identifizie­ren und sich nur noch an sich selbst orientieren muß. An dem Verweis auf die Ideologeme des dritten Reiches sowie anhand der Aussagen über die Menschen in Monas Umgebung (der Deutschen, wohlgemerkt!) läßt sich Monas Nationalbewußtsein ablesen.

Bei ihrem zweiten Lacher wird deutlich, daß sie die von ihr dargestellte »Rassenideologie« selbst für etwas »überspannt« hält. Obwohl sie ihrer anerzogenen Ideologie nicht mehr stringent folgt, teilt sie trotzdem die Menschen in »dem deutschen Volk zugehörig« und »andersartig« ein, wobei der Vergleich der Anderen mit den „stummen Fischen“ diese Andersartig­keit unterstreicht.

Und die kommen aber, die sitzen da, wie en stummen Fisch un können nix. (11364 f.)

Die Anderen sind keine Subjekte. Sie sind glitschig, stumm und unheimlich wie die Fische.[49]

So wundert es auch nicht, daß Mona ca. 20 Alltagsgeschichten erzählt, die von verschiedenen Lebensweisen der Einheimischen und EinwanderInnen berichten oder die Andersartigkeit der »Anderen« als solche aufzeigen.

 

2.1    Das Reden über die »Anderen«.

Wie erwähnt, hat Mona keine persönlichen Kontakte oder gar nähere Be­ziehungen zu Ausländern, obwohl:

…die fragen schon ma irgendwas, und dann gibt man Antwort. (11/32)

So speisen sich ihre Erzählungen hauptsächlich aus dem, was sie tagtäglich im Sichtkontakt mit Einwanderern beobachtet, und dem, was sie von Be­kannten erfährt. Daher stützen sich ihre Aussagen zum größten Teil auf Er­fahrungsberichte einer Augenzeugin.

Diese Art des Redens über »die Anderen« hat nach Leiprecht eine ganz be­stimmte Funktion, denn:

„Man/frau redet auf diese Weise nicht mehr über das je eigene Verhalten, über den je eigenen Rassismus/Ethnozentrismus, sondern klammert diesen aus der Reflexion aus. Die Bilder über die »Anderen«, die hier oft benutzt werden, sind zudem nicht selten eher soziale Konstruktionen von Kultur und Lebensweise als tatsächlich gelebte Realität der jeweils »Anderen«.“ (Leiprecht 1991, S.22)

Dieses Reden über »die Anderen« wird maßgeblich davon beeinflußt, daß sie als »anders-artig« gesehen werden. Kulturelle Charakteristika werden als Entscheidungskriterium für eine Zugehörigkeit zur eigenen Gemeinschaft stilisiert - gleichermaßen fungieren sie als Kriterien zur Ausgrenzung aus der Gemeinschaft.

 

3.      „...Weil dat ja auch alles Christen sind, ne.“ (11/260)
   oder: Das integrative Moment der Religionszugehörigkeit

Ja, z.B. die Italiener, die haben sich...die sind schon wie Deutsche, da is über­haupt kein... anfangs war dat ja ne, die Italiener, da gab et ja noch keine Türken, da hieß es da, »die Spaghettis« sind da, und da war die Wut eben da drauf, und Spanier, dat hat sich nicht ausgebreitet, waren auch viele hier, aber die wurden gar nicht so als Ausländer empfunden, * sind sie ja auch nicht, ich mein, da spielt die Religion viel mit. Weil dat ja auch alles Christen sind, ne. (11/255-260)

Diese Rückschau beinhaltet widersprüchliche Aspekte der Darstellung der »Anderen«.

Die Ankunft von italienischen bzw. spanischen Gastarbeitern rief zunächst eine gewisse Wut bei vielen Deutschen hervor. Diese Wut gegen die Gastar­beiter wird vor dem Hintergrund der heutigen Präsenz türkischer Arbeit­nehmer etwas relativiert „...da gab et ja noch keine Türken...“ (11/256).

Die »Wut« gegen Türken zur jetzigen Zeit, meint sie, sei größer als die gegen Italiener und Spanier zur damaligen Zeit:

...die wurden gar nicht so als Ausländer empfunden. Weil dat ja auch alles Christen sind ne? (11/258-260)

Mona vereint das »Abendland« zur Glaubensgemeinschaft und unterstreicht damit zugleich die gravierende Andersartigkeit der moslemischen Religion und ihrer Anhänger.

Nicht ohne Einfluß auf Monas Aussagen war auch die Tatsache, daß zum Zeitpunkt des Interviews der 2. Golfkrieg unmittelbar bevorstand. Die Me­dien verbreiteten ein »Bild des Islam«, in dem dieser als barbarisch, kollek­tivistisch, fanatisch, irr und zurückgeblieben dargestellt wurde. Demgegen­über stellt sich das „(...) christliche Abendland (...) als vernünftig, rational, gerecht, zivilisiert, demokratisch, fortschrittlich, emanzipiert - auch was das weibliche Geschlecht betrifft -, rücksichtsvoll gegenüber dem Individuum usw.(...)“ dar. (Leiprecht 1991, S.19)

So werden in Monas Schilderungen Italiener und Spanier als integrativer Bestandteil des christlichen Abendlandes („Weil dat ja auch alles nur Chri­sten sind, ne?“ 11/ Z.260) mit einbezogen. Zum einen werden sie in Deutsch­land nicht mehr als EinwanderInnen empfunden und darüber hinaus als »Verbündete« des westlichen Abendlandes in einem zunehmend eskalieren­den Nord-Süd Konflikt angesehen.

Das wichtigste integrative Moment ist die Religion, neben der verwandten Kulturform. Dieser für Italiener und Spanier günstige Assimilationsaspekt von Italienern und Spaniern wird den türkischen Einwandererfamilien von Mona abgesprochen. Da er bei den Türken fehlt, können sie sich auch nicht anpassen, sondern eher »breit machen«,[50] denn:

(...) die Art der Türken, dat is irgendwie was Fremdes (11/222 f.).

Mona geht hier auf das Verhalten von Türken ein, das sie nur als Abschot­tung einer eingewanderten Volksgruppe von der deutschen »Gemeinschaft« zu deuten vermag. Zum einen mag dies daran liegen, daß ihr deren religiöse Inhalte verschlossen bleiben und sie auch nicht bereit ist, diese in irgendei­ner Form nachzuvollziehen. Zum anderen kritisiert sie, daß sich die Türken bis dato nicht »eingedeutscht« haben; so bleibt »die Art der Türken etwas Fremdes«. (11/222-223)

Mona sieht sich bei den Türken mit Menschen einer fremden Kultur kon­frontiert, die ihre Sitten und Gebräuche nicht ablegen und die sie daher als Angehörige einer kollektivistischen, fanatischen und nicht anpassungsfähi­gen Gruppe auffaßt.

 

4.      Die Naturalisierung des Sozialen
- Monas Darstellungsweise des Fremdländischen

Mona hat im Verlauf ihres Lebens ein festes Schema entwickelt, anhand dessen sie EinwanderInnen beurteilt. Sie hat einen Wertekatalog aufgebaut, mit dessen Hilfe sie typisch deutsche Eigenschaften mit fremdartigen Le­bensweisen vergleichen kann.

Mona sieht sich der türkischen Kultur ausgeliefert, die sie als besonders fremd und exotisch ansieht. So wird auf das »andere« Aussehen der Men­schen an verschiedenen Stellen des Interviews verwiesen (z.B.:11/22-23). In der folgenden Aussage verschafft sich Monas Aggression und Ablehnung der EinwanderInnen und deren Kultur in geradezu harscher Weise Luft:

Dat verändert sich nicht, die Frauen sind so bekloppt,... (...) ...die sind nicht nur bekloppt, die sehen auch alle egal aus. Dat irgendwie dat Denken prächt auch nen Menschen: Die sind alle gleich groß, un gleich breit, alles so kleine gedrungene Kopftuchbrigade. Also da hat sich nix geändert. (11/369-373)

Das aus ihrer Sicht unemanzipierte Verhalten türkischer Frauen wird insofern als naturgegeben charakterisiert, als sie das patriarchalische Rol­lengefüge innerhalb türkischer Familien als unveränderlich ansieht. In die­sem Sinne scheint Mona auch das Denken der Türkinnen als Folge dieser naturgegebenen Sozialordnung zu betrachten. Darüber hinaus ist es in Mo­nas Augen gerade dieses Denken, welches die von ihr sehr negativ beur­teilte äußere Erscheinung der Türkinnen prägt.

Daß es hierbei insbesondere die Frauen sind, die von Mona regelrecht »verachtet« werden, kommt nicht von ungefähr: Durch die negative Bewer­tung der türkischen Frau rückt sie sich selbst in eine Position der Überle­genheit, was ihr die Möglichkeit einer positiven Selbstdarstellung bei gleichzeitiger Ausgrenzung der »Anderen« bietet.

 

4.1    Über Knoblauch, Gardinen und Ordnung

Monas Darstellung der Anderen läßt eine Reihe weiterer Schlußfolgerungen über ihre eigene Einstellung zu. Dreh- und Angelpunkt ist die deutsche Kultur, deren Attribute von ihr verinnerlicht wurden, deren »Tugenden« ihr andressiert wurden, was dazu führte, fremde Kulturen rigoros abzulehnen. Mona blickt nur selten über ihren eigenen gedanklichen »Tellerrand« hin­aus, denn es bietet sich für sie »der Kulturvergleich vor der Haustüre« an. Gruppiert man die deutschen Tugenden zu einem Wertekatalog, so trifft man auf verschiedenste Konfliktpotentiale, da diese Werte den türkischen »Sitten und Gebräuchen« anscheinend völlig entgegengesetzt sind. So sieht sie die Diskrepanz zwischen deutschen Tugenden und dem Verhalten von Türken folgendermaßen:

     Ordnung:

Die haben die Gardine anem Faden oder so, hängen die die auf und dann is dat so rund oben, nich anne Stange. (11/470f.)

     Sauberkeit:

Da wird kein Bürgersteig gefegt, da wird gar nix mehr gemacht. Näh, so geht dat nich. (11/463 f.)

     Arbeitswille:

...irgendwann fingen se an, so mitten während der Arbeit hatten die immer son kleinen Teppich, son Dingens bei, und dann haben se gebetet, gegen Mekka oder so ähnlich. Und waren die natürlich: »Eh, guck ma hier, de faule Hund hier, wie die so sind, dat machen wer demnächst auch hier, immer so ne Pause. (11/265 f.)

     Bereitschaft zur Anpassung:

...auch richtig im Krankenhaus, dann bringen se trotzdem alles, obwohl dat verboten wird, der Arzt schimpft dann, nein die bringen alles. Sie ißt nur das, was von zu Hause gebracht wird. Also, die passen sich nicht an, ich weiß nich, die haben so ihren eigenen Stil..(11/239 ff.)

     Individualfreiheit:

...und die Frauenhäuser sind ja auch voll Türkenfrauen. Die gehen ja auch oft, weil se dat auch nich mehr ertragen, die werden hier auch, sehen ja auch, welche Rolle die Frau hier spielt. Die hat ja mitzureden und is auch ne Person. Sie selbst sind ja gar nix. (11/285 ff.)

Solche Wertvorstellungen dienen Mona als Raster zur Beurteilung der Ein­wanderInnen. Anhand dieser Prinzipien werden Einstufungen vorgenom­men, die auf Beurteilung und Verurteilung von Einwanderern abzielen. Als besonderes Merkmal der abendländischen Kultur kann in ihren Augen der Ordnungssinn bezeichnet werden. Diesem widerspricht das Verhalten der türkischen Mitbewohner in ihrer Nachbarschaft. Eng mit dem Ordnungs­sinn ist der Hang zur Sauberkeit verbunden. Diese »Grundwerte« sieht sie ebenfalls gefährdet, da neben dem »richtigen« Aufhängen von Gardinen auch das Fegen des Bürgersteiges bei ihren ausländischen Mitbürgern an­scheinend nicht selbstverständlich ist, was in ihren Augen einen »Angriff« auf die allgemeine Sauberkeit darstellt. Da ihrer Ansicht nach den Einwan­derern so jeglicher Hang zur Sauberkeit und Ordnung fehlt, neigt sie auch dazu, ihnen den Arbeitswillen abzusprechen. Da Mona sich selbst ihr gan­zes Leben lang keine »Extratouren« erlaubt hat, fordert sie einen unbeding­ten Anpassungswillen der EinwanderInnen an die deutsche Kultur. Dies kann als ihre Kernforderung angesehen werden, zumal sie im Verlauf des Interviews immer wieder thematisiert wird[51].

 

4.2    Sprachprobleme als auschließendes Element

        

         „Ja, wollen die nich, oder können die nich?“

Ja, dat sind die einfachen Leute, die sich auch gar nich bemühen, Deutsch zu lernen. Normale Türken, wenn die auswandern wollen oder irgendwie, die lernen doch schon zu Hause * die Sprache: wenichstens en bißchen. Aber die kommen, die siehste schon, wer weiß wie lang laufen die schon hier rum, die können immer noch kein Deutsch. Ja, wollen die nich oder können die nich?! Irgendwat is doch, die leben hier äh und haben doch einen Haß auf die Deut­schen. Dat begreif ich nicht. Wenn ich meintwegen auswandern will, nach Amerika und beherrsche die Sprache doch nich, ja da bemühe ich mich doch schon enn Jaahr vorher mindestens, daß ich die Sprache kann. Oder is dat nich, dat is natürlich, * wenn einer so denkt. Und die kommen, aber die sitzen da, wie en stummen Fisch un können nix.* Greifen aber überall dran und sind dreist. Dat begreif ich nich. (11/356-366)

Hier werden soziale Eigenschaften einerseits als genetisch bedingt unter­stellt. Die Unfähigkeit, Deutsch zu sprechen, läßt sie auf ein biologisches Manko der Türken schließen. Wenn die Türken kein Deutsch lernen kön­nen, heißt das nicht etwa, daß sie keine Möglichkeit (Zeit, Institutionen etc.) dazu haben, sondern daß sie nicht die biologisch verankerte Fähigkeit besit­zen, eine solche Leistung zu vollbringen. Der Vergleich mit der Tierwelt (stummen Fisch (11/365)) unterstreicht Monas biologisierende Sichtweise.

Mangelnde Deutschkenntnisse weisen nach Monas Ansicht andererseits auf fehlenden Anpassungswillen hin. Die Abschottung der Türken scheint in diesem Zusammenhang selbstgewählt, denn sie wollen das Sprachproblem auch nicht selbst lösen, indem sie Deutsch lernen. Mona verlangt auch hier eine Assimilation der Türken, denn sie ist gegen eine Co-Existenz verschie­dener Kulturen in einem (unserem!) Lande. Sie fordert totale Assimilation. Die aber hält sie nicht für möglich, denn es folgt ihr Umkehrschluß, daß diese Menschen nicht können oder wollen.

 

4.3    Die Hautfarbe: Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Tja, * (unverständlich) dat is nur hier, wenn man hier, am Spielplatz, da sind jetzt nur immer diese, ich glaub, das sind Termilen, und wenn da abends, wenn da schon so früh dunkel is, dann hat man immer ein bißchen Angst da, die wirken so, fremd eben, daß man sonn bißchen * irgendwie so schwarz, (lachen) irgendwie so dunkel, da kriegt man en Schreck, wenn einzelne sind, dann geht et noch, aber wenn da sonn ganzer Trupp davon is, die setzen sich dann abends auf die Bänke, aufem Spielplatz, un auffe Schaukel schon ma, und dann is da immer son Trupp, da bin ich äh immer froh, wenn ich da vor­bei bin. (11/20-27)

Diese Schilderung der „Termilen“ befindet sich zu Beginn des Interviews. Was hier so fremd anmutet, ist die dunkle Hautfarbe, die »so schwarz wirkt«. Eben dunkel, unheimlich, bedrohlich. Und da steht gleich ein „gan­zer Trupp“. Mit Hilfe eines Wortes aus dem militärischen Bereich wird der Be­­drohung besonderes Gewicht verliehen.

4.4    Charakterisierung anderer EinwanderInnen

…oder auch die Zigeuner: die wollen alle hier rein, das ist unmöglich, wir sind kein Einwanderungsland. Warum bleiben die ... ich find, dat sind über­haupt komische Völker, die immer nur da hin gehen, wo et am besten ist, da sind se mal Deutsche, da sind se mal Polen. (11/112-115)

Hier bedient sich Mona einer Innen/Außen-Symbolik, die verdeutlichen soll, daß Deutschland ein eng begrenzter Raum ist. Zugleich und daher spricht Mona Deutschland den Status eines Einwanderungslandes ab. Sie kritisiert die „komischen“ Völker, die jedes Gefühl für Heimattreue ver­loren haben.

Wie anders haben sich in dieser Hinsicht doch die Deutschen verhalten. Als es ihnen schlecht ging, schafften sie es nach Monas Ansicht aus eigener Kraft, etwas aus diesem zerstörten Land zu machen. Auf diesem Hinter­grund erklärt sich ihr Vorwurf gegen „Zigeuner“ und andere „Auswan­de­rungs­völker“, die ihr eigenes Land nicht mit aufbauen woll(t)en. Stattdessen streben diese Völker dorthin, wo „der Brotkorb nicht so hoch hängt“ (11/94), wo also Wohlstand herrscht und auch für »sozial Schwache« gesorgt wird.

In Monas Augen ist aber die staatliche Fürsorge nicht nur eine Absicherung für die Bundesbürger, sondern sie stellt zugleich eine Einladung für viele Menschen dar, denen es wirtschaftlich schlecht geht. Solche Menschen wer­den als »Auswanderungsvölker« bezeichnet, die grundsätzlich in Länder »ziehen«, die ihnen eine Existenzgarantie geben.

Das Symbol des niedrig hängenden Wohlstandskorbes impliziert für Mona eine unkontrollierbare Freigiebigkeit, denn Menschen, die nicht soviel besit­zen, können sich frei aus dem Brotkorb bedienen. Mit ihrer Darstellung schmückt sie das Bild desjenigen Einwanderers aus, der in den Medien häufig als »Wirtschaftsflüchtling« bezeichnet wird. Sie schließt eine politi­sche Verfolgung bei Einwanderern aus und sieht demnach alle als »Wirtschaftsflüchtlinge« an.

 

5.      Kopftuch, Kinder, Kebap - Die Rolle der Frau

Wendet man sich der Darstellung der Frau in Monas Aussagen zu, so erhält man ein ambivalentes Bild. In dem Bereich der westlich - deutschen Kultur sieht sie die Rolle der Frau als aufgeklärt, emanzipiert und selbständig. Im Gegensatz hierzu erscheint das Bild der »islamischen Frau«. Sie wird im Vergleich zur emanzipierten westlichen Frau von Mona als rückständig und unterlegen gesehen.

Da Mona in ihrem Leben stets großen Wert auf Selbständigkeit gelegt hat, mißt sie der gesellschaftlichen Rolle der Frau große Bedeutung zu. Was sie tagtäglich in ihrem begrenzten Umfeld bei der Betrachtung von Türkinnen erlebt, widerspricht ihrer Ansicht über eine westlich-aufgeklärte Stellung der Frau zutiefst. So kritisiert sie die türkischen Frauen, die ihren Männern »hinterherlaufen« und dadurch den Eindruck der Unterwürfigkeit vermit­teln:

Eigentlich ist das ja so, daß man denkt, die Männer, die sagen, guck ma hier - die macht dat so, die läuft immer hinterher, und die hat alles zu tragen, und er geht forsch vorne weg, und dann meinen die schon, die Männer, die deut­schen, hätten dat gerne wenn ihre Frauen auch so. (Lachen) Er würde so vor­neweg - und er hätte das Sagen. Da sagen die Frauen: „Ja, dat käm noch so­weit“. Die spielen ja so eine untergeordnete Rolle da, die Türkenfrauen, die haben ja garnichts zu sagen. Die 10-jährigen Jungens, die spitzen die Mutter an, die Mutter hat da nix zu melden, dagegen die Mädchen nich, die haben genauso wenig wie die Mutter zu melden also dat harmoniert auch nich, und dat is auch irgendwie, und die Frauenhäuser sind ja auch voll Türkenfrauen. Die gehen ja auch oft, weil se dat auch nich mehr ertragen, die werden hier auch, sehen ja auch, welche Rolle die Frau hier spielt. Die hat ja mitzureden und is auch ne Person. (11/277-287)

Die türkischen Frauen haben dem »dominanten Denken« ihrer Männer nichts entgegenzusetzen. Gleichzeitig sieht Mona eine gewisse Nähe der Deutschen zu den türkischen Männern. Sie fürchtet, daß deutsche Männer diese Rollenverteilung befürworten und ihre Frauen genauso behandeln könnten.

Hier zeigt sich, daß Mona eine Übertragung der islamischen Verhältnisse auf ihre Umgebung deswegen ablehnt, weil sie eine Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit befürchtet. Die Emanzipation der Frau, die sich bis zum heutigen Zeitpunkt entwickelt hat, so Monas Angst, könnte durch ein islamisches Vorbild »ins Wanken geraten«.

Weitere Beispiele für die unemanzipierte Rolle der Frau im Islam weiß Mona sogleich anzuführen:

Ja, sicher, macht man immer wieder die Erfahrung, und dann ham die auch so, z.B. wenn die, äh, Sachen kaufen, dann is ja der Mann dabei, der Mann un die Frau, und dann wollten se nen BH kaufen,* und der sollte aber anprobiert werden. Aber dat, dat geht nich, BH anprobieren darf man nich, das ist ja unmöglich, wenn da jeder dat Ding anprobiert, dat kann man ja nich, ne? Er wollte aber, er hat aber drauf bestanden, sie stand dabei und hat nix gesagt, nicht i und nicht a- * (Lachen). Er hat voll aufm Putz gehauen und wollt, daß seine Frau dat anzieht, hier. Und is ab..., is höflich abgelehnt worden, der hat Rabatz gemacht, bis der da rausgegangen is. Also so sind die.., den Leuten kann man mit Vernunft nichts beibringen, den Leuten, und sie sacht gar nix. Wat, wat ihr Mann, genauso ist et beim Arzt. Er will mit rein. Ach, dat is doch unmöglich (leidend). Dat is doch unmöchlich. Warum will er mit dabei sein, wenn seine Frau untersucht wird? Dat kann der nich in Kopf rein. Meint er, der Arzt hat Spaß an die Frau, un, un vergreift sich da dran, oder wat? Ich weiß et nich. (11/392-405)

Die türkische Frau hat nach Monas Ansicht »nichts zu sagen«. Der Mann, spricht ihr jedes Recht auf eine Privatsphäre ab. Dadurch, daß die Frau dem dominanten Verhalten ihres Mannes nichts entgegensetzt, kommt es für die Frau wiederholt zu Situationen, die für eine westlich orientierte Frau wie Mona peinlich wären bzw. durch das Miterleben peinlich sind. Das ausgrenzende Element besteht darin, daß dieses Verhalten einer dem Manne hinterherlaufenden und Plastiktüten tragenden Frau ein schlechtes Beispiel abgibt. Dagegen ist auch schwer etwas zu machen, denn den Tür­kinnen kann man „mit Vernunft nichts beibringen“.

Hier wird wieder ein biologistisches Prinzip deutlich, denn Monas Frage „Ja, wollen die nich, oder können die nich?“ (11/360) scheint hier eine Be­antwortung gefunden zu haben: Sie können nicht.

Außerdem wird hier sichtbar, daß Mona ihre Ordnungsprinzipien gefährdet sieht. Sie wirft insbesondere dem türkischen Mann einen Verstoß gegen das in Deutschland geltende Prinzip vor, daß der Mann das Untersuchungs­zimmer des Arztes nicht betreten darf. (vgl. 11/401-405) Hier beruft sich Mona bei dieser Charakterisierung der türkischen Frau auf eigene Erleb­nisse und Erfahrungen, die es ihr erlauben, ein solches Bild zu zeichnen. Da die türkischen Frauen nichts an dieser Rollenverteilung ändern, beschrän­ken sich Monas Auffassung nach deren Aufgaben darin, die Kinder zu ver­sorgen (11/303-305) und sich den Forderungen ihrer Ehemänner zu »unter­werfen« (11/281-284). Folgende Aussage unterstützt diese These:

Aber sonst hat die sich zurückzuhalten und dat Maul zu halten. (11/420)

Im Widerspruch zu der Bemerkung, daß die türkischen Frauen von ihren Männern nichts als »Unterdrückung« zu erwarten hätten, scheint die Be­hauptung zu stehen, daß sie es verstehen, sich die dominierende Rolle des Mannes zunutze zu machen. So wird auch die Aussage „die Frauen sind so bekloppt“ (11/369) insofern relativiert, als Mona ihnen doch eine gewisse Schläue und Gewandtheit zuspricht. Das folgende Zitat belegt dies:

Obwohl sie sich auf der anderen Seite auch hinter ihre Männer verstecken. Die sind auf eine Art auch raffiniert, wenn sie irgendwat nich machen, wat nor­mal ihre Aufgabe is, dann stecken die sich hinter die Männer. Der Mann muß dann sagen: »Meine Frau nich nötig, Flur putzen«. (imitierend) Sie, sie ver­steckt sich dann, sie weiß ganz genau, daß se dat muß, aber dann versteckt sie sich hinterm Mann, so is dat auch. (11/288-293)

Die der türkischen Frau zugestandene Schläue zeigt sich Mona auch darin, daß manche türkische Mädchen eine Doppelrolle spielen und zu Hause das Kopftuch tragen, es jedoch außerhalb der familiären »Überwachung« heim­lich absetzen.(vgl.11/384-386) Hieran erkennt Mona zumindest bei den tür­kischen Mädchen einen Anpassungswillen, der sie sogar soweit gehen läßt, der strengen Vorschrift des Korans und der Familie ein »Schnippchen zu schlagen«.

Eine Änderung der bestehenden Verhältnisse kann Monas Ansicht nach nur dann eintreten, wenn sich die türkischen Frauen miteinander solidarisieren und sich gegen die bestehenden Verhältnisse (d.h. die Behandlung durch die Männer und die Vorschriften des Korans) wehren. Dies ist aber nur dann möglich, wenn sich die familiäre und religiöse Erziehung zugunsten der Frau verändert:

...dat is nu ma da so, und wenn die natürlich hier äh länger leben, wird sich dat wohl auch ändern. Un dann- aber die müssen dann auch ihren Glauben aufgeben, denn die können da nich nachem Koranstaat leben, denn dat geht gar nich hier. (11/420-423)

Hiermit spielt Mona auf das Entgegenkommen der Deutschen hinsichtlich des Eingliederungsprozesses der Türken an. Man ist ja durchaus bereit, den Türken eine Chance zur Eingliederung zu geben, jedoch nur unter gewissen Voraussetzungen: Mona ist der Ansicht, daß der islamische Glaube zum größten Teil aufgegeben werden muß, um ein friedliches Zusammenleben zwischen Türken und Deutschen zu gewährleisten, denn sie sieht die Ver­wirklichung der im Koran geforderten Lebensweisen und die der Deutschen als zwei gegenüberliegende Pole, die sich »abstoßen« und sich widerspre­chen. Da Mona sich in der Position der Stärkeren sieht, da sie Deutsche ist und die Türken »ja etwas von ihrem Land wollen«, fordert sie die uneinge­schränkte Anpassung der Türken an die deutsche Lebensweise.

Da Mona eine selbständige und emanzipierte Frau ist, scheint es merk­wür­dig, daß sie sich nicht mit den türkischen Frauen identifiziert, sozusa­gen Mitgefühl mit den Opfern der patriarchalischen Verhältnisse äußert, son­dern sich im Gegenteil eher mit den »Tätern«, den Männern, identifi­ziert. Mona scheint nicht den Männern vorzuwerfen, ihre Frauen zu er­niedrigen, sondern vielmehr macht sie die Frauen für ihre »mißliche« Situa­tion selbst verantwortlich, weil sie „nur dastehen und nicht i und nicht a sagen“ (11/ 397).

Auch stellt Mona den Willen der türkischen Frauen zur Emanzipation in Frage; dies liege daran, daß sie wegen der Dominanz ihrer Männer auch gewisse Vorteile genießen, z.B. nicht den Flur putzen zu müssen. Der Kreis schließt sich also wieder. Unemanzipierte Frauen werden in der deutschen Gesellschaft nicht akzeptiert, Emanzipation bringt der türkischen Frau aber auch Nachteile. Fazit: Die türkischen Frauen wollen also gar nicht vollakzeptiertes Mitglied in der deutschen Gesellschaft werden.

 

6.      Besondere Spielart des Rassismus - Antisemitismus

Wer Jude ist kommt rein, hat keine Schwierigkeiten. Ob dat richtig ist? (11/158 f.)

Vor dieser Überlegung stellte Mona die Behauptung auf, daß einige Juden keine Papiere haben, aber trotzdem eine Einreisegenehmigung erhalten. (vgl.11/152-158) Hier wird eine »Rasse« konstruiert, für die keine Gesetze gelten und keine Länderschranken bestehen.

Mona sieht sich hier mit einem Problem konfrontiert, das bereits den Nazis zu schaffen machte:

Juden sehen ja nich so aus. (11/183f.)

Juden kann man, im Unterschied zu den meisten anderen EinwanderInnen, trotz aller dahingehenden Versuch[52], nicht an ihrem Äußeren erkennen. Deshalb versah man sie unter den Nazis mit einem gelben Stern, druckte ihnen ein „J“ in den Paß etc. »Rasse«, die nicht körperlich festgemacht wer­den kann, wird so durch sekundäre künstliche Ersatzmerkmale pragma­tisch konstituiert bzw. konstruiert.

Die aus Rußland einwandernden Juden verlassen ihr Land nach Mona des­halb, weil sie dort verfolgt und für »die ganze Misere«, insbesondere den wirtschaftlichen Zusammenbruch der UDSSR verantwortlich sind. Das ist für Mona auch deshalb plausibel, weil sie - wie auch sonst sehr verbreitet - Juden allgemein als Geldverleiher und Finanzies betrachtet.

Ich kann dat auch nicht begreifen, daß selbe wie et hier war - an allem sind die Juden schuld - dat gleiche geht jetzt in Rußland los, nee. Jetzt heißt es da, die ganze Misere sind nur die Juden schuld. So sagen, die Juden nämlich, die gehen nur deshalb raus, weil jetzt eben äh so eine Art Judenverfolgung ist, und die Juden sind wieder an allem Schuld, und deshalb wollen sie da nicht bleiben. Da kommen sie alle nach Berlin. Vielleicht kommen se ja vom Regen in die Traufe (Lachen). Ich weiß et ja nicht. Wär ja nicht zu wünschen, aber dann sollen se - aber warum wollen se nich nach äh * aber warum wollen die nich nach Jerusalem? (11/164-172)

Hier wird nicht von einer jüdischen Glaubensgemeinschaft gesprochen, son­dern die Argumentation bezieht sich auf eine (rassisch-homogene) Gruppe. Außerdem zeigt sich erneut der Wille, diese Kultur in »ihre Schranken zu verweisen«. Deutlich wird dies durch Monas Frage, warum die Juden nicht nach Jerusalem wollen. Jerusalem wird zum Sinnbild eines jüdischen Staa­tes erhoben, der die Juden vereinigen und ihrer Wanderschaft ein Ende set­zen könnte. Hierdurch könnten sie sich aus der »Gefahrenzone« bringen.

Mona sieht die Juden als ein in der Sowjetunion unerwünschtes Volk, das glaubt, dort verfolgt und diskriminiert zu werden. Der moralische Druck auf Deutschland, auf den Mona anspielt, hat ihrer Ansicht nach zur Folge, daß allein die Behauptung der Juden, verfolgt zu werden, ausreicht, um ihnen in der BRD Asyl zu gewähren. Diese Bevorzugung führt aber in ihren Au­gen dazu, daß in Deutschland Juden aufgrund einer historischen Schuld aufgenommen werden. In ihrer Argumentation taucht der Verdacht auf, daß die Juden in der BRD auch deshalb eine ähnliche Verfolgung erleben könn­ten, wie es sie während der nationalsozialistischen Diktatur gegeben hat. Obwohl Mona es ihnen nicht »wünscht«, besteht ihrer Ansicht nach die Möglichkeit einer Verfolgung und Unterdrückung des jüdischen »Volkes« in der heutigen BRD. Hier schwingt der Vorwurf mit, daß die Juden nichts aus ihrer Geschichte gelernt haben, nämlich, daß sie in der BRD nach wie vor unerwünschte Zeitgenossen sind.

Auf diese Weise äußert Mona einen latenten Antisemitismus. Unter Rück­griff auf genetisch rassistische Deutungsmuster initiiert sie eine Ausschlie­ßungspraxis, die die Juden aus Deutschland fernhalten soll.[53] Der beson­de­re Clou in ihrer Argumentation: Die Juden sollen deswegen nicht nach Deutschland kommen, weil sie ohnehin nur Gewalt und Haß der Deutschen auf sich ziehen würden.

Interessant ist aber vor allem der Zusammenhang, in den Mona ihre Aussa­gen über die Juden stellt:

Die staatenlosen Juden, die aus der Sowjetunion auswandern, kommen nach Deutschland und „machen sich nun wieder breit“. (11/148 f.)

Zunächst berichtet Mona von den Ostdeutschen, die man, da es nun mal Deutsche sind, nicht wieder „rausschmeißen kann“ (11/129). Bei der Beant­wortung der Frage jedoch, wie es mit türkischen Gastarbeitern sei, setzt sie andere Maßstäbe. Sie werden von ihr als Arbeitnehmer gesehen, doch Mona sieht nun den Ar­beitsmarkt hinreichend gesättigt. Das Problem, das sich ihrer Ansicht nach stellt, ist die Zuführung weiterer Familienmitglieder.

Die lassen ja alles mögliche nachkommen, *** Mein Gott, wir kriegen ja jetzt soviel ... guck Dir jetzt mal rum, die ganzen Juden, die dürfen wir ja nicht zu­rückjagen. Dat ganze Berlin is voll Juden. (11/140 ff.)

Hier kommen nun die sowjetischen Juden ins Gespräch. Auch sie »strömen« ins Land, aber wir können sie – aufgrund unserer historischen Schuld – nicht „zurückjagen“ (11/143).

Die Symbolik des »Breitmachens« und des »Zurückjagens« findet sich sowohl bei der Darstellung der Juden, als auch bei Einwanderern im allge­meineren Sinne. Während die Juden eventuell „vom Regen in die Traufe“ kommen (11/169f.), könnten die Türken einem Holocaust rechtzeitig ent­kommen, wenn sie sich zurückhalten. Der Zusammenhang, den Mona hier aufzeigt, ist die Parallelität von Judenverfolgung und zukünftigem rassisti­schen Fremdenhaß, eine indirekte Drohung!

 

7.      Schlußbemerkung:
»Ewig Gestrige« und »Nur-Noch-Heutige«

Monas Äußerungen geben die Erfahrungen einer Frau wider, die sich keiner Partei oder einer politischen/ ideologischen Gruppierung angeschlossen hat, die aber immer noch stark von nationalsozialistischem Denken geprägt ist. Sie ist sicherlich keine überzeugte Verfechterin einer »radikalen fanati­schen Über­zeugung«, aber sie trifft Aussagen, die vor dem Hintergrund ei­ner 40-jährigen demokratischen Tradition durchaus extrem wirken.

Sie gehört zu der Generation, die in der heutigen Zeit oft als die der »ewig Gestrigen« bezeichnet wird. Zu beachten ist aber, daß diese Haltung Monas in weniger offener Form auch bei vielen »nur noch Heutigen« zu beobachten ist, bei denen, die die Vergangenheit elegant verdrängt haben, die aber nicht weniger in rassistische Diskurse verstrickt sind, als dies bei Mona der Fall ist.

 

 

 

3.6         Andreas Quinkert:

              „Die kommen aus ´ner anderen Welt...“

                 Analyse eines Interviews mit der 23-jährigen Studentin »fokus«[54]

 

1.      Einleitende Gedanken

Ich fühl mich hier manchmal wie ne alte Spießerin (...), die Auslän­der mit asozialem Pack gleichsetzt. (12/356-359)

Hört man Aussagen dieser Fasson in Alltagsgesprächen, so mag dies heut­zutage eigentlich nicht weiter verwunderlich anmuten. Insbeson­dere dann, wenn man beispielsweise die im Frühjahr 1989 vom SPIE­GEL in Auftrag gegebene Emnidstudie als Gradmesser der in der Bun­desrepublik Deutsch­land grassierenden »Ausländerfeind­lich­keit« be­rücksichtigt.[55]

Daß man auch bei meiner Interviewpartnerin fokus, die sich selbst als Linke versteht, auf rassistische Einstellungen stößt, werde ich im fol­gen­den darzulegen versuchen. Ich werde zeigen, wie fokus - ohne das Wort »Rasse« auch nur ein einziges Mal zu verwenden - angesichts einer als anders emp­fundenen Kultur und Lebensweise der Einwande­rer deren »Rasse« sorgsam konstruiert[56], diese symbolisch aus der ver­meintlich fort­schrittlicheren deut­schen Gesellschaft ausgrenzt und über den Weg der Verallgemeinerung persönlicher Erfahrungen viele landläufige Vorurteile über Einwanderer reproduziert.

Vorweg sei aber noch folgendes gesagt: Selbstverständlich hüte ich mich da­vor, fokus wegen ihrer Einstellung als einen schlechten Menschen zu begrei­fen, da sie - wie wir alle - auf Gedeih und Verderb in den Interdiskurs, in den Austausch und die Verbreitung von Ideologemen, Meinun­gen, Hand­lungs­anweisungen etc. eingespannt ist.

Dennoch würde es an grobe Fahrlässigkeit grenzen, sie nicht  beim Wort zu nehmen...!

 

2.      fokus: Neu-Orientierung zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Einwanderer-Integration

fokus, eine 23jährige Duisburger Studentin der Anglistik und Roma­nistik, hat sich selbst in eine Art weltanschaulichen Dilemmas hinein­manövriert: Wie sie selbst bereits zu Anfang unseres knapp 35minü­ti­gen Interviews be­tont, hat sie vor ihrem Umzug in einen Duisburger Stadtteil mit sehr hohem Einwanderer-Anteil recht große Erwartun­gen an das Zusammenle­ben von Menschen unterschiedli­cher kultureller Sozialisation innerhalb eines städ­ti­schen Lebensraumes geknüpft:

Ich dachte eigentlich, (...) daß hier alles n bißchen lockerer abgeht, weil eben Deutsche/Ausländer nebenander, und (...) daß die Leute hier alles ein biß­chen lockerer sehen. (12/113-116)

Und an anderer Stelle sagt sie:

Ich habs mir eben auch so vorgestellt, daß sich das ein bißchen ver­mischt hat oder gegenseitig durchdrungen hat (...) (12/163-166).

Ihre „persönlichen, »multikulturellen« Erfahrungen im Stadtteil straften ihre Hoffnungen und Erwartungen allerdings Lügen - so muß sie im Inter­view eingestehen: „(...) aber das ist gar nicht so.“ (12/166) Die Le­bensbe­rei­che der Kulturen seien „(...) ganz strikt getrennt.“ (12/166-167) Die Enttäu­schung darüber ist in ihren Ausführungen nicht zu überhören.

Die von fokus erlebte Diskrepanz zwischen (subjektivem) Anspruch und (objektiver) Wirklichkeit der Einwanderer-Integration führt zu einer nega­tiven Beurteilung des Stadtteils. In diesem Sinne diskreditiert fokus ihren Stadtteil denn auch als „Ghetto“ (vgl. 12/8 u. 12/32) und stellt sich als »Opfer« der mißlungenen Integration der Einwanderer dar, ohne aber die ei­gentlichen Gründe für dieses »problematische« multikulturelle Zusam­men­leben kritisch zu reflektieren. Zwar sieht sie einerseits die (durch den In­ter­diskurs transportierten) falschen bzw. naiven Vorstellungen der Öf­fent­lich­keit  über die vermeintlichen »Vorzüge« einer multikulturellen Ge­sell­schaft (vgl. 12/8-11 u. 12/27-29), reproduziert diese sogar, wie anhand ihrer eige­nen Aussagen über ihre allzu positiven Erwartungen ersicht­lich.[57] Ande­rer­seits hinterfragt sie jedoch keineswegs ihre durch den In­terdiskurs ge­spei­sten und ebenso falschen Vorstellungen, die ja letztlich für den Ein­druck des persönlich erlittenen Defizites in puncto »Lebensqualität«  ver­antwort­lich sind. So betrachtet, »drückt« sich fokus  also vor dem Einge­ständnis, sich das »Problem« im Grunde genommen selber eingebrockt zu haben, da sie zu sehr auf die öffentliche Meinung gebaut hat.

Wie dem auch sei: Diese Diskrepanz zwischen »Schein und Sein« multikul­turellen Zu­sam­menlebens instrumentalisiert fokus zum Zwecke ihrer Ar­gumentation, in­dem sie die Kultur der Einwanderer als Störquelle inner­halb der als har­monisch erhofften Gemeinschaft »entdeckt«:

(...) datt is halt ne völlich andere Lebensform, en anderer Le­bensrhythmus, den die so habn. (12/23-24)

Auf diese Weise deutet fokus die von ihr angesprochene Lärmbelästi­gung durch ihre türkischen Nachbarn (vgl. 12/19ff.). Wie sich hier schon an­deu­tet, wird somit eine kulturelle Andersartigkeit (»Lebensrhythmus« als kul­turelles Attribut) konstruiert, die somit als vermeintliche Ursache der »Pro­ble­me« multikulturellen Zusammenle­bens herhalten muß. Die Beein­träch­tigung der persönlichen Le­bensqualität fungiert bei fokus sozusagen als Kriterium der Beurtei­lung: Zwar weichen auch manche der deutschen Stadtteil-Bewohner von fokus´ subjektiv empfundener Verhaltensnorm ab[58], indem einige ihrer Nachbarn beispielsweise „(...) hinter der Gardine ste­hen und spä­hen (...)“ (12/139-140), sich also über Gebühr in das Leben der Mit­be­wohner einmischen, doch sind es vornehmlich die Einwanderer, die durch diverse Belästigungen auffallen. Die zahlreichen negativen Aus­sagen über Einwanderer sind demgemäß größtenteils eine »Folge« von fo­kus´ ego­zentri­scher Perspektive.

