Anmerkungen zum Erfolg der AfD bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen
Von Sebastian Friedrich
Man könnte meinen, es hätte schlimmer kommen können. Zwar hat die AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg die besten Wahlergebnisse ihrer Parteigeschichte erzielt, doch zu Jahresbeginn stand die völkisch-nationalistische Partei in Umfragen teils noch deutlich höher. Noch vor wenigen Monaten gingen viele davon aus, dass die AfD in allen drei Bundesländern die stärkste Kraft werden könnte. Dies gelang ihr jedoch nur in Thüringen. Trotz starker Mobilisierung durch die AfD gingen auch viele Menschen in erster Linie gegen die AfD zu den Wahlen. Laut Nachwahlbefragungen wählten viele andere Parteien nicht aus Überzeugung, sondern um eine noch stärkere AfD zu verhindern.
Ohne das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hätte die AfD wohl die Ergebnisse erreicht, auf die sie zu Jahresbeginn hoffen konnte. Laut Infratest Dimap gaben 26 Prozent der BSW-Wähler*innen in Thüringen an, sie hätten sonst die AfD gewählt. In Sachsen lag dieser Wert bei 33 Prozent, in Brandenburg bei 31 Prozent. Verrechnet man dies mit den tatsächlichen AfD-Ergebnissen, wäre die Partei in Thüringen auf etwa 37 Prozent und in Sachsen sowie Brandenburg auf rund 35 Prozent gekommen. Es ist zudem unwahrscheinlich, dass viele ehemalige Linken-Wähler*innen, die zum BSW gewechselt sind, erneut die Linke gewählt hätten, da deren Umfragewerte bereits vor dem Aufstieg des BSW rückläufig waren. Sicher ist: Die Hoffnungen einiger in der Linkspartei, ohne Wagenknecht mehr Wähler*innen zu gewinnen, sind geplatzt. Zahlmäßig konnte das BSW den Aufstieg der AfD etwas bremsen, aber nicht stoppen.1
Darüber hinaus stellt sich eine größere Frage: Wie sollte aus linker Perspektive mit dem Sicherheitsbedürfnis in weiten Teilen der Bevölkerung umgegangen werden? Nachwahlbefragungen und bundesweite Umfragen zeigen, dass viele, die die AfD nicht wählen und vielleicht nie wählen würden, dennoch eine restriktivere Migrationspolitik befürworten. Dies ist einer der Gründe für den Erfolg des BSW. An der lange vor der BSW-Gründung diskutierten These von der linkskommunitaristischen Repräsentationslücke2 scheint etwas dran zu sein.
Düstere Aussichten…
Fokussiert auf die AfD erscheint nach den Landtagswahlen erschreckender noch als das eigentliche Ergebnis die Perspektive, dass es eben noch schlimmer hätte kommen können. Mehr noch: Drei Gründe sprechen dafür dafür, dass es gerade in diesen Bundesländern noch krasser kommen wird.
Erstens ist die AfD in allen drei Bundesländern besonders stark bei Erst- und Jungwähler*innen. In Thüringen etwa holte die Partei insgesamt 32,8 Prozent der Stimmen, bei den 18- bis 24-Jährigen schnitt sie laut Infratest Dimap mit 38 Prozent am stärksten ab, bei der Altersgruppe 70 und älter am schwächsten (19 Prozent). Ähnliche Tendenzen zeigen sich in Sachsen und Brandenburg. Aber nicht nur die demografische Dynamik spricht dafür, dass die AfD in Zukunft in den drei Bundesländern noch stärker abschneiden könnte. Sollte das BSW die Erwartungen nicht erfüllen und sich bei möglichen direkten oder indirekten Regierungsbeteiligungen nicht wie von der Wählerschaft erwartet verhalten, vielleicht sogar im Laufe der kommenden Jahre als Partei implodieren, könnte davon zweitens die AfD profitieren. Hinzu kommt drittens, dass in allen drei Bundesländern Regierungsmehrheiten ohne die AfD nur durch Koalitionen mehrerer Parteien möglich sind. Solche breiten Bündnisse von CDU bis Linkspartei oder BSW könnten an inneren Widersprüchen zerbrechen, was der AfD in die Hände spielen würde, die sich als „einzige wahre Oppositionspartei“ inszeniert.
