Einige rhetorische Ressourcen des NATO-Kriegsdiskurses

Notizen zur Berichterstattung über den Russischen Krieg in der Ukraine in den deutschen Medien Von Clemens Knobloch Die Geschicklichkeit der großen Journalisten besteht darin, dass sie den Idioten, der sie liest, dazu bringen zu sagen: »Genau das, was ich dachte!« Man will nicht angestoßen, man will geschmeichelt werden. (André Gide) [0] In mehr als einer Hinsicht ist es eine undankbare Aufgabe, über den Mediendiskurs zum Ukrainekrieg zu schreiben. Ich nenne nur einleitend ein paar Gründe dafür: [a] Der medienöffentliche Diskurs zum Ukrainekrieg ist so eindeutig, gleichförmig und einstimmig, dass es wirklich keine Diskursspezialisten braucht, um ihn zu »verstehen«. Der schlagartig aufgenommene Eskalations-, Aufrüstungs- und Militarisierungsdiskurs im Westen erklärt sich selbst. Missverständnisse sind kaum möglich. Aufklärungsversuche und alternative Deutungsmuster (selbst wenn sie von Militärs und professionellen Strategen kommen) werden mit massiver Kontaminationsrhetorik isoliert und…

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ZeitenWende zwischen apokalyptischer Eskalation, Sackgassen und Fluchtlinien

Interdiskurs- und normalismustheoretische Analyse Von Jürgen Link Der hegemoniale mediopolitische Diskurs spricht von »Zeitenwende« und »Paradigmawechsel«. Große historische Ereignisse bedeuten für alle dominanten und viele subdominante gesellschaftliche Zyklen einen Chock, der ihre vorgängigen Tendenzen entweder verstärkt oder sie schwächt bis hin zur ›Abschaltung‹. Vor allem erschüttert ein solches Ereignis die vorgängige Struktur der interzyklischen Kopplungen. Am deutlichsten ist das im aktuellen Fall sichtbar an der enormen Stärkung des militärischen Zyklus innerhalb des Zyklenkombinats.1 Mit dieser Formulierung wurde zu Beginn des Ukrainekrieges versucht, das schwierige Problem zu umreißen, wie sich Ereignisgeschichte und Strukturgeschichte integriert zusammendenken lassen – und das auch noch mitten im aktuellen Prozess. Zum einen wird der Krieg (zunächst vom mediopolitischen Diskurs) als Folge von Ereignissen erzählt, zum Beispiel: Am 24. Februar ist die russische Armee auf breiter Front in die Ukraine…

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Die Ukraine als Schlachtfeld in einem Weltordnungskrieg

Von Wolfgang Kastrup Der völkerrechtswidrige Überfall russischer Truppen am 24. Februar 2022 auf die Ukraine zeigt für Russland nicht den erwarteten schnellen Sieg. Die Gegenwehr der ukrainischen Truppen ist stärker als ursprünglich erwartet, sicherlich bedingt auch durch die Lieferung größerer Waffenmengen durch Mitgliedsländer der NATO. Die Verluste an Soldaten und Material sind auf beiden Seiten hoch. In besonderem Maße leidet die ukrainische Zivilbevölkerung durch diesen Krieg: Tausende Tote, Verwundete, zerstörte Wohnungen, unbrauchbare staatliche und kommunale Infrastrukturen und Millionen Ukrainer auf der Flucht in den westlichen Teil des Landes oder in angrenzende osteuropäische Länder bzw. nach Westeuropa. Es ist davon auszugehen, dass der Krieg noch länger anhalten wird und wahrscheinlich für Russland verlustreicher wird, da die NATO die Ukraine weiter militärisch aufrüsten wird und die EU und die USA zusätzlich finanzielle Milliardenhilfen schon zur…

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Die Aporien der sozialwissenschaftlichen Populismusforschung