Es kommt bei ihr in diesem Augenblick zu einer Neu-Orientierung: Sie muß erkennen, daß viele der im Verlauf ihrer »linken Sozialisation« er­lern­ten Deutungsmuster den konkreten neuen Erfahrungen im Zusammenleben mit Einwanderern nicht gerecht werden. Da sie also in Anbetracht dieser ver­änderten Lebenssituation sozusagen den Boden unter den Füßen zu verlie­ren droht, greift sie auf rassistische Deutungsmuster zurück, um sich ihre »neue Wirklichkeit« im Stadtteil sinnhaft erklären zu können.

Daß dies nicht ohne Widersprüche klappt, zeigt fokus´ innerer Konflikt zwi­schen Verstand und Gefühl (vgl. 12/356-373). Allerdings fällt auch dieses »zähe Ringen« für oder wider die in ihr auf­kei­mende rassistische Einstel­lung nicht zu Gunsten der Einwanderer aus. Konstitutiv für fokus´ Entwick­lung ist, daß die neue und verwir­rende Si­tuation nach dem Umzug sie sehr unvorbereitet (da unver­hofft) in einen Entscheidungszwang versetzt hat.

 

3.      Charakterisierung der Einwanderer: ein kulturelles Einerlei mit Folgen

Drei Hauptaspekte sind charakteristisch in fokus´ Ausführungen zum The­ma »Einwanderer«.

Zum einen lenkt sie selbst das Gespräch auf den von mir oh­ne­hin ange­strebten Gegenstand, indem sie gleich zu Beginn die »Integrations­pro­ble­ma­tik« und ihre persönlichen Schwierigkeiten mit den Einwanderern anspricht (vgl. 12/5-15). Also ein Thema, welches ihr auf­grund ihrer veränderten Wohnsituation ganz besonders unter den Nägeln brennt. fokus entpuppt sich somit als Stichwortgeberin und webt den roten Faden selbständig in das von uns arbeitsteilig produ­zierte Diskursfrag­ment. Hierbei mag die Tat­sache, daß fokus mich zum Zeitpunkt des Ge­sprächs bereits ein knappes Jahr flüchtig kannte, ein entscheidender Fak­tor für ihre Offenheit gewesen sein, zumal es mir so auch möglich war, das Ge­spräch, welches zudem in ih­rer Pri­vatwohnung stattfand, relativ locker und unverfänglich zu gestalten.

Zum zweiten scheint fokus Einwanderer global mit Türken gleich­zusetzen. Das ist zwar naheliegend und nachvollziehbar, wenn man be­denkt, daß sie tatsächlich in einem hauptsächlich von Türken bewohn­ten Stadtteil lebt. Andererseits führt diese Gleichsetzung jedoch auch zu Fehlurteilen oder Mißdeutugen hinsichtlich anderer Einwanderer-Gruppen.

Von den drei Passagen, die mich zu der obigen Vermutung drängen, möchte ich an dieser Stelle die wohl deutlichste zitieren:

(...) die Jungen ham die Vormachstellung in den Familien, die aus­ländi­schen oft in den türkischen Familien (...) (12/722-724)

Auf dieses »Phänomen« haben auch schon Annita Kalpaka und Nora Räth­zel auf­merk­sam gemacht. Sie meinen, daß bei der Charakterisierung von Ein­wan­derern körperliche Merkmale der Andersartigkeit an die Vor­stellung ebenso anderer Verhaltensweisen geknüpft werden und „(...) daß der Begriff »Ausländer« längst einen Bedeutungswandel durchge­macht hat. Er bezieht sich nicht mehr auf alle, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, sondern wird offenbar mit TürkInnen gleichgesetzt.“ (Kalpaka/Räthzel 1990, S.16)

So liegt auch bei fokus die Vermutung nahe, daß sie nicht sonderlich zwi­schen verschiedensten ethnischen Minderheiten differen­ziert. Vielmehr hef­tet sie diesen das allumfassende, globale und nicht zu­letzt verfälschende Etikett einer gemeinsamen kulturellen Identität (vgl. 12/354) an. Hierbei greift fokus auf die Vorstellung ihrer eigenen deut­schen Identität zurück, um über einen Maßstab und somit ein Hauptunterschei­dungsmerkmal zur Fixierung des Anderen zu verfü­gen. Wie sich noch zei­gen wird, spielt dabei die Wahrnehmung phäno­typischer Merkmale der Andersartigkeit der Ein­wanderer eine ent­scheidende Rolle. So ge­lingt es ihr, eine Trennlinie zwi­schen den imaginierten Kulturen ziehen zu können. Die folgende Aussage be­kräftigt  diese Vermu­tung:

(...) aber wenn man mitten drin wohnt, wird alles doch n bißchen schwerer, weil dann muß man sich selber mit (...) diesen Werten ei­ner anderen Kultur auseinandersetzen (...) (12/11-14)

Während sie im selben Satz zuvor noch halbwegs differenziert von der „(...) Integration der Ausländer und sonstiger Übersiedler (...)“ (12/10-11) spricht, wird diesen daraufhin eine vermeintlich einheitliche Kul­tur über­gestülpt. Eine derartig grobe Verallgemeinerung kann eigent­lich nur zu Fehldeutun­gen führen, da die interkulturellen Differenzen zwischen den verschiedenen Einwanderer-Gruppen vollkommen nivelliert werden: „Das Wiedererkennen der Kulturen der EinwanderIn­nen als Kulturen ihrer Herkunftsländer ist ein Verkennen: Das Er­gebnis eines Prozesses wird als ein kulturelles Merkmal definiert, das der Herkunftskultur entspringt und dient dann als Erklärung für be­stimmte Verhaltensweisen von Einwande­rInnen.“ (Kalpa­ka/Räthzel 1990, S.49-50) Zudem werde außer acht gelas­sen, daß Elemente der kulturellen Tradition im Zuge der Migration mehr oder min­der de­for­miert werden. Genau das ist der Fall, wenn fokus ihre Schwierig­kei­ten mit den nicht in die deutsche Gesellschaft assimilierten Türken dar­auf zurück­führt, daß:

(...) se halt so leben, wie sie zu Hause auch leben: laut, öh, nach draußen ori­en­tiert, * em, viele Kinder und Feste (...) (12/391-393)

Obgleich sie an dieser Stelle explizit von Türken spricht, sieht es summa summarum dennoch so aus, als würde sie alle in ihrem Stadtteil leben­den Einwanderer über eine Art »türkischen Kamm« scheren (s.o.).

Drittens fällt bei fokus die nahezu durchgängige negative Charakteri­sie­rung der Einwanderer auf. Während sie sich selbst als Opfer der mißlun­ge­nen Integration präsentiert, indem sie die Verschlechterung ihrer per­sönli­chen Lebenssituation thematisiert, wird alles »Fremde« und »Andersartige« überwiegend negativ dargestellt und darüber hin­aus ver­antwortlich für ihre persönliche »Misere« gemacht. Ihre über den gesamten Gesprächsverlauf verstreuten Anschuldigungen bieten einen regelrechten Querschnitt durch das gesamte Spektrum der ste­reotypen Vorurteile: Lärmbelästigung (vgl. 12/19-20, 12/361, 12/392), Müll auf den Straßen (vgl. 12/82-87), Kriminalität (vgl. 12/32, 12/728-730), sexuelle Belästi­gungen (vgl. 12/271-273, 12/296-306), patriarchalische Familien­strukturen (vgl. 12/722-723) und zuneh­mende Probleme im Falle weiterer Einwanderungen (vgl. 12/735-736) - all dies ist, so könnte man sagen, ih­rer Meinung nach »miteingewandert«.

Zwar scheint sich fokus sehr wohl darüber im klaren zu sein, daß sie letz­tendlich nur die ganze Litanei »ausländerfeindlicher« Vorurteile hinunter­be­tet - „(...) ich mein, das ist ein gängiges Vorurteil, aber (...)“ (12/265-266) -, aber dies hält sie keineswegs davon ab, diese landläufigen Ste­reotype trotz­dem zu reproduzieren - und mehr noch: diese sogar auf der Grundlage per­sönlicher Erfahrungen zu verifizie­ren. Ich werde im folgenden aber nicht in erster Linie das Was  ihrer Aus­sagen hinterfragen, denn Lärm, Müll etc. be­lästigen in der Tat, sondern insbesondere das Wie ihres Zustan­dekom­mens durchleuchten. Es sei an dieser Stelle lediglich darauf hingewiesen, daß fo­kus dabei nicht ohne mei­nes Erachtens unzulässige Verallgemeine­rungen auskommt, gleich­zeitig allerdings darum bemüht ist, ihre vermeint­lich här­testen Aussagen nur allzu rasch wie­der zu entschärfen (dazu später mehr).

Aber auch die deutschen Bewohner des Stadtteils kommen bei fokus nicht unge­schoren davon:

(...) ich glaub schon, daß Deutsche sich durchaus auch ändern soll­ten. Be­zie­hungsweise, daß es schön wäre, wenn Deutsche auch nicht so stur, engstirnig wärn. (12/406-407)

Dies ändert hingegen nichts an der Tatsache, daß die Einwanderer ver­gleichsweise überproportional oft als Sündenböcke abgestempelt werden, was sich ja zudem in der semantischen Struktur der oben zi­tierten Aus­sage widerspiegelt: Die zweifache Verwendung des Abtö­nungspartikels »auch« verweist schließlich darauf, daß sich zualler­erst die Einwanderer zu ändern hätten, da diese - unter anderem - die­selben schlechten Eigen­schaften wie die Deutschen haben. Eine derar­tige Aussage über Deutsche impliziert also ebenfalls eine negative Beur­teilung der Einwanderer, was im umgekehrten Falle nicht die Regel ist.

Demgegenüber macht fokus nur sehr wenige positive Aussagen über Ein­wanderer, und diese unter  dem Strich auch nur in Verbindung mit ih­ren po­sitiven Erwartungen vor dem Umzug.

Eindeutig positiv hingegen schildert fokus die in die deutsche Gesell­schaft assimilierten, also kulturell »verdeutschten« Einwanderer :

(...) Türken, die sich, öh, eh *  assimiliert haben in die deutsche Gesellschaft, die sind halt - gehn auch um zehn Uhr oder elf Uhr schlafen (...), leben halt mehr in Kleinfamilien... (...) Kann man besser mit umgehen, ent­spricht dem eigenen Kulturkreis mehr, ne? (12/395-400)

Obwohl sie eingangs noch von Integration spricht, scheint sie darunter je­doch zuvorderst eine freiwillige Assimilation bzw. Anpassung der Einwan­derer zu verstehen. Damit ist die Imagination einer deutschen Überlegen­heit verbunden - mit einem Wort: Eurozentrismus. Vor diesem Hinter­grund hat das Ganze den Charakter einer impli­ziten Auffor­derung zur As­simila­tion, wobei hier die nochmalige Ver­wendung des Ab­tönungspartikels »auch« eindeutig fokus »deutsche Präferenz« unter­streicht - das »Deutsche« (was immer das auch sein mag) hat bei ihr einen geradezu normativen Stel­len­wert. Zudem drückt sie ihrer Stellungnahme das selbstbestätigende und suggestive Gesprächswort »ne« wie die Faust auf´s Auge. Als ich aller­dings diesbezüglich ein wenig konsterniert nachhake,  ob sie damit meine, daß tatsächlich eine Anpassung der Einwanderer an die deutschen Lebens­ver­hältnisse stattzufinden habe (vgl. 12/402-403), streitet sie dies ve­hement ab:

Hab ich nich gesacht, hab ich kein bißchen gesacht! (12/404)

Ein offensichtlicher Widerspruch, der sich vermutlich damit erklären läßt, daß sich fokus gewissermaßen von mir »ertappt« wähnt bzw. ihre vorange­gangene Aussage zu »entschärfen« versucht.

Ebenfalls wohlwollend beurteilt fokus das erweiterte Lebensmittelan­gebot durch die Geschäfte der Einwanderer in ihrem Stadtteil - aller­dings wohl hauptsächlich deswegen, weil dies einen positiven Einfluß auf ihren per­sönlichen Lebensstil zu haben scheint:

Weil man da Sachen kricht, die man sonst nicht kricht. (12/181-182)

Aber auch dies schränkt sie sofort wieder ein:

Hmm, ja, aber is auch wieder komisch, weil man da meistens doch als ein­zige Deutsche drin is. (12/184-185)

In manchen dieser Geschäfte hat sie den Eindruck, in eine »geschlossene Gesellschaft« (vgl. 12/212) einzudringen, und sie unterstellt den Einwan­derern, diese gewissermaßen als Hoheitsgebiet für sich zu beanspruchen. Um die­sen persönlichen Eindruck zu untermauern, legt fokus den Einwan­derern folgende Aussage in den Mund:

»Was will die denn hier?« Das ist doch wenigstens hier unsere Domäne.  (12/187-188)

Ein Paradebeispiel dafür, wie eine anfangs positiv wirkende Aussage in kürzester Zeit ins Gegenteil umgedreht wird bzw. gegen die Einwanderer verwendet wird. Auch hier wird - im Kontext des ganzen Gesprächs gese­hen -  eine Art »Assimilationsunwille« jener Einwanderer suggeriert, die das »Deutsche« ablehnen.

Halten wir folgendes fest: fokus scheint Einwanderer mit Türken gleich­zusetzen, was es ihr ermöglicht, global verallgemeinernd von ei­ner ande­ren Kultur zu sprechen, diese also gemäß eines nicht minder spekulativen »deutschen Standards« aus- und abzugrenzen. Diese »andere Kultur« deu­tet fokus vornehmlich als Störquelle für ihre eigene Lebensqualität, wobei ihre egozentrisch motivierte Deutung der »Problematik« den Blick haupt­sächlich auf die vermeintliche Anders­artigkeit der Einwanderer in kul­turellen Be­langen lenkt. Insofern ließe sich auch sagen, daß fokus diese »Anders­artig­keit« im Sinne ihrer weite­ren Argumentation dahingehend in­strumentali­siert, diese auf den Rang eines Bedeutungsträgers zu erheben, um sich so­mit ihre »ärgerliche« neue Lebenssituation erklären zu können.

So gesehen, sind die vielen negativen Aussagen über Einwanderer letzt­lich eine Konsequenz ihrer auf Verallgemeinerung persönlicher Erfah­rung be­ruhenden egozentrischen Sichtweise. Ihre Art der Konfliktdeu­tung trägt euro­zentristische und mithin auch rassisti­sche Züge und führt zu einer auf kulturellen Merkmalen beruhenden »Rassenkonstruktion«, welche jedoch nicht völlig frei ist von genetischen oder biologischen Voraussetzungen.[59]

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Charakterisierung der Ein­wan­derer bei fokus einhergeht mit einer Art »Personifizierung« der von ihr sub­jektiv empfundenen Probleme im Zusammenleben von Menschen aus unter­schiedlichen Kulturen. Daß es derartige Pro­bleme tatsächlich gibt, sei hier nicht unterschlagen. Es kommt halt nur darauf an, wie man diese hinterher deutet und welche Konsequenzen sich daraus für die Ein­wanderer ergeben.

 

4.      Argumentationsstrategien und rhetorische Schach­züge
- Ego­zen­trismus als Schlüssel zur Konfliktdeutung

Nun darf man fokus aber keineswegs als plumpe Sprücheklopferin ab­stem­peln, die sich nach Belieben ihre Welt zurechtrückt. Ganz im Ge­gen­teil!  Vielmehr ist meine Gesprächspartnerin eine überaus ge­schickte Rhetorin, die nahezu nichts wirklich unüberlegt aussagt. So war ich unmittelbar nach dem Gespräch doch eher überrascht, daß fokus trotz all dieser negativ ge­schilderten Erfahrungen mit Einwanderern anscheinend doch sehr diffe­ren­ziert mit diesem sensi­blen Thema umgeht. Anscheinend, wohl­gemerkt! Wie sich nämlich gezeigt hat, sind ihre Aussagen - den Zu­sammenhang des Ge­samttextes berück­sichtigend - eingebettet in eine fili­grane Argumentations­struktur, die die Dis­kreditierung der Einwande­rer überhaupt erst ermög­licht, indem eben der Anschein von Fairneß, Objektivität, Unschlüssig­keit[60] und innerem Kon­flikt erweckt wird. Über all dem schwebt die fort­währende Betonung der persönlichen Er­fahrung, die als solche kaum zu be­zweifeln ist und es fokus daher leicht macht, so viele negative Urteile über Einwan­derer fällen zu kön­nen.

Interessant ist auch, daß - und wie - sich fokus gleich zu Beginn des Inter­views den Weg für ihre folgende Argumentation »freischaufelt«. Sie stellt sich unmißverständlich als Opfer der mißlun­genen Integration der Einwan­derer in den Mittelpunkt der Erörterung. Sie ist mit ihrer Wohn- und Le­benssituation nach dem Umzug nicht mehr zufrieden (vgl. 12/3) und führt das auf die kulturellen Konflikte in ihrem Stadtteil zu­rück:

(...) öh, hm, weiß nicht: wenn man abseits vom Ghetto wohnt, dann * kann man - kann man ziemlich leicht reden von Integration der Aus­länder und son­stiger Übersiedler und so weiter, aber wenn man drin wohnt, wird alles doch ein bißchen schwerer, weil dann muß man sich selber mit so * - mit die­sen Werten einer anderen Kultur ausein­andersetzen, weil man da täglich mit zu tun hat. (12/8-15)

Eine ausgefuchste Eröffnung! Nach dem eher lust- und ratlos anmu­tenden Beginn formuliert fokus ruckzuck ihre Kerngedanken. Der rednerische Auf­bau (allgemeines Geplänkel, Pause, Zögern, scheinbare Unschlüssig­keit, er­ster Ansatz, Wiederholung - und dann plötzliches Zuschlagen) erin­nert ein wenig an die taktische Spielanlage einer Fuß­ballmannschaft, die aus einer sicheren Deckung heraus - mittels einlul­lender Spielweise und plötzlicher Explosivität - für gewöhnlich die ent­scheidenden Tore erzielt. Zwar verwen­det sie hier das verallgemei­nernde Indefinitpronomen »man«, spricht je­doch augenscheinlich aus eigener Erfahrung, die sie aber somit auf die All­ge­meinheit übertragen kann. So gesehen, spricht sie also für die Allgemein­heit bzw. läßt diese für sich sprechen - einer von vielen Hinwei­sen darauf, daß fokus, ebenso wie alle Individuen einer gemeinsamen Kul­tur, in den ent­­sprechenden Interdis­kurs »verstrickt« ist.[61]

Des weiteren - und darauf kommt es an - übermit­telt fokus aber auch eine persönliche Botschaft, die in etwa so lautet: Die Leute, die nicht hier in mei­nem Stadtteil leben, sollen doch bitteschön aufhören, irgendwelchen blauäu­gigen Kram über Einwanderer-Inte­gration zu verbreiten... Hört mir einmal zu, denn ich weiß wirklich was zu berichten!

fokus verschafft sich also ein Rederecht, was auf der ständigen Beto­nung der persönlichen Erfahrung beruht. Sie tastet sich dadurch von Anfang an gewissermaßen auf subtile Art und Weise in mein Bewußt­sein hinein, was ja auch erklärt, daß ich bei der Analyse des Interviews um so überrumpel­ter war, als ich bemerken mußte, daß ihre Aussagen nicht so »harmlos« sind, wie es zunächst den Anschein hatte. Aus einer egozentri­schen Per­spektive heraus - ohne jedoch ihre »falschen« Vorstellungen und ihren per­sönlichen »Irrtum« gebührend zu reflektie­ren - ist es ihr möglich, die andere Kultur der Einwanderer zu beurtei­len und kategorisch abzu­lehnen.[62]

Sie verallgemeinert einerseits, wechselt anderseits jedoch nur sehr sel­ten die Perspektive, um einen Sachverhalt mit den Augen Anderer un­ter die Lupe zu nehmen. Und tut sie dies dann doch einmal, so kommt es vor, daß sie die öffentliche Meinung zu Wort kommen läßt, um bei­spielsweise ihren Stadtteil und vor allem die dort lebenden Einwanderer negativ darzustel­len. Dazu ein Beispiel:

Ich mein, (Stadtteil) hat n schlechten Ruf, wahrschein­lich, weil eben - ja klar, weil viele Ausländer hier wohnen * und weil das als kriminel­les Ghetto ange­sehen wird (...) (12/30-33)

Daß sie jedoch diesem öffentlichen Vorurteil zustimmt und die­ses nur eine feine Nuance innerhalb ihres rassistisch unterfütterten aus­länder­feindli­chen Argumentationstranges ist, dies untermauert ihr Verweis auf die »krimi­nellen Neigungen« der Einwanderer-Kinder kurz vor Ende un­seres Gesprächs (vgl. 12/728-731) - also zu einem Zeitpunkt, da sie schon eine Vielzahl an Prämissen eingebracht hat, sich also »freier« über das Thema auslassen kann und nicht Gefahr läuft, von mir aufgrund ihrer Ein­stellung kritisiert zu werden.

Ergo basieren fast alle der von fokus gemachten Äußerungen und Ur­teile über Einwanderer auf ihren eigenen und mithin verallgemeiner­ten, unre­flektierten Erfahrungen - genau diese sind die Prämissen ih­rer Argumen­ta­tion. Sie bedient sich dabei mehrerer argumentativer Strategien, die zum einen ein Zeugnis ihres rhetorischen Geschicks sind und zum anderen ver­deutlichen, mit welcher Selbstverständlichkeit fokus das Verhalten der Einwanderer beurteilen kann - zumal ja auch keinerlei Zweifel darüber be­stehen dürfte, daß sich fokus ihrer »Sache« sozusagen sicher ist. Wenn sich fokus also ablehnend zur Einwande­rer-Integration äußert, so ist dies eine unmittelbare Ausprägung be­stimmter Bewußtseinsinhalte, deren Zu­stan­dekommen letztlich auf - sagen wir: unzulässiger Weiterverarbeitung sozi­aler Erfahrung be­ruht.

Andererseits ist bei der Bewertung ihres »Denkens« jedoch größte Vorsicht geboten. Da sie als »Kind dieser Zeit« in den In­terdis­kurs eingebunden ist, kann man sie nicht alleine für ihre Ansichten verantwortlich machen, denn diese sind nun einmal größtenteils gesellschaftlich vermittelt.

Die prägnantesten der von fokus benutzten argumentativen Strategien werde ich an dieser Stelle exemplarisch auflisten.

 

Verallgemeinerung durch das Indefinitpronomen »man«

(...) wenn man abseits vom Ghetto wohnt, dann (...) kann man ziem­lich leicht reden von Integration (...) (12/8-10)

Diese Verallgemeinerung richtet sich gegen alle diejenigen, die Integration fordern, aber die Probleme, die sie erfahren hat, nicht kennen. Dabei richtet sich diese Aussage generell gegen Integration.

 

Allgemeingültigkeit durch das Präsens

* Ja, watt man so sieht, ne?! Daß irgendwie Kinder, kleine Kinder, Zeitun­gen durch die Gegend schmeißen und * meistens ausländische Kinder (...) (12/82-84)

Der durch die Verwendung des indefiniten Pronomens »man« ohne­hin er­zielte Effekt wird durch das Präsens noch verstärkt - mittels der (selbst-) bestätigenden Interjektion »ne« wird der Sack zugebunden. Insgesamt eine Strategie, derer sich fokus recht häufig bedient: Die meisten ihrer Aussagen macht sie ohnedies im Präsens - ihre Schilde­rung des Zusam­menlebens mit Einwanderern ist dadurch in einen all­gemeingültigen Man­tel gehüllt und ruft zudem den Eindruck von Ak­tualität hervor.

 

Verabsolutierung der Aussagen

(...) die Ausländer hier leben (...) in Großfamilien, und die ganze Straße hier, das sind - die gehören alle einer Familie an irgendwie, (...) weil die immer von Haus zu Haus ziehen (...) (12/143-146)

Das Indefinitpronomen »alle«, das indefinite Zahladjektiv »ganz« und das Temporaladverb »immer« hieven das von fokus beobachtete Ver­halten der Einwanderer auf eine grundlegende Ebene.

 

Relativierung der Aussagen

(...) wodurch man wieder schlußfolgern könnte: Ausländer sind dreckich. Was ich da aber nich so tun möchte in den Maße! (12/84-87)

Zur Entschärfung ihrer Aussage distanziert sich fokus flugs von die­sem all­gemeinen Urteil, das sie somit einerseits zwar reproduziert, an­derer­seits jedoch auch relativiert. Würde es allerdings ihre eigene Mei­nung überhaupt nicht wiedergeben, so hätte sie sich diese Bemerkung gewis­sermaßen direkt sparen können. Insgesamt eine ebenfalls sehr prägnante Vorgehensweise von fokus, die sich insbesondere in Zusammen­hang mit der von ihr implizit geforderten Assimilation der Einwande­rer niederschlägt (vgl. 12/391-409).

 

»Ja-aber«-Strategie

Und irgendwie * neigen diese Kinder oft zu Bandenbildung oder so, bewe­gen sich ab und zu schon in so ner semi-kriminellen Welt schon, im zarten Alter... Tun Deutsche auch, aber (...) nach dem, was mein Vater (sagt) (...) is das eben bei Ausländern häufiger (...) (12/728-733)

Grob gesagt, funktioniert eine solche „Ja-aber“-Schleife durch Gegen­über­stellung eines positiven (hier: nicht allzu negativen) Aspekts und eines ne­gativen (hier: weitaus negativeren) Aspekts eines gemeinsa­men Gegen­stands. Dabei wird die negative Seite der Medaille nach­drücklich in den Vordergrund der Erörterung gerückt bzw. durch die grammatische Struk­tur der Schleife stärker betont. Bezeichnender­weise ist auch die Gesamt­heit von fokus Aussagen geprägt von einer Art omnipräsenten „Ja-aber“-Schleife, indem sie ihre positiven Erwar­tungen bezüglich der Einwande­rer-Integra­tion durch ihre negativen Erfahrungen »auskontert«.

Auch das Berufen auf Autoritäten („mein Vater“) stellt eine Argumentati­onsstrategie dar, durch die der eigenen Aussage mehr Gewicht verliehen werden soll.

 

Rollentausch als Mittel des Distanzgewinns

Ich fühl mich hier manchmal wie, wie ne alte Spießerin, die sich über spie­lende Kinder aufregt und (...) Ausländer mit asozialem Pack gleichsetzt. (12/356-359)

Hier läßt fokus die »Vorstellung« einer deutschen Spießerin (vgl. 12/364) stellvertretend für sich sprechen. Sie schlüpft also in eine ne­gativ besetzte Rolle, um - und das ist das wesentliche - eine vergleichs­weise negativere Aus­sage über Einwanderer machen zu können. Zwar gewinnt sie auf diese Weise eine gewisse Distanz zu der Aussage, was allerdings nichts am Ge­halt derselben ändert: Die Betonung liegt in je­dem Fall auf der unterstell­ten »Asozialität« der Einwanderer.

 

Interjektionen und Pausen

** Hh,* oh, datt * ja, egal, welcher Nationalität! Im Prinzip schon, nur isses hier in (Stadtteil) öfter, daß Ausländer ** (12/308-310)

Hier beantwortet sie meine Frage, ob die sexuellen Belästigungen, über die wir zuvor schon kurz gesprochen haben (vgl. 12/50-58), auf Män­ner ver­schiedener Nationalitäten zurückzuführen seien, indem sie mittels Pausen und Interjektionen den Eindruck von Unschlüssigkeit erweckt, obwohl sie sich ihrer Meinung darüber auch hier ziemlich im klaren zu sein scheint. Ihr Zögern mag aber auch in engem Zusam­menhang mit der Tatsache ste­hen, daß sie zuvor verneint hat, in ihrem Stadtteil überhaupt schon einmal sexuell belästigt worden zu sein (s.o.), sich also in Widersprüchlichkeiten verstrickt sieht.

Alle diese Strategien erleichtern es fokus, möglichst »sattelfeste« Aussa­gen über Einwanderer machen zu können ohne allzu offen ihre nega­tive Ein­stel­lung eingestehen zu müssen. Ihre eigene Meinung verbirgt sie in vielen die­ser unscheinbaren Nischen, die die Sprache für »Redekünstler« bereit­hält. Aus dieser sicheren Deckung heraus gelingt es ihr sogar, ein gewisses Maß an Loyalität den Einwanderern gegen­über vorzutäuschen. Jedoch än­dert dies am negativen Kern ihrer Aus­sagen aber nur wenig. Von Verständ­nis kann bei fokus also kaum die Rede sein, zumal die dominierende Ne­gativ-Charakterisierung der Einwanderer - allem rhetorischen Geschick zum Trotz - ein deutliches Zeugnis ihrer tatsächlichen Einstellung ist. Wie schon gesagt: fokus ist in erster Linie ihre eigene Advokatin - eine Form der Selbstgerechtig­keit, die sich aus der egozentrischen Beurteilung der multi­kulturellen Belange in ihrem Stadtteil ergibt.

Darüber hinaus ist es gerade die von ihr zur Schau getragene Loyalität, die es ihr erst recht ermöglicht, ihre Rolle als Opfer der mißlungenen Inte­gra­tion um so glaubwürdiger inszenieren zu können. Um mir ein wenig Po­le­mik zu erlauben: Was kann denn fokus schließlich dafür, wenn die Kul­tur der Einwanderer tatsächlich defizitär zu sein scheint und tatsächlich das Zu­sammenleben der Menschen stört...??? Sie ist mit den »besten Ab­sichten« in den Stadtteil gezogen und sieht sich nun mit Problemen kon­frontiert, die sie nicht herbeigeführt zu haben meint...

Insofern ließe sich in fokus Fall auch von positiver Selbstdarstellung »zwischen den Fronten« sprechen. Zwar spiegeln sich in ihrer ziemlich naiven Vorstellung über die Integration der Einwanderer wiederum ent­scheidende Rudimente des betreffenden, ebenso naiv geführten öffentlichen Diskurses wider, aber nichtsdestotrotz  gelingt es fokus durch die Art und Weise ihrer Selbstdarstellung als Unschuldslamm, sich vollends aus der Verantwortung an ihrer jetzigen Lebenssituation ziehen zu können.

 

5.      Deutsche Identität: fokus zwischen Ratio und Emo­tion der Auslän­der­feindlichkeit

Ganz augenscheinlich bereitet es fokus erhebliche Schwierigkeiten, sich als deutsch zu identifizieren.

(...) ich bin immer froh, wenn ich im Ausland bin, nicht sagen zu müssen, daß ich Deutsche bin. Also bin ich nicht unbedingt stolz drauf. (12/336-339)

Eine nur allzu typische Reaktion auf den in Deutschland wiedererst­arkten Nationalismus, welcher fragwürdige Werte wie zum Beispiel den Stolz, deutsch zu sein, in den Alltagsdiskurs einspeist.

Nach ihrer deutschen Identität im Stadtteil befragt, antwortet fokus je­doch:

Ja, natürlich fühl ich mich mehr deutsch! (...) Ich fühl mich hier manchmal wie, wie ne alte Spießerin, die (...) Ausländer mit asozia­lem Pack gleichsetzt. Wo mir - also der Verstand sagt mir, das ist Scheiße, wie du jezz denkst, aber das Gefühl regt sich einfach auf, wenns den ganzen Tag über mir lärmt. (12/354-361)

Und kurz darauf, nachdem ich sie gefragt habe, ob dies einen Einfluß auf ihr Verhalten den Einwanderern gegenüber hätte:

Ich wills nicht hoffen! Ich wills wirklich nicht hoffen, weil vom Ver­stand her seh ich schon, daß das einfach nur ne Emotion ist, die da hochkommt. Und zwar ne ganz gefährliche, und ich hätt auch nicht gedacht, daß sowas mög­lich ist (lacht beschämt), aber es is eben mög­lich. (12/368-373)

Neben der „Ja-aber“-Strategie fällt hier vor allem auf, daß erst der hohe Einwanderer-Anteil in ihrem Stadtteil fokus die deutsche Identifikation er­möglicht. Diese ist jedoch eindeutig negativ konnotiert (wer versteht sich schon gern als spießig...?!), wobei auch auf diesem Wege den Einwan­derern die Schuld zugespielt wird, indem diese unterschwellig dafür ver­antwortlich ge­macht werden, daß fokus in eine solch üble Rolle als Spießerin hineinge­drängt wird. Eine geradezu klassische Variante der Täter/Opfer-Verkeh­rung...

Doch nichts kommt von ungefähr: fokus kann nämlich somit unter Beru­fung auf ihre Emotionen den nicht-assimi­lierten Einwanderern (vgl. 12/394) Asozialität attestieren, wodurch diese symbolisch aus der deut­schen Gesell­schaft ausgeschlossen wer­den. Stuart Hall hat auf diese Spaltung der Welt in ihre binären Gegensätze hingewiesen: Er meint, daß „Rassismus eine au­thentische Form der Identitätsgewinnung und des Selbstbewußts­eins“ er­möglichen kann (Hall 1989, S. 919).

In diesem Sinne legitimiert fokus ihren »Haß« auf die Einwanderer un­ter Rückgriff auf rassistische Deutungsmuster, verschafft sich dabei aber Rük­kendeckung, indem sie ein zähes Ringen zwischen Verstand und Emo­tion inszeniert. Zwar entschärft fokus mehrmalige Reflexion der Aussage die ei­gene Position, doch ändert auch dies nichts an deren gehaltvollem Kern. Hier ist deutlich nachvollziehbar, wie bei fokus Rassismus als Folge einer Auseinandersetzung auf mehreren Ebenen entsteht: eine Art Ver­mittlungs­versuch zwischen Vorurteilen, Erfah­rungen, Verstand und Emo­tion, der darauf hinausläuft, rassistische Denkweisen auf der Basis per­sönlicher Er­fahrung zu rechtfertigen. Obgleich sich fokus alles andere als wohl in ihrer »deutschen Haut« zu fühlen scheint, hält sie dies nicht davon ab, »typisch deutsch« zu argu­mentieren...

 

6.      Innen und außen: die symbolische Ausschließung der Ein­wanderer

fokus gelingt es mittels Kollektiv­sym­bolik[63] bzw. einer damit verbundenen Innen/außen-Topik[64], ein System symbolischer Ausschließung zu ent­wik­keln, welches insbeson­dere den nicht-assimilierten Einwanderern einen Platz außerhalb der imaginierten deutschen Gemeinschaft zuweist. Die fett­gedruckten Passagen sind hierbei Bestandteil des kollektivsymbolischen Systems.

Zentrales Problem ist für fokus die mißglückte „Integration der Aus­län­der“ (12/10), wodurch die Gruppe der Einwanderer bereits als eine Art Fremd­körper innerhalb der deutschen Gemeinschaft fixiert wird. Folgt man  ihren Ausführungen, führt dies für die Deutschen (also auch für sie selbst) dazu, daß man sich mit den „Werten einer anderen Kul­tur ausein­andersetzen“ (12/13-14) muß. Hierbei wird auf der Sin­nebene bereits auf einen bis dato nicht näher beschriebenen »kulturellen Konflikt« angespielt, der angesichts der dominanten Negativ-Charak­terisierung insbesondere der nicht-assimi­lierten Einwanderer im Ver­lauf des Interviews allmählich Gestalt annimmt.

Diesen Konflikt deutet fokus nämlich dahingehend, daß in ihrem Stadtteil „verschiedene Kulturkreise aufeinanderprallen“ (12/375-376) - es han­delt sich also gewissermaßen um einen gewaltsamen Konflikt zwischen Deutschen und nicht-assimilierten Einwanderern.

Da sich fokus aufgrund ihrer deutschen Identität (vgl. 12/354-359) dem Ba­sis-System - der deutschen Gesellschaft (vgl. 12/394-395) - zuge­hörig fühlt, kann sie diesen kulturellen Konflikt auf der Ebene ihrer persönli­chen Er­fahrungen im Stadtteil wie folgt charakterisieren:

(...) es is ein Unter­schied, ob du wirklich irgendwo lebst und, eh, drauf­knallst (...) (12/380-382).

Diese Identifikation mit dem Basis-System hebt dabei ihre persönlichen Er­fahrungen auf eine Ebene, die die »Grenzen« ihres per­sönlichen Lebensbe­reiches überwindet: Nicht nur sie, sondern auch die gesamte deutsche Ge­sellschaft wird durch das »abweichende Verhal­ten« nicht-assimilierter Ein­wanderer gestört. Oder anders ausge­drückt: Hinter fokus Konfliktdeutung verbirgt sich die Vorstel­lung, daß die deutsche Gesellschaft eine Art »dynamisches System« (z.B. ein Auto als Zeichen der Fortschrittlichkeit) ist, welches mit dem eher »statischen Sy­stem« der Einwanderer (z.B. ein Eselkarren als Zeichen der Rückständig­keit) kollidiert. Ein »Auffahr-Un­fall«, den die nicht in die deutsche Gesell­schaft assimilierten Einwanderer durch die stören­den Einflüsse ihrer rückständigen Kultur verschuldet ha­ben.

Flankiert wird diese Schuldzuweisung durch fokus´  Hinweis darauf, daß manche Einwanderer „geschlossene Gesellschaft(en)“ (12/212) bilden oder in „Großfamilien“ (vgl. 12/23-24) leben. Durch »Zusammenrottung« und »Abkapselung« formieren sich die Einwande­rer in fokus Augen zu kulturell andersgearteten Bastionen (vgl. „Domänen“, 12/188) und passen den sie umgebenden Lebensraum allmählich an ihre Kultur an. Nicht von ungefähr klassifiziert fokus ihren Stadtteil äußerst negativ als „Ghetto“ (12/8 u. 12/32). Denn somit ist es ihr möglich, ihrem Gefühl Ausdruck zu verleihen, in einer längst »überfremdeten« Gegend zu leben.

So kommt fokus auch zu dem Schluß, „daß (...) nicht unbeschränkt auf­ge­nommen werden kann“ (12/675-676), also die Einwanderung in die Bun­desrepublik begrenzt werden müsse. Die Situation in Deutschland ist ihrer Meinung nach ohnehin längst »problematisch« (vgl. 12/704).

Wie die Gesamtheit der hier untersuchten Kollektivsymbole zeigt, ope­riert fokus auf der Sinnebene mit einer dezidierten Innen/außen-Topik: Die Ein­wanderer - und mithin deren kulturelle Gewohnheiten - kommen ih­rer Meinung nach „aus ner anderen Welt“ (12/722). Und da die Ein­wanderung noch nicht (ausreichend) begrenzt ist, kommt es in Deutsch­land punktuell zu Ghettoisierung und Überfremdung.

Zusammengefaßt: fokus´  System symbolischer Ausschließung der An­deren fußt auf impliziter und expliziter Betonung und Bewertung der kulturellen Andersartigkeit der nicht-assimilierten Einwanderer. Diese Andersartig­keit führt zu Problemen für die Gemeinschaft, da die Nicht-Anpassung an die deutsche Lebensweise diverse Belästigungen nach sich zieht und zu ei­ner »Überfremdung« führt, welche fokus am eigenen Leib im Stadtteil zu erle­ben meint. Aufgrund dieser persönlich »erlittenen« und subjektiv ge­werte­ten Schwierigkeiten ist es ihr mög­lich, die Schuld an den »Problemen« aus­schließlich den nicht-assimilier­ten Einwanderern zuzu­weisen. Zwar sagt sie kurz vor Ende des Inter­views, daß sie nicht unbe­dingt „lieber unter Deut­schen“ (12/701) lebt, relativiert das jedoch im nächsten Atemzug, indem sie diese beiden Aussagen mittels einer verdeck­ten „Ja-aber“-Schleife aneinan­derkop­pelt:

Ich mein, die Probleme sind sowieso schon da, ob jezz noch en paar kommn oder nicht, datt is auch egal... (12/704-706)

Daß sie die Probleme also zuvorderst auf die kulturelle Andersartigkeit der Einwanderer zurückführt und diese rassistisch deutet, zeigt einer­seits, daß fokus  sehr eindimensional argumentiert - die Probleme der Einwande­rer mit den Deutschen finden in ihren Erörterungen näm­lich keinen Platz. Und andererseits impliziert eine derartige Form der Konfliktdeutung eurozen­tri­sche Züge - die Identifikation mit dem ei­genen »Kulturkreis« hat fo­kus für die »eingewanderten« Probleme über­haupt erst sensibilisiert.

Die Bewertung der Probleme, die Bevorzugung des eigenen »Kultur­kreises« und die implizite Assimilationsaufforderung, all das resultiert aus einer eu­rozentrischen und egozentrischen Sichtweise. Denn: In ei­ner Gemein­schaft aus Deutschen und assimilierten Einwanderern - so liest es sich zwi­schen den Zeilen - könnte fokus ein »unproblematisches« Leben führen. Und genau daran ist ihr einiges gelegen.

