Kapitalistische Weltmacht China

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Wirtschaftlicher Konkurrent und geostrategischer Rivale

Von Wolfgang Kastrup

Mit der Modernisierungspolitik von Deng Xiaoping 1978 sind in China nicht nur marktwirtschaftliche Reformen in Kraft getreten, sondern es ist ein neues kapitalistisches System entstanden, um dem Ziel näherzukommen, wieder Großmacht, wenn nicht gar Weltmacht zu werden. Für Renate Dillmann ist die Wende zur kapitalistischen Entwicklung in China genau datierbar. Entscheidend sei hier der Beschluss der Kommunistischen Partei unter Deng Xiaoping von 1978 gewesen „ihre bisherige sozialistische Planwirtschaft zu ‚reformieren‘ bzw. ‚transformieren‘, weil sie sich von der Einführung ‚kapitalistischer Methoden‘ eine schnellere Entwicklung des Landes und den Wiederaufstieg der chinesischen Nation erhoffte“. (Renate Dillmann: Kapitalistisch auf Chinesisch, in: analyse & kritik v. 21. März 2023) Auch für Uwe Hoering gelang es der Volksrepublik seit dem Ende der 1970er Jahren mit ihren besonderen Merkmalen wie dem Primat der Politik, hier Staat und Kommunistische Partei, „eine Agrar- und Industrieentwicklung anzuschieben, von der die meisten anderen Länder des Globalen Südens nur träumen konnten“. Deren Elemente waren, so Hoering, eine „staatlich regulierte Marktwirtschaft, Infrastrukturentwicklung, Subventionierung und protektionistische Steuerung von Handel und privatwirtschaftliche[n] Investitionen“. (Hoering 2023, S. 95) Der 1978 eingeleitete Reform- bzw. Systemwechsel entwickelte ein rasantes Tempo und war notwendigerweise mit einer Öffnungspolitik verbunden, denn China wollte auch international Geld verdienen, d.h., es musste auch international seine Interessen in zunehmender Weise durchsetzen, hier u.a. die Belt and Road Initiative (BRI), auch als Neue Seidenstraße bekannt, und eine führende Rolle bei den BRICS-Staaten. Ein gigantischer stetig wachsender Markt zeichnete sich ab, sodass von einem „Turbokapitalismus“ die Rede war, „der allerdings – trotz der fortschreitenden Öffnung für ausländische Unternehmen – weitgehend unter staatlicher Kontrolle blieb“. (Kempe 2023, S. 105) Hauptgegner – politisch, ökonomisch und militärstrategisch – ist im Wesentlichen die USA, die seit dem Ende des Kalten Kriegs bisher alleinige Welt- und Hegemoniemacht war, und das, obwohl beide Länder ökonomisch stark miteinander verbunden sind. Die gewaltsame Interessensabsicherung der USA, die ihr den berechtigten Vorwurf Chinas einbrachte, imperialistisch zu handeln, dieser Vorwurf ist heute gegen China ebenso berechtigt zu erheben.

Die Zukunft mit China denken“

Es ist Felix Wemheuer und Daniel Fuchs zuzustimmen, wenn sie die Bedeutung Chinas folgendermaßen herausstellen: „Wir können die Zukunft unserer Gesellschaften und des Planeten nicht mehr ohne China denken. Nach ‚hundert Jahren nationaler Schande‘ durch koloniale Demütigungen (1840-1945), Phasen der Selbstisolation und desaströsen Rückschlägen bei eigenen Modernisierungsbestrebungen ist das ‚Reich der Mitte‘ heute wieder in einer zentralen globalen Position.“ (Wemheuer / Fuchs 2023, S. 9) Waren, Technologie und Kapital aus China sind mittlerweile in allen Teilen des Globus präsent, sodass sich auch in der westlichen Welt das Bild Chinas auch in politischer Hinsicht stark verändert hat. Weltweit als größte Exportnation und zweitgrößte Volkswirtschaft muss China einbezogen werden, um hegemoniale Kriege zu beenden bzw. zu vermeiden, um der Klimakatastrophe entgegenzuwirken, um die Aufrüstung und die weltweite Armut zu reduzieren. „Ohne ein Verstehen, Mitdenken und einen gewissen Grad an Kooperation ist nichts davon denkbar.“ (Daniel Fuchs im Interview mit analyse & kritik v. 12.12.2023) Dem steht allerdings das Narrativ „China ist für die westliche Welt eine Bedrohung“ entgegen mit der zunehmenden Rivalität der USA und ihren Verbündeten der EU, Australien, Japan und Südkorea gegenüber der Volksrepublik China. So kann die obige Aussage „Die Zukunft mit China denken“ erweitert werden als Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale, so wie es die deutsche Bundesregierung in ihrer nationalen Sicherheitsstrategie zum Ausdruck bringt: „China ist Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale. Dabei sehen wir, dass die Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs in den vergangenen Jahren zugenommen haben. China versucht auf verschiedenen Wegen, die regelbasierte internationale Ordnung umzugestalten, beansprucht immer offensiver eine regionale Vormachtstellung und handelt dabei immer wieder im Widerspruch zu unseren Interessen und Werten.“ (Auswärtiges Amt 2023, S. 23) Ob China allerdings ein systemischer Rivale ist, darf jedoch in Frage gestellt werden, denn dort besteht, trotz der Einparteienherrschaft durch die allgegenwärtige kommunistische Partei, ein kapitalistisches System, verbunden mit einer gezielten staatlichen Förderung und Lenkung, ein Staatskapitalismus. Entscheidend ist aber, dass hier eine Rivalität um die „regelbasierte internationale Ordnung“ entstanden ist, deren Inhalte bisher von den USA und den anderen westlichen Staaten bestimmt wurden. Die Bundesregierung betont aber auch zu China eine Partnerschaft, um globale Krisen zu lösen: „China bleibt zugleich ein Partner, ohne den sich viele globale Herausforderungen und Krisen nicht lösen lassen.“ (Ebd.) Beispiele für diese Trias sind die wirtschaftlichen Erfolge des chinesischen Staatskapitalismus und damit verbunden die ernsthafte Konkurrenz der chinesischen Unternehmen für US- und europäische Konzerne, die Milliarden Investitionen deutscher und amerikanischer Großkonzerne in China, der Krieg in der Ukraine und die militärstrategische Rivalität im Indopazifik, verbunden mit einer immensen Aufrüstung auf allen Seiten. Hinzu kommt der grundsätzliche Konflikt um Taiwan, obwohl die UNO völkerrechtlich in der Resolution 2758 vom 25.10.1971 festgelegt hat, dass die Volksrepublik China der einzige rechtmäßige Vertreter Chinas ist, dass es also nur ein China gibt, zu dem auch Taiwan gehört (Ein-China-Prinzip). Trotzdem haben die USA Taiwan seit vielen Jahren, schon unter Präsident Obama, fortgeführt durch die Präsidenten Trump und Biden, als Bollwerk gegen die Volksrepublik militärisch aufgerüstet.

