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Fachwerkromantik aus Stahlbeton

Zum Architekturverständnis der Neuen Rechten am Beispiel der Zeitschrift CATO

Von Dirk Dieluweit. Erschienen in DISS-Journal 38 (2019)

Architekturkritik hat bei der Neuen Rechten einen hohen Stellenwert (vgl. Trüby 2019, 16), wie am Beispiel der Zeitschrift CATO aufgezeigt werden kann. Ihr spiritus rector, Karlheinz Weißmann, der Architekturkritiker Roger Scruton und der Architekt Léon Krier verfassen regelmäßig Artikel, in denen sie die moderne Architektur kritisieren. Da CATO Deutungsmuster der Neuen Rechten in der öffentlichen Debatte platzieren will, möchte ich im Folgenden die dort vertretene architekturtheoretische Position herausarbeiten und anschließend diskutieren, ob CATO dem eigenen Anspruch gerecht wird und eine menschengerechte Alternative zur modernen Architektur anbieten kann. Zunächst aber einige Bemerkungen zu CATO und zu den Konzepten der in CATO kritisierten Architektur, die unter dem Namen Bauhaus weltberühmt geworden ist.

Die Zeitschrift CATO

Karlheinz Weißmann und Chefredakteur Andreas Lombard möchten die Meinungsführer des (Bildungs-)Bürgertums erreichen. Entsprechend sieht dann auch die Eigendarstellung aus: „CATO ist die Lektüre für Top-Entscheider aus Wirtschaft und Politik“ (Anzeigenpreisliste 2019). In der Anzeigenpreisliste werden ein Freiberufler, ein Firmeninhaber und die leitende Angestellte einer Kommunikationsagentur als typische Leser vorgestellt. Generell möchte man anspruchsvolle und familienorientierte Leser erreichen. CATO beschäftigt sich nur wenig mit Tagespolitik. Stattdessen finden sich viele Artikel, die ästhetische Fragen aufgreifen oder den gegenwärtigen Zeitgeist kritisieren.
Die Zeitschrift mit einer Auflage von 25.000 Exemplaren (nach eigenen Angaben) gehört zum Netzwerk der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit. Deren Chefredakteur ist Dieter Stein, Karlheinz Weißmann einer ihrer wichtigsten Autoren. Die Redaktion von CATO und die von Stein geleitete Bibliothek des Konservativismus nutzen das gleiche Gebäude. Bevor Andreas Lombard Chefredakteur von CATO wurde, war er freier Mitarbeiter beim Deutschlandradio Kultur und bei der Berliner Zeitung. Später leitete er die Manuscriptum-Verlagsbuchhandlung.

