Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung


 

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Wir dokumentieren Nachrufe auf Alfred Schobert, die an anderer Stelle und aus unterschiedlichen Perspektiven erschienen sind:

DJ Kersten:
Abschied
Alfred Schobert (1963 – 2006) – ein Nachruf

in: morgenland-news # 19 november / dezember 2006

http://www.magentas-netzwerk.com/Morgenland19.html

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ABSCHIED.

Alfred Schobert (1963 – 2006) – ein Nachruf von DJ Kersten
 
 

 
Sinking down-the world is round ...
Standing on the moving ground 
Sinking down-the world is flat 
there's no-one here to question that 
(Desert Kisses - Siouxsie & The Banshees)
 
 
 
Harmful elements in the air /
symbols crashing everywhere
(Hongkong Garden - Siouxsie & The Banshees)
 
 
Zeichnung: Nora Below „Alfred“ (2006)
 

Am 18. November 2006 ist mein Freund Alfred Schobert nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von nur 43 Jahren gestorben.

Aufklärung im Trockeneis-Nebel

Kennengelernt habe ich ihn zunächst als kritischen Journalisten. Aufmerksam las ich seine Artikel über eine sich ausbreitende „Graswurzelrevolution von rechts“[1] innerhalb der Gothic- bzw. Dark Wave-Szene, die er Mitte der 90er Jahre u. a. in SPEX[2] oder junge Welt[3] veröffentlichte. Da mich diese in der schwarzen Szene schon damals kaum zu übersehenden, von Alfred aber minutiös recherchierten braunen Tendenzen auch und gerade als Szenegänger sehr störten, archivierte ich seine Artikel. Die darin enthaltenen Informationen über den von ´Neuen´ Rechten u. a. in der Zeitschrift Junge Freiheit[4] ausgerufenen ´Kulturkampf´, die „Operation Darkwave“[5], hoffte ich bei passender Gelegenheit auch innerhalb der Szene zu verbreiten. Im Frühjahr 1998 war der Zeitpunkt gekommen: in Bremen gründete sich die Initiative Grufties gegen Rechts / Music for a new society, eine erste Informationsbroschüre und ein Aufruf gegen die rechten Ränder der schwarzen Szene wurden ausgehend von Bremen in der ganzen Bundesrepublik und darüber hinaus verbreitet[6]. Die Veröffentlichung zog zahlreiche Reaktionen nach sich und unter den Briefbergen, die in Bremen eintrafen, befand sich auch eine Glückwunschkarte von Alfred Schobert, AK Rechts(extremismus) am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS)[7]. Wie viele andere schrieb er uns, „auf so etwas“ habe er „seit langem gewartet.“ Kurz danach präzisierte er in einem Brief: „Endlich regt sich wirklich etwas innerhalb ´der Szene´“. Dieser Brief war der Beginn einer engen und inspirierenden Zusammenarbeit. Schon hier warf Alfred ein Licht auf ein Problem der antifaschistischen Recherche-Arbeit: die Notwendigkeit einer Beschäftigung mit oft ermüdenden Details rechter Verstrickungen, „so langweilig die Darstellung von Infrastruktur und Organisationskram auch ist“. Mit welcher Ausdauer der akribische Archivar und Wissenschaftler diese Aufgabe auch meisterte[8], zielte er letztlich dennoch auf etwas anderes, bei weitem anspruchsvolleres: „Viel interessanter finde ich ja zu untersuchen, was ideologisch so per Musik rüberkommen soll bzw. tatsächlich rüberkommt“[9]. Er saß gerade an seinem Vortragstext für eine Veranstaltung der inzwischen gegründetenGrufties gegen Rechts Berlin, wo er „am Beispiel von Death In June (DIJ; braune Neo-Folk-Band, bis heute sehr populär in der Düster Szene; Anm. d. V.) den Kult männlichen Heroismus´“ problematisierte. „Maske, Macht, Militär und Männlichkeit“ lautete der Titel[10] - eine „Nachbereitung meines Eindrucks vom DIJ-Konzert in Arnsberg“. Damit erweiterte Alfred schon früh die Debatte über die bloße Kritik an recht(sextrem)en Tendenzen um, in diesem Fall, eine Kritik am soldatischen Männerbild in Segmenten der schwarzen Szene. Seine Texte und Vorträge waren Aufklärung im besten Sinne des Wortes – und er, der rastlose Vortragsreisende, betrieb sie in unzähligen Alternativ-, Kultur- und Jugendzentren der Republik[11]. Dabei scheute er auch nicht die inhaltliche Auseinandersetzung mit uniformierten, jugendlichen Death In June-Fans[12], die bei seinen Vorträgen gerne symbolträchtig die erste Reihe besetzten und meist anschließend einräumen mußten, daß dieser Mann zumindest weiß, wovon er spricht. Seine Geduld war bemerkenswert, und wenn ihn seine Diskussionslust verließ, verschwand er im Trockeneis-Nebel der Tanzfläche oder verdrückte sich an die Bar. Schonungslos in der Kritik war er, aber behandelt hat er alle korrekt.