 

7.      Utopia: fokus träumt von einer besseren Welt

Also, ne Koexistenz, ne geregelte und friedliche, wär schön, aber im Moment siehts nich danach aus. (12/743-745)

Genau so stellt sich fokus die harmonische Gemeinschaft zwischen Men­schen aus verschiedenen Kulturen vor: geregelt. Abgesehen davon, daß der Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben ein hehres Ziel darstellt, springt hier der implizit formulierte Assimilati­onsgedanke (s.o.) aus dieser sehnsüchtigen Aussage hervor wie ein Springteufel aus einem harmlosen Ge­burts­tags-Paket. Hier ertönt der Ruf nach Ordnung! Und dieser ist eng mit fokus´ Vorstellung der »deutschen Überlegenheit« ver­bunden: fokus deu­tet an, daß die Kultur und Gesellschaft der Deutschen fortschrittlicher als die der Einwande­rer ist und nur die ordnende Hand der Deutschen das mul­tikulturelle Zusammenleben friedlich regeln kann.

Mit ihren implizit formulierten Forderungen packt fokus zwei weitrei­chende Handlungsanweisungen in ihren Koffer nach Utopia: Laßt nur die­jenigen Einwanderer nach Deutschland hinein, die entweder ohne­hin dem deutschen Kulturkreis entsprechen oder aber willens sind, ihre Lebensweise den deut­schen Verhältnissen anzupassen!!!

Daß sie dabei von fragwürdigen Voraussetzungen ausgeht, ihre per­sönli­chen Erfahrungen mit Einwanderern auf ebenso fragwürdige Weise »weiter­ver­arbeitet« und mittels rassistisch unterfütterter Deu­tungsmu­ster ihre »un­heile Welt« und ihr neues »Weltverständnis« zu begründen ver­sucht, läßt große Zweifel an diesen Schlußfolgerungen zu.

Auch wenn sie die Schuld der Industrienationen an der Verarmung der Herkunftsländer der Einwanderer durchaus berücksichtigt (vgl. 12/633-650), trennt sie dennoch die Gründe der Einwanderung deutlich von der von ihr gefor­der­ten Praxis der Einwanderung. Nicht zuletzt ihr egozentrisches Selbstver­ständnis dürfte ihr Verantwortungsgefühl den Einwanderern ge­genüber doch ziemlich in Frage stellen... Die eigentlichen Ursachen der weltweiten Migrationsbewegungen - das durch Kolonial- und Wirtschaftspo­litik ent­standene Wohl­standsgefälle - lassen sich nämlich nicht lösen, wenn man wie fokus nicht über den eigenen Tellerrand hinausguckt!

 

8.      fokus rassistischer Diskurs: die Legitimation der Ausländer­feind­lichkeit

In dieser Analyse war oft die Rede von »Ausländerfeindlichkeit« und »Rassismus«, wobei ich aber diese bei­den Begriffe voneinander zu trennen versucht habe. In fokus Fall läßt sich nämlich nachvollziehen, wie sich eine spezifi­sche Form von Rassismus auf der Basis ne­gativ gewerteter Er­fah­rungen im Zusammenleben mit Einwanderern erst entwickelt hat.

Wie ich anhand einiger Äußerungen von fokus gezeigt habe, ist sie selber re­gelrecht »entsetzt« und »erschrocken« über ihre Wut auf Einwanderer, nimmt dies gewissermaßen jedoch hin, indem sie sich auf ihre »ausländer­feindlichen Emotionen« beruft und diese unmißver­ständlich von ihrem »aus­­länder­freundlichen Verstand« trennt. Sie gehört somit zu denje­nigen linken Leuten, die sich zwar als Ausländerfreunde verstehen und die Ein­wanderung befürworten, jedoch in Anbetracht der damit verbundenen poli­tischen und sozialen Notwendigkeiten förmlich aus allen Wolken fallen.

Ihre Argumentation wird allerdings erst in dem Augenblick rassistisch, in welchem sie mittels (kulturell) rassistischer Deutungsmuster die In­tegrati­onsprobleme in ih­rem Stadtteil zu erklären versucht und somit ihre »feindlichen Reaktionen« auf die Einwanderer zu legitimieren vermag.

Die Annahme, daß fokus eine rassistische Denkweise auf der Basis per­sön­licher Erfahrung entwickelt, läßt sich erstens dadurch belegen, daß sie die körperliche Andersartigkeit der Einwanderer überhaupt erst registriert. In Bezug auf Spanier und Italiener sagt sie nämlich:

(...) viele deutsche Frauen oder so stehn auch auf dunkle Männer, weils die auch nich so unbedingt gibt in Deutschland als Deutsche. (...) die guckt man sich gerne an, weils was andres ist, als mans stän­dig um sich hat. (12/285-289)

Ganz augenscheinlich dient ihr dabei die Hautfarbe der »Südländer« (vgl. 12/265) als Kriterium der Unterscheidung und Identifizierung. Das ist ja auch nicht weiter schlimm, worauf Hall verweist: „Natürlich bestehen phy­siologische und phänotypische Unterschiede, Unter­schiede der Haut­farbe, der Körperform, usw.“ (Hall 1989, S. 913)

Es dürfte hierbei klar auf der Hand liegen, daß fokus auch die übrigen Ein­wanderer (vorzugsweise Türken; s.o.) anhand der entsprechenden Merk­male identifiziert. Täte sie dies nicht, so würde sie im Interview wohl kaum meistens von »Ausländern« sprechen, sondern demgegen­über von »Men­schen« oder »Leuten«.[65]

Laut Robert Miles bleibt es in vielen Fällen jedoch nicht bei dieser rein vi­suellen Identifikation: „Doch in der Alltagswelt sind die Tatsachen biologi­scher Differenzierungen zweitrangig im Vergleich mit den Bedeutungen, die ih­nen und gar den fiktiven biologischen Differenzierungen zugewiesen wer­den.“ (Miles 1991, S. 94). Seiner Meinung nach erhält die körperliche An­dersartigkeit eine Bedeutung: „Die Bedeu­tungskon­struktion ist ein zentra­les Moment des Darstellungsprozesses, d.h. jenes Vorgangs, in dem die ge­sellschaftlichen Vorgänge beschrieben werden und in dem ein sinnhaftes Bild davon vermittelt wird, wie die Dinge »wirklich« sind.“ (Miles 1991,
S. 95).

Bei fokus wird die als belästigend empfundene Kultur der nicht-assimilier­ten Einwanderer zu einem derartigen Bedeutungsträ­ger hochstilisiert. Auf diese Weise kann sie sich die Verschlechterung ihrer Lebensqualität im Stadtteil sinnhaft erklären. Wichtig ist, daß fokus somit die an­dere »Rasse« der Einwan­derer konstruiert, indem sie deren »abweichendes Verhalten« für ihre weitere Argumentation funktionalisiert.

Ein dritter, ebenfalls signifikanter Faktor kommt hinzu, wenn fokus diese subjektiv gewertete kulturelle Andersartigkeit der Einwanderer benutzt, um diese symbolisch aus der Gemeinschaft der Deutschen und der assimi­lierten Einwanderer auszuschließen. Auch Miles betont, daß eine solche  »Rassenkonstruktion« ein Mittel ist, „um Ausgrenzungspraktiken zu initi­ie­ren“. (Miles 1991, S. 96) Ge­nau dies tut fokus vor allem auf der Ebene der Kollektivsymbolik und eines damit verbundenen Systems der Innen/außen-Topik.

Solche Auschließungspraktiken »funktionieren« aber erst dann, wenn der Faktor »Macht« mit ins Spiel kommt.[66] fokus ist als Mitglied einer gesell­schaftlichen Mehrheit und vor allem durch ihre deutsche Staats­angehörig­keit mit eben dieser Macht ausgestattet und kann ihrer aus­länderfeindli­chen Gesinnung z.B. bei Wahlen Ausdruck verleihen. Bei ent­sprechendem Wahlverhalten einer Mehrheit kann sie also dazu bei­tragen, die Einwan­de­rer nicht nur symbolisch, sondern auch faktisch aus der Gemeinschaft aus­zu­grenzen. Daß ihr daran etwas gelegen zu sein scheint, wird durch ihre Aus­sagen über die Notwendigkeit, die Ein­wanderung in die Bundesrepu­blik be­grenzen zu müssen (vgl. 12/674-688), bekräftigt.

Des weiteren spielt auch ihre »deutsche Identität« eine nicht uner­hebli­che Rolle für ihre rassistische Art der Konfliktdeu­tung. Diese erlaubt es ihr, die nicht-assimilierten Einwanderer als anti-sozial einzu­stufen, diese also aus der Gemeinschaft auszugrenzen. Um mit Hall zu sprechen: „Der rassisti­sche Diskurs hat eine eigentümliche Struktur: Er bündelt die den jeweiligen Gruppen zugesprochenen Cha­rakteristika in zwei binär entgegengesetzte Gruppen. Die ausgeschlos­sene verkörpert das Gegenteil der Tugenden, die die Identitätsgemein­schaft auszeichnet. (...) Jede Eigenschaft ist das umge­kehrte Spiegelbild der anderen. Dieses Sy­stem der Spaltung der Welt in ihre binären Ge­gensätze ist das fundamen­tale Charakteristikum des Ras­sismus, wo immer man ihn findet.“ (Hall 1989, S.921) Die Identifikation mit dem Basis-System der deutschen Ge­sellschaft geht bei fokus auf entspre­chende Art und Weise vonstatten: Der »Kulturkreis« der Anderen ist in ih­ren Augen defizitär, hemmend und rück­ständig, stört darüber hin­aus die von ihr erhoffte Harmonie der Gemein­schaft.

Da der von ihr beschriebene Konflikt der Kulturen (vgl. 12/375-388) als aus­schlaggebend für die Verschlechterung ihrer Lebensqualität ge­wertet wird, ist fokus auch bestrebt, die entstehenden Probleme nach Möglichkeit »einzu­dämmen«. Hall bezeichnet Rassismus in diesem Sinne auch als „Versuch, das Andere zu fixieren, an seinem Platz festzuhalten, er ist ein Verteidi­gungssystem gegen die Rückkehr des Anderen“. (Hall 1989, S.922) Dement­sprechend »verteidigt« fokus ihre ohnehin »unheile Welt« gegen wei­tere Zu­wanderung, die ja ihrer Mei­nung nach zu weiteren bzw. zuneh­men­den Pro­blemen führen würde (vgl. 12/735-737).

In Anlehnung an Rudolf Leiprecht ließe sich bei fokus auch von einer »subjektiven Funktionalität« rassistischer Denkweisen sprechen (vgl. Lei­precht 1991, S.24): Die Ausschließung der Einwanderer mündet für fokus in einen subjektiven Nutzen, wenn eine tatsächliche Begrenzung der Zu­wan­derung ihr zumindest die relative Verbesserung ihrer Le­bensqualität vor­gaukeln würde. Allerdings führt eine derartige Heran­gehensweise ledig­lich dazu, daß die eigene „Lebenspraxis (...) dadurch mehr oder minder hinge­nommen (wird), das emotionale Ungenügen macht sich hier oft in ei­nem blinden Protest Luft, der sich gegen die »Falschen« wendet.“ (Leiprecht 1991, S.28) Das Fak­tum »Einwanderung«, welches für fokus letztendlich die Determi­nante ihrer verschlechterten Lebensqualität dar­stellt, wird von ihr schlichtweg überbewertet.

Ihr Denken gerät - si­cherlich ohne daß fokus dies beabsichtigt - somit gera­dewegs in die Nähe zentraler Ideologeme rechtsex­tremer Parteien und Or­ganisationen, wenn sie sich rassistischer Erklä­rungsmuster be­dient und ihre Lebensqualität in ein direktes Verhältnis zu dem hohen Einwanderer-Anteil in ihrem Stadtteil setzt, ohne die eigentli­chen Gründe für die miß­lungene Integration der Einwanderer zu hinter­fra­gen.[67] Wie schon weiter oben gesagt, fällt fokus Vorstellung davon, wie das Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen »Kultur­kreisen« im einzelnen auszusehen hat, reichlich dürftig aus. Sie scheint sich dar­über keine allzu großen Gedanken gemacht zu haben, zumal ihre positiven Er­wartungen vor dem Umzug in den Stadtteil in erster Linie an einen er­hoff­ten eigenen Vorteil geknüpft wa­ren.

 

9.      Schlußbemerkung

fokus´ rassistische Einstellung ist eine Folge persönlicher Erfahrungen, auf welche sie überhaupt nicht vorbereitet war, als sie mit großen Er­war­tungen in einen Stadtteil mit hohem Einwanderer-Anteil gezogen ist. Daß sie hier­bei von zu großen Erwartungen ausgegangen ist, ver­deutlichen nicht zuletzt ihre eigenen Aussagen, die zudem darauf schließen lassen, daß fokus nur eine sehr vage Vorstellung davon hat, wie Einwanderer-In­tegration oder multikulturelles Zusammenleben im einzelnen auszusehen haben...

Bedenklich ist vornehmlich die Art und Weise, in welcher fokus diese Er­fah­rungen »weiterverarbeitet« und somit auf eine rassistische Bahn gerät. Aber auch dies ist zumindest naheliegend, wenn man sich vor Augen führt, daß rassistische Denkweisen in der Bundesrepublik weitverbrei­tet bzw. im In­terdiskurs verwurzelt sind.

Insofern würde es auch zu weit führen, fokus als Rassistin zu bezeich­nen. Vielmehr ist sie verstrickt in einen rassistischen Diskurs, mithilfe dessen sie ihre persönlichen Probleme mit der Kultur der Einwanderer zu deuten versucht.

 

 

 

3.7         Angelika Müller:

              „Die können eigentlich dableiben“

                 Analyse eines Interviews mit einer 75-jährigen Rentnerin, die nach dem Krieg aus Oberschlesien geflohen ist[68]

 

1.      Wer ist Frau B.?

„Wir haben Ausländer hier wohnen“ (13/231) sagt Frau B., obwohl ich sie nicht danach gefragt habe.

Frau B. ist 75 Jahre alt und lebt seit dem Tod ihres Mannes und der Heirat ihres Sohnes alleine. Sie wohnt in einer Hochhaussiedlung in einem Duis­burger Vorort, wo der Anteil an MigrantInnen sehr gering ist.[69] Frau B. geht es gesundheitlich gut. Sie versorgt sich selber und hilft zwei älteren Nach­barn.

Frau B. war sofort bereit, mit mir zu sprechen, und da ich als Interviewerin so wenig wie möglich steuernd in das Interview eingreifen wollte, nutzte sie sofort die Gelegenheit, ihre Lebensgeschichte zu erzählen.[70]

 

„...ich hab immer mir ausgesucht, wo ich mehr Geld verdiente.“ (13/497)

Frau B. hat sich in ihrem Leben immer um alles selber kümmern müssen. Als Jugendliche hat sie als Zimmermädchen in diversen Hotels gearbeitet. Ausschlaggebend für ihre Arbeitsplatzwechsel war stets die Bezahlung.

Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Oberschlesien. Nach dem 2. Weltkrieg mußte sie ihre Heimat dann aber verlassen und kam in die da­mals von der Sowjetunion besetzte „Zone“. Dort hat es ihr aber nicht mehr so recht „zugesagt“ (13/448), und sie floh:

Bin ich schwarz über die Grenze jejangen. Dat ging damals noch, ne. Jaa. (13/448ff.)[71]

Sie erzählt diese durchaus spannende Geschichte begeistert. Trotz aller äu­ßeren Umstände erweckte sie bei mir den Eindruck, als hätte sie ihr Leben damals voll im Griff gehabt. Unsicherheit oder Angst schien sie nicht zu kennen. Gesellschaftliche oder politische Bedingungen nimmt Frau B. als gegeben hin[72] und versucht für sich Vorteile zu schaffen, wo es eben geht.

Nach der gelungenen Flucht lernt sie in einem Übergangswohnheim ihren Mann kennen, der aus erster Ehe einen Sohn hat.

(...) den hab ich ja übernommen, das war eh, ich bin die Stiefmutter (...) Der war ja damals, der war ja damals noch jung. Neun Jahr oder so was ähnli­ches. (13/109ff.)

Ein besonders inniges Verhältnis hat sie heute nicht zu ihrem Sohn. Sie se­hen sich nicht häufig, aber sie ist froh, daß er einen Beruf hat und gut ver­dient. Ihr Mann war damals schon körperbehindert und fand im Zonen­randgebiet keine Arbeit. Der Antrag, den ihr Mann zur Umsiedlung stellte, wurde abgelehnt. Erst nach einem Hinweis, daß sie ja das Geld verdient, stellte sie den Antrag. So zogen sie vor 31 Jahren nach Duisburg, und auch hier fand sie sofort Arbeit. Ihr Mann wurde Frührentner, und sie ernährte die Familie. Frau B. hat keinen Beruf erlernt. Oft mußte sie schwere kör­perliche Hilfsarbeiten verrichten, z.B. als Kabelwicklerin:

War ja schwer damals, wir waren da im Gummisaal, es war schwer, wir hat­ten dicke Arme. (13/52f.)

Einmal noch hat sie versucht, einen wichtigen Teil ihres Lebens - ihr Be­rufsleben - wieder selbst in die Hände zu nehmen. Sie machte einen Kurs und pachtete im Anschluß daran eine Trinkhalle. In ihrer Familie fand sie allerdings keine Unterstützung:

Das war nicht schlecht, aber meine Leute, die wollten da nicht so richtig mit, ne? (13/45f.)

Gründe dafür nennt sie keine. Jedenfalls mußte sie wieder zurück in die Fabrik, um wenigstens zeitlich die Doppelbelastung Familie und Beruf zu meistern. Aber sie spricht nie abwertend über ihre Familie! Frau B. ist eher stolz auf die geleistete Arbeit. Sie hat ihre Pflicht erfüllt, ihr kann keiner etwas vorwerfen - das könnte ihr Motto sein. Fleiß und Pflichterfüllung er­wartet sie allerdings auch von anderen.

Frau B. erzählt ihre Lebensgeschichte und über ihre Wohnsituation in Duisburg. So kommt sie über Mieter „die von der Fürsorge Miete kriegen“ (13/227f.) auf MigrantInnen zu sprechen: „Wir haben Ausländer hier woh­nen.“ (13/231) MigrantInnen spielten in ihrem Leben nie eine besondere Rolle, sie hat keine Kontakte zu ihnen. Außer in den Niederlanden, als es noch preiswert war, dort einzukaufen - und hier ist sicher das auf den Ein­kaufstourismus eingestellte und deshalb deutschsprachige Venlo gemeint - ist Frau B. nie in anderen Ländern gewesen. (vgl. 13/402)

Zunächst schien es, als ob Frau B.s zwischengestreute Bemerkungen über MigrantInnen wenig aussagekräftig seien, denn Frau B. wirkt freundlich, ruhig und unverbindlich. Diesen ersten Eindruck mußte ich allerdings kor­rigieren.

2.      Frau B. und die „Ausländer“ allgemein:

         „Sind schon allerhand!“ (13/698)

Wenn Frau B. in diesem Interview von „Ausländern“ spricht, dann unter­scheidet sie meistens nicht nach Herkunftsländern. Auch aus dem Kontext wird nicht immer eindeutig ersichtlich, welche Nationalität sie meint.

Ja, aber wenn se in der Stadt rumlaufen, dann merken sie das schon. Sind schon allerhand. (13/697f.)[73]

Cinti und Roma werden von ihr hingegen als ganz besondere Einwande­rungsgruppe wahrgenommen:

Ja hier in der Schule, dat sind Asylanten, oder wie sich die nennen. Dat sind Zigeuner. Jugoslawien oder Rumänien, oder weiß ich, wo die alle herkommen. (13/622ff.)

Auf diese Leute ist sie aufmerksam geworden, weil eine Frau mit ihren Kindern manchmal in diese Siedlung kommt, um in den Müllcontainern nach Verwertbarem zu suchen. Frau B. allerdings behauptet verallgemei­nernd:

Och die kommen her - Sie sehen das ja nicht so - die kommen hier in die Asch­kübel gucken se... (13/673f.)

Ansonsten beschränken sich ihre Aussagen auf polnische und russische Staatsbürger und Menschen aus der ehemaligen DDR.[74] Über andere Ein­wanderInnen sagt sie nichts,[75] denn sie weiß nicht „wo die alle herkom­men“ (13/1234) und „wie sich die nennen“ (13/622f.). Sie spricht über Ein­wande­rInnen, bei denen sie glaubt, sich auszukennen. Das sind in erster Linie die Polen, von denen sie weiß, daß sie vor dem 1. Weltkrieg der Ar­beitsmöglich­keiten wegen ins Ruhrgebiet kamen und nach dem 2. Welt­krieg, wie Frau B. selbst, Polen verlassen mußten (vgl. 13/439f.). Während Frau B. die An­siedlung von Polen vor dem 1. Weltkrieg als absolut gerecht­fertigt ansieht, sieht sie dies in Bezug auf heutige EinwanderInnen ganz anders. Obwohl sich diese vielfach auf ihre bestehende deutsche Abstam­mung berufen, kön­nen sie nach Frau B. daraus nicht das moralische Recht ableiten, sich hier anzusiedeln:

Rumänien, Jugoslawien, Polen kommen auch. ** Wir haben schon was mit den Ausländern! Deutsche Russen auch, die vielleicht mal vor en paar hun­dert Jahren ausjewandert sind und, genau wie Polen auch, * sind die Urgroß­eltern ausjewandert, und da kommen die nach (Genuschel) rüber. Können kein Wort Deutsch. (13/1087ff.)

Frau B. macht die deutsche Herkunft an den vorhandenen bzw. nicht vor­handenen Deutschkenntnissen fest. Da sie selber Deutsch spricht, entste­hen ihr in dieser Hinsicht selbst keinerlei Probleme: sie ist Deutsche![76] So kann sie trotz ihrer Herkunft dieses typische und weitverbreitete Argument ohne Probleme benutzen.

 

3.      Deutsch ist nicht gleich Deutsch:

         „...die können eigentlich dableiben.“ (13/426)

Wie wenig die beiden deutschen Teilstaaten bislang zusammengewachsen sind, zeigen exemplarisch Frau B.s Aussagen über Menschen und Zustände in der ehemaligen DDR. Für Frau B. ist diese immer noch die „Ostzone“. Hier wird deutlich, wie sehr die Innen-Außensymbolik auch innerhalb der heutigen Bundesrepublik angewendet wird und über Ausgrenzungs­prakti­ken eine deutsch-deutsche Spielart von Einstellungen ermöglicht, die denen rassistischer Einstellungen durchaus vergleichbar sind.

Die jetzt in der Ostzone, die jammern und jammern, wenn sie uns mal - da gibt es soviele arme Leute hier, die auch nicht mehr - noch weniger haben (...) Ja, haha, die sollen mal aufbauen, da drüben. * Wir mußten auch, wir muß­ten auch alles machen und zufassen, was war. Wir konnten uns dat da auch nicht so aussuchen. (13/570ff.)

»Wir« sind hier die Westdeutschen, die eben schon fleißig waren, denn »wir« sind schon fertig mit dem Aufbau, und »wir« waren nicht so zimperlich.[77] Hier drückt sich aus, welche Tugenden »der Westdeutsche« heute hat: er ist fleißig und packt da an, wo es nötig ist, und vor allem, er jammert nicht, auch wenn es ihm schlecht geht. Daraus folgt für Frau B.:

Naja, die können eigentlich dableiben. Die sollten aufbauen von der Ost­zone. (13/426)

Es zeigt sich also, wer zur Ingroup gehört, nämlich nur »West«deutsche, die bestimmte Verhaltensweisen verkörpern - die Sprache allein reicht dazu nicht aus.

Aufgrund dieser weit verbreiteten und im allgemeinen auf hohe Akzeptanz stoßenden Aussagen kann hier von Ausgrenzung und Marginalisierung ei­ner Bevölkerungsgruppe gesprochen werden („die können eigentlich dablei­ben.“ 13/426). Die gesamte Bevölkerung der ehemaligen DDR wird als be­sondere Gruppe konstruiert, die sich durch das Fehlen bestimmter, als hochwertig angesehener Fähigkeiten auszeichnet. Die in diesem Fall durch soviel negative Eigenschaften charakterisierten Ostdeutschen werden als minderwertig gekennzeichnet und aus der Position der Stärke heraus abge­lehnt und diskriminiert.

Ja, die sind nicht gewöhnt zu arbeiten in ein Stück! (...) Die sind zu verlottert. (13/1079ff.)

Frau B. erklärt sich diese gewisse Arbeitsmüdigkeit bzw. Arbeitsunfähig­keit ostdeutscher Menschen mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Überlegen Sie mal, in der Ostzone war kein Material. (13/1038f.)

Dennoch schlägt ihr Verständnis schnell in Anklage um, wenn sie unmittel­barer als bisher mit ostdeutschen Menschen konfrontiert wird.

Die konnten hier nix werden, ja wenn hier einer nicht arbeiten will, der braucht gar nicht erst zu kommen. (13/1059ff.)

sagt Frau B., als gäbe es noch immer zwei Staaten, ein »Hier« und ein »Drüben«, in das die Leute bei Nichtanpassung zurückgeschickt werden könn­ten.

Aber auch Leute, die arbeiten können, haben ihrer Meinung nach nicht das Recht zu kommen, denn die haben eine moralische Verpflichtung, die sollen ja „aufbauen“ (s.o.). Wie Frau B. es auch dreht und wendet, ihre Argumente dienen nur dem Zweck zu sagen, daß Menschen aus den FNL[78] doch bes­ser im östlichen Teil des Landes bleiben sollten.

Es fällt auf, daß Frau B. im Umgang mit ehemaligen DDR-BürgerInnen ähnliche Argumente verwendet, wie sonst für EinwanderInnen generell: die sind zu verlottert, die wollen gar nicht arbeiten, die sollen ihr Land auf­bauen etc. Eine Ausgrenzung findet zwar statt - sie ist der Ausgrenzung der Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg ähnlich -, aber im Gegensatz zur Aus­grenzung von EinwanderInnen könnte diese Ausgrenzung veränderbar sein, wenn die Menschen in den FNL mit westdeutscher Hilfe erst einmal west­deutschen Standard erreicht haben werden. Ein Großteil gemeinsamer Ge­schichte und Erinnerungen, ein Stück gemeinsamer kultureller Identifika­tion, schafft Nähe, und das angebliche Wissen um alle Mißstände in der ehemaligen DDR gibt die Sicherheit, sich darüber ein Urteil erlauben zu können. Hier wird die Forderung nach Anpassung schon fast auf die Spitze getrieben, wenn verlangt wird, daß sich diese Menschen den »west«deutschen Leistungsnormen zunächst anpassen müssen, aber erst »ihren« Teil des Landes aufbauen sollen, bevor sie ganz Deutschland als ihr Land bezeichnen dürfen.

So ist bei Frau B. bereits eine Grundeinstellung zu finden, die in der inter­nationalen Literatur als rassistisch bezeichnet wird:[79] Eine Minderheiten­gruppe wird von Angehörigen der Bevölkerungsmehrheit als »Rasse« kon­struiert und ausgegrenzt, indem ihren Mitgliedern bestimmte (meist nega­tive) angeborene oder kulturelle Eigenschaften zugeschrieben werden. Deut­lich wird im Interview, daß Ausgrenzungspraktiken angewendet werden und eine Bevölkerungsgruppe anhand kultureller Eigenschaften definiert wird.

Die rassistischen Diskriminierungen ostdeutschen Menschen gegenüber wirken nur deshalb milder, weil der Faktor Macht durch die offizielle Poli­tik etwas eingeschränkt wird. Mit dem Solidaritätsbeitrag für die Wieder­vereinigung - der zwar von allen Bundesbürgern zu zahlen ist - weist die Regierung auf die moralische Verpflichtung der Westdeutschen zur Hilfelei­stung hin. Dies ist zwar nur ein Zeichen, das aber in Hinsicht auf Asylbe­werberInnen fehlt. Breiten Bevölkerungsschichten wird durch die offizielle Politik über die Medien vermittelt, daß die Kosten für die Vereinigung der beiden deutschen Staaten angeblich durch den Solidaritätsbeitrag aufge­fangen werden sollen, während die Kosten für AsylbewerberInnen durch Einsparungen im sozialen Netz ausgeglichen werden. Die Kosten der Ver­ei­nigung werden damit für die Bundesbürger überschaubar gehalten, wäh­rend die Kosten für AsylbewerberInnen ins Unermeßliche zu steigen dro­hen.

Zudem werden in diesem Interview die negativen Eigenschaften von Ein­wanderInnen als sehr viel prägender und persönlichkeitsbestimmender an­gesehen als bei Ostdeutschen. Zwar wird die theoretische Möglichkeit der Veränderung auch bei EinwanderInnen nicht abgestritten, aber das kul­turelle Verhalten wird als so tiefsitzend beschrieben (es rückt damit schon fast in die Nähe der angeborenen Eigenschaften), daß kaum noch eine Chance zur Veränderung (in Richtung Anpassung und Assimilation) gese­hen wird.

Frau B. geht davon aus, daß demgegenüber die Menschen „drüben“ durch­aus bestehenden Schwierigkeiten meistern können. Mit ihrer als Forderung an ostdeutsche Menschen formulierten Aussage

Wir konnten uns dat da auch nicht so aussuchen (13/579f.)

verweist sie zudem auf eine gemeinsame Ausgangssituation: Nach dem 2. Weltkrieg waren Ost- und Westdeutsche noch gleich. Werte wie Pflichtbe­wußtsein und Fleiß könnten aber von Ostdeutschen genauso wieder gelernt werden, wie sie von den Westdeutschen laut Frau B. schon längst prakti­ziert werden. Es gilt also nur einen Rückstand einzuholen und gewisse »Verzogenheiten« abzulegen, denn im Grunde sind Westdeutsche und Ost­deutsche sich eben doch ähnlicher, als Westdeutsche und Roma, die „in der Mülltonne wühlen“.

 

4.      Andere Sitten, andere Bräuche:

         „...sind ja Ausländer“ (13/680)

Frau B. begründet ihre Einstellung MigrantInnen gegenüber immer mit kulturellen Gegebenheiten. Es läßt sich im gesamten Interview keine Stelle auffinden, an der sich eindeutig genetischer Rassismus zeigen würde. Auch wenn Frau B. über EinwanderInnen spricht, spricht sie nicht vom fremdar­tigen Aussehen der Leute und angeblich angeborenen Eigenschaften. Die von ihr genannten Unterschiede entstehen aus dem kulturellen Vergleich der Gruppe der Eingeborenen und der Gruppe der EinwanderInnen, wobei die Gruppe der Eingeborenen den Maßstab vorgibt:

Und die essen ja auch nicht alles, sind ja Ausländer. (13/680)

Allerdings führt sie die Unterschiede im Eßverhalten auf die andere Kultur zurück. Nach kurzer Denkpause fügt sie erklärend hinzu, was das Auslän­dersein ausmacht:

(...) sind ja Ausländer.* Die sind ja was anderes jewöhnt, * wie wir.** (13/680ff.)

Offen bleibt die Frage, inwieweit diese Andersartigkeit in Sitten und Ge­bräuchen als verfestigt angesehen wird, ob ein Umlernen überhaupt noch als möglich angenommen wird.

 

5.      Wie Frau B. argumentiert

In der Regel unterscheidet Frau B. zwischen Leuten aus ehemaligen deut­schen Gebieten - besonders ÜbersiedlerInnen aus den FNL werden genau charakterisiert - und anderen EinwanderInnen. Über EinwanderInnen nicht-deutscher Herkunft macht sie wenig konkrete und insbesondere keine eindeutig negativen Aussagen:

Man weiß ja nicht, warum sie hier sind. (13/703f)

Später im Interview grenzt sie allerdings Deutsche mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit gegen EinwanderInnen und Flüchtlinge aller anderer Staaten mit dem Argument ab:

Ja, die (gemeint sind Türken, Spanier, Griechen etc. A.M.) sind politisch ver­folgt, und was weiß ich.** (13/1096)

Hier werden, mit Argumenten jonglierend, verschiedene EinwanderInnen­gruppen gegeneinander ausgespielt. Diese Argumentationsstrategie hat Frau B. offensichtlich den Medien entnommen. Leute aus den FNL sind „Wirtschaftsflüchtlinge“ ebenso wie Leute aus Polen oder sogar Cinti und Roma aus verschiedenen Ländern. Menschen aus der Türkei oder Spanien werden jetzt zu politischen Flüchtlingen hochstilisiert.

Auffällig häufig lassen sich Bemerkungen finden, die eventuelle Einwände vorwegnehmen sollen, hier in Gestalt einer rhetorischen Frage, die Frau B. aber sogleich selbst beantwortet:

Wir haben Ausländer hier wohnen. Warum? Sind ja auch Menschen, ne? (13/231f.)

Offensichtlich will Frau B. hier klarstellen, daß sie nichts gegen Einwan­derInnen hat. Daß sie dies aber explizit tut, also diese Erklärung für nötig hält - ich habe sie nicht danach gefragt - zeigt, daß sie eine ihr auch nur eventuell unterstellte Fremdenfeindlichkeit zurückweisen möchte. Dennoch scheint sie Zweifel zu haben. Ihr „Warum?“ könnte eine Nachfrage meiner­seits vorwegnehmen, oder die Bestimmtheit ihrer Aussage relativieren. Sie scheint mit sich selbst um Argumente zu ringen: „Sind ja auch Menschen, ne?“ fragt sie mich und zeigt damit ihre Gespaltenheit. Ihr um Zustimmung bittendes „ne?“ verdeutlicht aber auch, zu welcher Seite sie im Moment tendiert: Wir alle sind Menschen, auch die Ausländer.

Am häufigsten spricht Frau B. eigene Erfahrungen an. Oft wird eine direkte Parallele zur eigenen Lebensgeschichte gezogen, was es ihr dann schwierig macht, hart über andere zu urteilen, da Gemeinsamkeiten offensichtlich werden.

Nachdem sie sich an ihre eigene Flucht aus Schlesien und ihre Übersied­lung nach Duisburg erinnert hat, werden Parallelen nur allzu deutlich. Über ihren Arbeitsplatz berichtet sie:

da waren überwiegend Einheimische. Es war nicht so schön! (...) Die haben immer jemeint, die können was. Und die anderen sind nix. (13/592ff.)

Hier findet ein Perspektivwechsel statt, hier gehört sie nicht zur »Wir«-Gruppe, zu den »Einheimischen«, sondern zu den »Anderen«, den »Flüchtlingen«.

Wie sehr die Innen-Außensymbolik bei ihr verankert ist, zeigt sich, als sie auf mein genaueres Nachfragen, wer denn die »Anderen« sind, erklärt:

Wir waren halt Flüchtlinge. (...) Genau wie heute. Wenn die von drüben nach hier kommen, die sind auch nicht 100%ig anjesehen, jedenfalls nicht gernge­sehen, sagen wir mal so. Oder die Ausländer alle. (13/601ff.)

Hier sind Ansätze von Solidarität zu finden. Jedenfalls sieht sie hier Ge­meinsamkeiten zwischen ihrer Situation nach dem Krieg und der der ÜbersiedlerInnen heute, und sie schafft sogar den gedanklichen Sprung zu »allen Ausländern«. Es zeigen sich Ansätze eines solidarischen »Wir«-Ge­fühls. Diese Interviewszene erklärt auch ihre zunächst liberale Grundhal­tung dem EinwanderInnenproblem gegenüber, ihre „Wenn sie mich nicht Stören“-Haltung.

Und ** wie gesagt, wenn sie mich in Ruh lassen, ich laß sie alle in Ruhe. Mich stört keiner. **

Mmh.

Ne? ** Ich mein es will eben jeder leben, jeder will eben sehen, daß er klar kommt. (13/780ff.)[80]

Bei genauerem Nachfragen scheint auch Frau B. deutlich zu werden, daß sie aus ihrer Sicht und aufgrund ihrer eigenen Lebensgeschichte keine allzu schweren Bedingungen für die Zulassung von EinwanderInnen stellen kann. Auch sie kam aus wirtschaftlichen Gründen (vgl. 13/610f.). Sie scheint sich dieser Argumentationsproblematik bewußt zu sein, denn sie versucht sich zu rechtfertigen:

Arbeit gab es dann jenug. (...) Heute ist das ein Problem, ne? (13/611ff.)

Auf die veränderte Arbeitsmarktsituation weist sie dennoch nur zögerlich hin. Eine deutliche Stellungnahme könnte zu Nachfragen führen, die sie gerne vermeiden möchte.

So versucht sie zunächst auch ein anderes heikles Thema zu vermeiden. Sie kann es dann allerdings doch nicht lassen zu zeigen, wie gut sie infor­miert ist; auf meine Frage nach einem Übergangswohnheim für Einwande­rInnen in ihrer Nähe antwortet sie mit Nachdruck:

Also das weiß ich auch nicht! (13/620),

um dann jedoch mit einer genauen Schilderung der Wohn- und Lebenssi­tuation der dort lebenden EinwanderInnen aufzuwarten. So weiß sie, daß jeder Familie nur bestimmte Wohnflächen zustehen. Dies hat sie vermutlich der Presse entnommen. Erst wenige Tage vor dem Interview erschien in ei­nem Reklameblättchen der Stadt Duisburg, das sie regelmäßig liest, ein ausführlicher Artikel über Wohnheime. Es wird im Verlauf des Interviews deutlich, daß sie - obwohl sie den Medien recht kritisch gegenübersteht -, doch stets dann Informationen übernimmt, wenn sie in ihre »eigene« Argu­mentation passen. Dabei wird die Sprache der Medien nicht von ihr repro­duziert, was es schwierig macht, die Informationsquelle eindeutig zu be­stimmen.

An einer Textstelle wird aber ganz besonders deutlich, wie sie zusätzliche Informationen der Medien nutzt, um ihren eigenen Ansichten mehr Glaub­würdigkeit zu verleihen:

Und vor allen Dingen, da bin ich mal nach (Firma) gegangen, da hammse da ne Straße jebaut, und da sachte der eine, nich mal ne Zigarette darf man hier rauchen. Kanns bloß arbeiten! (Lachen)

(Lachen) Wo kam der her? Der kam auch aus der DDR?

Der is, der muß da auch irgendwie wo herjekommen sein. (...) Und dann ha­ben se mal in der Zeitung geschrieben, da hat einer inner Fabrik gearbeitet, der is nebenher einkaufen jejangen, zwischen der Arbeitszeit. (Lachen) Da hieß es, die erste Kündigung von der DDR (lachen). (13/1063ff.)

Dennoch zeigt sie kritische Urteilsfähigkeit, was die Glaubwürdigkeit der Presse betrifft:

Man sagt immer, ein Viertel ist vielleicht wahr, ne? Das andere is dabei. Die Journalisten, die, die schmücken doch das aus, ne? (13/996ff.)

Das hier verwendete verallgemeinernde Pronomen »man« wird ansonsten relativ selten von ihr benutzt, und wenn, dann um zu verschleiern, woher sie ihre Ansicht hat, oder um zu betonen, daß ihre Ansicht hier Allgemein­gültigkeitsanspruch hat.[81] Hier könnte beides vorliegen. So kann sie einer­seits Aussagen der Presse zur Stärkung ihrer eigenen Argumente verwen­den, andererseits den Wahrheitscharakter ihr nicht genehmer Meldungen anzweifeln.

Überhaupt hindert sie ihre eigene Geschichte und ihr ständiger Perspek­tivwechsel zwischen „wir heute und die anderen heute“ und in der Retro­spektive „wir damals und die anderen damals“ zunächst, eindeutig Stellung zu beziehen. Es entsteht der Eindruck, als würde sie sich keiner Gruppe als zugehörig empfinden. In Erinnerung an ihre eigenen Eingliederungspro­bleme kann sie nicht allzu hart mit EinwanderInnen ins Gericht gehen, zumal sie auch genügend Kritik an den Deutschen hat. „Sie sehen ja *** das war ein Deutscher“ (13/729) sagt sie über einen Mann, der sie vergewaltigen wollte, und benutzt diese Erfahrung, um das negative Ansehen der Ein­wanderInnen und gleichzeitig das positive Ansehen der Deutschen zu rela­tivieren. „Es gibt solche und solche“ (13/723), ist das Ergebnis ihrer Überle­gungen.

Dennoch wird Kritik laut, wenn ihre eigene finanzielle Absicherung in Ge­fahr ist:

Der Arbeiter muß das ranbringen, wie jesagt, der Steuerzahler. * Uns, als Rentner, wird ja auch abgezogen. Wir kriegen ja auch nich alles in die Hand. * Tja. (13/1026ff.)

Hier wird deutlich, daß sie ihre Argumentationsmuster nicht in der jeweili­gen Situation »erfindet«, sondern auch auf »Denkangebote« zurückgreift.[82] Hier wird ein in den letzten Jahren verstärktes Bewußtsein über die Ren­tenberechnung und ihre Problematik sofort mit Einsparungen im sozialen Bereich und Steuererhöhungen verbunden. Allerdings ist Frau B. mit einer sicherlich nicht üppigen Rente von Einsparungen besonders betroffen, ebenso wie die von ihr genannten Arbeiter, denen sie sich offensichtlich als zugehörig empfindet. Frau B. zieht nun den Schluß, daß Einsparungen al­lein notwendig seien, um weiterhin die Entwicklungsländer und die Mi­grantInnen zu unterstützen.

Wo soll das Geld alle herkommen? Und jeder, jedes Land will doch von uns Geld! Was ham wir nich alles schon für Milliarden - jeder will Geld. ** (13/1022ff.)

Hier zeigt sich auch, daß ihr bestimmte Argumentationsstrategien aus der Politik und besonders der BILD-Zeitung, die sie ja regelmäßig liest, durch­aus geläufig sind. Ihr »Verständnis« für die Anderen hat durchaus seine Grenzen, falls man sie »stört«. Sobald es also an die finanzielle Substanz geht, wird man selber zum Opfer, und die Verfolgten werden zu Verfolgern, gegen die man sich wehren muß.

(...) ja wenn hier einer nicht arbeiten will, der braucht gar nicht erst zu kom­men. ** Hier muß man alles anfassen. (13/1060f.)

