Friedliche Koexistenz ein alternatives Konzept für Friedenspolitik?

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Von Wilfried Schollenberger1

Problem einer wirksamen Friedensbewegung

Der russische Einmarsch in die Ukraine hat die Friedensbewegung gespalten: Aus überzeugten Pazifisten wurden überzeugte „Waffenspezialisten“, die nur noch eine Möglichkeit sehen, „unsere Freiheit zu verteidigen“: kräftig aufrüsten. Auf der anderen Seite bleiben überzeugte Pazifisten, die wissen, dass Waffen immer irgendwann benutzt werden und ein Krieg die schlechteste aller Optionen ist. Wenn dann noch aus der Imperialismusdiskussion das Narrativ hinzukommt, dass kapitalistische Staaten notwendig zum Imperialismus und damit zum Angriffskrieg tendieren, wird die Debatte vollends hilflos. Denn die Konsequenz daraus wäre, dass nur eine sozialistische Welt-Revolution ein Leben in Frieden und Freiheit ermöglicht.

Das größte Problem in den aktuellen Debatten ist m.E., dass die aktuell formulierten Positionen der Friedensbewegung über die Forderung nach Waffenstillstand und Friedensverhandlungen hinaus nicht anschlussfähig sind. Gefangen in den Narrativen von Völkerrecht und „regelbasierter Ordnung“ ist der Verzicht auf militärische Stärke und Verteidigungsfähigkeit gleichzusetzen mit dem Verzicht, Recht durchzusetzen. Jeder Bezug auf Recht (Völkerrecht) setzt eine Recht sprechende Instanz und eine dieses Recht durchsetzende Macht voraus. Mit welcher Begründung sollte man Unrecht hinnehmen? Ist es nicht die Pflicht jeder liberalen Demokratie, ihren Beitrag zur Durchsetzung von Menschen- und Völkerrecht zu leisten? Muss das nicht die Option beinhalten, gegen Verstöße auch militärisch vorzugehen? An dieser Stelle wird gerne der Völkermord in Ruanda angeführt und aus dieser Erfahrung unter dem Stichwort „responsibility to protect“ die Verpflichtung zum militärischen Eingreifen abgeleitet. Und wenn es diese Verpflichtung gibt, wo endet sie? Beim Veto im UN-Sicherheitsrat?

Gleichzeitig entstehen neue Blockkonfrontationen zwischen der NATO und Russland, zwischen den USA und China und zwischen Israel und dem Iran. Dabei droht die außen- und sicherheitspolitische Souveränität der anderen Staaten zu verschwinden. Und auch eine weltweite Friedensbewegung wird irrelevant, wenn sie keine eigene politisch wirksame Position im internationalen Diskurs entwickelt. Die größtmögliche Enttäuschung, dass die Drohung mit harten Sanktionen Russland nicht vom Angriff auf die Ukraine abgehalten hat, wurde m.E. in der Friedensbewegung noch nicht konstruktiv aufgearbeitet.

In diesem Aufsatz will ich zeigen, dass sich im „kalten Krieg“ eine andere Praxis in den internationalen Beziehungen entwickelte, die in und nach der Kuba-Krise eine militärische Eskalation zwischen den Blöcken verhinderte und letztendlich die deutsch-deutsche Vereinigung ermöglichte.

Vom Kalten Krieg lernen

Wer den „Kalten Krieg“ vor allem als Wettrüsten und große Kriegsgefahr wahrnimmt, übersieht, dass damals verfeindete Mächte große Anstrengungen unternahmen, um das Ausbrechen eines Atomkriegs zu verhindern.

Nikita Chruschtschow besuchte im September 1959 auf Einladung Dwight Eisenhowers als erster sowjetischer Regierungschef die USA und veröffentlichte in der US-amerikanischen Zeitschrift „Foreign Affairs“ im Oktober 1959 einen Aufsatz „On Peacefull Coexistence“. Der US-amerikanische Russlandexperte und Fellow des Institute for Advanced Study in Princeton George F. Kennan antwortete darauf im Januar 1960 mit einem Beitrag unter dem Titel „Peaceful Coexistence – A Western View“ in derselben Zeitschrift. Der Jurist und Dozent an der Schule der Bundeswehr für Innere Führung, Karl Heinz Kunzmann, sieht in einem 1964 in der deutschen Zeitschrift „Vereinte Nationen“ veröffentlichten Aufsatz in dieser Doktrin der KPdSU eine „Hinwendung zur Normalisierung der Beziehungen mit dem Westen“, die propagandistisch „geeignet erscheint, die Öffentlichkeit in Sicherheit zu wiegen, ihre Wachsamkeit und ihren Verteidigungswillen zu lähmen“2. Der Leiter der Berliner Abteilung des Max-Planck-Institutes für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Fritz Münch, argumentiert in derselben Zeitschrift, dass „in den vielen Entwürfen zur Kodifikation der Prinzipien der friedlichen Koexistenz“ aus seiner Sicht „ein verbindliches System der Entscheidung von Staatenstreitigkeiten“ fehle, so dass in der Folge „kein einziges Verfahren, welches eine Erledigung des Streits herbeiführt, verbindlich gemacht“ würde3.

