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Soldat mit geflüchtetem Kind

Über die Rolle der Bundeswehr in der Flüchtlingsdebatte
Von Maren Wenzel, erschienen in DISS-Journal 30 (2015)

Üblicherweise macht die Bundeswehr mit nicht funktionierenden Waffen, Auslands- oder Katastropheneinsätzen Schlagzeilen – aber nicht im Herbst 2015. Die Flüchtlingsdebatte bestimmt die Politik und die Medien. Mit dabei sind auch die Soldat*innen in olivgrün. Ob Kasernen, die zu Flüchtlingsunterkünften umgebaut werden, Begleitung von ankommenden Geflüchteten oder auch die Mär von der Unterstützung durch die Wehr bei der Abschiebung: Der umschriebene Hilfseinsatz hat Wirkung in der medialen Debatte.

Am ersten Septemberwochenende 2015 lassen Deutschland und Österreich als Reaktion auf die Flüchtlingspolitik Ungarns Geflüchtete unbürokratisch einreisen. Am Mittag des 6. September fährt dann der erste Zug mit Geflüchteten in Dortmund ein und trifft auf große Hilfsbereitschaft. In nur wenigen Tagen haben sich über 1.000 Helfer*innen im nahegelegenen Kulturzentrum Dietrich-Keuning-Haus registriert und versorgen die Geflüchteten für ein paar Stunden mit Kleidung, Essen und medizinischer Hilfe, bevor sie auf ganz NRW verteilt werden.

Am 8. September bittet der Krisenstab der Stadt dann die Bundeswehr um Amtshilfe. Polizei und Ordnungsamt würden an der Belastungsgrenze arbeiten, die Soldat*innen sollen für sicheres Geleit vom Bahnhof zum Kulturzentrum sorgen. Hatten die vielen Ehrenamtlichen vorher noch gut mit den Behörden zusammen  gearbeitet, macht sich jetzt Unmut breit. Sie halten den Einsatz der Bundeswehr für überzogen. Die ankommenden Soldat*innen werden von den wartenden Menschen, die die Geflüchteten begrüßen wollen, mit „Mörder, Mörder!“-Rufen begrüßt. Und auch der Twitter-Account „TrainOfHope Dortmund“, der die Hilfe für die in Zügen ankommenden Menschen koordiniert, schreibt: „Soldaten in voller Bundeswehr-Montur sollen wohl die Refugees aus Krisengebieten in Empfang nehmen… ekelhaft.“

Die Wirkung der Bilder

Die lokalen Medien hingegen kommentieren den Einsatz nicht, stellen ihn aber, angesichts der Zahlen der ankommenden Menschen, als notwendig dar. So schreiben beispielsweise die Ruhrnachrichten: „Zwei weitere Züge mit mehr als 1100 Flüchtlingen sind in der Nacht zu Dienstag in Dortmund eingetroffen. […]. Erstmalig waren auch Soldaten der Bundeswehr im Einsatz.“ ((Online-Artikel in den Ruhrnachrichten vom 8. September 2015.   http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/44137-Dortmund~/Ueber-Dortmund-in-NRW-verteilt-Zuege-mit-1000-neuen-Fluechtlingen-angekommen;art930,2813148))  Hervorzuheben ist hier vor allem auch das Bild, das für den Artikel verwendet wurde. Ein eingesetzter Soldat trägt ein erschöpftes geflüchtetes Kind auf dem Arm. Die Szenerie wurde im Anschluss auch von der Bild-Zeitung aufgegriffen und unter dem Titel „Bundeswehr bereit für Flüchtlings-Einsatz“ und dem Einlauf: „Antreten zum Helfen: Jetzt kommt in Düsseldorf und Dortmund sogar die Bundeswehr zum Einsatz, um die Flüchtlinge zu empfangen“, verbreitet. ((Online-Artikel in der Bild vom 9. September 2015: http://www.bild.de/regional/duesseldorf/bundeswehr/bereit-fuer-fluechtling-einsatz-42501640.bild.html))

Das Bild hat zweierlei Symbolwirkung: Zum einen wird die Überforderung der Stadt suggeriert. Einen Bundeswehreinsatz im Inneren erwartet man sonst eigentlich nur bei Naturkatastrophen. Dass wieder Soldat*innen in deutschen Städten aktiv werden, rückt die Ankunft der Geflüchtete in die Nähe solcher Naturgewalten. Zum anderen sollen die Leser*innen mit dem Soldaten, der ein erschöpftes Kind auf dem Arm trägt, sympathisieren. Er ist zwar uniformiert, aber unbewaffnet. Die Bundeswehr wird so als Helfer in der Not dargestellt, statt als Aggressor. Ein Bild, das auch die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vermitteln möchte.

