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Gefälschte Talmud-Zitate vor Gericht Im Februar 2005 musste sich der stellvertretende
Landesvorsitzende der NPD, Claus Cremer (26), beim Bochumer Landgericht wegen
Volksverhetzung verantworten. U. a. hatte Cremer öffentlich behauptet, der
jüdische Talmud befürworte den Kindesmissbrauch – er selbst, Cremer, habe
dazu im Talmud „einmal nachgeschlagen“. Die Geschichte gefälschter ‚Talmud-Zitate’ reicht vom
ausgehenden 16. Jahrhundert bis zur NS-Propaganda. Wir erinnern im folgenden
insbesondere an den Prozess Rohling/Bloch aus dem Jahr 1885, in dem sich der
Wiener Rechtsanwalt Josef Kopp gegen die Fälscher stellte. Die umfangreichen Experten-Gutachten und Widerlegungen,
die er zur Prozess-Vorbereitung zusammentrug und die er in einem Buch
veröffentlichte, sind angesichts der bis heute reichenden,
rechtsextremistischen Agitation von ganz aktuellem juristischen Interesse für
Anwälte und Staatsanwaltschaften – nie wieder danach sind derart
umfangreiche, gerichtsverwertbare Materialien gegen Fälschungen und ihre
Verbreiter zusammengetragen worden. Zusammen mit weiteren Quellen stellen wir sein Werk als
elektronischen Volltext zur Verfügung. Zur Einführung: Gefälschte Talmud-Zitate vor Gericht. Dr. Kroner, Dr. Bloch und der Prozess Rohling/Bloch vom
November 1885 Ende
des 16. Jahrhunderts wurde die Index-Kongregation des Vatikan zum Urheber
einer kapitalen Fälschung. Hebräische Druckwerke wurden einem schweren
Eingriff der christlichen Zensur unterzogen. War in hebräischen Schriften von
– gleich zu achtenden – Nicht-Juden die Rede, d.h. auch von Christen, setzten
die Zensoren z. B. das Akronym „akum“ – für abodath kochabim u mazzaloth: Anbeter von Sternen und Tierkreiszeichen. In
der Tat – der archaischen Vielgötterei und später den Römern hatten jüdische
Autoren wenig Freundliches an den Hals gewünscht. Indem die Zensoren nun aber
Nicht-Juden, Christen und ‚Götzendiener’ in den gleichen begrifflichen Topf
warfen, mussten Breitseiten gegen die Römer und gegen ‚Götzendiener’ plötzlich
als Angriffe gegen die Christen, ja
gegen alle Nicht-Juden erscheinen.[1]
Emanuel Deutsch schreibt dazu (Der
Talmud, Berlin 1869): „In der Baseler Ausgabe [des Talmud] von 1578
- die dritte der Zeit nach und seitdem fast ausschließlich die Musterausgabe
- trat jene wunderliche Creatur, der Censor, auf die Bühne. In seiner Angst
um den „Glauben" , den er vor aller und jeder Gefahr zu schützen hatte -
denn man meinte, der Talmud berge unter den allerunschuldigst aussehenden
Worten und Wendungen allerlei Bitteres gegen das Christenthum - führte dieser
gewissenhafte Beamte merkwürdige Dinge aus. (…) Ein- oder zweimal ist es
versucht worden, den Text von seinen häßlichsten Flecken zu säubern. Vor etwa
zwei Jahren wurde sogar ein Anlauf zu einer „kritischen" Ausgabe
genommen, wie es deren nicht blos für griechische und römische, sanskritische
und persische Classiker giebt, sondern wie man sie für den reinsten Schund in
diesen Sprachen längst veranstaltet haben würde. Auch fehlt es (…) durchaus
nicht an talmudischen Handschriften, wie fragmentarisch sie auch zumeist
seien. Unzählige Lesarten, Zusätze und Berichtigungen wären aus den Codices
der Bodleiana und des Vatikans, der Bibliotheken von Odessa, München und
Florenz, Hamburg und Heidelberg, Paris und Parma heranzubringen. Allein ein
