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Schmäh eines Unpolitischen?

Böhmermann zwischen hate speech und Satire

Von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal 31 (2016)

Satiren zeigen den Zusammenprall zwischen hohen moralischen Ansprüchen und schlechter Wirklichkeit. Sie führen die zu Unrecht erhobenen Ansprüche ad absurdum. Dehumanisierende Herabsetzung liegt dagegen vor, „wenn du einfach nur so untenrum argumentierst, ne?“ Wo steht Böhmermanns Text?

Böhmermanns Erdogan-‚Schmähgedicht‘ vom 31. März 2016 (in der Sendung Neo Magazin Royale) folgte auf die Verwicklungen, die eine extra3-Satire zu Erdogan vom 17. März 2016 („Erdowie, Erdowo, Erdogan“) ((Nach dem Nena-Song Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann. Vgl. http://lyricstranslate.com/de/erdowie-erdowo-erdo%C4%9F-erdonas%C4%B1l-erdonerede-erdo%C4%9F.html)) verursacht hatte. Diese unterlegte einfache Reime zur Machtpolitik Erdogans mit passenden ausdrucksstarken Filmsequenzen, in denen Erdogan beim Scheitern seiner heldischen Männlichkeit gezeigt wurde. ((In einer Sequenz versucht sich Erdogan in Oberhemd und Anzughose als Rodeo-Reiter, wird aber innerhalb von Sekunden abgeworfen und schlägt hart mit dem Rücken auf. )) Die Türkei bestellte daraufhin den deutschen Botschafter, Martin Erdmann, am 22. März 2016 ins Außenministerium in Ankara ein und verlangte, dass das extra3-Video aus dem Internet entfernt werde.

Am 31. März 2016 lobt Böhmermann zunächst die NDR-Kollegen, die „in dieser Woche fast den dritten Weltkrieg ausgelöst“ hätten, und räumt dann bescheiden ein, „diese dicken Bretter“ sei er „nicht imstande zu bohren“. Danach nimmt Böhmermann die Position eines wohlmeinenden Lehrers ein, der dem türkischen Präsidenten den Unterschied zwischen erlaubter Erdogan-Satire und verbotenem Erdogan-Schmähgedicht in Deutschland erklären möchte.

So sei die extra3-Satire in Deutschland „gedeckt von der Kunstfreiheit, von der Pressefreiheit, von der Meinungsfreiheit“, denn sie sei „inhaltlich humorvoll mit dem umgegangen (…), was Sie da quasi politisch unten tun, Herr Erdogan“. Verboten sei aber Schmähkritik, wenn du „Leute diffamierst. Wenn du einfach nur so untenrum argumentierst, ne? Wenn du die beschimpfst und wirklich nur bei privaten Sachen, die die ausmachen, herab­setzt.“ Und dann könnten „auch Sachen gelöscht werden– aber erst hinterher, nicht vorher.“ Böhmermann will das „an einem praktischen Beispiel mal ganz kurz“ erklären und gibt dann – mit mehreren ironischen Brechungen – sein ‚Schmähgedicht‘ (vor einer türkischen Fahne und im akustischen Hintergrund „eine türkisch angehauchte Version von einem Nena-Song“) zum Besten. ((http://www.cicero.de/salon/erdogan-schmaehgedicht-das-boehmermann-video-im-original/60770))

Über die Rahmen-Inszenierung – Böhmermann ‚unterrichtet‘ den Adressaten – begleitet die Zuschreibung der Dummheit den Gesamttext wie eine Klammer. An wenigen Stellen (‚sackdoof‘, leerer Kopf) mixt Böhmermann dieses Motiv hinein in ein Feuerwerk der Zuschreibungen, die in überbietender Weise vom Sex-Motiv des Ausgrenzungskonstrukts inspiriert sind. Nur gelegentlich ergänzt der Sprecher diese Kanonade durch die Metaphorik der Ausscheidung, bzw. der Ausdünstung (stinken, ‚Schweinefurz‘, ‚Pinkeln‘). Insgesamt wird jedoch ein über Sex definiertes ((Sexismus liegt selbstverständlich auch dann vor, wenn sich die Geschlechterkonstruktion gegen Mann/Männer richtet. Lediglich an einer Stelle greift Böhmermann zur ‚Fress-Metaphorik‘ („Döner“) und fügt dort zur sexistischen eine rassistische Begründung hinzu. Die visuelle und akustische Installation (eine türkische Fahne; „eine türkisch angehauchte Version von einem Nena-Song“) könnten als rassistisch gelten. Sie werden im Text jedoch nicht aufgegriffen. Dort richten die Bewohner im Land ihren anti-präsidialen Spott gegen das Staatsoberhaupt. Flagge und Song stehen eher für die nationalistische präsidiale Anmaßung, für das Land zu sprechen. Akustisch zitiert Böhmermann den ‚Nena-Song‘ aus extra 3-Satire, bedient aber mit dem ‚orientalischen‘ Gestus eine exotistische Stereotypik, die vom ‚despotischen Herrscher aus dem Morgenland‘.)) Wesen geschildert, dessen Gier nach Sex, ob nun mit Tieren, Kindern, nach Sado-Maso-Art (‚Gummimasken‘), mit Männern (homosexuell) oder im Gruppensex (‚Gangbang‘), nirgends Halt macht.