China einkreisen – geostrategischer Machtkampf im Pazifik

Die USA haben seit einigen Jahren begonnen, Bündnisse im asiatisch-pazifischen Region zu festigen bzw. neu zu gründen, die Japan, Südkorea, Taiwan, Australien, Neuseeland und die Philippinen umfassen, die sich gegen China als neuer Weltmacht, als neuer Hegemon, richten. Zu den Neugründungen zählt der am 12. September 2021 gebildete Militärpakt AUKUS (Australia, United Kingdom, United States), der vor allem das Ziel hat, Chinas Aktivitäten im Südchinesischen Meer, das von der Volksrepublik beansprucht wird, entgegenzuwirken. Es hat große militärische Bedeutung, wer dort die Kontrolle hat, da es nicht nur um wichtige Inselgruppen geht, die von China, von Taiwan, von Vietnam, von den Philippinen, aber auch z.T. von Malaysia und Brunei beansprucht werden (vgl. Kronauer 2022, S. 141ff.), sondern auch um die weltweit wichtigste Schifffahrts- bzw. Handelsroute. Die USA werden für ihre 55.000 Soldaten, die in Japan stationiert sind, ein eigenes operatives Hauptquartier bilden, um sich mit dem japanischen Hauptquartier besser militärisch abstimmen zu können. Zudem sollen in Zukunft auf den südwestlichen Inseln von Japan die Streitkräfte beider Länder stärkere Aktivitäten durchführen. Dies bezieht sich auf die Inseln Ishigaki und Yonaguni, die fast bis Taiwan reichen, und die südlich von Taiwan gelegenen Inseln, die zu den Philippinen gehören, wo sich ebenfalls US-Streitkräfte befinden. Ziel ist es, China systematisch einzukreisen. (Vgl. junge Welt v. 30.07.2024) Hintergrund ist natürlich auch, dass in diesem transpazifischen Machtkampf Chinas Einfluss auf die pazifische Inselwelt zunimmt, sodass bis auf Tuvalu und die beiden Ex-US-Kolonien Palau und die Marshallinseln alle Pazifikstaaten ihre Beziehungen zu Taiwan abgebrochen haben und stattdessen mit der Volksrepublik kooperieren. In diesem geostrategischen Machtkampf wollen die USA, Australien und Neuseeland seit einigen Jahren den Einflussbereich Chinas zurückdrängen. (Vgl. junge Welt v. 24.07.2024) Die Aufrüstung der USA in dieser Region, weit entfernt vom eigenen Territorium, ist dafür das Mittel, notfalls gegen China einen Krieg zu führen.

Der Begriff „Indopazifik“ als Großregion wurde von dem japanischen Premierminister Shinzo Abe erstmals 2007 in einer Rede vor dem indischen Parlament verwendet. Seitdem haben die USA, Australien, Indonesien und auch Frankreich (für seine Überseegebiete in dieser Region) diesen Begriff in ihre nationalen Verteidigungspläne aufgenommen. Diese Großregion hat zunehmend an Bedeutung gewonnen, da zahlreiche Staaten ihren geopolitischen Einfluss ausweiten wollen. „Das zeigen etwa die Aktivitäten Washingtons allein im Jahr 2023: Die US-Regierung kündigte die Einrichtung eines Sicherheitsdialogs mit Tokio und Seoul an, eine Verstärkung der US-Militärstützpunkte auf den Philippinen und die Unterzeichnung eines Sicherheitsabkommens mit Papua-Neuguinea – in Reaktion auf ein Abkommen zwischen China und den Salomonen im Jahr zuvor. Außerdem eröffneten die USA eine neue Botschaft in Tonga, reaktivierten ihren Posten auf den Salomonen und stellten diplomatische Vertretungen für Kiribati und Vanuatu in Aussicht.“ (Géraldine Giraudeau: Südpazifik unter Einfluss, in: Le Monde diplomatique, August 2024) Es ist davon auszugehen, dass die indopazifischen Inselstaaten, in ihrer Existenz vor allem durch die Klimakrise bedroht, kein Interesse haben, in eine mögliche kriegerische Auseinandersetzung zwischen China und dem Westen hineingezogen zu werden.