böses Auge scheint auf diesem Buche zu ruhen. Jene berichtigte Ausgabe bleibt
ein Trümmerstück, gleich den beiden ersten Bänden von Talmudübersetzungen
- zu verschiedenen Zeiten begonnen,
deren zweite Bände nie das Licht der Welt erblickt haben. Es schien daher
rathsam auf die Editio princeps zu verweisen, als diejenige,
welche zum Wenigsten von den Censur-Unbilden späterer Zeitalter frei
geblieben.“ (S. 6/7) Erst
Lazarus Goldschmidt unternahm (während mehrerer Jahrzehnte, zwischen 1897 und
1936) die vollständige deutsche Übersetzung des unzensierten Talmud in 12 Bänden. Dies änderte jedoch wenig: Die
Grundlage der gesamteuropäischen, antisemitischen Zitier- und
Abschreibgemeinschaft hat bis heute Bestand: Die Fälschungen der Index-Kongregation
wurden über die Jahrhunderte weitergereicht, verschärft und mit weiteren
Kompilationen angereichert, die niemand nachprüfen konnte oder wollte. Eine
der international schlimmsten Früchte (Entdecktes
Judentum) legte im Jahr 1700 der Heidelberger Orientalist Johann Andreas
Eisenmenger (1654-1704) vor.[2] Er
gab an, mit dem Werk auf die Konversion einiger Christen zum Judentum
reagiert zu haben. Die Intervention von Samson Wertheimer am österreichischen
Hof vermochte es, die Verbreitung des Werks zu verhindern, bis dessen Inhalt
geprüft sei. Nach Eisenmengers Tod erlaubte der preußische König Friedrich I. jedoch auf eigene
Kosten einen Neudruck des Werks in Königsberg (1711) – eine Prüfung war nicht
erfolgt. Mit
August Rohling und seinem Der
Talmud-Jude trat im Jahr 1871 ein Mann in Eisenmengers Fußstapfen, der
seine wissenschaftliche Skrupellosigkeit offen einräumte: In der 2. Auflage
des Werks wies er jede Kritik zurück, „weil es mir zu irrelevant ist
nachzuschlagen“. Diese Aufgabe übernahm noch im Jahr des Erscheinens der
Rohling’schen Fälschung der Hannoveraner Rabbiner und Seminardirektor I.
Kroner. In
zwei Abteilungen unter dem Titel Entstelltes,
Unwahres und Erfundenes in dem „Talmudjuden“ Professor Dr. August Rohling’s
(Münster 1871) wies Kroner nicht nur nach, dass sich die Masse der
Rohling’schen Angaben in den angegebenen Quellen nicht so oder überhaupt
nicht fanden, sondern auch, dass Rohling aus Eisenmenger, vor allem aber aus
dem 1869 in Paris erschienenen Pamphlet des Roger Gougenot des Mousseaux Le juif, le judaïsme et la judaisation des
peuples chrétiens abgeschrieben hatte, ohne die Quelle zu nennen. Damit
erfüllte Rohling nicht nur den Tatbestand der Fälschung, sondern auch den des
Plagiats. „Woher die Neigung nach Frankreich,
jetzt, wo es Patriotismus ist, deutsch zu sein?“ fragt Kroner
und kommt zum abschließenden Ergebnis: „Der Herr Professor kennt den
Talmud fast gar nicht und kann nicht ein Blatt in demselben ohne Fehler
lesen, wenn er nicht vorher noch lange Studien an der Hand eines Talmudkundigen
gemacht.“[3] Diese Diagnose sollte – in Gestalt des Aron
Briman – von der Wirklichkeit noch übertroffen werden. Briman war getaufter
Jude, d.h. „nach
einander Jude, Protestant und Katholik“[4]. Sein Der Judenspiegel (1883)
erschien anonym in Paderborn und wiederholte bereits bekannte
Talmud-Zitat-Fälschungen. Als eine Tageszeitung in Münster Auszüge druckte,
kam es zum Prozess. Ein Dr. Jacob Ecker erbot sich als Gutachter, ohne
hebräische oder gar talmudische Kenntnisse zu haben. Er ließ kurzerhand
Briman das Gutachten selbst schreiben (Der
Judenspiegel und die Wahrheit) und auf diese Weise dem Urteil entkommen.
