Vortrag auf der Tagung ">Das große Wuchern des
Diskurses.< Der Diskurs als unberechenbares Ereignis" am 3. und
4.7.1997 in der Universität GH Paderborn (Fachbereich Sozialwissenschaften.
Leitung: Hannelore Bublitz)
Um das
>Gewimmel< bzw. >das große Wuchern des Diskurses< analysierbar zu
machen, habe ich - orientiert an Michel Foucault oder doch inspiriert durch ihn
und in Auseinandersetzung mit einer Reihe von Rezeptionsbemühungen seiner
Theorie - einige analytische Kategorien und insgesamt ein Verfahren zu entwickeln
versucht, das wir in Duisburg in einer Reihe von empirischen Projekten
ausprobiert haben und zu erweitern bemüht waren. Diese Kategorien
vervollständigen die Foucaultschen und sollen dazu dienen, ein insgesamt
handhabbares Verfahren von Diskursanalyse zur Verfügung zu stellen.
Ich
möchte im folgenden ganz knapp umreißen, wie dieses Verfahren aussieht und
womöglich einige Berührungen mit dem Paderborner Projekt andeuten.
Als
allgemeines Ziel von Diskursanalysen stellt sich die Aufgabe, einen Diskursstrang oder auch mehrere
miteinander verschränkte Diskursstränge historisch und gegenwartsbezogen zu
analysieren. Dabei sind auch vorsichtige Aussagen über die weitere Entwicklung
des Diskursstrangs in der Zukunft möglich. Den Diskurs fasse ich ja als »Fluß
von 'sozialen Wissensvorräten' durch die Zeit« der aus der Vergangenheit kommt,
die Gegenwart bestimmt und in der Zukunft in wie auch modifizierter Form
weiterfließt! Er formiert subjektives und kollektives Bewußtsein und übt
insofern Macht aus. Denn subjektives und kollektives Bewußtsein sind die G»undlage für die Auseinandersetzung mit und die
Neuformierung/Weiterentwicklung/Veränderung von Gesellschaft.
Diskursstränge sind thematisch
einheitliche Diskursverläufe,
die aus einer Vielzahl von Elementen, sogenannten Diskursfragmenten, zusammengesetzt sind. Diskursfragmente sind am
ehesten mit Foucaults Aussagen in der
"Archäologie des Wissens" zu vergleichen. Sie sind häufig oder fast
immer mit anderen thematischen Elementen verwoben, also solchen, die nicht direkt
zum Thema gehören, also aus der Perspektive einer bestimmten Fragestellung zwar
nicht uninteressant sein mögen, weil solche Hinweise auf Verschränkungen mit
anderen Diskurssträngen andeuten können; durch diese Verschränkungen können
besondere Effekte erzielt werden. Die außerhalb des Themas auftretenden
Diskursfragmente können aber auch völlig nebensächlich und uninteressant sein
bzw. aus der Perspektive einer bestimmten Fragestellung als sonstiges
diskursives Material angesehen werden und zunächst unbeachtet bleiben.
Aus dem
Gesagten geht hervor, daß Diskursanalyse mit einer präzisen Bestimmung und
Begründung seines Gegenstandes, seines Themas,
wenn man so will, zu beginnen hat. Die zu untersuchenden Diskursstränge sind
thematisch möglichst genau gegenüber sonstigen Diskurssträngen abzugrenzen.
Foucault würde hier vielleicht von der Notwendigkeit der genauen Verortung des Referentials sprechen.
Zu
beachten ist ferner, daß Diskursstränge auf unterschiedlichen Diskursebenen angesiedelt sind, also
auf der Ebene der Politik, der Medien, des Alltags etc. Diese Diskursebenen
beeinflussen einander und vermischen sich gelegentlich, etwa wenn Politiker in
den Medien Interviews geben oder in einem Medium einen Gastkommentar abliefern.
Es ist also als zweites zu benennen, auf welcher Diskursebene der zu
untersuchende Diskursstrang bzw. die zu untersuchenden Diskursstränge
angesiedelt sind.