Daß man hier alles anfassen muß, soll hier keine natürliche Notwendigkeit ausdrücken, sondern beschreibt aus Frau B.s Sicht die von ihr durchaus ge­schätzte autoritäre Struktur dieser Gesellschaft:

Einer muß ja was tun, ne? Ein bißchen Ordnung machen. * Ne? * Der Deut­sche will ja ein bißchen kommandiert werden. * Da muß man schon einen ha­ben, der was tut. * (13/1004ff.)

Auch hier sammelt sie noch Argumente, die ihre Ansicht bekräftigen.

Da ich in die Auseinandersetzung nicht einsteige, bringt sie ihre Argumen­tation zunächst mit Relativierungen (»ein bißchen«, »ne?«), dann aber mit einem eindeutigen Ergebnis zu Ende: „Da muß man schon einen haben, der was tut.*“ Das „man“ hat hier Allgemeingültigkeitsanspruch, ebenso wie „der Deutsche“, der kommandiert werden will, dessen Charaktereigenschaft es nach Frau B. offensichtlich ist, schwach zu sein und nach der Obrigkeit zu rufen.

Dennoch überrascht ihre undifferenzierte Art und Weise, mit der sie sich auf Hitler bezieht:

Damals, wo das der Hitler war, da war das ja deutsch. Bielitz (?) und diese Ecke da unten (...) Das war ein Luftkurort, man hat Geld verdient, das war wichtig! (13/489ff.)

Ohne Skrupel verbindet sie mit dem Namen Hitler hier lediglich eine Zeit­angabe. Sie reduziert damit das Dritte Reich auf den Zeitraum, in dem sie gut verdient hat. Im gesamten Interview äußert sie sich kein einziges Mal kritisch zur damaligen Zeit. Auffällig häufig sind hingegen Äußerun­gen wie „Die Jugend is heut anders wie wir“ (13/332f.) und „Da war alles noch richtig Holz“ (13/929), (über die Qualität heutiger Möbel). Der Zeit­raum, indem die genannten Dinge viel besser waren als heute, ist ihre Ju­gend, die Zeit des Dritten Reiches.

Geprägt durch die Medien, ist ihr Bild des Deutschen bestimmt von Fleiß, Ausdauer, Ordnung und Anpassungsvermögen. Wer sich dem bedingungslos unterordnet, der darf bleiben:

Man merkt se nicht. * Die müssen sich anständig benehmen und naja. Und wie jesagt, die benehmen sich auch, denn wenn was passiert und so, dann werden se abgeschoben. **

Mmh.

Was man manchmal von Deutschen nich erwarten kann. (lachen) (13/712ff.)

Wieder zeigt sich Kritik an den heutigen Gesellschaftsstrukturen. „Was man manchmal von Deutschen nich erwarten kann“ heißt hier, daß Deut­sche, wenn sie sich nicht benehmen - und das wird hier impliziert - aus Frau B.s Sicht leider nicht abgeschoben werden können. Es fehlt hier also ein wirksames Druckmittel. So finden auch Mütter, die ihren Kindern nicht autoritär genug begegnen, ebenso ihre vehemente Kritik, wie Jugendliche, die abends spät noch draußen sind (vgl. 13/350 u. 13/328).

Sie scheint hier in einen sozialen Diskurs verstrickt zu sein, der geprägt ist von der Argumentationsweise des Dritten Reiches und der mit bestimmten Aussagen heutiger Medien wieder gespeist wird.

 

6.      Mögliche Ursachen

Frau B.s Haltung gegenüber MigrantInnen ist zwiespältig. Einerseits ist sie, wie viele andere, der Meinung, daß es durch die MigrantInnen zu viele Probleme gibt, die nun die Deutschen mittragen müssen. Dazu ist sie nicht bereit. Viele Informationen, die sie bekommt, bestätigen zwar ihre Einstel­lung, andererseits kam sie selber als Flüchtling nach Duisburg und weiß, wie schwer es solche Leute haben. Dies zu leugnen würde bedeuten, einen Teil ihrer Lebensgeschichte zu verraten.

Als Frau B. nach Duisburg kam, sah sie sich als Außenseiterin und ver­suchte die Anforderungen, die an sie als Flüchtling gestellt wurden, zu er­füllen:

Ach ehrlich jesacht, ich hab mich um keinen gestört. Ich war nett zu allen, und das ging ganz prima. Ich hab mit keinem was gehabt. (13/65ff.)

Das zeigt in erster Linie ihre Fähigkeit, sich anzupassen, und ihren Prag­matismus.[83] Privat hat sie sich immer sehr zurückgezogen. Das hat aller­dings auch dazu geführt, daß sie sich der neuen sozialen Umgebung nicht wirklich als zugehörig empfunden hat.

Dann hat man uns wohl gesehen, aber * später, später da hab ich schon mehr kennengelernt, nicht. Da wußte man schon, wer das ist, nicht, und so. Aber im Grunde jenommen, ich interessier mich nicht. Wenn ich mit den Leuten nicht so was zu tun habe, gut, man sagt „Guten Tag“, und das hat sich dann, ne?

Mmh.

Jetzt mit Frau A. ja und D., ne, ach so und da wird gegrüßt. Aber wissen Sie, so in die Wohnung dann rein, dat tu ich nicht. Denn manche machen nen Kaf­feeklatsch und so, das mach ich nicht. * Dat tu ich nicht. (13/258ff.)

Auf mein Nachfragen nach Bekannten und Freunden in Duisburg antwortet sie vehement mit „Nein!“ (13/959)

Das mach ich - da bin ich nich für, wenn man da irgendwie, das sind immer Verpflichtungen! Das mach ich nicht. (13/961ff.)

Dies ist ein doch recht auffälliger Bezug aufs Private, und vermutlich glaubt sie, auf diese Weise Konflikte vermeiden zu können.

Ihr Bedürfnis nach Ruhe und Ordnung spiegelt sich in vielen Bereichen ihres Privatlebens. Als Hobby betreibt sie einen kleinen Garten, der aber nicht in einem Kleingartengelände liegt, sondern abseits. Als Lektüre be­vorzugt sie leichte Kost:

(...) dann kauf ich mir die Schmöker (...) Das sind ein paar Stunden Unterhal­tung (...) Wenn im Fernsehen nix is? * Setz mich da inne Ecke (nuscheln). (13/969ff.)

Auch ihr Fernsehkonsum ist wenig anspruchsvoll; sie hat eine Vorliebe für Unterhaltungssendungen („Schlager, Wunschkonzert“, 13/978) und für Kri­mi­nalfilme, die zwar Konflikte behandeln, aber letztendlich doch  die „Guten“ belohnen, indem die „Bösen“ bestraft werden. Aber auch dort bleibt ihr Interesse oberflächlich, sobald sich ein Thema als vielschichtig erweist:

Naja, jetzt war son, son aus- ausländischer Film, son vom Dschungel da, oder was weiß ich. (...) Da hab ich mir die Folgen auch anjeguckt.** (13/978)

Gemeint ist »Rambo«. Und auch hier wird wieder deutlich, daß Nationalitä­ten und Ländernamen ihr zu kompliziert sind. Vereinfachend verarbeitet sie alle Informationen in ihr Innen-Außenschema („aus-ausländischer Film“); das genügt ihr, denn sie „weiß ja nichts“ und entzieht sich damit je­der Verantwortung und jeden Konflikts. Ihre „was weiß ich“-Strategie tritt mit Regelmäßigkeit dann auf, wenn Frau B. ihre Meinung kundtut. Mit dem vorgeschobenen Eingeständnis der eigenen Beschränktheit kommt sie Einwänden zuvor und demonstriert Bereitschaft zur Einlenkung - zumin­dest verbal -, um jede Auseinandersetzung zu vermeiden.

So fällt auch ihr häufiges „ne“ auf. Dieses »Gesprächswort« tritt an markan­ten Stellen auf, häufig am Satzende, um das Gesagte zu bekräftigen oder, was wesentlich häufiger der Fall ist, als Frage formuliert, um die Zustim­mung der Interviewerin einzufordern. Diese Einschränkungen oder Ab­schwächungen zeigen, daß sie sich inaktiv der Situation fügt. Auch auf mi­krostruktureller Ebene wird hier ihre Konfliktvermeidungsstrategie sicht­bar.

Auch wenn Frau B. immer versucht, nur solche Informationen aufzuneh­men, die in ihr Weltbild passen, kommt gerade sie durch ihre Lebensge­schichte in einen Konflikt. Einerseits kann sie Informationen aus der Presse über Schlepper (vgl. 13/1100) und schlechte Lebensumstände der Asylbe­werberInnen nicht übergehen - ihre eigenen Erinnerungen an ihr Leben als Flüchtling verhindern dies. Andererseits fühlt sie sich vom Bild des Deut­schen, der zuerst im eigenen Land für Wohlstand sorgt und den Rest dann großzügig verteilt, sehr angezogen. Vielleicht hat sie in diesem Punkt aber auch nur aufgegeben und sich angepaßt, wie man es von ihr verlangt hat.

Diese Bindung an zwei sich eigentlich widersprechende Identifikationen, ein Widerspruch, der ihr nicht klar bewußt ist, führt zu einem Konflikt. Hier liegt allerdings wohl kaum eine individuelle »Fehlentwicklung« vor. Mehrere und sich widersprechende Erwartungen können auf gesellschaftli­che Machtkonstellationen verweisen. So ist sich auch Frau B. ihrer benach­teiligten Rolle als arbeitende Frau („da ham wir ja nich viel verdient, ne? Die Frauen die waren ja immer unten.“ 13/536f.) ebenso wie der Doppelbela­stung durch Beruf und Haushalt/Familie (vgl. 13/45f. u. 13/405f.) durchaus bewußt. Frau B. versucht diesen Konflikt durch Verdrängung bestimmter, nicht in ihr Weltbild passender Informationen zu lösen. Sie thematisiert ihre unterschiedlichen Identifikationen nicht und verfügt somit über keine Distanz. Sie begreift Widersprüchliches nicht als widersprüchlich und Zwang nicht als Zwang. Somit kann sie sich einmal mit den Asylbewerbe­rInnen identifizieren, aber auch mit dem Deutschen-Bild, das ihr auch auf­grund ihrer Lesegewohnheiten (BILD-Zeitung, Stadtblättchen) in den Me­dien vorgestellt wird. Ihre Identifikation mit den AsylbewerberInnen wird stets dort brüchig, wo ihr durch die Medien verstärkt »negative« Eigen­schaften, nicht(west)-deutsche Eigenschaften vermittelt werden.

Es wird deutlich, daß Frau B. es trotz ihrer den EinwanderInnen verwand­ten Lebensgeschichte nicht schafft, sich aus dem sie umgebenden Alltags­diskurs zu lösen - daß sie allerdings auch gar keinen Versuch dazu unter­nimmt. Aus ihrem mit viel Freundlichkeit und Zurückhaltung verbundenen und dennoch, wenn auch verdeckt vorhandenen Rassismus entsteht, auch aufgrund ihres Rückzugs ins Private, keine direkte Handlungsbereitschaft gegen EinwanderInnen. Doch trotz ihrer Freundlichkeit und ihres Ver­ständ­nisses für die Situation der EinwanderInnen ist momentan davon aus­zugehen, daß sie weitere Maßnahmen gegen EinwanderInnen und Asylbe­werberInnen letztendlich moralisch unterstützen würde.

 

 

 

3.8         Stefanie Hansen:

              Du sollst nicht rassistisch sein!

                 Analyse eines Interviews mit einem 23-jährigen Studenten der Vermes­sungstechnik[84]

 

1.      Zur Person

         ...aber ich muß ganz ehrlich sagen, ich wüßt auch keine Lösung dafür...“

Der Interviewte, den ich im folgenden »Jörg« nennen werde, ist 23 Jahre alt und Student der Vermessungstechnik. Zusammen mit seinen Eltern lebt er in einer Mietwohnung in einem Stadtteil mit hohem Einwandereranteil (30,15%). »Jörg« genoß eine katholisch-konservative Erziehung, einmal durch seine Eltern, zum anderen besonders durch die Schule, da er ein ka­tholisches Privatgymnasium besuchte.

Nach dem Abitur 1987 leistete »Jörg« seinen Wehrdienst ab und begann an­schließend sein Studium, welches er nun mit Spaß und Ehrgeiz betreibt.

Seine Freizeit verbringt »Jörg« häufig gemeinsam mit Freundinnen und Freunden, treibt Sport, geht ins Kino, trifft sich in Cafés und besucht Disko­theken. Er ist ein geselliger und lebensfroher Typ, der, ständig unterwegs, selten zur Ruhe kommt.

Charakteristisch für »Jörg« ist sein ausgeprägtes Modebewußtsein; seine Vorliebe für teure, hochwertige Kleidung und sein ständig gestyltes Äu­ßeres. So stehen auch während des Interviews Mode und Modegeschäfte oftmals im Mittelpunkt seiner Äußerungen (6/66,80,90,107). Klischeehaft könnte man ihn als Yuppie bezeichnen; der Typ des jungen, dynamischen, angehenden Akademikers, auf Konsum fixiert, stark auf Äußerlichkeiten bedacht und meist um seine eigene Bequemlichkeit bemüht.[85]

Politisch legt »Jörg« sich nicht gerne fest; er tendiert aber zur konservativen Mitte (FDP/ CDU) - hier deutet sich schon eine gewisse Unsicherheit bezüg­lich definitiver Stellungnahmen an.

Im Interview beschäftigt sich »Jörg« immer wieder mit politischen Ereignis­sen, so daß man ihn sicherlich als gesellschaftspolitisch interessierten Men­schen bezeichnen kann. Beispielsweise widmet er sich Themen wie Wieder­vereinigung (6/208ff.), Ost-West-Verhältnis (6/216ff.), Zeit des kalten Krieges (6/230f.), Umweltproblematik (6/233f.) und Schäuble-Attentat (6/240ff.).

»Jörg« liest regelmäßig eine Tageszeitung (NRZ; manchmal Bild), infor­miert sich in Wochenzeitschriften (Der Spiegel) und politischen Fernseh­magazi­nen (Monitor u.a.). Um über das tägliche Weltgeschehen unterrichtet zu sein, hört und sieht er regelmäßig Nachrichtensendungen. Um so verwun­derlicher ist es, daß er 14 Tage vor Ausbruch des Golf-Krieges dieses bri­sante Weltgeschehen völlig außer Acht läßt. Während er über das Ost-West-Verhältnis und die Auflösung von Feindbildern spricht, kommt er sogar zu dem Schluß:

...aber na dieses - äh - kriegerische Problem is ziemlich beseitigt... (6/234f.)

Solche Verdrängungen akuter Probleme lassen Rückschlüsse auf seine ein­geengte Sichtweise zu. »Jörg« beschäftigt sich im Interview vorrangig mit seinem heimatlichen Umfeld und der Innenpolitik Deutschlands. Themen, die außerhalb Europas liegen, finden bei ihm kaum Beachtung.

Glatt wie sein Äußeres sind auch »Jörgs« Meinungsäußerungen. Er ist libe­ral bis konservativ und scheut sich vor allgemeingültigen Aussagen; er be­zieht niemals eindeutige Positionen und hütet sich vor „radikalen“ Stel­lungnahmen, besonders wenn es sich um kritische Fragen oder Problemstel­lungen handelt. Dies ist teilweise auf seine Bequemlichkeit zurückzuführen, aber auch auf die Angst vor Unannehmlichkeiten (möglicherweise anzuek­ken) bzw. vor Auseinandersetzungen, die sein harmonisches Weltbild ins Wanken bringen könnten. Er ist geprägt von einem Drang nach Ausge­gli­chenheit und Verständnis, welches er für alles und jeden aufbringt. So setzt er sich ständig mit kontroversen Positionen auseinander, wägt Vor- und Nachteile gegeneinander ab, will Widersprüchliches auflösen, um allen ge­recht zu werden. Eingebunden in vergebliche Bemühungen dialektischen Denkens, vermag er jedoch die Gegensätze nicht zu überwinden und gelangt zu keinem Lösungsansatz. Seine Bemühungen scheitern bzw. zerfließen letztendlich in Relativierungen und Fatalismus. So zieht er sich oftmals in seine eigene Subjektivität zurück (in 520 Zeilen verwendet er 253 mal die 1. Person Singular), um jederzeit die Möglichkeit zu haben, seine Meinung re­vidieren zu können. Dennoch setzt er sich genau, teilweise analytisch mit seinem Umfeld auseinander. Andererseits fehlt ihm die Weitsicht, vielleicht auch der Mut, globalere Zusammenhänge einzubeziehen (s. Golf-Konflikt).

 

2.      Die Situation in »Jörgs« Wohngegend

         „...die meisten Schichten, die hier wohnen, das sind halt sozial bemin­dert(e)... (6/93f.)“

»Jörgs« Wohngegend ist geprägt von seinen unterschiedlichen Bewohnern. Menschen verschiedenster Nationalitäten und sozialer Schichten leben auf wenigen Quadratkilometern nebeneinander. Eine alte Zechensiedlung geht über in eine Gegend mit Heimen für „Spät­aussiedler“; dazwischen erstrek­ken sich Straßenzüge mit modernen Einfamilienhäusern; daran anschlie­ßend findet man Sozialwohnungsbauten, türkische Viertel und private Mehrfamilienhäuser.

Neben den Eingeborenen machen die türkischen Einwandererfamilien mit 87,5% den größten Anteil an der gesamten Einwandererbevölkerung aus. So findet man außer einer Moschee auch einige türkische Geschäfte und Unternehmen.

Obwohl alles nah beieinander liegt und ineinander übergeht, ist eine klare Trennung von sozialen Schichten und Nationen sichtbar. Selten kommen Kon­takte zustande; so trifft man nur dort aufeinander, wo es zwangsläufig zu Begegnungen kommt. Beispielsweise besuchte »Jörg« eine Grundschule, „die sehr gemischt war mit türkischen Kindern und deutschen Kindern...“ (6/30f.). Dennoch hat »Jörg« weder türkische Freunde/Freundinnen noch Bekannte.

So ist für dieses Viertel kennzeichnend, daß nicht miteinander, sondern ne­beneinander gelebt wird. Da dieser Umstand seit den siebziger Jahren vor­herrscht, ist »Jörg«, wie viele Kinder und Jugendliche mit ihm, dort hinein­gewachsen.[86]

 

3.      »Jörgs« Einstellung zu Einwanderern

         „... was vielleicht ein Problem ist hier, die hohe Ausländerwohnrate in (Stadtteil), was für mich eigentlich nicht so sehr stört...“ (6/18-20)

Eingeleitet habe ich das Interview mit der Frage nach dem Wohlbefinden »Jörgs« in seinem Stadtteil. »Jörg« erörtert die Vor- und Nachteile der Re­gion und konstatiert für sein Wohnumfeld:

...was vielleicht ein Problem ist hier, die hohe Ausländerwohnrate in (Stadtteil), was für mich eigentlich nicht so sehr stört... (6/18-20)

Ohne daß eine derartige Antwort durch die Frage suggeriert worden wäre, geht »Jörg« gleich zu Beginn auf das gemeinsame Leben unterschiedlicher ethnischer Gruppen ein. Zunächst bezeichnet er die Anzahl der eingewan­derten Einwohner als Problem, als schwierige, ungelöste Aufgabe. Direkt im Anschluß daran distanziert er sich wieder von dieser Aussage und betont, daß es ihn eigentlich nicht stört:

...weil ich auch in dieser Gegend aufgewachsen bin, das gar nicht anders kenne - * * - das belastet einen dann eigentlich nicht mehr, ja eigentlich gar nicht mehr so. (6/20-22, Hervorhebung v. S.H.)

»Jörg« ist bemüht, einen vorurteilsfreien Eindruck zu vermitteln, und er will zeigen, wie tolerant er mit diesem „Problem“ umgeht. Doch es gelingt ihm nicht. Durch das Wort „eigentlich“ relativiert er seine positive Stel­lungnahme. Die Verben „belasten“ und „stören“ implizieren negative Emp­findungen.

Obwohl »Jörg« einen toleranten Eindruck erwecken möchte, bleibt sein Un­behagen Einwan­derern gegenüber nicht verborgen. Wenn »Jörg« sagt, „das belastet einen dann eigentlich nicht mehr“, so impliziert dies, daß es ihn be­lasten würde, wäre er nicht seit Jahren daran gewöhnt. Bringt er an­derer­seits zum Ausdruck, daß es ihn „eigentlich nicht so sehr stört“ , meint er damit, daß es ihn stört, jedoch nicht im extremen Maße. Worin Störung und Belastung bestehen, erläutert »Jörg« nicht. Eher unbewußt assoziiert er mit „Ausländern“ eine Art Bürde.

Nach van Dijk handelt es sich bei derartigen Verknüpfungen um feste Schema­ta, z.B. über die Sicht von Einwanderergruppen, welche gelernt und ver­innerlicht werden und blitzschnell im Gedächtnis abrufbar sind.[87]

Auch bei »Jörg« sind solche festen Strukturen Grundlage seiner Aus­sagen; spricht er also von Belastung, ist zu vermuten, daß er sich auf gene­tische und/oder kulturelle Andersartigkeiten bezieht, ohne daß er dies ex­plizit äu­ßert. Durch das alltägliche Zusammentreffen mit Einwanderern nimmt »Jörg« deren Sitten und Gebräuche wahr und empfindet sie mögli­cherweise als bedrohend, zumindest aber als von seinen Normvorstellungen abwei­chend. Hier deuten sich rassistische Denk­strukturen an. Da »Jörg« sich be­müht, einen anti-rassistischen und toleranten Eindruck zu vermit­teln, könnte es sich hierbei um eine verhüllende Strategie handeln. Das entsprä­che somit den Untersuchungsergebnissen van Dijks, daß Rassismus selten offen geäußert wird, rassistische Einstellungen dennoch vorhanden sind (van Dijk 1992b).

M. E. ist »Jörg« sich seiner rassistischen Einstellungen nicht bewußt; an seinem unreflektierten Sprachgebrauch läßt sich dennoch Unbehagen ge­genüber Einwanderern ermitteln. »Jörg« ist folglich in den rassistischen Diskurs eingebunden, was sich auch anhand der folgenden Text­passage ge­nauer nachweisen läßt.

Er betont:

...also ich persön­lich hab noch keine direkten Probleme mit Ausländern ge­habt, weiß ich, von mir aus irgendwelche Auseinandersetzungen, von mir aus Schläge­reien oder sonstwas... (6/25-28)

Erneut will »Jörg« verdeutlichen, wie wenig Probleme für ihn ein Zusam­menleben mit Einwanderern aufwirft. Gleichzeitig assoziiert er aber mit der Vorstellung möglicher Auseinander­setzungen Konflikte gewalttätiger Art. Dieses Klischee, daß „Ausländer“ ständig Schlägereien provozieren, ist of­fenbar als proto­typisches Schema in seinem Kopf abrufbar.

Da „frames“ und „scripts“ im Laufe der Entwicklung erlernt werden und sich verfestigen, wirken vielerlei gesellschaftliche Einflüsse darauf ein. Nach van Dijk wird ein derartiges Denken besonders durch Elitediskurse produziert und verstärkt, nachdrücklich durch den Mediendiskurs, da er eng mit den herrschenden Machtstrukturen verbunden ist ( van Dijk 1992a, S. 10-15).

Wenn »Jörg« also behauptet, daß er Probleme mit „Ausländern“

...auch nie so persönlich erlebt (habe) bei anderen Leuten... (6/32),

sind seine Quellen des Wissens weder eigene Erfahrungen noch Erleb­nisse von Bekannten. Vielmehr handelt es sich hier wohl um Kenntnisse aus dem massenmedialen Diskurs, in dem ständig von Auseinander­setzungen zwi­schen Eingeborenen und Einwanderern berichtet wird. »Jörg« vermag sich diesem Einfluß nicht zu entziehen. Obwohl er ständig bemüht ist, Toleranz zu beweisen, reproduziert er diskriminierende Haltungen und klischeehafte Vorstellungen, die die Medien ihm vermitteln.

So versucht er zu erklären, wie es zu solchen Handgreiflichkeiten kommt:

...es bleibt natür­lich nicht aus, daß wenn türkische Mitbürger in diese Ghettos abgedrängt werden (...), daß das natürlich immer wieder zu Konflikten kommt. (6/33-36)

»Jörg« bezieht Stellung zugunsten der Einwanderer, indem er die Ghetto­bil­dung verurteilt, die er nicht, wie es in vielen anderen Interviews der Fall ist, den Türken selbst zuschreibt. Vielmehr sieht er darin einen passiven Vorgang. Ghetto bezeichnet heute generell einen Ort, in dem Minderheiten in aufgezwungener Segre­gation leben müssen. Viele Eingeborene vertreten die Auffassung, daß Einwanderer sich freiwillig absondern, um ihre eigene Kultur weiterleben zu können, und verurteilen dies. »Jörg« vertritt einen anderen Standpunkt. Einwanderer werden, da sie materiell minderbemit­telt sind,

...weil die Miete dort billig ist, weil sie's sich nicht anders leisten können... (6/35f.),

in bestimmte Viertel abgedrängt. Er verur­teilt nicht die Einwanderer, son­dern die Eingeborenen, die diese Abdrängung vornehmen. Konflikte entste­hen dann,

...wenn deutsche Jugendliche da meinen, 'ne dicke Lippe riskieren zu müssen diesen Leuten gegenüber, weil se meinen, sie wären was Beßres, oder * wie das so geht. (6/38-40)

»Jörg« verurteilt die Eingeborenen, die aufgrund besserer sozialer Stellung Einwanderen gegenüber dominieren wollen. Gleichwohl sieht »Jörg« diese Auseinandersetzung als unausweich­lich an. Seiner Ansicht nach wird es

...natürlich immer wieder zu Konflikten (kommen...) wie das so geht (...) wenn sich das so aufbauscht * *.“ (6/36-42)

Dieses anscheinend immer fort­währende („natürliche“) Problem stellt er eher sachlich dar. Er sieht das Ganze quasi als naturgegeben an und kommt nicht entfernt auf den Gedanken, nach den Ursachen für die Migration, nach politischen Fehlern, stadtplanerischen Irrtümern etc. zu fragen. Inso­fern kann er auch gar nicht in die Nähe irgendwelcher rationaler Lösungs­vorschläge gelangen.[88]

Hier werden abermals negative Vorstellungen deutlich: Einwan­derer sind materiell minderbemittelt. Dabei darf nicht vergessen werden, daß »Jörg« in einem Stadtteil mit hoher Arbeitslosenquote wohnt. Besonders Einwande­rer sind oftmals ohne Anstellung; somit ist seine Darlegung sachlich berech­tigt. Jedoch verallgemeinert »Jörg« seine Aussage, ihm erscheinen alle Ein­wanderer als minderbemittelt.[89]

Dies wird auch an anderer Stelle deutlich. »Jörg« sieht die Geschäfte in sei­nem Stadtteil als antiquiert an:

Weisse, das ist alles so - äh - die Läden hier in (Stadtteil), jetzt eben außer Le­bensmittelgeschäften usw., die haben einfach so'n Stand, der is so * ja anti­quarisch manchmal, die haben also Modegeschäfte da - äh - was heißt Mode­geschäfte, is schon fast übertrieben, die, das sind alles so Läden, die eben auf die Bevölkerung hier mehr oder weniger abgestimmt sind, das sind halt, die meisten Schichten, die hier wohnen, das sind halt sozial bemindert, und die können sich also die Sache nicht leisten, und dann wird halt das Angebot darauf ausgelegt, und - äh - wenn man halt was anderes will oder * vielleicht ma * ne Sache, die man hier nicht überall so kriegt, ja dann keine Chance hier, dann musse wirklich schon weiter fahren. (6/87-98)

Indem »Jörg« konstatiert, daß das Niveau der Geschäfte niedrig ist, bezieht er diese Aussage eigentlich auf alle Einkäufer, also sowohl auf Einwanderer als auch auf Eingeborene. Nach einer Nachfrage meinerseits bestätigt er je­doch, daß er diesen Zustand auf die Einwanderer zurückführt,

...weil mittlerweile gibt's ja wirklich - äh - Einkaufsviertel in (Stadtteil) z.B. - äh - wo da nur noch türkische Geschäfte sind, * und das ist natürlich ganz klar auf die Bevölkerung hier ausgelegt, ich meine, ich finde das nicht schlecht, z.B. geh ich auch gerne bei türkischen Geschäften einkaufen, weiß ich, türkische Spezialitäten... (6/101-106)

Ähnlich wie zu Beginn des Interviews will »Jörg« eine positive Aussage tref­fen, doch werden dabei auch seine negativen Einstellungen sichtbar. Wäh­rend »Jörg« das niedrige Niveau der Geschäfte in Bezug zu den türkischen Einwohnern setzt, bemerkt er selbst die Diskriminierung, und er relativiert die Erklärung durch seinen Hinweis auf seine Vorliebe für türkische Spe­zia­litäten. »Jörg« ist Taktiker. Er zügelt sich und balanciert seine negative Aussage durch eine klischeehafte Positivaussage aus. Dennoch bleiben seine Gefühle des Unbehagens nicht verborgen. Möglicherweise sieht er anhand der Geschäftswelt in seinem Stadtteil die Gefahr der Überfremdung; derar­tig explizit fremdenfeindliche Aussagen brächte »Jörg« jedoch niemals zum Ausdruck. Um von dieser latent empfundenen Bedrohung abzulenken, will er nun die Vorteile einer multikulturellen Geschäftswelt darstellen, welche er im Angebot fremdländischer Spezialitäten sieht. Lediglich diese kulinari­schen Genüsse empfindet »Jörg« als begrüßenswert. Damit vertritt er eine proto­typisch deutsche Aktzeptierung, die sich meist auf Eßgewohnheiten anderer Kulturen beschränkt.[90]

Nachdem »Jörg« die Vor- und Nachteile ausbalanciert hat, gelangt er zu der Schlußfolgerung:

Aber ich meine, das muß ja nicht , ich seh das nicht unbe­dingt als schlecht an... (6/111f., Hervorhebung v. S.H.),

eine Aussage, die für seine Relativierungstechniken überaus charakteri­stisch ist.

 

3.1    Stellungnahme zum Asylrecht

         „... das is, glaub ich, eins der größten Probleme hier, so der Innenpoli­tik in Deutschland ... (6/395f.)“

Mit diesem Zitat leitet »Jörg« seine zentralen Aussagen zum Thema Asyl­recht ein und gibt gleich zu bedenken:

...weil * ja man, man kann nicht alle Asylanten über einen Kamm scheren, es gibt sicherlich Leute, die wirklich Gründe haben, hier in die Bundes­republik zu kommen, ob sie nun politisch verfolgt sind oder nicht, aber das Problem ist einfach, da sind dann aber auch, weiß ich, vielleicht 40 % Mitläufer, die ein­fach irgendwelche politischen Verfolgungen angeben... (6/396-402)

»Jörg« assoziiert Asylrecht sogleich mit Asylmißbrauch. Zwar gibt er zu be­denken, daß man dies nicht verallgemeinern kann, unterstellt jene „illegale Tat“ aber immerhin „vielleicht“ 40 Prozent. Erneut wird deutlich, wie sehr »Jörgs« Denken dem dominanten Mediendiskurs entspricht, da seine Aus­sage auf standardisierten Argumentationen beruht, die vielfach vom Elite­diskurs vertreten und verbreitet werden. Sein Denken wird derartig gegän­gelt, daß er beispielsweise gar nicht darüber nachdenkt, wie wichtig es ist, Flüchtlingen Asyl zu gewähren, diesen Menschen in ihrer Not zu helfen. Vielmehr hat er „Vielleicht- Zahlen“ griffbereit, um zu beweisen, wie groß das innenpolitische Problem ist.

»Jörg« stellt damit jedoch keinesfalls das Asylrecht in Frage:

...man kann nicht einfach sagen, wir nehmen die Leute alle nicht auf... (6/404f.).

Ihm ist bewußt, daß viele Menschen in anderen Ländern leiden und daß es somit „natürlich klar“ ist,

...daß die Leute hier rüberkommen, sich hier den Himmel erhoffen... (6/411f., Hervorhebung v. S.H.)

Dennoch bezichtigt er nahezu jeden zweiten Asylsuchenden des Gesetzes­mißbrauchs, was er in eine Ja-aber-Konstruktion („es gibt sicherlich (...) aber das Problem ist...“) einbindet. Durch die anfänglich positive Selbstdar­stellung, indem er Verständnis und Toleranz beweist, nimmt er dem an­schließenden, eigentlichen Problem die Schärfe. Dieses Problem sieht er in den Mitläufern, die nur den Anschein erwecken wollen, sie seien Flücht­linge; also Trittbrettfahrer, die ihnen nicht zustehende Hilfe und Vorteile genießen wollen. »Jörg« bringt zwar Verständnis für sogenannte „Scheinasylanten“ auf, denn:

...o.k., das Leben ist (hier) wahrscheinlich wirklich tausendmal besser als in Ungarn oder sonstwo... (6/402-404)

Jedoch kommt es aufgrund dieser vielen Mitläufer

...natürlich hier zu Problemen (...), also Wohnungsnot usw. usw... (6/413)

Der gesamte Abschnitt ist von einer starken Innen-Außen-Symbolik durch­zogen. Siebenmal wird das 'hier' zur Kennzeichnung der BRD benutzt, ge­koppelt mit dem Verb 'kommen'. Damit wird eine Fortbewegung aus ande­ren Bereichen in Richtung 'deutsches Haus' beschrieben. Letzteres steht 'hier', während die Asylsuchenden drüben sind und nun 'rüberkommen'. Möglicherweise lassen sich an dieser Innen-Außen-Symbolik Bedrohungsge­fühle festmachen; die Angst vor „Überflutung“, nach dem Motto: Es kom­men zu Viele.

So zeigt »Jörg« durchaus Verständnis für die Eingeborenen, „die auf die Barrikaden gehn“ (6/414f.), wenn Häuser extra für Flüchtlinge gebaut wer­den. Hier berichtet er erstmalig aus eigener Erfahrung, da in seiner unmit­telbaren Nachbarschaft ein sog. „Asylantenheim“ entsteht:

...ne Familie aus unserem Haus hat sich dann erkundigt - äh - was die Mieten kosten (...) und da hieß es (...) das Haus wird nur für Asylanten gebaut, also nur für Asylantenfamilien, die dürften da wohnen. (6/416-421)

Mit dieser Schilderung versucht »Jörg« seine negative Haltung „Schein­asylanten“ gegenüber zu rechtfertigen, indem er sich hinter der Meinung der Gesellschaft versteckt:

...man sagt halt, ich bin ein Deutscher, ich bin hier in Deutschland, wieso krieg ich keine Wohnung, und da wird ein Haus gebaut - äh - für Asylleute... (6/423-425).

Er verdeutlicht, daß Eingeborene aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Nation meinen, ein verstärktes Anrecht auf Wohnraum zu haben. Die Tole­ranz Einwanderern gegenüber reicht also höchstens bis zu der Stelle, an der die eigenen Privilegien tangiert werden. Gleichbehandlungen der Minder­heit werden nicht akzeptiert und als ungerecht empfunden. »Jörg« distan­ziert sich zwar von solchen Aussagen und sagt, daß „die Leute“ derartige, wie er meint, Bevorzugungen nicht verstehen, er das aber wiederum akzep­tieren kann.

»Jörg« bedient sich hier einer Leugnungsstrategie: Er streitet jeglichen Ras­sismus seinerseits ab und zeigt mit dem Finger auf „andere“. Van Dijk be­zeichnet derartige Leugnungen als eine Form des „modernen“ Rassismus von Mittelklassen-Eliten, zu denen »Jörg« als angehender Akademiker ge­zählt werden kann, welche sich selbst als höchst tolerant und pluralistisch ansehen (van Dijk 1992a, S. 12). Intoleranz und besonders Rassismus, sind mit ihrem Selbstbild nicht zu vereinbaren. Daher sind Verleugnungen, Be­teuerungen, tolerant zu sein, und Verdrehungen wesentlich dafür, dieses positive Weltbild zu bewahren (van Dijk 1992a, S. 12).

»Jörg« stellt sich selbst über Teile der Gesellschaft, maßt sich einen besse­ren Überblick und mehr Verständnis an, was den anderen wegen ihres „begrenzten Horizonts“ nicht möglich ist (“das verstehen die nicht“ 6/425). Souverän erkennt er, daß sowas „natürlich auch wieder zu Rassenhaß[91] und Problemen“ (6/426f.) führt. »Jörg« weiß, daß Neid und Mißgunst zu Rassis­mus führen, verkennt jedoch, daß dieser schon viel früher beginnt. Seine Überlegungen beweisen, daß er sich selbst Einwanderern gegenüber für einen großzügigen und toleranten Menschen hält und sich seiner latent rassistischen Denkstrukturen nicht bewußt ist. Jedoch weiß »Jörg« von der Spreng­kraft des Themas, was seine ständige Vorsicht und Behutsam­keit erklärt.

Er vermeidet es, eindeutig Stellung zu beziehen, was anhand der häufigen Relativierungen im Stil des „dialektischen Besinnungsaufsatzes“ zu ersehen ist. Kaum eine Behauptung wird ohne „vielleicht“, „eventuell“ oder „ziemlich“[92] aufgestellt. Darüberhinaus versteckt er sich hinter seiner ei­ge­nen Meinung. Permanent benutzt er die 1. Person Singular, verbunden mit Verben wie „denken“, „finden“ und „meinen“[93]. Derartige Formulie­rungen dienen ihm als Schutzschild. »Jörg« scheut präzise Aussagen und lo­gische Schlußfolgerungen und versucht, sich unangreifbar zu machen. Sein Den­ken und Argumentieren ist von pseudo-dialektischen Strukturen ge­prägt. Das wird im weiteren Verlauf des Interviews noch deutlicher.

Nachdem er zuvor Verständnis für die Eingeborenenseite gezeigt hat, findet nun ein Perspektivenwechsel statt. Er wendet sich den Einwanderern zu und bezieht sich auf ihre Probleme. Er bedauert, daß sie nur hin- und her­geschoben werden, „keiner will se haben“ (6/428). Diesen Mißstand begrün­det er mit der Anzahl:

...vor allem, es werden immer mehr, immer mehr - äh - * *... (6/428f.)

Diese Formulierung läßt wegen der Wieder­holung des „immer mehr“ ver­muten, daß auch »Jörg« sich dadurch bedroht fühlt. Es wird ein Bild einer unüberschaubaren Masse projiziert, die unaufhaltsam einströmt. Man ver­liert den Überblick und die Kontrolle; ein Konflikt scheint zwangsläufig. Obwohl »Jörg« sich abermals hinter der Meinung der Gesell­schaft versteckt, verspürt offenbar auch er diese Bedrohung. »Jörg« resümiert daraus:

...aber ich muß ganz ehrlich sagen, ich wüßt auch keine Lösung dafür, ne... (6/429f.)

Diese Aussage bildet die Schlüsselstelle für »Jörgs« gesamtes Verhal­ten und Denken. Er erkennt die Problematik, versucht sie zu analysieren, bemüht sich, sich in beide Seiten hineinzu­versetzen - und resigniert letztendlich. Mit einer Art Schulterzucken gesteht er, daß er nicht weiter weiß. Er macht einen verzweifelten Eindruck, denn er ringt mit sich und den Problemen und findet doch keine Lösung. Diese ließe sich natürlich auch nicht ganz so einfach präsentieren, überdenkt man die gesamte „Problematik“ und will man allen gerecht werden. Dennoch konsta­tiert »Jörg« viel zu sehr, als daß er beispielsweise kritisiert und an den Problemen weiter­arbeitet, sie zu lö­sen versuchte. So ist er in den rassistischen Diskurs verstrickt, ohne es selbst zu bemerken, immer noch in dem Bemühen verfangen, nicht rassi­stisch zu wirken.

Unverzagt versetzt »Jörg« sich wieder in die Lage der „Asylanten“ und be­klagt den Zustand des menschenverachtenden Umgangs mit ihnen. Er be­dauert die Gegebenheiten, doch seine Gedanken enden abermals fatali­stisch:

...man sieht ja Asylanträge, die laufen über Jahre, und man kommt zu keiner Einigung, ja und dann irgendwann wird wieder die Hälfte abgeschoben, dann ist wieder dieser Empörungsschrei, und dann kommen se ja doch wieder. (6/432-435)

Unausweichlich scheint ihm dieser Kreislauf, den er sachlich, fast gefühllos, routiniert, darstellt. »Jörg« findet im folgenden alles „ziemlich unverant­wortlich“ - Verschiebung in die DDR - und „ziemlich traurig“ - wenn Asylan­ten durch die sozialen Maschen fallen. Seine permanenten Relativierungen wirken in zunehmendem Maße ignorant. Ihm fehlt der Mut, eindeutig Stel­lung zu be­ziehen und auszudrücken, was ihm mißfällt.

 

3.2    Aussagen zum Ausländerwahlrecht

         „... also grundsätzlich alle Ausländer, daß die wählen dürften, find ich also nicht so gut...“ (6/456f.)

Scheute sich »Jörg« bisher, Ansichten zu äußern, so trifft er hier zum ersten Mal eine explizit diskriminierende Aussage. Zögernd beginnt er mit einer Relativierung: „...also es kommt ganz drauf an, also...“ (6/454).