Als Gegenleistung ließ Ecker Brimans Judenspiegel
danach nicht nur unter eigenem Namen erscheinen (Die Hundert Gesetze des Judenkatechismus) – um eine Professur zu
erhalten. Er empfahl Briman auch gleich weiter – an August Rohling in
Österreich, als Berater bei dessen talmudischer Materialsuche. Rohling
war gerade mit einer Artikelserie in der "Tribüne" gegen seine
Kritiker beschäftigt, in einer Gazette, „die unter gewichtiger Unterstützung
gedruckt wurde, um in Wien das tschechische Evangelium zu predigen und die
liberale deutsche Partei zu bekämpfen.“ Rohling publizierte die Artikel noch
im Jahr 1883 als Band unter dem Titel Meine
Antworten an die Rabbiner oder fünf Briefe über den Talmudismus und das
Blutritual der Juden.[5]
Nach Rohlings eigenen Angaben vom 23. Juni 1883 (in Prag) sollen bereits zu
diesem Zeitpunkt 200 000 Exemplare verbreitet worden sein – Rohling war
längst ein gemachter Mann. Es
war die Zeit, als auch der Fall von Tisza-Eszlar Schlagzeilen machte: „Das war ein Ereigniß, das in ganz Europa
Aufsehen machte; aber nicht der an sich nicht ungewöhnliche Kriminalfall
erregte die Aufmerksamkeit, nicht die Frage, ob und von wem das Mädchen
Esther ermordet wurde, kam in Betracht, sondern lediglich das Motiv des
fraglichen Mordes. Ein Raubmord war von vorhinein ausgeschlossen, ebenso
fehlte der Anhaltspunkt für die Annahme eines Lustmordes oder eines Mordes
aus Rache. - Alles drehte sich darum, ob hier ein Mord aus religiösen Motiven
und zwar nicht zur Vergeltung einer religionsfeindlichen Aeußerung oder
Handlung der Ermordeten, sondern in Ausübung einer religiösen Pflicht, als
gottesdienstliche Handlung, kurz ein ritueller Mord begangen wurde,
und so beschämend es für die selbst-gefällige Vergötterung unseres
aufgeklärten (?) Zeitalters klingen mag, muß es gesagt werden, daß es
Tausende und aber Tausende aus allen Ständen und Berufsklassen gibt, welche
glaubten und noch glauben, daß die jüdische Religion den rituellen
Christenmord und den Genuß des dadurch gewonnenen Christenblutes gebietet
oder mindestens empfiehlt. Die Antisemiten versahen sich auch ihres
Vortheiles, sie beeilten sich, die Situation auszunützen und das Bildniß (?)
des rituell geschlachteten Mädchens, der armen zum jüdischen Gottesdienste
geopferten Christin, wurde dem großen Antisemitencongresse in Dresden
vorgeführt. (…) Und nun tritt Rohling auf den Plan. Mit anwidernder
Beflissenheit drängt er sich heran, um aus dem Schatze seiner von allen
Fachgenossen verläugneten Gelehrsamkeit Beweise für den rituellen
Christenmord als jüdisches Religionsgebot beizubringen und sich zur eidlichen
Bekräftigung vor Gericht zu erbieten. Er schreibt endlich ein Buch unter dem
Titel "Die Polemik und das Menschenopfer des Rabbinismus",
worin er Beweisstelle auf Beweisstelle häuft, und auch von diesem Buche sind
schon über 2000 Exemplare abgesetzt.“[6] Schon
den Gerichten in Dresden und in Habelschwerdt in Preußisch-Schlesien hatte
Rohling mit schriftlichen Gutachten gedient, in denen er „fast in der Form
eines antisemitischen Glaubensbekenntnisses alle behaupteten Scheußlichkeiten
der jüdischen Religion“ aufzählte. Die Behauptung, der rituelle Mord sei eine
mündliche Geheimlehre der Juden, die oft befolgt worden sei, verknüpfte er
mit dem Satz: "Ich kann auch dies auf Verlangen amtseidlich
erhärten". Oder er sei "jederzeit bereit, hierauf einen heiligen
Eid zu leisten"[7].