Trotz der Propagandaschlacht, die im Kalten Krieg um den Nachweis der Aggressivität des Gegners tobte, führten die Debatten zu diesem Thema zu einem politischen Pragmatismus, den z.B. Helmut Schmidt 1969 in seinem Buch „Die Strategie des Gleichgewichts“ beschreibt und der im Rahmen der Strategic Arms Limitation Talks (SALT) 1972 die ersten Verträge zur Rüstungsbegrenzung, ABM und SALT I, ermöglichte.

Dabei darf nicht übersehen werden, dass diese Zeit alles andere als friedlich war: Der Vietnam-Krieg, der sowjetische Einmarsch in die CSSR und Prag 1968, der von der CIA unterstütze Putsch Pinochets gegen die demokratisch gewählte Regierung in Chile 1973 und nicht zuletzt die „Hilfe“ der UdSSR für die afghanische Regierung gegen islamistische Rebellen (1979 – 1989) sind nur einige Beispiele von vielen.

Wenn wir heute mit dem russischen Überfall auf die Ukraine und der sich abzeichnenden Konfrontation zwischen China und den USA mit dem Zankapfel Taiwan in geopolitische Konfrontationen und Gefahren geraten, die mit dem Kalten Krieg durchaus vergleichbar sind, lohnt es sich m.E., die damaligen Debatten um das Konzept der „friedlichen Koexistenz“ genauer zu betrachten und zu bewerten.

Dabei muss betont werden, dass die Debatten in den 1960er Jahren immer einen Doppelcharakter hatten: Einerseits ging es insbesondere der UdSSR um Entspannung, Anerkennung und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Blöcken NATO und Warschauer Vertrag. Darüber hinaus waren insbesondere die Debatten in der UN-Generalversammlung ein wesentlicher Baustein in der jeweiligen Propaganda – vor allem gegenüber den neu gegründeten Staaten nach der Entkolonialisierung.

Nikita Chruschtschow: Friedliche Koexistenz

Friedliche Koexistenz“ war ein von der UdSSR geprägtes Stichwort zur Beschreibung des angestrebten Verhältnisses mit den kapitalistischen Staaten. In seinem Aufsatz in der US-amerikanischen Zeitschrift erklärt Chruschtschow dazu: „In seiner einfachsten Ausprägung bedeutet sie [die „friedliche Koexistenz“, W.S.] die Ablehnung des Krieges als Mittel zur Lösung strittiger Fragen. Dies umfasst jedoch nicht das gesamte Konzept der friedlichen Koexistenz. Neben der Verpflichtung zur Aggressionsfreiheit erfordert es auch die Verpflichtung aller Staaten, die gegenseitige territoriale Integrität und Souveränität in keiner Form und unter keinem Vorwand zu verletzen. Der Grundsatz der friedlichen Koexistenz bedeutet den Verzicht auf die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder mit dem Ziel, ihr Regierungssystem oder ihre Lebensweise zu ändern oder aus anderen Motiven. Die Doktrin der friedlichen Koexistenz setzt auch voraus, dass die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Ländern auf der völligen Gleichheit der Beteiligten und auf gegenseitigem Nutzen beruhen“4.

Chruschtschow sieht in der „friedlichen Koexistenz“ die notwendige Alternative zum Krieg im Zeitalter der Raketen und Wasserstoffbomben. Darüber hinaus behauptet er, dass Kriege zwischen Staaten bei gutem Willen aller Beteiligten grundsätzlich zu vermeiden sind: „Wir sind also praktisch schon nahe an jenem Stadium im Leben der Menschheit, in dem nichts mehr die Menschen daran hindern wird, sich ganz der friedlichen Arbeit zu widmen, in dem der Krieg aus dem Leben der Gesellschaft völlig ausgeschlossen sein wird“. Im Übrigen verweist er auf die großen Ressourcen, die bei einer Abrüstung für andere Zwecke frei würden.

Konkret fordert er in seinem Aufsatz

den Stopp von Atomwaffen-Tests und allgemeine
Abrüstung,

einen Friedensvertrag mit den beiden deutschen Staaten und die Anerkennung der polnischen Ostgrenze,

Vereinbarungen zum freien Handel.

Das Thema Nichteinmischung in innere Angelegenheiten wird wenige Jahre später zum Gegenstand einer intensiven Debatte um eine Resolution der UN-Vollversammlung.

Westlicher Widerspruch

In der westlichen Welt stieß Chruschtschow zunächst auf scharfen Widerspruch.