Die Grundzügeder Bauhaus-Architektur

Die in CATO kritisierte Architektur beruht auf Konzepten Le Corbusiers und des Bauhauses. Dieses Architekturverständnis fordert, nach funktionalen und nicht nach ästhetischen Vorgaben zu bauen. Den Ideen der Aufklärung folgend soll sich Architektur auf universell gültige Prinzipien stützen und nicht der Herrschaftsrepräsentation dienen (vgl. Schipper 2018). Um die Stadtbewohner vor Lärm und Abgasen zu schützen, sollen Wohngebiete, Industriegebiete und Erholungsgebiete voneinander getrennt werden (vgl. Fürst/Himmelbach/Plotz 1999, 33). Geschäfte sollen so platziert werden, dass sie schnell von der Wohnung aus zu erreichen sind.In den Bauhaus-Wohnungen waren die zum Wohnen und für Hausarbeit vorgesehenen Bereiche voneinander getrennt. Des Weiteren waren die Wohnungen so geplant, dass nur kurze Wege bei der Hausarbeit anfallen. Da die Architekten des Bauhauses der breiten Bevölkerung günstigen und funktionalen Wohnraum anbieten wollten, verwendete man industriell hergestelltes Baumaterial (vgl. ebd., 29). Die Bedürfnisse der Bewohner ermittelte man mit Methoden der empirischen Sozialforschung und industriellen Arbeitsplanung. Bei der Formgebung beschränkten sich einige Architekten auf gerade Linien, rechte Winkel und geometrische Figuren. Es gab aber auch Vertreter des Bauhauses, die auf geschwungenen Formen zurückgriffen, die den Anbruch eines neuen Zeitalters symbolisieren sollten. Große Fenster und Glasfassaden sollten die Grenzen zwischen Innen und Außen verwischen. Schwebende Elemente zeigten, dass technischer Fortschritt natürliche Grenzen überwinden kann. Stützen und die verwendeten Materialien versteckte man nicht, da man dies für unaufrichtig hielt. Zudem trennte man raumaufteilende und tragende Bauteile voneinander.
Die Vertreter des Bauhauses und Le Corbusier forderten, Bauwerke nach Vorgaben der tayloristischen Arbeitsplanung, zu bauen und zu nutzen. Deshalb kann gegen die moderne Architektur dieselbe Kritik wie gegen die Industriegesellschaft oder den Kapitalismus vorgetragen werden. Nach Boltanski/Chiapello (2001) kann dem Kapitalismus eine Sozial- und eine Künstlerkritik entgegengehalten werden (vgl. ebd., 468). Die Sozialkritik thematisiert, dass der Kapitalismus ein hohes Maß an sozialer Ungleichheit produziert. Die Künstlerkritik greift die Industriegesellschaft an, da sie emotionale Bindungen durch sachliche Beziehungen ersetzt. Zudem setzten sich Formen der Arbeitsorganisation durch, die nur wenig Raum für Kreativität lassen. Dem hält die Künstlerkritik Forderungen nach mehr Autonomie bei der Arbeit und emotionaler Nähe entgegen. So wünschten sich viele Arbeitnehmer ein familiäres Betriebsklima, und Konsumenten wünschten Produkte, die sie emotional berührten. Auf Arbeitgeberseite reagierte man auf diese Kritik, indem man einem Teil der dort formulierten Wünsche nachkam. Starre Hierarchien wurden durch Arbeitsgruppen ersetzt, in denen die Arbeiter ihre Arbeit selbstständig planen müssen. Netzwerke kleiner und mittelständischer Betriebe übernahmen Aufgaben, die Großunternehmen vorher in Eigenregie erledigten. Dadurch wurde es besser möglich die Produktion an Kundenwünsche anzupassen (vgl. ebd., 475). – Soweit Boltanski und Chiapello. Geht man von ihrer Unterscheidung aus, zeigt sich, wie und mit welchen Intentionen die Neue Rechte die Bauhaus-Architektur kritisiert.