Auch zum Prozess in Tisza-Eszlar brachte sich Rohling ins Spiel. Als
Lockspeise für die Richter diente ihm nun die (selbstverständlich absurde)
Behauptung, er habe soeben (sozusagen als erster Hebraist der
Menschheitsgeschichte) Kenntnis von schriftlichen
jüdischen Quellen zum mündlichen
Ritualmord-Gebot erhalten: An den Herrn Abgeordneten Geza Onody in
Tisza-Eszlar. Prag, am 19. Juni 1883. Nachdem ich in meinen "Antworten an die
Rabbiner" gesagt habe, daß ich im Talmud, soweit wir denselben im Druck
kennen, keinen Beweis für den rituellen Mord der Juden gefunden habe, so
discutiren die Juden darüber, daß derartiges in ihrer Litteratur überhaupt
nicht vorkomme. Ich erachte es für meine Pflicht, jetzt, wo
ein solcher Fall gerade vor Gericht verhandelt wird, Euer Hochwohlgeboren zu
verständigen, daß ich nach Verfassung meiner obigen Schrift in den Besitz
eines durch die Jerusalemer Unternehmung des Moses Montefiore noch im Jahre
1868 hinausgegebenen solchen hebräischen Werkes gelangt bin, auf dessen Seite
156a geschrieben ist, daß das Vergießen des Blutes einer nicht jüdischen
Jungfrau für die Juden eine überaus heilige Handlung, daß das so vergossene
Blut dem Himmel sehr angenehm und den Juden Gottes Erbarmen verschaffe. Dies ist ein kurzer Auszug der ganzen Stelle,
welche ich wortgetreu binnen kurzem der Oeffentlichkeit übergeben werde. - Auf die Wahrheit des Obigen bin ich, wenn es
nothwendig ist, bereit, hier vor Gericht auch einen Eid zu leisten. Dr. August Rohling m. p., kaiserl. königl.
Universitätsprofessor in Prag.[8] Rohlings
menschenverachtende Dreistheit provozierte im Juli 1883 vier Zeitungsartikel
von Dr. Joseph Samuel Bloch in der "Wiener allgemeinen Zeitung."
Bloch, Bezirksrabbiner in Floridsdorf bei Wien und österreichischer
Reichsratsabgeordneter[9],
bezichtigte Rohling darin des wiederholten Meineids. Doch Rohling zögerte mit
einer Reaktion. Da setzte Bloch mit weiteren 4 Artikeln in der „Morgenpost“
(1. bis 4. Juli 1883) unter dem Titel Das
Angebot des Meineids nach und forderte Rohling noch einmal heraus.
Auszüge: ,, ... so erbietet er sich dem Gerichte in
Nyiregyhaza zur eidlichen Aussage, daß die Juden zu ihrer Gottesverehrung
Christenblut nöthig haben. Dieser Herr weiß das ganz genau, denn er ist o. ö.