George F. Kennan verteidigte die US-amerikanische Eindämmungspolitik (containment) und kritisierte das Ergebnis des zweiten Weltkriegs als „praktisch permanente Verschiebung der effektiven Grenzen der politischen und militärischen Autorität Moskaus bis ins Herz Europas“5. Und weiter: „Tatsache ist, dass das Vordringen der politischen und militärischen Macht Russlands ins Herz Europas eine grundlegende Änderung des strategischen und politischen Gleichgewichts der Welt darstellt und niemals mit westlichen Staatsmännern besprochen, geschweige denn von ihnen abgesegnet worden ist.“

Mit Verweisen auf die Berlin-Blockade (1948/49), den Koreakrieg und der Niederschlagung des Aufstands in Ungarn 1956 verteidigt er die eigene Rüstungspolitik als Reaktion auf sowjetische Aggressionen: „Chruschtschow hat Recht, wenn er den Rüstungswettlauf unserer Tage als unvereinbar mit jeglicher Form der Koexistenz betrachtet. Doch solange Moskau darauf beharrt, die von der westlichen Koalition in den letzten Jahren verfolgte Militärpolitik sei einzig und allein das Ergebnis einer Laune westlicher Bankiers und Waffenschmiede, die in der Hoffnung auf mehr Profit einen neuen Krieg herbeisehnen, und solange es auch weiterhin nicht einsehen will, dass diese Politik, so unausgewogen oder überzogen sie auch sein mag, zu einem Großteil auf die natürliche und vorhersehbare Reaktionen umsichtiger Menschen auf eine Situation zurückzuführen ist, zu der Moskau selbst einen beachtlichen Teil beigetragen hat, sind die Aussichten auf eine Verbesserung der Lage nicht sehr viel versprechend.“

In der BRD wird die Debatte mit einem starken Bezug auf Rechtsbegriffe und „Rechtssicherheit“ geführt. So argumentiert Heinz Kunzmann: „Friede im wahren Sinne bedeutet ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Staaten.“6 Dagegen beschränke sich der Begriff friedliche Koexistenz auf den „Verzicht auf Kriege als Mittel zur Entscheidung von Streitfragen zwischen den Staaten“. Aus den Verhandlungen auf UN-Ebene berichtet Kunzmann: „Während die westlichen Staaten [die USA sind hier vermutlich nicht gemeint, W.S.] alle Streiterledigungsverfahren, einschließlich bindenden Gerichtsentscheidungen, als geeignet ansahen und darauf hinwiesen, dass sich mehr Staaten der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs unterwerfen müssten, hielten die Ostblockländer nur diplomatische Verhandlungen zwischen den Staaten als mit der staatlichen Souveränität vereinbar.“

Debatten in der UNO

Gerade im Kalten Krieg waren völkerrechtliche Institutionen, wie die UN-Vollversammlung und der UN-Sicherheitsrat vor allem Räume für Debatten ohne wirksame Entscheidungen. Den Großmächten, USA und UdSSR, ging es vor allem um ihre Reputation. Zahlreiche Debatten und Resolutionen wurden mit dem Ziel geführt, die Konfrontation der Großmächte zu entschärfen und die Souveränität der nach der Entkolonialisierung neu entstandenen Staaten zu stärken.

Zwei Beispiele aus 1965:

Rumänien bringt unter dem Titel „Actions on the regional level with a view to improving good neighbourly relations among European States having different social and political systems“ eine allgemein gehaltene Erklärung ein, in der die Entwicklung gut nachbarschaftlicher Beziehungen in Europa begrüßt und weiter gefördert wird7. In der grundsätzlich positiven Debatte wird dann vor allem die BRD wegen ihrer Aufrüstung und dem aus westlicher Sicht ungeklärten Status der deutschen Gebiete kritisiert.

Auf derselben Versammlung versucht die UdSSR mit einem Entwurf zur Unzulässigkeit von Eingriffen in die inneren Angelegenheiten von Staaten und zum Schutz ihrer Unabhängigkeit und Souveränität8 eine Erklärung gegen die Interventionen „westlicher Mächte“, u.a. im Kongo, in Vietnam, in der Dominikanischen Republik und in Kuba, und gegen die Unterstützung von Rassisten in Süd-Rhodesien und Südafrika9 durchzusetzen. Dabei zeigen sich in der Debatte grundsätzliche Unterschiede beim Verständnis von „Einmischung in innere Angelegenheiten“. Der Vertreter der UdSSR verweist auf den amerikanischen Botschafter Harriman, der am 6. Mai 1965 auf einer Pressekonferenz in Montevideo erklärt hatte, dass der Grundsatz der Nichteinmischung, der im neunzehnten und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gegolten hatte, nun überholt sei10.