Düstere Aussichten also. Die Frage, wie mit einer Partei umzugehen ist, die für einen erheblichen Teil der Wählerschaft längst parlamentarische Realität geworden ist, wird drängender denn je.
Diese Wahlerfolge sind keine Ausrutscher. Schon bei den letzten Landtagswahlen lag die AfD in allen drei Bundesländern bei über 20 Prozent. Ihre Stärke ist das Ergebnis einer langfristigen Konsolidierung, besonders in Sachsen und Thüringen, wo sie seit einem halben Jahrzehnt stabil über 20 Prozent liegt. In Brandenburg, Sachsen-Anhalt und mit leichten Abstrichen auch in Mecklenburg-Vorpommern sieht es ähnlich aus. Die AfD ist zwar kein hauptsächliches Ost-Phänomen. So kamen bei den Wahlen für das Europaparlament immerhin 2/3 der AfD-Wähler*innen aus westdeutschen Bundesländern; und in Umfragen steht die Partei in einigen westdeutschen Bundesländern auch im Bereich der 20-Prozentmarke. Aber dennoch ist die AfD in den ostdeutschen Bundesländern schon lange deutlich stärker und hat insbesondere in Regionen, die ländlich geprägt, strukturschwach und überaltert sind, Volksparteicharakter.
Was tun? – Verbieten, ausgrenzen oder was?
Angesichts dieser Stärke wird von einigen, nicht nur Linken, ein Verbotsverfahren gegen die AfD gefordert. Doch diese Forderung ist mit vielen Fragen verbunden: Ist so ein solches Verfahren politisch durchsetzbar? Wie sind die Erfolgsaussichten aus juristischer Sicht? Ist es demokratietheoretisch ratsam, eine Partei zu verbieten, die so viel Rückhalt genießt? Wie sähen die konkreten politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Regionen aus, in denen die AfD heute schon 40 Prozent und noch mehr hinter sich hat? Und wie würde ein Verbot das Sicherheitsrisiko durch militante Rechtsradikale erhöhen?
Die Fragen können an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Ziemlich sicher ist im Zusammenhang mit der nunmehr seit einem Jahr laufenden Debatte um ein mögliches AfD-Verbot aber eines: Der AfD schadet diese Diskussion offenbar nicht. Auch das leichte Umfragetief, das die AfD bundesweit in der ersten Hälfte des Jahres erlebte, scheint überwunden. Weder die Correctiv-Recherchen noch die Millionen, die im Zuge der Enthüllungen auf die Straßen gegangen sind, geschweige denn die Skandale um Maximilian Krah während des Europawahlkampfs haben der AfD substanziell geschadet.
Im Gegenteil: Der zunehmend rassistisch und nationalistisch geprägte Einwanderungsdiskurs spielt der AfD in die Karten. Viele ihrer Positionen wurden von anderen Parteien, insbesondere der CDU/CSU, aber auch dem BSW, übernommen. Die bundesweite Einführung der Bezahlkarte für alle Geflüchteten geht sogar über die Forderung der AfD im Grundsatzprogramm 2016 hinaus, abgelehnten Asylbewerbern statt Geld- nur noch Sachleistungen zu gewähren. Von den aktuellen Plänen der Bundesregierung, bestimmten Asylbewerbern staatliche Leistungen gänzlich zu streichen, ganz zu schweigen. Auch die von der EU beschlossenen Asylschnellverfahren an den Außengrenzen entsprechen in den Grundzügen der alten Forderung der AfD nach externen Asylzentren. Bis auf die Linke folgen alle Parteien dieser neuen Linie in der Migrationspolitik – einige, wie manche Grüne, mit Bauchschmerzen, andere, wie etwa Mario Voigt von der CDU in Thüringen, mit Inbrunst. Voigt warf der AfD im Wahlkampf sogar vor, immer nur zu reden, aber nicht zu handeln.