Die Kritik der Neuen Rechten an der modernen Architektur

Léon Krier (2018b) wirft den Befürwortern moderner Architektur vor, ein Elitenprojekt zu verfolgen, dass den ästhetischen Bedürfnissen der breiten Bevölkerung zuwiderlaufe (vgl. ebd., 53.). Dies ist aber auch der einzige Aspekt einer Sozialkritik, der in CATO angesprochen wird. Es überwiegt die Künstlerkritik.
Scruton (2017) etwa kritisiert die moderne Architektur, da diese nichts dauerhaft Schönes planen könne. Dies rührt daher, dass man sich nur an funktionalen Vorgaben orientieren würde (vgl. ebd., 39). In Abgrenzung zur Bauhaus-Bewegung und zu Le Corbusier fordert Lombard (2018), dass Architektur natürliche und harmonische Formen schaffen solle (vgl. ebd., 48). Funktional gestaltete Städte und Häuser könnten keine kollektive Identität und kein positives Selbstbild vermitteln. Dies rühre daher, dass funktional gestaltete Gebäude keine Geschichten erzählen und historische Bezüge leugnen. Dadurch fehle der architektonischen Moderne die individuelle Note (vgl. Ross 2019, 82). Die Einteilung von Städten in voneinander getrennte Funktionsbereiche entfremde die Menschen von ihren Nachbarn. So zerstreuten entmischte Stadtviertel die Menschen über die ganze Stadt, obwohl nur schwerindustrielle Produktionsanlagen eigene Stadtgebiete benötigten. Dadurch müssten weite Wege zurücklegt werden, um Arbeitsplätze und Einkaufsmöglichkeiten zu erreichen. Dies mache es für Städter schwer, lokale Netzwerke zu bilden. Dies treffe vor allem Menschen, die nur wenig Geld haben und auf lokale Gemeinschaften angewiesen seien. Verstärkt werde dies dadurch, dass nach Vorgaben der modernen Architektur geplante Gebäude keinen Bezug auf die Umgebung nähmen (vgl. ebd., 81). Dies verhindere, dass sich die Menschen mit ihrer Region identifizierten. Deshalb könne dort kein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen (vgl. Scruton 2017, 41). Dies hat nach Meinung Björn Höckes (2017) fatale Folgen. Denn Gesellschaften seien auf eine gemeinsame Identität angewiesen, um anomische Zustände zu verhindern. Dazu passend fordert Karlheinz Weissmann (2019, 85), dass Architektur den Volkscharakter widerspiegeln soll.
Nach Scruton (2017) entspringt die moderne Architektur einem staatszentrierten Gesellschaftsverständnis. Demnach durchdringen staatliche Institutionen alle Lebensbereiche und gestalten sie nach funktionalen Vorgaben um (vgl. ebd., 36). Dies beraube die Menschen ihrer Kreativität, da durchgeplante Gebäude keinen Raum für spontane Regungen und Eigenverantwortung ließen (vgl. Krier 2017, 28). In dem Maße, in dem sich Gebäude und Städte an Vorbildern aus der fordistischen Produktion orientierten, würden Künstler und Architekten durch Ingenieure ersetzt (vgl. Krier 2018c, 65).

Die Lösungsvorschläge der Neuen Rechten

Als Gegenentwurf zur funktionalistischen Stadt zeichnen CATO-Autoren ein positives Bild des Landlebens. Dörfliche Regionen werden als gewachsene Gemeinschaften beschrieben, die Sicherheit vor einer globalisierten Wirtschaft bieten (vgl. Kennedy 2019, 200ff.). Kleine Handwerksbetriebe lösen die industrielle Massenproduktion ab (vgl. Krier 2018a, 60ff.). Um den täglichen Bedarf vor Ort decken zu können, wird nicht mehr für den Weltmarkt, sondern nur noch für die nähere Umgebung produziert. Da dort die Produktion nicht automatisiert werden kann, soll dadurch die Arbeitslosigkeit zurückgehen (vgl. ebd., 64).
Große Funktionsbauten will Krier durch kleine auf ihre Umgebung abgestimmte Gebäude ersetzen. Zudem soll Architektur die Stadtgeschichte mit einbeziehen (vgl. ebd., 65). Die in CATO vorgestellten Lösungsvorschläge bevorzugen familiäre Bindungen und Traditionen gegenüber der durchrationalisierten industriellen Welt und entsprechen Boltanskis und Thévenots Cité der häuslichen Welt (vgl. Boltanski/Thévenot, 2007, 329).
Die CATO-Autoren sehen in städtebaulichen Rekonstruktionsprojekten eine Möglichkeit, mit Architektur Identität zu stiften. Historische Gebäude sollen dabei originalgetreu rekonstruiert werden. Dadurch brechen solche Projekte mit funktionalistischen Vorgaben und stellen historische Bezüge her. Die von Léon Krier geplante und auf eine Initiative von Prinz Charles zurückgehende Mustersiedlung Poudbury wird in CATO gelobt, da dort Mischnutzung verwirklicht wurde und die Architektur historische Besonderheiten unterstreicht (vgl. Scruton 2017, 41).

Diskussion der in CATOvorgeschlagenen Alternativen zur modernen Architektur

Wie bereits angedeutet, sind die in CATO dargestellten Alternativen zur neoliberalen Globalisierung rückwärtsgerichtet, wobei betont werden muss, dass rechtes Architekturverständnis nicht durchweg rückwärtsgerichtet ist. So zählt der Futurismus auch zur modernen Architektur. Nach CATO ist ein entfesselter Kapitalismus auf offene Grenzen und freien Warenverkehr angewiesen. Territorial fixierte Identitätskonzepte und traditionelle Lebensentwürfe sind demnach ein Mittel, um dem neoliberalen Umbau von Staat und Gesellschaft entgegenzuwirken und kulturellen Konsens zu stiften. Dazu passend fordert Karlheinz Weißmann (2019, 85) wie bereits erwähnt, dass Architektur den Volkscharakter ausdrücken soll. Dagegen sprechen zwei Argumente.

