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Nazi-Raketenbauer und die US-Mondlandung

 

von Anton Maegerle, 22. Juli 2019

Der Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern, Wernher von Braun (1912 – 1977), war einer der Männer, die der Menschheit das Tor zum Weltall aufgestoßen haben. Der Sohn eines ostelbischen Gutsbesitzers entwickelte V2-Raketen für Hitler und konstruierte bei der NASA mit seinen „alten Peenemündern“ die Trägerrakete Saturn, die Apollo zum Mond beförderte. Dass der Astronaut Neil Armstrong am 21. Juli 1969 als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond setzen konnte, war ein Erfolg von Braun und Technikern sowie Ingenieuren aus NS-Deutschland, die nach 1945 in Diensten der NASA standen. Die Arbeit der Wissenschaftler von Peenemünde auf Usedom, der Geburtsstätte der Raumfahrt, schuf die Grundlagen für alle heutigen interkontinentalen und interplanetaren Raketen. Die Kommunikation mittels Satelliten setzt ebenfalls die Raketentechnik voraus. Der als „Vater der Raumfahrt“ glorifizierte Wernher von Braun gilt noch heute vielen als großer Wissenschaftler und Visionär, sein Name steht für die Eroberung des Weltraums durch den Menschen. Bis zu seinem Tod galt Braun als unpolitischer Fachmann. Erst nach seinem Tod gab es öffentlich Zweifel an seinem Ruhm und das geschönte Bild des nur der Wissenschaft ergebenen Physikers begann aufgrund immer neuer Indizien zu bröckeln. Denn: Der Ritterkreuzträger verkörperte auch das Bündnis von Wissenschaft und Diktatur, die moderne Technik im Dienst des Nationalsozialismus.

Braun wurde 1937 technischer Direktor der neugebauten Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Wissenschaft und Militär schlossen in Peenemünde einen verhängnisvollen Pakt. Tausende hochspezialisierte Fachkräfte stellten ihre Fähigkeiten in den Dienst des Krieges. Peenemünde, ein von Heer und Luftwaffe gemeinsam getragenes, hochmodernes Forschungs- und Entwicklungszentrum, gilt als größte Hightech-Waffenschmiede des nationalsozialistischen Staates. Kein anderes Rüstungsprogramm hat so viele Milliarden gekostet wie der Bau von Hitlers vermeintlicher Wunderwaffe. Eine V2 kostete mindestens so viel Wertarbeit und Rohstoffe wie das modernste deutsche Jagdflugzeug.

Im Jahr seiner Ernennung zum Direktor in Peenemünde trat Braun in die NSDAP ein; 1940 in die SS. Reichsführer-SS Heinrich Himmler beförderte Braun im Juni 1943 bei einem Besuch in Peenemünde zum SS-Sturmbannführer.

Als am 18. August 1943 in Peenemünde die Produktionsanlagen für die V2 durch einen britischen Luftangriff mit 600 Flugzeugen teilweise zerstört wurden, entschloss sich das Rüstungsministerium, die Fertigung unter Tage zu verlegen. So wurde das ehemalige Treibstofflager im Berg Kohnstein bei dem thüringischen Harzstädtchen Nordhausen zum Komplex Konzentrationslager Mittelbau-Dora ausgebaut.

Mehr als 60 000 Sklavenarbeiter aus fast allen Ländern Europas, vor allem aus der Sowjetunion, Polen und Frankreich, mussten zwischen 1943 und 1945 im KZ Mittelbau-Dora Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie leisten. 20.000 Menschen aus 26 Ländern kamen ums Leben. 5.975 V2-Geschosse wurden von den Häftlingen in den unterirdischen Produktionsstätten gefertigt. Die V2 sollte den Nazis noch kurz vor der militärischen Befreiung den Endsieg bringen.

Am Bau und der Projektierung der Unterkünfte für die Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge hatte auch der Ingenieur Heinrich Lübke, der spätere Bundespräsident, tatkräftig mitgewirkt. Im Raum Peenemünde standen 40 Baustellen unter Leitung Lübkes. Der oberste Bauleiter von Peenemünde hatte von 1943 bis 1945 die Verantwortung für den Einsatz von tausenden Zwangsarbeitern. Lübke hat gar in eigener Regie ein KZ-Häftlingskommando dirigiert. Als seine Vergangenheit ihn einholte, stritt Lübke wahrheitswidrig ab, am Einsatz von KZ-Häftlingen beteiligt gewesen zu sein.

