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„Wir sind Rheinhausen!“

Versuch einer Topografie der rassistischen Stimmung gegen Zuwanderinnen und Zuwanderer in Duisburg. Von Bente Gießelmann, erschienen im DISS-Journal 26 (2013) (( Eine leicht veränderte Fassung dieses Artikels wird in der ZAG 65 (2013) erscheinen.))

Seit 2011 wird in Duisburg über die Zuwanderung von EU-Bürger_innen aus Rumänien und Bulgarien diskutiert. Zum medialen Symbol der „Armutszuwanderung“ aus Osteuropa und damit auch zum Ort rassistischer Kundgebungen ist dabei ein vorwiegend von Zuwander_innen bewohntes Hochhaus in Duisburg-Bergheim (‚In den Peschen‘) geworden. Trotz des deeskalierenden Engagements einiger Initiativen hat sich die von Beginn an polarisierende, ausgrenzende Situation seit Anfang August weiter zugespitzt, und es ist eine gewaltbereite rassistische Stimmung gegen die Zugewanderten, von denen viele Roma sind, entstanden. Bundesweite Beachtung fanden bisher nur wenige Ereignisse, darunter auf Facebook gepostete Morddrohungen im August und ein Brand in einem von Roma bewohnten Mehrfamilienhaus im Oktober 2013. Eine Betrachtung der an dieser Gemengelage beteiligten Gruppen offenbart eine rassistische Dynamik, die zumindest teilweise Parallelen zu den Ereignissen von 1992 in Rostock-Lichtenhagen erkennen lässt.

Seit 2011 werden die Bilder des Konfliktes zwischen „besorgten“ Duisburger Bürger_innen und „ungehemmt zuwandernden“ Roma aus Rumänien und Bulgarien vor allem auch in den regionalen und lokalen Medien inszeniert. Der mediale Blick der regionalen Presse ist dabei fast ausschließlich auf Berichte über Kriminalität, Verwahrlosung, Müll und Überlastung der Wohnungen gerichtet und darauf, was die Stadt Duisburg in dieser Situation tun kann und will. Die ausgesprochen prekäre Wohnungssituation ‚In den Peschen‘ und in anderen Häusern stellt die Mehrzahl der Berichte in den Kontext „kultureller Andersartigkeit“ der Bewohner_innen, die zur „Vermüllung“ und „Verwahrlosung“ neigten. ((Vgl. dazu die Medienanalyse von Alexandra Graevskaia im DISS-Journal 25 (2013), in der sie die Lokalpresse von April 2008 bis Dezember 2012 untersuchte. http://www.diss-duisburg.de/2013/07/die-machen-unser-schones-viertel-kaputt/. )) „Ein Haus voller Straftäter“ titelte zum Beispiel die lokale WAZ am 3.12.2012 und machte damit alle Bewohner_innen des Hauses ‚In den Peschen‘ zu Kriminellen. Die mediale Wirkung einer solchen pauschalen Kriminalisierung ist nicht zu unterschätzen.

„2974 Tatverdächtige“

Diese Sichtweise wird zu einem Teil auch durch das Handeln der Duisburger Polizei erzeugt. Sie spielt als medialer Akteur eine wichtige Rolle bei der Formulierung von statistischen Kriminalitätsvorkommen und Bedrohungsszenarien im Stadtteil. Bereits im November 2012 fand eine Großrazzia im „Problemhaus“ statt, bei der jedoch weder Einbrecher noch Diebesgut gefunden wurden – das Narrativ der mutmaßlichen Straftäter_innen hielt sich allerdings weiter. Im August 2013 spricht Polizeisprecher Ramon van der Maat dann von „2974 Tatverdächtigen“, die in den letzten Jahren nach Duisburg gekommen seien und denen die Polizei mittels „extensiver Ausnutzung polizeilicher Standardmaßnahmen“ begegne. Die „Kriminalität der Zugewanderten“, die die Duisburger Polizei wiederholt mit einem statistischen Anstieg der Kriminalität und ihrer eindeutigen Verortung in bestimmten Stadtteilen zu beweisen versucht, wird so langsam zu einem scheinbar gesicherten Faktum, welches sich Medien, Polizei und Anwohner_innen gegenseitig herumreichen.