Doch während die etablierten Parteien zentrale rechte Positionen umsetzen, grenzen sie die AfD auch nach den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg offiziell aus. Inhaltlich zustimmen, formal aber ausgrenzen ist ein fragwürdige Ansatz. Davor warnte bereits vor einem Jahr der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher eindringlich. Sein Argument: So werde der Eindruck erweckt, dass die AfD inhaltlich im Recht sei, man aber aus machtstrategischen Erwägungen nicht mit ihr zusammenarbeite. Eine solche Strategie haben auch andere etablierte Kräfte in anderen europäischen Staaten gefahren. Das Ergebnis war fast immer, dass eigentlich nur die Rechten davon profitiert haben.3
Unabhängig davon, wie man zur Ausgrenzungsstrategie aus inhaltlichen oder strategischen Erwägungen steht: Es ist mehr als fraglich, ob diese dauerhaft überhaupt aufrechtzuerhalten sein wird – auf kommunaler Ebene wie auf Länder- und Bundesebene.
Machtperspektiven der AfD
So ist die AfD in der Kommunalpolitik bereits in vielen Kreisen und Städten verankert, wie Tilo Giesbers im Juni 2024 im antifaschistischen Magazin Der rechte Rand schrieb: „Die AfD ist im Osten nun vielerorts stärkste Kraft. Im Verbund mit anderen Rechtsaußenparteien und Wählergemeinschaften existieren oft sogar klare rechte Mehrheiten. Mehr noch: Insgesamt gibt es kaum noch Kommunen mit Mehrheiten links von Union, FDP und Co.“4
Allein in den ostdeutschen Bundesländern gab es laut einer Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung bereits mehr als 100 Kooperationen zwischen der AfD und Fraktionen von SPD, CDU, FDP und Grünen. Zwischen AfD und anderen Parteien wird auf kommunaler Ebene immer weniger unterschieden.5
Eine Regierungsbeteiligung auf Länderebene wird es voraussichtlich weder in Thüringen, Sachsen noch in Brandenburg geben. Dies könnte sich jedoch in zwei Jahren in Sachsen-Anhalt ändern, wenn die Legislaturperiode endet. Der dienstälteste Ministerpräsident Reiner Haseloff, der sich stets glaubwürdig von der AfD abgrenzt, wird dann 72 Jahre alt sein. In seiner aktuellen Unionsfraktion gibt es jedoch eine Reihe von Abgeordneten, die sich offen oder implizit für eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgesprochen haben. So habe es laut der AfD in Sachsen-Anhalt im Zuge des Koalitionsstreits um die Erhöhung der Rundfunkgebühren Ende 2020 Gespräche zwecks einer CDU-Minderheitsregierung gegeben.6
Sollte die AfD auf Länderebene in eine Regierung eingebunden werden, ist der Schritt zum Regierungseintritt im Bund nicht mehr weit. Zumal sich innerhalb der AfD derzeit eine Tendenz zur Professionalisierung abzeichnet, insbesondere bei jüngeren Akteuren, die auf den letzten Parteitagen ihre Macht gefestigt haben. Diese sind nicht minder rechtsradikal, agieren aber strategischer, machtbewusster und realpolitischer als etwa ein Björn Höcke.
Die Chancen stehen also für die AfD gut, mittel- bis langfristig den Weg vieler anderer europäischer Rechtsparteien zu gehen, die in den letzten Jahren Regierungsverantwortung übernommen haben. Die migrationspolitische Wende vieler Parteien in der EU und Deutschland zeigt, dass die AfD bei ihrem Kernthema kaum Zugeständnisse machen muss. Sollte die Partei sich ähnlich wie Giorgia Meloni in Italien oder Marine Le Pen in Frankreich geostrategisch mit der EU und der NATO versöhnen, könnte sie auch bundesweit eine Option für die Union werden. Die AfD müsste sich ebenfalls an die EU, den Euro und die NATO annähern, will sie perspektivisch auch einen Machtzugriff haben. Als rechts der Union stehende und explizit nationalistische und rassistische Kraft könnte sie, eingebunden ins westliche Bündnis auch in Regierungsverantwortung vorne mit dabei sein, wenn es darum geht, „unsere Werte“ im Kampf gegen innere wie äußere Feinde zu verteidigen.7 Ein anderer Machthebel als eine von vielen in der AfD und im Vorfeld eigentlich verhassten „Melonisierung“ der AfD ist momentan nicht in Sicht.