In seinen Überlegungen, wie man das „Problem“ angehen könnte, wendet er sich dann gegen ein allgemeines Ausländerwahlrecht, wenn auch zurück­haltend und vorsichtig:

...das müßte man dann auch wieder so machen, daß eben, - also grundsätzlich alle Ausländer, daß die wählen dürften, find ich also nicht so gut, man müßte einfach - ähm - auch so'ne Grenze einführen... (6/455-458)

»Jörg« will Einwanderern nach bestimmten Kriterien wie Aufenthaltsdauer, Arbeitsplatz und Verbundenheit mit Deutschland ein Wahlrecht zugeste­hen. Sind diese Gesichtspunkte nicht erfüllt, sieht er die Gefahr der Mani­pulation der Einwanderer, weil man doch erst nach (vielen) Jahren „das Ganze vielleicht besser (kennt).“ (6/472) Einige Zeilen später zieht er das Resümee:

...also Ausländerwahlrecht ja, aber eben müßte unterschieden werden, wie lange die Leute hier sind usw... (6/472-474)

Gleichzeitig gibt er zu bedenken, daß das „natürlich auch schwer“ ist, „da irgendwo Grenzen zu ziehen“. (6/477f.)

So ist festzuhalten, daß »Jörg« „ja“ sagt zum Ausländerwahlrecht, jedoch seine Bedingungen stellt. Mit dieser typischen Ja-Aber-Struktur findet zunächst eine positive Selbstdarstellung statt, da »Jörg« einen nachsichti­gen Eindruck vermittelt. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß er Einwanderer in manipulierbare und weniger manipulierbare Men­schen unterteilt. Indirekt fordert »Jörg« damit eine Assimilation der Ein­wanderer, denn erst wenn sie sich angepaßt haben, ist die Gefahr der ge­zielten Beeinflussung gebannt, bzw. nicht größer als bei Eingeborenen.

Der letzte Abschnitt dieser Textpassage macht daneben deutlich, daß »Jörg« auslän­disch mit türkisch gleichsetzt. Er stellt hypothe­tische Überlegungen an, welche Auswirkungen ein Ausländer­wahlrecht auf seinen Stadtteil hätte. Daraufhin gibt er zu verstehen:

...also ich kenn mich z.B. in türkischer Politik nich aus, ich kenn also keinerlei türkische Parteien... (6/482-484)

Da »Jörg« täglich mit Türken zusam­mentrifft, überträgt er sämtliche „Probleme“ mit Einwan­derern auf Angehörige dieser Nation. „Schon bei der bloßen Verwendung einer Nationalitätenbezeichnung tauchen Bilder auf, die wir meistens nicht einmal mehr kontrollieren und auch nicht mehr kon­trollieren können.“[94] Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß »Jörg« niemals das Substantiv „Türke“ benutzt. Auch die adjektivische Nationali­täten­bezeichnung verwendet er nur sechs mal. Ansonsten umgeht er die di­rekte Anrede und spricht permanent von „den Leuten“, ob sie nun Türken, Ungarn oder Ostdeutsche sind. Das unterstützt die Behauptung, daß »Jörg« extrem behutsam mit der Thematik umgeht, eine Diskriminierung anhand eines Namens vermeiden will, denn beispielsweise halten mittlerweile viele Eingeborene allein die Bezeichnung „Türke“ für ein Schimpfwort.[95] Mögli­cherweise meidet »Jörg« das Wort aus diesem Grund.

 

3.3    Ansichten zur Vereinigung Deutschlands

         „...natürlich ist das Ereignis für die Leute drüben wesentlich tragen­der als für uns, denn wir leben hier schon ewig ganz gut, und wir müssen jetzt nicht dahin, sondern die Leute wollen ja hierhin kom­men...“ (6/212-215)

»Jörgs« Aussagen zum Thema Vereinigung sind ausgereifter als seine son­stigen Stellungnahmen. Hier vertritt er seinen Standpunkt wesentlich kon­sequenter, als es sonst der Fall ist. So liegt die Vermutung nahe, daß er sich mit diesem Ereignis schon intensiver auseinandergesetzt hat. Explizit sagt er:

...ich seh die Wiedervereinigung auch ziemlich positiv... (6/262)

Zwar kommt es auch hier zur Relativierung durch das „ziemlich“, jedoch der implizierte negative Beigeschmack entsteht durch den „ganzen Trara, der jetzt natürlich aufkommt“ (6/263 u. 290f.), der »Jörg« „ziemlich traurig“ (6/266f. u. 291) stimmt. Er verurteilt diejenigen, die kein Verständnis für die Erwartungen der Ostdeutschen - Angleichung an den west­deutschen Standard - haben. »Jörg« wirbt in dieser Text­passage regelrecht um Sympa­thie für die Menschen im östli­chen Teil Deutschlands, die jahrelang in ei­nem System gelebt haben,

...was total verrodelt und veraltet war, und die sind ja wirklich für die Dum­men da gehalten worden... (6/260f.)

»Jörgs« sonstige Vorsicht ist von ihm abgefallen. Dafür läßt sich hier aber nun der Einfluß des Elitediskurses verstärkt nachweisen.

»Jörgs« Argumentation basiert nicht auf eigenen Erfahrungen, da er bisher weder in Ostdeutsch­land war, noch sich mit Übersiedlern unterhalten hat.[96] Er muß somit sein Wissen aus dem massen­medialen Diskurs bezie­hen, wo während dieser Zeit verstärkt für eine bessere Verständigung zwi­schen Ost und West geworben wurde. Doch so nah, wie »Jörg« vielleicht selbst meint, steht er den Ostdeutschen nicht, denn es fällt auf, daß er sich weiterhin einer eindeutigen Innen-Außen-Symbolik bedient. So meint er, daß

...das Ereignis für die Leute drüben wesentlich tragender (ist) als für uns, weil wir leben hier schon ewig ganz gut, und wir müssen jetzt nicht dahin, sondern die Leute wollen ja hierhin kommen... (6/212-215, Hervorhebung v. S.H.)

Westdeutschland wird als ein Haus des Wohlstands gesehen. Die Ostdeut­schen befinden sich außerhalb dieses Gebäudes, möchten aber eintreten, um am Wohlstand teil­zuhaben. Einige Seiten später tritt diese Symbolik erneut auf. Außerhalb des Hauses ist es

...wirklich, als wenn die Zeit drüben dreißig Jahre stehn geblieben wär... (6/287f.), ...die (Ostdeutschen) treten auf einmal hier rein und sehen 'ne ganz andere Welt, ne... (6/285f., Hervorhebung v. S.H.)

Es folgt eine Perspektivübernahme, indem »Jörg« die Reaktionen der ande­ren „Hausbewohner“ auf diesen unerwarteten Besuch aufzeigt. Er imitiert ihre Aussagen:

...- äh - die sollen doch erstmal selber ein bißchen arbeiten und sich hier nicht ins gemachte Nest setzen * ... (6/292f.)

Gerade die Innen-Außen-Symbolik ist im Zuge der Vereinigung über den Mediendiskurs in den Interdiskurs eingegangen, was sich anhand von »Jörgs« Darstellungs­weise belegen läßt. Es wird deutlich, daß »Jörg« mehr „gesprochen wird, als daß er selbst spricht“. Andererseits kann man anhand der Verwendung dieser Symbolik erkennen, daß für »Jörg« eine wirkliche Vereini­gung noch in weiter Ferne ist, denn, wie eben aufgewiesen, zeigt »Jörgs« Sprachgebrauch eine offensichtliche Trennung zwischen Innen und Außen, West und Ost. Konsequenterweise benutzt er auch immer noch die Bezeichnung „DDR“, egal ob er das Land vor oder nach der Vereinigung meint. Dies ist wohl auch darin begründet, daß »Jörg« die DDR früher als „Ausland“ angesehen hat:

...für mich war DDR immer ein völlig anderes Land, ich weiß nicht, wie - Österreich oder Holland einfach nicht Deutschland war, war die DDR auch nie Deutschland für mich... (6/271-274)

Dadurch wird die gravierende Trennung, die in seiner Vorstellung noch herrscht, deutlich:

...wobei ich also für mich sagen muß, daß sich für mich also nichts geändert hat, also ich hab davon eigentlich gar nichts gemerkt, so daß die Mauer gefal­len ist * ähm * ... (6/209-212)

Interessant ist die vorgestanzte Sprache, derer »Jörg« sich hier bedient. Ei­nerseits verweist dies auf einen ausgeprägten Medieneinfluß, andererseits jedoch auch auf eine unzureichende inhaltliche Auseinandersetzung mit der Vereinigung. Beides zeigt sich auch an anderen Stellen deutlich. In 15 Zei­len (6/281-295) häufen sich 11 Rede­wendungen, so z.B. „als wenn die Zeit drüben dreißig Jahre stehen geblieben wär“ (6/287f.), „und sehen 'ne ganz andere Welt“ (6/286), „es geht halt Peng auf einmal“ (6/283), „ wie bei uns früher nach'em Krieg (6/283f.), „so Stückchen für Stückchen“ (6/284). Das Ganze endet mit einer Redewendung, die ein Kollektivsymbol enthält: „sich hier nicht ins gemachte Nest setzen“ (6/293). Diese Symbolik kommt aus dem Bereich der Tierwelt und spielt auf den Kuckuck an, der seine Eier in fremden Nestern ablegt und damit zu den Brutschmarotzern gehört. Be­zieht man dieses Sinnbild nun auf die Ostdeutschen, so bezeichnet »Jörg« damit die Ex-DDRler als Schmarotzer, die von der Arbeit anderer profitie­ren wollen. Sie beabsichtigen also, die Vorteile des Westens zu genießen, ohne bisher selbst etwas dafür geleistet zu haben. Der Sozialneid, der aus diesen Worten spricht, ist kenn­zeichnend für das Verhältnis zwischen vielen West- und Ostdeutschen generell. Derartige Konfrontationen gingen wochenlang durch die Presse. An jeder Ecke, an jedem Stamm­tisch konnte man solche Gespräche verfolgen, so daß auch »Jörg« seine Ansichten und Stellungnahmen daraus entnommen haben wird. Zu beachten ist dabei, daß er nicht offen diese Meinung vertritt, sondern sich dabei auf die Aussagen vieler Westdeutscher beruft.

 

4.      „Du sollst nicht rassistisch sein“

Diese Analyse soll »Jörg« nicht als „guten“ oder „bösen“ Menschen, als „Fremdenfreund“ oder „Fremdenfeind“ klassifizieren. Vielmehr bleibt fest­zustellen, daß der Interviewte sehr wohl in den rassistischen Diskurs einge­bunden ist, jedoch zu keiner Zeit eine „Rasse“ konstruiert[97] oder gar gene­ti­sche und/oder kulturelle Andersartigkeiten explizit hervorhebt. Dennoch lassen sich anhand rassistischer Haltungen und Denkformen und der typi­schen Verleugnungsstrategien rassistisch gefärbte Diskurselemente nach­weisen.

»Jörg« bildet Klassen von Menschen unterschiedlichsten Wertes. Besonders Einwanderer werden seinen hohen, meist materiellen Ansprüchen nicht ge­recht. Solche Zuweisungen begründet »Jörg« nicht mit der Zugehörigkeit zu einer anderen Ethnie, sondern vermittelt über den angeblich niedrigeren Lebensstandard der Einwanderer. So vermischt sich hier Rassismus mit ei­ner Art von Klassismus. »Jörg« erkennt zwar, daß „Armut“ nicht unbedingt Selbstverschulden der Migranten ist, doch vermag er diesen Widerspruch in seinem Denken nicht zu überwinden. So bemerkt er auch nicht seine Ein­bindung in den rassistischen Diskurs. Durch seine ständige Vorsicht und die Verbeugung vor der sozialen Norm: „Du sollst nicht rassistisch sein“, will »Jörg« vermeiden, als intolerant oder gar radikal angesehen zu wer­den.[98]

Die Einbindung in den rassistischen Diskurs geht einher mit der Einbin­dung in die gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsstrukturen. (Kalpaka/ Räthzel 1990, S. 18ff.) So wird »Jörg« stark durch den Elitediskurs (Erziehung/ Medien) beeinflußt. Er legt sich quasi selbst ein Denkverbot auf und schwimmt aalglatt im Strom des Rassismus mit.

 

 

 

3.9         Anja Sklorz:

              „Bin kein Professor, bin nur Dreher“

                 Analyse eines Interviews mit einem 60-jährigen Rentner, ehemals Dreher, und seiner 58-jährigen Frau, von Beruf Fleischereifach­verkäuferin[99]

 

1.      Das Ehepaar Klein

Zum Zeitpunkt des Interviews waren mir Herr und Frau Klein kaum be­kannt. Ich war erst vor kurzem in dieses alte Zechenhaus eingezogen und hielt meine neuen Nachbarn aufgrund ihrer Offenheit für geeignete Ge­sprächspartner. Frau Klein ist 58 Jahre alt und arbeitet zwei halbe Tage in einer Metzgerei als Fleischereifachverkäuferin. Durch ihren Beruf hat sie stän­dig Kontakt mit Menschen. Sie ist sehr offen, liebt das kleine Gespräch im Treppenhaus oder an der Straßenecke, hat immer eine kleine Geschichte zu erzählen und wartet mit brennender Neugier auf das, was ihr Gegenüber zu berichten hat.

Herr Klein  ist 60 Jahre alt und pensionierter Dreher. Seine freie Zeit lang­weilt ihn, darum pflegt er den Garten des Hauses, verwendet viel Zeit für die Erziehung seines Hundes und pflegt regen Kontakt mit seinen Nach­barn. Sowohl Herr als auch Frau Klein bevorzugen politisch die SPD und lesen täglich die NRZ. Herr Klein liest gelegentlich den SPIEGEL. Der Le­bensstandard des Ehepaars ist nicht sehr hoch. Ihre Dachgeschoßwohnung ist klein und einfach eingerichtet. Geld war nie besonders viel da. Urlaub wurde meistens innerhalb der deutschen Grenzen gemacht, wenn über­haupt. Der Freundeskreis besteht zum größten Teil aus Handwerkern und Zechenarbeitern. Sowohl Herr als auch Frau Klein identifizieren sich mit dem „kleinen Mann auf der Straße“, d.h. sie ordnen sich selbst den unteren sozialen Schichten zu: „bin kein Professor, bin nur Dreher“ (21/640). Diese Zuordnung erfolgt auf der einen Seite mit einem gewissen Stolz, ist aber auf der anderen Seite, besonders bei Herrn Klein, begleitet von sozialer und ökonomischer Unzufriedenheit. Wie eng diese Ansätze von Klassenbewußt­sein mit der Einstellung gegenüber Einwanderern verbunden sind, wird sich im Verlaufe dieser Analyse zeigen.

 

2.      Die latente Bereitschaft zur Gewalt

         „und wenn da einer käme, dann auf'n Kopf“

In unserem ca. 45 Minuten dauernden Gespräch beschäftigen sich Herr und Frau Klein fast ausschließlich mit dem Thema Einwanderer. Indem Herr und Frau Klein verschiedenen Einwanderungsgruppen »abweichende« kul­turelle Eigen­schaften zuordnen und diese negativ bewerten, werden diese Gruppen aus­gegrenzt und somit der eigenen Gemeinschaft konträr gegen­übergestellt. Auf diese Weise wird die eigene Identitätsgemeinschaft, die für Herrn und Frau Klein die deutsche Gesellschaft, insbesondere die Arbeiter­klasse dar­stellt, positiv definiert. Aus diesem Grunde möchte ich die nega­tive Einstel­lung Herrn und Frau Kleins gegenüber Einwanderern als kul­turellen Ras­sismus bezeichnen, dessen fatale Folgen sich bereits zu Beginn unseres Ge­sprächs zeigen. Auf meine Frage, ob Herr Klein schon einmal negative Er­fahrungen in seiner Nachbarschaft gemacht habe, antwortet er mir[100]:

Es könnte eventuell kommen, wenn die Zigeuner hier ** überhand nehmen.

Sind denn hier in der Nähe viele?

Ja, selbstverständlich, Wilhelmstraße[101].

Was ist denn da, ein Lager oder so 'was?

Ja. Das sind -äh- ** wie heißen die, Sintis oder Romas, ne.

Ich glaub doch.

Ja. * Die hab'n allerdings noch keinen Ärger gemacht, aber - man weiß ja nit, wat kommt, ne.

Was ist das denn, -ähm- wofür ist das Lager denn jetzt eingerichtet, weiß ich jetzt auch gar nicht.

Das ist -äh- von der Stadt eingerichtet. Als -äh- Übergangslösung. Dat war ne alte, wat denn, Büro, moment ** da war ne Firma drin und die äh- is wohl Pleite gegangn. So mit den Jahren. Und diese Büroräume ** der Komplex, der wurde zweckent- wat heißt, nix mehr. Jedenfalls für diese - äh, äh, Zigeuner ausgelegt, ne. (21/49-64)

Herr Klein fühlt sich bedroht. Er hat Angst, daß die „Zigeuner überhand nehmen“, Angst, daß sie „Ärger machen“. Seinen Unwillen über das Flücht­lingsheim bringt er dadurch zum Ausdruck, daß er die Nutzung der alten Büroräume als Zweckentfremdung bezeichnet. Herr Klein ist sich allerdings dessen bewußt, daß er durch seine ablehnende Haltung gegenüber Flücht­lingen eine soziale  Norm verletzt, daß die Nutzung der alten Büroräume trotz ihrer „Zweckentfremdung“ sinnvoll für die Unterbringung notleiden­der Menschen genutzt werden kann und somit der Begriff der „Zweckent­fremdung“ an dieser Stelle völlig deplaziert ist. Anpassungsbe­reitschaft und die daraus resultierende Angst vor negativer Beurteilung seiner Person führen zur Selbstzensur: „Zweckent- wat heißt nix mehr“(21/64).

Auf meine direkt anschließende Frage, ob er denn Schwierigkeiten wegen des Flüchtlingsheims erwartet antwortet er:

Man weiß et ja nich, ne. Ich mein ja nich , ne. Dat sind ja Menschen, wie wir, und * wenn da einer käme, dann (imitiert die Bewegung einer Ohrfeige). Dann hat sich dat.

Wie meinen Se das denn?

Auf'n Kopf.

Auf'n Kopf?

Nich' reinschreiben. ** Ansonsten hab'n wir - äh - ich weiß jetzt nicht genau, wann dat eingerichtet wurde, da. Dat heißt ja Asyl-, Asyl- äh - wie heißt dat?

Frau Klein: Asylantenheim, ne?  (21/68-77)

Was sich hier in erschreckender Weise zeigt, ist Herrn Kleins latente Be­reitschaft zur Gewalt gegen Einwanderer. Zunächst ist er noch bemüht, seine zuvor gemachte Aussage über das Flüchtlingsheim durch die Relati­vierung „dat sind ja Menschen wie wir“ zu entkräften, kann aber nach einer kurzen Pause seine Aggression gegen Einwanderer nicht länger unterdrük­ken und setzt diese durch seine spontane Äußerung „wenn da einer käme, dann...“ in Kombination mit der Geste einer Ohrfeige frei. Die Tatsache, daß Herr Klein seine Aggressionen nicht verbalisieren kann, sie durch Körper­sprache ersetzt, geben Aufschluß über ihre Intensität. Herr Klein realisiert sehr schnell, daß sowohl seine Worte als auch seine Gestik eindeutiger Aus­druck seiner tatsächlichen Einstellung gegenüber Einwanderern ist[102], aber er weiß auch, daß Ausländerfeindlichkeit eine soziale Norm bricht. Aus die­sem Grunde bittet er mich geradezu ängstlich: „nicht reinschreiben“ und versucht anschließend von dem Gesagten abzulenken. Er fragt seine Frau, wie das Flüchtlingsheim genannt wird, wie mir scheint, in der Hoffnung, daß sie nun das Gespräch übernimmt und ihn aus seiner bloßgestellten Po­sition befreit. Frau Klein geht nicht auf diesen Versuch ein, antwortet nur kurz: „Asylantenheim, ne?“ (21/77)

Es stellt sich hier nun die Frage, warum Frau Klein die Aussage (und Ge­stik) ihres Mannes nicht kommentiert. Obwohl sie seine Frage aufnimmt, bezieht sie sich in keiner Weise auf das zuvor Gesagte (und „Nicht-Ge­sagte“). Findet Herrn Kleins Handlungsbereitschaft gegen »Ausländer« ihre Zustimmung, oder lehnt sie diese ab? Ohne das Schweigen Frau Kleins überinterpretieren zu wollen, erscheint es mir weniger Ablehnung auszu­drücken, als vielmehr die Angst, zu diesem Thema eindeutig Stellung zu be­ziehen.

Doch was passiert nun, nach Herrn Kleins mißlungenem Versuch, seiner Frau das Gespräch zu übergeben? Herr Klein versucht im folgenden, seine Aggressionen gegenüber Einwanderern zu rechtfertigen, um sich so einer Verurteilung als „Ausländerfeind“ zu entziehen.

 

3.      Phantasien von ökonomischer und krimineller Bedrohung durch Einwanderer als Legitimation für Gewalt

         „aber wenn die jetzt meinen, die müßten abschöppen“

Herr Klein sieht sich nun in der Position, seine latente Gewaltbereitschaft gegenüber Einwanderern begründen und legitimieren zu müssen:

Die fordern hier ihre Rechte, steht in jeder Zeitung - und die soll'n abgescho­ben werden, steht auch da drin - nä, ich meine Menschen sind Menschen. Nur wenn se uns auf'n Wecker fallen, dann allerdings iss dat schlecht, ne. - Denn ich würde mal sagen, wir hab'n so mit unserer Arbeit unser'n bescheidenen Wohlstand erworben.

Mhm. 

Iss nicht viel - klein. Aber wenn die jetzt meinen, die müßten -äh, äh - abschöp­pen, abschöpfen - wat iss dat? (zu seiner Frau)

Falsch! (21/78-86)

Die Aussage Herrn Kleins ist in vielerlei Hinsicht aufschlußreich. Zunächst charakterisiert er Einwanderer als ökonomische Bedrohung, denn sie wol­len „abschöppen“, d.h. ohne Gegenleistung von dem Wohlstand anderer profitieren. Wessen Wohlstand ist gemeint? Eindeutig der Wohlstand des Normalbürgers, des „kleinen Mannes“, dessen Wohlstand nur „bescheiden“, ja „klein“ ist. Obwohl Herr Klein seine persönlichen Ängste vor ökonomi­scher Ausbeutung durch Flüchtlinge zum Ausdruck bringt, argumentiert er aus der Position eines Kollektivs heraus („Wenn se uns auf'n Wecker fallen, wir haben so mit unserer Arbeit, unsern bescheidenen Wohlstand erwor­ben“).

Indem Herr Klein nicht aus seiner eigenen Position, sondern aus der Posi­tion all derer, die mit ihm gesellschaftlich auf einer Stufe stehen, argumen­tiert, verleiht er seiner Aussage größere Legitimation. Unterstützt wird die­ser Legitimationsversuch durch den Verweis auf „jede Zeitung“, die eben­falls auf­grund ungerechtfertigter Forderungen der Flüchtlinge von deren Abschie­bung berichtet. Obwohl Herr Klein aufgrund seiner persönlichen so­zio-öko­nomischen Situation die vermeintliche Vielzahl[103] von Einwan­derern, die aus wirtschaftlichen Gründen aus ihren Herkunftsländern ge­flohen sind, als Bedrohung empfindet, verwendet er vorformulierte Aussa­gen des Me­dien­diskurses, um durch den Verweis auf objektive „Fakten“ seine eigene Ein­stellung gegenüber Einwanderern abzusichern (vgl. van Dijk 1992a). Das heißt, daß die rassistischen Implikationen des Mediendis­kurses sowohl un­reflektiert reproduziert, als auch zugleich bewußt einge­setzt werden, um die eigene rassistische Haltungen zu rechtfertigen.

Darüberhinaus kontrastiert Herr Klein die vermeintlichen Eigenschaften der Flüchtlinge mit denen des braven deutschen Bürgers „die wollen ab­schöppen“ - versus - „wir hab'n mit unserer Arbeit unsern bescheidenen Wohlstand erworben“.

Indem den Einwanderern negative Eigenschaften zugeordnet werden, wird die eigene Identitätsgemeinschaft positiv dargestellt, d.h. die negative Fremddarstellung führt unweigerlich zu einer positiven Selbstdarstellung.

Was sich nun als letztes aus dieser Aussage Herrn Kleins entnehmen läßt, sind Anzeichen sozialer Unzufriedenheit. Der Lebensstandard des Ehepaa­res ist nicht sehr hoch; deshalb ist m.E. die Angst, durch Einwanderer wei­tere soziale und finanzielle Beeinträchtigungen zu erfahren, so fundamen­tal. Darum ist es auch nicht verwunderlich, daß Frau Klein auf die Frage ihres Mannes „wat iss dat“, spontan mit „falsch“ antwortet. In diesem Falle stimmt Frau Klein ihrem Mann also eindeutig zu, d.h. sie fühlt sich selbst durch Einwanderer bedroht und übervorteilt. Ihre Empfindungen drückt sie nun in einer kleinen Geschichte aus, in der sie über die Begegnung mit ei­ner Einwanderin, dem Kontext nach wahrscheinlich eine Cinti oder Roma, berichtet:

Äh- Ich kam zur Haustüre 'raus und * im Herbst, war so im Herbst, und es fing an, kälter zu werden - äh - Quatsch, ja - und da hatte ich en Paar alte fe­ste Schuhe an, und dann kam die vorbei, die hatte so offene Latschen an und ne, da zeigte se im­mer auf meine Schuhe und wollte meine Schuhe habn. * Ich hab immer so getan und die hat nix und dann.. (unverständlich) verstand die ja nich.

Wie, wollte sie die abkauf'n?

Ne, die hat auf ihre Schuhe gezeigt. Ich sach zu der Petra (Frau Kleins Toch­ter):Wat will die? Die sacht se:Die will deine Schuhe. Ich sach:Soll se mal sehen, dat se welche kricht.

Mhm.

Hat se geschimpft, als se weiterging - und wie. (21/93-l04)   

Frau Klein liebt es, Geschichten zu erzählen. Die Geschichten orientieren sich an dem Zuhörer: sie werden lebhaft erzählt, sind spannend und haben Unterhaltungswert. Doch diese Tatsache darf nicht darüber hinwegtäu­schen, daß jede Geschichte auf ganz subtile Weise negative Aussagen über Einwanderer vermittelt.

Die angeführte Geschichte Frau Kleins zum Beispiel korrespondiert inhalt­lich sehr stark mit den Aussagen ihres Mannes. Sie beschreibt eine Ein­wanderin, die um ihre Schuhe bettelt, d.h. von Frau Kleins „Wohlstand“ ohne Gegenleistung profitieren („abschöppen“) möchte. Die Tatsache, daß die Einwanderin auch noch schimpft, als sie die Schuhe selbstverständlich nicht erhält („denn wir haben uns ja mit unserer Arbeit unseren beschei­denen Wohlstand erarbeitet“), läßt sie nicht nur fordernd („die fordern hier ihre Rechte“), sondern auch aggressiv und unsympathisch erscheinen. Wenn Herr Klein seine Einstellung gegenüber Einwanderern durch Argumenta­tion zu begründen versucht, zeichnet Frau Klein durch ihre Geschichten „Bilder“, in diesem Falle das Bild der Einwanderin, die sowohl sie als auch ihr Mann ablehnen. Herr und Frau Klein ergänzen sich demnach: Herr Klein liefert die Argumentation gegen Einwanderer, Frau Klein die dazu passende Geschichte; er behauptet in Form einer allgemeinen Aussage, sie belegt durch eine exemplarische Gegebenheit, die der allgemeinen Aussage entspricht.

Dieses Schema ist auch in der folgenden Passage zu beobachten. Nachdem Frau Klein ihre Geschichte erzählt hat, ergreift Herr Klein wieder das Wort:

Ja, selbst dat sind alles Kleinigkeiten. Ich mein... wenn nicht schlimmer wird *** Man müßte -äh, äh - mit anderen rechnen, ne. Zum Beispiel die Überfälle in der Stadt, die in der Stadt sind, sind meistens Ausländer. Beispiel ja....

Woher wissen Sie das denn? Hab'n Sie das jetzt irgendwie von ande­ren Bekannten ge­hört, oder vielleicht aus der Zeitung?

Nein, nein - eine Bekannte von mir, von meiner Frau, die wurde ungefähr - wann war dat * elf Uhr mittags? (zu seiner Frau)?

Eins.

Ein Uhr?! - Die wurde angefahrn, mit einem ....

Frau Klein: von einem Kind, mit'm Roller. (21/l08-ll8)

Frau Klein übernimmt wieder die Gesprächsführung und illustriert die Aussage ihres Mannes durch eine weitere Geschichte. Achten wir noch ein­mal genau darauf, wie diese eingeleitet wurde. Herr Klein macht die Aus­sage: in die Überfälle in der Stadt sind meistens »Ausländer« verwickelt. Herr Klein macht also eine für ihn allgemeingültige Aussage, deren Gültig­keit nun durch ein exemplarisches Beispiel von Frau Klein bestätigt wird.

Frau Klein berichtet von einer Frau, die aus dem Bus aussteigt und von einem Kind auf einem Kinderroller angefahren wird:

Und der wollte ihr an die Hängetasche, die hatte 'ne Umhängetasche an und dann **** wollte er, wollte die Umhängetasche habn. Und die hat er ja nicht gekricht, weil se drauf gefallen iss - ins Krankenhaus isse dann.

Herr Klein bestätigt:

Ja. (21/128-132)

Ein Kind auf einem Kinderroller will die Umhängetasche einer Frau, die gerade aus einem Bus steigt, stehlen. Dieses Kind soll ein Einwanderer sein. Die Geschichte erscheint mir unglaubwürdig, ich frage nach:

Und sie (die Frau) hat dann gesacht, also sie meint, daß wär jetzt 'n Auslän­der gewesen?

Frau Kleins Antwort verwirrt mich:

Nein, sie konnte das nicht sehen, ob das 'en Ausländer war - das weiß sie nich.

Herr Klein: Unter Vorbehalt.

Sie hat gesacht, sie kann nicht sagen, dat war 'nen Deutscher - sie kann nicht sa­gen, dat war nen Ausländer, ne. (21/l39-l44)

Also doch kein »Ausländer«?!

Herr Klein ist davon noch nicht überzeugt, er sieht die Geschichte „unter Vorbehalt“. Wenn es sich bei dem Überfall nicht um einen Einwanderer handelte, warum wurde diese dann von Herrn Klein als Beispiel für die Überfälle in der Stadt durch Einwanderer angeführt und von Frau Klein ausgeführt? Eindeutig wird von Herrn und Frau Klein Kriminalität mit Einwanderern assoziiert, und zwar in einem so hohen Maße, daß eine objek­tive Beurteilung derartiger Geschehnisse, unmöglich wird. Wenn Frau Klein auch die Aussage der Betroffenen wiederholt, wird durch den Kontext, in dem die Geschichte erzählt wird, eindeutig potentielle »Ausländerkrimi­na­lität« unterstellt[104]. Kriminalität wird dabei als kulturelle Eigenschaft defi­niert: „die sind vielleicht drauf getrimmt“. (21/580 f.)

Darüberhinaus werden Einwanderer nicht nur als kriminelle, sondern auch als sozioökonomische Bedrohung empfunden. Sie wollen „abschöppen“, ohne Gegenleistung von dem Wohlstand des braven deutschen Bürgers profitie­ren. Die Art und Weise, wie Herr Klein an dieser Stelle argumentiert, läßt den Einfluß des derzeitigen Mediendiskurses erkennen: „es kommen zu viel“ (21/297), „wir werden etwas eingeengt“ (21/298), „Da paßt nicht so viel rein (21/298). Es spricht viel dafür, daß die von den Medien verwendete Kollek­tivsymbolik „Asylantenflut/-strom“ von Herrn Klein entschlüsselt und in die eigene Argumentation eingebaut wird. Auf diese Weise wird die kom­plexe Botschaft, die in Kollektivsymbolen enthalten ist, übernommen und im Ge­spräch mit anderen weitergegeben. Auch wird die negative Bedeutung des Begriffs „Wirtschaftsflüchtlinge“, für den u.a. die Medien verantwortlich sind, von Herrn Klein übernommen und in seine Argumentation eingebaut:

- und wenn die politisch verfolgt werden, iss ja klar, habn se alle keine Bleibe, kein Bleiberecht, und das andre iss ja nur von wegen wirtschaftliches Denken ** von wegen, ne, uns geht et besser als denen - denen geht es gar nicht so schlecht. * Wenn ich dat seh, wie die hier vorbeilaufen, mit Lederjacken und so, ne, versteh' ich nicht, woher dat Geld kommt für die Jacken. Nur als Bei­spiel wohlgemerkt. (21/190-196)

und

Die fordern ja viel mehr, als wir -äh-.

Frau Klein: Außerdem - die nehmen ja an, uns geht et besser, als denen - viel besser, sagn wir et ma so.

Ja, dat stimmt, ja...

Frau Klein: En gewissen Wohlstand habn wir uns doch vorher erarbeitet.

Ich, frach mich nur, wieso diese Zigeuner - Sintis oder Romas, wie sie alle hei­ßen, spielt keine Rolle - dicke Autos (leise: will allerdings keine Marke nennen) und - äh - entsprechend große Wohnwagen fahrn, woher kommt das Geld denn * um die Sachn anzuschaffen? Dat iss doch ne Frage, ne? Die habn doch keine Erwerbsquelle dabei, wir arbeiten ja. Schaffen, zahlen Steuern etc. Wie kom­men die an diese * Materialien?

Ja, was meinen Sie denn, wie die an das Geld kommen?

Ich weiß nich, ich frag mich nur, ist doch ne Frage **** Die Frage müßte doch auch geklärt werden. Woher kommt das Geld für diese Sachen, die wir uns normalerweise nicht leisten können?

Mhm.

Ne. (...) Kleines Scherzauto. Ich sach schon nix mehr. Jedenfalls n kleines Auto, als die Leute da. Die kommen ja ohne Mercedes nich um/aus. *** Will keine Marke nennen, aber iss egal, iss doch wahr. (21/162-180)

Interessant ist bei dieser Aussage, daß Frau Klein fast wörtlich eine zuvor gemachte Aussage ihres Mannes wiederholt: „en gewissen Wohlstand haben wir uns doch vorher erarbeitet“ (vgl. 21/81f.) versus „En gewissen Wohl­stand habn wir uns doch vorher erarbeitet“ (21/166). Daraus schließe ich, daß Frau Klein trotz ihrer Zurückhaltung viele Ansichten ihres Mannes teilt. Herr und Frau Klein sind stolz auf das, was sie sich durch Arbeit, also Fleiß und Rechtschaffenheit, aufgebaut haben. Auch Herr Klein möchte dies noch einmal betonen: „die hab'n doch keine Erwerbsquelle dabei, wir arbei­ten ja. Schaffen, zahlen Steuern etc“ (21/171). Erneut verwenden Herr und Frau Klein eine Kontrastierungsstrategie, die zu einer positiven Selbstdar­stel­lung führt. Weiterhin wird den Einwanderern in der gesamten Passage fi­nanzieller Reichtum unterstellt: Sie besitzen große Wohnwagen, Mercedes, dicke Autos. Diesem Reichtum stellt Herr Klein seinen „bescheidenen Wohl­stand“ gegenüber: kleines Scherzauto. Herr Klein kann nicht verstehen, daß es den Einwanderern, wie er meint, besser geht, als ihm selbst. Er hat doch gearbeitet, Steuern gezahlt. Flüchtlinge arbeiten nicht, und er fragt sich, „woher kommt das Geld für diese Sachen, die wir uns normalerweise nicht leisten können?“ (21/175f.) Herr Klein kann sich diesen Umstand nur durch die illegale Lebensweise, sprich Kriminalität der Einwanderer, erklären. Erneut wird deutlich, daß Herr und Frau Klein unzufrieden mit ihrem Le­bensstandard sind. Besonders Herr Klein projiziert in den Lebensstandard der Einwanderer einen Reichtum, den er selbst gerne besäße. Obwohl Frau Klein ihre Gefühle nicht so stark zum Ausdruck bringt, scheint mir ihre Aussage „die nehmen ja auch an, uns geht et besser, als denen, viel besser“ (21/163 f.) ähnliche Gefühle sozialer Benachteiligung auszudrücken.

 

4.      Deutsche und Einwanderer in Gegenüberstellung

         Und dat war eben der krasse Unterschied“

Frau Klein erzählt insgesamt 9 kleine Geschichten über persönliche Erfah­rungen mit Einwanderern. Anhand der Geschichte von der Frau, die an der Bushaltestelle überfallen wurde, konnte bereits festgestellt werden, daß sich ihre Geschichten inhaltlich an den allgemeinen Aussagen ihres Mannes orientieren, ja quasi den Beweis dafür liefern sollen. Die nun folgende Ge­schichte bezieht sich zwar inhaltlich nicht auf eine unmittelbar zuvor ge­machte Aus­sage des Herrn Klein, greift aber die häufig verwendete Kontra­stie­rungsstrategie auf.

Die exemplarische Besprechung dieser zwei Geschichten soll deutlich ma­chen, daß die Argumentationen Herrn und Frau Kleins sowohl inhaltlich als auch strategisch miteinander korrespondieren.

In dieser Geschichte beschreibt Frau Klein zwei Handwerksburschen und zwei Einwanderinnen, die in die Metzgerei, in der sie arbeitet, kommen und um Essen bitten:

Es kommt, es kommt immer auf den Menschen an. Wir habn jetzt ein paar Mal im La­den, da kommen hier Leute, die kommen ja dann mit ihren Zetteln da rein, dann kön­nen se ja angeblich kein Wort deutsch, seien es junge, seien es alte, ich arbeite ja inner Metzgerei, dann wollen die was zu essen haben. Geben sie jetzt denen was, dann ist das nicht richtig, dann sind die mit dem, was sie jetzt kriegen, nich zu­frieden. Entweder sagen  sie dann, nein, das möchte ich nicht, geben Sie mir ne Frikadelle, wenns en Kind war, ich hab Hunger, dat Stück Fleischwurst möchte se nicht, oder wollte se nicht, oder ei­ner sacht, ich möchte Salami, die andre hat gesacht, ich brauch Geld, dat rechnet draußen, ich möcht mit en Taxi nach Hause fahren (...). Dann hatten wir mal zwei so Handwerksburschen, die kamen da vorbei, waren Deutsche, und jetzt kannten wir dat, waren aber schon älter, jetzt wußten wir natürlich, der wollte auch wat zu essen, wären auf Wanderschaft, und so wei­ter, äh, ob wir ihnen wat geben könnten, da haben wir dann (...) Ähm, die hatten sich ge­freut, wie en kleiner König. Also die waren wirklich dankbar dafür, dat se dat gekricht hatten und haben sich bedankt und alles, und dat war eben gut, und nicht noch Ansprüche gestellt. Ich mein, der iss auch ohne Murren rausge­gangn, und wo wir gesacht haben, der Chef wär nicht da oder so weiter, ne. Und dat war eben der krasse Unterschied, ich mein soll jetzt nicht heißen, dat die Deutschen besser sind, als die andern * et gibt hier Miese und da Miese. Mal hier, mal da (lacht). (21/446-489)

Frau Klein stellt in dieser Geschichte die „bittenden, dankbaren“ deutschen Handwerksburschen den „bettelnden, undankbaren, ausländischen“ Frauen gegenüber. Es handelt sich dabei um eine ähnliche Kontrastierungsstrate­gie, wie sie ihr Mann verwendet. Die Ausgrenzung der fremden Kultur be­deutet eine gleichzeitige Eingrenzung und damit Definition (Grenzfest­le­gung) der eigenen Kultur, also Identitätsgewinn.

Doch genau an dieser Stelle des Interviews entsteht ein Konflikt. Frau Klein versucht ihre eigene deutsche Kultur durch negative Fremddarstel­lung positiv darzustellen, doch indem sie eine derartige Kontrastierungs­strategie verwendet, bricht sie zugleich die offizielle Norm der Gesellschaft, »nicht rassistisch zu sein«. Der Konflikt zwischen Konformität und Nonkon­formität verlangt nun von Frau Klein eine Entscheidung. Bleibt sie bei der negativen Darstellung der Einwanderinnen, bleibt die Aufwertung der eige­nen Kultur erhalten, bricht aber deren Norm; bleibt sie nicht bei der negati­ven Darstellung der Fremdkultur, d.h. revidiert sie diese, verhält sie sich wieder der Norm entsprechend, gibt aber die durch die Kontrastierung ge­wonnene posi­tive Selbstdarstellung auf. Wir wissen, wie Frau Klein sich aufgrund ihrer Anpassungsbereitschaft entscheidet. Sie hebt die harte Kon­trastierung der verschiedenen Kulturen durch eine Relativierung auf „dat soll jetzt nicht heißen, dat die Deutschen besser sind, als die andern * et gibt hier Miese und da Miese“ (21/488 f.). Auch wenn es Frau Klein gelingt, die negative Gesamtaussage ihrer Geschichten durch derartige Relativie­rungen abzuschwächen (zu konformieren), bleibt die zuvor stattgefundene negative Charakterisierung der Einwanderinnen in den Köpfen ihrer Zuhö­rer erhalten. So faßt Herr Klein die Quintessenz der Geschichte kurz und bündig zusammen: „Betteln!“ (21/498)

 

5.      Anpassung - der Schlüssel zur Akzeptanz

         der war so astrein, also * gibt 'nix“

Herr und Frau Klein beziehen sich zumeist auf Flüchtlinge, insbesondere Cinti und Roma, was ich für ein weiteres Indiz für den Einfluß des Medien­diskurses halte, der sich derzeit besonders stark mit der Flüchtlingsthema­tik beschäftigte, während zu diesem Zeitpunkt weitere ethnische Angele­genheiten mit geringerem Interesse verfolgt wurden. Ich muß jedoch ein­schränkend sagen, daß Herr Klein zwar häufig Cinti und Roma im besonde­ren anspricht, diese genaue Zuordnung während seiner Argumentation aber häufig durch allgemeine Zuordnungen, wie »Asylanten« oder »Ausländer« er­setzt, was durch den Umstand zu erklären ist, daß Herr Klein die ver­schie­denen Nationalitäten der Flüchtlinge nicht kennt:

Samstags zum Markt, zum Beispiel, ne, da hasse ja nur Ausländer. Welche da nun sind, welche Richtung, wat weiß ich, welche Nationalität kann man nicht sagen. (21/562-564)

Möglicherweise stellen aber für Herrn Klein auch Cinti und Roma den Pro­totyp des Flüchtlings dar. Frau Klein spricht in unserem Gespräch zwar mehrere Einwanderungsgruppen an, spricht aber meist undifferenziert von den »Ausländern«.