Professor der hebräischen Alterthümer zu Prag! Wohl ist er nicht in der Lage,
eine einzige Zeile hebräisch korrekt zu lesen, für seine verläumderische
Anklage auch nur den Schatten eines Beweises vorzubringen; allein er besitzt
- einen Eid, der sich bereits des öfteren als felsenstark erwiesen hat, so
stark, daß er Mauern brechen und vermittelst welchem er auch Alles vor
Gericht beweisen kann, Alles was ihm einfällt und beliebt." "Gegen diese stets drohende Gefahr eines
Meineides auf Verlangen müssen wir uns schützen." ,,Ich fühle mich deswegen durch mein Gewissen
genöthigt, neuerdings gegen den genannten Herrn wegen seiner angebotenen
zeugeneidlichen Aussage öffentlich die Anklage des angebotenen Meineides
zu erheben und bin bereit, diese schwere Anklage vor jedem Forum zu begründen." "Da er dennoch für all seine horrenden
Lügen keinen anderen Wahrheitsbeweis übrig hat, als - den viel mißbrauchten
Eid und da er gar diesen Eidschwur anbietet, um zeugeneidlich eine plumpe
Erdichtung verbündeter Unwissenheit und Böswilligkeit zu erhärten, so muß er
sich gefallen lassen, daß man öffentlich gegen ihn die Anklage des
angebotenen Meineides erhebt." "Und nicht allein das, auf Verlangen wird
dieser Herr beeiden, daß die Juden von Religionswegen - Diebe sind und die
Christen bestehlen dürfen, nicht blos, sondern sogar es müssen! Auf Verlangen
wird er beschwören, daß die Juden von Religionswegen gegen Christen allerlei
Betrug verüben. Auf Verlangen wird er beeiden, daß der Meineid den Juden
keine Sünde ist und die Ableistung eines falschen Eides gegenüber den
Christen nach ihren Religionsgesetzen eine gottgefällige Handlung sei. Das
ist bei Leibe keine Ironie, auch keine Uebertreibung, sondern schauderhafte
nackte Wahrheit, dieser Herr hat alles das nicht blos beeiden wollen, sondern
auch bereits thatsächlich beeidet - auf Verlangen." "Seine erlogenen talmudischen Citate hat
er bereits wiederholt feierlich beeidet." "Ein k. k. Professor mit wiederholten
falschen Eidesleistungen ist ein Unicum selbst in der bunten wechselreichen
Geschichte österreichischer Universitäten."[10] Wie
erhofft, musste Rohling reagieren
und überreichte am 10. August 1883 bei dem k. k. Landesgericht Wien z. Z.
29028 Anklage gegen Bloch wegen Beleidigung. Damit eröffnete sich eine historische
Möglichkeit, Talmud-Fälschungen und die damit einhergehende ‚aufreizende
Rede’ gegen Staatsbürger endlich gerichtlich nachweisen und verfolgen zu
können. Bis dahin waren öffentliche Ankläger in Österreich meist
zurückgeschreckt, die Richtigkeit von ‚Zitaten’ zu überprüfen. Man beurteilte
lediglich die ‚Strafbarkeit aufreizender Reden’ und landete damit zumeist bei
Freisprüchen durch die Geschworenen. In einigen Fällen vor deutschen
Gerichten wurden zwar Sachverständige mündlich
bestellt, die aber die Geschworenen verwirrten. In anderen Fällen wurden beiden Parteien Sachverständige
zugestanden, die sich dann in Disputationen vor Gericht neutralisierten.
Bloch erreichte nun einen Prozess, der beim Schwurgericht des k. k.
Landesgerichts Wien mit ausgiebigerer Vorbereitung geführt werden sollte. Blochs
Verteidiger war Dr. Josef Kopp, Hof- und Gerichtsadvokat und Abgeordneter des
niederösterreichischen Landtags und des österreichischen Reichsrats. In
seinem 1886 in Leipzig erschienenen Werk Zur
Judenfrage nach den Akten des Prozesses Rohling-Bloch[11] berichtet Kopp
nicht nur eingehend über die Prozessgeschichte, sondern fasst – Punkt für
Punkt – insbesondere die Gutachten der beiden – christlichen – Gutachter
zusammen, des Straßburger Orientalisten Theodor Nöldecke und des Dresdner
protestantischen Theologen August Wünsche, die schließlich vom Gericht
akzeptiert wurden. Zuvor
hatten durchweg alle angefragten Fakultäten und Fachleute Rohlings
Machenschaften verurteilt. Stellungnahmen kamen von den theologischen
Fakultäten der Universitäten in Amsterdam, Leiden, Utrecht und Kopenhagen,
vom katholischen Bischof Kopp von Fulda, vom altkatholischen Bischof
Reinkens, von den Professoren D. A. Dillmann, Dr. Ebers in Leipzig (der
Rohling eines "schweren, fluchwürdigen Verbrechens“ zieh), von Dr.
Fleischer in Leipzig, Dr. Kalkar in Kopenhagen, (sogar) von Paul de Lagarde
in Göttingen, von Dr. Friedrich Müller in Wien, Dr. Riehm in Halle
("häßliche Ausgeburt des Fanatismus und der Unwissenheit"), von Dr.
