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Konstruktionen für den Krieg?

Eine Rezension von Andrea Nachtigall. Erschienen in DISS-Journal 23 (2012), 61-62

Torsten Bewernitz untersucht die Darstellungen von „Nation“ und „Geschlecht“ innerhalb der printmedialen Berichterstattung über die kriegerischen Ereignisse im Kosovo im Jahr 1999. Dabei verweist die Titel-Frage bereits auf eine spezifische Funktion, die mit den Darstellungsmustern einhergehen kann. Bestimmte Vorstellungen und Konstruktionen von Nationalität und Geschlechterverhältnissen beeinflussen und lenken die Wahrnehmung des Kriegsgeschehens insgesamt. Sie können dazu beitragen, kriegerisches Handeln plausibel zu machen, zu begründen oder zu legitimieren – und müssen in diesem Sinne als ‚Konstruktionen für den Krieg’ bezeichnet werden, insbesondere dann, wenn sie sich in politischen Handlungen manifestieren. Denn, so fragt Bewernitz weiter: „Wie wirkt sich die Konstruktion von Identitäten auf gesellschaftliches Handeln und das konkrete Handeln politischer Akteure aus?“ (17).

Torsten Bewernitz liegt mit seiner Publikation voll im Trend. Seit geraumer Zeit lässt sich endlich auch hierzulande, z.B. innerhalb der interdisziplinären Friedens- und Konfliktforschung, ein verstärktes wissenschaftliches Interesse an den Zusammenhängen von Krieg, Frieden und Geschlechterverhältnissen (sowie ihren Medialisierungen) beobachten. Doch Jubel wäre verfrüht; Bewernitz’ Analyse ist längst überfällig, und auch bei zunehmender Öffnung der Politik- und Sozialwissenschaften gegenüber feministischen und geschlechterbezogenen Ansätzen, kann von einer Anerkennung noch keine Rede sein. Besonders wenn es um die ‚großen Themen’ der internationalen Politik wie Krieg und das Militärische geht, erscheint Geschlecht als Analysekategorie allzu häufig irrelevant.

Bewernitz erbringt mit seiner Arbeit den Gegenbeweis und arbeitet überzeugend heraus, dass geschlechtliche – und nationale – Identitätskonstruktionen in der Berichterstattung über den Kosovo-Konflikt eine zentrale Rolle spielen. Die Analyse bewegt sich dabei auf der Ebene sprachlich verfasster (Medien-)Diskurse, die mit Michel Foucault als machtvolle, wirklichkeitskonstituierende Praktiken verstanden werden, die ein spezifisches Feld des Sagbaren (und damit auch des Machbaren im Sinne bestimmter Handlungsoptionen) abstecken. Methodisch folgt der Autor dabei dem Ansatz der „Kritischen Diskursanalyse“ des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung.

Zu den zentralen Ergebnissen der Untersuchung gehört der Nachweis, dass die mediale Vermittlung des Kosovo-Konflikts sehr stark durch die Konstruktion und Essentialisierung ethnischer und nationaler Identitäten – ‚die Serben’, ‚die Albaner’, ‚die Europäer’, ‚die USA’ etc. – geprägt war. Dabei wurde die Vorstellung einer prinzipiellen Unvereinbarkeit der Kulturen zugrunde gelegt, die, so die neo-rassistische Argumentationslogik, nahezu zwangsläufig zu Konflikten führt: „Sämtliche Medien benennen eine spezifisch balkanische multiethnische Zusammensetzung als Letztbegründung des 1999 aktuellen Konflikts.“ (257). Die diskursive Ethnisierung des Konflikts korrespondierte wiederum mit der Konstruktion entsprechender Freund- und Feindbilder, bei der es zu einer eindeutigen „Serbisierung der Täter“ (260) kam.

Im Gegenzug – und das ist ein weiteres zentrales Ergebnis der Analyse – wurde in den Medien eine neue europäische Kollektividentität entworfen, die sich nicht nur in Abgrenzung von ‚den Osteuropäern’, sondern vor allem von den vermeintlich bellizistischen USA definierte und als überlegen imaginierte. Parallel dazu kam es zur Neuformulierung einer spezifisch ‚deutschen Identität’, die mit einer folgenschweren Verschiebung des Sagbarkeitsfeldes in Bezug auf deutsche Auslandseinsätze und Kriegsführung einherging. So wurde der lange Zeit gültige Konsens „Nie wieder Krieg!“ zu „Nie wieder Auschwitz!“ hin umgedeutet – wie es z.B. Joschka Fischer vorgemacht hatte – verbunden mit einem moralischen Impetus, der paradoxerweise gerade für einen Krieg (zur Verhinderung eines ‚zweiten Auschwitz’ bzw. einer ‚humanitären Katastrophe’) spricht.

Eindrücklich zeigt Bewernitz, wie sich die neue deutsche Identität als prinzipiell kriegsfern und unmilitaristisch, geradezu ‚pazifistisch’ generierte. Deutschland führt zwar wieder Krieg – bei der Beteiligung am NATO-Einsatz im Kosovo handelt es sich um den ersten militärischen Auslandseinsatz der Bundeswehr nach 1945 –, aber vermeintlich nur ‚schweren Herzens’ und gepaart mit gehörigen Zweifeln. Die Analyse stimmt nachdenklich, sie zeigt, dass „pazifistische Identitäten“ nicht etwa den Krieg verhindert haben, sondern „geradezu notwendig waren für die Legitimierung des Krieges“ (293). Sie verhalfen der Konstruktion Deutschlands als ‚geläuterter Nation’, die vermeintlich die richtigen Lehren aus der ‚unheilvollen Vergangenheit’ gezogen hat, zu besonderer Glaubwürdigkeit.