Trotz der Spannungen, der ökonomischen Konkurrenz, der deutlichen Aufrüstung und der Zunahme von Militärmanövern auf beiden Seiten, haben Joe Biden und Xi Jinping in einer vorsichtigen Annäherung im November 2023 bei einem Treffen in San Francisco beschlossen, besser und häufiger miteinander zu reden, um die wiedergewonnene fragile Stabilität nicht zu gefährden. So ist auch der Empfang des nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan der USA durch Präsident Xi in Peking Ende August 2024 zu bewerten. Dabei betonte Xi in einer offiziellen Verlautbarung, dass es die wichtigste Aufgabe sei, „die Entwicklung einer richtigen strategischen Wahrnehmung“. Dazu gehöre für ihn, dass die USA China nicht als Herausforderung betrachteten. (Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.08.2024) Doch trotz des Offenhaltens dieser wichtigen Kommunikationswege hat sich für die USA Entscheidendes nicht verändert, da sie China als Bedrohung der eigenen Vormachtstellung im Indopazifik sehen und als sehr ernst zunehmende Konkurrenz der eigenen Industrie und des weltweiten Handels.

In der NATO-Gipfelerklärung im 75. Jahr ihres Bestehens im Juli 2024 in Washington ist nicht nur die gemeinsame Front gegen Russland das Thema, sondern auch die deutliche Kritik gegenüber China als Unterstützer, als „Ermöglicher“ und „entscheidende[r] Beihelfer“ im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Russland und China werden in der Erklärung beschuldigt, die regelbasierte internationale Ordnung nicht nur in Frage zu stellen, sondern zu untergraben. Negative Auswirkungen für China seien die Konsequenz.1 Dass die bisherige sog. regelbasierte internationale Ordnung im Besonderen von den USA gestaltet wurde und auf dessen Interessen aufbaute, wird als selbstverständlich gesehen, da sie eine Führungsrolle in der Gestaltung einer sog. Weltfriedensordnung beanspruchen. Die restlichen NATO-Staaten wie die EU-Staaten teilen diesen Anspruch, da sie davon ebenfalls bisher profitierten.

Chinas internationaler Einfluss wird größer, vor allem in Afrika

Aus Sicht der US-Regierung wird eine multipolare Weltordnung dem eigenen Führungsanspruch nicht gerecht, während China eine solche Ordnung mit anderen BRICS-Staaten anstrebt. So soll die Multipolarität den Schwellenländern- und Entwicklungsländern mehr Einfluss geben und westliche Werte und Normen nicht mehr als allgemeingültig akzeptiert werden. Es soll also ein Gegengewicht zur Dominanz des Westens und zu deren Foren wie dem G7 gebildet werden. Der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar drückte die Kritik gegenüber der westlichen Hegemonie auf einer Konferenz der BRICS-Staaten in Kapstadt am 1. Juni 2023 folgendermaßen aus: „Der ‚Kern des Problems‘ liege in einer ‚wirtschaftlichen Konzentration‘, die ‚allzu viele Länder von der Gnade allzu weniger abhängig‘ mache. Zudem höre man seit zwei Jahrzehnten immer wieder von einer ‚Reform der multinationalen Institutionen‘, nur ‚um kontinuierlich enttäuscht zu werden‘: Nichts tue sich bei der Reform des UN-Sicherheitsrats, viel zu wenig bei Weltbank und IWF. Es sei daher notwendig, dass das Brics-Bündnis sich daran mache, ‚die globale Entscheidungsfindung zu reformieren‘“. Die „starke Botschaft“ sei, dass die „Welt multipolar“ sei, und das Brics-Bündnis für „ein Symbol des Wandels“ stehe. (Zit. nach Kronauer 2024 a, S. 155) Zu den BRICS-Staaten gehören Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika und seit dem 1. Januar 2024 weitere Mitglieder wie Saudi-Arabien, der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Argentinien, Ägypten und Äthiopien. In dieser Vereinigung leben 42 Prozent der Weltbevölkerung und sie kommen auf ein Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung. Nun will auch das NATO-Mitglied Türkei in diese Gruppe aufgenommen werden. „Die Türkei würde der von China und Russland angeführten BRICS-Vereinigung nicht nur wegen ihrer geographischen Lage als Produktionsstandort und Exportdrehscheibe zusätzliches Gewicht geben. […] Mit der Türkei auf Platz 17 der größten Volkswirtschaften und einem Bruttoinlandsprodukt von 1 Billion Dollar würde ihr Anteil weiter zulegen.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 05.09.2024) Ziel ist es ebenfalls, die Abhängigkeit vom US-Dollar als globale Leitwährung zu reduzieren, um andere Zahlungsmittel, wie z.B. die chinesische Währung Renminbi (RMB), zu nutzen. Bisher ist allerdings diesbezüglich noch kein nennenswerter Erfolg zu sehen, da der weltweite Kapitalismus noch immer auf dem US-Dollar als Weltleitwährung aufbaut und Staaten, Unternehmen und Investoren sich mit dem Dollar als Vermögenswert und Zahlungsmittel sicher fühlen. Dies verweist auf den Dollar als „ökonomisches Ordnungsmittel“. (Gegenstandpunkt 2022, S. 39) Mit dem US-Dollar verdienen und vermehren nicht nur die USA, sondern auch Staaten, Unternehmen und Investoren ihren Reichtum, da durch seine weltweiten realen Umtauschmöglichkeiten jede andere nationale Währung nur im Verhältnis zum Dollar die Möglichkeit zur Geldvermehrung hat. Fast alle Rohstoffe, Transportdienstleistungen und sehr viele Handelstransaktionen werden immer noch in Dollar gehandelt.