Sommer in Königsberg, Dr. Stade in Gießen, Dr. Strack in Berlin (“seltene Vereinigung von Unwissenheit, verblendetem Haß und Böswilligkeit“), von D. Merx in
Heidelberg („unqualifizirbar dumm
und schamlos"), Dr.
Siegfried in Jena („Cloake von Lüge
und Gemeinheit“ – Rohling kenne „keine Gesetze der Sitte und der Sittlichkeit“, ein „notorischer Ignorant“), von Dr.
Baumgarten in Straßburg und von Dr. Köhler in Erlangen ("Unredlichkeit und blinder Fanatismus"). Auf Anregung des
anwesenden Prof. Dr. Schlottmann erklärte sich der gesamte, soeben in Leiden
tagende, sechste internationale Orientalisten-Kongress gegen Rohling.[12]
Dr. G. Bickell, Professor der katholisch-theologischen Fakultät an der
Universität Innsbruck, bat das Wiener Landgericht, von seiner Berufung als
Gutachter abzusehen. Er sei „seit 20 Jahren“ mit Rohling befreundet und müsse
sonst gegen ihn, gegen den „Schwindel gelehrter Industrieritter“ aussagen.[13] Und
doch – jüdische Quellen, wie Kroner’s Widerlegungen aus dem Jahr 1871,
mussten beim Prozess ganz außen vor bleiben. Kopp begründet dies so: „Die Situation zwang ihn [Dr. Bloch], wenn er
auf der Geschwornenbank und im großen Publikum Glauben finden wollte, die
Bestellung christlicher Sachverständiger geradewegs zu verlangen, und zwar in
einer Zeit, da die antisemitischen Wogen so hoch gehen, daß sie bekanntlich
auch vor der Schwelle mancher Gelehrtenstube nicht zurückweichen.“[14] Freilich
wurde im Gegenzug Rohlings Wunsch, ausgerechnet „Dr. Brimanus und den Dr.
Ecker in Münster“ als Gutachter zu bestimmen, vom Gericht ebenfalls nicht
entsprochen: „Brimanus“ wurde stattdessen in anderer Sache „wegen Betrug in
Untersuchungshaft genommen und von demselben k. k. Landesgerichte, dem er zur
Bestellung als Sachverständiger vorgeschlagen wurde, wegen Urkundenfälschung
zu mehrmonatlicher Kerkerstrafe und Landesverweisung verurtheilt.“[15] Kopp
erwirkte für die Verteidigung beim Gericht eine Vorbereitungszeit von 1 ½
Jahren. Für die Gutachter wählte der Jurist über 300 Textpassagen zur
Übersetzung aus dem Hebräischen und zur Kommentierung aus. „Diese Masse von Texten, die gedruckt 80
Foliospalten füllten, wurden nun von mir nach Gruppen, die sich nach der
Natur der Sache ergaben, systematisch geordnet und noch spezielle Fragen
eingefügt. Die betreffende Eingabe an das Landesgericht füllte 42 gedruckte
Foliospalten. Das Landesgericht übermittelte das Ganze Ende Jänner 1885 den
Sachverständigen, und stellte dem Hrn. Rohling zu Handen seines Vertreters
frei, seinerseits ergänzende und Zusatzfragen zu stellen. Rohling machte
von diesem Rechte keinen Gebrauch. Ende Juni 1885 langte das 190 Bogen
starke Gutachten an, welches über mein Ansuchen noch durch einen kleinen
Nachtrag ergänzt wurde.“[16] Die
Vorbereitungen waren damit – nach nahezu zwei Jahren – beendet. Der Prozess
wurde auf den 18. November 1885 bestimmt. 13 Sitzungstage waren anberaumt –
da zog Prof. Dr. August Rohling seine Anklage im letzten Moment zurück. Kopp
konnte nur noch kommentieren: „So gering auch die Bedeutung einer
Druckschrift ist gegenüber der Wirkung einer öffentlichen mit allen Garantien
des Rechtsschutzes für Kläger und Geklagten durchgeführten Verhandlung, will
ich doch das aufgesammelte Materiale nicht ganz verloren gehen lassen. Die
vollständige Verwerthung desselben würde ein Werk von etwa zwei Bänden
erfordern, dazu fehlt einem Manne, der nur die von der Berufsarbeit
erübrigenden, der Erholung abgesparten Stunden verwenden kann, die Zeit, und
für eine solche Arbeit würde sich auch nur ein ganz kleines Lesepublikum
finden, ich werde daher im Folgenden nur einen kurzen Auszug der markantesten
Punkte bringen.“[17] Kopp
hat mit seinem Werk Zur Judenfrage nach
den Akten des Prozesses Rohling-Bloch dennoch eine unvergleichliche
Quelle geschaffen. Angesichts der bis heute reichenden, rechtsextremistischen
Agitation ist sie – wie Kroner’s Werk aus dem Jahr 1871 – nicht nur von
historischem, sondern von aktuellem juristischen Interesse für Anwälte und
Staatsanwaltschaften. Rabbiner Joseph Samuel Bloch selbst gab schließlich im
Jahr 1890 die vollständige Dokumentation der Acten und Gutachten in dem
Prozesse Rohling contra Bloch
heraus (Wien: M. Breitenstein) und beschrieb in Erinnerungen aus meinem Leben (Wien 1922, 3 Bd.) weitere Details.