Neben direkten Interventionen werden von sowjetischer Seite die Bedingungen westlicher Entwicklungshilfe kritisiert: „Einige Westmächte verfolgten eine andere Methode der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten, nämlich die Wirtschaftshilfe für die Entwicklungsländer. In mehreren offiziellen Dokumenten der Vereinigten Staaten sowie in Gesetzen und Beschlüssen des Kongresses wurde die Gewährung von Beihilfen davon abhängig gemacht, dass die Empfängerstaaten Maßnahmen zur Förderung ausländischer Privatinvestitionen ergreifen, und die betreffenden Länder verpflichteten sich, auf das Recht zu verzichten, ausländisches Eigentum zu verstaatlichen oder andere Maßnahmen zu ergreifen, die ausschließlich in der Zuständigkeit ihrer Regierungen liegen. In diesem Zusammenhang verwies er auf die Keating-Änderung, die zu Abschnitt 112 von Titel 1 des Foreign Assistance and Related Agencies Appropriation Act, 1962, geworden ist.“

Dagegen beklagt der Vertreter der USA die Ausbildung und Unterstützung „subversiver Kräfte“: „Die größte Gefahr für die Souveränität und Unabhängigkeit der neuen unabhängigen Länder liege in der Einmischung von außen aus ideologischen Gründen. Es sei zum Beispiel bekannt, dass junge Menschen aus vielen unabhängigen afrikanischen Staaten im kommunistischen China ausgebildet würden, um subversive Bewegungen gegen ihre eigenen Regierungen aufzubauen, und dass junge Lateinamerikaner in Kuba zu demselben Zweck ausgebildet würden.“11

Vor dem Hintergrund der 1964 gegründeten Guerrila-Organsiationen FARC und ELN beklagt der kolumbianische Vertreter: „Die Absicht, subversive Aktivitäten zu ermutigen und zu unterstützen, wurde oft ganz offen in offiziellen und öffentlichen Erklärungen zum Ausdruck gebracht, und es gab speziell subventionierte Agenturen – in ihrer Art im Wesentlichen militärische Stützpunkte – für die Durchführung tatsächlicher Operationen praktisch in der ganzen Welt, obwohl die betreffenden Länder gleichzeitig ihre aufrichtige Verbundenheit mit dem Grundsatz der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten verkündeten und auf der strikten Einhaltung dieses Grundsatzes bestanden.“12

Im Ergebnis wird in der verabschiedeten Resolution auf die Erwähnung von konkreten Anlässen vollständig verzichtet. Dafür wird ein sehr weit gefasster Begriff von „Nichteinmischung“ beschlossen, der u.a. beinhaltet:

Kein Staat darf wirtschaftliche, politische oder sonstige Maßnahmen ergreifen oder fördern, um einen anderen Staat zu zwingen, seine Souveränitätsrechte zu unterdrücken oder sich Vorteile jeglicher Art zu verschaffen. Kein Staat darf außerdem subversive, terroristische oder bewaffnete Aktivitäten, die auf den gewaltsamen Sturz des Regimes eines anderen Staates abzielen, organisieren, unterstützen, schüren, finanzieren, dazu aufrufen oder tolerieren oder sich in Bürgerkriege in einem anderen Staat einmischen.“

Jeder Staat hat das unveräußerliche Recht, sein politisches, wirtschaftliches, soziales und kulturelles System ohne jegliche Einmischung eines anderen Staates zu wählen.“

Praktisch ist die Resolution weitgehend folgenlos, wie die UN-Generalversammlung in ihrer Resolution 1966 selbst feststellt. Die Debatte ging aber weiter und die Grundsätze zur Nichteinmischung in innere Angelegenheiten wurden immer wieder präzisiert und um die permanente Souveränität von Staaten über ihre natürlichen Ressourcen erweitert. (Beispiel: Res. 36/103 von 1981)

Wandel durch Annäherung

Gleichzeitig verändern sich die westlichen Positionen im Bezug auf Europa in zwei bedeutsamen Aspekten:

1.Werner Link betont in seinem Aufsatz zur Entstehungsgeschichte des Moskauer Vertrags vom 12. August 1970 (Gewaltverzicht zwischen BRD und UdSSR) die Veränderung des militärischen Kräfteverhältnisses: „Grundlegend für das Verständnis der neuen Weichenstellung ist aber – diese These lässt sich nunmehr erhärten –, dass die internationalen Machtstrukturen und Rahmenbedingungen deutscher Außenpolitik Mitte/Ende der sechziger Jahre entscheidend waren; genauer gesagt, dass sie sich in dieser Zeit fundamental änderten bzw. bereits geändert hatten: Die Sowjetunion erlangte die nukleare Zweitschlagfähigkeit (die sie während der Kuba-Raketenkrise noch nicht gehabt hatte). Aus der beiderseitigen gesicherten Zerstörungsfähigkeit (MAD) resultierte das gemeinsame Interesse, eine atomare Eskalation zu vermeiden und durch Verhandlungen auf der Basis des Status quo eine Entspannung (Detente) zu erreichen.“13