Auch wenn ein ernst zu nehmendes Gegengewicht zum US-Dollar bisher nicht erreicht wurde, muss man konstatieren, dass China einen wachsenden internationalen Einfluss hat, der sich auch darin u.a. zeigt, dass die politische Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, bisher verfeindete Staaten, durch die Vermittlung der Volksrepublik zustande kam. Es muss aber auch betont werden, dass die Staaten in diesem Bündnis durchaus auch eigene politische und geostrategische Wege gehen, wie dies am Beispiel Indien (Rüstungspolitik und militärische Manöver mit westlichen Staaten) oder auch an dem nicht immer konfliktfreien Verhältnis zwischen China und Indien (u.a. Grenzverlauf) zu sehen ist. Auch in einer multipolaren Welt werden Konflikte und geostrategische Spannungen nicht aufhören, was u.a. die Rivalität zwischen China und Indien anbetrifft oder auch die Spannungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, trotz der positiven Signale beider Länder durch die Vermittlung durch China. Entscheidend ist und bleibt, auch in einer Multipolarität, die Eingebundenheit in das kapitalistische System mit nationaler wie internationaler Standortkonkurrenz, Kapitalakkumulation, Profitmaximierung und den Konsequenzen wie Arbeitslosigkeit, prekären Lebensverhältnissen und Armut für einen nicht geringen Teil der Bevölkerung, ohne die ein kapitalistisches System nun mal nicht zu haben ist. Aber trotzdem könnte es für viele Länder des Globalen Südens ein Ausbrechen aus hegemonialen Strukturen sein, die von westlichen Ländern, allen voran die Vereinigten Staaten, über Jahrzehnte vor allem wirtschafts- und finanzpolitisch geschaffen wurden. Eine Neuorientierung für viele Länder des Globalen Südens, für unterschiedliche nationale wie internationale Vorhaben unterschiedliche Kooperationspartner aussuchen zu können, könnte eine multipolare Weltordnung bieten. Auch eine bipolare zwischen der westlichen Welt und der chinesisch dominierten wäre für diese Länder nicht wünschenswert. „Denn die der Blockbildung inhärente Wiedererrichtung einer binären Weltordnung birgt das höchste Potenzial für den Ausbruch eines Weltkrieges in sich.“ (Weigelin-Schwiedrzik 2023, S. 27)

Ein großer Erfolg für Präsident Xi war der diesjährige China-Afrika-Gipfel (FOCAD) in Peking, denn nahezu alle afrikanischen Regierungschefs waren präsent. „Peking umwirbt den Kontinent seit Jahrzehnten. Südafrika, Nigeria und Simbabwe genießen dabei besondere Aufmerksamkeit. Fortan gelten die Beziehungen zu diesen Ländern als ‚umfassende strategische Partnerschaft‘“. (Michael Krätke in: der Freitag v. 12.09.2024) Mittlerweile ist China mit Abstand wichtigster Handelspartner der meisten afrikanischen Staaten. Wenn der chinesische Präsident auf dem Gipfel das „unermessliche Leid“ ansprach, das westliche Staaten mit ihren Modernisierungsstrategien gegenüber dem Globalen Süden verursacht hätten, dann konnte er wissen, dass solche Äußerungen bei afrikanischen Regierungen positiv aufgenommen werden. Während der Covid-Pandemie seien, so Krätke, die Finanzhilfen Chinas allerdings deutlich zurückgegangen; erst 2023 lagen sie wieder bei fünf Milliarden Dollar. „Zugleich kam es bei den großen Infrastrukturprojekten zu Zahlungsausfällen, weil hoch verschuldete Staaten ihre Kredite nicht mehr bedienen konnten. Einen Schuldenerlass für die wenig solventen Partner hat die chinesische Regierung indes bisher nicht in Aussicht gestellt. Dafür wurde nun beim Treffen in Peking ein neues Finanzpaket mit einem Volumen von umgerechnet 46 Milliarden Dollar vorgestellt. Davon werden 30 Milliarden als Kredite vergeben und elf als direkte Finanzhilfe, während zehn Milliarden als Investitionen chinesischer Firmen in diverse Länder Afrikas fließen.“ (Ebd.) Ein Strategiewandel sei außerdem zu erkennen: Weg von den riesigen Projekten wie Bahntrassen, Häfen und Kraftwerken, stattdessen sollen nun die Projekte kleiner und wirtschaftlich effizienter ausfallen. Afrikanische Länder sollen die auf Überkapazitäten zurückgehenden Warenüberschuss aufnehmen (hier z. B. Solar- und Windkraftanlagen), während der chinesische Präsident versprach, Chinas Märkte für Agrarimporte aus Afrika vorsichtig zu öffnen. (Ebd.) Der antichinesische Vorwurf westlicher Politik und Medien, China treibe die Länder des Globalen Südens, und hier vor allem afrikanische, in eine Schuldenfalle, ist sicherlich auch vor dem Hintergrund zu verstehen, dass der westliche Einfluss in Afrika politisch, wirtschaftlich und militärisch zurückgegangen ist. Außerdem widersprechen Kronauer zufolge Fakten diesem Vorwurf: „Im Dezember 2022 bilanzierte der Londoner Think-Tank Chatham House, die Schulden der afrikanischen Staaten hätten sich von 2000 bis 2020 auf gut 696 Milliarden US-Dollar mehr als verfünffacht. Von der Kreditsumme stammten ganze zwölf Prozent aus China; das Land habe zudem ‚die Schuldenprobleme in den meisten Fällen nicht verursacht‘.“ (Kronauer 2024 b, S. 34) Dass China seine politischen und wirtschaftlichen Einflusszonen weiter ausdehnen will und so zu einer imperialen Ordnungsmacht wird, kann allerdings m.E. nicht bestritten werden.