Stop! In The Name of Justice

Typisch für Alfreds Genauigkeit ist, daß er uns von Anfang an auf derweil veraltete Informationen in unserer Broschüre hinweist und diese korrigiert oder ergänzt – gerade auch dort, wo wir uns auf seine eigenen Texte beriefen. Ebenso wichtig war ihm unsere Rückmeldung zu seinen eigenen Texten. Unser Respekt war ein gegenseitiger. Für uns hatten seine Artikel Maßstäbe gesetzt: genaue Recherche, keine Generalverurteilung der Gothic-Szene, falls nötig, etwa im Falle von in der journalistischen oder politischen Arbeit unvermeidbaren Fehlern: eine Berichtigung von Seiten des Autors selbst[13] (Alfred verließ sich hier nie bloß auf seine HerausgeberInnen oder Chefredaktionen). Das war freilich selten nötig. Wer ein solches Verhalten auf eine solide journalistische Ausbildung zurückführt, irrt – denn eine solche hat Alfred, den insbesondere sein Studium beim französischen Philosophen Jacques Derrida[14] in Paris tief geprägt hat, nicht genossen. Den deutschen Universitäten, deren opportunistische Kritikfeindlichkeit er verabscheute, stand er, nach ernüchternden Erfahrungen als Projektmitarbeiter an der Hochschule in Aachen, fern. Ich denke, daß die Stärke von Alfreds Schreibe in seinem unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn begründet liegt. Daß verantwortungsbewußter Journalismus nicht unbedingt üblich ist, mußten wir, das kritische Dark Wave-Projekt und Alfred Schobert, in den folgenden Jahren gleichermaßen schmerzhaft erfahren.

Unvergessen der Anruf eines SPIEGEL-Journalisten nach dem Amoklauf in Littleton 1999. Wir trieben uns gerade in Rostock herum und der geplagte Mann wollte von Alfred wissen, ob denn die ´Grufties´ generell eine Gefahr für die Sicherheit darstellten und wie diese überhaupt aussähen. Alfred, genervt von solch vorverurteilender Generalisierungswut, sah sich einmal im Zimmer um und berichtete schelmisch von seinen Ansichtsexemplaren: „blaue Haare, Miniröcke und schwarze Nylons (auch die Männer), assymetrische Frisuren, schwarz lackierte Fingernägel (auch die Männer), seltsame Ohrringe und Amulette“- wir lagen im Hintergrund auf dem Boden vor Lachen. Der Mann vom SPIEGEL wollte etwas bestimmtes hören und Alfred wollte ihm diesen Gefallen nicht tun, beharrte darauf, den Text vor Abdruck vorgelegt zu bekommen. ´Wacklige Charaktere´ war die vom SPIEGEL gewünschte Überschrift und so wurde das Interview auch überschrieben[15], obwohl sich Alfred klar und deutlich dagegen stemmte. Das klinge „pathologisch“ und schreie nach Psychiatrisierung. Er kämpfte um andere Inhalte, um jede Formulierung und verteidigte damit ganz klar auch uns, seine FreundInnen aus der Gothic-Szene.