2. Egon Bahr formulierte 1963 in einem Vortrag ein spezifisch deutsches Interesse: „Ich habe eben zu entwickeln versucht, dass es keinen praktikablen Weg über den Sturz des [DDR-]Regimes gibt. Ich sehe nur den schmalen Weg der Erleichterung für die Menschen in so homöopathischen Dosen, dass sich daraus nicht die Gefahr eines revolutionären Umschlags ergibt, die das sowjetische Eingreifen aus sowjetischem Interesse zwangsläufig auslösen würde.“14 Dabei sieht er sich im Einklang mit der Politik der USA: „Der amerikanische Präsident hat die Formel geprägt, dass so viel Handel mit den Ländern des Ostblocks entwickelt werden sollte, wie es möglich ist, ohne unsere Sicherheit zu gefährden.“15

Entspannung in Europa

Rückblickend haben die UdSSR und ihre Verbündeten in Europa in den 1970er Jahren viele Ziele erreicht – auch weil es letztendlich gemeinsame Interessen und akzeptable Kompromisse waren:

Faktische Anerkennung der polnischen Westgrenze durch die BRD

Rüstungsbegrenzung (SALT) und Verzicht auf eine ganze Waffengattung im ABM-Vertrag (Abwehr atomar bestückter Raketen)

Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSFE) mit dem Grundsatz der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten in der Helsinki-Schluss-Akte

So verzichtete nicht nur die Regierungspartei SPD bei aller offensichtlichen Sympathie auf eine sichtbare Unterstützung der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc – um nur ein Beispiel zu nennen.

Trotzdem blieb ein Wettrüsten, z.B. die Entwicklung und Stationierung atomar bestückter Mittelstreckenkarten (SS-20, Cruise Missile, Pershing II).

Außerhalb Europas kam es zu zahlreichen Interventionen, von der CIA-Unterstützung des Putsches in Chile gegen die demokratisch gewählte Regierung über den Überfall der USA auf Grenada bis zur Unterstützung genau der Islamisten im Kampf gegen sowjetische Truppen in Afghanistan, gegen die die USA zwei Jahrzehnte später erfolglos kämpfen wird. Umgekehrt wäre die Existenz Kubas und Nicaraguas ohne sowjetische Unterstützung viel schwieriger gewesen. Dazu kommen die Kriege in Afrika: u.a. Namibia und Angola.

Aus deutscher Sicht führte diese Entspannungspolitik zu einem Erfolg, den wenige Jahre vorher niemand für möglich gehalten hätte: die deutsche Vereinigung. Niemand hätte die Staaten des Warschauer Vertrags davon abgehalten einen Aufstand in der DDR gewaltsam niederzuschlagen. Vielmehr gab es auf westlicher Seite anfangs Vorbehalte gegen diese Vereinigung16.

Liberale Hegemonie

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstand im Westen ein neues Leitbild: Eine hegemonial durch die USA und NATO abgesicherte Weltordnung auf der Grundlage des Menschen- und Völkerrechts. Dabei wurde „Menschenrecht“ mit liberaler Demokratie gleichgesetzt und jede Rebellion in Staaten, die diesen Standards nicht entsprachen, verdeckt und offen unterstützt.

In der Folge kam es neben wenigen Grenzstreitigkeiten, z.B. dem irakischen Überfall auf Kuwait wegen eines Streits um die Ausbeutung der Ölvorkommen, vor allem zu nationalistisch und ethnisch motivierten Bürgerkriegen, wie in Jugoslawien, und zu direkten militärischen Interventionen bei Aufständen, wie in Libyen und in Syrien. Dazu kamen „präventive Kriege“ in Afghanistan17 und im Irak. Zu keinem Zeitpunkt war ein NATO-Mitglied in der Gefahr, angegriffen zu werden. Und die Bedrohung durch Terroristen wurde durch diese Kriege nicht reduziert.

Ähnliches gilt für das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion: Alle Konflikte haben einen ethnischen bzw. nationalistischen Hintergrund, wobei hier ein weiteres Element hinzukommt: die Ausdehnung der NATO. Clemens Ronefeldt argumentiert, dass die völkerrechtswidrige Anerkennung von Südossetien und Abchasien durch Russland auch der Verhinderung eines NATO-Beitritts Georgiens gedient habe, weil die NATO keine Länder mit offenen Territorialkonflikten aufnehmen kann18. Ähnliches gelte für die Krim und die Ukraine.