Auch die
Bestimmung eines ideologischen Ortes, von dem aus jemand oder auch eine Zeitung
oder Zeitschrift am Diskurs teilnimmt, dürfte wichtig sein. Wir bezeichnen
diesen Ort als Diskursposition.
Diese Diskursposition ist in der Regel erst aufgrund der vorgenommenen Analyse
des Gegenstandes zu bestimmen.
Besonders
wichtig ist uns die Form oder Struktur
des Diskursstrangs. Sie kann grob oft bereits an Rubrik und Textsorte
festgemacht werden, genauer aber durch eine primär linguistisch verfahrende
Feinanalyse (s.u.).
Kurz und
knapp könnte man sagen, daß es bei der Verortung eines Diskursstrangs auf das
Wer, Was, Wie, Wann und Wo ankommt, also auf das Subjekt der Aussage, das Referential oder die Aussage selbst, auf ihre Struktur oder
Form, den Zeitpunkt oder auch Zeitraum und auf den extradiskursiven Rahmen, in
dem sich der Diskursstarng bewegt. Den Bezug von Wie
und Was könnte man daher auch als innerdiskursiv und die Relation von Subjekt
und Rahmen als extradiskursiv bezeichnen.
Es
scheint mir weiterhin sinnvoll zu sein, mit Jürgen Link zwischen
wissenschaftlichen Diskursen, die er Spezialdiskurse nennt, und sonstigen
Diskursen zu unterscheiden, die in ihrer Gesamtheit von ihm als Interdiskurs
bezeichnet werden. Dies deshalb, weil diese Bereiche einander beeinflussen und
durchdringen können. So kann etwa ein Interdiskurstrang
über Geschlechter durchaus theoretische Ausführungen etwa eines
sozialwissenschaftlichen Spezialdiskurses beeinflussen oder gar bestimmen.
Damit
sind die Kategorien bereitgestellt, die die Verortung
des Diskursstrangs ermöglichen.
Eine
solche Verortung und Bestimmung des zu
untersuchenden Gegenstandes oder
Themas ist nun keineswegs so einfach, wie sich dies hier auf den ersten
Blick darstellen mag. Geht es etwa um die Frage, wie in Politik, Medien oder
Alltag Rassismus verbreitet ist und in welchen Formen er auftritt, sollte man
nicht mit dem Begriff von Rassismus als einer Art Lupe auf die Suche gehen und
nach dem Auftreten dieses Ideologems fahnden. Man
sollte stattdessen den thematischen Ort zu bestimmen
versuchen, an dem solche Ideologeme überhaupt
auftreten können. Dieser Ort ist in diesem Fall der Diskurs über Einwanderer,
Flucht, Asyl etc. Dieser Diskurs(strang) ist dann das
zu untersuchende Material, nicht etwa nur rassistische Aussagen.
Oder um
ein auf diesem workshop naheliegenderes
Beispiel zu nennen: In dem Paderborner Projekt "Die Ordnung der Geschlechterverhältnisse"
soll der Diskurs über die "Kulturkrise" an der Wende zum 20.
Jahrhundert untersucht werden. Dabei ist von besonderem Interesse, welche
Effekte von den dort vorgetragenen Argumenten ausgingen, daß diese Krise, die
ja wohl als Krise der Gesellschaft insgesamt aufgefaßt werden soll, durch eine Femininisierung der Kultur verursacht worden sei.
Nach
einer solchen Bestimmung des Gegenstandes der Untersuchung wäre aus meiner
Perspektive nun die folgende Frage zu beantworten: Wie ist diese Fragestellung
so zu operationalisieren, daß sie diskursanalytisch
sinnvoll untersucht werden kann? Ich möchte das im folgenden knapp auf dem
Hintergrund unserer methodologischen Überlegungen zu skizzieren versuchen.
Aufgerufen
sind zum einen der Diskurs über Frauen
und zum anderen der über Kultur bzw.