Rezension von Stefan Vennmann Kolja Möller: Populismus. Ein Reader, Berlin: Suhrkamp 2022, 369 S., 26,00 Euro. ISBN 978-3-518-29940-1 Mit Populismus. Ein Reader legt Kolja Möller einen umfassenden Diskussionsüberblick zur sozialwissenschaftlichen und politiktheoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff des Populismus vor. Möllers Zusammenstellung ist ein breiter Fundus historischer und moderner Klassiker der Theorien des Populismus.1 Der Band beginnt dabei mit historischen Analysen marxistischer und psychoanalytischer Prägung, die sich auf den italienischen Faschismus, den Nationalsozialismus und die Agitationsversuche US-amerikanischer Faschisten beziehen. Mit diesem historischen Fundament geht der Band weiter durch die Entwicklung der Theorie, nimmt poststrukturalistisch-hegemonietheoretische Versuche, den Populismus zu analysieren und ihn als emanzipatorisches Projekt zu refigurieren, ebenso auf wie neomarxistische, liberale und eher der vergleichenden Politikwissenschaft, der empirischen Demokratie- und Rechtsextremismusforschung entstammende Definitionen von Populismus. Besonders bemerkenswert ist, dass der Band den Spagat zwischen…

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Konservativ-faschistische Konvergenzmomente

Rezension von Stefan Vennmann Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse, Berlin: Suhrkamp 2021, 189 S., 16,00 Euro. ISBN: 978-3-518-12782-7 In ihrem neuen Essayband Radikalisierter Konservatismus untersucht Natascha Strobl – fokussiert auf Donald Trump und Sebastian Kurz als personenbezogener Ausdruck dieser Ideologie – die politische Entwicklung innerhalb des Konservatismus – beschrieben als „antiegalitäre, antirevolutionäre, klassenharmonisierende Haltung, deren höchste Werte Ordnung und Eigentum sind“ (12) – die mehr und mehr faschistische Momente in ihre politische Praxis integriert. Radikalisierter Konservatismus meint auf den Begriff gebracht die mal unbewusste, mal forcierte Übernahme faschistischer Agitationsstrategien innerhalb großer Volksparteien. Radikalisierter Konservatismus ist eine Enthemmung nach rechts, die aber nicht neu, sondern dem Konservatismus ideengeschichtlich inhärent ist (30). Radikalisierter Konservatismus ist „zugleich Bruch und Kontinuität“ (33): Aufkündigung bestimmter politischer Konsense bei gleichzeitiger Radikalisierung einer schon vorher existierenden gesellschaftlichen Entwicklung, die…

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„Die diskursive Seite hegemonialer Ordnungen“

Eine Rezension von Wolfgang Kastrup Lene Kempe, Politikwissenschaftlerin und Redakteurin der Monatszeitung ak (analyse & kritik) will mit ihrem Buch Die diskursive Seite hegemonialer Ordnungen eine Neubestimmung des Verhältnisses von Diskurs, Macht und Hegemonie, so der Untertitel ihrer jüngsten Veröffentlichung, leisten. Dabei will sie klären, wie die beiden Begriffe Hegemonie und Diskurs zueinanderstehen und zudem „eine systematische Integration diskursiver Aspekte in die neogramscianische Hegemonieanalyse […] ermöglichen.“ (10) Der Hegemoniebegriff von Antonio Gramsci (1891-1937) basiert, so Kempe, für die gesamtgesellschaftliche Ordnung in kapitalistischen Staaten auf Konsens, um so die Zustimmung der Subalternen, also der Beherrschten, für die Macht der Herrschenden zu erhalten. Über ökonomische Zugeständnisse und über „allgemein akzeptierte Ideen, Deutungen, Normen, Regeln und Institutionen“ (11) auf der Ideologieebene soll ein solcher Konsens erreicht werden, um so einen im Wesentlichen einheitlichen Alltagsverstand zu erzielen.…

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Den Kapitalismus verstehen

Søren Maus Stummer Zwang als „ökonomische Macht“ im Kapitalismus Eine Rezension von Wolfgang Kastrup Seit Kurzem liegt das Buch von Søren Mau Stummer Zwang. Eine marxistische Analyse der ökonomischen Macht im Kapitalismus in deutscher Übersetzung vor. Søren Mau ist Postdoc und Mitglied im Redaktionsbeirat der Zeitschrift Historical Materalism und des Beirats der Dänischen Gesellschaft für Marxistische Studien. Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Erstausgabe seiner Promotionsschrift Mute Compulsion. A Theory of the Economic Power of Capital am Institut für Kulturstudien der Süddänischen Universität (SDU). Michael Heinrich, einer der prominentesten Vertreter der Neuen Marxlektüre, war nicht nur ein sehr wichtiger Gesprächspartner für Mau, sondern hat auch das Vorwort für dieses Buch geschrieben. Die Lektüre dieser Arbeit ist sicher „keine leichte Kost“, um Heinrich zu zitieren. Das Herausragende der Analyse für ihn wird in folgender…