Nachdenken über neue Gegenstrategien
Die Ausgrenzungsstrategie erlebte im Zuge der Proteste gegen die AfD Anfang des Jahres ein vorübergehendes Hoch. Die Linke betreibt diese gegen die AfD noch am aktivsten. Geholfen hat es nicht – im Gegenteil: Als im Frühjahr ein Fernsehduell zwischen Mario Voigt und Björn Höcke im Raum stand, schloss Bodo Ramelow ein Duell mit Höcke aus. Voigt nutzte seine Chance beim Nachrichtensender WELT, überholte Höcke rechts, grenzte sich gleichzeitig vom völkischen Nationalismus der AfD ab, legte sich Pointen zurecht und ließ Höcke insgesamt ziemlich alt aussehen.
Die Linke lag zu diesem Zeitpunkt in Thüringen nur etwa drei Prozentpunkte hinter der Union, und es bestand die Chance, dass Ramelow ähnlich wie 2019 mit Ministerpräsidentenbonus als realistische Alternative zur AfD gewählt werden würde. Ganz offensichtlich wurden seine Amtskollegen in Sachsen und Brandenburg in erster Linie wieder gewählt, weil eine Mehrheit der Wähler*innen verhindern wollte, dass die AfD in diesen Bundesländern stärkste Partei wird. Dieser Anti-AfD-Ministerpräsidentenbonus zog bei Ramelow nicht mehr. Seine damalige Absage an ein Duell mit Höcke ist sicher nicht der einzige Grund dafür, dass die CDU letztlich fast doppelt so viele Wähler*innen ansprechen konnte wie die Linke, aber spätestens seit dem Fernsehduell im April war die Landtagswahl in Thüringen auf das Duell Voigt gegen Höcke zugespitzt. Das Beharren auf der Ausgrenzungsstrategie war für die Linkspartei in Thüringen rückblickend fatal und nahm ihr letztlich die zugegeben ohnehin geringen Chancen, Ramelow im Amt zu halten.
Wenn es also stimmt, dass die AfD in Zukunft eher noch stärker werden wird, also es tatsächlich eher noch schlimmer kommen dürfte als ohnehin schon, wenn die AfD auf kommunaler, mittelfristig auf Länderebene und langfristig auf Bundesebene zunehmend wie eine „normale“ Partei behandelt wird, stellt sich letztlich die Frage, wie sinnvoll es aus linker Sicht in Zukunft sein könnte, weiterhin auf die Ausgrenzungsstrategie zu setzen. Anstatt die begrenzten Kräfte an der „Denormalisierungsarbeit“ zu verschleißen und dabei Moral, Hoffnung und immer mehr die Fassung zu verlieren, wäre es möglicherweise sinnvoller, die absehbare Entwicklung zu antizipieren: Nicht mehr den vermutlich aussichtslosen Kampf gegen die Etablierung der AfD zu führen, sondern einen Umgang mit ihr zu finden. Das heißt ausdrücklich nicht, dass Bündnisse oder eine Zusammenarbeit achselzuckend hingenommen werden sollten, auch nicht auf anlassbezogene Mobilisierungen und Skandalisierungen zu verzichten, aber überdacht werden sollte etwa, ob es zielführend ist, auf einen öffentlichen Schlagabtausch mit der AfD zu verzichten. In einigen Regionen insbesondere in Teilen Ostdeutschlands, aber nicht nur dort, könnte ein Strategiewechsel auch bedeuten, unter Vorzeichen einer zunehmend hegemonialen AfD den Schutz linker oder überhaupt nicht-rechter zivilgesellschaftlicher Strukturen in den Mittelpunkt zu rücken.8 Auf bundespolitischer Ebene würde sich die Frage stellen, wie sinnvoll möglichst breite Bündnisse gegen rechts sind, wenn die, mit denen man von links gemeinsame Sache macht, inhaltlich letztlich die Arbeit der AfD verrichtet, indem sie es sind, die die durch die AfD nach rechts geöffneten Diskurse in Gesetzesform gießen.
Sebastian Friedrich (Hamburg) ist Sozialwissenschaftler, Journalist und Publizist.