Gesellschaft, und gefragt wird, wie sich diese beiden Diskursstränge
miteinander verschränken bzw. ob sie sich so miteinander verschränken, daß der
Eintritt von Frauen in die "Kultur" als "Kulturkrise"
stigmatisiert wurde und welche Folgen dies für die weitere diskursive
Konstituierung historischer und aktuell-gegenwärtiger Frauen- und vielleicht
auch Männerbilder gehabt hat.
Man
könnte nun so vorgehen, daß man den Diskursstrang Frauen (als Diskurs über
Frauen) und den Diskursstrang "Kultur" in einem bestimmten Zeitraum
in ihrem gesamten Umfang zu erfassen versucht. Das würde eine riesige
Materialfülle erzeugen[2],
selbst wenn man sich auf den sozialwissenschaftlichen Spezialdiskurs
beschränken würde und erst recht, wenn man den literarischen,
zeitgenössisch-akademischen etc. Diskurs hinzunähme. Sinnvoll wäre dann etwa
die folgende Einschränkung: Zu untersuchen sind sozialwissenschaftliche Texte
aus der Zeit um die vorige Jahrhundertwende, in denen sowohl über Frauen wie
über "Kultur" gesprochen wird. Eine weitere m.E.
sinnvolle Eingrenzung ergäbe sich, wenn man sich auf eine Auswahl hegemonialer
wissenschaftlicher Zeitschriften beschränken würde (das wäre dann der
(hegemoniale) Sektor der Diskursebene Medien des Spezialdiskurses
Sozialwissenschaften). In dem zu ermittelnden Dossier (trad. Corpus) wären
zunächst alle Aussagen (Diskursfragmente) über Frauen herauszufinden, alle
Aussagen über "Kultur" und damit auch alle Aussagen, in denen Frauen
und Kultur zueinander in Beziehung gesetzt werden.
Zu
fragen wäre: Wie werden dort Frauen dargestellt, wie wird "Kultur"
dargestellt, wie wird die Relation zwischen beiden indirekt und direkt
formuliert? Eine solche Engführung des Dossiers wäre deshalb sinnvoll, weil man
sagen könnte, daß dieses Material geeignet war, auch den gesamten Interdiskurs
zu durchdringen und damit einen erheblichen Beitrag zur diskursiven
Konstituierung des Subjekts Frau bis in die Gegenwart zu leisten geeignet war.
Aus dem
Gesagten geht bereits hervor, daß bei der Bestimmung des zu untersuchenden
Gegenstandes allein schon aus arbeitstechnischen Gründen und wegen der
begrenzten Forschungskapazität gewisse Einschränkungen unerläßlich sind, die
aber, wenn sie reflektiert vorgenommen werden, die Tragfähigkeit der zu
erwartenden Aussagen nicht beeinträchtigen. Ich will die damit verbundenen
Probleme im folgenden knapp und ganz allgemein anreißen:
Meist
wird man sich auf eine Diskursebene konzentrieren müssen, etwa die der Medien.
In bestimmten Fällen können auch mehrere Ebenen parallel untersucht werden oder
auch mehrere Sektoren einer Ebene (etwa Frauenzeitschriften, etwa
Nachrichtensendungen im TV). Oft wird man nur einen Teil-Sektor der
Diskurs-Ebene untersuchen können, etwa Medien (Print)
oder Medien (Fernsehen). Es muß genau begründet werden, weshalb man sich diesem
Sektor widmet: etwa weil er in besonderer Weise zu zeigen verspricht, wie ein
Thema massenhaft verbreitet wird, oder: weil dieser Sektor bisher nicht
untersucht worden ist (wobei dann selbstverständlich auf andere Sektoren, die
bereits untersucht worden sind, eingegangen werden sollte).
Ein
'synchroner' Schnitt durch den Diskursstrang, der immer insofern zugleich
diachron-historisch ist, als er 'geworden' ist, kann je nach Fragestellung und
Diskursebene unterschiedlich aussehen. Bei Printmedien etwa zum Thema
Biopolitik könnte ein ganzes Jahr genommen werden, weil auch beim gründlichen
Lesen der betr. Zeitungen erst in einem längeren Zeitraum die Bandbreite des
betr. Diskursstrangs qualitativ vollständig erfaßt sein dürfte. Bei der
Darstellung der Frau in einem kleinen Sektor der Diskursebene Medien wie etwa
dem Schlager dagegen reicht (wahrscheinlich) eine sehr kleine Anzahl von
Beispielen, weil hier mit extremen exemplarischen Verdichtungen zu rechnen sein
dürfte. (Das muß aber nachgewiesen werden!)