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Roma: Leben in Bulgarien, aber nicht mit Bulgaren

von Liliia Peicheva Ich komme aus einer kleinen Stadt in der Ukraine, wo Roma zu sein bedeutet, in einer ukrainischen Stadt zu leben aber nicht mit Ukrainern. Roma zu sein bedeutet, Beleidigungen, Diskriminierung, misstrauischen Blicken und sogar Ausgrenzung ausgesetzt zu sein. Wir Nicht-Roma wissen, dass in und um unsere Stadt viele Roma leben, aber wir sehen sie nie und wollen sie auch nicht sehen. Die meisten von uns kennen die Bedeutung des Wortes „Roma“ nicht. Wir nennen sie „Zigan“. Als Kind habe ich viel über Roma gehört. Oft heißt es, man solle ihnen nicht in die Augen schauen oder ihnen kein Geld geben, aus Angst, verflucht oder verhext zu werden. Es gibt viele Geschichten darüber, dass sie arbeitsscheu sind, stehlen, Verbrechen begehen usw. Wenn man Nicht-Roma nach ihren Erfahrungen mit Roma fragt, hat…

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Eine Analyse der Beziehungen zwischen Aussagen am Beispiel des Fluchtdiskurses um Carola Rackete und Moria

Von Anna-Maria Mayer, Benno Nothardt, Milan Slat, Judith Friede, Louis Kalchschmidt, Fabian Marx & Christian Sydow In unserer Kritischen Diskursanalyse (KDA) des Fluchtdiskurses um Carola Rackete und Moria haben wir nicht nur die Aussagen, sondern auch das Netz ihrer Beziehungen untersucht. Unsere Erfahrungen damit stellen wir in diesem Artikel dar. Dazu werden wir im ersten Teil den Begriff der Aussage erklären. Im zweiten Teil werden wir das Kippen einer ganzen Kette von Aussagen im Fluchtdiskurs 2015/16 in Erinnerung rufen. Im dritten Teil werden Beziehungen von Aussagen am Beispiel eines kurzen Zeitungskommentars genauer dargestellt und abschließend im vierten Teil die Aussagenbeziehungen im medialen Diskurs um Carola Rackete visualisiert und erläutert. 1. Aussagen vs. Äußerungen Der Aussagenbegriff der KDA ist an Michel Foucaults Begriff orientiert, jedoch nicht mit diesem identisch. Aussagen sind der „inhaltlich gemeinsame…

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Nudging – die politische Dimension psychotechnologischer Assistenz

Von Guido Arnold Neue Technologien nehmen einen wachsenden Einfluss auf die Formierung von Subjekten. Vielfach werden insbesondere die hohe Transformationsgeschwindigkeit einer disruptiven Entwicklung sowie die systematische Vereinnahmung der Aufmerksamkeit als problematisch für eine ‚demokratische Subjektivierung‘ angesehen. Tatsächlich stellen KI-gestützte Psychotechnologien perspektivisch die Grundlage für politisches Handeln, nämlich die politische Willensbildung in Frage. Ein Plädoyer gegen das ‚nudging‘. Autonomie und die ‚Illusion des freien Willens‘ Es ist eine immer wiederkehrende Diskussion unterschiedlicher Schulen mit unterschiedlichen Begriffsbildungen: Gibt es so etwas wie einen „freien Willen“ oder ist diese Form der individuellen Autonomie eine Illusion? Diese Frage ist von unmittelbarer Relevanz für unser Autonomieverständnis in Bezug auf automatisierte Empfehlungs- und Entscheidungssystme, um die es diesem Artikel eigentlich geht. Dem Philosophen Gaspard Koenig ist mit „Das Ende des Individuums“ eine gute interdisziplinäre Zusammenstellung aktueller Forschung zur Frage…

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