Braun hat sich selbst für den Einsatz von Häftlingen in der Raketenproduktion ausgesprochen und geeignete KZ-Insassen in Buchenwald für die Zwangsarbeit ausgesucht. Ein Brief vom 15. August 1944 an den Direktor für Fertigungsplanung des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora, Albin Sawatzki, beweist dies: „Ich bin auf Ihren Vorschlag sofort eingegangen, habe mir gemeinsam mit Herrn Dr. Simon im Buchenwald einige weitere geeignete Häftlinge ausgesucht und bei Standartenführer Pister entsprechend Ihrem Vorschlag ihre Versetzung ins Mittelwerk erwirkt.“ Versetzung ins Mittelwerk hieß Abtransport ins Konzentrationslager Mittelbau-Dora. Ebenso bemühte sich Braun auch selbst um Fachpersonal. So bat Braun im August 1944 um die Abordnung eines Physikprofessors aus dem Konzentrationslager Buchenwald.

Statt auf die Anklagebank als NS-Kriegsverbrecher avancierte Braun in den USA zum Direktor des George C. Marshall Space Flight Center und wurde einer der maßgeblichen Pioniere des Mondflugprogramms. In den USA wurden Braun und seine Raketenforscher mit offenen Armen empfangen, belastende Unterlagen wurden eigens von einer dem US-Führungsstab unterstellten Geheimdienst-Truppe „Joint Intelligence Objectives Agency“ (JIOA) gefälscht, um die braune Vergangenheit der Peenemünder zu vertuschen.

In der Bundesrepublik wurde Braun zum Helden. Schulen und Straßen wurden nach ihm benannt. Als Braun 1977 starb, „wirkte sein Denkmal unantastbar“, so die neurechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ im Juli 2019. Das Blatt wehklagend weiter: „Die Demontage seines Andenkens begann 30 Jahre später. 2007 eliminierte die Wernher-von-Braun-Realschule Rheinstetten ihren Namenspatron, 2013 und 2015 folgten Schulen in Friedberg bei Augsburg und Neuhof bei Fulda. 2014 benannte Memmingen ihre Von-Braun-Straße in Rudolf-Diesel-Straße um. Einhelliger Tenor: Von Braun tauge nicht als Vorbild.“

Das rechtsextreme Online-Magazin signal-online.de betrauerte im Juli, dass das „offiziöse Deutschland von heute“ den „Ingenieur der Mondlandung, Werner von Braun, und den Vater der Weltraumfahrt, Hermann Oberth, auf das Schicksal der Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkriegs in unterirdischen Werken V2-Rakaten zusammenbauen mussten“ reduziert: „Diese Fokussierung entlarvt den deutschen Zeitgeist von heute. Er streicht die Segel vor allem, was größer ist als er selbst,“ so der Autor Manfred Rouhs. Rouhs, zuletzt Bundesvorsitzender der 2017 aufgelösten rechtsextremen Partei „pro Deutschland“, war vormals Bundestagskandidat der NPD und später für die Republikaner (REP) und die Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) aktiv.

Von den „alten Peenemündern“ in den USA war einzig der Ingenieur Arthur Rudolph (1906-1996) am Ende als US-Bürger nicht mehr tragbar. Rudolph war seit 1954 US-Staatsbürger. Er hatte im Konzentrationslager Mittelbau-Dora den mörderischen Häftlingseinsatz organisiert. Im April 1943 empfahl Rudolph den Einsatz von KZ-Häftlingen bei der Serienmontage der V2. Mitte Juni 1943 trafen aus dem KZ Buchenwald die ersten Häftlinge ein. Folgerichtig wurde Rudolph, wenn auch spät, 1982 von der amerikanischen Justiz der Beteiligung an Kriegsverbrechen, konkret der Beihilfe zur Ermordung von Häftlingen des KZ Dora-Mittelbau geleistet zu haben, bezichtigt. Eli Rosenbaum, Leiter der Untersuchungen gegen Rudolph beim US-Justizministerium: „Rudolph war während des Zweiten Weltkrieges unmittelbar befasst mit Einsatz und Missbrauch Abertausender von KZ-Insassen, von denen viele sich unter seiner direkten Aufsicht buchstäblich zu Tode schufteten.“ Rudolph verließ deshalb 1984 die USA, um einem Ausbürgerungsverfahren zuvorzukommen. Die deutsche Staatsanwaltschaft stellte ein Ermittlungsverfahren gegen Rudolph mangels Beweisen ein…