Gegenüber ‚herkömmlichen‘ Beispielen der Dehumanisierung offenbart Böhmermanns Text freilich die Asymmetrie der Macht, die zwischen ihm, dem (kleinen) Sprecher und seinem (großen) Adressaten herrscht. Denn in der Regel richten – umgekehrt – machtvolle Sprecher die Aufforderung an ihre Klientel (die Wir-Gruppe), gegen gewisse Minderheiten (die Sie-Gruppe) vorzugehen, die sie zuvor mit Hilfe der Böhmermann’schen „Straßenköter-Rhetorik“ (Max Moor in Titel-Thesen-Temperamente) gebrandmarkt oder für vogelfrei erklärt haben.

Dagegen geraten in Böhmermanns Text einige Bedingungen dehumanisierender Rhetorik durcheinander. So richtet der Sprecher den Text gegen einen einzelnen Adressaten, nicht gegen eine Opfergruppe. Er kann auch keine ‚Wir‘-Gruppe aufbieten, die er gegen diesen Adressaten ins Feld schicken könnte. Im Gegenteil steht der Sprecher allein, während jener Adressat gegen Opfergruppen (Kurden, Christen und Frauen) vorgeht.

Darüber hinaus zieht sich ein eklatanter Bildbruch durch das von Böhmermann aufgefahrene Arsenal der Sex-Zuschreibungen. So wird der Adressat zwar einerseits völlig über Sex definiert, zugleich aber als sexuell behindert oder sogar ‚impotent‘ gezeichnet (‚sackdoof‘, ‚kleiner Schwanz‘, ‚Schrumpelklöten‘, ‚so leer wie seine Eier‘). ((Oliver Jahraus, Professor für Neuere deutsche Literatur und Medien an der Ludwig-Maximilians-Universität München, beflügelt Böhmermanns „Gedicht“ zu sexual-psychologischen Höhenflügen. [http://www.focus.de/kultur/kino_tv/ist-es-wirklich-so-schlimm-pennaelerhaft-literaturprofessor-analysiert-das-boehmermann-schmaehgedicht_id_5433576.html] So ziele die „sexuelle, (anal-)sadistische, sodomitische Verunglimpfung“ Böhmermanns auf „die (sexuelle) Potenz“ der Macht, die „als konkrete Sexualkraft angreifbar“ werde. Die Macht werde (so Jahraus in einer nächst höheren Drehung) nicht nur „entlarvt, indem sie als Potenz, die versagt, vorgeführt wird“, vielmehr werde das Versagen „wiederum kompensiert durch die Perversion: Pädophilie, Sodomie, Sadismus“.))

Nach aller Erfahrung führen Bildbrüche (Katachresen) jedoch paradoxer Weise zur Steigerung von herabsetzenden Textwirkungen. Textrezipienten stören sich in der Regel nicht am Widerspruch zwischen – wie im vorliegenden Fall – den Erzählmotiven der ‚Sexbesessenheit‘ und denen der ‚Impotenz‘. Bildbrüche können so zur Bekräftigung der Textbotschaft dienen. Um das Phänomen zu erklären, kommt man nicht ohne die Annahme einer semantischen, d.h. ‚moralischen‘ Tiefenebene aus, auf der Herabsetzungen dieser Art ‚kulturell‘ verstanden werden und auf der sich diese Widersprüche auflösen, bzw. Sinn bekommen.

