Alfred Schobert

"Allerseelen": Nazi-Esoterik als Klang-Avantgarde

Die ursprüngliche Fassung des leicht redaktionell bearbeiteten Textes, der in der jungen Welt vom 5.11.1996, S. 14 unter dem Titel "Sounds aus der ... Überflüssiges Liedgut I - Gerade den Feiertag überstanden und dann dieses: Allerseelen" erschien)

 

 

"Allerseelen" heißt ein Ein-Mann-Musikprojekt, das in selbsternannten Avantgarde-Kreisen der Independent-Szene Kultstatus besitzt und auf einschlägigen Samplern vertreten ist, so jetzt auf "Mysteriae Mithrae" (Athanor/Discordia). Benannt ist das Projekt des Wieners Kadmon nach dem katholischen Feiertag am 2. November. Er gilt dem Gedächtnis der verstorbenen Gläubigen, mit Fürbitte für die "Armen Seelen" im Fegefeuer. Der Name zielt indes über Katholizismus hinaus. "Allerseelen", so belehrt ein Fanzine, repräsentiere politisch wie religiös ein Gegenstück zu Sünde, Schuld und Strafe. Klingt passabel, denn wer, der christlich geprägt wurde, hat keine offenen Rechnungen mit der ideologischen Unterwerfung als schuldhaftes Subjekt?

Nicht zufällig folgt dem Loblied auf Allerseelen die positive Referenz auf Keltentum und Runen. Ebensowenig zufällig heißt das zitierte Fanzine Hammer against Cross! - dieser Kampf gegen das Kreuz ergibt eines mit Haken. Was der Musikus selbstverständlich bestreitet. Schließlich nenne er sich nicht zufällig nach dem Adam Kadmon der Kabbala. Im übrigen verachte er "jede Hörigkeit und Unterwerfung" und bewege sich im "Alleingang jenseits von links und rechts" - Ausflüchte eines Wirrkopfes, der längst in den Kulturkampf der "Neuen" Rechten eingespannt ist, sich einspannen läßt und (mit-) spinnt.

Im Kampf um semiotische Territorien leistet Kadmon/Allerseelen die kulturelle Drecksarbeit für den politischen Hardcore. Er rehabilitiert das Symbolsystem, vor dessen Gebrauch die um ihre Reputation besorgte "Neue" Rechte zurückschreckt. Sein Auftritt im Dresdener Club Müllerbrunnen lief unter der Organisation eines "Kulturzirkels Ahnenerbe"; die Wewelsburg, Himmlers als "Mitte der Welt" konzipierte SS-Ordensburg (bei Paderborn), wurde als Plakatmotiv gewählt. Kadmons bevorzugtes Symbol ist das zwölfzackige Sonnenrad aus dem Mosaikboden der Wewelsburg.

Leistungen gehen über Pioniertaten bei der Rehabilitierung faschistischer Symbolik hinaus. Er rehabilitiert komplette nazistische Ideologiebestände. Auf der CD "Gotos-Kalanda" vertonte er einen Gedichtzyklus Karl Maria Williguts. Willigut, der den SS-Totenkopfring entwarf und als "Rasputin Himmlers" verklärt wird, ist auch ein Heft in Kadmons Schriftenreihe Aorta gewidmet; weitere preisen den SS-Gralssucher Otto Rahn und Leni Riefenstahl.

der Independent-Szene kommt Kadmons Rehabilitierung okkulter und esoterischer Zweige des Nazismus durch. Widerspruch regt sich nicht. Allenfalls vorsichtiges Nachfragen, das auf die dümmsten Beschwichtigungen hereinfällt. Kadmon gibt sich reichlich Mühe, zwischen Rahn bzw. Willigut und der SS einen Unterschied zu machen. Wo Unterschiede sind, sieht er keine. "Ich verkläre weder Diktaturen noch Demokratien, da ich nichts von Insektenstaaten halte, in denen die Untertanen jeder staatlichen Propaganda auf den Leim gehen (...). Diese Gehirnwäsche ist in diesem Jahrhundert in den meisten Staaten Europas mehrmals geschehen." So antwortete er auf die Frage nach einer möglichen Verklärung des Nazismus - das Gothic Magazine gab sich damit zufrieden. Muß noch eigens erwähnt werden, daß Zillo, die Independent-Bravo, im oben erwähnten Mithras-Sampler und Vorgänger-Produkten "eine gute Mischung von Folk-beeinflußten und experimentelleren Songs" zu erkennen glaubte? Kadmons "Alleingang jenseits von links und rechts" fand seinen Höhepunkt mit dem Abdruck eines seiner Texte in den für ihre "Reichs"-Rasereien, Antisemitismus und Auschwitzleugnung berüchtigten Staatsbriefen.

Karlheinz Weißmann das Ziel einer rechten Graswurzelrevolution ausgab und auf die vor- bzw. metapolitische Verankerung der Linken und Alternativen in Kulturszenen als Vorbild hinwies, hielten das viele für Träume eines Geistersehers. Nun zeigt sich, welche Gespenster sich in der Gruft regen. Da hilft keine Fürbitte mehr.

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Copyright © 2000 Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung
Stand: 25. September 2006
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