Das chinesische Entwicklungsmodell

Das chinesische Entwicklungsmodell mit dem Ziel, die westlichen Industrieländer einzuholen bzw. zu überholen, hat sich, Wemheuer zufolge, von der „sowjetischen Planwirtschaft zum heutigen Staatskapitalismus, der in den Weltmarkt integriert ist, grundlegend verändert“. Dabei habe sich allerdings eine „erstaunliche Kontinuität“ bei den Parteiführungen der KPCH von Mao bis Xi bezüglich der Pläne des Ein- und Überholens des Westens gezeigt. (Wemheuer 2023, S. 137) Ab Mitte der 1980er Jahre galt für die chinesische Parteiführung die USA als die führende ökonomische Weltmacht; sie wurde zum Maßstab für das erhoffte Einholen. Die nationale Entscheidung Ende der 1970er Jahre, in China ein kapitalistisches System einzuführen, war die Voraussetzung dafür, eine Weltmacht zu werden. Dafür wurden auch harte Konsequenzen für die Bevölkerung in Kauf genommen wie Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung, Entwurzelung der Landbevölkerung und die Entstehung einer Klassengesellschaft. Chinesen*innen waren jetzt als private Eigentümer der Konkurrenz ausgesetzt, mussten und müssen auch heute noch um ihren Lebensunterhalt kämpfen. Die andere Seite des Kapitalismus, die Entwicklung von Reichtum einer kleinen Gruppe von Millionären und sogar Milliardären wurde akzeptiert. „Auch massive Umweltzerstörungen wie Verseuchung von Gewässern, Versandung von Böden oder schlimme Luftverschmutzung in den Städten sah die politische Führung lange nur als ‚Kollateralschaden‘ der Modernisierung.“ (Ebd., S. 138) Private wie staatseigene Unternehmen unterliegen dem Maßstab der Rentabilität; sie sind folglich der nationalen wie internationalen Konkurrenz ausgesetzt. Hinzu kommen politische wie ökonomische Repressionen nach innen. All dies sind notwendige, wenngleich ungeliebte Konsequenzen einer kapitalistischen Wirtschaftsweise in China.

China ist aufgrund seiner schnellen Industrialisierung in den letzten Jahrzehnten zum weltgrößten Emittenten von klimaschädlichen Gasen geworden; die Verwendung von fossilen Energieträgern wächst sogar noch weiter. Auf der anderen Seite ist China allerdings auch weltweit führend bei der Produktion und der Anwendung von erneuerbaren Energien und Technologien für die Dekarbonisierung der Ökonomie. Das Land entwickelt allerdings seit einigen Jahren eine ökonomisch-ökologische Transformation. Die Volksrepublik genehmigt mittlerweile viel weniger Kohlekraftwerke und baut die erneuerbaren Energien im Rekordtempo aus. Ein CO2-Wendepunkt scheint erreicht. „Langfristig setzt die Volksrepublik in ihrer Energieversorgung […] auf einen Mix, in dem Sonne, Wind und Atomkraft eine große Rolle spielen. Bis Mitte des Jahrhunderts soll sich der Anteil der Nuklearenergie auf rund 15 Prozent verdreifachen. Aktuell genehmigt die Volksrepublik jedes Jahr knapp ein Dutzend neue Atomkraftwerke mit einer Kapazität von 12 bis 13 Gigawatt.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24.08.2024) China forciert die Energiewende als wichtigsten Hebel gegen den Klimawandel.

Daniel Fuchs zufolge hat seit Mitte der 2010er Jahre eine „neue Phase der Arbeitskämpfe begonnen“, die sich von den Küstenregionen ins Landesinnere verschoben haben. Hintergrund sei, dass viele Wanderarbeiter*innen nicht mehr bereit gewesen seien, weit entfernt von ihren Herkunftsgebieten zu arbeiten. „Ermöglicht wurde dies durch die Verlagerung von Produktionsstandorten ins Landesinnere, begleitet von massiven staatlichen Investitionen.“ (Daniel Fuchs im Interview mit analyse & kritik v. 12.12.2023) Die Arbeitskämpfe, vor allem wegen Lohnrückständen, richteten sich weniger gegen die Partei- und Staatsführung, sondern gegen lokale Missstände, die von der zentralen Staatsführung, so die Forderung, behoben werden sollten. „In der Vergangenheit waren es vor allem NGOs, in denen sich Arbeiter*innen verständigen und Erfahrungen geteilt werden konnten, doch auch diese Orte des Austauschs und der Beratung sind seit Mitte der 2010er Jahre massiv von Repression betroffen. Seit der Machtübernahme von Xi Jinping agiert die Partei- und Staatsführung deutlich restriktiver gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen, so dass ein großer Teil der früheren Organisationen nicht mehr existiert; es gab auch viele Verhaftungswellen.“ (Ebd.) Zu der autoritären Herrschaft gehört auch die Zentralisierung der Macht auf den chinesischen Präsidenten Xi, die Aufhebung der Beschränkung seiner Amtszeit, die umfassende digitale Überwachung der chinesischen Bevölkerung und die deutlichen Einschränkungen von Wissenschaftlern*innen, Medien- und Kulturschaffenden. Neben diesen Negativerscheinungen der chinesischen Entwicklung, verbunden mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit (offizielle Zahlen sprechen von rund einem Sechstel, inoffiziell wird mit mehr gerechnet; vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14.09.2024) und einer Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen, gehört es zu den Zielen des Staates, innerchinesisch für die breite Masse ein höheres Wohlstandsniveau zu erreichen, verbunden mit dem Anspruch, eine technologische und militärische Großmacht zu werden, wozu auch die enorme Aufrüstung zu zählen ist. Umstritten scheint in der Bevölkerung zu sein, dass nach Jahrzehnten das Rentenalter zum 1. Januar 2025 angehoben wird. „Peking reagiert mit dem ungeliebten Schritt auf die schnelle Alterung der Bevölkerung. Bisher konnten die Chinesen so früh in Rente gehen wie fast nirgendwo auf der Welt: Frauen je nach Beruf mit 50 oder 55, Männer mit 60 Jahren. Nun wird die Schwelle bis Ende des Jahres 2039 schrittweise angehoben. Für Frauen liegt sie dann bei 55 oder 58 Jahren, für Männer bei 63.“ (Ebd.) Die Lebenserwartung ist von 45 Jahren in den 1960er Jahren auf knapp 78 Jahre heute gewachsen. „Das ist zwei Jahre weniger als in Deutschland und ein Jahr mehr als in den Vereinigten Staaten. An Chinas Ostküste ist die Lebenserwartung höher als in Deutschland und auf dem Niveau der reichsten Länder der Welt.“ (Ebd.) Mit der Erhöhung der Lebenserwartung ist allerdings auch die Zahl der Menschen im werktätigen Alter seit 2016 um fünf Prozentpunkte auf 61 Prozent gesunken. Die Ein-Kind-Politik vom Ende der 1970er Jahren ist vor allem die Ursache der Alterung; die Maßnahme dieser Politik wurde 2016 beendet. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters musste auch deshalb beschlossen werden, da „China eine der am schnellsten alternden Bevölkerungen der Welt hat“. (Ebd.)