Herr und Frau Klein berichten in Widerspruch zu ihrer negativen Einstel­lung gegenüber Einwanderern allerdings auch über positive Erfahrungen mit »Ausländern« am Arbeitsplatz. So erzählt Herr Klein:

Türken? Auf'm Werk bei uns. In meiner Werkstatt.

Die hab'n da gearbeitet?

Ja, selbstverständlich.

Hhm.

Prima, astrein.

Und wie war das Arbeitsklima da? Wie hab'n Sie sich mit denen beruflich verstanden?

Astrein. Stimmt - könnt nicht besser sein. Einen bei uns in meiner Werkstatt, meiner Werkstatt - Dreher - der war so astrein, also gibt' nix. (...) Ich würde meinen, man könnt sich auf mich verlassen, falls mal jetzt zum Kriege käme * und das ist ja wohl der Fall, wahrscheinlich wohl und äh ... in der Türkei, also müssen wir unsere Leute mit den Türken * also gleichziehn, ne. Genauso is dat bei uns aufm Werk gewesen. Wir mußten die gleiche Arbeit leisten * meinetwegen er und ich, und dat klappte astrein. (21/216-235)

Demnach unterscheidet Herr Klein „Gastarbeiter“ und Flüchtlinge. An vielen Stellen des Interviews kristallisierte sich bereits Herrn Kleins An­passungsbereitschaft an die bestehenden Normen und Werte unserer Ge­sellschaft heraus. Darin scheint mir auch der Schlüssel für die Akzeptanz seines türkischen Arbeitskollegen zu liegen. „Gastarbeiter“, d.h. Einwande­rer, die nach Deutschland immigriert sind, um hier zu arbeiten, leben mitt­lerweile seit über zwanzig Jahren in der Bundesrepublik. In dieser Zeit ha­ben sie nicht nur die deutsche Sprache erlernt, sondern sich auch den deut­schen Verhältnissen angepaßt. Aus diesem Grunde erklärt sich Herr Klein in Bezug auf den Golfkrieg mit den Türken solidarisch, wenn „unsere Leute mit den Türken ** also gleichziehn.“ Denn auf Herrn Klein kann man sich verlassen“, zu ersetzen durch: „kann Deutschland sich verlassen“. Was sich an dieser Stelle zeigt, ist Herrn Kleins fatale Anpassungsbereitschaft.

Bei Frau Klein verhält es sich ähnlich. In ihren Geschichten sind es zumeist die Flüchtlinge, die negativ beurteilt werden; andere Einwanderungsgrup­pen, die ursprünglich als „Gastarbeiter“ nach Deutschland immigriert sind und sich im Laufe der letzten Jahre assimiliert haben, werden positiv dar­ge­stellt und sogar gegen mögliche Diskriminierungen verteidigt:

Wir hatten damals en Spanier bei uns in der Lehre bei unserer Firma, der hat seine Prüfung gemacht und auch gearbeitet.

Hatten Se also keine schlechten Erfahrungen mit?

Keine. Der war in Ordnung, der hat alles gemacht. Ja gut, der hat sich auch gedrückt vor der Arbeit, tun die Deutschen auch. Wer die Arbeit kennt und sich nicht drück - (lacht). Und ich mein, dat iss doch ganz normal, ne? Jeder hat ma einen Tag mehr Lust und jeder einen Tag nicht so viel Lust und -äh... (21/537-544)

Frau Klein erklärt, warum sie ihren spanischen Arbeitskollegen ohne wei­teres akzeptieren kann. Die Arbeitsmoral ihres Kollegen ist „doch ganz normal“, entspricht also der deutschen Arbeitsmoral, ist bereits Ergebnis einer Anpassung. Demnach lehnt Frau Klein nur diejenigen ab, die nicht „normal“ sind, d.h. sich nicht den herrschenden Normen unterordnen, sich nicht anpassen. Herr und Frau Klein bringen ihre eigene Anpassungsbe­reitschaft und die Forderung an Einwanderer, sich ebenfalls anzupassen, nicht nur implizit zum Ausdruck, sondern verbalisieren diese in unmißver­ständlicher Weise:

Frau Klein: Man muß sich nicht anpassen, man sollte sich.

Herr Klein: Man muß, normalerweise muß man sich anpassen. (21/615 f.).

 

6.      Nachwirkungen nationalsozialistischer Sozialisation

         Die wurden bei Adolf hinweggetan“

Herr Klein wurde 1929 geboren; seine Kindheit und ein großer Teil seiner Jugend fallen demnach in die Zeit des Nationalsozialismus. Der Erzie­hungsdiskurs des dritten Reiches war durchtränkt von ideologischem, anti­semitischem und rassistischem Gedankengut. Die Spuren nationalsoziali­stischer Erziehung sind bei Herrn Klein bis auf den heutigen Tag deutlich spürbar:

Iss auch nicht schön  - dat macht ja auch nix. Wir sind damit groß geworden, wir hatten 1939 hier vorne Zigeunerlager * die wurden allerdings von * Adolf hinweggetan, und wir hatten damals nicht mal Schwierigkeiten, die habn nicht geklaut, gar nichts - weiß ich auch nicht, wat da rechtens ist. (21/197-201)

Will Herr Klein ausdrücken, daß unter „Adolf“ noch „Recht und Ordnung“ herrschten, daß die „Zigeuner“ (Flüchtlinge) nicht zu einer Belastung, zu ei­ner Bedrohung für den deutschen Bürger wurden, wie es heute der Fall ist? Macht Herr Klein damit unserer heutigen Regierung einen Vorwurf, daß sie das sogenannte „Asylantenproblem“ nicht im Griff hat? Natürlich kann ich diese Fragen nicht mit einem eindeutigen »ja« beantworten. Dennoch scheint mir diese Aussage Herrn Kleins einen Hinweis auf eine nicht verar­beitete nationalsozialistische Erziehung zu beinhalten, die es ihm heute er­schwert, andere Kulturen zu akzeptieren. Weiterhin scheint mir Herrn Kleins Legitimationstendenz bezüglich rassistischer Äußerungen mit der durch die Entnazifizierung erzielten Tabuisierung antisemitischer und auch rassistischer Haltungen zu korrespondieren. Herr Klein paßt sich also er­neut den herrschenden Normen und Wertvorstellungen seines aktuellen so­zialen Bezugssystem an.

Auch an anderer Stelle findet sich ein Hinweis darauf, daß Herr Klein seine Vergangenheit nicht wirklich verarbeitet hat. So vergleicht er fataler Weise die heutige Wiedervereinigung mit dem da­maligen Ziel der Nationalsozialisten, ein deutsches Weltreich zu errichten, und heißt das auch noch gut:

Ich, ich kenn ja nur en Vereinigtes Deutschland von damals her, ne. Die hab'n ja damals auch gekämpft darum. Wenn dat heute wieder so ist, ist dat astrein und prima, aber dat spielt auch gar keine Rolle. Dat iss ja nur das symboli­sche Deutschland.(21/276-279)

 

7.      Auf welche Weise bringen Herr und Frau Klein ihre kulturell - rassi­sti­sche Denkweise zum Ausdruck?

         - Argumentationsstrategien -

Es ist deutlich geworden, daß Herr und Frau Klein ihre rassistische Ein­stel­lung gegenüber Einwanderern aus Angst vor Normverletzung nicht di­rekt, sondern verdeckt zum Ausdruck bringen. Dabei verwenden sie im We­sentli­chen die folgenden Argumentationsstrategien:

 

Relativierungen

Da Herr Klein aufgrund seiner autoritären Anpassungsbereitschaft nicht in der Lage ist, seine Vorurteile gegen Einwanderer offen zum Ausdruck zu bringen, denn dies würde eine Verletzung der offiziellen Norm bedeuten, tarnt er seine rassistischen Aussagen mit dem Deckmantel eigener Inkom­petenz „bin kein Professor, bin nur Dreher“ (21/640 f.). Deutlich wird dies durch den häufigen Gebrauch von „ich mein/meiner Meinung nach“ (wurden im Interview 15mal verwendet) und Relativierungen wie „zum Bei­spiel/bei­spiels­weise“ (wurde 6mal verwendet). Immer wenn der »unwissende« Dreher negative Aussagen über Einwanderer macht, werden diese abge­schwächt. Aus diesem Grunde betont Herr Klein häufig, daß es »nur« seine Meinung ist , die er zum Ausdruck bringt, die somit keine All­gemeingültig­keit beansprucht.

 

Legitimation

Relativierungs- und Legitimationsstrategie stehen in einem komplementä­ren Verhältnis zueinander. Herr Klein legitimiert seine rassistischen Äuße­rungen über Einwanderer, indem er auf die Medien verweist („steht in jeder Zeitung“ (4mal)) und deren Aussagen über Einwanderer reproduziert („et kommen zu viel“ (21/269), „da paßt nicht so viel rein“ (21/297), „wir werden etwas eingeengt“ (21/297) etc.).

 

Sexismus als Legitimation

Der Sexismus von Angehörigen anderer Kulturen wird häufig dazu verwen­det, eigene rassistische Einstellungen zu rechtfertigen. Eine derartige Stra­tegie verwendet Frau Klein, indem sie die „bettelnden“ Einwanderinnen durch die Aussage entschuldigt:

Andersrum hört man ja, das hab' ich auch nur gehört, kann ich nicht sagen, dat heißt ja, die Frauen werden meistens von den Männern geschickt, oder auch Kinder und wenn se nicht soundsoviel nach Hause bringen, dann krie­gen se von den Vätern oder Männern Schläge, ne. Ob das stimmt weiß ich nicht, das hab' ich nur vom Hö­rensagen gehört. (21/501-505)

 

Kontrastierungsstrategie

Die Kontrastierungsstrategie wird von Herrn und Frau Klein gleicherma­ßen verwendet. Indem Herr und Frau Klein ihre eigene „deutsche“ Kultur der „fremden“ Kultur konträr gegenüberstellen und letzteren negative Ei­genschaften zuordnen, wird die eigene Kultur positiv definiert.

Diese Polarisierung wird sowohl durch die Kontrastierung allgemeiner Aus­sagen in den Geschichten, als auch durch sprachliche Markierungen er­reicht.

So fällt in dem Interview besonders der Gebrauch der Pronomina »Wir« und »Sie« ins Auge. Das »Sie« wird zur homogenen Gruppe aller Ein­wanderer, das »Wir« zur Gruppe aller Deutschen:

die hab'n doch keine Erwerbsquelle dabei, wir arbeiten ja. (21/170) / Die for­dern hier ihre Rechte (...) wir haben so mit unserer Arbeit unser'n beschei­denen Wohl­stand erworben. (21/77/80) / Wenn se sich anständig benehmen * machen wir auch, hab'n wir immer gemacht. (21/574)

Doch es werden nicht nur kulturelle Grenzen, sondern mittels einer In­nen/Außen- Symbolik auch geographische Grenzen gezogen. Auf diese Weise wird die kulturelle Ein- und Ausgrenzung verstärkt. So wurde 17 mal »hier« und 12 mal »da/da drüben« im räumlichen Sinne verwendet.

 

8.      Von Zugvögeln und Scherzautos: Kollektivsymbolik

Obwohl die Verwendung von Kollektivsymbolen nicht als selbständige Ar­gumentationsstrategie bezeichnet werden kann, möchte ich sie trotzdem an dieser Stelle aufführen, da verschiedene Kollektivsymbole von Herrn und Frau Klein quasi als „Bausteine“ in ihre Argumentation eingepaßt werden.

So verwendet Herr Klein 5mal das Auto als Pragmasymbol[105]. Flüchtlinge fahren einen „Mercedes“ (3mal), einen großen »Wohnwagen« (1mal) und Herr Klein im Gegensatz dazu nur ein »kleines Scherzauto«. Da Kollektiv­symbole sozialen Charakter besitzen, ist die Aussage, die Herr Klein mittels dieser Symbole macht, für jeden verständlich. Darüberhinaus wird durch die einzelnen Symbole eine komplexe Botschaft zusammengefaßt und auf subtile Weise vermittelt.

Im Alltagsdiskurs wird das Symbol »Mercedes« als Statussymbol verwendet, d. h. es repräsentiert finanziellen Reichtum und eine gute gesellschaftliche Position. Im rassistischen Diskurs wird diese Aussage jedoch erweitert. Flüchtlingen, insbesondere Cinti und Roma, die nicht arbeiten, sondern „betteln“, „abschöppen“, dabei aber einen „Mercedes“ fahren, werden durch die Verwendung des Kollektivsymbols illegale Handlungen, d.h. Kriminali­tät unterstellt. Das „Scherzauto“ Herrn Kleins hingegen bleibt im Kontext des Alltagsdiskurses, drückt »nur« einen geringen Lebensstandard und so­ziale Unzufriedenheit aus.

Das Kollektivsymbol Kopftuch (21/424), das Frau Klein in einer ihrer Ge­schichten über eine Türkin verwendet, steht sowohl für den Unterschied zwischen islamischer und christlicher Kultur, für die Unterdrückung der is­lamischen Frau, als auch für eine nicht geleistete Anpassung an die deut­sche Gesellschaft.

Bei dem Wort Zugvögel (21/182), das Herr Klein im Zusammenhang mit Cinti und Roma verwendet, handelt es sich um eine Tiermetapher. Durch diese Metapher werden Cinti und Roma außerhalb der Gesellschaft der Menschen angesiedelt. Darüberhinaus werden Unstetigkeit, Haltlosigkeit und illegale Lebensweise assoziiert.

Der Begriff »Sippe« (Mercedes für die Sippe (21/500)) ist in ähnlicher Weise negativ konnotiert. Er findet seine Analogie im Tierreich und assoziiert »in Rudeln, oder Horden auftreten« und symbolisiert somit Gefahr.

 

9.      Auf der Suche nach Erklärungen...

         - Ursachen kulturrassistischen Denkens -

Abschließend stelle ich mir die Frage, was die Einstellung der Kleins ge­genüber Einwanderern verursacht haben könnte. Obwohl sich Herr und Frau Klein innerhalb der deutschen Gesellschaft den unteren sozialen Schichten zuordnen, zeichnen sie in ihrer Argumentation gegen Einwande­rer das Bild einer homogenen, d.h. einheitlichen deutschen Kultur, der sie positive Eigenschaften zuordnen. Indem sie nun diese „Identitäts­ge­mein­schaft“ anderen Ethnien konträr gegenüberstellen und letzteren negative Eigenschaften zuordnen, konstruieren sie, wenn man von den sogenannten „Gastarbeitern“ einmal absieht, eine ebenso einheitliche negativ definierte „Fremdkultur“, in der die kulturellen Unterschiede der einzelnen Ethnien aufgehoben werden. Die negativen Eigenschaften, die dieser „Fremdkultur“ zugeordnet werden, werden als kulturelle Charakteri­stika markiert („die sind vielleicht drauf getrimmt“). Das Ergebnis ist die Ausgrenzung anderer Kulturgemeinschaften, die nur, und jetzt kommen wir zu dem Schlüsselbe­griff, durch Anpassung wieder aufgehoben werden kann. Worin besteht nun diese Anpassung? Letztendlich in der Aufgabe der eige­nen Sitten und Ge­bräuche ethnischer Gruppen und der Übernahme deutscher soziokul­tureller Werte und Normen.

 

Worin liegen mögliche Ursachen für ein derartiges Denken?

Herr und Frau Klein neigen dazu, sich an den herrschenden Normen und Werten unserer Gesellschaft zu ori­entieren („man muß sich nicht anpassen, man sollte sich/normalerweise muß man sich anpassen“) und durch unter­würfige Haltung diesen gegen­über Gefühle sozialer Minderwertigkeit zu ent­wickeln, wodurch zwangsläufig Aggressionen entstehen, die aber auf­grund der Identifikation mit dem eigentli­chen „Gegner“ (unserem gesell­schaftliches System) nicht ausgelebt werden können (vgl. Adorno 1973). Welche Ursa­chen und Folgen haben diese auto­ritären Persönlichkeitsstruk­turen für die Einstellung gegenüber Einwan­derern? Mit Sicherheit gibt es eine Vielzahl von Faktoren innerhalb der in­dividuellen Sozialisation, die für das Entste­hen solcher Strukturen verant­wortlich sind. So ist bei Herrn Klein der Ein­fluß des nationalsozialistischen Erziehungsdiskurses immer noch deutlich spürbar. Herr Klein hat gelernt »zu gehorchen« (sich anzu­passen), Befehls-(Norm) verletzung wird sanktio­niert und führt zum Aus­schluß aus der Ge­sellschaft. Obwohl Frau Klein in unserem Gespräch keine direkten Anspie­lungen auf den Nationalsozialis­mus macht, vermute ich auf­grund ihrer au­toritären Strukturen ähnliche Einflüsse. Besonders Herr Klein hat nicht nur das hierarchische Denken, sondern auch die ideologi­schen Inhalte des dritten Reiches übernommen und in sein Weltbild bis auf den heutigen Tag verankert. Das Thema Ein­wanderer erregt ihn[106] und macht ihn offen­sicht­lich aggressiv, was sich auch anhand seiner latenten Bereitschaft zur Ge­walt gegen Einwanderer zeigt. Die Tatsache, daß die Kleins auch heute noch an den rassistischen Haltun­gen des dritten Reiches festhalten, ver­weist darauf, daß der soziale Kontext, in dem sie in der Nach­kriegs­zeit ge­lebt haben, zur Konservierung derartiger Strukturen bei­getra­gen hat. Ne­ben den sehr eingeschränkten Lebens- und Arbeitsbedin­gungen haben dar­überhinaus mit großer Wahrscheinlichkeit die Medien zu einer Verstric­kung in einen rassistischen Alltagsdiskurs, der bei aller Ta­buisie­rung eines offenen Rassismus selbst stark rassistisch ge­prägt ist, bei­getra­gen. Bereits vorhandene Aggressionen und sozioökonomisch bedingte Äng­ste werden geschürt. Die sich so verfestigenden negativen Haltungen ge­genüber Einwanderern werden durch Reproduktion vorformulierter Aus­sa­gen der Medien – durch deren vermeintliche Objektivität – legitimiert.

 

Folgen ...

Die bei den Kleins durchweg zu beobachtende Anpassungsbereitschaft wird von allen anderen Menschen, insbesondere aber solchen anderer, „fremder“ Herkunft, gefordert. Ihr eigenes „deutsches“ System von Werten und Nor­men, möge dieses auch der Ausgang für ihre schlechte Lebens- und Arbeits­situation sein, wird als allgemein­gültige Normalität angesehen. Dies führt zunächst zur Ausgrenzung all de­rer, die sich den bestehenden sozio­kulturel­len Normen nicht anpassen. Ausgrenzung beinhaltet zwar eine negative, aber nicht immer auch aggres­sive Einstellung gegenüber Einwanderern, wie sie sich bei Herrn Klein zeigt. Wie entsteht diese Aggressivität? Wie oben bereits erwähnt, führt die Identifikation der Kleins mit der deutschen Gesellschaft als homogene Gruppe (in Abgrenzung zu anderen) zwar zu ei­ner von ihnen als positiv wahrgenommene Selbstdefinition; gleichzeitig aber (innerhalb der Gruppe) aufgrund von Klassenunterschieden zu Gefühlen so­zialer Minderwertigkeit und Schwäche. So machen Herr und Frau Klein an vielen Stellen unseres Gesprächs deutlich, daß sie sowohl unter ihrem sozia­len Status („bin kein Professor, bin nur Dreher“), als auch unter ihrem nied­rigen Lebensstandard leiden. Obwohl sie die Regeln unserer Gesellschaft befolgen („wir arbeiten ja, zahlen Steuern“), ist ihre sozioökonomische Le­benssituation wesentlich schlechter, als die der höheren sozialen Schichten. Diese strukturelle Un­gleichheit führt zu Aggressionen, die aber aufgrund der Identifikation mit der deutschen Gesellschaft und wegen der daraus re­sul­tierenden Anpas­sungsbereitschaft nicht ausgelebt werden können und nun auf ethnische Minderheiten projiziert werden. So empfinden Herr und Frau Klein Ein­wanderer und besonders Flüchtlinge als kriminelle und öko­nomische Be­drohung und projizieren in deren Lebensstandard einen Reich­tum, den sie selbst gerne besäßen (der aber tatsächlich den höheren Gesell­schaftsschich­ten vorbehalten ist).

Durch die abwehrende Projektion entsteht nun jedoch ein weiterer Konflikt. Indem Herr und Frau Klein ihre Aggressionen auf Einwanderer lenken, um ihre Ohnmacht gegenüber struktureller Ungleichheit und die daraus resul­tierende Unzufriedenheit zu kompensieren, verletzen sie zugleich die offi­zielle Norm, »nicht rassistisch zu sein«. Aus diesem Grunde wird die nega­tive Einstellung gegenüber Einwanderern nicht offen, sondern verdeckt zum Ausdruck gebracht.

Es ist deutlich geworden, daß die sozioökonomische Lebenssituation der Kleins, sowie ihre durch Sozialisationsprozesse bedingte Anpassungsbe­reit­schaft, den Nährboden für eine kulturrassistisch begründete Haltung ge­genüber Einwanderern schafft und zur Ablehnung und Ausgrenzung die­ser Men­schengruppe führt.

3.10       Hermann Cölfen

              „Da is so ne Leere … der eigentliche Sinn, warum man Dinge macht … dat fehlt“

                 Analyse eines Interviews mit „Wilfried“, einem 31-jähri­gen Arbeiter[107]

 

Vom Reden ohne Stützen

Die Aufgabe war soweit klar: Es sollte ein Interview oder vielleicht so­gar ein Gepräch geführt werden, in dem es keinen starren Rahmen gibt. Keine Fragebögen, keine Formulare oder feste Re­geln, die den Gespräch­spartnern – je nach persönlicher Einschät­zung – die ganze Sache leichter oder schwe­rer machen könnten. Um es vorwegzuneh­men: Es war in die­ser Form schwerer. Warum? Die Antwort darauf enthält die Überschrift: Es war ein Reden ohne Stützen.

Wenn ich mir auch vorher einige Fragen notiert hatte, so wurde mir aber schon sehr bald bewußt, daß allein die Reihenfolge der Ge­sprächsthemen nicht nur von mir allein bestimmt werden konnte. Nicht, wenn ich nicht auf die beiden wichtigsten Merk­male dieses Gesprächstyps verzichten wollte: die Spontaneität und die Überra­schung. Allein das Zuhören war hier weitaus wichtiger als bei stan­dardisierten Interviews, in denen es vor allem um Voll­ständigkeit geht. Wenn ich das Interview ernst nehmen wollte, konnte ich den Verlauf mit all seinen Umwegen und Abzweigun­gen nicht planen. Das Interview wurde, während wir miteinander re­de­ten, immer wieder neu entworfen, wobei wir gemeinsam die Architektur der Kommuni­kation entwickelten.

Die Gegenwart des Aufnahmegerätes spielte schon nach wenigen Mi­nu­ten keine wesentliche Rolle mehr. Wir hatten andere Gedan­ken, denn schon der Gesprächsbeginn lenkte unsere Gesprächsrichtung in tiefere Regionen. Auf die Frage „Wie fühlst du dich im Moment?“ gab es keine stereotype Antwort wie z.B. „Danke, gut. Und selbst?“, sondern die Frage wurde präzisiert und schon nach wenigen Se­kunden durch den Satz:

So jetz von dem persönlichen Befinden da is eigentlich, ne, sagn wer, so ne re­lativ – Leere is da, ne – der ei­gentliche Sinn, warum man jetz Dinge macht, ne. Und dat fehlt. (9/17-19)

so etwas wie ein Vorausverweis in „Wilfrieds“ Welt. Schon nach ganz kurzer Zeit war mir klar, daß dieses Gespräch ganz anders werden würde, als ich es mir vorher ausgedacht hatte. Ich bin z.B. davon ausge­gangen, daß es viel mehr in meiner Hand liegen würde, die Richtung des Gesprächs zu bestim­men, und daß es viel schwerer werden könnte, Wilfrieds Einstellung zu EinwanderIn­nen zu entdec­ken. Aber es wurde alles anders. Der Rassismus war nicht mon­strös und scharfkantig, son­dern er schlich sich leise heran und wollte un­bemerkt bleiben. Vor allem: Wenn Rassismus mein „Fund“ sein sollte, den zu bergen ich mir vorge­nommen hatte, dann mußte ich fest­stellen, daß ich auf diesem Weg ganz unerwar­tete „Schätze“ mit zutage ge­fördert hatte. Haben sie mit unse­rem Thema zu tun? Lege ich sie wieder unbeachtet zur Seite, oder sind sie gar die Mitte, von der aus alles andere erst sichtbar wird?

Diese und noch andere Fragen sollen auf den nächsten Seiten zur Spra­che gebracht werden. Nur eines noch vorher: Diese Beschrei­bung eines Ge­sprächs ist keine Einladung zu einem Zoobesuch. Was hier zur Spra­che kommt, ist weder exotische Seltenheit, noch Vi­deoclip-Ersatz für In­tellek­tu­elle. Wenn es gelungen ist, dann ist es ein Fenster zur Welt, von der wir selbst ein Teil sind. Akademi­sche Distanz ist nicht gefragt. Im Gegenteil. Statt dessen eher Aufmerk­samkeit, Interesse und die Bereit­schaft zur Ein­sicht in ei­gene Winkel, die nur selten beleuchtet werden.

 

1.      Wer ist „Wilfried“ ?

Üblicherweise wird in unserer Kultur ein Mensch vor allem durch seine Sozialdaten beschrieben. Innerhalb dieser Daten steht dann der Beruf an erster Stelle. Die Frage „Wer bist du?“ oder „Was machst du?“ wird häu­fig genug mit der Berufsbezeichnung beant­wortet.

Die sozialen Rahmenbedingungen allein machen einen Menschen nicht aus. Zu einer aussagefähigeren Beschreibung gehört mehr,  z.B. Erfah­rung, Ent­täuschung, Hoffnung, Erwartung und die Welt­sicht. Wenn ich also in die­sem Abschnitt jetzt etwas über „Wilfrieds“ Sozialdaten schrei­be, dann sollte die Relativität dieser Informationen berücksichtigt wer­den. Wenn ich schließlich weiß, wo und wie „Wilfried“ arbeitet, wohnt und wie seine äu­ßere Ent­wicklung unge­fähr verlaufen ist, läßt sich dar­aus noch nicht able­sen, wer „Wilfried“ ist.

„Wilfried“ ist zum Zeitpunkt des Interviews 31 Jahre alt und Ar­beiter in der chemischen Industrie. Er hat den Beruf des Bäckers erlernt, aber schon bald aufgegeben, weil ihm die Arbeit selbst, die Arbeitszeit und die Bezah­lung schon kurz nach Beendigung der Ausbildung nicht mehr zu­gesagt ha­ben. Jetzt arbeitet er als unge­lernte Arbeits­kraft in einer For­schungsabtei­lung eines Chemieunternehmens.

Er lebt allein in einer 55qm großen Wohnung zur Miete in einem links­rhei­nischen Duisburger Stadtteil. Die Dachgeschoßwohnung gehört zu einem freistehenden, zweistöc­kigen Altbau. Das nächste Haus ist etwa 500m weit ent­fernt. Bevor er – vor ungefähr fünf Jahren – hier einzog, lebte er im Stadtzentrum von Duisburg–Rheinhausen in der Nähe des Marktplatzes, für dortige Verhältnisse also im Ortskern.

„Wilfrieds“ Auslandserfahrungen gehen über die Erlebnisse im Rah­men touristischer Ausflüge hinaus. Er hatte im Alter von 22 Jahren an einem ‚Arbeitsurlaub‘ im Rahmen eines kirchlich orga­nisierten Brunnenbau–Pro­jektes in Ägypten teilgenommen. Somit lebt er zwar in der Wirklich­keit ei­nes Industriearbeiters, hat aber durch seine Erfahrungen die Mög­lichkeit, diese Wirklichkeit aus einer umfassenderen Perspektive wahr­zu­nehmen und zu beurteilen. Deshalb war ich neugierig, ob sich diese Er­fahrungen in seinen An­sichten niedergeschlagen haben.

Die politische Position „Wilfrieds“ ist schwer zu bestimmen. Er be­vor­zugt keine der etablierten politischen Parteien und hat auch bisher noch nie von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Den­noch hegt er Sympathien für DIE GRÜNEN, wenn er auch an die­ser Partei Zweifel hat. Seine Lek­türe be­schränkt sich auf das gele­gentliche Lesen der NRZ und einiger Fachzeit­schriften über Mo­dellbau und Drachenflie­gen. Der Fernsehbe­darf wird fast aus­schließlich von RTLplus ge­deckt. Er verbringt ungefähr drei bis vier Stunden täglich vor dem Fernseher.

„Wilfried“ hat wenige Bekannte, mit denen er sich aber häufig und re­gel­mäßig trifft.

Der Kompromißgedanke ist wesentlich für „Wilfrieds“ Lebensphilosophie, obwohl er nur an zwei Stellen expli­zit auftaucht. Hier fließen alle Konflikte zusammen und werden durch das Schlüssel­wort „Kompromiß“ harmoni­siert. Der „Kompromiß“ steht für das Sich-Hinein­finden in das Schicksal. Im Gegensatz zu einem unzu­frie­denen Men­schen, der protestierte oder seiner Unzufriedenheit Aus­druck ver­liehe, hat „Wilfried“ die Probleme geglättet, indem der „Kompromiß“ die vier Aspekte Wunsch, Möglichkeit, Bereit­schaft und Verweigerung aufnimmt und in den Alltag integriert.

Wesentlich ist dieser Begriff deshalb, weil er auf die Frage nach dem per­sönlichen Lebensgefühl folgt:

Wie fühlst du dich im Moment? Ganz persönlich…

Ganz persönlich? Das kann man nicht so ganz einfach beantworten. Mit gut oder schlecht glaub ich nicht. *

Oder genauer gefragt: Ähm, wie empfindest du deine spezielle Lebens­si­tua­tion, im Beruf …

Das war mir schon klar.

So in der Richtung.

So als, als vom Beruf her sagen wer mal, isses ne Sache, is ein Kompromiß, es is nicht dat, wat man als, als wunderbar empfinden kann, aber wiederum gibts auch schlech­tere Sachen. Von daher sach ich mir einfach, gehts mir ganz gut, ne, vom Beruf her. (9/1-10)

An dieser Stelle wiegt solch ein Wort schwerer. In den Zeilen 8-10 korre­spondieren „Beruf“, „Kompromiß“ und „nicht (…) wunder­bar“. Der Kom­promiß vermittelt diese Sicht, er ist der hermeneu­tische Schlüssel zu „Wilfrieds“ Weltsicht. Die zweite Stelle des Ge­spräches, an der der „Kom­pro­miß“ auftaucht, ist genauso wichtig:

In der Schicht selbst. Aber et sind halt eben noch diese Tagesschicht, die da is, und da sind halt eben Leute, die über mir stehen, und da, äh, hat man halt eben doch mit der Arbeit selbst keine, da würd ich keine Probleme kriegen, weil wenn man mir sagt, ich soll aufputzen, dann putz ich auf. Dat stört mich im Prinzip nich, ne. Weil, äh, ich denk einfach, dat ich dann über diese Sache steh. Wenn sie meinen, sie könnten mir ir­gendwie <hustet> damit darlegen, daß ich halt eben niedrige Ar­beit machen muß, mach ich die halt eben, weil das is der Kompromiß mit Arbeit. Aber was ich nich ver­tragen kann, sind Sa­chen, wo offiziell gesagt wird, also Ange­stellte stehen über ge­werbliche Arbeit­nehmer, und da hatt ich auch schon … Kon­frontationen? (9/165-173)

Wer sagt wem, was wer zu tun hat? Die Einordnung bzw. Behaup­tung in der – schon erwähnten – strengen Betriebshierarchie ist von großer Be­deu­tung für einen acht Stunden/Tag-Job. Auch hier sieht „Wilfried“ seinen Weg im Kompromiß. Gerade das ist wohl sein Prüf­stein. Vielleicht ent­kommt er seinem »mittelmäßigen« Le­bensgefühl…

Wie fühlst du dich im Moment? Ganz persönlich…

Ganz persönlich? Das kann man nicht so ganz einfach beantworten. Mit gut oder schlecht glaub ich nicht. * (9/1-4)

…wenn er gerade diesen Kompromiß aufgibt. Aber hierzu später mehr.

 

2.      Wie haben wir miteinander gesprochen? – Das Ge­spräch

Das Interview fand am 30.12.1990 abends in meiner Wohnung statt und hat insgesamt ungefähr 45 Minuten gedauert. Wir tran­ken Whiskey und rauch­ten. Ich empfand die Atmosphäre als ent­spannt. Als Aufnahmege­rät ver­wendete ich ein kleines Taschen­diktiergerät, dessen Gegenwart nicht son­derlich auffiel.

Nach ungefähr 3/4 des Interviews habe ich behauptet, alle meine Fragen gestellt zu haben (9/609). Trotzdem war es nicht schwer, da­nach weiter­zu­reden. Diese Bemerkung war keinesfalls ein Trick, um hypothetische Hem­mungen abzubauen. Zu diesem Zeitpunkt hielt ich unser Gespräch tatsäch­lich für beendet:

Ja, ich hab beinahe alles gefragt, was ich fragen wollte …

… Aber du bist nich drauf gekommen, was du wolltest, ne? <lacht> (9/609-10)

Seine Entgegnung verriet sein Mißtrauen, bzw. seine Erwartung, in ir­gend­einer Weise beobachtet oder ausgefragt worden zu sein.[108]

 

3.      Worüber haben wir gesprochen? –  Die Themen

„Wilfried“ spricht zunächst über seine Wohnung und die Entschei­dungskri­terien, die ihn dazu bewogen haben, Wohnung und Wohnumge­bung zu wechseln. Er scheut Auseinandersetzungen mit Nachbarn und hat zu ihnen im Laufe der Jahre auch keine persön­li­che Beziehung auf­gebaut.

Man hatte überhaupt nichts mit den Nachbarn zu tun, außer daß, selbst im eige­nen Haus hatte man nur soviel zu tun, daß man die halt eben sah, Guten Tag, und mehr aber auch nich, ne? (…) Aber alles in allem <hustet> ähm, würd ich sagen, alles in allem äh, äh, lohnt et sich trotzdem nich für mich, ne. Dann wohn ich lieber außerhalb, hab für mich selbs was und und bin von an­dern Leuten unbehelligt, ne. (9/77-88)

Das heißt, er nimmt die Nachbarn nur in ihrer ‚Funktion‘ als Nach­barn wahr – darüber hinaus hat er kein weiteres Interesse an ihnen entwic­kelt.

Danach spricht er über seine Arbeitswirklichkeit. Die hierarchi­sche Strenge in ‚seiner‘ Firma tritt als Hauptmerkmal in den Vor­dergrund.

Hm, das is n bunt zusammngehauf – bunt zusammengewürfelter Haufen. Es sind Leute da­drunter, die, die tatsächlich Wissen haben und Können haben und da­durch auch hervorste­chen, auch noch dabei Menschlichkeit haben. Wiederum sind es äh Leute, die eigentlich weniger Wissen haben, die aber durch ihre Stelle hervor­treten. Und die Leute haben natür­lich allerhand jetzt damit zu tun, ihre Stellung und ihren Titel auch zu behalten, ne.

Es gibt eine strenge Hierarchie?

Absolut!

Absolut streng?

Absolut streng. Das is ne Sache, die ich vorher so nich kannte, ne, bevor ich halt eben in so ne Fabrik reinkam. (9/100-109)

Den Zugang zu diesem Bereich des Gesprächs wählt „Wilfried“ in­ter­es­san­terweise über die Problematisierung der Strenge und das nachfol­gende, ebenfalls problematische Thema: Offenbar gibt es in der Firma einen Soli­daritätsgraben zwischen Angestellten und Ar­bei­tern. Weitere Probleme er­geben sich aus den Folgen der stren­gen Hierarchie, wie etwa Kompetenzge­rangel. „Wilfried“ löst diese Kon­flikte durch Rückzug, das heißt, er ordnet sich selbst als sub­altern ein und fügt sich somit der vorgegebenen Kompe­tenzver­teilung.

In der Schicht selbst. Aber et sind halt eben noch diese Tagesschicht, die da is, und da sind halt eben Leute, die über mir stehen, und da, äh, hat man halt eben doch mit der Arbeit selbst keine, da würd ich keine Probleme kriegen, weil wenn man mir sagt, ich soll aufputzen, dann putz ich auf. Dat stört mich im Prinzip nich, ne. Weil, äh, ich denk einfach, dat ich dann über diese Sache steh. Wenn sie meinen, sie könnten mir ir­gendwie <hustet> damit darlegen, daß ich halt eben niedrige Ar­beit machen muß, mach ich die halt eben, weil das is der Kompromiß mit Arbeit. Aber was ich nich ver­tragen kann, sind Sa­chen, wo offiziell gesagt wird, also Ange­stellte stehen über ge­werbliche Arbeit­nehmer, und da hatt ich auch schon … Kon­frontationen? (9/165-173)

Durch direkte Fragen kommt es zu einer Reihe von Aussagen über das Na­tionalbewußtsein.

Wobei ich das auch selbst – ich fühl mich nich so richtig als Deutscher oder so, ne?

Mhm.

Ich bin hier geboren, ja gut, aber – das is für mich völlig uninteressant, ob ich jetz Deutscher oder Pole bin oder sonst was.

Du hast kein spezielles deutsches Nationalbewußtsein?

Überhaupt nich!

Überhaupt nicht!?

Nein, nein. (9/204-212)

„Wilfried“ bestreitet zwar für sich, daß er irgendwie von National­be­wußt­sein geprägt sei. Dagegen setzt er den Begriff der „geographische(n) Her­kunft“ (9/223-224). Deutsches Sendungsbe­wußt­sein bestreitet er für sich heftig, und Erfahrungen mit Deut­schen im Ausland wertet er negativ.

Die DDR-Annexion hat er wie ein Naturereignis wahrgenommen. Wie viele Bundesbürger stellt er sich unter die Theorie der ‚gemeinsamen na­tionalen Verantwortung‘. Deren Folgen werden – wenn überhaupt – in erster Linie aus finanziellen Gründen mit Be­sorgnis bedacht.

Positiv oder negativ – tja, sagen wer mal so, finanziell is dat jetzt ers ma nega­tiv, weil da muß man halt eben Kosten, die gedeckt werden, und da muß jeder sein Schäflein beitragen. * Politisch – is mir völlig egal. Obwohl eher, eher find ich das, das bedrüc­kender, weil halt eben der Größenwahn leichter durchkommen kann, ne? Also von der Größe her jetzt, von Deutschland, ne? (9/394-398)

Bei Flüchtlingen unterscheidet er zwischen solchen, die aus politi­schen und solchen, die aus wirtschaftlichen Gründen geflohen sind. Letztere sollten seiner Mei­nung nach nicht mehr „reingeholt“ (9/431) werden.

Dann, ob man die, die, die Asylanträge, ob man die besser prüfen sollte, das halt ich schon für richtig, daß man die besser prüfen sollte. Weil äh, äh, ich glaube ein­fach, daß dazu zu viel Wirtschaftsasylanten reingeholt werden. (9/429-431)

Den europäischen Binnenmarkt begrüßt „Wilfried“, befürchtet aber auch als Folge einer europäischen Angleichung eine Ein­schränkung des deutschen Lebensstandards.

Also du machst dir schon Sorgen, daß Deutschland langsam überfüllt wird?

Ja!

Das, das ist schon ne Bedrohung, meinst du? Auf Dauer?

Ne Bedrohung …

… Also Bedrohung heißt jetzt nicht, daß es dir direkt ans Leben geht, ne? Aber das es ne Tendenz ist, die du bedenklich findest, zum Bei­spiel?

Die find ich bedenklich, ja. Das hat aber nichts damit zu tun, daß ich sage: »Ich möchte keine Portugiesen hier haben oder Spanier …« (9/467-474)

Im Fragenzyklus über EinwanderInnen, Kultur und Wahlrecht for­dert er Anpassung. »Ausländer« müssen sich den kulturellen und poli­ti­schen Gege­benheiten anpassen: Auf Wahlrecht haben sie keinen An­spruch, weil ihre eigene politische Kultur noch nicht weit genug entwic­kelt sei.

…also diese Wahlrechte für Ausländer halt ich für, für Quatsch zur Zeit noch, weil, äh, die Leute selbst da auch noch nicht in der Lage dafür sind, alle, ne? Das heißt einfach, daß ich, daß ich da Bedenken hätte, daß die ihre Nationali­tät zu weit da mit reinbringen. Das heißt aber auch wiederum, jetzt nicht die Nationalität, daß ich sage, also jetzt ist n Türke oder n Grieche ir­gendwie in irgendnem Ausschuß mit drin, dat wär ja eigentlich noch, ja eigentlich wär dat ja noch <lachend> vernünf­tig, ne, weil, die Leute leben hier, zahlen Steu­ern und so, aber, daß die zu sehr ihre Politik hier rüberbringen… (9/563-569)

Er selbst hat mit importierter ausländischer Kultur eher negative Erfah­rungen gemacht. So hat er schon unter der »Handelsfreude« tür­kischer Kaufleute und ihrem »lässigen Umgang mit Vorschriften und Regeln« ge­lit­ten.