Dieser Begriff von Freundschaft und Respekt zeigte sich auch, als wir zusammen nach Hannover eingeladen waren. Unser Gastgeber, ein älterer Antifaschist, ging auf unseren Tisch zu, fragte mit Blick in die Runde, ob wir die Referenten seien, drückte Alfred herzlich die Hand – und ging. Das er den gruftigen, optisch doch recht unkonventionellen Teil seiner Gäste, antifaschistische Genossen, nur zur Kenntnis genommen hatte, regte Alfred auf. Nach der Veranstaltung kam der Herr auf uns zu und bedankte sich bei jedem einzelnen von uns. Alfred grinste zufrieden: „Jetzt habt ihr ihn überzeugt“.
 

Diffamierungen und Lügen

 
Als KritikerInnen des braunen Randes der schwarzen Szene, wie gleichermaßen des unkritischen Umgangs vieler (Musik-)Medien damit, saßen wir gewissermaßen ´im gleichen Boot´ und wurden meist von den gleichen Leuten angefeindet. Und was mußte sich gerade Alfred, keinesfalls nur in der rechten Publizistik, sondern auch von Seiten diverser Musikmagazine, alles anhören. Während bei ihm zu Hause längst Drohbriefe von Neonazis eingingen, gefiel sich etwa der Rock Hard-Journalist Wolf-Rüdiger Mühlmann darin, seinem Gesprächspartner Alfred Schobert zu unterstellen, er sei personalidentisch mit den Journalisten-Kollegen Daniel Bax (taz) und Daniel Hügel (Jungle World), außerdem sei sein Name ein Pseudonym: „Wer oder was ist Alfred Schobert wirklich?“[16]. Trotz aller Richtigstellungen, die Alfred derartigen Lügen entgegensetzte, schien er manchmal unter der Last solcher Journaillen zu verzweifeln.

Dabei hätten zumindest die nicht-rechtsextremen KritikerInnen einfach nur seine Texte lesen müssen, um zu wissen, wie ungerechtfertigt der Vorwurf des ´Moralapostels´ und Pauschal-Verurteilers der schwarzen Szene ist. In einem grandiosen Text, passenderweise veröffentlicht in der Deutschen Lehrerzeitung, warnte Alfred schon 1997 davor, den pädagogischen Zeigefinger gegenüber dieser abseitigen Subkultur zu erheben. Der Medien- und Kirchenkritiker analysierte die Satanismushysterie von PädagogInnen, Presse und Klerikalen als einen „Bastard des Katholizismus“[17]. Bereits im SPEX-Artikel formulierte er klar, daß es „Blödsinn“ wäre, „die gesamte Szene in die rechtsextreme Ecke zu stellen. Solche Reaktionen seien dem Bayrischen Rundfunk und der Katholischen Kirche überlassen. Klagen über den ´Sittenverfall´ in Jugendkulturen haben, zum Glück, noch nie gefruchtet“ und, beinahe prophetisch: „Wenn überhaupt, dann entwickelt sich der Konflikt aus den vielfältig miteinander verwobenen Musikszenen heraus weiter“.

So kam es dann ja auch.

