- Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung - https://www.diss-duisburg.de -

Der Bundestagswahlkampf der NPD 2013…

…im Kontext bürgerlicher Proteste

Von Benjamin Kerst, erschienen im DISS-Journal 26 (2013)

In der Deutschen Stimme, dem Leitorgan der NPD, ließ der derzeitige Parteivorsitzende Holger Apfel bezüglich des Bundestagswahlkampfes 2013 verlauten:  Es sei wichtig, vor den „Schaltzentren der Überfremdung Zeichen zu setzen: Also vor Moscheen und Asylantenheimen.“ (Deutsche Stimme 09/2013, 2) Es gelte zu zeigen, dass die NPD im „Kampf gegen Islamisierung, Ausländerkriminalität, Asylantenflut und Lohndrückerei, euphemistisch auch »Arbeitsmigration« genannt“ das Original sei. (Ebd.)

Diese besondere Fokussierung der NPD auf rassistische, menschenverachtende Hetze und Ressentiments, bei teilweiser Vernachlässigung anderer Themen, wie etwa der Eurofeindlichkeit, war vermutlich zwei wesentlichen Umständen geschuldet.

Zum einen wurde der NPD ihre Euro-feindliche Linie von der neu gegründeten AfD streitig gemacht, die von Anfang an auf breiteren Wahlerfolg hoffen durfte. Zum anderen gab es in mehreren deutschen Städten – besonders in Duisburg und Berlin – über längere Zeiträume massive und von Rassismen durchzogene Proteste von Bürger_innen gegen Zuwander_innen aus Südosteuropa (Duisburg), die zumeist als Roma wahrgenommen wurden, und Flüchtlingen (Berlin), unter anderem aus Syrien und Afghanistan. Als im August 2013 in einer Facebookgruppe zum Mord gegen die südosteuropäischen Bewohner_innen eines überregional bekannt gewordenen Hochhauses – das von den Medien so genannte „Problemhaus“ – in Duisburg-Rheinhausen aufgerufen wurde, fanden die Proteste ihren vorläufigen Höhepunkt. Zu dieser Zeit war die Befürchtung, es bald mit einem zweiten Rostock-Lichtenhagen tun haben zu können, durchaus begründet. (( Vgl. dazu auch die Presseerklärung des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung http://www.diss-duisburg.de/2013/11/die-ereignisse-erinnern-fatal-an-die-rassistische-pogromstimmung-von-anfang-der-1990er-jahre/.))

In Duisburg-Neumühl sah die Politik im September 2013 davon ab, zu prüfen, ob Asylbewerber_innen in einem leerstehenden Krankenhaus untergebracht werden können, weil rund 200 Bürger_innen dagegen protestierten und rechte Parolen an die Hauswände geschmiert wurden. ((Vgl. http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/200-protestler-gegen-asylbewerberheim-im-st-barbara-hospital-id8435818.html [05.11.2013].)) In Berlin-Hellersdorf gab es im Sommer sich über mehrere Wochen hinziehende massive Proteste von Bürger_innen, die ihren rassistisch aufgeladenen Unmut unter anderem auf Kundgebungen, Flugblättern und auf Facebook bekundeten. ((Allerdings gab es auch viele Bürger_innen, die sich für die Flüchtlinge und Zuwander_innen stark machten und da, wo die extreme Rechte auftauchten, oftmals große Gegenproteste organisierten.))