Dieses Leitbild, „liberale Hegemonie“, ist auf der ganzen Linie gescheitert: In keinem Fall konnte ein stabiler friedlicher Status erreicht werden19. In seinem Buch „The Great Delusion – Liberal Dreams and International Realities” hat John J. Mearsheimer m.E. überzeugend erklärt, warum die Vorstellung, man könne liberale Demokratie und Menschenrechte überall in der Welt erfolgreich verteidigen bzw. durchsetzen, in der Regel zu großen Tragödien und nur in sehr seltenen Ausnahmefällen zum Erfolg führt: Liberale Gesellschaften sind alles andere als einfach und voraussetzungslos, weil sich der Liberalismus als Ideologie auf das autonome Individuum und seine Rechte fokussiert.

Der Streit um das Wollen hat sich mit der Erkenntnis des Erreichbaren bzw. Nicht-Erreichbaren m.E. erledigt.

Verteidigung, Abschreckung, Rüstung und Berechenbarkeit

Aus aktuellem Anlass, der Ankündung zur Stationierung konventionell bestückter US-amerikanischer Mittelstreckenwaffen in Deutschland: Auch wer Wettrüsten grundsätzlich ablehnt und grundsätzlich Verträge zur Rüstungsbegrenzung und Abrüstung fordert, kommt m.E. nicht um eine differenzierte Argumentation herum.

Im Nachhinein kann man vermuten, dass Helmut Schmidt US-amerikanische Atomwaffen in der BRD wollte, weil sonst (zu Recht) Zweifel an einem atomaren Erstschlag im Falle eines konventionellen Überfalls auf die BRD aufkommen konnten. Zur westlichen Abschreckung gehörte der Ersteinsatz für den Fall, dass sich die westlichen Truppen als unterlegen erweisen sollten20.

Derselbe Helmut Schmidt betont 1969 in seinem Buch „Die Strategie des Gleichgewichts“ aber auch die Bedeutung von außenpolitischer Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit und den erkennbar defensiven Charakter der eigenen Sicherheitspolitik21.

Waffen eignen sich immer zur Verteidigung bzw. Vergeltung und zum Angriff. Deshalb kann eine konkrete Rüstungsmaßnahme nur dann beanspruchen, defensiv zu sein, wenn ihre Bedeutung für die eigene Verteidigung offen kommuniziert wird. Konkret muss gezeigt werden, in welcher konkreten Situation eine Verteidigung ohne diese Waffen nicht oder nur mit sehr hohen Verlusten möglich wäre. Bei der jetzt angekündigten Stationierung von weit reichenden, konventionell bestückten Mittelstreckenwaffen fehlt diese Begründung22.

Fazit

Wenn Großmächte beteiligt sind, ist Völkerrecht nicht mehr als gelebte Praxis. Kleine Staaten können versuchen, ihr Machtdefizit durch die Autorität und Akzeptanz von Gerichten auszugleichen. Großmächte tun das nicht.

Was bleibt, um bewaffnete Auseinandersetzungen (und Wirtschaftskriege) zu vermeiden, ist die Einsicht, dass Kompromisse auch jenseits von Vorstellungen über Recht und Gerechtigkeit ausgehandelt werden müssen. Inter- und übernationale Formate, wie die KSZE/OSZE und die UN-Vollversammlung, können dabei helfen, Verständigung zu fördern und politischen Druck auf die Beteiligten unabhängig von der realen wirtschaftlichen und militärischen Macht aufzubauen. Entscheidend ist aber die ständig wiederholte Praxis, bei gegensätzlichen Interessen in Verhandlungen „auf Augenhöhe“, mit einer grundsätzlichen Akzeptanz des Anderen und seiner Interessen einen für beide Seiten erträglichen Kompromiss zu suchen.

Der klar formulierte Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten hilft bei der Verständigung und bei der Suche nach Kompromissen in Streitigkeiten zwischen Staaten. Er ist ein klares Signal an die jeweils andere Regierung, dass sie nicht von außen bekämpft wird. Und er ist ein Signal an oppositionelle Bewegungen, nicht auf ausländische Hilfe bei Aufständen zu spekulieren.

Für Vertreter universaler Werte, liberaler Menschenrechte, Demokratie oder sozialistischer internationaler Solidarität, führen diese Grundsätze zu einer doppelten Herausforderung:

Der Verzicht, Recht durchzusetzen und stattdessen in Verhandlungen einen Interessenausgleich, einen tragfähigen Kompromiss zu suchen, steht im fundamentalen Widerspruch zur Praxis liberaler Demokratien, die gerade bei zwischenstaatlichen Streitigkeiten auf Gerichte und ähnliche Verfahren setzen23.

Der Grundsatz der Nichteinmischung in die „inneren Angelegenheiten“ anderer Staaten erscheint als Freibrief für Unterdrücker und Despoten. Er widerspricht u.a. dem Grundsatz internationaler Solidarität von Sozialisten.