Ne, andern Teil hab ich auch sehr viele Dinge erlebt, mit, mit, mit Türken, sag ich jetzt mal, jetzt nicht speziell Türken, daß ich sag: »Die sind so«, sondern äh, das sind wohl äh, Leute, die, die, aus, aus diesem Bereich kommen, aus diesem Orient­bereich, will ich mal sagen, ne? Äh, die ständig Dinge noch ver­handeln wollen und an­ders haben wol­len, das is halt eben der Punkt, wo ich sag, das is diese, diese, dieser Ablauf, den ich liebe <ironisch>. Dat war die Zeit, als ich Kohlen gefahren hab, und die mochten im­mer andere Dinge ha­ben, und, und auch sehr aufwendige Dinge, ne. Das nervt mich schon bei den Leuten, ne? Daß sie, sie meinen auch, äh, sie könnten diese Dinge im­mer so, so han­deln. (9/668-676)

Sorgen macht er sich auch über die Gruppenbildung von Einwande­rIn­nen, wobei ihn dieser Begriff der Gruppenbildung über seine Vor­stel­lung von selbstverschuldeter Isolation auf einen rätselhaften, as­so­ziativ gelei­teten Denkweg zum „Judenmord im Dritten Reich“ führt.

Ja, aber jetzt hier so, jetzt nicht um, um die Deutschen zu verteidigen, dat is, ne, aber man muß die Zahl auch berücksichtigen, die hier is. Und, äh, is nur ma jetzt auch wirklich noch, ich mein, wat, es war ja früher auch schon so, ne? Aber et is jetzt ja noch ma stärker – diese Sachen treten jetzt ja krass schon in den Schulen auf, ne? Daß da türkische Gruppen sind, und und deutsche, also die Deutschen gruppieren sich ei­gentlich nicht so wie die Türken zum Beispiel. Die Türken, die treten nur in Gruppen auf. <räuspert sich> Warum auch im­mer, dat, dat is mir jetzt also, und von daher ist dat meine Meinung, daß die Sache verschärft wird, ne? Die wird nicht ab­bauen, die wird sich verschärfen, ne?

Mhm.

Vielleicht – dat weiß ich aber auch nich so genau – wenn, daß, sagen wer mal so vier, fünf Generationen, ne, wenn se, das is meiner Meinung nach auch das­selbe Problem gewesen mit Juden. Juden haben sich auch abgekapselt und haben ihren Lebensstil weiter durchge­führt, das, das gab den Brennpunkt ei­gentlich, ne? Na­türlich auch noch darin vielleicht gese­hen, weil waren recht erfolgreich. Das sieht man dann na­türlich au noch nich so ganz gerne, ne? Wenn der Türke schwer arbei­tet und, und, und nicht viel hat, dann akzeptiert man den ja auch sofort. Aber so­bald der mal nen größeres Auto fährt – dat sieht man ja au nich gerne, ne? (9/741-757)

Eine Besserung des „Ausländerproblems“ erwartet er in absehba­rer Zeit nicht. Im Gegenteil: In naher Zukunft erwartet er eine Verschär­fung der Konflikte. Der Grund dafür liegt seiner Meinung nach in der äußeren Un­terscheidbarkeit der Menschen.

Es wird nie, nie ganz abgebaut sein, ne? Solange ne Hautfarbe noch anders is, dann kann man die noch unterscheiden. (9/775-777)

 

4.      Wie beschreibt „Wilfried“ EinwanderInnen?

Die folgenden Zitate sind die Aussagen über EinwanderInnen, die Ras­sis­mus enthalten.

1.      „Wilfried“ sieht in der Hautfarbe ein genetisches Unterschei­dungs­merkmal, das durch seine Sichtbarkeit und Unverän­der­barkeit un­ver­meidlich zu Benachteiligungen führt:

Noch halt eben nach der Hautfarbe, äh, daß se halt eben noch ärmere Schweine sind – die sind nich ganz schwarz und sind nich ganz weiß, ne. Lie­gen ganz blöd dazwi­schen. (9/324-326)

2.      Eine Aussage über Schwarze ist zwar nicht gegen sie gerich­tet; die Bemerkung läßt aber erkennen, daß die genetisch bedingte Tatsache der unterschiedlichen Hautfarbe mit der dadurch üblichen Dis­kri­mi­nierung (wie oben) einfach hingenommen wird. Mit seiner For­mu­lie­rung deutet „Wilfried“ allerdings einen pragmatischen Zug seiner Be­urteilung an. Wenn man die ‚Schwatten‘ als Unter­menschen be­zeich­net, dann bekommt man eben Schwierigkeiten. Wie es da­nach weiter­geht, ist ihm wohl auch nicht ganz klar, denn er zieht das Beispiel in Zeile (9/714ff.) wieder zurück:

…weil die Schwatten sind ja im Prinzip Untermenschen, dann sieht man, dat man da auch Schwierigkeiten kriegt, man grade, wie die sich verhalten ham. Aber dat is jetzt vielleicht nicht son ganz so gutes Beispiel, ne? (9/712-715)

3.      Der Lebensstandard der Deutschen wird durch zuviele Einwande­rIn­nen gefährdet. Diesen Wohlstand haben sich die Deutschen durch harte Arbeit verschafft. Das haben ärmere Na­tionen wohl nicht hinge­kriegt.

   …daß man sagt, die, die kön­nen erst mal nicht so hart arbeiten wie wir, … (9/320-321)

4.      Die Morgenländer sind einfach anders. Ihnen fehlen die we­sent­li­chen Errungenschaften westlicher Kultur. Hitzigkeit, Spon­taneität, Unüber­legtheit, Schießwütigkeit und Aggressi­vität sind Argumente für die Abwertung. Die westliche Kultur ist der Maß­stab.

Ja, diese ganzen Palästinenser und, und, und Türken, und es is für mich un­gefähr – die sind sehr hitzig, die, die, die, die, die handeln sehr, wie soll ich sagen, spon­tan und und sind da etwas unüberlegt drin, ne, sind da so, sag ich mal, wie kleine Kinder noch, ne? Da wird mir zuviel noch mit Gewehren und Pistolen rumgeschos­sen, ne? Und Leute verprügeln und so, das is also Unsinn. Dat hatten wir hier ge­habt und dat hat auch nich funktioniert. (9/575-579)

5.      Cinti- und Romakinder betteln. Das ist lästig und bedenklich und soll nicht so bleiben. 

   …ich habe zum Beispiel nen sehr großen Vorbehalt gegen diesen Sintis und Ro­mas, es geht mir jetzt nicht danach, daß ich sag, Sintis und Romas, die sind alle sehr schlecht oder so, daß – ich kenn die Leute eigentlich so nicht – aber, äh, diese Bettelphase von denen, das, das geht mir schon auf n Zwirn, daß Kinder reinkom­men in ner Gast­stätte un dir son Zettel hinhalten und und wollen Geld von einem haben, das find ich dann schon be­denklich, ne? Da müßte man vielleicht was gegen tun. (9/361-366)

6.      Spanier haben eine lasche Arbeitshaltung. Sie passen sich dem deut­schen Arbeitstempo nicht an. Interessant ist der Ge­gensatz: lasch – hektisch. Hier wird die deutsche Variante der Arbeitsmo­ral negativ konnotiert.

   Man kann ja jetzt keinen Spanier zum Beispiel äh, äh, davon überzeugen, find ich, daß er jetzt ma nich so ne lasche Haltung haben soll, und und, ma mehr mit, mit, mit, ich will dat ma einfach Hektik nennen, ne, mit mehr Hek­tik anne Arbeit rangehen und dat er mehr schaffen kann, dann, ne? (9/503-506)

7.      Türken verbauen sich durch mangelnde Anpassung und ihr Be­har­ren auf ihren eigenen Lebensstil Sympathien. Anpassung ist ange­sagt.

   …ich bin der Meinung, daß, daß Türken, die hier wohnen, auch nicht da so drauf be­har­ren müssen, ne, auf ihre Dinge, dadurch, äh, äh, tragen die eigent­lich nich dazu bei, daß daß diese, diese Konflikte, diese nationalen Konflikte ver­schwinden. Also, die sollten ihren Unsinn da auch ma lassen. (9/540-543)

8.      Rechtsradikale Türken in der BRD repräsentieren Ausländer und die allgemeine politische Kultur in der Türkei. Bei der Gele­genheit wurden dann Griechen mit einbezogen.

   …diese Wahlrechte für Ausländer halt ich für, für Quatsch zur Zeit noch, weil, äh, die Leute selbst da auch noch nicht in der Lage dafür sind, alle, ne? Das heißt einfach, daß ich, daß ich da Bedenken hätte, daß die ihre Nationali­tät zu weit da mit reinbrin­gen. Das heißt aber auch wiederum, jetzt nicht die Nationalität, daß ich sage, also jetzt ist n Türke oder n Grieche ir­gendwie in irgendnem Ausschuß mit drin, dat wär ja eigentlich noch, ja eigentlich wär dat ja noch <lachend> ver­nünftig, ne, weil, die Leute leben hier, zahlen Steu­ern und so, aber, daß die zu sehr ihre Politik hier rüberbrin­gen, das heißt, ich denke da mit Schrecken dran, wenn ich äh, äh, bedenke, daß, daß die Grauen Wölfe hier ihr Unwesen treiben, die ge­nauso rechtsradikale Schweine sind wie Nazis oder Skinheads, oder halt eben diese politischen Gruppierungen, ne? (9/563-572)

9.      Orientale wollen ständig verhandeln und können sich mit deut­schen Gewohnheiten nicht abfinden. Deutsche Routine im Ge­gensatz zur Handelsfreude: Kulturen stoßen aufeinander.

   …Leute, die, die, aus, aus diesem Bereich kommen, aus diesem Orientbe­reich, will ich mal sagen, ne? Äh, die ständig Dinge noch verhandeln wollen und an­ders haben wol­len, das is halt eben der Punkt, wo ich sag, das is diese, diese, dieser Ab­lauf, den ich liebe <ironisch>. (9/670-673)

10.    Orientale wollen sich nicht anpassen, sondern ihren Lebens­stil durch­setzen.

   Sie wollten sich auch in dem Punkt nicht anpassen, sie wollten schon das davon rausbe­kommen, was sie haben wollten, ne? (9/680-681)

   …diese, die Türken, die, äh, ziehen auch ihr Programm durch, was sie drü­ben auch ha­ben. Der Lebensstil, der is natürlich anders als hier, ne? (9/721-722)

11.    Türken treten in Gruppen auf und treiben sich selbst in die Iso­la­tion.

   …also die Deutschen gruppieren sich eigentlich nicht so wie die Türken zum Bei­spiel. Die Türken, die treten nur in Gruppen auf. (9/745-746)

12.    Juden haben zu ihrer Verfolgung und Vernichtung im „Dritten Reich“ durch Abkapselung selbst beigetragen.

   …das is meiner Meinung nach auch dasselbe Problem gewesen mit Juden. Juden ha­ben sich auch abgekapselt und haben ihren Lebensstil weiter durch­ge­führt, das, das gab den Brennpunkt eigentlich, ne? (9/751-753)

 

„Wilfrieds“ Äußerungen zu EinwanderInnen enthalten klassische rassi­sti­sche Elemente.

         Er stellt fest…

        Eine dunkle Hautfarbe führt unweigerlich zu Benachteiligung und Diskriminierung.

        Deutsche arbeiten härter als Einwanderer und Deutsche lei­sten mehr. Deshalb haben die Deutschen auch einen höheren Wohl­stand. (Wohlstandsfaktoren wie Ausbeutung der soge­nannten „Drittwelt­län­der“ und die Zerstörung der Natur wer­den von „Wilfried“ nicht er­wähnt.)

        Vor allem EinwanderInnen aus dem „Orientbereich“ sind un­reif, hitzig, spontan und wollen sich nicht anpassen. Wegen dieser Un­reife haben sie auch keinen Anspruch auf Wahlrecht. Sie ir­ritieren mit ihrer Be­harrlichkeit die deutsche Routine und ste­hen ihrer In­tegration dadurch selbst im Weg. Somit sind sie für ihre Probleme letztlich selbst verant­wortlich.

        Cinti- und Romakinder betteln. Das stört ihn, und er möchte, daß etwas dagegen unternommen wird. Was das sein soll, bleibt offen. Klar ist nur, daß er selbst an diesem „Da müßte man viel­leicht was gegen tun.“  (9/366) nicht aktiv beteiligt sein will.

 

         Er beklagt…

        Die Türken treten immer in Gruppen auf. Dadurch geraten sie in Isola­tion, die sie dann ja selbst verschuldet haben. Ein Schritt auf dem Weg aus dieser Isolation heraus wäre die An­passung, die in „Wilfrieds“ Vor­stellung eine große Rolle spielt. Wie groß sie ist und wie bedeutend sie für sein eigenes Leben war, soll spä­ter noch erör­tert werden.

        „Wilfried“ beklagt die mangelnde Bereitschaft zur Anpassung. Hier liegt sein Schlüssel für einen großen Teil der Probleme. Doch man muß auch bedenken, daß er für einen bestimmetn Teil der Einwan­derInnen auch hierdurch keine Lösung anbie­ten kann: Die Haut­farbe als geneti­sches, unveränderbares Kennzei­chen läßt einer ge­dachten oder ge­wünschten Annä­herung im Zweifelsfall keine Chance:

Es wird nie, nie ganz abgebaut sein, ne? Solange ne Hautfarbe noch anders is, dann kann man die noch unterscheiden. (9/776-777)

Außer diesen ‚klassischen‘ Rassismen gibt es noch eine, völlig aus dem Rahmen der sonstigen Äußerungen fallende Bemerkung:

Vielleicht – dat weiß ich aber auch nich so genau – wenn, daß, sagen wer mal so vier, fünf Generationen, ne, wenn se, das is meiner Meinung nach auch das­selbe Problem gewesen mit Juden. Juden haben sich auch abgekapselt und haben ihren Lebensstil weiter durchge­führt, das, das gab den Brennpunkt ei­gentlich, ne? Na­türlich auch noch darin vielleicht gese­hen, weil waren recht erfolgreich. Das sieht man dann na­türlich au noch nich so ganz gerne, ne? Wenn der Türke schwer arbei­tet und, und, und nicht viel hat, dann akzeptiert man den ja auch sofort. Aber so­bald der mal nen größeres Auto fährt – dat sieht man ja au nich gerne, ne? (9/750-755)

Die Juden waren also durch ihre Abkaspelung selbst schuld an ih­rer Er­mordung? Und wie interpretiere ich den „Brennpunkt“? Kann ich wirk­lich übersehen, daß in den Konzentrationslagern viele jüdische Menschen ver­brannt worden sind? Viel­leicht be­steht in dieser For­mulierung der Versuch einer Entla­stung, der dabei helfen soll, das Ausmaß des Holo­caust zu ertra­gen. Wenn dann aber direkt danach der Erfolg der Juden mit dem der Tür­ken verglichen wird, muß ich davon ausgehen, daß hier eine äu­ßerst gefähr­liche Verknüpfung alter und neuer Rassismen statt­fin­det. Schlimm genug, daß wirtschaftli­cher Erfolg von Juden seit der Nazi-Zeit immer wieder in den Gesprä­chen als Entlastungs- und Ratio­nalisierungselement vor­kommt[109]. Hier wird aber eine Fortführung dieser Argumentationsstrategie ver­sucht, die schließ­lich in eine unausgespro­chene Drohung mündet. Wenn die Tür­ken durch Isolation und wirt­schaftlichen Erfolg in eine ähnliche Si­tua­tion geraten, was wird dann ge­schehen? Wie sieht der nächste Brenn­punkt aus?

 

5.      Wie argumentiert „Wilfried“?

Die im folgenden aufgeführten Interviewabschnitte sind die Stellen, an denen „Wilfried“ meine Fragen für mich überraschend anders, als von mir erwartet, be­antwor­tet hat.

Diese »unscharfen« Übergänge sind wichtig, weil sich an ihnen Aus­sa­gen über Implikate und ihre hermeneutischen Entscheidungen[110] treffen las­sen. Au­ßerdem sind diese Stellen Angelpunkte für wesentliche, indi­viduelle Ent­­scheidungen.

Die Frage nach der Persönlichkeit seiner KollegInnen versteht „Wilfried“ als Frage nach deren Kompetenz. Obwohl in der Frage der Status bewußt in den Hintergrund gerückt wurde, hat „Wilfried“ so­fort die Kompetenz mit der Persönlichkeit gleichge­setzt. Vielleicht er­folgte die Identifikation im Sinne von ‚was den Menschen ausmacht‘. Der Aspekt der »Menschlich­keit« wird von ihm offenbar als ‚Bonus‘ be­wertet, der zur Kompetenz im Glücks­fall hinzutritt. Andere Seiten von Persönlichkeit wie Sympathie, Charakter oder bestimmte menschli­che Eigenschaften kommen in der Antwort über­haupt nicht vor.

Wie würdest du die beschreiben, die Leute, die jetzt – mit denen du unmit­tel­bar zusam­menarbeitest, jetzt nicht vom äh, vom Status her, im Betrieb, son­dern so von der Persönlichkeit her. Was sind das für Leute?

Hm, das is n bunt zusammngehauf – bunt zusammengewürfelter Haufen. Es sind Leute da­drunter, die, die tatsächlich Wissen haben und Können haben und da­durch auch hervorste­chen, auch noch dabei Menschlichkeit haben. Wiederum sind es äh Leute, die eigentlich weniger Wissen haben, die aber durch ihre Stelle hervor­treten. Und die Leute haben natür­lich allerhand jetzt damit zu tun, ihre Stellung und ihren Titel auch zu behalten, ne. (9/97-104)

Daraus läßt sich schließen, daß die Erfahrungen mit Beziehungen in der Firma für „Wilfried“ in erster Linie berufs- und stellungsbe­zogen ge­macht wurden. Seine Kollegen betrachtet er in erster Li­nie aus der Sicht ihrer Po­sitionen in der Hierarchie, die es im­merwährend zu ver­teidigen gilt. Es ist  zweierlei denkbar: Er hat seine Erfahrungen aus anderen Be­trie­ben hier übertragen, oder er hat seine Erfahrungen in der Firma, in der er jetzt ar­beitet, ge­macht.

… Glaubst du denn, daß daß äh, äh, Ausländer in Deutschland eher gut oder eher schlecht behandelt werden?

<lacht> Schlecht!

Ziemlich schlecht?

Natürlich. Was heißt ziemlich schlecht? Es ist … ich sah, daß der Mann da stand und er wußte nicht, wie er zur Autobahn kommen sollte, da hab ich an­gehalten und hab ge­sagt, was er fürn Problem hat, und da hat er gesagt halt eben, er möchte zur Autobahn, das wußt ich vorher nicht, ich hatte nur gese­hen, daß er Probleme hatte. »Kommen se her, komm ich fahr vor, dann fahrn se hinter mir her, ne?« Da war der völ­lig verstutzt, da stand der da, »Ja, warum machen se dat?« Ich sach »Ja, weil se sehr wahr­schein­lich den Weg sonst gar nicht finden, ne?« Ja, aber dat war er nich ge­wohnt, war er dat nich. Ich find dat schon schlimm, ne? Ne, andern Teil hab ich auch sehr viele Dinge erlebt, mit, mit, mit Türken, sag ich jetzt mal, jetzt nicht speziell Tür­ken, daß ich sag: »Die sind so«, sondern äh, das sind wohl äh, Leute, die, die, aus, aus diesem Bereich kommen, aus diesem Orientbereich, will ich mal sagen, ne? Äh, die ständig Dinge noch verhandeln wollen und an­ders haben wollen, das is halt eben der Punkt, wo ich sag, das is diese, diese, dieser Ablauf, den ich liebe <ironisch>. Dat war die Zeit, als ich Kohlen gefahren hab, und die moch­ten immer andere Dinge haben, und, und auch sehr aufwendige Dinge, ne. Das nervt mich schon bei den Leuten, ne? Daß sie, sie meinen auch, äh, sie könnten diese Dinge immer so, so han­deln.

Also du meinst, sie hatten dann Anpassungsschwierigkeiten, halt?

Mhhhm … <zweifelnd>

Oder die haben sich nicht angepaßt?

Sie wollten sich auch in dem Punkt nicht anpassen, sie wollten schon das da­von rausbe­kom­men, was sie haben wollten, ne? Und diese Haltung find ich auch insge­samt hier, äh, äh, äh, ganz öde. (9/650-690)

Auf die Frage, ob Ausländer in Deutschland eher gut oder eher schlecht be­handelt werden, folgt ein interessanter Denkweg „Wilfrieds“:

Zunächst antwortet er mit „schlecht“. Dann aber erzählt er eine Ge­schichte, in der er sich einem Ausländer gegenüber hilfsbereit und freundlich erwie­sen hatte. Darauf folgt dann eine Kritik an Türken und ‚Leuten aus dem Orientbereich‘, die sich nach seiner Erfahrung nicht an­passen wollen und ihre orientalische Mentalität in Deutsch­land mehr oder weniger rücksichts­los durchsetzen. Schließlich kriti­siert er dann noch deutsche Verwaltungs­beamte, die Handlungen aus dieser Mentali­tät tolerieren und Deutschen dadurch Nachteile zumuten.

Ein erstaunlicher Denkweg, der wie folgt interpretiert werden kann: Zunächst bewertet „Wilfried“ die Behandlung von Auslän­dern pau­schal als „schlecht“. Um sich aus der Gruppe derer auszu­grenzen, die diese schlechte Behandlung vollziehen, beweist er seine Toleranz und Hilfsbe­reitschaft mit einer Geschichte. Dadurch soll klar werden, daß „Wilfried“ seine Erfahrun­gen im Ausland – dort wurde ihm im­mer geholfen – in der Heimat um­setzt und sich dadurch von der Mehrzahl der Deutschen in dieser Hinsicht unter­scheidet. Jetzt kann er, nachdem er sich als toleran­ter Mensch ausgewiesen hat, zur Kri­tik übergehen, ohne sich des Ras­sismus ver­dächtig zu ma­chen. Die Erwähnung der fehlenden Anpas­sungs­bereitschaft der Orientalen macht die Toleranz schwer und nimmt, kontextgebun­den, unter­schwellig das Format einer Ent­schuldigung oder Erklä­rung für schlechte Behandlung an.

Auf diese Weise vermittelt „Wilfried“ viererlei: Er ist erfahren, und zwar durch die Reflexion unterschiedlicher Lebensräume und de­ren Kultur. Er ist anpassungsbereit, weil er sich den unter­schiedlichen Kulturen an­passen kann[111], und er ist kritikberechtigt, weil er grund­sätz­lich anpas­sungsbereit ist. Schließlich hebt er sich von der Masse der deutschen Be­völkerung ab, weil er, unabhängig von der Nationa­lität, grundsätzlich hilfsbereit ist.

Ah, du befürchtest auch, daß wenn du dich im Ausland niederlassen wür­dest, du auch Schwierigkeiten kriegen würdest?

* Könnt ich mir vorstellen.

Könntest du dir vorstellen?

Ich, ich bin mir da nicht sicher. Oder zumindestens sagen wir mal so: Das äh, äh, äh, äh, wenn viele Deutsche sich da niederlassen würden, das sieht man in Süd­afrika. Da ham sich auch Deutsche und Holländer irgendwann mal nie­dergelas­sen, weil se meinten, dat is jetzt ne Kolne…, Kolon…, Kolonon…,

Kolonie?

Ja. Eine Kolonie von denen is, und sie hätten das Recht auch dazu, das zu nehmen, weil die Schwatten sind ja im Prinzip Untermenschen, dann sieht man, dat man da auch Schwierig­keiten kriegt, man grade, wie die sich verhal­ten ham. Aber dat is jetzt vielleicht nicht son ganz so gutes Beispiel, ne? <lacht> Aber man hat das auch in anderen von afrikanischen Staaten, ne? Wenn, wenn dieses System auch durchgezogen wird, was sie handhaben, das is ja auch das Problem ei­gentlich hier, die, die, sagen wir mal, ich sprech die Türken jetzt an, weil, äh, ich wüßte nicht, daß, daß Italiener zum Beispiel be­nachteiligt werden, ne? Das, das is mir selbst noch nicht so auf­gefallen, dat weiß ich nich, glaub ich auch nich. Es kann na­tür­lich auch sein, das war wohl in der Anfangszeit hier, wo die Leute neu waren, ne, daher, aber, äh, die, diese, die Türken, die, äh, zie­hen auch ihr Programm durch, was sie drüben auch ha­ben. Der Lebensstil, der is natürlich anders als hier, ne? Und, äh, wo­bei also mir kei­ner damit kommen soll, oder so, daß Türken irgendwie dreckig wären oder so. Die sind – können, teil­weise können die sehr spartanisch le­ben, das ja. Aber sauber, ne? Das also, das, das is Unsinn, ne? Aber sie ziehen ihr Programm durch, und deswegen stoßen sie auch da, äh, ge­gen an, ne? Natür­lich gibt es dann auch noch Leute, die grundsätzlich jetzt Ausländer für min­derwertig halten, ne? Das heißt also jetzt, sagen wir mal so Asiaten oder, oder Tür­ken jetzt, wo, äh, bei uns mehr, weil es auch ein unterentwickeltes Land is, ne? (9/703-726)

Die Einwanderung von Türken in Deutschland vergleicht „Wilfried“ mit der Kolonialisierung Südafrikas. Allerdings scheint die Einwan­derung vieler Menschen einer Nationalität in ein Ausland für ihn notwendig eine Erobe­rung zu sein. Wenn dann in Rechnung ge­stellt wird, was uns über Apart­heid in Südafrika be­kannt geworden ist, dann ist der Vergleich der weißen Südafrikaner mit den Türken, die in Deutschland ein­gewandert sind, völlig unlo­gisch.

Und immer wieder: Die Angst vor der fremden Kultur, verbunden mit der Forderung nach Anpassung.

 

Ein Widerspruch

So, wir waren bei dem Thema ‚Die DDR-Bürger‘ stehengeblieben – Ähm, die Wie­dervereinigung (…) Würdest du sagen, »das ist ganz gut so«, daß man sa­gen muß, äh, hier das Land ist so halbwegs voll, und wir müssen uns überle­gen, wen wir reinlassen, und jetzt sollen wir uns erst mal um die Deutschen kümmern, zum Beispiel, oder von mir aus auch um die Spätaussiedler. Wie siehst du das?

Ganz klar, jetzt erst mal, dat mu… dat will ich erst mal trennen. <räuspert sich> Zu­erst will ich so sagen, wir müssen uns nur um die Aussiedler oder bzw. jetzt erst mal um die DDR küm­mern, aber wiederum glaub ich, kommen immer noch welche aus Rußland und so, große Mengen, ich bin mir allerdings da nicht ganz sicher.

Es passiert immer viel gleichzeitig.

Da würd ich sagen, daß wir das vorrangig – nein. Halt ich für Quark. Weil, äh, das sind für mich, äh, genauso wenig Deutsche wie, wie, wie jetzt irgend­welche Pakistanis oder, oder, oder, oder Tamilen oder sonstig was, weil die sind eben recht weit weg von Deutschland. Gut, man kann sa­gen, die einen sind noch weiß und ir­gendwie können die n paar Wörter Deutsch noch, aber dat hängt also damit zu­sammen, daß ich äh, äh, kein Nationalgefühl hab, auch, daß ich diese Leute halt eher als Menschen seh. Und ich ordne das höchstens als geogra­phisch ein. Okay, nach Lebensstil kann man auch noch einordnen, man merkt da schon mal, ob je­mand anders ist oder nicht, das macht sich bemerkbar, sagen wer mal, aber das halt ich für Quatsch. Die, das is Un­sinn. Dann, ob man die, die, die Asylanträge, ob man die besser prüfen sollte, das halt ich schon für richtig, das man die besser prüfen sollte. Weil äh, äh, ich glaube ein­fach, daß dazu zu viel Wirtschaftsasylan­ten reingeholt wer­den. (9/407-431)

Zunächst befürwortet „Wilfried“ eine Bevorzugung von DDR-Bür­gern auf­grund ihrer deutschen Nationalität. Dann entdeckt er aber, daß diese Auf­fassung seiner Definition von Nationalität wi­derspricht und korrigiert sich (9/421). Wahrscheinlich hat ihn hier der Hauptstrom des Interdis­kurses mitgerissen, in dem unent­wegt von ‚der gemeinsa­men nationalen Verant­wortung‘ und der geschichtlichen Verbindung bei­der deutschen Staaten die Rede war und bis heute noch ist.

 

Zusammenfassung

Insgesamt läßt sich feststellen, daß „Wilfried“ eine komplexe Ar­gu­men­tati­onsstruktur verwendet. Seine Ausführungen sind selten knappe Ant­worten; in den meisten Fällen faßt er die Fragen als Im­puls auf, nach denen er, in häufig langen Passagen, seine Ge­danken entwickelt. Aus der Betrach­tung der Argumentati­ons­struktu­ren läßt sich vermuten, daß er das Ge­spräch vielleicht eher als Dia­log, und weniger als Interview aufgefaßt hat. Er steht nicht Rede und Antwort, sondern er denkt laut nach, argumen­tiert, fragt nach und läßt seinen Gedanken freien Lauf.

 

6.      Woher bezieht „Wilfried“ seine Kenntnisse?

Aus Vorgesprächen habe ich erfahren, daß „Wilfried“ seine Infor­ma­tionen in erster Linie aus dem Fernsehen und dem persönli­chen Ge­spräch mit Be­kannten und Kollegen bezieht. In solchen Gesprächen werden Mei­nungen ausgetauscht und wahrscheinlich auch Informa­tionen oft ver­wässert.

Wenn man sieht, daß, daß, äh, die Berichte sieht aus m Fernsehen, wie, wie zum Bei­spiel in England, wieviel Familien da, beziehungsweise Mütter mit ihren Kin­dern bet­teln gehen, und müs­sen, dat se wat zu essen kriegen. (9/510-512)

Die Sätze über Wissenquellen, in denen die Partikel ‚man‘ vor­kommt, ma­chen den Hauptteil der Äußerungen hierzu aus. Formu­lierungen wie:

Das kann man nicht so ganz einfach beantworten, (9/3-4) daß man sagt (9/320), Die {gemeint ist: denen; H.C.} hatte man - alle Sonderrechte eingelegt, ne? (9/376-377), sagen wer mal (9/544;545;619), weil man et ja für normal hält, ne? (9/628), oder das sieht man ja (9/708;713)

setzen voraus, daß es so etwas wie einen Konsens gibt, der sich durch die Kommunikation untereinander[112] gebildet hat und weiter ausbildet.

An dieser Stelle fließen Fernsehwirklichkeit und Alltagswirklich­keit zu­sammen. Fernsehnachrichten werden diskutiert und ge­meinsam inter­pre­tiert und verursachen Veränderungen der be­stehenden Vor­stellungen.

 

7.      Über „Wilfrieds“ Sprache

Wilfrieds Sprache ist von Redewendungen stark durchsetzt. Unab­hängig von der Schwie­rigkeit, Redewendungen aus der gespro­chenen Spra­che als sol­che zu isolieren, können bei „Wilfried“ viele Füllwörter und sprach­li­che Versatzstücke festgestellt werden[113]. Die Vergewis­se­rungsfloskel „ne“, die an fast jede Äußerung angehängt wird, taucht 192 mal auf. Das „äh“ 135 mal, „jetzt“ 72 mal und die Ver­bindung „halt eben“[114] 46 mal; „natürlich“ wurde immerhin noch 28 mal ver­wendet.

Auch durch die Vielzahl dieser Füllwörter wirkt die Sprache stark re­strin­giert. Bei den Substantiven rangieren die Wörter „Leute“ mit 35 mal und „Sache“ mit 21 mal an Platz eins und zwei.

Sowohl „Leute“ als auch „Sache“ wurden vor allem dann verwen­det, wenn die Bezeichneten nicht genau beschrieben werden konn­ten oder keine klar abgegrenzte Gruppe darstellten. Anders gesagt: Im­mer dann, wenn „Wilfried“ bei der Benennung unsicher wurde, setzte er diese Wörter ein. Die hohe Frequenz dieser blassen Wendungen läßt auf Unsicherheit schlie­ßen. Die Unsicher­heit kann zwei Ursa­chen haben: Entweder ist „Wilfried“ bei seinen Formulierungen über­vorsichtig und versucht, im Allgemeinen, Un­präzisen zu bleiben. Da­für spräche auch das ständige re­lativie­rende „ne“ am Ende fast jeder Aussage. Oder er hat keine genaue Kenntnis der be­nannten Sache oder Gruppe, wenn er diese Wörter ein­setzt. So oder so: An solchen Erscheinungen läßt sich schon ablesen, daß „Wilfried“ vorsichtig, schwankend und unsicher ist.

 

7.1    Einige Metaphern und Kollektivsymbole

Arme Schweine (9/325)

Tiermetapher für Benachteiligte oder mitleiderregende Men­schen, die – den Schweinen gleichgestellt – gegenüber ihrem Schicksal wehrlos sind. Das arme Schwein ist das Tier, das aufgezogen wird, um Fleisch zu lie­fern, das seinem Schicksal ausgeliefert ist und sich nicht wehren kann. Das „arme Schwein“ ist ein „bedauernswerter Mensch“.[115]

Rechtsradikale Schweine (9/571)

Beleg für die negative Seite der Metapher „Schwein“. Waren oben noch die Paki­stanis arme Schweine, dann sind jetzt die Grauen Wölfe – eine rechts­radikale türkische Organisation – ebenfalls der gleichen Tier­gat­tung zuge­ordnet. Hier ist das Schwein plötzlich das Schwein, das „frißt, grunzt, schnüffelt, quiekt“, das sich »schlecht benimmt«[116].

Bimbos (9/358)

Wenn „Wilfried“ in (9/261) das Schimpf­wort „Bimbo“ ablehnt, muß jetzt festgestellt werden, daß er selbst Anwender dieses Wortes ist[117].

Sein Schäflein beitragen (9/395)

Metapher für einen – wenn auch kleinen – Beitrag zu einer Sache. Das Scherflein ist die Niedlichkeitsform von Scherf oder auch Schärf, einer „Scheidemünze“, dem mittelalterlichen halben Pfennig, der spä­ter vom Heller abgelöst wurde. Hier fließen zwei Redewendungen zu­sammen:

         „Sein Scherflein beitragen“ und

         „Sein Schäflein ins Trockene bringen“.

Es handelt sich um eine sogenannte Volksetymologie. „Wilfried“ kennt das Wort „Scherflein“ nicht und assoziiert es dann mit dem ähnlich klin­genden „Schäflein“. Das ergibt auch einen Sinn, denn das Schaf ist ein Op­fertier.

Kopftücher  (9/546, 554)

Kollektivsymbol in Gestalt eines Pragmasymbols für den Unterschied zwi­schen der christlichen und islamischen Kulttur oder auch für die Un­ter­drückung der türkischen Frauen durch ihre Kultur oder ihre Männer. „Wilfried“ möchte, daß die Kopftücher abgelegt werden, was er dann als An­passungsleistung honorieren würde. Das Kopftuch symbolisiert die Fremd­heit und die Macht der fremden Kultur. Dage­gen setzt er das…

Bayerische Hofbräuhaus (9/558)

Das Bayerische Hofbräuhaus ist in gewisser Weise das deutsche ‚Kopftuch‘. Im Hofbräuhaus sieht er wohl eine Metapher für origi­när deutsche Kultur, die auf keinen Fall exportfähig ist. Durch die Kon­nota­tion von Skurrilität bei der sprachlichen Verwendung des ‚Hofbräu­hau­ses‘ im westdeutschen Kontext bekommt das Kopftuch nach­träglich noch ein weiteres Attribut: die Lächerlichkeit. Er­gänzt wir das dann noch durch die nächsten beiden Tä­tigkeiten…

BILD-Zeitung lesen (9/560) und Diebels-Alt[118] trinken (9/561)

Das sind Metaphern für deutsche Alltagsbeschäftigungen, die aber im Frei­zeit-Bereich angesiedelt sind, denn bei dem Vergleich geht es um Ur­laubs­vergnügungen. Diese Tätigkeiten werden als wirk­lich deutsch und gleich­zeitig auch negativ gewertet. Dieser – aus „Wilfrieds“ Sicht – Inbe­griff deut­scher Kultur korrespondiert im­mer noch mit dem Kopftuch.

Bemerkenswert ist, daß er eine kurzfristige Anpassungsleistung wäh­rend eines Urlaubes mit einem längeren Aufenthalt oder einer Ein­wan­derung vergleicht.

Wie kleine Kinder sein (9/577)

Redensart/Vergleich für ein Verhalten, das Reife und vernunftgeleite­tes Ver­hal­ten vermissen läßt. Die in diesem Zusammenhang (9/576) genann­ten Eigenschaften schmüc­ken die Formulierung aus: „hitzig, spontan, unüber­legt“.

Brennpunkt (9/753)

Obwohl Bedrohungs­ge­fühle von „Wilfried“ immer bestritten wurden, z.B. (9/369), kam in (9/741-757) doch Unbehagen zum Vorschein. An dieser Stelle findet sich auch eine heftigste Entgleisung, weil „Wilfried“ hier den Juden selbst eine Mitverantwortung für den Holo­caust zu­schreibt:

Vielleicht – dat weiß ich aber auch nich so genau – wenn, daß, sagen wer mal so vier, fünf Generationen, ne, wenn se, das is meiner Meinung nach auch das­selbe Problem gewesen mit Juden. Juden haben sich auch abgekapselt und haben ihren Lebensstil weiter durchge­führt, das, das gab den Brennpunkt ei­gentlich, ne? Na­türlich auch noch darin vielleicht gese­hen, weil waren recht erfolgreich. Das sieht man dann na­türlich au noch nich so ganz gerne, ne? Wenn der Türke schwer arbei­tet und, und, und nicht viel hat, dann akzeptiert man den ja auch sofort. Aber so­bald der mal nen größeres Auto fährt – dat sieht man ja au nich gerne, ne? (9/750-757)

Die Juden sollen von den Deutschen als bedrohliche, abgekapselte Grup­pie­rung empfunden worden sein, und implizit sagt „Wilfried“ damit, daß die Juden ihr Schickal durch die Lebensführung selbst herbeigeführt ha­ben. Ganz abgesehen davon, daß der Ausdruck „Brennpunkt“ (9/753) in diesem Kontext eine erstaunliche sprachli­che Assoziation darstellt. Ich habe jeden­falls den „Brennpunkt“ mit der Verbrennung der Juden in den Konzentrati­onslagern in Verbin­dung gebracht. Aber was bedeutet das für die Türken, bzw. für alle Minderheiten, die sich - aus der Sicht der Deut­schen - als Gruppe isolieren? Dadurch, daß sie ihren „Lebensstil“, ihr „…Programm (durch)ziehen…“ (9/722ff.), bringen sie sich in Gefahr, denn das werden die Deutschen wohl nicht lange mit ansehen.

Innen – Außen – Symbolik

Die aufgeführten Beispiele zeigen, daß sich „Wilfried“, obwohl er ja ein deutsches Nationalgefühl für sich bestreitet, in seiner Heimat wohl­fühlt, und daß andere von außen in sie hineinkommen. Er ist drin­nen, die an­de­ren müssen hineinkommen. Dazu müssen die, die reinwol­len, mehr tun, als nur eine geographische Grenze über­schrei­ten. Das Reinlassen ist keine Selbstverständlichkeit, denn „Wilfried“ wägt ab, wer das darf und wer nicht.

Is es wirklich nötig, daß wir jetzt irgendwelche Rumänen, ir­gendwelche Rus­sen äh, äh, äh, hier aufnehmen als Deutsche – die vor fünf oder sechs Genera­tionen halt eben rübergegangen sind, deren Eltern, und die jetzt als Deutsche, äh, anerkennen und un­terstützen und lassen deswegen jetzt ma son paar Bim­bos draußen, ja, * tatsäch­lich jetzt, tatsächlich politisch Verfolgte reinlassen. (9/355-359)

Weil äh, äh, ich glaube einfach, daß dazu zu viel Wirtschaftsasylanten reinge­holt wer­den. (9/430-431)

Das heißt einfach, daß ich, daß ich da Bedenken hätte, daß die ihre Nationali­tät zu weit da mit rein­bringen. (9/564-565)

 

Zum Schluß

Es wäre völlig falsch, zu glau­ben, man könne alles soweit abschälen, bis „Wilfrieds“ Rassismus frei­gelegt ist, so als existierte er außerhalb bzw. iso­liert von allem an­deren; der Rassismus muß im Kontext ge­sehen wer­den. Dazu ein Beispiel: „Wilfrieds“ Kompromißgedanke ist konstitutiv für alle seine weiteren Über­legungen. Sein utopisches Potential ist da­durch stark begrenzt. Er erwartet keine großen Fort­schritte für eine kulturelle Annähe­rung von Menschen unterschiedli­cher Na­tionalität in der nahen Zukunft. Das hängt aber damit zu­sammen, daß er auch für seine persön­liche Zukunft keine großen Erwartun­gen hegt.

Wenn dieser Ansatz richtig ist, dann muß eine Interpretation von der kon­kreten Lebenssituation ausgehen und die Grenzen seiner Per­spekti­ven und Herkunft berücksichtigen. „Wilfrieds“ Arbeits­wirklich­keit ist zu einem sehr großen Teil von Konkurrenzkonflik­ten ge­prägt. Die strenge hierarchische Struktur er­stickt nicht nur indi­viduelle Karrierewünsche[119], sondern sie prägt durch ihre Strenge auch seine Erwartungen an andere Menschen.