Wichtig
ist es auch, die Unterthemen des zu untersuchenden Diskursstrangs im jeweiligen
Sektor der Diskursebene zu erfassen und (in etwa) den Oberthemen zuzuordnen,
die in ihrer Gesamtheit den Diskursstrang der betreffenden Zeitung oder
Zeitschrift bzw. des betreffenden Sektors der Diskursebene ausmachen.
Das
Zusammenwirken mehrerer Diskursebenen bei der Regulation von
(Massen-)Bewußtsein ist besonders spannend, aber gewaltig arbeitsaufwendig.
Hier wird man nach wohlbegründeten Exempla aus den
verschiedenen Diskursebenen suchen müssen und deren Zusammenwirken exemplarisch
aufzeigen.
Das
Problem vervielfältigt sich selbstverständlich, wenn das Zusammenwirken
verschiedener Diskursstränge untersucht werden soll.
Ich
möchte nun überblickshaft die Vorgehensweise unseres
Verfahrens der Diskursanalyse skizzieren
Als
Vorgehensweise für eine (einfache) Diskursanalyse bietet sich an:
a)
Definition
der Fragestellung und Bestimmung des Diskursstrangs, in dem diese Fragestellung
virulent werden kann.
b)
knappe
Charakterisierung (des Sektors) der Diskursebene, etwa sozialwissenschaftliche
Zeitschriften, Print-Medien, Frauenzeitschriften,
Schlager, Videofilm etc.
c)
Erschließen
und Aufbereiten der Materialbasis bzw. Erstellung des Dossiers bzw. des Corpus
(s.u.: Analyseleitfaden zur Materialaufbereitung)
d)
Auswertung
der Materialaufbereitung in Hinblick auf den zu analysierenden Diskursstrang
(s. u. Analyseleitfaden zur Materialaufbereitung, Pkt.
1)
e)
Feinanalyse
eines oder mehrerer für den Sektor bzw. etwa auch für die Diskursposition der
Zeitung etc. möglichst typischen Artikels (bzw. Diskursfragments), der/das
selbstverständlich einem bestimmten Oberthema zuzuordnen ist (s. Analyseleitfaden
zu Materialaufbereitung, Pkt. 2).
f)
Es
folgt die Gesamtanalyse des (gesamten) Diskursstrangs im betreffenden Sektor
bzw. in der betreffenden Zeitung oder Zeitschrift etc. Das bedeutet: Es werden
alle bisher erzielten wesentlichen Ergebnisse reflektiert und einer
Gesamtaussage über den Diskursstrang in der betreffenden Zeitung oder
Zeitschrift bzw. des betr. Sektors zugeführt. Die über diesem abschließenden
Teil schwebende Frage könnte etwa lauten: 'Welchen Beitrag leistet die
betreffende Zeitung etwa zur Durchsetzung biopolitiscvher
Konzepte und Praxen in der BRD in der Gegenwart und welche weitere Entwicklung
ist vermutlich zu erwarten?' Auf das Paderborner Projekt gemünzt könnte sie
lauten: Welchen Beitrag zur Konstituierung des aktuellen Frauenbildeds
leistet die Verschränkung des Diskursstrangs Frauen mit dem Diskursstrang
Kultur bzw. Gesellschaft in sozialwissenschaftlichen Zeitschriften der
Jahrhundertwende, und wie wird sich dieses vermutlich in nächster Zukunft
weiterentwickeln?[3]
Im
folgenden habe ich eine eine Art Analyseleitfaden für
die Materialaufbereitung skizziert, der besonders die Probleme von
Medienanalyse berücksichtigt.