Vom Ergebnis her betrachtet sollen potentiell Kriegführende bzw. Intervenierende zu Verhandlungen gebracht werden. Das ist nicht selbstverständlich. Aber formulierte Grundsätze und internationale Debatten, z.B. in der UN-Vollversammlung, können dazu beitragen, Spannungen, die potenziell zu kriegerischen Auseinandersetzungen oder Interventionen führen, abzubauen.

Und um es mit den Worten von Nikita Chrustschow zu formulieren: „Es gibt keine Revolution auf Bestellung.“

Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass es praktisch unmöglich ist, die Grundsätze liberaler Demokratien in andere Länder zu „exportieren“24. Gerade liberale Demokratien funktionieren nur unter sehr speziellen Voraussetzungen, was den inneren Zusammenhalt der jeweiligen Gesellschaft angeht. Und der ist selbst in etablierten Demokratien immer wieder gefährdet. Das zeigen auch die aktuellen Ereignisse in der EU, von Problemen mit Pressefreiheit und Gewaltenteilung bis hin zu den Wahlerfolgen rechtsextremistischer Parteien. Deshalb ist es auf den zweiten oder dritten Blick nicht abwegig, jedem Land und jeder Gesellschaft ihren eigenen Entwicklungsweg „zuzugestehen“ und sich in der internationalen Politik auf die friedliche und konstruktive Kooperation von Staaten mit verschiedenen, zum Teil auch gegensätzlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen, zu konzentrieren.

Natürlich gibt es immer wieder Grenzfälle, wo abzuwägen ist, ob das Verhalten eines Staates noch akzeptabel ist: Israels Besatzungspolitik, der Umgang Chinas mit den Uiguren und eben Ruanda, um nur drei Beispiele zu nennen. Aber auch da können m.E. internationale Debatten helfen.

Auch aus einem anderen Grund ist eine grundsätzliche Revision der außenpolitischen Praxis wünschenswert: Wenn die Erderwärmung gebremst werden soll, geht das nur mit gemeinsamen weltweiten Anstrengungen. Eine solche Kooperation ist immer gefährdet, wenn sich Staaten gegenseitig die Legitimität ihrer Regierungen absprechen.

Literatur

  • Bahr, Egon (1963): Wandel durch Annäherung, Rede am 15. Juli 1963 in der Evangelischen Akademie Tutzing
    https://web.archive.org/web/20110727071904/http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/stichwort/tutzinger_rede.pdf
  • Chrustschow, Nikita (1959): On peaceful coexistence, in: Foreign Affairs (October 1959)
    https://www.cvce.eu/en/obj/on_peaceful_coexistence_from_foreign_affairs_october_1959-en-a231db94-ad9e-430c-8b61-12354f373ffc.html
  • Graef, Alexander / Thies, Tim / Mengelkamp, Lukas: Alles nur Routine? Die USA stationieren wieder Mittelstreckenraketen in Deutschland, IPG-Journal 16.07.2024
    https://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/alles-nur-routine-7655/
  • Grötemaker, Manfred (2009): Deutsche Teilung – Deutsche Einheit, Verhandlungen mit den Vier Mächten, Bundeszentrale für politische Bildung
    https://www.bpb.de/themen/deutsche-einheit/deutsche-teilung-deutsche-einheit/43771/verhandlungen-mit-den-vier-maechten
  • Kennan, George F. (1960): Friedliche Koexistenz – Ein westlicher Standpunkt. in: Foreign Affairs, Januar 1960
    https://www.cvce.eu/obj/friedliche_koexistenz_in_foreign_affairs_januar_1960-de-797ff4e3-c789-46d9-9736-345e678b3783.html
  • KSFE (1975): Schlussakte von Helsinki, veröffentlicht von Organization for Security and Co-operation in Europe, Datum 1 August 1975
    https://www.osce.org/de/mc/39503
  • Kunzmann, Karl Heinz (1964): Friedliche Koexistenz oder freundschaftliche Beziehungen? In: Vereinte Nationen, Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V., Heft 6/1964 https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/suche/zvn/artikel/friedliche-koexistenz-oder-freundschaftliche-beziehungen
  • Link, Werner (2001): Die Entstehung des Moskauer Vertrages im Lichte neuer Archivalien. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 2001, Heft 2
    www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2001_2.pdf
  • Mearsheimer, John J.: The Great Delusion – Liberal Dreams and International Realities, Yale University Press 2018
  • Münch, Fritz (1964): Die Koexistenz im Völkerrecht. In: Vereinte Nationen, Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V., Heft 6/1964
    https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/suche/zvn/artikel/die-koexistenz-im-voelkerrecht
  • Schmidt, Helmut (1969): Strategie des Gleichgewichts. Deutsche Friedenspolitik und die Weltmächte, Stuttgart.
  • UN (1965a): Actions on the regional level with a view to improving good neighbourly relations among European States having different social and political systems, A/RES/2129(XX), Quelle: United Nations Digital LibraryText der Erklärung:
    https://digitallibrary.un.org/record/203471?v=pdf
    Debatte dazu im First Committee auf: https://digitallibrary.un.org/record/800506/files/A_C-1_SR-1420-EN.pdf
  • UN (1965b): Declaration on the Inadmissibility of Intervention in the Domestic Affairs of States and the Protection of Their Independence and Sovereignty, General Assembly resolution 2131 (XX), New York, 21 December 1965, A/RES/2131(XX), Quelle: United Nations Digital Library-Text der Erklärung:
    https://digitallibrary.un.org/record/203886?v=pdf
    Debatte dazu im First Committee auf: https://digitallibrary.un.org/search?ln=en&p=A%2FC.1%2FL.343

