Rhetorik und Gewalt

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von Jobst Paul

(2008, bibliographisch überarbeitet 2024)

Einleitung

Natürlich führen die allermeisten sprachlichen Äußerungen nicht dazu, dass andere dadurch zu physischer und psychischer Gewalt und Terror gegen bestimmte Opfergruppen aufgestachelt werden. Aber alle sprachlichen Äußerungen, die andere herabsetzen, stigmatisieren und dehumanisieren, haben dieses Potenzial.

Diese Einsicht schlägt sich zum Beispiel in einem Motto wie Rassismus tötet! nieder, das sich im Jahr 2012 ein bundesweites Aktionsbündnis gab. Damit sollte an die Anschläge auf Asyl-Bewerber-Heime in Ost- und Westdeutschland zu Beginn der 90er Jahre erinnert werden, oder genauer, an den Zusammenhang der Anschläge mit einem damals geschaffenen, politischen Klima der Abwertung des Asylrechts und damit der Asylsuchenden.

Auch die Publikation des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung mit dem Titel Brandsätze (1992), die unmittelbar nach den Anschlägen auf Asyl-Bewerber-Heime in Ost- und Westdeutschland zu Beginn der 90er Jahre entstand, setzt einen Zusammenhang voraus zwischen sprachlichen Äußerungen hier und Gewalttaten dort, zu denen bestimmte Sprecher durch diese sprachlichen Äußerungen und Aussagen angestachelt wurden. Kurz:
„Worte sind immer noch die meistverbreitete Waffe und die ‚Zunge‘ eines der schärfsten Schwerter.“ (Krämer 2007, 34) Wörter, Texte, Diskurse können „zur Waffe“ werden und können „schreckliche Taten zur Folge haben“. (Jäger 1993, 150)

Doch die Bandbreite möglicher Wirkungen reicht weit über die Körperlichkeit von Gewalt hinaus: Auch wenn Sprache bloß ’symboli auf das Leben einer Person zielt, ist die resultierende Gewalt „nicht weniger ‚real‘ oder ‚effektiv‘ als physische Gewalt – auch sie kann in letzter Konsequenz tödlich sein.“ (Kuch 2007, 179)

Dies gilt selbst für jene Form der gewaltsamen Sprache, die andere zum Schweigen bringt bzw. sie vor Angst erstarren lässt und so der Sprache beraubt: „Dieses Schweigen kann so weit gehen, dass wir ganz aus dem Spiel von Ansprache und Antwort ausgeschlossen, nicht mehr als soziales Wesen adressiert werden und damit die soziale Existenz vollkommen verlieren. Wir sprechen in diesem Fall vom ’sozialen Tod‘. (…)

Zwischen sozialer Teilhabe und sozialem Tod gibt es keine klaren Trennlinien, sondern eher eine bedrohliche Übergängigkeit. Die verletzende Sprache kann auf einen sozialen Ort sprechen, der sich als ein Nicht-Ort entpuppt. Ein Ort, der keine Gewissheit darüber zulässt, ob wir noch Teil des Sozialen sind.“ (Kuch 2007, 193)

Die Direktheit und Brutalität rassistischer Gewalt ist meist so schrecklich, dass sich allerdings Zweifel regen könnten, dass allein Texte und Diskurse die Macht haben können, Menschen in ihrer unmittelbaren Existenz zu treffen oder zu gewaltsamen Taten, möglicher Weise auch zur Folter anderer oder auch ’nur‘ zu ihrer Demütigung2 zu veranlassen.

Ist es wirklich denkbar, dass Wörter, Texte und Diskurse, die von den einen verfasst oder ‚mitgestrickt‘ werden und letztlich nichts in sich tragen als Mitteilungen und Bedeutungen, sich in anderen Menschen zu schrecklichen Handlungen und Taten materialisieren? Ist es nicht verständlich, wenn unter dem Eindruck rassistischer Gewaltakte immer wieder Stimmen laut geworden sind, die dafür eine ‚biologische‘ Anlage‘ im Menschen, z.B. einen
‚Aggressionstrieb‘, verantwortlich machen, die von sprachlichen Signalen ‚ausgelöst‘ wird?

Freilich liefe dieses als nature-These gängige Axiom darauf hinaus, dass (zum Beispiel) rassistische Gewalt als ’natürlich‘ hingenommen werden müsse und man logischer Weise nichts gegen sie ausrichten könne. Aber auch so bleiben einige Fragen noch unbeantwortet. Was zum Beispiel unterscheidet Texte und Diskurse, die psychische oder physische Gewalt gegen Opfergruppen auslösen, von anderen Äußerungen und Aussagen, die das nicht tun? Und wie ist es zu erklären, dass sich nur manche Menschen aufgrund von bestimmten Texten und Diskursen dazu verleiten lassen, psychische oder physische Gewalt gegen andere ins Werk zu setzen, dass andere Menschen aber durch dieselben Texte und Diskurse nicht dazu veranlasst werden können?

Andere Bedenken kommen hinzu. So kann man sich fragen, ob eine Untersuchung dieser und anderer Probleme nicht einen (intellektuellen) Abstand voraussetzt, der angesichts der Massivität rassistischer Gewalt als unangemessen erscheinen muss.

Wäre es zum Beispiel nicht angemessener, etwa auf ständig neue, beunruhigende Nachrichten zu (auch behördlicher und staatlicher) Gewalt gegen Flüchtlinge und Asylsuchende politisch und zivilgesellschaftlich zu reagieren, statt sich auf Text- und Diskursanalysen zurückzuziehen?

Die Antwort auf diese Bedenken liegt auf der Hand: Solche Analysen und das unmittelbar politische und zivilgesellschaftliche Engagement gegen die Herabsetzung, Stigmatisierung und Dehumanisierung von ‚Minderheiten‘ schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern gehören zusammen.

Insbesondere sollte man bedenken, wie die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahrzehnten jeweils auf rassistische Gewaltakte, auf Kampagnen der sozialen und rassistischen Herabsetzung und auf Manifestationen von institutionellem Rassismus reagierte. Sie schien offenbar unvorbereitet und auch weitgehend hilflos und konnte meist nur nachträglich (und immer wieder neu) Empörung und Unverständnis zum Ausdruck bringen. Die Einübung in die Analyse, wie Herabsetzung, Stigmatisierung und Dehumanisierung diskursiv (und kulturell) funktionieren, kann vor diesem Hintergrund zu einem Mehr an politischer und zivilgesellschaftlicher Handlungsfähigkeit im Vorfeld solcher destruktiver Entwicklungen führen.

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