Materialaufbereitungen
sind Basis und Herzstück der anschließenden Diskursanalyse. Sie sind äußerst
sorgfältig vorzunehmen und (bei größeren Projekten mit mehreren MitarbeiterInnen) von allen Beteiligten unter strikter
Beachtung der Analyseleitfäden in der gleichen Reihenfolge durchzuführen, ohne
daß dabei schematisch vorgegangen werden sollte. Das deshalb, weil die synoptische
Analyse (= vergleichend-zusammenfassende Analyse) im Anschluß an die einzelnen
Untersuchungen z.B. eines jeweiligen Zeitungs- und Zeitschriftenjahrgangs
darauf angewiesen ist, die Ergebnisse systematisch nebeneinanderzustellen. In
die Materialaufbereitungen können/sollten immer schon Einfälle und
Interpretationsansätze eingehen, und zwar immer dann, wenn man solche
Einfälle/Ideen hat. Solche interpretativen Passagen
sollten aber besonders gekennzeichnet werden, z.B. durch Unterstreichungen,
Kursivdruck etc.
1 Materialaufbereitung für die Analyse
z.B. eines Diskursstrangs einer Zeitung/Zeitschrift
1.1 Allgemeine Charakterisierung der Zeitung:
Politische Verortung, Leserschaft, Auflage usw.)
1.2 Überblick über (z.B.) den gesamten
Jahrgang in Hinblick auf die biopolitische Thematik
1.2.1 Liste der erfaßten biopolitisch relevanten
Artikel mit jeweiliger Angabe der bibliographischen Daten; Stichwort(en) zur
Thematik; Angabe der journalistischen Textsorte; mögliche Besonderheiten;
Angabe der Rubrik bei Wochenzeitungen/-zeitschriften
1.2.2 Zusammenfassender Überblick über die in der
Zeitung/Zeitschrift angesprochenen/aufgegriffenen Themen; qualitative
Bewertung; auffälliges Fehlen bestimmter Thematiken, die in den anderen
ausgewerteten Jahrgängen angesprochen wurden; zeitliche Präsentation und
Häufungen bestimmter Thematiken in Hinblick auf mögliche diskursive Ereignisse
1.2.3 Zuordnung der Einzelthemen zu thematischen
Bereichen (beim biopolitischen Diskursstrang etwa 'Krankheit/Gesundheit',
'Geburt/Leben', 'Tod/Sterben, 'Ernährung', 'Ökonomie', 'Bioethik/Menschenbild'
(dabei für die spätere Nachvollziehbarkeit die unter den 'Oberthemen' zusammengefaßten
Themen jeweils nennen — die Zuordnung soll nicht nur numerisch erfolgen!)
1.3 Zusammenfassung von 1.1 und 1.2:
Bestimmung der Diskursposition der Zeitung/Zeitschrift in Hinblick auf die
biopolitische Thematik
2 Materialaufbereitung für die exemplarische
Feinanalyse von Diskursfragmenten: eines für die Diskursposition der Zeitung
möglichst typischen Artikels bzw. von Artikelserien u.ä.
2.1 Institutioneller
Rahmen: 'Kontext'
2.1.1 Begründung der Auswahl des Artikels
2.1.2 Autor (Funktion und Gewicht innerhalb der
Zeitung, Spezialgebiete usw.)
2.1.3 Anlaß des Artikels
2.1.4 Welcher Rubrik ist der Artikel zugeordnet?
2.1.5 Bei Interviews: Interviewsituation etc.
2.2 Text-'Oberfläche'
2.2.1 Grafische Gestaltung inkl. Bebilderung und
Grafiken
2.2.2 Überschriften, Zwischenüberschriften
2.2.3 Gliederung des Artikels in Sinneinheiten
2.2.4 Im Artikel angesprochene Themen
(Diskursfragmente) (ihre Berührungen, Überlappungen)
2.3 Sprachlich-rhetorische
Mittel
2.3.1 Art und Form der Argumentation,
Argumentationsstrategien
2.3.2 Logik und Komposition
2.3.3 Implikate und
Anspielungen
2.3.4 Kollektivsymbolik bzw. 'Bildlichkeit':
Symbolik, Metaphorik usw. in sprachlichen und graphischen Kontexten
(Statistiken, Fotos, Bilder, Karikaturen etc.)