Etwa im gleichen Zeitraum stieg der Stern von Alfred Schobert als Kenner der rechtsextremen Problematik in der Dark Wave – Szene wie auch der von unserem Projekt in der Subkultur. Zunehmend, wenn auch zäh, fand unsere Kritik in Teilen der Musikpresse Gehör. Auch wenn hier häufig verfälschend zitiert und berichtet wurde, so hatten wir damals den Eindruck, positive Veränderungen angestoßen zu haben. Dieser Eindruck verflog, als wir zu einer von der Musikzeitschrift Zillo organisierten Podiumsdiskussion über die rechten Tendenzen auf dem Wave-Gotik-Treffen in Leipzig 1999 eingeladen wurden. Mit auf dem Podium sollte der lange Jahre von weiten Teilen der Musikpresse hofierte Neonazi und Antisemit Josef Klumb (Von Thronstahl, ex-Weissglut, ex-Forthcoming Fire) sitzen, der soeben u. a. aufgrund seiner Aktivitäten bei dem rechtsextremen Unternehmen VAWS (Verlag & Agentur Werner Symanek)[18] seines Plattenvertrags beim Sony-Epic-Konzern verlustig gegangen war. Ein erneutes Podium für ihn empfanden sowohl Alfred als auch wir als einen Skandal, und so weigerten wir uns, uns an dieser erneuten Akzeptanzbeschaffungsmaßnahme zu beteiligen. Als dann die ganze Diskussion abgesagt wurde, waren die Schuldigen schnell gefunden. Nicht ein Diskussionsleiter (Ecki Stieg), der einen Neonazi einlädt, nicht die Absagen beinahe sämtlicher angekündigter Teilnehmer (u. a. Campino (Die Toten Hosen) und Gabi Delgado (DAF)) waren schuld – nein, stattdessen phantasierte Ecki Stieg in der folgenden Ausgabe des Zillo von „Beleidigungen und den unverhohlenen Droh- und Einschüchterungsgebärden von Alfred Schobert“ und schraubte sich hoch zu dem Vorwurf, wir hätten „faschistoide Methoden“ angewandt, um die Diskussion zu verhindern.[19]Wir brauchten Jahre, um den durch die verfälschende Darstellung entstandenen Imageschaden halbwegs zu korrigieren. Zeitungen wie der kulturSPIEGEL oder DIE WOCHE schrieben die Lügen des Zillo einfach ab[20]. Ich glaube für Alfred war dies der Moment, sich aus der Zusammenarbeit mit diesen Leuten zu verabschieden und tendenziell aus dem Musikthema zurückzuziehen. Vielleicht auch ein Grund, weshalb das geplante, fast fertige „preiswerte Büchlein zum Thema“ nie erschienen ist. Ich habe die Vermutung, daß die permanente persönliche Diffamierung Alfreds darin begründet lag, daß seine konsequent mit Quellen belegten, sachlichen Argumente – auch vor Gericht - schlicht nicht widerlegbar waren.

Mann mit Prinzipien

Alfreds Gespür für Gerechtigkeit und Ausgrenzung zeigte sich auch in anderen Feldern, etwa im Engagement für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen und gegen institutionellen Rassismus. Eine zentrale Thematik seiner Veröffentlichungen war die Kritik an Antisemitismus und Antizionismus, an (deutscher) Geschichtspolitik und den ´Normalisierungs´diskursen, etwa in der Walser- und der Finkelstein-Debatte[21].

Seine prinzipielle Anti-Kriegs-Haltung wurde auf die Probe gestellt, als er nach dem 11. September von immer mehr bellizistischen Linken umgeben war. Die Kriegsbefürworter schossen wie Pilze aus dem Boden, was Alfred dazu veranlaßte, sich von der Jungle World, für die er 5 Jahre lang geschrieben hatte, auf die kleinere, radikal-pazifistische Graswurzelrevolution zurückzuziehen[22]. Ein solches Rückgrat imponierte mir. Als selbst linke Zeitungen in die „Mühle der binären Reduktion“[23]