Die aktuelle Ankündigung und Umsetzung einer Reihe von Impulsen zur Konjunktursteuerung durch die chinesische Staatsführung lässt deutlich werden, dass sie sich der Wirtschaftskrise im eigenen Land bewusst ist. „Notwendige fiskalische Ausgaben“ sollen helfen, das Wachstumsziel von fünf Prozent zu erreichen und die Deflation zu bekämpfen. Die „treibende Rolle staatlicher Investitionen“ sollen durch die Emittierung spezieller Staatsanleihen besser umgesetzt werden. (Zit. nach Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27.09.2024) Zudem sollen durch die strenge Einschränkung neuer Wohnprojekte, um das Überangebot an Wohnraum zu verringern, der Immobilienmarkt stabilisiert werden. Das Finanzministerium zahlt kurzfristig außerdem an Menschen in extremer Armut einmalige Bargeldzahlungen. Zu den Maßnahmen zählen auch die Finanzentscheidungen der chinesischen Zentralbank, den Leitzins um 0,2 Prozentpunkte zu senken und ebenfalls eine Reduzierung der „Zinssätze für laufende Immobilien-Hypotheken im Schnitt um einen halben Prozentpunkt, was die Zinsausgaben der chinesischen Haushalte mit Immobilienkrediten um umgerechnet 20 Milliarden Euro pro Jahr verringere“. (Ebd.) Die Börsen in China reagierten mit Kurssprüngen und das Land feierte die „beste Aktienwoche“ seit zehn Jahren. Sehr positive Auswirkungen dieser Konjunkturstimulierung zeigten sich u.a. am Frankfurter Aktienmarkt und auch die Aktien von Unternehmen, die in dem Land wichtige Geschäfte tätigen, so z.B. die BASF, gehörten zu den Gewinnern. (Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.09.2024) Dass China eng mit dem globalen Finanzsystem vernetzt ist, erweist sich auch in der Tatsache, dass US-Sanktionsdrohungen gegenüber chinesischen Banken, die mit Russland Geschäfte machen, Wirkung zeigen, da sich etliche dieser Finanzinstitute aus solchen Geschäften zurückziehen; sehr zum Ärger der russischen Staatsführung. (Ebd.)

Chinas Überkapazitäten und der Subventionswettlauf zwischen China, den USA und der EU

China war über mehrere Jahrzehnte für internationale Unternehmen, vor allem für deutsche, ein lohnendes Objekt für billige Arbeitskräfte und ein wichtiges Investitionsziel hinsichtlich des riesigen Binnenmarktes. Der deutsche Anlagen- und Maschinenbau und vor allem die deutsche Automobilindustrie profitierte mit hohen Wachstumszahlen. Der immense Investitionsboom früherer Zeiten stößt allerdings seit einiger Zeit an Grenzen. Überkapazitäten, z.B. bei Elektroautos, Solarpaneelen und Windrädern, sind entstanden, mit denen die internationalen Märkte bedient werden sollen, die sich jedoch mit Zöllen und ihrerseits Subventionen wehren. „Das Akkumulationsregime in China dürfte sich […] von einer eher extensiven Akkumulation [hiermit sind Erweiterungsinvestitionen gemeint, W.K.] hin zu einer eher intensiven Akkumulation [hiermit sind Rationalisierungsinvestitionen gemeint, W.K.] verschieben. Dieser Übergang erweist sich jedoch als krisenhaft. Die schleichende Immobilienkrise und die hohe Verschuldung vieler Akteure weisen auf die Überakkumulation von Kapital hin. Aktuell befindet sich China in einer Situation der Deflation.“ (Sablowski 2023, S. 16) Der Rückgang der Wachstumszahlen und die starke chinesische Konkurrenz auf dem dortigen Automobilmarkt erweisen sich im Besonderen für die deutschen Hersteller von VW (fast 40 Prozent des Umsatzes in China), BMW und Mercedes (jeweils ca. 30 Prozent) zum gravierenden Problem. Allerdings dürfen Exporte nicht zu Überkapazitäten, wie es gelegentlich scheint, aufgebauscht werden. „Deutschland beispielsweise exportierte im vergangenen Jahr Güter im Wert von knapp 1,6 Billionen Euro in die Welt, immerhin fast 40 Prozent des gesamten deutschen Inlandsproduktes. Eine Menge „Überkapazitäten“ für die Importländer! Dabei sind sie Ausdruck unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit […].“ (Horst Löchel: Das Gespenst der chinesischen „Überkapazitäten“, in Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.05.2024) Wie das Zitat zeigt, plädiert der Autor zur Vorsicht mit dem Vorwurf der Überkapazitäten. China erzielt im Handel mit der EU einen deutlichen Handelsüberschuss, mit Deutschland einen Überschuss von knapp 60 Milliarden Euro. Deutschland wiederum hat einen Exportüberschuss im Handel mit den USA von mehr als 64 Milliarden Euro. Löchel verleitet das zu der rhetorischen Fragestellung: „Sind chinesische Exportüberschüsse mit Deutschland und deutsche gegenüber den USA verwerflich?“ (Ebd.) Aufgrund seiner marktwirtschaftlichen Position verneint er natürlich diese Frage. Die Abnehmer ausländischer Produkte, Unternehmen wie Konsumenten, seien ja nicht gezwungen zu kaufen; ökonomische Rationalität würde das Kaufverhalten steuern. Dass China seine Industrie subventioniere sei bekannt, sie sei „gewissermaßen die DNA des Staatskapitalismus“. Es würde allerdings gerne übersehen, dass auch die USA und die EU ihre Subventionen seit Jahren stark ausgeweitet hätten, so beispielsweise das amerikanische „Inflation Reduction Act“ und das europäische „Net Zero Industry Act“. Von den immensen Subventionen für den europäischen Agrarmarkt ganz zu schweigen. Neuansiedelungen von großen Unternehmen in Deutschland, der EU oder in den USA, speziell im Technologiebereich, erfolgen fast immer mit Hilfe staatlicher Subventionen, oftmals auch mit sehr hohen Beträgen. Die europäische Wettbewerbsschwäche werde mit der Klage über chinesische „Überkapazitäten“ übertüncht. (Ebd.) Diese eindeutige marktwirtschaftliche Position des Autors, Professor für Volkswirtschaft an der Frankfurt School of Finance & Management und Ko-Vorsitzender des dort ansässigen Sino-German Center e.V., der sich gegen Protektionismus und Handelskrieg ausspricht und für Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft europäischer Unternehmen plädiert, also für marktwirtschaftliche Lösungen, unterstreicht m.E., dass das Argument der chinesischen Überkapazitäten auch eine ideologische Komponente hat, um China Unfairness im Wettbewerb, ökonomische Aggressivität und „Schummelei“ (US-Präsident Joe Biden) durch staatliche Subventionspolitik vorzuwerfen.