In Peenemünde hatte Rudolph seit 1934 eng mit Braun an der Entwicklung der V2 zusammen gearbeitet. Rudolph war einer der prominentesten und ambitioniertesten Köpfe des deutschen Raketenprogramms in der NS-Zeit. Beim US-Raketenbau war Rudolph neben Braun der entscheidende Mann. Bei der Konstruktion und beim Bau von Amerikas Mondrakete steuerte der gebürtige Thüringer als Programm-Manager das komplexe Gemeinschaftswerk aus 120.000 Ingenieuren und Technikern. Entscheidenden Anteil hatte Rudolph auch bei der Entwicklung der Pershing 1, der Vorläuferin der Mittelstrecken-Atomwaffe.

Als Rudolph 1969 in Ruhestand trat, verlieh ihm die NASA die „Distinguished Service Medal“, die höchste Verdienstmedaille, die sie zu vergeben hat. Vor seiner Pensionierung drückten ihm drei amerikanische Präsidenten die Hand. Keinen schien zu stören, dass Rudolph seit 1931 der NSDAP angehörte, Mitglied der SA-Reserve war und dem NS Kraftfahrtkorps (NSKK), dem NS-Bund Deutscher Technik, dem Reichskolonialbund, der Deutschen Arbeitsfront und der NS-Volkswohlfahrt angehört hatte.

1998 erschien in den NS-apologetischen „Huttenbriefen“ der Artikel „Das v. Braun-Team und die US-Raumfahrt“. Autor des Artikels war Adolf Oberth, Sohn des zeitlebens in rechtsextremen Zusammenhängen aktiven Raketenforschers Hermann Oberth. In seinem Text orakelt Oberth jun. über eine jüdische Verschwörung gegen Rudolph, die zu dessen Rückkehr in die Bundesrepublik führte : „Obwohl ihm nichts Nachteiliges nachzuweisen war, wurde er vor die Wahl gestellt, das Land zu verlassen und seine Staatsbürgerschaft aufzugeben, oder sich einem langwierigen und kostspieligen Gerichtsverfahren zu unterziehen. Dies ist gegenwärtig die übliche, hauptsächlich von den Juden angewandte Methode, Opponenten auszuschalten und finanziell zu ruinieren, da letztere meist nicht reich genug sind, um langwierige Gerichtsverfahren durchzustehen.“ Ähnliche Schicksale, so Oberth jun. weiter, erlebten deutsche Fachkräfte auch in anderen NASA-Zentren. Deren Positionen wurden „später meist durch Juden besetzt und heruntergewirtschaftet“, so der Endsatz des Textes von Oberth jun.

Die „Huttenbriefe“ sind das Sprachrohr der neonazistischen Kleingruppe „Freundeskreis Ulrich von Hutten“. Der „Freundeskreis Ulrich von Hutten“ vertritt rassistische Thesen und verbreitet Äußerungen, in denen das NS-Regime verharmlost und die Bundesrepublik verunglimpft wird. An der Spitze des „Freundeskreises“ stand bis zu ihrem Tod 2017 die fanatische Hitler-Anhängerin Lisbeth Grolitsch. Die einstige “Gau-Unterführerin“ des Bundes Deutscher Mädel (BDM) und Grand Dame des österreichischen Rechtsextremismus, pflegte bis zu ihrem Tod eine anhaltende Treue zu Hitler. Im Herbst 2002 veröffentlichte sie ein Buch, in dem sie Hitler zu den „Großen unseres Volkes“ zählt. Hitlers „Kampf“ galt, so Grolitsch, „der Wiederherstellung des Lebensrechtes des Deutschen Volkes unter anderen Völkern. Diesem Ziel hat er mit dem vollen Einsatz seines Lebens gedient unter Bereitstellung aller genialen Fähigkeiten seiner Persönlichkeit.“