Erstens: Neoliberalismus und territorial fixierte Identitäten schließen sich nicht aus. Wie Sassen (2008) zeigt, ging der Neoliberalismus zwar mit einem grundlegenden Staatsumbau einher: So übertrug man parlamentarische Kompetenzen an Gerichte oder Exekutivbehörden; gleichzeitig übernahmen Privatunternehmen die Aufgaben staatlicher Institutionen (vgl. ebd., 481ff.). Dieser Staatsumbau ging aber mit keinem generellen Souveränitätsverlust des Nationalstaates einher. Die Programmatik rechtspopulistischer Parteien zeigt im Übrigen, dass eine neoliberale Agenda und eine nationalstaatliche Orientierung (Renationalisierung) miteinander vereinbar sind.

Zweitens: Jede Gesellschaft bedarf eines gewissen kulturellen Konsenses, der es ermöglicht, Debatten zu führen und Kompromisse auszuhandeln. Wie Bourdieu zeigt, wird dieser Konsens durch das Bildungssystem und durch Massenmedien hergestellt. Politische Gemeinschaften konstituieren sich, indem sie sich von einem imaginierten Außen abgrenzen. Somit beziehen sich Kulturen immer auch auf kulturfremde Elemente (vgl. Bourdieu 2014, 618). Bourdieu und Wimmer (2005) zeigen, dass in symbolischen Kämpfen ausgehandelt wird, was zur eigenen Kultur gehört und was nicht. Hier setzen die Akteure ihr Kapital ein, um ihre Sicht auf die soziale Welt durchzusetzen. Demnach gibt es keine in sich homogene und eindeutig abgrenzbare kulturelle Essenz, die durch Architektur ausgedrückt werden könnte.Krier (2018a) fordert, mit einer kleinteiligen und handwerklichen Produktionsweise der Globalisierung und Massenarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Diese Produktionsweise steht dem neoliberalen Umbau von Staat und Gesellschaft jedoch nicht im Wege. Nach Sassen (1996) ist ein flexibles Produktionsregime auf kleine Betriebe angewiesen. Diese Unternehmen übernehmen Aufgaben, die Großbetriebe ausgelagert haben, um flexibel agieren zu können (vgl. ebd., 79). Wenn Aufgaben von Groß- an Kleinbetriebe verlagert werden, beseitigt dies aber nicht das Problem der Massenarbeitslosigkeit. Da sich CATO jedoch nicht zuletzt an die Inhaber und Führungskräfte binnenmarktorientierter Unternehmen richtet, entsprechen diese Lösungsvorschläge den wirtschaftlichen Interessen der Zielgruppe. In kleinen Betrieben besteht oft keine Tarifbindung. Deshalb ist fragwürdig, ob sich damit das Problem der prekären Beschäftigung lösen lässt.
Bei den von Scruton (2017) und Krier (2018a) vorgeschlagenen Konzepten besteht die Gefahr, dass dörfliche Gemeinschaften oder Familien an die Stelle des Sozialstaates treten. Zudem stellt die Mischnutzung städtischer Räume keinen Gegenentwurf zum neoliberalen Umbau von Staat und Gesellschaft dar. So zeigt Walter Siebel (2015, 183), wie in der neoliberalen Stadt gemischt genutzte Flächen die an der Charta von Athen orientierten Flächennutzungspläne ersetzen.
Krier (2018b) und Scruton (2017) loben Rekonstruktionsprojekte, da sie historische Bezüge herstellen. Jedoch ist die Art und Weise, in der Geschichte gedeutet wird, umkämpft. Dadurch, dass originalgetreue Rekonstruktionen nicht alle Nutzungsarten eines Gebäudes berücksichtigen, zeichnen sie ein einseitiges Geschichtsbild. Deshalb kritisiert Philipp Klein (2019) den Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche. Da dort versucht wurde, so originalgetreu wie möglich zu rekonstruieren, wurde das bekannteste Symbol für die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg beseitigt. Dadurch könnten Fragen der Kriegsschuld aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt werden (vgl. ebd., 196ff.). Zudem sind Rekonstruktionsprojekte ein Weg, mit dem Städte im Städtewettbewerb ihre Besonderheiten unterstreichen möchten, um Investoren und wohlhabende Bewohner anzulocken (vgl. Siebel 2015, 254). Somit steht Traditionspflege dem finanzmarktgetriebenen Kapitalismus nicht im Wege, sondern ist vielmehr ein Bestandteil des dazugehörigen Standortmarketings.