Um zu den USA und zu der EU aufzuschließen, will die Volksrepublik mit einem großen Investitionsfonds seine Halbleiterindustrie ankurbeln. Dafür werden 344 Milliarden RMB, umgerechnet knapp 44 Milliarden Euro, der Chipindustrie zur Verfügung gestellt. „Mit dem Fonds will sich China auch gegen Versuche der USA wehren, die Volksrepublik von neuesten Computerchips abzuschneiden. Gerade für die Entwicklung von modernen Systemen in der Künstlichen Intelligenz fehlt chinesischen Unternehmen aktuell die nötige Rechenleistung.“ Chinas ehrgeiziges Ziel ist es, bis 2025 bei der Chipherstellung zu 70 Prozent autark zu werde. Sie setzt dabei vor allem auf die Tech-Hoffnungsträger Huawei und SMIC. (Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24.05.2024) Mit diesen staatlichen Subventionen ist China keineswegs allein. Regierungen weltweit investieren große Summen in die Halbleiterindustrie. So die USA mit ihrem Programm „Chips and Science Act“ mit 36 Milliarden Dollar als Zuschüsse und 75 Milliarden als Darlehen und Garantien. Die EU fördert mit ähnlich hohen Summen, so das „Chips Act“ mit 43 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch nationale Subventionen, die durch die EU genehmigt wurden. (Ebd.)

Handelskrieg der USA gegen China?

Die protektionistischen Maßnahmen der USA erstrecken sich u.a. auf einen Einfuhrzoll gegen chinesische Elektroautos von 100 Prozent, bei Solarzellen und Halbleitern sind es 50 Prozent, für Kräne, Batterien, Stahl und eine Reihe medizinischer Produkte (u.a. Spritzen und Nadeln) 25 Prozent. (Vgl. Berger 2024, S. 30) Solche Maßnahmen haben durchaus Tradition bei amerikanischen Regierungen, da unter den Präsidenten Barack Obama und Donald Trump eine vergleichbare protektionistische Sanktionspolitik stattfand. „Im September 2019 […] waren praktisch sämtliche Importe aus der Volksrepublik mit Zöllen belegt. Die rechtliche Grundlage fand die Regierung in Washington im Handelsgesetz von 1974, nach dem das Streben nach Freihandel, zu dem sich die USA und auf ihren Druck hin auch die Welthandelsorganisation (WTO) einst verpflichtet hatten, bei Vorliegen nicht näher bestimmter ‚unfairer Handelspraktiken‘ einseitig durch die USA eingeschränkt werden konnte.“ (Ebd.) Wobei die Rolle der USA gegenüber dem Schiedsgericht der WTO eine besondere ist, da die US-Regierung sich bis heute weigert, der notwendigen Neubesetzung von Richterstellen ihre Zustimmung zu geben. Folglich ist das Schiedsgericht seit 2019 handlungsunfähig. Im Zusammenhang mit der „America first“- Doktrin war diese „Aushebelung der WTO“ gewollt. (Vgl. ebd., S. 31) Folglich kann China wegen angeblich unzulässiger Subventionen vor der WTO-Schiedsgericht gar nicht angeklagt werden. Doch allen protektionistischen Maßnahmen zum Trotz überstieg die Einfuhr von Gütern aus China in die USA mit einem Volumen von ca. 427 Milliarden US-Dollar die Ausfuhr von US-Waren nach China um das Dreifache (vgl. ebd., S. 32) , weshalb der Begriff Krieg im Handel mit China zumindest nur auf einige Produkte zutreffen kann. Der Vorsprung chinesischer Unternehmen, insbesondere bei Zukunftstechnologien wie Batterien, Elektrofahrzeugen, Solarzellen und auch bei der Künstlichen Intelligenz, ist kaum noch zu leugnen.