gerieten und zwischen Rassismus, Antisemitismus, -zionismus, -orientalismus, -imperialismus oder -amerikanismus hin- und herpendelten, um ihre Kriegs-Befürwortung oder - Gegnerschaft zu untermauern, erschien mir Alfred, der den Krieg mit Blockaden von US-Militärdepots zu behindern versuchte und trotzdem gegen Antiamerikanismus ankämpfte, wie ein einsamer Rufer in der Wüste. Er verurteilte antipalästinensischen Rassismus, wußte jedoch auch, daß in Bezug auf den Nahost-Konflikt gerade in Deutschland „der Weg von der Kritik an einzelnen Maßnahmen der israelischen Regierung oder des israelischen Militärs zu antizionistischen und antisemitischen Positionen sehr kurz“ ist, weshalb er eine „besondere sprachliche Sorgfalt“[24] einforderte – ein durchgehendes Anliegen. Zuletzt war Alfred im Department 3 an den Vorbereitungen zur internationalen Kunstausstellung Manifesta 6 im Herbst 2006 auf Zypern beteiligt, die schließlich unter skandalösen Umständen abgesagt wurde. Vorhaben war, eine experimentelle und Grenzen überschreitende Kunstschule auf beiden Seiten der ´grünen Linie´ in der zwischen Türkei und Griechenland geteilten Hauptstadt Nikosia zu errichten.

 

Afterhours

Im März 1999 war Alfred, um einen Vortrag zu halten, erstmals zu uns ins Kulturzentrum Schlachthof in Bremen gekommen. Schnell wurde klar, daß wir es bei ihm nicht nur mit einem profilierten Schreiber und eloquenten Redner zu tun hatten, sondern auch mit einem höchst sympathischen, herzlichen und geselligen Zeitgenossen, mit dem man gerne bis spät in der Nacht in der Kneipe zusammensaß. Auf der sich anschließenden Vortrags-Tour durch Mecklenburg-Vorpommern im April d. Jahres (die derweil konstituierten Grufties gegen Rechts Rostock hatten eingeladen) mangelte es dann nicht an Gelegenheiten, mit ihm bis früh am Morgen zu diskutieren, Weizenbiere zu trinken, Geschichten zu erzählen und zu lachen. Wenn ich ihn anrief, hatte er immer Zeit und mich wunderte oft, daß sein Duisburger Institut ihm unsere stundenlangen Telefonate durchgehen ließ. Dabei interessierte sich Alfred auch immer für das Persönliche, erzählte von FreundInnen, seiner Familie, von den KollegInnen, fragte nach, wie es einzelnen unserer Gruppe ginge. Unvergessen wie Alfred im Frühjahr 2004 extra angereist kam, um mir, inzwischen selbst Referent in Sachen Widerstand gegen den ´rechten Kulturkampf´, bei einem Vortrag in Oberhausen zuzuhören. Er umarmte mich und spuckte in die Hände, um mir viel Erfolg zu wünschen.

Ein Klassiker unter unseren zahlreichen Anekdoten war die Geschichte mit der ´Saloontür´. Wir waren in Wismar, die sich an Alfreds Vortrag anschließende Wave-Party war längst zu Ende, als das Stichwort fiel, es existierten irgendwo im alternativen Wohnprojekt vorzügliche Haschischkekse. Da ich mit Vorliebe ortsspezifische Besonderheiten ausprobiere, wollte ich mir auch diese Kostbarkeit nicht entgehen lassen und griff beherzt zu. Zu später Stunde beschlossen Alfred, M. und ich, uns nun auch mal in Richtung unseres Schlafgemaches zu bewegen. Die Kekse sowie zahlreiche Biere machten die Wegbeschreibung unserer Gastgeber nicht gerade klarer. Mit einem Feuerzeug als einzige Lichtquelle stolperten wir durch kaum sanierte, stockfinstere Gänge. Pssst kam es von allen Seiten, denn ein Bremer Kollege hatte sich bereits vorzeitig zum Schlafen gelegt und wir wollten ihn ja nicht wecken. In unserem Zustand ein gewagtes Unterfangen. Wieder pssste es rundherum und wir kicherten uns einen ab, als uns plötzlich der Weg versperrt war. Ich, voranschreitend und breit wie ein Eimer, posierte - wie mich John Wayne gelehrt hatte - und gab dem unverschämten Hindernis einen kräftigen Tritt. Es krachte laut scheppernd zu Boden, von erneuten Mahnungen zur Stille und Kicheranfällen meiner Genossen begleitet. Was denn diese arme Sperrholzplatte mir getan hätte, fragte Alfred ironisch mahnend und die Nachtruhe des Kollegen, die das alles noch nicht hatte stören können, war endgültig dahin, als ich entschuldigend erklärte: „Ich dachte, das ist eine Saloontüre“. Da war kein Halten mehr.