2.3.5 Redewendungen, Sprichwörter
2.3.6 Wortschatz und Stil
2.3.7 Akteure (Personen, Pronominalstruktur)
2.3.8 Referenzbezüge: Berufung auf die
Wissenschaft(en), Angaben über die Quellen des Wissens o.ä.
2.4 Inhaltlich-ideologische
Aussagen
(Die
folgenden Fragestellungen hängen vom jeweiligen Thema ab. Hier sind einige
erwähnt, die für eine Untersuchung des Themas Biopolitik in Printmedien
entwickelt worden sind.)
2.4.1 Z.B.: Welche Art von Menschenbild setzt der
Artikel voraus, vermittelt der Artikel?
2.4.2 Z.B.: Welche Art von
Gesellschaftsverständnis setzt der Artikel voraus, vermittelt der Artikel?
2.4.3 Z.B.: Welche Art von Technikverständnis
setzt der Artikel voraus, vermittelt der Artikel?
2.4.4 Z.B.: Welche Zukunftsperspektive entwirft
der Artikel?
2.5. Sonstige Auffälligkeiten
2.6 Zusammenfassung:
Verortung der Ergebnisse
der Feinanalyse Diskursstrang (s. 1.3) Das 'Argument', die Kernaussage des
gesamten Artikels; seine allgemeine 'Botschaft', 'Message'
3. Diskurs(strang)verschränkungen
Solche
Verschränkungen führen zu bestimmten diskursiven Effekten, etwa zur Verstärkung
rassistischer Aussagen bei Verschränkung des Einwandererdiskurses mit dem
Diskursstrang Frauen.[4] Welche Effekte die Verschränkung des
Diskursstrangs Kultur mit dem Diskursstrang Frauen (in sozialwissenschaftlichen
Zeitschriften der Jahrhundertwende) hat, ist selbstverständlich nicht im
Vorhinein zu sagen. Wenn aber z.B. die Frau als Kulturkrisenverursacherin
ermittelt wird, ist damit zu rechnen, daß ein konservativ-autoritäres
Frauenbild konstituiert wird wird.
4.
Abschließende Einordnung der Untersuchungsergebnisse unter Rückgriff auf die vorliegenden
Materialaufbereitungen (Grob- und Feinanalyse(n)) bzw. von Diskurs(strang)verschränkungen
Nach
erneuter Durcharbeitung der Materialaufbereitungen, Feststellung von
Begründungszusammenhängen zwischen den unterschiedlichen Aufbereitungsebenen,
Ergänzungen interpretatorischer Ansätze, Verwerfung zu schwach begründeter
Interpretationsansätze etc. liegt nun eine vollständige und möglichst
lückenlose Materialaufbereitung eines oder mehrerer Diskursstränge vor. Damit
ist die Basis gelegt für die Abfassung einer Gesamt-Analyse des betreffenden
Diskursstrangs bzw. von Diskursstrangverschränkungen, deren Ästhetik nicht im
einzelnen vorgeschrieben werden kann und soll. Wie diese aussieht, das ist eine
Frage des "schönen Schreibens", der Zielgruppe, des Veröffentlichungsortes etc. Wichtig ist hier vor allem, daß
die vorgetragene Argumentation stringent, materialreich und überzeugend ist.
Die
folgenden
sollen
einen im ersten Teil bereits angesprochenen Aspekt von Diskursanalyse
vertiefen.