Die Maßnahmen der US-Regierung, das industrielle Aufholen bei Halbleitern und anderen strategisch wichtigen Waren Chinas zu verhindern, trifft auch die europäische Exportwirtschaft, so den niederländischen Hightech-Konzern ASML, der als zentraler Akteur in der Halbleiterindustrie aktiv ist, weil er praktisch alle wesentlichen Anbieter mit seinen Geräten zur Chipherstellung beliefert. „Mit der modernsten Maschinengeneration auf Basis des sogenannten extremen UV-Lichts (EUV) hat das Unternehmen ein Technikmonopol. Seine neuesten Maschinen konnte ASML von vornherein nicht nach China liefern; die Regierung in Den Haag verweigerte auf Druck der Amerikaner die entsprechende Ausfuhrlizenz. […] ASML muss Exportgenehmigungen in den USA beantragen. Grundlage sind dortige Exportkontrollvorschriften, mit denen sich amerikanische Behörden als global zuständig für bestimmte Erzeugnisse sehen.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12.09.2024) Mit diesem extraterritorialen Anspruch der US-Regierung für ihre Sanktionen auch politisch Verbündete in Haftung zu nehmen und so auf ihre wirtschaftspolitische Linie zu bringen, offenbart sie ihren klaren hegemonialen Führungsanspruch. Die EU-Kommission und auch Deutschland haben sich bisher diesem Kurs der USA angeschlossen; sie haben es nicht geschafft, bzw. wollten es wohl auch nicht, eine eigenständige China-Strategie zu entwickeln. Das ist deshalb erstaunlich, da eine Eskalation von Wirtschaftssanktionen gegen China nicht im Interesse deutscher Unternehmen, hier im Wesentlichen der Automobil- und Maschinenbau, liegen kann, denn China ist einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands und auch ein wichtiger für die EU. Mit 6000 deutschen Unternehmen in China, 2000 chinesischen Unternehmen in Deutschland, 70 Dialogformaten und mehr als 100 Städtepartnerschaften (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.06.2023) wird die intensive Kooperation beider Länder deutlich. Eine umfassende „Entkopplung“ ist nicht im beiderseitigen Interesse, da Lohnkosten erheblich steigen würden und Kapitalinteressen negativ betroffen wären. Mit dem Begriff „De-Risking“ soll keine Abkehr von der Globalisierung erfolgen, sondern eine Reduzierung von Abhängigkeit auf einige Warenbereiche. Allerdings ist zu sehen, dass außen-, sicherheitspolitische und militärstrategische Erwägungen nicht nur in Deutschland, sondern vor allem in den USA, den anderen NATO-Staaten und in der EU deutlich an Gewicht zunehmen.

Fazit

Mit ihrem Konfrontationskurs will die USA China mit allen wirtschaftlichen und politischen Mitteln, bis hin zu der militärischen Einkreisung, zwingen, sich der regelbasierten Weltordnung ein- und unterzuordnen, die von ihr und auch ihren westlichen Partnern dominiert wird. Dem steht der Anspruch Chinas gegenüber, als global player in einer multipolaren Welt akzeptiert und respektiert zu werden. Der berechtigte Vorwurf Chinas gegenüber den USA und dem Westen, imperialistisch zu agieren, wird heute von der Volksrepublik als Ordnungsmacht selbst praktiziert. Dies zeigt u.a. ihr Seidenstraßenprojekt, ihren Machtzuwachs bei den BRICS-Staaten und auch ihre Afrika-Politik. Die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den beiden Weltmächten USA und China ist real, dennoch wird ein Krieg hoffentlich nicht stattfinden; einen Gewinner wird es nach Lage der Dinge nicht geben können.

Wolfgang Kastrup ist Mitglied der Redaktion des DISS-Journals und im AK Kritische Gesellschaftstheorie

Literatur

  • Auswärtiges Amt (Hg.) 2023: Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig. Integrierte Sicherheit für Deutschland. Nationale Sicherheitsstrategie, Berlin.
  • Berger, Axel 2024: Das strauchelnde Imperium, in: Konkret, Heft 7, Hamburg, S. 30-32.
  • Gegenstandpunkt 2022: Politische Vierteljahreszeitschrift, München.
  • Hoering, Uwe 2023: Der Aufstieg des Globalen Südens in die erste Liga, in: Wolfgang Kastrup / Helmut Kellershohn: Der Krieg in der Ukraine. Weltordnungskrieg und „Zeitenwende“, Münster, S. 91-104.
  • Kempe Lene 2023: Jein zu China. Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen angesichts des Ukrainekrieges und drohender Blockkonfrontation, in: Wolfgang Kastrup / Helmut Kellershohn: Der Krieg in der Ukraine. Weltordnungskrieg und „Zeitenwende“, Münster, S. 105-114.
  • Kronauer, Jörg 2022: Der Aufmarsch – Vorgeschichte zum Krieg, Köln.
  • Kronauer, Jörg 2024 a: „Eine Welt ohne Hegemon“. China, der Globale Süden und das Ende der westlichen Vorherrschaft, Hamburg.
  • Kronauer, Jörg 2024 b.: Vom Partner zum Rivalen, in: Konkret, Heft 10, Hamburg, S. 32-35.
  • Sablowski, Thomas 2023: Die gegenwärtige Krise des Kapitalismus und die Strategien der Herrschenden in Deutschland, in: Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. (Hg.): Die Krisen in der kapitalistischen Welt, isw Report Nr. 136, S. 11-21.
  • Weigelin-Schwiedrzik, Susanne 2023: Die sino-europäischen Beziehungen und ihre verdeckten Akteure: Versuch über eine weltpolitische Verortung der Europäischen Union, in: Daniel Fuchs / Sascha Klotzbücher / Andrea Riemenschnitter / Lena Springer / Felix Wemheuer (Hg.): Die Zukunft mit China denken, Berlin, S. 25- 55.
  • Wemheuer, Felix / Fuchs, Daniel 2023: Einleitung: Die Zukunft mit China denken, in: Daniel Fuchs / Sascha Klotzbücher / Andrea Riemenschnitter / Lena Springer / Felix Wemheuer (Hg.): Die Zukunft mit China denken, Berlin, S. 9-23.

Erstveröffentlichung im DISS-Journal #48

1 www.tagesschau.de/ausland/amerika/nato-gipfel-ukraine-beschluesse-100.html