Wilfried Schollenberger, Diplom-Soziologe, lebt in Heidelberg und ist dort im „überparteilichen Gesprächskreis Frieden Heidelberg“ und seit 24 Jahren in der SPD aktiv. Von Anfang an ist er Fördermitglied im DISS.

Erstveröffentlichung im DISS-Journal #48

1 Dies ist die Kurzfassung für das DISS-Journal. Alle Zitate aus dem Englischen wurden mit Unterstützung von deepL.com übersetzt. Die Langfassung mit weiteren Erläuterungen, englischen Originalzitaten und einem zusätzlichen Kapitel zur Ukraine ist auf https://magentacloud.de/s/gtdYQHzTZb39zRc veröffentlicht. Kommentare, Anmerkungen und Kritik bitte an ws.spd@web.de

2 Kunzmann, S. 203

3 Münch, S. 208

4 Chrustschow (1959), S. 3. Übersetzung W.S.

5 Kennan (1960), S. 6

6 Kunzmann, S.203

7 Siehe UN (1965a)

8 „The inadmissibility of intervention in the domestic affairs of States and the protection of their independence and sovereignty“, UN (1965b)

9 Vgl. UN (1965b) SR 1395, S. 243f

10 ebd. S. 245

11 UN (1965b) SR 1396

12 Ebd. S. 248

13 Link, S. 296

14 Bahr (1963), S. 4

15 Ebd., S.3

16 Vgl. Grötemaker: „Nach der Vorlage des Zehn-Punkte-Plans von Bundeskanzler Kohl am 28. November teilte Mitterrand einer Gruppe französischer Journalisten mit, er halte eine deutsche Wiedervereinigung für eine „rechtliche und politische Unmöglichkeit“. Gegenüber Bundesaußenminister Genscher äußerte er, ein wiedervereinigtes Deutschland „als eine eigenständige Macht, unkontrolliert“, sei unerträglich für Europa; es dürfe niemals wieder eine Situation eintreten wie 1913, vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

17 Die Lager der Terrororganisation Al Quaida hätten auch ohne eine vollständige Besetzung Afghanistans durch NATO-Truppen zerstört werden können. Das weitergehende Ziel dieses Krieges war zu verhindern, dass sich eine neue terroristische Bedrohung dort entwickeln könnte.

18 Die Aufnahme von Georgien und der Ukraine in die NATO wurde vor allem von George W. Bush in den 200x-Jahren gefordert.
Link auf den Vortrag von Clemens Ronefeldt: https://youtu.be/A2wgWwPmjGY?t=5741

19 Auch im Fall Jugoslawien bleiben das Kosovo und Bosnien-Herzegowina als Krisenregionen.

20 Umstritten war diese Stationierung m.E. trotzdem zu Recht, weil ein russischer Überfall auf die BRD mangels Streitigkeiten unwahrscheinlich und die damit verbundene Option auf einen atomaren Erstschlag mit extrem kurzer Vorwarnzeit für das militärische Gleichgewicht unverhältnismäßig war.

21 Schmidt, S. 231f

22 Vgl. Graef / Thies / Mengelkamp

23 Dabei tendieren demokratische Regierungen auch aus innenpolitischen Gründen zu Gerichts- und Schiedsverfahren: Während Zugeständnisse, die sie selbst in eigener Souveränität eingehen, von einer demokratischen Opposition immer als „Verrat“ angeprangert werden können, erzeugen Gerichts- und Schiedsverfahren eine zusätzliche Legitimation für das Ergebnis.

24 An dieser Stelle muss man auch mit der immer wieder aufflammenden Legende aufräumen, die westlichen Siegermächte des 2. Weltkriegs hätten Deutschland die Demokratie gebracht: Alle drei Besatzungsmächte in der BRD haben ein Mehrheitswahlrecht. Deutschland hat dagegen in seiner eigenen Geschichte auf allen Ebenen ein grundsätzlich anderes Verhältniswahlrecht (mit personalen Elementen) entwickelt.