Diskursanalysen
beziehen sich auf vollständige Diskursstränge bzw. auf synchrone Schnitte durch
diese. Dabei fallen meist große Materialmengen an, die nach den üblichen
Verfahren kaum analytisch zu bewältigen sind, es sei denn, meist auf Kosten
genauer Analyse. Im folgenden stelle ich ein Verfahren dar, wie große
Materialmengen diskursanalytisch zu bewältigen sind.[5]
1. Das Biomacht-Projekt der
Diskurswerkstatt Duisburg[6] stellt ein Beispiel für die Bewältigung großer
Materialmengen dar. Es ging von einer bestimmten Fragestellung aus, bezog sich auf (ausgewählte) Printmedien (= eine Diskursebene),
sammelte möglichst alle Artikel zum
"Thema", ordnete diese nach Unterthemen,
beschrieb/charakterisierte grob den Diskursstrang auf dieser Grundlage, ließ
jeweils Feinanalysen folgen und
stelle abschließend auf der Grundlage
der vorangegangenen Analysen eine Gesamtinterpretation des Diskursstranges
vor. Im Resultat lag die Analyse eines synchronen Schnitts durch den
Diskursstrang vor.
2. Die Materialmenge betrifft den Umfang
des Dossiers (trad. Corpus). Dieses
ist bereits Teil der empirischen
Untersuchung und kann nicht im Vorhinein festgelegt werden. Es ist dann vollständig, wenn keine neuen
strukturellen und thematischen Phänomene (im Rahmen der Fragestellung) mehr
auftauchen. Der Umfang resultiert also letztlich aus der Fragestellung.[7]
3.
Der Umfang des Dossiers kann reduziert werden, indem man die
Fragestellung modifiziert, wobei dies genau begründet werden muß. Beispiel:
Will ich (eine Person) den Diskursstrang x auf den Ebenen a, b und c
untersuchen und komme ich dabei zu y Diskursfragmenten, deren
Sammlung/Bearbeitung z Jahre beansprucht, habe aber nur z minus 1 Jahre Zeit,
dann habe ich (wohlbegründet) die Wahl, die Diskursebenen zu reduzieren
und/oder die Thematik x einzuengen (z.B. auf einen Unterdiskusstrang x1).
Überlegungen dazu sind in der Vorbereitungsphase zu einem Projekt anzustellen,
weil man immer bereits grob abschätzen kann, wie umfangreich das Material
wahrscheinlich werden wird.
4.
Das Problem spitzt sich dann
weiter zu, wenn man historische Verläufe
von Diskurssträgen analysieren möchte.
Erstens deshalb, weil man evtl. Probleme mit der Materialerhebung
bekommt. Ältere Alltagsinterviews sind z.B. kaum vorhanden und kaum nach dem
Interesse der aktuell Forschenden angefertigt. Diese Diskursebene ist für
solche historischen Analysen ziemlich ungeeignet. (Besser sieht es bei den
Medien und bei der "schönen" Literatur aus.) Aber man sollte nicht zu
schnell aufgeben. So könnte man evtl. Sekundäranalysen versuchen, d.h. sich auf
Materialien stützen, die in anderen Projekten erhoben
worden sind (evtl. oral history). Evtl. muß man von
der Materialsituation her die Thematik modifizieren.
Wenn man zweitens versucht, mehrere synchrone
Schnitte auf die historische Kette zu bekommen, stellt sich einmal die Frage danach, wo man diese Schnitte ansetzt; zu
warnen ist dabei, sich nach überlieferten Epochenschnitten zu richten oder sich
auf gängige Geschichtsschreibung einzulassen. Davor hat Foucault ja
eindringlich gewarnt, indem er aufgezeigt hat, daß "Geschichtsschreibung"
i.R. verfälschend operiert. Auch hier hat man nur die
Wahl, Quellen zu sichten, diskursive Ereignisse ausfindig zu machen etc. etc.
Ohne ziemlich umfangreiches "Lesen" wird man nicht klarkommen.
Zum anderen stellt sich die Frage: wie man mit der
sich daraus ergebenden möglicherweise noch größer werdenden Fülle des Materials
klarkommt. Dazu s. oben!
5. Bei der empirischen Ermittlung von
(historischen) Diskurssträngen kann man sich hilfsweise nur auf Ergebnisse anderer Forschung beziehen. So könnte man sich
beim Diskursstrang "Frauen" auf Literatur mit dem Titel "Der
Wandel des Bildes der Frau von der Antike bis zur Gegenwart" stützen,
wobei das Problem der Klitterung immer zu bedenken ist. Dem kann man wohl nur
entgegenwirken, indem man mehrere Texte vergleicht, möglichst auf authentische
Quellen darin achtet etc.