Ein Hinweis darauf ergibt sich ja bereits auf der primären Textebene. So bezieht sich die ‚Unfähigkeit‘ des Adressaten gar nicht auf Sex an sich, sondern wohl allein auf ‚normalen‘ (heterosexuellen) Sex, der im Einklang steht mit einem am Gemeinwohl orientierten Kinderkriegen. Entsprechend des ‚moralischen‘, d.h. kollektiven Ziels, auf das es dehumanisierende (d.h. hier homophobe/bodyistische ((Die Begründung/Legitimation für eine dehumanisierende Herabsetzung ist dann bodyistisch, wenn sie mit Alter, Krankheit, bzw. Behinderung des Opfers/der Opfer argumentiert.)) ) Erzählungen eigentlich immer abgesehen haben, verweigert sich der Adressat genau dieser Hingabe an kollektive Erfordernisse (oder ist unfähig zu ihr) und ergeht sich stattdessen – als Inbegriff eines Trieb-Automaten – allein in der ego-zentrierten Befriedigung seiner ‚animalischen‘ Bedürfnisse.

Daraus könnte man zumindest im Ansatz eine satirische Zielrichtung erschließen. Der Text würde dann einen Adressaten zeigen, der als erster Mann des Staates – nicht zuletzt im Namen ‚der Religion‘ – hohe und höchste moralische Ansprüche erhebt, in Wirklichkeit aber puren egoistischen Zielen hinterher jagt und jene aus dem Weg räumt, die ihm dabei in die Quere kommen. Doch diese Deutung scheint weit hergeholt. Dies zeigt ein Vergleich mit der anti-autoritaristischen Stoßrichtung jener extra 3-Satire, die Böhmermann offenbar zu seiner eigenen Intervention inspirierte. Dort war es das Ziel, das Machtstreben des Adressaten und sein Selbstbild heldischer Männlichkeit ad absurdum zu führen. Bei Böhmermann ist dieses Machtstreben als satirisches Objekt fast ganz aufgegeben, und was als anderer zu entlarvender, hoher ‚moralischer‘ Anspruch an seine Stelle treten könnte, ist schwer auszumachen.

So bleibt letztlich nur die Einordnung des Textes, wie Böhmermann sie selbst vornimmt, nämlich als blankes Beispiel, wenn „du Leute diffamierst. Wenn du einfach nur so untenrum argumentierst, ne? Wenn du die beschimpfst und wirklich nur bei privaten Sachen, die die ausmachen, herabsetzt.“

Dann aber ergeben sich einige, darunter auch unangenehme Fragen.

So will Böhmermann mit Hilfe des ‚Schmähgedichts‘ ja offenbar vorführen, was in Deutschland trotz aller Bekenntnisse zur Meinungsfreiheit „bestraft werden“ könnte und verboten wäre, wenn „das öffentlich aufgeführt wird“. Dem Adressaten des Gedichts wird sogar geraten „erst mal ‚nen Anwalt“ zu suchen“. Dann ginge „man erst mal vor ein Amtsgericht. Einstweilige Verfügung, Unterlassungserklärung … und dann geht man die Instanzen hoch, und irgendwann in drei, vier Jahren …“ Strafnachlass gäbe es vielleicht, wenn man dafür sorgt, dass das Schmähgedicht nur in der „Mediathek“ steht, aber natürlich nicht im Internet.

Gewiss – Böhmermann skizziert damit ein Drehbuch, das danach – als Realsatire – Wirklichkeit wurde. ((Angela Merkel gab einer Strafverfolgung Böhmermanns gemäß § 103 StGB statt, auf der Grundlage eines Straftatbestands – den sie danach abschaffen möchte. Klaus Uhrig und Ronja Dittrich kommentierten (in Titel-Thesen-Temperamente): „Wenn eine politische Entscheidung über Satire selbst wie Satire klingt, dann hat der Satiriker den größtmöglichen Sieg errungen. … Böhmermann hat eine Regierungsentscheidung herausgefordert, die selbst wie Satire klingt. Vielleicht ist das der größte Erfolg, den man als Satiriker haben kann. … Böhmermanns Test in Sachen Kunstfreiheit hat perfekt funktioniert.“ Vgl. http://mediathek.daserste.de/ttt-titel-thesen-temperamente/Der-Fall-B%C3%B6hmermann/Das-Erste/Video?documentId=34733096&topRessort&bcastId=431902)) Nur bezieht sich das Drehbuch nicht auf Satire, sondern auf die Praxis von hate speech, die offenbar von der Meinungsfreiheit gedeckt sein soll und zwar entlang des Rechtsgrundsatzes, den Böhmermann als emphatische Forderung an den Schluss seiner Erdogan-Intervention stellt: „Wer Rechte anderer einschränkt, dem gehören die Rechte eingeschränkt.“ Einen solchen Grundsatz würde man nun freilich eher bei Populisten vermuten, und selbst bei mildernden Umständen verrät er die Perspektive eines Unpolitischen, nicht aber den gestandenen Satiriker der Republik.