August
Rohlings Der Talmudjude konnte
durch die fehlende Insistenz der österreichischen und deutschen
Staatsanwaltschaften über weitere Jahrzehnte hinweg ungehindert neu aufgelegt
werden und nahm schließlich den Weg in die NS-Propaganda. Rohling selbst (er
starb 1931) versuchte, den Marktwert seines Werks durch Übersetzungen in
andere Sprachen und pompöse Rückübersetzungen ins Deutsche zu erhöhen. So
ließ er noch 1889 eine französische Übersetzung edieren und gewann dazu
Édouard Drumont, der das Vorwort
schrieb und weiteres ‚Material’ beisteuerte.[18]
Unmittelbar darauf wurde Prof. Dr. Aug.
Rohling's Talmud-Jude der deutschen Leserschaft mit dem Zusatz neu
angeboten: „Mit einem Vorwort von Eduard Drumont aus der auch anderweitig vermehrten französischen
Ausgabe von A. Pontigny, in das Deutsche zurückübertragen von Carl Paasch“.[19] Die
Quelle, aus der Rohling hauptsächlich abgeschrieben hatte, Roger Gougenot des
Mousseaux’ Le juif, le judaïsme et la judaisation des
peuples chrétiens aus dem Jahr 1869, machte ebenfalls Karriere: Alfred
Rosenberg übersetzte das Werk im Jahr 1921 unter dem Titel Der
Jude, das Judentum und die Verjudung der christlichen Völker. David
I. Kertzer (Die Päpste und die Juden.
Der Vatikan und die Entstehung des modernen Antisemitismus, dt. bei
Propyläen, München 2001) bezeichnet Des Mousseaux’ Buch als "die erste bedeutende Schrift über den
Ritualmord seit der Damaszener Affäre" (1840). Papst Pius IX gab dem
Werk "seinen Segen" und verlieh Des Mousseaux "sogar einen hohen päpstlichen Orden. [...]
Beides wurde in späteren Auflagen erwähnt, und auch in anderen Werken [Albert
Monniot: Le crime rituel chez les juifs (Paris 1914)] hob man dies hervor, um
dem Vorwurf, dass Juden in Ausübung ihrer Religion Christenkinder ermordeten,
mit dem Rückhalt päpstlicher Autorität zu versehen.“ ___ Als
elektronische Volltexte (pdf-Dateien) sind im DISS-Archiv vorläufig
verfügbar: Emanuel
Deutsch [Bibliothekar am Britischen Museum in London,
Mitglied der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, der K. Asiatischen
Gesellschaft u.s.w.], Der Talmud. Aus
der siebenten englischen Auflage ins Deutsche übertragen. Autorisirte
Ausgabe. Zweite Auflage. (Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung (Harrwitz
und Großmann)) Berlin 1869. [61 Druckseiten – 124 500 Zeichen] Entstelltes, Unwahres und Erfundenes in dem
„Talmudjuden“ Professor Dr. August Rohling’s. Nachgewiesen vom Rabbiner
Dr. [I.] Kroner, Seminar-Director. [I. Theil] (E. Obertüschen) Münster 1871 [51 Druckseiten – 58 400 Zeichen] Entstelltes, Unwahres und
Erfundenes in dem „Talmudjuden“ Professor Dr. August Rohling’s.