Noch Wochen und Monate später erzählte Alfred diese Posse mit einem unnachahmlichen Feixen im Gesicht. Wie oft haben wir darüber gelacht, und wie schön wäre es, wenn uns der Tod nicht die Möglichkeit genommen hätte, weitere Abenteuer, Lach- und Sachgeschichten miteinander zu erleben.

Alfred ist tot. Vielleicht wird es noch Jahre dauern, bis die politische wie auch die Gothic-Szene begreifen wird, welchen Verlust dies darstellt und was wir diesem Mann zu verdanken haben. Wir haben einen wunderbaren Freund und unermüdlichen Streiter für Gerechtigkeit verloren – hoffentlich treffen wir uns eines Tages wieder, an einem etwas gastlicheren Ort. Ich werde ihn nie vergessen.
 
 




 

DJ Kersten

 
 

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[1]Alfred Schobert: Graswurzelrevolution von rechts? Zum Versuch der „Neuen“ Rechten, in der Dark-Wave-Szene Fuß zu fassen (1998), DISS-Internet-Bibliothek, www.diss-duisburg.de; vgl. Alfred Schobert: Geheimnis und Gemeinschaft. Die Dark-Wave-Szene als Operationsgebiet ´neurechter´ Kulturstrategie, in: Gabriele Cleve u. a. (Hg.): Wissenschaft Macht Politik. Interventionen in aktuelle gesellschaftliche Diskurse, Westfälisches Dampfboot, Münster 1997, S. 384-395.

[2]Alfred Schobert: Aufstand gegen die Moderne. Dark Wave und „Neue Rechte“, in: SPEX, Nr. 5 (Mai 1996), S. 40-43; unter dem Titel Kreuz, Totenkopf und Gruft. Dark Wave und „Neue Rechte“ in: Margret Jäger / Frank Wichert (Hg.): Rassismus und Biopolitik. Werkstattberichte. DISS Forschungsbericht 1996, DISS, Duisburg 1996, S. 67-74.

[3]Von Oktober 1996 bis April 1997 erschienen hier zahlreiche Artikel von Alfred.

[4]Vgl. Alfred Schobert: Geschichtsrevisionismus à la carte. Mit Nolte und Zitelmann gegen „Westextremismus“ sowie (zus. mit Ronald Papke): Ab durch die Mitte. Der Mitteleuropa-Gedanke in der Jungen Freiheit, beide in: Helmut Kellershohn (Hg.): Das Plagiat. Der völkische Nationalismus der Jungen Freiheit, DISS, Duisburg 1994, S. 269-296 bzw. 297-322 und Im Gespräch sein - mit Carl Schmitt und Alain de Benoist oder Wie die „Junge Freiheit“ Völkischen Nationalismus dosiert, in: Martin Dietzsch / Siegfried Jäger / Helmut Kellershohn / Alfred Schobert: Nation statt Demokratie. Sein und Design der Jungen Freiheit, Unrast Verlag, Münster, 2. Aufl. 2004, S. 95-155.

[5]Vortragstitel von Alfred Schobert.