Und doch bleibt ein Verdienst Böhmermanns. Trotz höchster Beschimpf-Artistik fehlt ihm ja nicht nur die Macht, dem Herrscher eines fremden Landes damit Rechte entziehen zu können, sondern auch die Lust. Böhmermann steigert sich nicht in einen Furor der Beschimpfung hinein, sondern macht im Gegenteil während seiner ‚sachlichen‘ Demonstration eher desillusionierende Pausen. In sie baut er nicht nur situationskomische Brechungen ein, sondern schafft dort vor allem die Plattform für eine Beobachterposition, von der aus das Phänomen hate speech als etwas Hergestelltes durchschaubar und seiner ‚Naturwüchsigkeit‘ beraubt wird: Böhmermann lässt uns einen Blick in eine Werkstatt werfen, in der solche Texte zusammen gedrechselt werden.

Damit stellt er sich nicht zuletzt jenen entgegen, für die Praxis von hate speech ganz schlimm, deren Ent-Tabuisierung aber noch viel schlimmer ist und die daher beim Lesen lieber die Augen zumachen. So begründete das Landgericht Hamburg (324 O 255/16 vom 17. Mai 2016) ((http://justiz.hamburg.de/oberlandesgericht/6103290/pressemeldung-2016-05-17-olg-01/)) eine einstweilige Verfügung gegen das ‚Schmähgedicht‘ zwar mit dem „Aufgreifen rassistisch einzuordnender Vorurteile“, mit „einer religiösen Verunglimpfung“ sowie mit Hinweis auf die „sexuellen Bezüge“ des Textes, sah sich aber nicht in der Lage, den Nachweis für diese Urteile am Text selbst zu führen. Man behalf sich stattdessen damit, das ‚Schmähgedicht‘ in einen separat verlinkten Anhang ((http://justiz.hamburg.de/contentblob/6103298/6b1b7ae264e23809630af9d7716ef2fd/data/schmaehgedicht-jan-boehmermann-pdfanhang.pdf)) abzulegen und dort die – sozusagen par ordre du mufti – verbotenen Passagen rot zu unterlegen. Offenbar wollte sich das Gericht nicht selbst strafbar machen, indem es ‚etwas Verbotenes‘ in den Mund nahm.

Eine ganz andere Rechts- und Lesekultur demonstrierte das Verwaltungsgericht Berlin, das Böhmermanns Text die „distanzierende Einbettung in einen ‚quasi-edukatorischen Gesamtkontext‘“ bescheinigte, „um so die Grenzen der Meinungsfreiheit zu verdeutlichen“. Aber gerade deshalb untersagte es am 14. April 2016 (VG 1 L 268.16) ((https://openjur.de/u/882545.html)) eine geplante „Versammlung gegenüber dem Grundstück der türkischen Botschaft in Berlin (Tiergartenstr. 19 – 21)“ mit dem Thema „Ziegen-Demo gegen Beleidigung“. Sie wurde als „stille Demonstration mit künstlerischen Schrifttafeln“ angemeldet. Die etwa zehn Teilnehmer sollten „Ziegenmasken oder Kopftücher“ und vor sich Schilder mit Teilen von „Schmähkritik“ tragen („ungefähr 50% des Gedichttextes“ und „alles was mit Ziegen zu tun hat“). Das Gericht begründete das Verbot damit, ((http://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2016/pressemitteilung.468701.php)) dass „die isolierte Zitierung des Gedichts die Voraussetzungen einer beleidigenden Schmähkritik“ erfülle und den ‚quasi-edukatorischen Gesamtkontext‘ nicht wahre.

Die komplexen, u.a. juristischen Verwicklungen, die Böhmermann losgetreten hat, rechtfertigen gewiss das Urteil des Göttinger Staatsrechtlers Alexander Thiele (auf dessen Analyse das Berliner Gericht sich stützte), ((http://verfassungsblog.de/erlaubte-schmaehkritik-die-verfassungsrechtliche-dimension-der-causa-jan-boehmermann/)) dass Schmähkritik in dieser Form “jedenfalls (noch) nicht vorgetragen worden“ ist. Nur kleinliche Banausen werden da einwenden, dem ‚edukatorischen‘ Ziel wäre gewiss auch ohne Nennung eines konkreten Adressaten gedient gewesen. Doch zum Satz „Wer Rechte anderer einschränkt, dem gehören die Rechte eingeschränkt“, mit dem der Rechtsstaat hopsgehen muss, wird Böhmermann sich noch stellen müssen.