Dadurch sind wir bei der wesentlichen Entdeckung, die die Arbeit an dem Interview mit „Wilfried“ hervorgebracht hat: der Anpas­sung. Der Kompro­miß birgt unvermeidlich die Bereitschaft zur Anpassung. Sie ist die erträg­lichste Formulierung für Unterwer­fung, und diese ‚Leistung‘ hat „Wilfried“ inzwischen erbracht und verinnerlicht. Des­halb sieht er auch nur diesen einen Weg für Ein­wanderInnen. Auch sie müssen, wenn sie hier (über-) le­ben wol­len, ihre Anpas­sungslei­stung erbringen. Nur so werden sie den Kon­flikt bewäl­tigen. „Wilfried“ macht seinen Weg zum Weg für alle anderen. „Wun­derbar“ (9/9) wird es nicht werden. Träume und große Hoff­nungen las­sen seine Perspektive nicht zu; Zufriedenheit genügt:

…is ein Kompromiß, es is nicht dat, wat man als, als wunderbar empfinden kann, aber wiederum gibts auch schlechtere Sachen. Von daher sach ich mir einfach, gehts mir ganz gut, … (9/8-10)

Was „Wilfried“ hier in Bezug auf seine berufliche Situation formu­liert, zieht sich durch alle seine Äußerungen. Die Kompromißhal­tung macht ihn passiv. Er übt sein Wahlrecht nicht aus und läßt selbst große politi­sche Ereignisse an sich vorbeiziehen, als gingen sie ihn nichts an. Trotz­dem hat diese Hal­tung ihm seine Angst nicht nehmen können. Die Grup­penbildung von Ein­wande­rInnen bereitet ihm Äng­ste, die so weit führen, daß er ein kom­muna­les Wahlrecht für Ein­wanderInnen nicht befürwortet – er, der sein eigenes Wahl­recht nicht ausübt.

Diese – ständig gegenwärtige – Anpassungsforderung wird, mit mas­siven Klischees[120] versehen, zu einer Haltung, die ein poten­tiel­les En­ga­gement für eine kulturelle Annäherung erschwert oder gar un­mög­lich macht. Das ver­schärft seinen Rassismus.

Allerdings sehe ich in „Wilfrieds“ Unsicherheit auch seine Chance. Sein Kompromiß ist meiner Meinung nach kein unbedingt starres System. „Wilfrieds“ grundsätzliche Bereitschaft zu neuen Erfah­run­gen[121] könnte die positive Seite dieses Kompromisses aufspren­gen. Er sieht ja deutlich, daß er Dinge tut oder daß er sich mit Zuständen ab­findet, zu denen er Al­ternativen für möglich hält. Insofern ist der Kompromiß offen. Prag­ma­tisch formuliert, könnte eine Chance in ei­ner Annäherung der Kul­turen liegen, also im kon­kreten Kennenler­nen der – noch – fremden Kul­turen. In Ägyp­ten hat er die Erfahrung gemacht, daß sich Touristen „blamabel“ verhalten haben (9/255ff.). Auch wenn er – hier in Deutsch­land – deut­sches Verhalten und deut­sche Zustände erwartet (9/639ff.), so sehe ich dennoch eine Chance für ihn, seine Anpassungs­forderung aufzugeben: wenn die persönliche Er­fah­rung fremder Kultur hinzu­tritt. Allerdings muß au­ßerdem noch eine Re­fle­xion seiner eigenen Situation hinzukom­men. „Wilfried“ wird vielleicht seine Haltung verändern und seine Ängste abauen, wenn er entdeckt, auf­grund welcher persönlicher Erfahrungen und Entschei­dungen in seinem Leben Weichen gestellt worden sind.

Das allein wird aber nicht reichen. Gleichzeitig muß sich auch seine Le­bensperspektive verändern. „Wilfrieds“ weitere Entwick­lung wird davon abhängen, wie sich seine materielle Situation und seine Bezie­hungen zu Menschen verändern. Bleibt das hierar­chische Konzept an seinem Ar­beits­platz das dominierende System seiner Weltsicht, bleibt der Kom­promiß be­tonfest. Beginnt er an der Magie des Kompromis­ses zu zwei­feln, dann hat er schon halb gewonnen.

Mein Gesprächspartner hat im Laufe seines Lebens schon viele Wünsche und Träume zu Grabe getragen. Ein Traum war der von einer Arbeit im KFZ-Bereich. Andere Träume, die nicht weniger wichtig waren, haben sich auch nicht verwirklicht. Aber: Das Leben geht weiter, und er sieht sich ge­zwungen, Kompromisse zu machen. Eine Alterserscheinung? Der Lack, der abblättert? So etwas wie »Sich-abschleifen lassen« von der soge­nannten Re­alität? Der Kompromiß scheint die Lösung zu sein.

Ideal ist es nicht, aber et gibt auch schlechtere Sachen…

Ein Idealfall wäre z.B. die Erfüllung seines Berufstraumes gewesen, das gibt es nicht, dafür ist er aber seine nervtötenden Jobs losgeworden und hat jetzt eine geregelte Arbeitszeit.

Es gibt auch schlechtere Sachen…

Im Kompromiß zeigen sich zwei Wege:

Auf der einen Seite das, was ich die offene Seite des Kompromisses nenne, da sehe ich auch die Chance. Er sieht ja noch, daß es etwas Bes­seres gibt, sein Ausblick ist noch offen, er kann nach wie vor eine Chance ergreifen, wenn er sie erkennt.

Auf der anderen Seite gibt es die sklerotische Seite, die den Prozeß der An­pas­sung kultiviert. Die Gefahr des Kompromisses liegt in seiner Bindung an die Zeit. Je länger er Kompromisse schließt, desto mehr verengt sich sein Blick für Träume und desto leichter wird er bereit sein, sich kaufen zu las­sen und sich in dem einzurichten, was man ihm zugesteht.

 

Rückkopplungen

In den Monaten nach der Aufzeichnung des Interviews habe ich mit „Wilfried“ über meine Analyse und meine Deutung seiner Aus­sagen ge­redet. Dadurch habe ich ihn viel besser verstanden, und auch für ihn hat sich manches geändert.

Eine Vielzahl der Informationen habe ich den Gesprächen mit „Wilfried“ zu verdanken, die wir nach dem Interview geführt haben. Aus diskurs­analyti­scher Sicht eröffnet sich durch diese »Rückkopplungen« eine neue, weitere Perspektive. Es war mir möglich, mehr über „Wilfrieds“ Leben zu erfahren, über entscheidende Wendepunkte in seinem Leben, über zer­schlagene Träume und erfüllte Wünsche. Aber auch seine berufliche und schulische Laufbahn war nicht geradlinig und gerade deshalb bedeutsam. Alle diese Aspekte werden im Interview nicht oder nur zum Teil ange­sprochen, sind aber wichtig, wenn ich ernsthaft über „Wilfrieds“ Wirk­lichkeit reden will, aus der sich seine Verstrickung in die unterschiedli­chen Diskurse ergibt. Diese „Deutung mit Rück­kopplung“ sollte weiter ausgebaut werden.

Ich hatte schon vorher geplant, „Wilfried“ meine Interpretation des In­ter­views zu erläutern. Dadurch habe ich dann ein stark verändertes Ver­hältnis zu meiner Deutung gewonnen. Ich wußte ja, daß der »Betroffene« sie später lesen würde und stand unter viel stärkerem Zwang, meine An­sichten zu rechtfertigen. An manchen Stellen haben sich dann auch Dis­kussionen er­geben, die meine – vorläufig – endgültige Deutung beein­flußt haben.

 

Und ich selbst…?

Die Arbeit[122] an dieser Thematik hat al­lerdings auch den ei­ge­nen Rassis­mus­begriff geschärft, so daß ich für mich selbst auf je­den Fall ei­nes jetzt schon sagen kann: Die diskursanaly­tische Auseinander­setzung mit Rassis­mus ist ein Weg, ihn zu verste­hen, und eine Bedin­gung, ihn zu ver­wandeln.

Wenn hier nicht mehr über meinen Rassismus steht, liegt das an der quan­ti­tativen Begrenzung dieser Analyse. Dennoch möchte ich erwäh­nen, daß ich an vielen Stellen – während des Interviews und bei der Analyse – auf eige­nen Rassismus gestoßen bin. Ich habe heraus­ge­fun­den, daß auch ich in den rassistischen Diskurs verstrickt bin. Wie sollte das auch anders möglich sein? Diese »Verstrickung« ist unvermeidlich, aber auch veränderungsbe­dürftig. Teile dieser Veränderung zeigen sich in der Sensibilisierung durch die Arbeit selbst und im Dialog über die Er­geb­nisse in Einzelgesprächen und nach Vorträgen. Diese Analyse hier soll ein weiterer Baustein sein. Trotzdem:

Solange diese Arbeit aber auf den Intellekt beschränkt bleibt, ist der Er­folg immer gefährdet.

 

 

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Copyright © 2000 Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung
Stand: 25. September 2006

 



[1]          Ein erstes Resultat dieser Bemühungen ist unsere Kritik an der rassistischen Hetze der Bild-Zeitung gegen Flüchtlinge im Herbst 1991 (Quinkert/Jäger 1991).

[2]          Eine ausführliche Ausarbeitung seines Ansatzes hat er auf einem DISS-Colloquium im Herbst 1991 vorgestellt. Sie mußte hier aus Platzgründen ganz knapp zusam­men­­­gefaßt werden.

[3]          Das gesamte Interview ist nachzulesen in S. Jäger 1991b, S. 461-475.

[4]          Folgende Themenbereiche wurden im Interview angesprochen: Wohngegend/Nach­bar­schaft (18/1-10;16-19;19-33;34-43;112-114;137-141), Wechsel der Wohngegend (18/61-75), Schule (18/10-15;165-174), Nachkriegszeit (18/19-33), Anteil der Einwan­derInnen in der Wohngegend (18/44-60), Bergbau (18/51-60;193-195;341-344), Zu­sammenleben von EinwanderInnen und Eingeborenen (18/76-89;99-108;111-112; 325;358;360;361;373;380;381;406-410), Angst vor Ein­wanderInnen (18/90-114;316-330;354-382), Arbeitswelt (Bergbau) (18/114-121;193-199), Auswirkun­gen der Wohn­umgebung auf das Ge­schäft (18/122-129;130-146), (Schulerziehung (18/ 147-174), Deutsche Wiedervereinigung (18/175-210), EinwanderInnen aus dem Gebiet der ehemaligen DDR/ aus Polen (18/188-193;204-210;266-274;297-299), EG-Binnen­markt/Öffnung Europas (18/211-225;232-253), Situation in der UDSSR (18/ 254-266), BRD als Einwande­rungsland (18/260-274;276-291), Wohnungsproble­matik (18/295-297), Kriminalität (18/109-111;300-303;314-330;331-340), soziale Un­ter­stüt­zung (18/304-313), Cinti und Roma (18/383-410;357-382).

[5]          „Die Instrumentalisierung etwa von EinwanderInnen kann sich nun auch in schein­bar »ausländerInnenfreundlicher« Form zeigen. Und das in­strumentali­sieren­de Sub­jekt muß nicht in jedem Fall rassisti­sche/ ethno­zentrische Motive verfolgen. Den­noch profitiert es sozusa­gen von einem gesellschaftlichen »Feld« rassisti­scher/ ethno­zentri­scher Aus­gren­zun­gen und produziert dieses Feld mit“ (Leiprecht 1991: S. 40).

[6]          Leiprecht 1991: S. 40.

[7]          Vgl. van Dijk 1992a.

[8]          Das Interview ist vollständig veröffentlicht in: S. Jäger 1991b, S. 376-388.

[9]          Auf diese Aussagen und ihre Funktion im Zusammenhang der Argumentation werde ich weiter unten noch genauer eingehen.

[10]        Die Frage, ob die negativen Einstellungen von Westdeutschen gegenüber Ostdeut­schen als rassistische anzusehen sind, wurde im Kreis der ProjektmitarbeiterInnen teilweise kontrovers diskutiert. Infolgedessen finden sich in den Einzelanalysen und in der synoptischen Anayse teilweise unterschiedliche Einschätzungen. Diese unter­schiedlichen Einschätzungen ergeben sich jedoch auch daraus, daß die interviewten Personen unterschiedliche Grade der Ablehnung von ostdeutschen Menschen auf­wiesen.

[11]        Der Einwand, daß es sich bei den EinwanderInnen aus den ehemaligen Kolonien in den Niederlanden, Frankreich und England ebenfalls um Gruppen handelt, die teil­weise die gleichen politischen Rechte haben, kann m.E. nicht gelten, denn diese Menschen werden einwandfrei als andere »Rasse« konstruiert, was für die Ostdeut­schen eben nicht zutrifft.

[12]        In ihrem Buch „Scheidelinien“ geht Anja Meulenbelt davon aus, daß es mehrere Formen von Unterdrückung gibt, die sowohl nebeneinander bestehen können, als auch sich miteinander vermischen können. Die drei wichtigsten sieht sie im Sexis­mus, im Rassismus und in der „Herrschaft von Menschen mit einer besseren berufli­chen Stellung und einer besseren Ausbildung über Menschen mit einer weniger an­gesehenen Arbeit oder überhaupt keiner Arbeit und einem niedrigeren Bildungsni­veau...“ Dies nennt sie »Klassismus«. (Meulenbelt 1988, S.45)

[13]        Interessant ist hier nebenbei, daß dies Bettina zu einem Zeitpunkt als erstes in den Sinn kommt, als die Regierungsparteien allesamt noch betonten, es gebe keine Steuererhöhungen durch die Einheit; Bettina scheint ihnen dies jedenfalls nicht ab­zunehmen. Es ist aber durchaus zu vermuten, daß die maßgebenden PolitikerInnen mit dieser »Schlauheit« ihrer BürgerInnen nicht nur gerechnet, sondern mit ihr so­gar kalkuliert haben: Wenn jede/r weiß, daß es Steuererhöhungen geben wird, die PolitikerInnen aber so tun, als ließen sich diese doch noch verhindern, ist der Grad der Empörung darüber, wenn die Steuern schließlich doch erhöht werden, u.U. niedriger als die Genugtuung darüber, es besser als die PolitikerInnen gewußt zu haben, ihr Spiel sozusagen von vorneherein durchschaut zu haben.

[14]        Das macht sie auch an anderen Stellen: In ihren Ausführungen zu den Deutschen bemerkt sie: „...keiner lacht mal oder ist freundlich oder so.“ (15/289)

[15]        Der Aspekt der Anspielung von sprachlichen Äußerungen ist von Franz Januschek in seinem Buch „Arbeit an Sprache“ entfaltet worden. Die Anspielung wird dort als eine sprachwissenschaftliche Kategorie entwickelt, mittels derer der Zusammen­hang von Produktion und Aneignung von Erfahrungen erfaßt werden kann. (Vgl. Januschek 1986)

[16]        Die sensible Beobachtung gesellschaftlicher Stimmungen, die Bettina offenbar zu solchen Prognosen brachte, darf hier natürlich nicht übersehen werden. Das Inter­view mit Bettina ist am 29.12.1990 entstanden, 9 Monate später brannten in vielen Städten der Bundesrepublik Flüchtlingsheime.

[17]        Vgl. dazu auch Pamela M. Fishman (1984), S. 127-140.

[18]        Gleiches gilt natürlich auch für die schlimmen Entwicklungen, die Bettina ja durch­aus prognostiziert. Auch hier sieht sie für sich keinen Handlungsbedarf.

[19]        Das Interview ist nachzulesen in: S. Jäger 1991b, S. 105-124.

[20]        Vgl.: Leiprecht 1991, S.16.

[21]        Vgl. z.B. 4/ 153-156: „Wir mußten ja auch erst jahrelang sehen, daß wir einigerma­ßen hö­herkommen und so ne, wo die Kinder noch klein waren. Bei denen wirds eben auch noch ein paar Jahre dauern, vielleicht bis das angeglichen ist, ne?“

[22]        Bspw.: 4/160, 174 und 177.

[23]        Vgl. auch: 4/550 und 553.

[24]        Vgl. dazu 4/ 506-516: „Ich meine, ich steh ja schon um sechs Uhr früh auf (...) das steckt noch in mir drin (...) Ja andere, die schlafen lange. Die können lange schlafen (...)“

[25]        In Herrn Müllers Reden tauchen 67 Mal Substantive auf, die einen bestimmten zeit­lichen Rahmen umfassen. Z.B.: mit der Zeit, Tage, Jahrzehnte, Monate. Eine solche Einteilung dient der Orientierung innerhalb des eigenen Lebens, welches so einen festen Rahmen er­hält, strukturiert und geordnet wird.

[26]        Andere Beispiele für Herrn Müllers Autoritätsdenken finden sich in 4/205-206 und 246.

[27]        Vgl. 4/80-83 und 106-110.

[28]        Z.B. : „Ach, wenn das nicht überspannt wird, (...), daß das einigermaßen im Rahmen bleibt, so könnte das schon ungefähr so weitergehn.“ (4/201-203)

[29]        Vgl. dazu 4/286-288: „Ich habe Zeit meines Lebens nur Schichten gemacht, und mir hat das nicht allzuviel ausgemacht.“ Ähnlich argumentiert Herr Müller in 4/506. Auch die Aussage in 4/153 kann hier angeführt werden.

[30]        Der Vorwurf des Leistungsunvermögens bzw. der Leistungsunwilligkeit ist für Herrn Müller sicher sehr eingängig, wenn man bedenkt, daß er durch jahrelange »Schufterei« zu einer materiellen Lebensverbesserung gelangt ist. Das eigene Weltbild spielt bei dieser Einstellung eine große Rolle, eine Einstellung, die in der westlichen Bevölkerung  sehr verbreitet ist, wie eine SPIEGEL-Umfrage belegt.

            Dort heißt es: „Der Unterschied zwischen den Deutschen in Ost und West trat be­sonders deutlich zutage, als sich die Befragten zu dem Argument äußern sollten: „Die Arbeiter und Angestellten in der Ex-DDR sind westlichem Leistungsdruck nicht gewachsen.“ Für die Westdeutschen ist dies einer der stärksten Gründe für den Bankrott vieler Betriebe, für die Ostdeutschen - zu Recht- der schwächste. Hüben pflichteten 83 Prozent dieser Meinung bei (...) Auch die Meinungen über die anderen Argumente zeigen: Die Westdeutschen neigen dazu, die Gründe für den Niedergang nur im Osten, in den dortigen Verhältnissen und bei den dort lebenden Menschen, zu sehen.“ (Hunderttausende: Ab in den Westen. SPIEGEL-Umfrage über die politische Situation im März (II): Die deutsch-deutschen Probleme. In: DER SPIEGEL. Nr. 12, 18.3.1991, S.53 und 54.)

[31]        Z.B in 4/194, 198 oder als Implikat in 300.

[32]        Daß Herr Müller in diesem Zusammenhang das Beispiel „Juden von Rußland“ an­führt, liegt  daran, daß ich selbst ihn auf solch eine Möglichkeit aufmerksam ge­macht habe (vgl. 4/123-125), sowie an der Berichterstattung der NRZ. (dazu s. unten)

[33]        »Deutschstämmig« ist die Verknüpfung von Nationalität und »körperlicher Eigen­art«, näm­lich der Abstammung.

[34]        Ich möchte jedoch darauf hinweisen, daß Herr Müller sicherlich nicht weiß, daß es keine »Rassen« gibt. Wie soll er das auch wissen, wenn in der Öffentlichkeit weiter­hin davon ausgegangen wird, daß »Rassen« existieren und wenn sogar Nachschla­gewerke wie z.B. das Meyerlexikon uns über das Vorhandensein von »Rassen« beleh­ren.

[35]        Vgl. dazu: 4/81-83, 88, 120, 149, 205- 210, 226-229, 235, 253-254, 320-321, 349-352.

[36]        Vgl. Annita Kalpaka, Nora Räthzel (Hg.) 1990, S. 46f. Die Autorinnen zitieren hier den Kulturbegriff vom »Centre for Con­temporary Cultural Studies« der Universität Birmingham.

[37]        DUDEN Band 7, 1986.

[38]        Vgl. z.B.: 4/86, 99, 107, 194, 214.

[39]        „Das machen ja auch viele“ (4/562).

[40]        Vgl. z.B.: „(...) was eben alles so nach Programm geht, (...).“ 4/39; „(...), findet man dann schon immer irgendwie einen Weg.“ 4/53; vgl.auch: 4/184, 282 etc.

[41]        Vgl. dazu: 4/108-110, 112-114, 151-156, 160-171, 190-198, 214-222.

[42]        Vgl.: „Das sehen ja auch die meisten.“ (4/252) . Vgl. außerdem: 4/264, 494.

[43]        Beispielsweise in 4/286, 383, 485-495, 505-506, 511-512, 554.

[44]        Zum Beispiel: 4/86, 99, 130, 193, 213, 464-467.

[45]        Das vollständige Interview ist nachzulesen in: Jäger 1991b: S. 270-289.

[46]        Mittels dieser Kollektivsymbole wird einerseits ein »Wir-Bewußtsein« der deutschen Bevölkerung initiiert. Andererseits, und damit zusammenhängend, wird aber auch alles Fremde ausgegrenzt.

[47]        Hitler 1933: S. 324.

[48]        Vgl. Miles 1991, S. 93-130.

[49]        Es gehört zum Aufbau von Feindbildern dazu, anderen den Subjektcharakter abzu­sprechen, indem man sie z.B. mit Tieren vergleicht. Vgl. dazu bes. Link 1991b.

[50]        Gemäß einer Statistik des Duisburger Einwohnermeldeamtes befanden sich zum Zeitpunkt des Interviews 920 TürkInnen in ihrem Stadtteil. (31.12.1990) Vergleicht man diese »absolute Größe« mit der vor 10 Jahren von (1156 /31.12.1980) so ist eher ein „rückläufiger Prozeß“ zu verzeichnen. In diesem Zusammenhang kann also nicht von einem quantitativen »breit machen« (sic!) die Rede sein.

[51]        Vgl. 11/223-243, 245-248, 263-273, 277-293, 298-307, 356-366, 371-378, 392-405, 421-414, 419-423, 425-438, 463-478, 482-496.

[52]        Vgl. z.B. die Karikatur bei Mosse 1990, S. 143, auf der »der Jude« nach bestimmten äußeren Merkmalen zu charakterisieren versucht wird. Ähnliche Versuche findet man in der rechtsextremen Presse, so fast in jeder Ausgabe der neo-nazistischen Zeitschrift »Sieg«.

[53]        Der drohende Golfkrieg macht Mona klar, daß Israel zu diesem Zeitpunkt äußerst gefährdet war. Sie gesteht zu, daß man die einwandernden Juden in dieser Situation nicht problemlos nach Israel weiterschicken kann (vgl.11/162 ff.); es ist für sie aber auch klar, daß dies nach Beendigung des Krieges eine Selbstverständlichkeit zu sein habe.

[54]        Das vollständige Interview (Code-Nr.12) ist abgedruckt in: Jäger 1991b, S.290-315.

[55]        Eine aktuellere SPIEGEL-Umfrage aus dem Herbst 1991 hat dies unterstrichen: Bei­­spielsweise befürworteten sage und schreibe 11 Prozent der bundesdeutschen Bür­ger das Konzept der rechts­extremen und neorassistischen REPUBLIKANER in Sachen »Ausländerpolitik« (in: SPIEGEL, 16.9. 1991).

[56]        Ich bediene mich an dieser Stelle des von Robert Miles eingeführten Begriffs der »Rassenkonstruktion« (Miles 1991, S.93-130). Die Begriffe »Bedeutungskon­struk­tion« und »Bedeutungsträger« verwende ich ebenfalls in An­lehnung an Miles.

[57]        Man muß sich darüber im klaren sein, daß die multikulturelle Gesellschaft keines­wegs  das Ideal einer besseren Gesellschaft im Sinne einer Verbesserung der kollek­tiven Lebensqualität darstellt. Die multikulturelle Gesellschaft ist also keine »Be­loh­nung«, sondern vielmehr eine Folge der weltweiten Migrationsbewegungen, die vor dem Hintergrund des durch die Kolonialpolitik entstandenen Wohlstandsge­fäl­les zwischen Nord und Süd und der immer noch praktizierten wirtschaftlichen Aus­beutung der sogenannten armen Dritten Welt durch die reichen Industriestaaten in Gang gesetzt worden sind. Die »multikulturelle Augenwischerei«, wie sie in wei­ten Teilen des linken Spektrums (allen voran die GRÜNEN dank ihres durch den Part­eistatus bedingten massenhaften Einflusses) betrieben wird, führt - wie auch durch fokus dokumentiert - lediglich dazu, daß die im »multikulturellen Prinzip« oh­nehin innewohnenden Probleme noch deutlicher  zu Tage treten bzw. auf der Basis zu hoch gesteckter Erwartungen umso negativer bewertet werden.

[58]        In fokus' Fall heißt dies, daß sie in erster Linie von anderen Menschen in Ruhe ge­lassen werden will bzw. nicht gestört oder belästigt werden möchte. Bei der Beurtei­lung der Einwanderer bedient sich fokus zudem einer Art subjektiver Vorstellung davon, inwieweit sich diese an die deutschen Verhältnisse anzupassen haben.

[59]        Wenn ich hier von genetischen oder biologischen Vorstellungen spreche, so meine ich damit, daß fokus selbstverständlich auch auf die phänotypischen Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen zurückgreifen muß (vgl. 12/285-286), um eine erste Trennlinie zwischen sich und den Anderen ziehen zu können. Ist ihr Blick dann erst einmal soweit geschärft - was er ohnedies auf der Basis sozial erlernter »Wahrneh­mungs­rahmen« längst ist (vgl. »frames« und »scripts« in: van Dijk 1987, S.184-185) -, so kann sie schließlich auch das Sozialverhalten der Anderen fixieren, diskreditieren und diese letztlich auch marginalisieren. Wie ihre Aussagen zeigen, stützt sie sich dabei in der Regel auf die als anders, defizitär und belästigend emp­fundene Kultur der Einwanderer. Eine Naturalisierung des Sozialen, wie sie in eini­gen anderen In­terviews  nachgewiesen werden konnte, ist bei fokus allerdings nicht eindeutig er­kennbar. Von daher erscheint es mir auch angebracht, bei ihr nach wie vor von kul­turellem Rassismus im Sinne Stuart Halls zu sprechen, da fokus die ge­netischen Gesichtspunkte von den soziokulturellen zu trennen scheint und darüber hinaus er­stere in keiner Weise an Bedeutungen koppelt. Dabei sei allerdings zu be­denken, daß Etienne Balibar darauf hingewiesen hat, daß „auch die Kultur durch­aus als eine solche Natur fungieren“ kann (Balibar 1989, S.373) - nur läßt sich dies anhand von fokus' Aussagen über zum Beispiel „Kultur“ (vgl. 12/14), „Lebensrhythmus“ (vgl. 12/24) und „Welt“ (vgl. 12/722) der Einwanderer nicht bele­gen. Das Interview liefert allenfalls Anhaltspunkte, deren Verknüpfung mit dem Gedanken der Naturalisie­rung des Sozialen meines Erachtens rein spekulativ wäre.

[60]        Diese Unschlüssigkeit ist zum Beispiel belegt durch die 13malige Verwendung der floskelartigen und zumindest scheinbar nichtssagenden Redewendung »weiß nicht« und deren Modifikationen. Was sich einerseits als sprachliches Mittel des Zeitge­winns (um schnell noch einmal nachdenken zu können) auffassen läßt, kann ande­rerseits aber auch als eine Strategie des vorsorglichen Entschärfens der folgenden Aussage verstanden werden. Für letztere Vermutung spricht, daß fokus insgesamt 11mal im Anschluß an diese vermeintliche Floskel sehr wohl weiß, was sie von ei­nem zur Debatte stehenden Sachverhalt zu halten hat. Ein Beispiel: „Weiß nicht, ob mans (gemeint ist Saddam Hussein; Anm. A.Q.) unbedingt mit Hitler vergleichen kann, aber * - eher doch, vielleicht schon irgendwo.“ (12/459-461). Auf ähnliche Weise relativiert fokus 5mal Aussagen über Einwanderer.

[61]        Auch ihre Meinung über die Golfkrise enthält Rudimente des betref­fenden Alltags­bewußtseins, das seinerseits durch den Einfluß der Medien und deren Berichterstat­tung mit »Wissen« gespeist worden ist. In dem Interview, das kurz be­vor der Golf­krieg »ausgebrochen wurde« stattfand, reproduziert sie sozusagen die Eckpfeiler der öffentlichen, in den Interdiskurs eingebundenen Meinung: fokus hält eine kriegeri­sche Lösung der Krise für vertretbar (vgl. 12/413-426), vergleicht Sad­dam Hussein mit Adolf Hitler (vgl. 12/459-461), bezeichnet den Islam als fanatisch (vgl. 12/433-442 u. 12/472-484) und fürchtet sich vor den ökologischen Folgen eines Krieges (vgl. 12/527-535).

[62]        Die Dominanz der Personalpronomina »ich« (161), »mir« (17) und »mich« (15) un­ter­stützt fokus' »zentrale Bedeutung« beträchtlich. Und auch die Verwendung des Inde­finitpronomens »man« (39) und dessen umgangssprachlicher Variante »du« (9) - zu­meist eine allgemeine und kollektive Perspektive nur vorgaukelnd, diese aber nut­zend - verweist auf ihr egozentrisch ausgerichtetes Weltbild. Dieses Wechselspiel aus unbestreitbar persönlichen Erfahrungen, verallgemeinernden Schlüssen und allgemeiner Unwissenheit (über Einwanderer-Integration) ließe zudem darauf schließen, daß sich fokus quasi als Vermittlerin zwischen diesen unterschiedlichen Wissensbereichen versteht.

[63]        Vgl. dazu insbesondere Link 1982a: S. 6-21.

[64]        Vgl. dazu Link 1990, S. 16-34.

[65]        Tatsächlich spricht sie insgesamt 10mal explizit von »Ausländern« - von »Menschen« hingegen nur 2mal und von »Leuten« 4mal. Hinzu kommt »auslän­disch« (4) und »Türken« (5).

[66]        Vgl. Hall 1989, S. 913 u. Kalpaka/Räthzel 1990, S. 13-14.

[67]        Zur Affinität von Rassismus und rechtsextremer Ideologie vgl. S. Jäger/M. Jäger 1991.

[68]        Das Interview ist nachzulesen in S. Jäger, 1991b, S. 316-357.

[69]        Vgl. hierzu die Veröffentlichung des Amtes für Statistik Duisburg über die Einwoh­nerInnen der einzelnen Stadtbezirke nach der Staatsangehörigkeit vom 31.12.91.

[70]        Von 261 Äußerungen meinerseits, waren 81 nur „Mmh“, „Jaja“ und erwidertes La­chen als Bestätigung. Konkrete Fragen, die dem Interview eine andere Richtung ge­ben könnten, kamen kaum vor. Die meisten weiterführenden Fragen signalisieren lediglich Interesse.

[71]        Hier zeigt sich, daß Frau B. gewisse Elemente ihres schlesischen Dialektes noch beibehalten hat.

[72]        Vgl. 13/483ff.

[73]        „allerhand“ wird hier von ihr im Sinne von »sehr viele« benutzt.

[74]        Außerdem nennt sie im Interview die Japaner. Durch „Lagerhäuser und Büros“ (356/1234f.) sind sie ihr in ihrem Wohngebiet positiv aufgefallen, weil japanische Firmen neue Arbeitsplätze für die verlorengegangenen aus der Industrie schaffen. Da sie aber nicht auf die Japaner als Bevölkerungsgruppe eingeht, werden sie in dieser Analyse vernachlässigt.

[75]        Nicht einmal türkische MitbürgerInnen erwähnt sie. Es gibt zwar in dieser Siedlung nur sehr wenige türkische MigrantInnen, allerdings dürfte ihr bewußt sein, daß diese Menschen den größten Anteil der MigrantInnen in Duisburg stellen.

[76]        Zur Rolle der Sprache bei der Schaffung der Fiktion „Nation“ vgl. Balibar 1990, bes. S. 118f., und auch Miles 1991, S. 149f., der beschreibt, daß mangelnde Sprachkennt­nisse als Legitimierung der Ausgrenzung herangezogen werden können.

[77]        Bei der quantitativen Auswertung der Personalpronomen fiel auf, daß im Text nur bei Aussagen über ÜbersiedlerInnen aus den FNL so eindeutig und häufig das Per­sonalpronomen »wir«, die Einheimischen, in Abgrenzung zu »die«, die Anderen, be­nutzt wurde. Hier zeigt sich eine besonders starke Identifikation mit der herrschen­den Gruppe.

[78]        FNL = Fünf Neue Länder, ehemals DDR.

[79]        Vgl. Hall 1989, S. 913ff., sowie Kalpaka/Räthzel 1990, S. 13ff.

[80]        In sehr ähnlicher Art wird diese Argumentation im Verlauf des Interviews mehr­mals wiederholt. Vgl. auch 13/702 und 13/706.

[81]        Vgl. auch die Textstelle, in der ihre Aussagen das Verhältnis der Deutschen zur Au­torität beschreiben. „Da muß man schon einen haben, der was tut. Der Deutsche will ja ein bißchen kommandiert werden.“ (13/1006).

[82]        Vgl. hierzu Leiprecht, 1991, S. 21.

[83]        Auch die Verwendung der Substantive, geordnet nach Bedeutungsfeldern, verweist auf diesen Pragmatismus. Die meisten Substantive benennen konkrete Gegen­stände, Menschen, Orte und Tätigkeiten. Sie gehören zu den Bedeutungsfeldern Wohnung, Familie und Arbeit.

[84]        Das Interview ist nachzulesen in: Jäger 1991b, S. 154-173.

[85]        Dies wird ausführlich in seiner Stellungnahme zum öffentlichen Nahverkehr (6/117-169) deutlich.

[86]        Diese Kurzbeschreibung soll verdeutlichen, welche Beziehung »Jörg« zu Einwan­derern hat. Er glaubt über eine Fülle an konkreten, alltäglichen Erfahrungen mit Einwanderern zu verfügen, berücksichtigt jedoch nicht die Oberflächlichkeit seines Wissens.

[87]        Gerade bei komplizierten Sachverhalten kommen diese „frames“ und „scripts“ zum Tragen, denn „in social cognition, schemata are, for instance, assumed to organize our knowledge about other people and other groups and their actions.“ (van Dijk 1987, S. 184)

[88]        Durch meine folgende Frage:

            Ja und wie siehst du denn die sportlichen Möglichkeiten hier im (Stadtteil)? (6/43f.)          

            gebe ich allerdings dem Gespräch auch einen anderen Verlauf. »Jörg« hatte an­schlie­­ßend keine Möglichkeit mehr, auf das Thema näher einzugehen.

[89]        Die bisher aufgeführten Meinungsäußerungen sind ohne meine Aufforderung zu­standegekommen, wurden also nicht zwangs­läufig evoziert. »Jörg« spricht aus eige­ner Motivation heraus. Dies ändert sich im weiteren Verlauf des Interviews: Weitere Aussagen zu Einwanderern erfolgen nur noch nach vorheriger Nachfrage.

[90]        Teilweise kann man hier von „positivem Rassismus“ sprechen, d.h. einem Rassis­mus, der die anderen auf eine für einen selbst positiv empfundene oder bewertete Eigenschaft festlegt; hier darauf, daß Türken eine gute Küche haben.

[91]        »Jörgs« Verständnis von Rassenhaß wird leider nicht deutlich. Immerhin handelt es sich um eine extreme Formulierung, die sicher den Begriff der Fremdenfeind­lichkeit übertrifft. Rassenhaß wird oftmals als aktive Unterdrückung von Menschen anderer „Rasse“ verstanden. Vermutlich denkt »Jörg« ähnlich und hat aus diesem Grund diese Bezeichnung benutzt.

[92]        Allein das Wort »ziemlich« wird 26 mal im Interview verwendet.

[93]        Diese Konstruktionen sind 90 mal im Text zu finden.

[94]        Aus Heinrich Bölls Feindbild-Rede, zit. nach Link 1991b, S. 73.

[95]        Diese Kenntnis habe ich aus Gesprächen mit Türken gewonnen. Haben türkische Einwanderer einen gewissen sozialen Status erreicht, werden sie von Eingeborenen nicht mehr mit „Türke“ angesprochen.

[96]        Dies ist nicht anhand des Interviews ersichtlich. Es ist mir aus zuvor geführten Ge­sprächen bekannt.

[97]        Gemeint ist der Prozeß, in dem körperliche Merkmale mit sozialen Verhaltenswei­sen gekoppelt werden und letztere als „natürlich“, „angeboren“ gelten. (Miles 1989; Kalpaka, Räthzel 1990)

[98]        Link 1991b, S. 78, bezeichnet diese Schwelle in seinem Schema als Extremismus­grenze. Über diese will »Jörg« nicht hinausgeschoben werden.

[99]        Das Interview  ist nachzulesen in: S. Jäger 1991b, Interview 21, S. 540-559.

[100]      Meine Fragen erscheinen in den Zitaten »fett« und »kursiv« gedruckt, Frau Kleins Aussagen »kursiv«, Herr Kleins Aussagen »normal« gedruckt.

[101]      Der Name der Interviewten, sowie die Ortsbezeichnungen sind nicht authentisch.

[102]      Gegen Ende des Interview deutet Herr Klein erneut seine latente Bereitschaft zur Gewalt gegen Einwanderern an: „Mir kommt keiner an die Tasche, wenn dann ... ho, ho“. (21/583)

[103]      „et kommen zu viele“ (21/297) - hierbei handelt es sich offenbar um die Entkodie­rung des von den Medien häufig verwendeten Kollektivsymbols „Asylantenflut/-strom“.

[104]      Insgesamt werden von Herrn und Frau Klein 9 implizite und 7 explizite Aussagen über die Kriminalität von Ausländern gemacht.

[105]      Vgl. hierzu Link 1982a und b. Gemeint ist damit, daß ein konkret gemeinter und ange­sprochener Gegenstand (z.B. das Kopftuch islamischer Frauen) zugleich als Kollektivsymbol fungieren kann.

[106]      So steht er während unseres Gesprächs häufig auf und läuft erregt durch das Wohn­zimmer.

[107]      Das Interview ist nachzulesen in: Jäger 1991b, S. 225-247.

[108]      Das Wortverhältnis zwischen Fragendem (2403) zum Befragtem (6952) entspricht in diesem Interview 25,7 % zu 74,3 %. Also wurde 3/4 des Ge­sprächs von „Wilfried“ be­stritten. Das Verhältnis der Redeanteile ist also zu­friedenstellend, vor allem, wenn man bedenkt, daß sich meine Redean­teile zu einem großen Teil aus der Präzisierung der ge­stellten Fragen zusammensetzen.

[109]      Durch solche Argumente (Z.B.: „Die Juden waren damals eben sehr reich und viele Deutsche waren sehr arm. Deshalb gab es diesen Konflikt, der sich dann so drama­tisch zugespitzt hat“) wird der Versuch unternom­men, Gründe zu finden, die den Holocaust entschuldigen sollen.

[110]      Mit »hermeneutischen Entscheidungen« meine ich die einzelnen Entscheidungen „Wilfrieds“, nach denen er die »Richtung« seiner Antworten eingeschlagen hat. Die Frage nach „der Persönlichkeit“ eines Menschen kann ja auf ganz unterschiedliche Weise beantwortet werden. „»Warum« jetzt „Wilfried“ »wie« seine Wahl getroffen hat, ist wichtig für meine Deutung.

[111]      Die Anforderungen an seine Anpassungsfähigkeiten an Fremde waren allerdings bisher nicht sehr hoch. „Wilfried“ berücksichtigt nicht, daß er nur für kurze Zeit im Ausland war und somit nie wirklich den Versuch gewagt hat, Zusammenleben und Zusammenarbeiten zu proben.

[112]      Hier denke ich z.B. an die Kommunikation zwischen ArbeitskollegInnen und Be­kannten, in denen Tagesereignisse diskutiert, aber auch Weltan­schauungen ge­meinsam gebildet werden.

[113]      Ein umfassender, quantitativer Nachweis kann im Rahmen dieser Zu­sammenfas­sung nicht geliefert werden, allenfalls eine Tendenz.

[114]      Das „halt eben“ ist eine besondere Variante des „halt“, das als Füllparti­kel zur Über­brückung von Denkpausen verwendet wird. In ihr kommt ein gewisser Fatalismus zum Ausdruck: »Das ist eben so«.

[115]      DUDEN, Band 2, 1971: S. 609.

[116]      Ebd.

[117]      Im DUDEN, Deutsches Universalwörterbuch 1989, heißt es unter „Bimbo“: „… (ugs. abwertend): Neger.“ Bei „Neger“ findet sich hier: „… Angehöriger der Rasse (!) der Negriden; Schwarzer…“. Auch im DUDEN schleppt sich also der rassistische Dis­kurs fort bzw. auch der DUDEN trägt dazu bei, daß er sich fortschleppt.

[118]      „Diebels-Alt“ ist ein im Ruhrgebiet und am Niederrhein häufig getrun­kenes Bier.

[119]      „Wilfried“ ist kein Chemiefacharbeiter. Er ist ja gelernter Bäcker und hat deshalb in ‚seiner‘ Firma nur sehr begrenzte Aufstiegsmöglichkeiten.

[120]      Klischees wie seine Deutung der Kopfücher bei türkischen Frauen oder dem Betteln von Cinti und Roma.

[121]      Ich denke dabei an die schon erwähnte Ägypten-Reise.

[122]      Arbeit in Form von Interviewtranskription, Einzelanalysen, Vergleichen einzelner Analyseaspekte mehrerer Interviews, sowie die Auseinander­setzung mit Rassismus­theorien.