Das Vorgehen und Verhalten der Duisburger Polizei muss dabei als Ausdruck eines institutionellen Rassismus bewertet werden. Wenn die Polizei als Teil der Exekutive die Öffentlichkeit mit solchen „Fakten“ versorgt, wirken diese als Legitimation dafür, die Zuwander_innen abzulehnen und ggfl. gegen sie vorzugehen. Für die Bewohner_innen des Hauses ‚In den Peschen‘ bedeuten sie nicht nur fehlende Zusicherung des Schutzes vor Übergriffen durch die Polizei, sondern führen darüberhinaus zur massiven Repression.

Kritische Beobachter_innen aus Duisburg vermuten, dass auch durch solche Verlautbarungen der Polizei auf einer facebook-Seite Morddrohungen gegenüber den Bewohner_innen des Hauses ‚In den Peschen‘ auftauchten. Als nach solchen Mordaufrufen Neonazis am Haus vorbeifuhren und Bewohner_innen bedrohten, reagierte die Polizei erst nach mehreren Anrufen. Und trotz der Forderungen von Unterstützer_innen, die daraufhin Nachtwachen zum Schutz der Bewohner_innen organisierten, sowie engagierter Menschen aus Politik und Kirche verweigert die Polizei bis heute die Bereitstellung einer permanenten Streife und glaubt, mit einer stichprobenartigen Patrouille an dem Haus sei ausreichender Schutz gewährleistet.

Dass es handfeste Bedrohungssituationen für als „Rumänen oder Bulgaren“ wahrgenommene Menschen auf den Straßen in Duisburg gibt, zeigen Übergriffe gegen Zuwander_innen, ungeklärte Brände in Hauskellern sowie im Oktober ein Brand in einem Mehrfamilienhaus, bei dem die Polizei von Brandstiftung ausgeht. Der Aufruf beziehungsweise die Ankündigung, bei weiterer „Untätigkeit der Politik“, das „Problem selbst in die Hand zu nehmen“ ist nicht neu. Physische Gewalt gegen Roma sowie konkret Brandstiftung wurden beispielsweise auf der Facebook-Seite ‚In den Peschen 3-5‘ gefordert und befürwortet. Unter Androhung von Gewalt wird in einem früheren, auf Facebook veröffentlichten Brief an den Oberbürgermeister Sören Link verlangt, die Migration von „Sintis und Romas“ [sic!] nach Duisburg-Neumühl zu verhindern. Die Polizei ermittelt nach der vermuteten Brandstiftung „wie üblich in alle Richtungen“.

Die Mitte der Ränder

Auch ein Teil der Duisburger Bevölkerung und Anwohner_innen trägt massiv zur Verschärfung der Konflikte und zur Aufladung eines rassistischen Klimas im Stadtteil bei. In Versammlungen „aufgebrachter Bürger_innen“ protestierten sie gegen die Zuwanderung und spendeten Beifall für Pro-NRW, die aus der Situation in Duisburg politisches Kapital zu schlagen versuchen. Sie firmieren und positionieren sich politisch als „die Mitte“. In einem TV-Beitrag der WDR-Lokalzeit (17.8.2013) treten zwei der Gründer_innen der o.g. Facebook-Gruppe auf. In der Diskussion um die dort mehrfach formulierte Äußerung, man solle auf der Straße „für Roma nicht [..] bremsen“, mischen sich während des Interviews weitere Mitstreiter_innen aus dem Hintergrund ein: „Sowas würden wir nicht, möchten wir nicht, wir sind nicht rechts, wir sind nicht links, wir sind die Mitte.“ ((Die Einträge auf der Facebook-Seite wurden erst nach Bekanntwerden staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gelöscht.))