Nachgewiesen vom Rabbiner Dr. [I.] Kroner, Seminar-Director. [II. Theil] (E.
Obertüschen) Münster 1871 [70 Druckseiten - 93 000 Zeichen] [Dr.] Josef Kopp [Hof- und
Gerichtsadvokat, Abgeordneter des n.ö. Landtags und des österr. Reichsraths], Zur Judenfrage
nach den Akten des Prozesses Rohling-Bloch (Verlag von Julius Klinkhardt)
Leipzig 1886.
[196 Druckseiten – 419 000 Zeichen] darüber
hinaus: Ludwig
Philippson, Haben wirklich die Juden Jesum gekreuzigt? Mit einem Vorwort von
Martin Philippson (1866). 2. Auflage (M. W. Kaufmann) Leipzig 1901 [64 Druckseiten – 83 000 Zeichen] Arbeitskreis Rechts des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung. |
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[1] Ismar, Schorsch, Jewish Reactions to German Anti-Semitism, 1870-1914. New York and London (Columbia University Press) 1972, S. 109
[2] Johann Andreä Eisenmengers Entdecktes Judenthum oder Gründlicher und wahrhaffter Bericht, welchergestalt die verstockte Juden die hochheilige Drey-Einigkeit, Gott Vater, Sohn und Heil. Geist erschrecklicher Weise lästern und verunehren, die Heil. Mutter Christi verschmähen, das Neue Testament, die Evangelisten und Aposteln, die Christliche Religion spöttisch durchziehen, und die gantze Christenheit auff das äusserste verachten und verfluchen: dabei noch viel andere, bißhero unter den Christen entweder gar nicht oder nur zum Theil bekant gewesene Dinge ... ; alles aus ihren eigenen und zwar sehr vielen mit grosser Mühe und unverdrossenem Fleiß durchlesenen Büchern mit Ausziehung der hebräischen Worte und derer treuen Ubersetzung in die Teutsche Sprach kräfftiglich erwiesen und in zweyen Theilen verfasset, deren jeder seine behörige, allemal von einer gewissen Materie außführlich handelnde Capitel enthält; allen Christen zur treuhertzigen Nachricht verfertiget und mit vollkommenen Registern versehen. - Königsberg, [1711]
[3] Kroner 1871, I. S. 46/47.
[4] Heinrich Rickert 1893 im preußischen Abgeordnetenhaus. Vgl. Der Religionsunterricht im Abgeordnetenhause. In: Allgemeine Zeitung des Judenthums 57(1893)Nr.7 vom 17. Februar 1893, S. 75-77
[5] Kopp 1886, S. 22 (s. Anm. 11)
[6] Kopp 1886, S. 9 (s. Anm. 11)
[7] Kopp 1886, S. 15 (s. Anm. 11)
[8] Kopp 1886, S. 16 (s. Anm. 11)
[9] Vgl. Joseph Samuel Bloch, Gegen die Anti-Semiten: eine Streitschrift. Wien: Löwy, 1882, 39 S.
[10] Kopp 1886, S. 17/18 (s. Anm. 11)
[11] Josef Kopp, Zur Judenfrage nach den Akten des Prozesses Rohling-Bloch (Klinkhardt) Leipzig 1886.
[12] Kopp 1886, S. 183/4
[13] Kopp 1886, S. 26
[14] Kopp 1886, S. 22.
[15] Kopp 1886, S. 25
[16] Kopp 1886, S. 27.
[17] Kopp 1886, S. 29.
[18] August Rohling, Le juif selon le Talmud; édition française
considérablement augmentée par A. Pontigny; préface d'Édouard Drumont (Albert Savine) Paris 1889
[19] Deutschnationale Buchh. u. Verl.-Anst., Berlin 1890.