Die Vertreter der modernen Architektur kritisieren Ornamentik, da sie hierin architektonische Machtdemonstrationen sehen. Da von CATO-Autoren Ornamente und Denkmäler detailliert und wohlwollend beschrieben werden, legt dies den Schluss nahe, dass sie Architektur zu Repräsentationszwecken nutzen möchten. Damit nimmt Architektur politischen Charakter an und trägt zur Ästhetisierung von Politik bei.
Die moderne Architektur wird in den gesichteten Artikeln als Elitenprojekt bezeichnet, das die Menschen jeder Eigeninitiative beraubt. Tatsächlich lässt die Bauhausarchitektur den Menschen nur wenig Raum für von ihnen entwickelte Nutzungsmöglichkeiten. Jedoch ist fraglich, ob die Vorschläge von Krier und Scruton dies beheben. So fordern beide, Architektur solle sich an einem dem Menschen angeborenen Sinn für Ästhetik orientieren. Jedoch nutzen die von Krier und Scruton kritisierten Technokraten Methoden der industriellen Arbeitsplanung und empirischen Sozialforschung, um die Bedürfnisse der Nutzer zu ermitteln. Dagegen ist der Wahrheitsanspruch, auf den sich Krier und Scruton berufen, weder wissenschaftlich noch demokratisch legitimiert.
Die gesichteten Artikel loben, dass Rekonstruktionsprojekte durch Spenden oder private Investoren finanziert werden. Passend dazu fordert Krier (2018a), dass privater Eigenheimbau den öffentlichen Wohnungsbau ersetzen soll, da über Grundbesitz eine emotionale Bindung an das Haus und die Umgebung geschaffen wird (vgl. ebd., S. 64). Jedoch ist umstritten, ob privater Wohnungsbau dies leisten kann. Laut Mitscherlich (2008) führt das Privateigentum an Grund und Boden dazu, dass die Stadtbewohner ihre Privatinteressen verfolgen und vereinzeln, anstatt kollektiv zu handeln und sich für menschengerechte Städte einzusetzen (vgl. ebd., 21). Private Investoren handeln aus Gewinninteresse und haben deshalb wenig Interesse daran, die Bedürfnisse einkommensschwacher Bevölkerungsschichten zu berücksichtigen. Hier übernehmen privatwirtschaftliche Akteure öffentliche Aufgaben, wie etwa die Stadtplanung. Mit Habermas (1990, 337) lässt sich deshalb sagen, dass diese Art von Städtebau einer Refeudalisierung der Gesellschaft Vorschub leistet. Die Gründe hierfür dürften in der Zielgruppe von CATO liegen. Freiberufler und Führungskräfte mittelständischer Unternehmen haben ihre Position oft aristokratischen Reproduktionsstrategien zu verdanken und befürchten, dass diese durch staatliche Regulierung unterlaufen werden (vgl. Bourdieu 2014, 383). Wenn EU-Recht etwa den deutschen Binnenmarkt für ausländische Dienstleister öffnet, bedeutet dies für Freiberufler und Unternehmen, die auf die Binnennachfrage angewiesen sind, zusätzliche Konkurrenz. Exportorientierte Branchen sind dagegen auf internationale Abkommen angewiesen, die grenzüberschreitenden Warenverkehr ermöglichen. Passend dazu kritisiert CATO auch die Exportorientierung der Deutschen Wirtschaft (vgl. Murray 2019, 30ff.).
CATO wirft der modernen Architektur vor, die Grundlagen des Gemeinwesens zu zerstören. Dadurch werden ästhetische Streitfragen zu Gegensätzen, die alle Funktionssysteme einer Gesellschaft betreffen und die Gesellschaft in zwei verfeindete Lager spalten können. So kann die Rechte suggerieren, eine Alternative zur etablierten Sicht auf die Welt anzubieten (vgl. Koppetsch 2019, 157). Architekturkritik ist hierzu besonders geeignet, da es sich hier um ein vorgeblich unpolitisches Thema handelt. Dadurch kann CATO anti-aufklärerische Ideen propagieren, ohne offen rassistisch oder sexistisch zu agieren.