Flankiert und angefeuert wurden die hochkochenden Proteste maßgeblich auch von den regionalen und überregionalen Medien, die über die von ihnen so genannten „Armutsflüchtlinge“ größtenteils auf stereotype Weise berichteten und dabei an antiziganistische Diskurse angeknüpften. ((Vgl. hierzu die im DISS Journal 25 (2013) veröffentlichte Medienanalyse von Alexandra Graevskaia https://www.diss-duisburg.de/2013/07/die-machen-unser-schones-viertel-kaputt/; eine ausführliche Darstellung erscheint in: H. Kellershohn / J. Paul (Hg.): Der Kampf um Räume. Neoliberale und extrem rechte Konzepte von Hegemonie und Expansion, Münster: Unrast, 75-111.)) Auch die Politik trug ihren Teil zur Verschärfung der Situation bei. So warf etwa der derzeitige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich 2012 Flüchtlingen aus Serbien und Mazedonien Asylmissbrauch und im 2013 den EU-Bürger_innen aus Bulgarien und Rumänien Missbrauch von Sozialleistungen vor. ((Vgl. http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/serben-und-mazedonier-friedrich-will-asylmissbrauch-stoppen/7247248.html [05.11.2013] / Vgl.http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/streit-ueber-zuwanderung-was-minister-friedrich-auf-links-kritik-antwortet-id8051194.html [05.11.2013]. Unbeeindruckt vom Flüchtlingsunglück vor Lampedusa im Oktober 2013 hetzt Friedrich weiter und fordert die EU auf, hart gegen die „Armutseinwanderung“ aus Bulgarien und Rumänien vorzugehen. Vgl. hierzu: www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/thema_nt/article120718640/Friedrich-fordert-hartes-Vorgehen-gegen-Armutseinwanderer.html [05.11.2013]. sowie http://www.disskursiv.de/2013/10/14/die-scharfmacher/ [05.11.2013].)) Für die NPD, die die Bundestagswahl fest im Blick hatte, war diese Verschränkung und Normalisierung von rassistischen und hetzerischen Alltags-, Medien- und Politikdiskursen ein guter Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für ihre populistische Agitation.

So versuchten NPD-Mitglieder die Proteste in Berlin-Hellersdorf in Richtung Eskalation zu beeinflussen. ((http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2013/08/10/hitlergruse-und-rechte-parolen-in-hellersdorf-nach-aufmarsch-gegen-asylunterkunft_13730 [05.11.2013].)) Die Route der von der NPD veranstalteten „Deutschlandfahrt“, bei der in verschiedenen Städten für Kundgebungen haltgemacht wurde, wurde eigens geändert, um mehrere Male Berlin-Hellersdorf anfahren zu können. ((Vgl. http://www.taz.de/!122475/ [05.11.2013].))  Ebenso wurde in Duisburg Halt gemacht. Hier wie dort waren, neben Euro-feindlichen Tönen, die Hauptthemen: ‚Gefährdung der inneren Sicherheit‘, ‚Ausländerkriminalität‘, ‚Massenzuwanderung‘, ‚Überfremdung‘, ‚Asylbetrug‘, die ‚Milliardenkosten der Einwanderung‘. Motto: „Heimat bewahren – Einwanderung stoppen!“.  Auf Wahlplakaten, Flugblättern und Aufklebern der NPD waren neben Euro-feindlichen vor allem auch antiziganistische, islamfeindliche und rassistische Slogans wie „Maria statt Scharia“, „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“, „Sicher Leben! Asylflut stoppen!“ zu lesen. ((Zu weiteren rassistischen Provokationen im NPD-Bundestagswahlkampfs 2013 vgl. http://www.endstation-rechts.de/news/kategorie/bundespartei/artikel/npd-krawall-wahlkampf-ohne-programm.html [05.11.2013].))

In Anbetracht dessen wurde Holger Apfel seiner in der Deutschen Stimme gegebenen Ankündigung gerecht. Brachte diese Art von Wahlkampf, der eine Reihe von Strafanzeigen nach sich zog, aber auch den gewünschten Erfolg? Konnte die „Moslem- und Asylanten-Schelte“, wie Jürgen Gansel, gerade sächsischer Landtagsabgeordneter der NPD, mutmaßte, tatsächlich zum „Türöffner für die viel weitergehende Ausländerkritik der nationalen Opposition – und zum Wahlerfolg werden“? (Deutsche Stimme 12/2012, 1)