So bietet von der Leyen mehrfach die Hilfe der Bundeswehr an. Unter dem Schlagwort „maximale Kulanz“, was immer das auch heißen mag, könne die Bundeswehr Amtshilfe leisten, wo es nicht polizeiliche oder hoheitliche Aufgaben betreffe. Ein Einsatz im Inneren sei allerdings ausgeschlossen. „Wir haben keinen Katastrophenfall“, sagt von der Leyen. ((Welt-Online vom 27.07.2015: http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/thema_nt/article144512042/Von-der-Leyen-verspricht-maximale-Kulanz-bei-Fluechtlingshilfe.html))  Trotzdem übernimmt die Bundeswehr vielerorts Aufgaben, die vor allem die Unterbringung der Geflüchteten betrifft. Nach eigenen Angaben seien in 72 Kasernen und Standortübungsplätzen Unterbringungsmöglichkeit für etwa 29.000 Geflüchtete in Gebäuden, Containern und Zelten geschaffen worden. Betreiber ist die Bundeswehr trotzdem nicht: Diese Aufgaben übernehmen die Länder und Kommunen.

Kritik vor dem Hilfseinsatz der Bundeswehr kam überraschenderweise nicht von Linken, sondern vor allem auch von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der stellvertretende Bundeschef Jörg Radek sagte: „die aktuelle Lage ist kein Notstand, sondern eine Folge des bundesweiten Ressourcenabbaus für Not- und Katastrophenlagen. Statt der Bundeswehr-Hilfe ist mehr Geld von Bund und Ländern für die Kommunen nötig sowie eine Beschleunigung der Asylverfahren.“ ((Artikel auf Focus-Online vom 27.07.2015: http://www.focus.de/regional/sachsen-anhalt/fluechtlinge-gdp-gesamtgesellschaftlicher-einsatz-statt-bundeswehr_id_4841291.html))

Rechte konstruieren Ausnahmezustand

Vor allem die extrem rechten Kommentator*innen konstruieren mit Hilfe des Bundeswehr-Einsatzes derweil einen nationalen Ausnahmezustand und versuchen damit im Diskurs zu intervenieren. So zum Beispiel auf der Plattform dortmundecho.org, die von der aus dem verbotenen Kameradschaft „Nationaler Widerstand Dortmund“ hervorgegangenen Partei „Die Rechte“ betrieben wird. Unter dem Titel „Ausnahmezustand verlängert: Keuninghaus bleibt bis 19. September Asylumschlagplatz!“: schreibt ein unbekannter Autor: „Wie besorgniserregend die momentane Situation, in der die Einwanderung offenbar vollends außer Kontrolle geraten ist, verdeutlicht sich auch durch den Einsatz der Bundeswehr, die rund um den Hauptbahnhof Stellung bezogen hat.“  ((Artikel auf Dortmundecho vom 09.09.2015: http://www.dortmundecho.org/2015/09/ausnahmezustand-verlaengert-keuninghaus-bleibt-bis-19-september-asylumschlagplatz/)) Auch Stefan Schubert macht beim rechten und verschwörungstheoretischen Kopp-Verlag mit dieser Schlagzeile auf: „Ausnahmezustand: Das Militär übernimmt.“ ((Artikel auf Kopp-Online vom 22.10.2015: http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/deutschland/stefan-schubert/ausnahmezustand-das-militaer-uebernimmt.html))

Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer beklagt einen Ausnahmezustand und rechtfertigt damit gleichzeitig die am 14. September wieder eingeführten Grenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen. „Wir haben in der Flüchtlingspolitik im Freistaat Bayern derzeit einen Ausnahmezustand. Es sind alle Regeln mehr oder weniger außer Kraft. Es gibt keine Ordnung, kein System, und das ist in einem Rechtsstaat eine bedenkliche Sache.“ ((Artikel im Bayernkurier vom 14.09.2015: https://www.bayernkurier.de/inland/5625-ausnahmezustand)) Unweigerlich denkt man bei dieser Aussage an Giorgio Agambens Theorie zum Ausnahmezustand aus seinem Werk „Homo sacer“. In dieser kritisiert er, dass der Ausnahmezustand sich in der Politik der Gegenwart immer mehr als das herrschende Paradigma des Regierens erweise. ((Agamben, Giorgio: Ausnahmezustand (Homo sacer II.1). S.9. Frankfurt am Main, 2003.)) Von einer erfolgreichen Diskurs-Intervention von Seiten der extremen Rechten kann allerdings kaum gesprochen werden: Weder Seehofer noch andere Bundespolitiker*innen konstruieren den Ausnahmezustand mit Verweis auf den Einsatz der Bundeswehr.

Fest steht aber, dass der Einsatz des Militärs in der Flüchtlingsdebatte, auch durch die Bilder in den Medien, Symbolwirkung hatte. Die Soldat*innen im Einsatz auf deutschem Boden verschärfen die öffentliche Wahrnehmung, dass es sich bei der Ankunft von fliehenden Menschen, um eine Notlage handelt, die gar einer Naturkatastrophe gleiche. Die Bundesregierung führte derweil erneut deutsche Grenzkontrollen ein und beschloss Mitte September die härteste Verschärfung der Asylgesetze seit den Neunzigerjahren. Die Errichtung von sogenannten „Transitzonen“ nahe der deutschen Grenze, aus denen Ankommende aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten direkt wieder abgeschoben werden könnten, sind weiter im Gespräch.