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Die Bio-Paranoia: Alle machen mit

Von Rolf van Raden. Erschienen in DISS-Journal 28 (2014)

„Eine der größten Gefahren für heimische Tiere“ – unter dieser Überschrift berichtete Die Welt am 15. Oktober 2014 über eine angebliche „Bio-Invasion“: In den Ballasttanks von Frachtschiffen verstecken sich demzufolge regelmäßig „gefährliche Passagiere“ – oder wie es weiter unten im Artikel heißt: „Fremde Einwanderer“. Dabei geht es nicht um Flüchtlinge, die sich auf die lebensgefährliche Reise über das Mittelmeer machen, sondern um „Tierarten, die im Ballastwasser großer Schiffe als blinde Passagiere um die halbe Welt reisen“. Mit dieser anthropomorphen Sprache steht der Welt-Artikel in einer Reihe von Presseberichten, die das Konzept der Biodiversität umdeuten und es rechten Vorstellungen von Ethnopluralismus annähern: Das Fremde ist schon okay, so lange es nicht hier bei uns ist. Diese politisierende Überformung der Berichterstattung über Biologie hat Tradition, obwohl Biolog*innen der sensationslüsternen Berichterstattung bereits seit einiger Zeit widersprechen. Eine Reise in die Tierwelt als Projektionsfläche für gesellschaftliche Ängste.

Auch schlechte Publicity ist Publicity – wenn das der Maßstab ist, hat der Vatikan alles richtig gemacht. Zu Beginn dieses Jahres gingen Bilder der päpstlichen weißen Tauben um die Welt, die sofort von einer Möwe und einer Krähe brutal attackiert wurden, nachdem Papst Franziskus sie frei lies. Tierschutzorganisationen machen gegen die skurrile Praxis mobil, domestizierte Tauben als „Friedenssymbol“ auszusetzen und sie damit dem sicheren Tod zu übereignen. Nicht weniger skurril war allerdings die Medienberichterstattung über den Vorfall.

Es war Spiegel-Online-Redakteur Axel Bojanowski, der auf Deutschlands reichweitenstärkster Internetseite fragte: „Zeigte sich dort eine Art Rassismus gegen weiße Tiere, wie in Internetforen spekuliert wird?“ (SPON, 28.01.2014) Zwar bringt auch eine umfangreichere Online-Recherche keine Internet-Debatte zum Vorschein, in der vor der Spiegel-Online-Veröffentlichung von „Rassismus“ gegen weiße Tauben die Rede war. Seine Wirkung dürfte Bojanowskis Frage trotzdem nicht verfehlt haben. Schließlich überträgt er die in der extremen Rechten verbreitete Vorstellung angeblicher „Weißenfeindlichkeit“ auf die Tierwelt – eine Vorstellung, die hierzulande auch in konservativen Kreisen unter den Begriffen „Inländer-“ beziehungsweise „Deutschenfeindlichkeit“ in Mode ist.

Handelte es sich um einen platten Gag, um das eigentlich schon ausgelutschte Tauben-Thema ein weiteres Mal auf die Titelseite bringen zu können? Ja, gewiss. Aber nicht nur. Denn Bojanowskis Frage reiht sich ein in ein in eine Berichterstattung über Biologie- und Umweltthemen, bei denen Journalist*innen immer wieder ganz tief in das Repertoire gesellschaftlich verbreiteter Vorurteile greifen.

Fiese Vergleiche

„Vorsicht, Fremde!“ (Die Zeit, 09.07.2009), „Fremde im Vorgarten“ (Berliner Zeitung, 30.04.2008), „Gefährliche Ausländer im Stadtpark“ (taz, 28.08.2012), „Einwanderer auf der Abschussliste“ (Der Spiegel, 05.01.2009) – so lauten typische Überschriften, unter denen Journalist*innen seit Jahren über sogenannte Neobioten berichten, also Tier- und Pflanzenarten, die ihr Verbreitungsgebiet in unsere Längen- und Breitengrade ausgedehnt haben. Häufig geschieht das mit einem scheinbaren Augenzwinkern und wird dann doch bitterer Ernst. „Wie geht man am besten mit den Neubürgern um?“, fragte etwa der Tagesspiegel (28.08.2006), und meinte damit „fremde Pflanzen und Tiere“. Denn: „Sie wandern aus fernen Ländern ein und werden oft als böse angesehen.“ Und weiter: „Im Gegensatz zu menschlichen Einwanderern, die sich ungesetzlich verhalten, lassen sich die eingewanderten Pflanzen oder Tiere nicht einfach wieder ausweisen.“

Bereits aus dieser Formulierung wird deutlich, welche Rückwirkungen eine solche Berichterstattung auf die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verhältnisse haben kann: So ganz nebenbei wird der NPD-Wahlplakatslogan „Kriminelle Ausländer raus“ hier in einem scheinbar naturwissenschaftlichen Artikel zur selbstverständlichen und angemessenen Praxis erklärt.