Diese „Mitte“ inszeniert sich als Gesamtheit der Bürger_innen aus Duisburg-Rheinhausen, die nicht rassistisch sei, sich aber gegen Vermüllung und Kriminalität im Stadtteil wendet. Sie fordert ein konsequentes Handeln und politische Lösungen von der angeblich untätigen Politik und ist bereit, notfalls selbst „die Dinge in die Hand zu nehmen“. Auf einem Flyer zu einer Demonstration in Rheinhausen am 5. Oktober 2013 wird dies folgendermaßen formuliert: „Wir rufen auf zu einer Demonstration gegen die duisburger [sic!] Behörden, welche untätig zusehen, wie Kriminalität und Vermüllung in unserer Stadt die Ruhe der Bürger stört. Wir laden alle besorgten Mitbürger zu unserer Demonstration ein […]“. Auf einem im Gruselfilm-Layout gehaltenen Flyer ist eine Person mit Krawatte zu sehen, die sich die Augen zuhält. In den über ihr dunkel bewölkten Himmel ragt das Haus ‚In den Peschen 3-5‘ auf. Dies verdeutlicht, dass sich die Demonstration neben der „untätigen Politik“ wesentlich gegen die Zugewanderten richtet. Bei dieser Kundgebung entlud sich massive rassistische Hetze, Kritiker_innen dieser Hetze wurden körperlich angegangen und nicht wenige Teilnehmer_innen jubelten später der rechtspopulistischen Partei Pro-NRW zu, die am selben Tag gleichfalls in Rheinhausen auftrat. ((So war es in der WAZ vom 6.10. nachzulesen, die davon berichtete, dass die Kundgebung „aus dem Ruder“ lief.))

Auch wenn, bedingt durch antiziganistische Ressentiments, vor allem Zugewanderte aus Rumänien und Bulgarien im Fokus der wütenden Bürger_innen stehen, geht es auch in anderen Stadtteilen in Duisburg wie etwa Neumühl auch um Asylbewerber_innen. Nach Bekanntwerden der Planung einer Unterkunft für Asylbewerber_innen in einem ehemaligen Krankenhaus versammelten sich 200 Protestierende vor dem mit rechten Parolen beschmierten Gebäude, um die städtische Ortsbegehung zu verhindern, und skandierten: „Kein Asyl in Neumühl!“.

Rufe nach „der Politik“ gehen einher mit Bildern des „Untergangs“ der von Zuwanderung „bedrohten“ Stadtteile: Getragen wird der Diskurs um Zuwanderung in Duisburg auch wesentlich vom Argument einer Stadtteilabwertung – und damit von Vermieter_innen und Hauseigentümer_innen, die ein Untergangsszenario ihres Stadtteils „vorhersagen“: „Wenn es hier nicht gelingt, die Roma-Zuwanderung zu stoppen, wird der Stadtteil völlig zerstört“ und „Die guten Mieter ziehen mir aus, weil die Roma die Straße vermüllen“, zitiert die WAZ am 12. Oktober 2013.

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Und was tut die Stadt Duisburg? Sie setzt politisch auf Integration der Zugewanderten, verweist jedoch gebetsmühlenartig auch darauf, dass dieses Problem die finanzielle Situation der Stadt übersteige, und fordert vom Bund und der EU entsprechende Unterstützung. Dazu bedient sie sich der im Zuwanderungsdiskurs bekannten Einteilung in gute, integrationswillige Zuwanderer_innen und jene, die kriminell seien oder „Asylmissbrauch“ betreiben würden.

Den in der Stadt aufkeimenden und artikulierten Rassismus und Antiziganismus sieht sie weitgehend als ein externes Problem, wie dies z.B. Oberbürgermeister Sören Link bei einer Gegenkundgebung zur Tour von Pro-Deutschland Ende August 2013 betonte.

Als es bei einer Bürgerversammlung im August zu Auseinandersetzungen zwischen lokalen Neonazis und kritischen Beobachter_innen kam, in deren Folge Unterstützer_innen der Nachtwache vor dem Haus ‚In den Peschen‘ wie auch andere Personen aus linken Zusammenhängen als „linke Krawalltouristen“ bezeichnet wurden, diente dieser Vorfall zur Abgrenzung von rechten wie linken Extremist_innen und Unruhestifter_innen als von außen kommend, die das einige und friedliche Duisburg störten. Rassistisches Denken und Handeln der Bewohner_innen wird damit übersehen, und es wird  versucht, ein von außen bedrohtes harmonisches Miteinander einer „Gemeinschaft der Duisburger Bürger_innen“ zu inszenieren. Im Resultat wird damit vorhandender Rassismus jedoch normalisiert. Diejenigen, die Rassismus benennen, werden zu „Stimmungsmachern“. „Die Mitte“ ist und soll unverdächtig bleiben. Es bleibt abzuwarten, ob die Stadt ihre Strategie nach der Kundgebung Anfang Oktober, bei der nicht wenige Anwohner_innen wiederholt und offensichtlich Sympathien für extrem rechte Parolen zeigten, ändern wird.