Einerseits nein. Die NPD konnte bundesweit 1,3 Prozent der Zweitstimmen für sich gewinnen, was einen Stimmenverlust von 0,2 Prozent im Vergleich zu den vergangenen Bundestagswahlen bedeutete. In den eigentlichen NPD-Hochburgen wie Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern hatte die NPD zum Teil hohe Verluste zu verzeichnen. ((Zu den Wahlergebnissen der extrem rechten Parteien vgl. auch http://www.endstation-rechts.de/news/kategorie/bundespartei/artikel/bundestagswahl-npd-verliert-afd-stark-in-npd-hochburgen.html [05.11.2013]. Zum Wahlerfolg der AfD sei auf den Kommentar von Alexander Häusler in diesem DISS-Journal hingewiesen.)) Insofern scheint die NPD lediglich ihr Stammwählerpotenzial mobilisiert zu haben, ((Vgl. http://www.publikative.org/2013/09/23/die-wahlergebnisse-am-rechten-rand-stabil-im-keller/ [05.11.2013].)) womit sie immerhin ihre Finanzierung sichern konnte. Andererseits konnte die NPD bezeichnenderweise gerade im Wahlkreis Berlin Marzahn-Hellersdorf ein Ergebnis von 3,9 Prozent Zweitstimmen einfahren und in einem Wahllokal, nah an dem besagten Flüchtlingsheim, sogar ein Ergebnis von 10,4 Prozent. ((Vgl. http://www.berliner-zeitung.de/bundestagswahl-2013/protestwahl-in-hellersdorf-rechte-parolen-haben-gewirkt,20889098,24409546.html [05.11.2013])) Ebenso alarmierend war das Wahlergebnis der NPD in Duisburg. Hier konnten insgesamt 2,8% der Zweitstimmen erreicht werden – das beste Ergebnis der NPD in Westdeutschland. ((Vgl. http://vis.uell.net/btw/13/atlas.html [05.11.2013])) Im Stimmbezirk Duisburg-Rheinhausen konnte die NPD für sich 4,95% der Zweit- und sogar 10,85% der Erststimmen verzeichnen. ((Vgl. http://akduell.de/2013/09/so-waehlten-duisburg-und-essen/ [05.11.2013]. In diesen Bezirken hatte auch Pro Deutschland sehr gute Wahlergebnisse zu verzeichnen (vgl. http://vis.uell.net/btw/13/atlas.html [05.11.2013]). Von Seiten Pro Deutschlands kam es sowohl in Berlin-Hellersdorf als auch in Duisburg-Rheinhausen  wiederholt zu Kundgebungen.))http://vis.uell.net/btw/13/atlas.html [05.11.2013]. In diesen Bezirken hatte auch Pro Deutschland sehr gute Wahlergebnisse zu verzeichnen (vgl. http://vis.uell.net/btw/13/atlas.html [05.11.2013]). Von Seiten Pro Deutschlands kam es sowohl in Berlin-Hellersdorf als auch in Duisburg-Rheinhausen  wiederholt zu Kundgebungen.))

Das gute Wahlergebnis der NPD in Städten und Bezirken wie Berlin-Hellersdorf und Duisburg (Rheinhausen) kann somit durchaus als Indikator dafür dienen, dass es der NPD (aber auch Pro Deutschland) gelang, die negative Stimmungen, die Ängste und Vorbehalte von Seiten der Mehrheitsgesellschaft gegen Flüchtlinge und Zuwander_innen weiter zu schüren und für sich zu nutzen. Grund dafür ist aber vor allem auch die Tatsache, dass es auch ohne das Zutun der NPD und anderer extrem rechter Gruppierungen große Ressentiments gegenüber Minderheiten in der „Mitte“ der Gesellschaft gibt. An diese Ressentiments, die bereits ihren Platz in der deutschen Normalität gefunden haben, konnte die NPD – zumindest partiell – anknüpfen. So stellt sich zuletzt die Frage, ob die Hetze der NPD gegen Flüchtlinge und Zuwander_innen – zumindest da, wo die Wahlergebnisse so hoch waren – tatsächlich eine Türöffnerfunktion hatte oder ob die Tür nicht vielmehr schon offen stand.

Benjamin Kerst studiert in Konstanz Philosophie und Soziologie. 2013 hat er im DISS ein Praktikum absolviert. Seitdem arbeitet er im AK Antiziganismus und im AK Rechts des DISS mit.