In einer Presseerklärung vom 03.04.2009 wurde das Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung ebenso deutlich: „Wird sich Europa endlich einigen, um tausende fremder Eindringlinge abzuwehren?“ Unter dieser Überschrift geht es weiter: „Europas Grenzen werden von tausenden Pflanzen- und Tierarten aus anderen Teilen der Welt überrollt.“ Neonazi-Sprech auf biologisch.

Die Geschichte der angeblichen Invasion der fremden Tier- und Pflanzenarten zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsche Presselandschaft. Die Bayerische Rundschau berichtete am 23.07.2011 über „Gefährliche Ausländer in den Gewässern“, und findet sogleich einen anderen Begriff, mit dem sie die angebliche Gefahr umschreiben kann: „In Deutschlands Flora und Fauna herrscht Multi-Kulti.“

Die Angst macht nicht vor Marienkäfern halt

Seit einigen Jahren besonders beliebt: Die „Invasion asiatischer Marienkäfer“ (n-tv.de, 21.11.2012), beziehungsweise: „Wie asiatische Marienkäfer deutsche Verwandte töten“ (Die Welt, 16.05.2013). Die dpa weiß sogar zu berichten: „Asiatische Marienkäfer nutzen ,Bio-Waffen’, um ihre roten europäischen Verwandten zunehmend zu verdrängen.“ (Focus Online, 16.05.2013)

Widerspruch aus der Wissenschaft

Die Angst vor der „asiatischen Gefahr“ (Tagesspiegel, 05.07.2008) ist in der deutschen Presselandschaft nicht tot zu bekommen – obwohl seriöse Wissenschaftler*innen längst widersprechen. So veröffentlichte das Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen eine Studie, wonach es keine Anzeichen für eine Ausrottung heimischer Marienkäfer durch die hierzulande neue Art gibt. ((Vgl. http://umwelt.scienceticker.info/2013/06/10/entwarnung-asiatischer-marienkaefer-wird-keine-plage/)) Im Gegenteil zeige sich der traditionelle Siebenpunkt-Marienkäfer „sehr konkurrenzstark“. Er sei bei uns nach wie vor stark verbreitet, und inzwischen sogar in Nordamerika selbst eine „invasive Art“. Dass der angeblich so bedrohte deutsche Marienkäfer sich gerade in den USA ausbreitet, darüber lesen wir in den Medien kaum etwas – weil die Geschichte längst nicht so passgenau an gesellschaftlich verbreitete rassistische Ängste anschließt wie die Story über den ausländischen Killer-Käfer, der angeblich Deutschland überfällt.

Auch der Naturschutzbund Deutschland (NABU) betont mit Verweis auf die Forschungsergebnisse, dass es keinesfalls eine Gefahr gibt, dass asiatische Marienkäfer einheimische Arten verdrängt. ((Vgl. http://www.nabu.de/tiereundpflanzen/insektenundspinnen/kaefer/marienkaefer/15873.html.))

Ähnlich sieht es mit dem aus Amerika stammenden Waschbär aus, der sich seit Jahrzehnten in deutschen Großstädten breit macht, und dem nachgesagt wird, er würde die einheimische Vogelwelt bedrohen. Diesen Medienberichten zum Trotz gibt es keine einzige Vogelart, die durch das Auftreten von Waschbären ausgestorben ist. Auch der ursprünglich aus Osteuropa stammende Marderhund, der sich inzwischen in deutschen Wäldern vermehrt, fügt sich allen anderslautenden Befürchtungen zum Trotz in eine ökologische Nische ein, die in Mitteleuropa seit dem Artensterben in der letzten Eiszeit unbesetzt ist. Ähnlich sieht es mit den aus Afrika und Asien stammenden Halsbandsittichen aus, die sich entlang des Rheins ausbreiten.

Von 60.000 Tierarten in Deutschland sind nur rund 300 Neozoen, gerade einmal 20 schätzen Expert*innen als problematisch ein. Wie die extrem rechte Angst vor einer angeblichen „Ausländerschwemme“ entpuppt sich die medial behauptete Bedrohung durch fremdländische Tierarten damit von absoluten Ausnahmen abgesehen als mediale Luftnummer. Das hat diese Berichterstattung mit dem besonders skurrilen Rassismusvorwurf gegen Krähen und Möwen auf SPON gemein. Aber noch etwas ist ihnen gemeinsam: Unter dem Deckmantel der Berichterstattung über Tiere verbreiten sie Vorstellungen, die auch rassistischen Fremdheitsvorstellungen gegen Menschen Tür und Tor öffnen, und zum Teil sogar zustimmend auf sie anspielen. Ein verantwortungsvoller Journalismus sieht anders aus.