Warnungen vor einer Eskalation gibt es genügend. Antirassistisch engagierte Personen oder Initiativen aus Duisburg weisen auf die pogromartige Stimmung hin, die vor allem in medialen Diskussionen und dem Zuspruch zu Kundgebungen rechtspopulistischer Parteien wie Pro-NRW sichtbar wird. Neonazis und rechte Parteien greifen bestehende Diskurse auf: Im Mai veranstaltete die NPD eine Kundgebung in Rheinhausen unter dem Motto „Zigeunerflut stoppen, Asylmissbrauch bekämpfen“. Pro-NRW machte im Rahmen einer Demo-Tour durch NRW neben Asylbewerber_innen-Unterkünften auch vor dem „Problemhaus“ in Rheinhausen halt, ebenso wie Pro-Deutschland dort auf der Wahlkampftour eine Kundgebung organisierte.

Bei der Bundestagswahl im Oktober erhielt die NPD in Duisburg fast 5% der Erststimmen, auch die Zustimmung zu kleineren rechten Parteien ist im Bundesvergleich unverhältnismäßig hoch.

Vieles aus Duisburg erinnert an die rassistisch aufgeladene Stimmung und Dynamiken der 1990er Jahre. Parallelen gibt es viele – von Mediendiskursen, die rassistische Sichtweisen vom „Problemhaus“ und „Klaukids“ etablieren, bis zu gewaltbereiten Bürger_innen, deren Aussage „Wir wollen kein zweites Rostock-Lichtenhagen“ nur als Drohung verstanden werden kann. Dennoch ist die politische Gesamtsituation heute eine andere, nicht zuletzt, weil ein anderer Teil der politischen Akteure und Zivilgesellschaft sich für eine Integration der Zugewanderten stark macht und sich gegen Rassismus wendet. ((Vgl. hierzu die „Neumühler Erklärung“, in der sich Bürger_innen für ein „tolerantes Miteinander“ einsetzen, unter: http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/nord/der-wortlaut-der-neumuehler-erklaerung-aimp-id8626206.html [5.11.2013].)) Allerdings: Die Verschiebung einer zunächst antiziganistisch geprägten Hetze zur Mobilisierung auch gegen Asylbewerber_innen und „Zuwanderer“ im Allgemeinen ist u.a. aus Rostock-Lichtenhagen bekannt. Sie zeigt, wie anschlussfähig antiziganistische Diskurse sind und wie sie rassistisches Sprechen und Handeln legitimieren und normalisieren. In der Vermischung mit anderen (etablierten) rassistischen Diskursen liegen bestimmte Deutungsmuster bereits vor und bilden in Duisburg derzeit die Grundlage einer rassistischen Stimmung aus der “Mitte der Gesellschaft”.

Bente Gießelmann ist Mitarbeiterin des DISS und arbeitet im Projekt „Spurensuche. Zu Erinnerungsarbeit an den Völkermord an Sinti und Roma“ mit.

 

P.S. Zum Thema Antiziganismus in Duisburg sind auf der Website des DISS mehrere Online-Broschüren kostenlos abrufbar:

AK Antiziganismus im DISS (HG.): Stimmungsmache. Extreme Rechte und antiziganistische Stimmungsmache. Analyse und Gefahreneinschätzung am Beispiel Duisburg. Veröffentlicht als kostenlose Online-Broschüre im März 2015.

Martin Dietzsch, Bente Giesselmann und Iris Tonks: Spurensuche zur Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma in Duisburg. Eine Handreichung für die politische Bildung. Veröffentlicht als kostenlose Online-Broschüre im Juni 2014.

Bente Gießelmann: Differenzproduktion und Rassismus. Diskursive Muster und narrative Strategien in Alltagsdiskursen um Zuwanderung am Beispiel Duisburg-Hochfeld. Bachelorarbeit, veröffentlicht im August 2013.