Auch in puncto Geschlechterkonstruktionen hat die Arbeit Spannendes zu bieten. Besonders lesenswert sind die Ausführungen zur Darstellung des deutschen Soldaten samt ihrer geschlechtlichen Implikationen; oder auch die Herausarbeitung der weiblichen Figuren wie der „kleinen Albernite“ (236). Anschaulich zeigt Bewernitz, wie das kleine Mädchen in der Bild-Zeitung als ‚prototypisches Opfer’ und Identifikationsfigur aufgebaut wurde, so dass sich im weiteren Verlauf die Bild-Zeitung und mit ihr alle ihre Leserinnen als Retterin des Mädchens imaginieren konnten. Zugleich „erklärt“ die medienwirksam in Szene gesetzte ‚Rettungsmission’ der kleinen Albernite „die vermeintliche ‚Sinnhaftigkeit’ des ersten bundesdeutschen Militäreinsatzes“ (239).

Während die Figur der „Kleinen Schwester“ (236), wie Bewernitz diese typische Art der Darstellung von Mädchen in der Kosovo-Berichterstattung nennt, der klassischen Rolle von Frauen als Opfer und zu Beschützende (nicht nur) in Kriegskontexten geradezu par excellence entspricht, konstatiert er für das Soldaten-Bild einen grundlegenden Wandel: Der deutsche Soldat im Kosovo-Einsatz ist kein Krieger im traditionellen Sinne, sondern ein „große[r], kumpelhafte[r] Bruder“ mit „pädagogische[m] Auftrag“ (206), ein geradezu unsoldatischer Freund und Helfer.

Auch in Bezug auf die analysierten Politiker-Figuren deuten sich Variationen und Veränderungen an: Während US-Präsident William Clinton als „Billy-Boy“ bespöttelt wird, der nicht aus politischen, sondern vielmehr aus emotionalen und sogar sexuellen Gründen handelt, z.B. um von seiner „Sexaffäre“ abzulenken, und der damit insgesamt als ‚verweichlicht’ und ‚verweiblicht’ dargestellt wird (219), wird die US-Außenministerin Madeleine Albright als kämpferisches und Ton angebendes „Mannsweib“ präsentiert, der es an ‚Weiblichkeit’ angeblich mangele (227). Aber auch die Darstellungen der führenden deutschen Politiker – Joseph Fischer, Rudolf Scharping, Gerhard Schröder – beinhalten neben dem Verweis auf eine ausgeprägte Ratio ebenso emotionale Aspekte. Anders als bei Clinton haben diese an dieser Stelle eine positive Funktion, denn der diskursive Bezug auf „ethische Emotionalität“ (277) und individuellen Erfahrungshintergrund verleiht den deutschen Politikern eine besondere moralische Urteilsfähigkeit und Besonnenheit. Durch die Einbeziehung traditionell weiblich kodierter Emotionalität in die Männlichkeit des Politikers deutet sich nach Meinung des Autors ein qualitativer Wandel des klassischen Bilds des Staatsmannes an, der sich früher noch über eine ausgeprägte Rationalität und den Ausschluss alles Emotionalen definierte.

Deutlich wird hier bereits, dass sich die Konstruktionen von Geschlecht und Nation überlagern und wechselseitig verstärken können. So gehen die Darstellungen von Nationalität/Kultur/Ethnizität jeweils mit spezifischen Vorstellungen und Konstruktionen von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen einher. Besonders vordergründig zeigt sich dies im Rahmen der von Bewernitz rekonstruierten Feindbildkonstruktion, etwa im Bild des vergewaltigenden und frauenverachtenden Serben. Die Verzahnung der Kategorien Nation und Geschlecht, wie sie ja auch in der ‚Verweiblichung’ des US-Präsidenten und der ‚Vermännlichung’ der US-Außenministerin zum Ausdruck kommt (als diskursive Strategie der Abwertung der US-amerikanischen Nation und ihrer Politik), hätte in der Arbeit jedoch noch stärker herausgearbeitet werden können; stattdessen werden die Darstellungen von Nation und Geschlecht weitgehend getrennt voneinander untersucht.

Abschließend bleibt zu konstatieren, dass diese Arbeit einen wichtigen, sich dezidiert als „normativ“ (39) verstehenden Beitrag leistet, in herrschaftliche Diskurse und kriegerische Politiken zu intervenieren, indem sie das, was ‚wir’ für ‚normal’ halten – incl. der neuen ‚Normalität’ des Krieges sowie der Ordnungskategorien, entlang derer Menschen normalisiert, differenziert und hierarchisiert werden (Nationalität, Geschlecht, Ethnizität etc.) – grundlegend hinterfragt. Das Aufdecken und Nachzeichnen ihrer sprachlich-diskursiven Herstellungsmechanismen kann dabei als ein erster Schritt in Richtung gesellschaftlicher Veränderung verstanden werden. Wissenskritik wird zur politischen Praxis!

Der Autor bleibt jedoch nicht bei der Beschreibung der gegebenen Umstände stehen, sondern plädiert für den Entwurf von Handlungsalternativen: „Die Interpretation erfordert die Intervention.“ (39) Nach dem Motto ‚Konstruktionen für den Frieden?’ (vgl. 17) macht er abschließend Vorschläge, wie eine geschlechtergerechte und friedenserhaltende Berichterstattung aussehen könnte, die eben Identitäten nicht für den Krieg, sondern für den Frieden hervorbringt.

Torsten Bewernitz
Konstruktionen für den Krieg?
Die Darstellung von Nation und Geschlecht während des Kosovo-Konflikts 1999 in deutschen Printmedien
2010 Münster: Westfälisches Dampfboot
353 S., 34,90 €