[6]Alle Broschüren von Grufties gegen Rechts / Music for a new society (laut Alfred die Initiative „mit den längsten Flugblättern neben der Marxistischen Gruppe“): Die Geister, die ich rief... (Bremen / Berlin 1998, 2 Auflagen), Die Katastrophe der Phrasen (Bremen 1999), Die Geister, die ich rief... (Ausgabe 2, Juni 2000) (Bremen 2000) sowie Die letzte Walpurgisnacht. Sonderausgabe zum Wave-´Gothic´-Treffen 2002 (Bremen 2002), finden sich auf www.geister-bremen.de.

[7]Vgl. www.diss-duisburg.de (hier finden sich zahlreiche Texte von Alfred).

[8]Die Ergebnisse seiner umfassenden Archiv- und Recherchearbeit wurden regelmäßig in den Archiv-Notizen des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) publiziert.

[9]Diesen Faden griff später u. a. Martin Büsser in seinem empfehlenswerten Buch: Wie klingt die Neue Mitte? Rechte und reaktionäre Tendenzen in der Popmusik (Ventil Verlag, Mainz 2001) wieder auf.

[10]Am 10. Oktober 1998 im Café Größenwahn in Berlin-Friedrichshain.

[11]So unternahm er bei seinem letzten Vortrag für unser Projekt in Bremen am 5. Oktober 2002 im Kulturzentrum Schlachthof den ambitionierten Versuch, vom Outen einzelner rechtsextremer Musikprojekte zum Verdeutlichen der Mechanismen zu kommen, die charakteristisch für alle Formen von Ausgrenzung und Unterdrückung sind und diese damit durchschaubar und kritisierbar zu machen.

[12]Die sich gerne damit herausredeten, daß Ihr Vorbild Douglas Pearce von DIJ ja schwul sei, also kein Rechter sein könne. Alfred widerlegte dieses beliebte Vorurteil u. a. in seiner Rezension Die geilsten Uniformen. Eike Stedefeldt zeigt, wie die Schwulen-Lobby sich nach rechts manövrierte, in: Jungle World 13 / 1998, S. 17.

[13]Vgl. Alfred Schobert: In Riefenstahl-Gewittern. Mit Leni Riefenstahl wird Nazi-Kunst populär gemacht. Das Magazin Zillo und seine Verstrickung in die rechte Szene, in: junge Welt, 9. Dez. 1996, S. 13 und den entsprechenden Nachtrag bezüglich der (nicht-rechten) Gothic Band The House Of Usher.

[14]Mit Derrida befaßte sich Alfred auch im kurz vor seinem Tod erschienenen letzten Aufsatz; vgl. Alfred Schobert: Eine Stimme von anderswo. ´“Das Messianische“ und die Politik im Werk Jacques Derridas der 90er Jahre, in: Margarete Jäger / Jürgen Link (Hg.): Macht – Religion – Politik. Zur Renaissance religiöser Praktiken und Mentalitäten, Unrast Verlag, Münster, November 2006, S. 61-96.

[15]Alfred Schobert über das Massaker in Littleton: Wacklige Charaktere. Der Sozialwissenschaftler Alfred Schobert über Rechtsradikalismus und Gewaltbereitschaft in der Gruftie-Szene (Interview), in: Der SPIEGEL, 17 / 1999, S. 174. Es war nicht Alfred Schobert, sondern ´Szene-Papst´ Ecki Stieg, der kurz zuvor verkündete: „In dieser Szene treiben sich oft weiche, labile, formbare Charaktere herum. Diese Leute sind leicht zu infiltrieren.“ (in: Schädelspalter (Stadtmagazin Hannover), 1 / 1999).

[16]Wolf-Rüdiger Mühlmann: Letzte Ausfahrt: Germania. Ein Phänomen namens Neue Deutsche Härte, I. P. Verlag Jeske / Mader, Berlin 1999, S. 104; vgl. ebd., S. 96, 99 ff., 263 passim.