6.
Einen Königsweg, der für jede
Thematik gilt, gibt es nicht. Als Faustregel ist zu beachten, daß jede
Festlegung, Modifikation, Beschränkung genau zu verorten und zu begründen ist.
Neben ganz pragmatischen Begründungen (Zeit und Geld) sind es vor allem
sinnvolle inhaltliche Begründungen, Verweise auf die allgemeine
Forschungssituation, in der man sich verortet etc.
[1] Dem folgenden
Text liegen Handreichungen für Projektmitarbeiter und Studierende zugrunde. Sie
geben damit zugleich Einblick in die "Werkstatt" der Diskursanalyse,
wie wir sie in Duisburg praktizieren.
[2] Zum Problem der
Bewältigung großer Materialmengen bei Diskursanalysen allgemein vgl. den
zweiten Teil dieser methodologischen Vorschläge.
[3] Zur Frage des
kritischen Potentials von Diskursanalyse bzw. der nach den Kriterien der Kritik
vgl. Vf. "Kulturkontak-Kulturkonflikt. Ein
diskursanalytisch begründeter Problemaufriß, in: Jung, Matthias/Wengeler, Martin/Böke, Karin
(Hg.): Die Sprache des Migrationsdiskurses. Das Reden
über "Ausländer" in Medien, Politik und Alltag, Opladen
1997
[4] Vgl. dazu
Margret Jäger: Fatale Effekte. Die Kritik am Patriarchat im
Einwanderungsdiskurs, Duisburg 1996, wo eine solche Diskursverschränkung überzeugend
analysiert worden ist. Vgl. ebenfalls dazu Jäger, M. /Jäger, S. /Schulte-Holtey, Ernst / Wichert, Frank (Hg.): Biomacht und
Medien. Wege in die Biogesellschaft, Duisburg 1997
[5] Zu den
Problemen quantitativer und qualitativer Sozialforschung vgl. Vf.: Kritische
Diskursanalyse. Eine Einführung, Duisburg 1993, S. 53-84. Elemente
quantitativer Verfahren können m.E. bei der
Materialbeschaffung und -sichtung gelegentlich hilfreich sein. So lassen sich
etwa Schlüsselwörter und Schlüsselwortkombinationen auf CD-Roms
für bestimmte Zwecke durchaus sinnvoll automatisch suchen. Deren quantitatives
Auftreten kann Rückschlüsse auf Themengewichtungen bis hin zu
Diskursverlagerungen möglich machen. Vgl. dazu etwa diese Vorgehensweise bei
Mark Galliker in einer ganzen Reihe von
Untersuchungen, etwa in seinem zusammen mit Daniel Weimer verfaßten Artikel:
Explizite und implizite Bedeutung. Zur Kategorisierung und Bewertung im
öffentlichen Diskurs am Beispiel eines Zeitungsartikels über eine Fragestunde
mit dem Bundeskanzler. In: M. Jäger/S. Jäger(Hg.): Baustellen. Beiträge zur
Diskursgeschichte deutscher Gegenwart, Duisburg 1996, S. 54-72
[6] Inzwischen
erschienen unter dem Titel: Jäger, M./Jäger, S./Schulte-Holtey,
E. /Wichert, F. (Hg.): Biomacht und Medien. Wege in die Biogesellschaft,
Duisburg 1997
[7] Mit dem
Postulat der Vollständigkeit ist durchaus ein quantitiver
Aspekt von Diskursanalyse angesprochen. Es werden alle Diskursfragmente
ermittelt. Dabei werden zugleich Trends und thematische Schwerpunkte
erfaßt.
Wir weisen an dieser Stelle noch
einmal ausdrücklich darauf hin, daß alle Texte auf unseren Seiten dem Copyright
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ausdrückliche Genehmigung des DISS erforderlich. Wir bitten um Ihr Verständnis.
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