Literatur

Boltanski, Luc/Chiapello, Eve 2001: Die Rolle der Kritik in der Dynamik des Kapitalismus und der normative Wandel, in: Berliner Journal für Soziologie Jg. 10, 459-471.

Boltanski, Luc/Thévenot, Laurent 2007: Über die Rechtfertigung. Eine Soziologie der kritischen Urteilskraft, Hamburg.

Bourdieu, Pierre 2014: Über den Staat. Vorlesungen am Collège de France, hg. von Patrick Champagne u.a., Berlin.

Fürst, Franz/Himmelbach, Ursula/Potz, Petra 1999: Leitbilder der räumlichen Stadtentwicklung im 20. Jahrhundert – Wege zur Nachhaltigkeit? Dortmund: Institut für Raumplanung.

Habermas, Jürgen 1990: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Frankfurt/M.

Höcke, Björn 2017: Vollständiges Transkript der Rede von Björn Höcke vom 17.01.2017 im Ballhaus Watzke in Dresden; https://pastebin.com/embed_iframe/jQujwe89 (Abruf:26.06.2019)

Kennedy, Joe 2019: Countryside als politisches Projekt, in: Arch+ H. 235, 200-205.

Klein, Phillip 2019: Frauenkirchen-Mania, in: Arch+ H. 235, 196-199.

Koppetsch, Cornelia 2019: Gesellschaft des Zorns, Bielefeld.

Krier, Léon 2017: Und der Prinz hatte Recht, in: CATO H. 1, 26-33.

Krier, Léon 2018a: Berufen oder Arbeitslos, in: CATO H. 2, 60-66.

Krier, Léon 2018b: Das Ende der Heuchelei, in: CATO H. 5, 50-57.

Krier, Léon 2018c: Wie der Zauber verflog, in: CATO H. 5, 63-69.

Lombard, Andreas 2018: Neues stürzt altes blüht, in: CATO H. 5, 44-49.

Mitscherlich, Alexander 2008: Die Unwirtlichkeit unserer Städte, Frankfurt/M.

Murray, Douglas 2019: Merkel auf dem Rückzug, in: CATO H.1, 30-33.

Ross, Jane 2019: Heimweh als Wille und Vorstellung, in: CATO H. 3, 74-82.

Sassen, Saskia 1996: Metropolen des Weltmarkts. Die neue Rolle der Global Cities. Frankfurt/M.

Sassen, Saskia 2008: Das Paradox den Nationalen. Territorium, Autorität und Rechte, Frankfurt/M.

Schipper, Rosanne 2018: 5 Merkmale von Kunst, Architektur und Design des Bauhausstils; https://www.catawiki.de/stories/5263-5-merkmale-von-kunst-architektur-und-design-des-bauhausstils (Abruf: 26.06.2019).

Scruton, Roger 2017: Menschlich zu bauen ist möglich, in: CATO H. 1, 34-45.

Siebel, Walter 2015: Die Kultur der Stadt, Berlin.

Trüby, Stephan 2019: Altstadt-Opium fürs Volk, in: Arch+ H. 235, 160-167.

Weißmann, Karlheinz 2019: Der leichte Riese, in: CATO H. 2, 83-85.

Wimmer, Andreas 2005: Kultur als Prozess. Zur Dynamik des Aushandelns von Bedeutungen, Wiesbaden.