[17]Alfred Schobert: Auf Teufel komm raus. Die „schwarze Szene“ - eine Jugendsubkultur zwischen Medienklischees, neokonservativer „Wertekulturpolitik“ und rechtsextremen Vereinnahmungsversuchen, in: Deutsche Lehrerzeitung 19-20 / 1997, S. 9.

[18]Vgl. Alfred Schobert: Rechter „Kulturkampf“: VAWS in Mühlheim, in: Antifaschistische NRW Zeitung Nr. 17, Sommer 1998, S. 4. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Machenschaften von J. Klumb und Werner Symaneks VAWS-Verlag findet sich unter dem Titel VAWS – Propaganda und Kommerz in nationalsozialistischer Tradition in dem informativen Band von Martin Dietzsch / Helmut Kellershohn / Alfred Schobert: Jugend im Visier. Geschichte, Umfeld und Ausstrahlung der ´Unabhängigen Nachrichten´, DISS, Duisburg 2002, S. 57-131.

[19]Vgl. Zillo 7-8 / 1999; eine ausführliche Kritik an der Logik von Ecki Stiegs Erklärung findet sich in der Grufties gegen Rechts-Broschüre Die Katastrophe der Phrasen (1999, vgl. Anmerkung 6) in den Kapiteln Pfingsten 1999. Irrlichter in Leipzig sowie insbesondere in „Unwirkliche“ Faschos, „Mißverständnisse“ und „Hetzkampagnen“. Über den Umgang mit Rechtsextremisten in der Dark Wave-Szene.

[20]Es sei darauf hingewiesen, daß der Chefredakteur des Zillo, Joe Asmodo, sich längst von Ecki Stieg getrennt – und in seiner Verabschiedung wenig gutes an ihm gelassen hat.

[21]Vgl. Martin Dietzsch / Siegfried Jäger / Alfred Schobert: Endlich ein normales Volk? Vom rechten Verständnis der Friedenspreis-Rede Martin Walsers, DISS, Duisburg 1999 sowie die Texte „Mit der Holocaust-Keule viel Geld abzocken“. Wie im Web-Forum der CDU über Finkelstein und „die Juden“ debattiert wird, in: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung 7 / 2001, S. 3 oder Die Normalisierung der deutschen Nation. Wie das Land sich seiner Geschichte und damit seiner Sonderrolle entledigen will, in: Freitag 14 / 2002, S. 10.

[22]Vgl. Alfred Schobert: Linke Bellizisten auf Gespensterjagd. Militärpolitische Normalisierung mit Antisemitismus- und Antiamerikanismus-Vorwürfen, in: Graswurzelrevolution, Nr. 266, Februar 2002 (www.graswurzel.net/266/jungle.shtml). Einen ähnlichen Schritt hatte er gemacht, als ausgerechnet die linke SPEX das NS-Black-Metal-Buch Lords Of Chaos des US-amerikanischen Neonazis und ´Kulturkämpfers´ Michael Moynihan abfeierte (vgl. SPEX, Dez. 1998). Von der Hamburger Konkret aus kritisierte er das Blatt, in dem er zwei Jahre zuvor in die Problematik des rechten Kulturkampfes eingeführt hatte (Alfred Schobert: Subversion und das Lied von der Mitte, in: konkret, Jan. 1999, S. 60).

[23]Alfred Schobert: In der Mühle der binären Reduktion. Arundhati Roys Rede in Mumbai im Krieg der Medien, in: kultuRRevolution – Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie, Nr. 47, Juni 2004, S. 80-85.

[24]Alfred Schobert: Einführung in die Grundbegriffe des Rassismus und Antisemitismus, in: Mirko Heinemann / Alfred Schobert / Claudia Wahjudi: Handbuch Antirassismus. Projekte und Initiativen gegen Rassismus und Antisemitismus in Deutschland, Kokerei Zollverein, Essen 2002, S. 11-50, hier S. 22.

 

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